Fünftes Kapitel

Es war ein Monster wie Tully, dieses Ding, das sie im scheinwerfererleuchteten, kalten Inneren der weitgespannten Außenlinie der Stolz konstruiert hatten. Der Anfang war haniförmig gewesen, ein zusammengeflickter und gefährlicher Raumanzug, den sie für Teile ausgeschlachtet und dann erfolglos anderen Hani-Schiffen anzudrehen versucht hatten. Die Glieder des Dings waren einfach länger geworden, abgeteilt und mit Röhrenmaterial gespleißt, und es war mit einem aus dem letzten Loch pfeifenden Lebenserhaltungssystem ausgestattet.

»Hol Tully!« sagte Pyanfar und beschäftigte sich mit den letzten Schweißarbeiten, die dazu dienten, das System in Ordnung zu bringen. Und Chur ging, beschmutzt wie Pyanfar auch von dem Staub und Schmutz der Lagerräume für Bergungsgut.

Pyanfar arbeitete und spleißte, fluchte, als das System eine weitere frustrierende Rauchwolke hervorstieß, löste die entsprechende Komponente und wühlte nach einer neuen, befestigte diese und gratulierte sich selbst, als es funktionierte; eine Vibration und ein Flackern grüner Lampen am Gürtel und innerhalb des Helmes. Sie grinste und wischte sich die Hände an den blauen Arbeitshosen ab, die sie für diese schmutzige Aufgabe angezogen hatte… lange her, seit sie Derartiges gemacht hatte, lange her, seit sie abgetragene blaue Arbeitskleidung angehabt und sich Blasen an den Händen zugezogen hatte. In ihrer Jugend hatte sie solche Dinge unter einem anderen Kapitän der Stolz gemacht, aber nur Haral und Tirun konnten sich noch an diese Zeit erinnern. Sie leckte über eine Fingerverbrennung und kauerte sich auf das Deck, zufrieden mit der Funktion des Apparates. Lass ihn eine Weile laufen! entschied sie, und sehen, ob er auch weiterhin funktioniert. Die Rüstung starrte zurück, steif und hochragend auf den gewaltigen Füßen, und reflektierte Pyanfar als ferne Miniatur auf ihrer gekrümmten Gesichtsplatte. Sie stand da wie irgendein Mahendo‘sat-Dämon, wohl mit zwei Gliedern zu wenig dafür, aber grässlich genug mit ihren freiliegenden Schläuchen und unstimmigen Proportionen vor dem dunklen Hintergrund der Maschinenwerkstatt. Blutgestank vermischte sich mit dem versengten Geruch des Schweißens. Ein Eimer auf dem Deck fing das gelegentliche Tropfen aus dem gehäuteten Kadaver auf, der dahinter unter der Lichtquelle hing. Er war etwas mehr als hanigroß, an eine Schiene gekettet, mit langgesichtigem Kopf, der unten an einem ziemlich langen Hals hing, und er baumelte dort kopfunter, um aufzutauen und leerzutropfen. Er hatte angefangen zu stinken. Die langen Glieder standen im Begriff, sich zu lösen, und der Bauch ging auf. Uruus. Süßes Fleisch und ein fettes Exemplar obendrein; nach dieser Plünderung von Pyanfars privater Speisekammer waren die besten Steaks bereits zur Küche unterwegs.

Er hatte Wunden, dieser Kadaver, aber das verlängerte nur die Glieder und ließ das Gesäß herabhängen.

In der dunklen Ferne ging die Tür auf und wieder zu; Schritte raschelten über die metallenen Decksplatten. Pyanfar stellte ihren Übersetzer an und empfing nichts, aber sie konnte sehen, wie in der weiten Dunkelheit die Lichter angingen, illusionenhaft und hoch aufgrund der aufwärtsgerichteten Krümmung des Decks in der gewaltigen Lagerhalle, in der sich zwei Gestalten abzeichneten, eine davon bleich und hochgewachsen. Pyanfar saß da und wartete, während die Lampen entlang des Gangs nacheinander von selbst an- und wieder ausgingen und ihr die beiden Gestalten immer näher brachten.

Tully und Chur natürlich. Der Außenseiter kam ziemlich bereitwillig, blieb aber abrupt stehen, als er nähergekommen war, und das Licht ging über ihm aus, und Chur und er blieben in der Dunkelheit außerhalb des Bereiches stehen, wo Pyanfar saß. Sie stand auf, erkannte ihn doch deutlich genug im Schatten. »Tully, alles in Ordnung. Komm doch! Alles in Ordnung, Tully.«

Und er kam, langsam, ein fremdartiger Schatten inmitten all der übrigen Fremdheit, und Chur hielt vorsichtshalber seinen Arm fest. Er betrachtete die leere Rüstung, dann den hängenden Kadaver, und an letzterem blieb sein Blick hängen.

»Ein Tier«, sagte Pyanfar. »Tully, du sollst sehen, was wir machen. Ich will, dass du begreifst. Hörst du?«

Er wandte sich ihr zu, die Augen tief in den schattigen Höhlen, und das schräg auf ihn fallende Licht ließ seine bleiche Mähne und die so entschieden unhanihaften Gesichtsflächen glänzen. »Du stecken mich da rein?«

»Wir stecken das hinein«, erklärte Pyanfar fröhlich. »Einen Sender, der Signale sendet, was das Zeug hält. Wir erzählen den Kif, dass wir dich hinauswerfen, und geben ihnen dafür das, verstehst du, Außenseiter? Wir lassen sie nach dem Ding jagen. Und wir hauen ab.«

Er fing an zu begreifen. Seine Augen funkelten wieder in Anbetracht der Situation, der leeren Rüstung, des gefrorenen Kadavers. »Ihre Instrumente sehen hinein«, sagte er.

»Ihre Instrumente werden es abtasten, ja; und das ist, was sie kriegen werden.«

Er deutete auf den Kadaver. »Das? Das?«

»Nahrung«, sagte sie. »Keine Person, Tully. Ein Tier. Nahrung.«

Plötzlich erschien auf seinem Gesicht ein erschreckendes Grinsen. Sein Körper erzitterte unter einem stoßhaften Keuchen, das sie als eine Art Gelächter erkannte. Er hieb Chur auf die Schulter, wandte dann Pyanfar das zuckende Gesicht mit der aus den Augen strömenden Nässe zu und zeigte noch immer dieses Mahendo‘sat-Grinsen. »Du # die Kif.«

»Steck das da rein!« wies sie ihn an, wobei sie auf den Kadaver deutete. »Bring ihn her! Du hilfst, Tully!«

Er tat es mit Chur gemeinsam, stemmte seinen geschmeidigen Körper gegen die halb gefrorene Last, wobei er immer wieder vor Abscheu über den Anblick oder darüber, wie sich der Kadaver anfühlte, das Gesicht verzog. Pyanfar schaltete das Lebenserhaltungssystem der Rüstung aus, öffnete ihr Kunstwerk und runzelte die Nase, als der Außenseiter und Chur den stinkenden Kadaver herbeibrachten. Es ging jetzt darum, das Ding unterzubringen. Sie legte jede Überempfindlichkeit ab und machte es selbst, wobei sie schon einen Begriff davon hatte, wie es wohl passte. Der Kopf ging in den Helm, ein Stück Hals kam hinterher und dann noch der Kadaver in die leere Körperhülle, wozu ein wenig Brechen und Reißen am Brustkorb nötig war, ein Zerreißen und Zurechtbiegen der Glieder.

»Wird gut riechen, wenn es eine Weile mit eingeschalteter Heizung einhertreibt«, stellte Chur fest. Tully lachte sein keuchendes Lachen und wischte sich über das Gesicht, verschmierte dabei seinen Schnurrbart mit dem schleimigen Dreck, der die Arme bis zu den Ellbogen bedeckte. Pyanfar grinste, plötzlich der Widersinnigkeit von alldem gewahr werdend, wie sie hier zusammen mit einem verrückten Alien und der mit einem Uruus- Kadaver gefüllten Rüstung in der Dunkelheit hockte, zu dritt mit einer Verschwörung des Wahnsinns beschäftigt. »Festhalten!« befahl sie Chur, während sie versuchte, die Bauchnaht zu schließen. Chur hielt die Seiten am unteren Ende zusammen, und Tully half oben, und fertig war das Ganze, verschlossen und von Tullys Gestalt.

»Kommt!« sagte Pyanfar und nahm die Füße, und Tully und Chur packten energisch die Schultern, schleppten sich mit dem Ding ab, und die Lampen erkannten sie im Vorbeigehen und leuchteten nacheinander auf.

»Frachtluke?« fragte Chur.

»Luftschleuse«, sagte Pyanfar. »Seit wann verlassen Fahrgäste ihr Schiff auf einem anderen Weg?«

Das Ding war nicht leicht. Sie taumelten mit ihm einher, wobei es hierhin und dorthin zog, legten es in der nächsten Sektion auf einen Wagen und seufzten erleichtert, als es endlich wie eine Leiche auf dem Wagen lag, die spiegelnde Gesichtsplatte nach oben starrend.

Tully war weiß im Gesicht und zitterte vor Erschöpfung; Schweiß stand auf seiner Haut, und er stützte sich nach Luft schnappend auf die hintere Haltestange des Wagens, aber seine Augen leuchteten.

»Du bist Pyanfar, richtig?« fragte er zwischen Atemzügen. »Pyanfar?«

»Ja«, gab sie zu und wischte sich mit schmutziger Hand über die juckende Nase, wobei sie davon ausging, dass sie ohnehin nicht mehr schmutziger werden konnte, nickte dann in Churs Richtung und nannte ihm erneut auch deren Namen.

»Ich #«, sagte er und nickte bestätigend. Er half ihnen begeistert dabei, den Wagen zu schieben, und sie brachten ihn leicht in Bewegung, den Gang durch die innere Lagerhalle entlang, vorbei an den dräuenden Schatten der Tanks und der Recycling-Anlagen, wieder hinaus in die normal erleuchteten Sektionen des Unterdecks unter einer tieferen Decke, und dann durch die üblichen Korridore zur Schleuse.

»# er gehen #?« fragte Tully und stolperte, als er ihnen beim Abladen der Rüstung half, blickte ängstlich nach links, als die innere Luke der Schleuse aufging. »Gehen schnell hinaus?«

»Ah, nein«, sagte Pyanfar. Sie trug die Füße hindurch und stützte sie ab, als Chur und Tully den Oberkörper hineinpraktizierten und aufrichteten. »Dorthin, an die Außenluke. Wenn wir die Schleuse leerpusten, geht das Ding schön mit hinaus.« Sie setzte die Füße ab und fügte ihr Gewicht hinzu, als sie die Rüstung hochstemmten und anlehnten, trat zurück und begutachtete ihr Werk mit einem Grinsen und einem hämischen Gedanken an die Kif. Mit den Köpfen am Gürtel schaltete sie die Lebenserhaltung ein, und der Kokon stellte sich etwas steifer hin, wobei er auf Minimalbetrieb blieb. Sie schaltete ihn wieder ab, um keinen guten Zylinder zu verschwenden.

Und für den Moment starrte auch Tully das Ding an, keuchte und schwitzte, die Arme an den Seiten, und ein verstörter Blick trat plötzlich an die Stelle des Lachens, ein Ausdruck, der ein gewisses Schaudern zum Ausdruck brachte, als habe er letztlich begonnen, sich über das Ding und die Situation Gedanken zu machen und sich Fragen zu stellen, an die er bislang nicht gedacht hatte.

»Hinaus!« sagte Pyanfar und scheuchte Chur mit einem Wink aus der Schleuse, schloss Tully in diese Armbewegung ein. Er zögerte. Da er betäubt wirkte, machte sie Anstalten, seinen Arm zu nehmen, und plötzlich legte er ihr die Hand auf die Schulter, erst die eine, dann die andere, und neigte den Kopf an ihre Wange — eine kurze Geste, rasch wieder aufgegeben, die Hände so schnell zurückgezogen, wie sich ihre Ohren gefährlich senkten.

Pyanfar gebot sich kurz vor einem Zischen Einhalt, entspannte mit Willenskraft die Hände, um die Krallen einzuziehen, tätschelte mit Bedacht seine haarlose Schulter und schob ihn aus der Schleuse hinaus in den Korridor.

Dank schien diese seine Geste auszudrücken. Also doch. Er besaß also ein subtiles Begriffsvermögen, dieser Tully. Sie zuckte mit den Ohren und machte ein Gesicht, auf das hin ihr Chur rasch die Schulter zuwandte, und schob den Außenseiter nach links, auf Chur zu. »Geh dich saubermachen!« sagte sie. »Dusch dich, hörst du? Waschen!«

Chur nahm ihn und gab ihm zu verstehen, dass er ihr mit dem Wagen helfen sollte, und sie rollten ihn durch den Korridor dorthin zurück, wo er hingehörte. Pyanfar atmete kurz aus und schloss die innere Luke, machte sich dann auf in den gemeinsamen Waschraum, wo sie ihre besseren Kleider gelassen hatte — wusch kurz die Haut ab an der Stelle, wo der Außenseiter die Hand auf ihre Schulter gelegt hatte.

Aber er hatte begriffen, was sie taten, sehr gut begriffen, was sie mit dem Köder beabsichtigten, und dass dies in der Tat nichts mit Humor zu tun hatte. Mochten die Götter die Kif verfluchen!

Und dann dachte sie an das lange, feierliche Gesicht des Uruus, so wohltuend dumm, und an den tödlichen Stolz des großen Hakkikt der Kif, und ihre Nase runzelte sich unter einem Lachen, das keinem Humor entsprang.

Das Abendessen stand bevor; ein köstliches Aroma kam von oben aus der Küche, nachdem Hilfy und Geran eine Zeitlang dort und auch in den größeren Einrichtungen des Unterdecks gewirtschaftet hatten. Es war diesmal eine wirkliche Mahlzeit, eine jener köstlichen Zubereitungen, auf die Geran sich verstand, der vorletzte Beitrag des Uruus zu ihrem Wohl, vorbereitet mit all der Sorgfalt, die sie während gewöhnlicherer Reisen auf das Essen verwendeten, wenn das Essen eine Besessenheit war, eine kostbare Abwechslung in der Routine, eine Kunst, die sie zum Ergötzen ihrer gelegentlichen Passagiere ausübten und dazu, sich selbst zu überraschen.

Jetzt war die Hauptmahlzeit sehr willkommen; ein kühnes Aroma durchwehte den Luftstrom aus dem Korridor, und Pyanfar schaltete ihre Kom-Verbindungen zur Brücke und tat das Erforderliche, um den Platz zu sichern, wobei ihre Hände vor Hunger fast zitterten und sie einen großen schmerzenden Hohlraum in der Körpermitte spürte. Nichts Ernstes war bislang aus dem Kom zu hören gewesen, nur Ärgernisse, kein Hinweis auf größere Schwierigkeiten, als sie bereits hatten; und der Uruus in seinem Kokon wartete in der Schleuse, schmelzend und — wie sie per Sichtkontrolle feststellte — immer noch auf den etwas verändert stehenden Füßen an die äußere Luke gelehnt. Sie schaltete das Bild ab und überprüfte erneut die Küche-Gemeinschaftsraum-Verbindung, empfing Hilfys Stimme und schaltete den Strom um, schwor jedem Kif einen gewaltigen Fluch, der vielleicht die Stunde unterbrach, die sie sich verdient hatten. Aber die Verbindung war da für den Fall, dass sie gebraucht wurde, und das Gerät im Gemeinschaftsraum würde alles Wichtige übertragen. Sie empfing das Wort von Geran und leitete es an das ganze Schiff weiter, verließ endlich die Brücke und machte sich auf den Weg zum Essen, wieder sauber und voller Erwartung.

Sie grinste innerlich und äußerlich bei dem sich bietenden Anblick des so weit ausgezogenen Tisches, dass kaum mehr Platz war, herumzugehen, sein Zentrum mit phantastischer kulinarischer Kunst überhäuft, mit Platten voller Fleisch, bei den Göttern, keine abgestandenen gefriergetrockneten Scheibchen und Charque und dergleichen; Fleischsaft und Soßen, in denen Leckerbissen schwammen, garniert mit Kräutern und gebrutzelten Fettstückchen. Der sterile weiße Gemeinschaftsraum war wie umgewandelt, und Hilfy und Geran hasteten umher, um Kissen mit hellen Mustern auszulegen, voller Chanurwappen in Rot, Gold und Blau.

»Wunderbar«, verkündete Pyanfar und atmete tief ein. Plätze für sieben Personen. Sie hörte den Lift und blickte zum Korridor. In kurzer Folge kamen Haral und Chur mit Tully im Schlepp, und hinter ihnen kam Tirun auf ihrem Rohrstock herbeigehumpelt. »Setzt euch, setzt euch!« befahl Pyanfar den anderen Hani und Tully, und sie verteilten sich um den Tisch herum mit den ausweichenden Bewegungen, die die enge Räumlichkeit ihnen abverlangte, nahmen dann Schulter an Schulter ihre Plätze ein. Pyanfar setzte sich an das der Brücke zugewandte Kopfende, Haral an das zur Küche hin liegende. Tirun und Chur nahmen Tully in ihre Mitte, während Hilfy und Geran sich an der anderen Seite des Tisches niederließen. Ein bizarrer Anblick, diese weißgoldene Mähne zwischen zwei rotgoldenen, haarlosen Schultern neben rotbraunem Pelz, und obendrein machte sich Tully etwas krumm, um mit seinen langen Gliedmaßen den Nachbarinnen nicht in die Quere zu kommen… Pyanfar gluckste vor guter Laune und wünschte den anderen Wohlsein, erhielt die angemessene Antwort, deren Lautstärke Tully überraschte. Dann goss sie Gfi aus ihrem Flachmann in den Becher, was von der ganzen Gesellschaft imitiert wurde, mit etwas Verspätung auch von Tully; und für einen Moment war nichts zu hören außer dem Klappern der Messer und Becher und Platten, als Gerans und Hilfys Monumente einem raschen Abriss unterzogen wurden. Tully nahm Happen von diesem und jenem, während die Teller auf der Drehplatte in der Mitte des Tisches die Runde machten, kleine Portionen zu Anfang, als sei er sich nicht sicher, wozu er berechtigt war, und dann größere, nachdem er verstohlene Blicke auf das geworfen hatte, was die anderen nahmen, schöpfte Saucen und legte von diesem und jenem bei für den offensichtlichen Fall, dass es kein zweites Mal vorbeikam. Fragen stellte er nicht.

»Uruus«, sagte Chur boshaft, legte eine Klaue auf seinen Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, und deutete auf die Steaks. »Dasselbe Tier, das da, wie wir es den Kif geben.«

Tully wirkte für einen Moment unsicher, stach mit dem Messer nach dem Steak und hob den Blick wieder zu Churs Grinsen. »Dasselbe, dies?«

»Dasselbe«, bestätigte Chur. Tully zog ein komisches Gesicht und fing dann an zu essen, lachte nach einem Moment auf eine verrückt wirkende Weise in sich hinein, die Schultern gebeugt und die Aufmerksamkeit gänzlich dem Essen zugewandt, und er warf nur gelegentlich kurze Blicke auf ihre Hände und versuchte, die Utensilien hanihaft zu gebrauchen.

»Gut?« unterbrach Pyanfar das allgemeine Schweigen. Tully blickte sofort auf und sie alle nacheinander an, denn er wusste nicht, wer geredet hatte. Der in sein Ohr sprechende Übersetzer besaß keinerlei Persönlichkeit.

»Ich, Pyanfar. In Ordnung, Tully? Ist diese Nahrung das Richtige für dich?«

»Ja«, sagte er. »Ich sein hungrig.« Hungrig sagte der Übersetzer leidenschaftslos in ihr Ohr; aber der Ausdruck, den Tullys Gesicht einen Moment lang zeigte, legte sehr viel mehr hinein. Die Quetschungen traten im weißen Licht des Gemeinschaftsraumes deutlich hervor; die Eckigkeit der Knochen wurde an der Oberfläche seiner Schultern und um die Rippen herum erkennbar.

»Er sagt, dass er die meiste Zeit friert«, berichtete Chur. »Schließlich besitzt er nicht unseren natürlichen Schutz. Ich habe ihm eine Jacke anprobiert, aber er ist zu groß. Er will sie immer noch, hat darum gebeten, sie zurechtzuschneiden. Vielleicht wäre es besser, zuerst mal mit Sachen von Haral anzufangen.«

»Auch noch zu klein für diese Arme«, urteilte Haral. »Aber ich werde schauen, was ich finden kann.«

»Kalt«, sagte Tully in seinem begrenzten Verständnis der Diskussion.

»Wir werden es versuchen, Tully«, sagte Chur. »Ich frage Haral, verstehst du. Vielleicht findet sie etwas für dich.«

Tully nickte. »##«, sagte er verloren, und fügte dann mit hellerem Gesicht und einem Wink auf das Essen hinzu: »Gut. Gut.«

»Du beschwerst dich nicht, oder?« kommentierte Pyanfar. »Du… Götter!«

Der Kom fuhr dazwischen, ein Knnn-Lied, und Tully sprang auf. Alle blickten reflexhaft zum Lautsprecher, und Pyanfar holte tief Luft, als sich herausstellte, dass es sich nur um Knnn handelte. Nur Tully starrte auch weiterhin in diese Richtung.

»Das ist nichts«, sagte Pyanfar. »Wieder Knnn. Es wird in einem Moment wieder aufhören.«

Ernst betrachtete sie die anderen, jetzt, wo die ganze Situation wieder in ihr Bewusstsein getreten war. »Ich habe für den Fall des Falles einen Kurs festgelegt und in den Comp gegeben, falls wir ihn brauchen sollten. Und das werden wir wohl. Auch einen Köder habe ich vorbereitet, mit Chur und Tully zusammen… ein Geschenk für die Kif, das ihnen kritische Geschwindigkeit kosten wird, wenn sie es auflesen wollen. Wir haben es so zurechtgemacht, dass es für ihre Sensoren gut aussieht.«

Für einen Moment herrschte Schweigen.

»Kann ich reden?« fragte Hilfy.

Pyanfar nickte ohne Kommentar.

»Wohin?« fragte Hilfy. »Wenn wir abhauen… wohin? Wieder Treffpunkt?«

»Nein. Ich habe mir sicherheitshalber überlegt, ob man die Kif dadurch abschütteln kann. Aber wenn man es hin und her wendet — selbst bei Urturs ganzer Masse als Bezugspunkt hätten wir es hierher beinahe nicht geschafft, und kein Gebet wird uns in die andere Richtung helfen, wo wir nur die geringe Masse von Treffpunkt zur Orientierung haben. Immer wieder habe ich mögliche Kurse ausgearbeitet, und da gab es nicht viel — außer einem Doppelsprung nach Kirdu. Das ist eine große Station, und möglicherweise finden wir dort Hilfe.«

»Das«, meinte Geran, »werden sich die Kif auch ausgerechnet haben und uns bei Kita abfangen.«

»Also werden wir die Sprünge aneinanderreihen«, meinte Pyanfar und nahm einen Schluck Gfi. »Es gibt keine andere Möglichkeit, Geran, absolut nicht.«

»Götter«, — brummte Chur undiplomatisch. Hilfy machte ein besorgtes Gesicht. Ihre Augen zuckten rasch zu den anderen, die mehr Erfahrungen besaßen. Tully hatte zu essen aufgehört und sah jetzt ebenfalls auf, begriff etwas von dem Gespräch.

»Direkte Sprungfolge«, sagte Pyanfar zu Hilfy. »Keinerlei Aufenthalt zur Erholung, keine Geschwindigkeitsabnahme im Intervall und — die Götter wissen es — Gefahren, wo wir auch hinkommen. Wir sind gezwungen, einen Teil des Trümmergesteins im Sprung mit uns zu reißen. Aber dieses Risiko ist immer noch besser, als hier sitzenzubleiben, während die lokale Kif-Bevölkerung wächst. Es gibt einen Sprungpunkt, den wir mitnehmen müssen: Kita. Jenseits von Punkt Kita werden sich die Kif drei Vermutungen gegenübersehen, wohin wir uns gewendet haben könnten: Kura, Kirdu oder Maing Tol. Sie könnten letztendlich richtig vermuten, aber dann trotzdem noch einige Schiffe verteilen, um andere Möglichkeiten abzudecken.«

»Wir kehren heim?« mutmaßte Hilfy.

»Wer hat etwas von Heimkehren gesagt? Wir werden diese Sache regeln, das werden wir tun. Wir werden ein paar von ihnen abschütteln, uns ein Plätzchen suchen, wo wir ein paar Verbündete finden können. Das werden wir machen.«

»Und die Faha… wir könnten sie warnen.«

»Was, überall verbreiten, wohin wir uns wenden? Sie können sich das selbst ausrechnen… Kirdu bietet die größte Hoffnung. Wahrscheinlich werden sie sich dorthin begeben.«

»Wir könnten sie hier warnen. Ihnen die Chance bieten, herauszukommen.«

»Sie können auf sich selbst aufpassen.«

»Nachdem wir den ganzen Ärger angeschleppt haben…«

»Meine Entscheidung«, sagte Pyanfar.

»Das bestreite ich nicht. Was ich sage…«

»Wir können ihnen nicht helfen, indem wir in ihre Richtung springen. Oder wie hast du vor, sie zu benachrichtigen? Wir würden es nur schlimmer für sie machen, wir können es nur verschlimmern. Klar?«

»Ich verstehe.« Die Ohren legten sich zurück, richteten sich mit etwas Anstrengung dann wieder auf. Es herrschte Schweigen am Tisch, abgesehen von den Knnn, die allein für sich weiterjammerten, versunken in irgendeinem Impuls — welche Art Impuls auch immer die Knnn zum Singen brachte.

Und der Gesang hörte auf. »Götter«, brummte Haral reizbar und warf einen besorgten Blick über den Tisch hinweg. Pyanfar erwiderte ihn, vorbei an Hilfy und dem Außenseiter.

»Pyanfar.« Tully hatte das gesagt, und hielt seinen Becher, als habe er ihn vergessen, und etwas wallte offensichtlich in ihm empor, das gesagt werden wollte, während sein Gesicht fast Panik zum Ausdruck brachte. »Ich sprechen?« fragte er. Und als Pyanfar nickte:

»Wohin fahren dieses Schiff?«

»Näher zum Heimat-Territorium, zum Hani-Raum. Wir fliegen in eine Richtung, in die die Kif uns nicht so gern folgen werden und wo es zuviel Hani- und Mahendo’sat-Verkehr gibt, als dass sie es noch leicht hätten, gegen uns vorzugehen. Bessere Gegend, verstehst du. Sicherer.«

Er setzte den Becher ab und machte eine vage Geste mit seiner langgliedrigen Hand mit den flachen Fingernägeln. »Zwei Sprung.«

»Ja.«

»#. Brauchen #, Kapitän. #.«

Er war ernsthaft und tief beunruhigt. Pyanfar holte Luft und machte eine beruhigende Geste.

»Noch einmal, Tully. Sag es noch einmal! Drück es anders aus!«

»Schlafen. Brauchen Schlaf bei Sprung.«

»Ah. Wie die Stsho. Sie müssen es auch, jawohl. Ich verstehe; du willst deine Drogen haben, die dich dann schlafen lassen, ohne Angst.«

Er begann zu zittern. Plötzlich strömte ihm Nässe aus den Augen. Er senkte den Kopf und wischte sich darüber, war für einen Moment ruhig. Alle waren es, denn sie erkannten einen tiefen Schmerz. Vielleicht bemerkte er es; er regte sich in der Stille, hob ungeschickt sein Messer hoch, stach nach einem Stück Fleisch auf seinem Teller, steckte es sich in den Mund und kaute, und er hob kein einziges Mal den Blick.

»Du brauchst Drogen zum Schlafen«, sagte Pyanfar. »Und die Kif haben dich ohne welche mit durch den Sprung genommen. Das haben sie doch getan, nicht wahr?«

Er sah zu ihr auf.

»Warst du von Anfang an allein, Tully? Warst du mit anderen zusammen?«

»Tot«, sagte er mit vollem Mund und schluckte den Bissen mit Schwierigkeiten hinunter.

»Tot.«

»Das weißt du mit Sicherheit?«

»Ich wissen sicher.«

»Hast du mit den Kif gesprochen? Hast du ihnen gesagt, was sie von dir wissen wollten?«

Ein Kopfschütteln.

»Nein?«

»Nein«, sagte Tully und senkte den Blick, hob ihn dann wieder unter den bleichen Brauen.

»Wir geben falsche # in ihren Übersetzer.«

»Was, falsche Wörter?«

Er hielt das Messer noch in der Hand. Es blieb dort, mit dem nächsten Bissen daran — das Essen war vergessen.

»Er hat ihren Übersetzer angeschmiert!« rief Tirun begeistert aus. »Götter!«

»Und unseren nicht?« hakte Pyanfar nach.

Tullys Augen suchten sie.

»Ich dachte, du wärest die Tastatur zu rasch durchgegangen«, sagte Pyanfar. »Schlauer Außenseiter. Wir, sagtest du. Dann waren zu Anfang mehrere von euch in den Händen der Kif.«

»Die Kif nahmen gefangen vier von uns. Sie nehmen uns mit durch Sprung ohne Medizin — wach, verstehen du? Sie geben uns nicht gutes Essen, nicht viel Wasser, lassen uns an Übersetzer-Schema arbeiten, wie ihr haben. Wir wissen, was sie wollen von uns. Wir arbeiten langsam, sagen wir nicht verstehen Tastatur, nicht verstehen Symbole, arbeiten nur langsam. Sie haben wenig Geduld. Sie schlagen uns böse, treiben uns böse — machen uns arbeiten diese Maschine, machen schnell. Wir arbeiten diese Maschine ganz falsch, machen viele falsche Wörter, tauschen dies Wort für jenes Wort, langes, ganz langes Band.

Manches richtig, viel falsch.« Sein Gesicht verzerrte sich. »Sie arbeiten das Band, und wir machen Fehler mehr. Sie verstehen wir tun, nehmen eine von uns, töten sie. Schlagen uns alle, sehr böse. Sie geben uns wieder selbe Arbeit, machen Band sie wollen. Wir machen Nummer Zwei Band falsch, andere Fehler. Kif töten zweite mein Freund. Ich — Mann Name Dickjames — wir zwei auf Schiff kommen Station. Sie machen uns kennen diesen Akukkakk; er kommen an Bord Schiff sehen uns. Er..

Wieder ein verzerrtes Gesicht, eine Geste. »Er — nehmen mein Freund Arm — brechen ihn — brechen viele Male zwei Arme, Bein, Brust — ich kämpfen ihn, nicht gut; er schlagen mich — gehen hinaus. Und mein Freund — er bitten — ich ihn töten, du verstehen. Ich machen es, ich töten mein Freund, # Kif nicht mehr tun ihm weh.«

Das Schweigen am Tisch war totenähnlich. Pyanfar räusperte sich. Die Ohren der anderen waren zurückgelegt, die Augen geweitet.

»Sie kommen«, fuhr Tully ruhig fort. »Finden mein Freund tot. Sie # böse, mich schlagen, bringen mich Richtung dieses zweites Schiff. Draußen. Docks. Ich weglaufen — rennen lange. Ich kommen zu dein Schiff.« Er zog den Kopf ein, blickte wieder auf mit einem blassen Mahendo‘sat-Lächeln. »Ich machen Tasten richtig für dich.«

»Dieser Kif will töten«, meinte Haral.

»Tully«, sagte Pyanfar, »ich verstehe, warum du so vorsichtig bist bei Fragen danach, woher du kommst. Aber ich wette darauf, dass euer Raum neben dem der Kif liegt. Du hörst mir zu.

Ich denke, dass euer Schiff zwischen Kif geriet, und jetzt wissen sie, dass es eine raumfahrende Rasse neben ihren Territorien gibt, entweder eine, von der sie rauben können — oder eine, vor deren Gefährlichkeit sie ganz furchtbare Angst haben. Ich weiß nicht, was davon zutrifft. Aber das ist, was die Kif von dir wollten — darauf wette ich —, nämlich mehr über euch wissen. Und das wiederum ist dir klar. Und du bist auch uns gegenüber zurückhaltend.«

Tully saß für einen Moment reglos da. »Meine Rasse sein Menschen.« Sie fing das Wort aus seiner Sprache auf.

»Menschen.«

»Ja, sie versuchen mich fragen. Ich nicht sagen; machen sie nicht verstehen.«

»Dein Schiff — hatte keine Waffen. Ihr tragt keine?« Keine Antwort.

»Ihr wusstet nicht, dass eine Gefahr auf euch lauert?«

»Nicht kennen diesen Raum, nein. Langer Sprung. Zwei Sprung. # wir hören Sendung.«

»Kif?«

Er schüttelte den Kopf, seine Art, nein zu sagen. »Ich hören…« Er deutete auf den Kam, der ruhig blieb. »Das. Machen das Geräusch.«

»Knnn — um der Götter willen!«

Er fasste an sein Ohr. »Sagen noch einmal. Nicht verstehen.«

»Knnn. Ein Name. Eine Rasse. Methanatmer. Ihr wart in Knnn-Gebiet. Immer schlechtere Nachrichten, mein Freund. Der Knnn-Raum liegt zwischen Stsho und Kif.«

»Käpt‘n«, sagte Geran, »ich wette mit einem Chi darum, dass die Stsho ihre Finger in der Sache drin haben. Denk an ihre Station… wo die Kif es sich leisten konnten, ihn öffentlich auf den Docks herumzuführen… ich darf wohl behaupten, dass die Kif von den Stsho keinerlei Fragen gestellt bekamen.«

Pyanfar nickte nachdenklich, erinnerte sich an den Stsho-Beamten, die Veränderung in jenem Büro oder bei jenem Beamten. Ein lächelndes Willkommen, unbewegte Mondsteinaugen und zierliche Lavendelbrauen. Eine gewisse Kälte stieg ihr den Rücken empor. »Die Stsho richten ein blindes Auge auf alles, das nach Problemen aussieht, soviel ist sicher… Kleine«, sagte sie, als sie Hilfys zurückgelegte Ohren und geweitete Augen sah, »pass mal auf! Das ist die Art unserer Freunde und Verbündeten hier draußen. Mögen die Götter sie verdammen… Iß auf!«

Tully schaute auf seinen Teller, wandte seine Aufmerksamkeit wieder darauf, und Pyanfar kaute nachdenklich auf einem neuen Bissen.

Knnn, Kif, Stsho… Götter, der ganze Tiegel war aufgerührt worden, als dieser Außenseiter, dieses Alien, dieser Mensch, mitten hineingefallen war. Ein unbehagliches Gefühl lastete beharrlich auf ihrem Nacken, wie ein kalter Wind verspäteten Erkennens. Das ganze Dock von Treffpunkt im eifrigen Versuch, etwas Verkehrtes nicht zu sehen oder zu hören, mit einem Flüchtling unterwegs und Kif auf der Jagd…

Die Stsho waren in keiner Weise besonders schlecht — abgesehen von ihrem Verlangen, möglichst jedem Problem aus dem Wege zu gehen. Das war stets ihre Art gewesen. Aber sie, die Hani, waren anders. Keine Hani durchschaute die Muster. Keine Hani verstand sie.

Und, Götter, wenn die Knnn aufgestört worden waren — ebenso wie die Kif…

Sie schluckte das trockene Mundvoll hinunter und goss noch einen Schluck Gfi hinterher, füllte noch mal den Becher. Tully aß, als habe er tatsächlich Appetit. Auf dem ganzen Tisch verschwanden Speisen, und die Platten rotierten für die zweiten Portionen.

»Ich habe vor, Tully in bestimmtem Umfang Aufgaben zuzuteilen«, sagte sie. »Er kann nicht lesen, das ist sicher. Aber es gibt manches, das er machen kann.« Tully hatte aufgeblickt.

»Nichte«, sagte Pyanfar, »du bist nicht länger die Jüngste auf der Stolz, was diesen Flug angeht. Du solltest dich glücklich schätzen.«

Hilfys Geistesabwesenheit verflüchtigte sich zu Unruhe. »Er ist Jüngster?«

»Ein williger Arbeiter«, sagte Pyanfar mit gerunzelter Nase. »Jetzt teilweise in deiner Verantwortung.«

»Tante, ich…«

»Ich habe dir gesagt, wie es ist, Nichte. Hörst du? Du weißt, worum es geht und welche Einsätze im Spiel sind?«

»Ich verstehe«, sagte Hilfy mit schwacher Stimme. »Nein, ich weiß es nicht. Aber ich bin dabei, es mir auszurechnen.«

»Kif«, fauchte Geran. »Wenn die Chancen gegen sie stehen, sind sie auf einmal ganz anders.«

»Früher einmal…«, sagte Haral und zuckte dann zusammen. Der Knnn-Gesang war wieder zu hören, schriller diesmal. »Verflucht!«

»Dicht bei uns«, urteilte Pyanfar. Der Empfang war außerordentlich klar. Sie begegnete Harals Augen, die sie über den ganzen Tisch hinweg anblickten und immer unruhiger wurden. Der Gesang ging noch einen Moment lang weiter, zu laut, als dass man sich noch hätte unterhalten können, und verklang dann wimmernd, kauderwelschte in tieferen Tonlagen weiter.

»Verdammt zu nahe«, sagte Haral. »Käpt‘n…«

Pyanfar machte Anstalten, sich vom Tisch wegzustoßen, ergab sich der Furcht.

»Chanur-Kapitän«, sagte der Kom viel schwächer, eine knackende Stimme, die Hani sprach. »Chanur-Kapitänmachen Sie sich nicht die Mühe zu bestätigen. Hören Sie nur zu…«

Pyanfar versteifte sich und blickte mit gesträubten Nackenhaaren und gesenkten Ohren zum Kom. Alle waren wie erstarrt.

»Der Handel, den Sie auf Treffpunkt abgelehnt habenwird nicht mehr angeboten. Ich biete jetzt andere Bedingungen, wie sie der Situation entsprechen. Ein neuer Handel. Sicherer Abflug aus diesem System für Sie selbst und das Faha-Schiff im Dock, Ich garantiere die Dinge, die Sie eigentlich interessieren, als Gegenleistung für eines, das es nicht tut. Werfen Sie den Rest Ihrer Ladung über Bord, Hani-Dieb. Sie kennen unsere Methoden. Wenn Sie klug handeln, werden wir Sie nicht weiter verfolgen. Sie wissen, dass wir die rechtmäßigen Besitzer dieser Ware sind. Sie wissen, dass wir Ihren Namen und die Namen Ihrer Verbündeten kennen. Wir vergessen Unrecht nicht, das uns angetan wurde. Alle Kif erinnern sich an Verbrechen, die gegen uns begangen wurden. Aber läutern Sie Ihren Namen, Pyanfar Chanur, und mehr noch, retten Sie die Leben, die ursprünglich nicht in Ihren Akt der Piraterie verwickelt waren. Geben Sie uns nur unser Eigentum, Pyanfar Chanur, und wir werden keine weiteren Aktionen gegen die Faha und Sie selbst durchführen. Das ist mein bestes Angebot. Und Sie wissen aus Erfahrung, dass ich keine leeren Drohungen mache. Ist diese Sache Ihre sichere Vernichtung und die der Faha wert? Oder wenn Sie daran denken, erneut zu fliehen und Ihren Verbündeten im Stich zu lassen, hoffen Sie wirklich, für immer fliehen zu können? Das würde Ihren Handel nicht verbessern und Sie auch nicht willkommener machen auf Stationen, die von den Risiken Ihrer Gesellschaft Kenntnis erlangen. Geben Sie es auf, Dieb! Es ist nur ein kleiner Gewinn gegen Ihren Verlust, dieses Ding, das sie uns gestohlen haben.«

»Akukkakk«, sagte Pyanfar mit leiser Stimme, als er fertig war. »So.«

»Tante«, sagte Hilfy sorgfältig beherrscht. »Sie werden als erstes gegen die Sternjäger vorgehen.«

»Zweifellos.« Die Botschaft begann sich zu wiederholen. Pyanfar stieß sich auf die Füße.

»Die Götter mögen dieses Ding verdammen! Stellt es leiser!« Chur war am nahesten dran. Sie sprang von ihrem Sitz auf und stellte die Lautstärke des Wandgerätes leiser. Die anderen hatten sich von ihren Plätzen erhoben, auch Tully.

Schweiß war auf seiner Haut ausgebrochen, ein feiner, sichtbarer Tau.

»Verschließt die Küche!« sagte Pyanfar. »Sichert alles für den Sprung! Wir fliegen.«

Hilfy warf ihr einen letzten bittenden Blick zu, den Pyanfar finster erwiderte. Auch Tully zögerte, obwohl Geran ihn weiterdrängte, und streckte eine Hand aus, um sie Pyanfar auf die Schulter zu legen. »Schlafen«, bat er, erinnerte sie daran, Panik im Blick.

»Um der Götter willen, stellt ihn kalt!« knurrte Pyanfar, drehte sich um und warf ihren Teller und einige der nächststehenden Platten in den Müllschlucker, schob andere in die Hände von Haral und Tirun und Chur, die die Sachen so schnell hineinwarfen, wie es nur ging. Hilfy machte Anstalten zu helfen. »Raus!« sagte Pyanfar zu Chur. »Das Ding in der Luftschleuse… schalte sein Lebenserhaltungssystem ein. Setz es in Gang!«

Chur kletterte über den Tisch hinweg und rannte mit scharrenden Krallen zur Tür. Pyanfar drehte sich beherrscht um und schritt in Churs Kielwasser hinaus zu den Kontrollen. Tirun humpelte hinterher, aber Pyanfar dachte nicht daran zu warten. Angst kribbelte in ihren Eingeweiden, und die Mahlzeit, die sie gerade verzehrt hatte, lag ihr wie Blei im Magen. Sie empfand ein plötzliches Misstrauen gegen alle Entscheidungsmöglichkeiten, die sie bis jetzt ausgearbeitet hatte, einschließlich der mit einem leicht verrückten Außenseiter, der in einer Krisensituation frei auf dem Schiff herumlief; dazu Knnn in ihrer Nähe; und die nach außen gewandten Augen ihres Schiffes blind und die Ohren taub…

Sie ging auf die verdunkelte Brücke, glitt in den gut eingesessenen Pilotensitz, der genau den Dimensionen ihres Körpers entsprach, schnallte sich an; hörte das Treiben der anderen um sich herum, Tirun, Hilfy und Haral. Die Kif-Stimme war immer noch auf Kom. Anderswo hörte sie Tully Geran um etwas bitten, vernahm seinen Versuch, etwas durch den Übersetzer zu bekommen, was er nur halb sagen konnte. Sie begann mechanisch die Checks durchzugehen, alle die internen Funktionen betreffend, und warf einen Blick auf ihre Gefährtinnen. Haral und Tirun hatten ihre Plätze eingenommen und gingen dort ihre persönlichen Checks durch; raue und solide Gestalten, auf ihre Aufgaben konzentriert. Hilfys Ohren waren zurückgelegt und ihre Hände zitterten sichtlich, während sie ihre Konsole fertigmachte. So. Es war eine Sache, bei Treffpunkt durch Kif-Feuer zu fliegen, und eine ganz andere Sache, ihm gegenüberzustehen, nachdem man sich darüber Gedanken gemacht hatte.

»Bitte«, kam eine Mahendo‘sat-Stimme durch, plötzlich von Hilfys Konsole an die anderen weitergeleitet. »Bleiben Sie der Station fern! Wie appellieren an alle Seiten, Ruhe zu bewahren. Wir schlagen ein Schiedsgerichtsverfahren vor…«

Sie hatten das mit weitreichenden Sendern ausgestrahlt, diese Bitte an das ganze System, ihre ungebärdigen Gäste, diese Station voller Unschuldiger, wo alle aus dem System Zuflucht gesucht hatten, denen es möglich gewesen war.

Und unter ihnen die Sternjäger.

»Das muss der anderen Botschaft vorangegangen sein«, meinte Pyanfar mürrisch. »Alte Hüte auf der Station.« Das galt Hilfy, damit sie innerlich klarkam. Tully redete immer noch; sie nahm sich den Stöpsel aus dem Ohr und schaltete den Empfang aus diesem Bereich ab, vertraute auf Gerans beachtlichen rechten Arm, falls alles andere scheitern sollte.

»Käpt‘n.« Das war Chur auf Rundspruch. »Lebenserhaltung an und Schleuse wieder verschlossen.«

»Verstanden, Chur«, brummte sie, bediente eifrig die Tasten und rief ihre Kursskizzen ab.

»Bezieh Posten im Unterdeck-Op!« Lieber hätte sie Chur auf der Brücke gesehen, aber Tully war schließlich los, desgleichen ein Kif, und die Zeit lief ihnen davon. Es wurde spät dafür, jemandem das Risiko zuzumuten, durch die Korridore zu marschieren.

Unentschlossen wirbelte sie halb herum. Hilfy, das schwache Glied, saß am Kom und am Reserve-Scanner. »Was macht der Kif? Irgendwas empfangen?«

»Negativ«, sagte Hilfy recht gelassen. »Wiederholung der Botschaft. Ich bekomme verstümmelte Sendungen von Schiffen im System, bislang noch kein Anzeichen von einem ernsten Zwischenfall. Die Knnn…«

Deren Laute stöhnten wieder im Hauptkom, eine zunehmend deutlichere und klarere Sendung. Die Knnn waren ihnen in diesem Mahlstrom von Staub und Trümmergestein wieder nähergekommen. Pyanfar holte tief Luft. »Bereithalten zum Senden, volle Sensoren, alle Systeme! Ich will einen Blick nach da draußen, Kusinen!« Sie fing an, Schalter heftig umzulegen. Das Nervensystem der Stolz erwachte in einem Gleißen von Licht und Farben wieder zum Leben, geschäftige Kräuselungen über alle Konsolen, als sich die Systeme selbst rekalibrierten. Pyanfar stellte den Antrieb neu ein und griff nach dem Hauptcomp.

»Götter«, brummte Tirun und schaltete das hereinkommende Scannerbild auf ihren Hauptschirm, eine mit Felsen durchsetzte staubige Suppe. »Ein Schiff«, sagte Haral auf einmal am Hauptscanner und legte ihr unterteiltes Bild über das andere. Panik schlug Pyanfar in die Eingeweide. Es war ihnen NAH — und es bewegte sich.

»Stärkere Auflösung!« verlangte sie. Die Stolz beschleunigte jetzt, aber noch ohne Schilde.

Das Flüstern des Staubes auf dem Rumpf wurde zum Kreischen, zum Schreien. Sie stießen mit einem Felsen zusammen, der über die Hülle knirschte; dann noch gegen einen anderen, und ein Schirm explodierte vor Statik. »Götter, was für ein Mist!«

»Die Schilde«, meinte Haral.

»Noch nicht.«

»Keine Auflösung«, sagte Tirun. »Zuviel Gestein da draußen.

Wir sind immer noch blind.«

»Verflucht!« Pyanfar schlug auf die Kontrolle der Luftschleuse und lies sie aufgehen. »Wir haben etwas verloren«, sagte Tirun; »Piepimpulse«, kam es sofort von Hilfy. »Laut und deutlich. Tante, ist das unser Köder?«

Die gepeinigte Pyanfar ignorierte die Fragen. »Fernkom auf meine Konsole! Sofort!«

Es geschah ohne weitere Fragen, und eine Lampe leuchtete vor ihr auf der Instrumententafel auf. Sie schaltete das Mikro ein. »Hier Pyanfar Chanur an Hinukku. Wir haben gerade einen Raumanzug zur Schleuse hinausgeworfen. Das sollte Ihnen reichen, Hakkikt. Verschwinden Sie!«

Und nach Unterbrechung der Verbindung zu Hilfy: »Das soll sich wiederholen, Kleine, noch zweimal. Dann Schluss mit allen Signalen und I.D.-Sendungen und raus mit dem Signal auf Kanal Fünf des Übersetzers!«

Eine halbe Sekunde der Lähmung: Hilfy griff nach der Konsole, erstarrte und schaltete dann etwas anderes dazu, ein statikverzerrtes Knurren, eine Hani-Stimme. »Chanur! Weg mit euch! Wir starten!« Es wiederholte sich, ein lauter werdendes Kreischen der Dringlichkeit wie das des Gesteins auf dem Schiffsrumpf.

»Nicht unsere Zeitlinie«, fuhr Pyanfar Hilfy an, aber Hilfy war schon wieder bei ihren Aufgaben, strahlte eine Sendung ab, löschte dann und machte sich mit zurückgelegten Ohren und Panik im Gesicht an die befohlene Aufzeichnung, wie verrückt die auch immer sein mochte.

»Primärer Kurs eingegeben«, sagte Haral unerschüttert. »Bezugspunkt erfasst.«

»Bereitschaft!« Die Beschleunigung ging weiter; Staub scharrte über die Hülle. Ein weiterer Bildschirm zeigte Störungen und erholte sich wieder.

»Tante!« rief Hilfy. »Wir senden Knnn-Signale!«

»Das tun wir in der Tat«, sagte Pyanfar mit zusammengebissenen Zähnen. Sie steuerte die Stolz zum Zenith des Systems, wo abgehende Schiffe nicht hingehörten. Prickelnder Schweiß kühlte ihre Nase, eine krankhafte Kälte, und das Heulen an der Hülle dauerte an.

»Ablesung im Gebiet hinter uns«, sagte Geran. »Knnn bestätigen, und zwar das Schiff da hinten.« Mochten die Götter es verdammen, nichts war jemals leicht. Der Differentialkom empfing plötzlich ein weiteres Signal aus dem Staubstrudel. »Chanur! Weg…«

Und eine Kif-Stimme: »Bedauernswerte Entscheidung, FahaKapitän.«

Pyanfar fauchte und verschluckte Luft unter dem Zerren der Schwerkraft, und die Anspannung und der Zorn verengte ihr Blickfeld zu einem Tunnel. Ein stundenaltes Signal, das von den Faha; zumindest eine Stunde alt, vielleicht mehr.

»Zweites Schiff«, sagte Tirun. »3/4 zu 32 unseres Bezugspunktes.«

»Gib mir den Sternjäger-Kurs!« forderte Pyanfar.

»Bin dabei«, erwiderte Haral. »Richtung NSR-Station, beste Schätzung unsicher.« Zahlen sprangen auf den Sekundärschirm, eine schematische Darstellung eines Viertels von Urturs staubbewehrtem System, Systembezugspunkt unter ihnen.

»Knnn-Schiff nähert sich dem Piepsender«, sagte Hilfy. »Tante, sie fangen ihn ab!«

Pyanfar zögerte einen halben Herzschlag lang, drehte sich um, warf einen flüchtigen Blick auf den Scanner, der blitzend ein wahrscheinliches Abfangmanöver des sie verfolgenden Schiffes anzeigte. Knnn — bei den Göttern, Knnn näherten sich dem Köder, und sie waren für Bergungsmanöver nicht bekannt. Etwas umkrampfte ihr Herz, ein instinktiver Abscheu, und mit dem nächsten Schlag richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Systemschema.

Keine Möglichkeit, den Faha zu helfen. Die Sternjäger war auf sich allein gestellt. Die Knnn hatten den Köder; den Kif würde das nicht gefallen. Noch weitere als die Stolz konnten dieses gefährliche Spiel mitspielen. Das Kreischen auf der Hülle wurde schriller… »Die Bildschirme!« fuhr sie Haral an. Sie langte nach den Fahrtkontrollen und klappte die Deckel über den Schaltern zurück. »Bereitschaft! Ich werde unsere ganze Navigation über den Haufen werfen und unsere Nase Richtung Alijuun halten, wenn wir gewendet haben.«

Sie ließ den Sprungantrieb impulsweise laufen, einmal, zweimal, dreimal, mikrosekundenlanges Flammen der Düsen. Ihr Magen schlingerte und der Puls beschleunigte sich, bis sich das Blut in der Nase und hinter den Augen sammelte und ihr Blickfeld zu einer verschleierten Nadelspitze verengte. Zum dritten Mal waren sie blind, die Instrumente der wiedererlangten Bezugspunkte beraubt, die Geschwindigkeit in immer größeren Steigerungsbeträgen zunehmend. Wenn Haral jetzt versagte, waren sie tot. Aber sie waren alte Hasen bei Urtur, kannten das System und besaßen sogar bei Blindheit ein Gespür dafür, wo sie waren, sofern von einem bekannten Ort aus gestartet.

Vom Zenith aus mitten durch das Suchschema der Kif… wieder zündete sie die Düsen, eine weitere Beschleunigung, und schluckte schwer gegen das Essen, das wieder emporzukommen versuchte. Der Differentialkom übertrug ihnen ein Kif-Geheul und die jammernde Klage eines Mahendo‘sat.

Das, was auch immer sie der Sternjäger angetan hatten, machten ihnen den Rücken frei, diese rasende Suche nach einem Ziel.

»Ai!« kreischte Haral. Instrumente flackerten auf, gerieten an den Rand des Zusammenbruches. »Chanur!« hörte sie. Der Name würde hier dieselbe Verrufenheit annehmen wie auf Treffpunkt. Ein Wogen und Branden der Energie strömte über alle Konsolen. Sie schaltete und schaltete, und die Instrumente drehten durch. »Götter«, ächzte Haral. »Ich hatte es beinahe.«

»Jetzt, Haral! Finde es, um der Götter willen!«

Instrumente flackerten, und vor Statik rauschende Bildschirme sonderten sich selbst aus, da auf vielfältige Weise beeinträchtigt. Ein fremdartiger Schrei brach aus ihrem Kom hervor.

Tully, erkannte Pyanfar plötzlich; seine Drogen wirkten nicht schnell genug. Wie die Kif hatten auch sie ihn verraten.

Ein Bild tauchte auf dem Hauptschirm auf: Alijuun. Der Stern wurde gesichtet und erfasst und das I.D. war positiv.

»Hai!« schrie sie, die reinste Erleichterung, und hieb auf den Impulsschalter für einen weiten Sprung. Ihre Stimme verdrehte sich in einem Dutzend Klangfarben, schlängelte sich hierhin und dorthin durch die Gitterfenster, die sich vor ihnen auftaten, und dann wurden sie von der magenverrenkenden Wahrnehmung des Sprunges verschluckt…

Загрузка...