»Tante!«
Es war nicht der Kom, sondern Hilfy persönlich, und sie beugte sich über Pyanfars Bett und schüttelte sie. »Tante!«
Pyanfar erwachte mit einer heftigen Bewegung, um den Ellbogen unter sich zu ziehen, schüttelte sich und starrte in Hilfys geweitete Augen. »Die Sternjäger«, sagte Hilfy. »Sie sind durchgekommen und haben Probleme. Sie können nicht bremsen. Die Nachricht kam gerade…«
»Oh, Götter!« Pyanfar warf die Decke zurück und krabbelte aus dem Bett, angezogen wie sie war, und packte beim Hinausgehen Hilfy am Arm. »Sag schon, Kleine, ist jemand hinter ihr her?«
»Die Station hat Minenfahrzeuge aufgerufen, den Weg zu verstellen… auch ein abgehender Frachter soll noch in der Lage sein, den Kurs zu ändern…« Hilfy ließ sich durch die Tür in den Korridor ziehen und lief neben Pyanfar her zur Brücke. »Sie haben noch zwanzig Minuten bis nach draußen, wenn sie Lijahan Richtung Zenith kreuzen.«
»Zwanzig jetzt?«
»Etwa.«
Haral war auf der Brücke, am Scanner, das Gesicht angestrahlt von der Beleuchtung des Gerätes, und ihr Ausdruck war grimmig, als sie sich zu den Ankömmlingen umdrehte. »Sie haben eben angefangen, sich ins Rettungsboot zu begeben«, sagte Haral. »Niemand kann rechtzeitig dort sein oder auch nur diese Masse zum Halten bringen, selbst im entladenen Zustand.«
»Wie lautet unser Status?«
»Wir können da nicht hinkommen«, wandte Hilfy sachlich ein.
»Nicht, um zu retten«, sagte Pyanfar ruhig.
»Die Reparaturen sind im Gang«, sagte Haral. »Eine Düse ist abmontiert. Wenn jemand hinter der Sternjäger her ist, sind wir in Schwierigkeiten.«
Tirun kam eilig hereingehumpelt und das Unterdeck richtete eine Frage an die Brücke. »Wir sagen euch alles, was wir hereinbekommen«, gab Haral an Geran und Chur unten weiter.
»Im Moment ist die Lage noch nicht klar.«
»Komm schon!« brummte Pyanfar dem Blip auf dem Schemabild des Systems zu. »Macht schon, Faha! Kommt da wieder raus!« Sie sank in den Kom-Sessel, ein Auge weiterhin auf den Bildschirm gerichtet, und sendete den Operationskode der Station. »Hier Chanurs Stolz. Dringende Nachricht an Stationsmeister, Pyanfar Chanur am Sender: Ich warne Sie vor möglicher feindseliger Verfolgung des einfliegenden Notfalles! Wiederhole: Warne Sie vor möglicher feindseliger Verfolgung des einfliegenden Notfalles!«
»Nachricht klar empfangen, Chanurs Stolz. Mahen-Schiffe kümmern sich um Notfall. Bitte bereithalten!«
Sie beobachtete den Scanner, kaute auf einem Knöchel und atmete zischend. Schiffe zeigten sich auf dem Schemabild, ein Verkehr, der jetzt völlig stillstand im Vergleich zu dem hereinfegenden Strich, der die Sternjäger darstellte, die Bewegung nur durch den systemumfassenden Maßstab soweit verlangsamt, dass sie mit dem Auge zu erkennen war.
Alles war bereits Geschichte, die Bilder auf dem Schirm, die Stimmen aus der Notfallzone.
Unfähig zu bremsen, würde die Sternjäger hilflos durch das System schießen und sich auf einer ziellosen Reise in die Unendlichkeit verlieren. Es war ein langer Weg in den Tod.
»Empfange die Sendung nicht mehr«, sägte Haral. Hilfy trat mit verzweifeltem Blick neben sie und versuchte sich selbst an den Schaltern. Pyanfar kaute an der Unterseite einer Kralle und schüttelte den Kopf. Die Aufgabe, eine noch vom Sprung betäubte Besatzung auf die Beine zu bekommen und in das Rettungsboot zu führen — beim Typ der Sternjäger weit oben in der Hülle — und das dann auch noch vom Schiff wegzusteuern, all das innerhalb der wenigen Minuten, die sie noch hatten…
Dann, wenn sie es soweit schaffen sollten, konnten sie nur noch hoffen, dass die Maschinen des Bootes das Tempo herunterzwangen und damit einem Sprungschiff die Chance gaben, es einzuholen und seine kleine und beherrschbare Masse in Schlepp zu nehmen. Dieser Frachter dort draußen war die größte Chance für die gefährdete Besatzung, wenn es ihr nur gelang, vom Mutterschiff freizukommen.
»Boot hat abgelegt!« rief Haral aus, und Tirun und Hilfy klopften sich gegenseitig auf den Rücken. Pyanfar krampfte die Hände vor dem Mund zusammen und starrte mit schmalen Augen auf den Scanner, wo ein neues Bild den wahrscheinlichen Kurs des Bootes zeigte, das sich von der zum Untergang verurteilten Sternjäger getrennt hatte. Beide Punkte bewegten sich nebeneinander weiter, aber zwischen ihnen entstand eine allmählich breiter werdende Lücke. Die Abbremsung des Bootes reichte bei weitem nicht, um von der Geschwindigkeit des Sprungschiffes herunterzukommen, bevor dieses versagte, aber es tat, was es konnte. Die Besatzung würde wahrscheinlich unter den äußeren Einwirkungen das Bewusstsein verlieren, was eine Gnade war. Der ganze Vorgang war jetzt ein Rennen, wo es darum ging, ob der Frachter das Boot einholen konnte oder ob dieses das System verließ.
»Ein Mahe-Frachter?« erkundigte sich Pyanfar.
Haral nickte.
Die Stolz empfing die Sendungen von der Station, und diese musste von den weiter draußen stehenden Schiffen und den Lijahan-Minen versorgt werden, wer auch immer eine entsprechend günstige Lage hatte. Die relative Zeit war jetzt schwer zu kalkulieren. Mit zunehmender Beschleunigung holte der Frachter auf, während die Minuten verstrichen, trieb sich selbst auf seinem Sprungfeld voran. Trotzdem verringerte sich der Abstand weiterhin nur mit quälender Langsamkeit, während der Scanner umschwenkte, damit er auf der Höhe der Ereignisse blieb, die längst entschieden waren.
Ein Jammern sprudelte aus dem Kom. Knnn. »Götter«, sagte Tirun. »Ein Knnn steckt auch mit drin.«
Ein Stationsbefehl kam als Antwort, die Stimme eines Tc‘a. Weitere Knnn-Sendungen wurden empfangen, und die heulenden Missklänge kamen von mehr als nur einem Schiff.
»Chanur«, sagte eine Hani-Stimme deutlich aus großer Nähe. »Geht das auch auf euch zurück?«
Pyanfar stellte eine Gegenverbindung her und zog dabei mit einer bewussten Anstrengung die Krallen ein. »Tahar, ist das eine Frage oder eine Beschwerde?«
»Hier Dur Tahar. Eine Frage, Chanur. Was wisst ihr eigentlich?«
»Habe ich dir gesagt. Es soll nicht über Kom gehen, Tahar. Schweigen. Die Tahar waren keine Verbündeten der Faha-Besatzung. Ein Chanur- Parteigänger war hier in Schwierigkeiten, aber wenn irgendein Schiff von der Station rechtzeitig hätte da draußen sein können, dann hätte die Mondaufgang es versucht — daran zweifelte sie nicht. Es war schmerzlich, dem zuzusehen, was auf dem Scanner passierte.
Dicht bei ihr hatten sich Tirun und Hilfy hingesetzt, die einfach nur noch den Bildschirm betrachtete, während ihre Faha-Verwandten und das Wrack das ein Faha-Schiff gewesen war, auf die Grenzen der Aufnahme zustürzten. Hinter einem bestimmten Punkt innerhalb des Systems konnte der Scanner nicht mehr folgen. Die Station empfing jetzt ihre Sendungen aus einer anderen Quelle, und zwar dem Handelsschiff Hasatso, dem Frachter, der hinter der Sternjäger her war, dem einzigen Schiff in Reichweite. Der die Sternjäger darstellende Blip verschwand schließlich vom Schirm.
»Chanur-Schiff«, sendete die Station, »Tahar-Schiff. Wir informieren Sie, dass Handelsschiff Hasatso seine Ladung abgeworfen hat; sie tun alles, was möglich ist.«
»Chanur und Faha werden für den Verlust einstehen«, erwiderte Pyanfar, und kurz darauf ließ die Mondaufgang über die Station der Hasatso ihren Dank ausrichten. »Mögen die Götter auf sie herabschauen«, brummte Haral — »eine Ladung abgeworfen, um eine Kluft zu überwinden, sich um einen Notfall zu kümmern, der nicht die eigene Rasse betraf.
Ein Knnn jammerte. Ansonsten herrschte Schweigen. Lange Zeit schien es auf Brücke und Unterdeck der Stolz nur einen Rhythmus von Atemzügen zu geben.
»Sie sind fast dran«, flüsterte Hilfy.
»Sie haben sie«, meinte Tirun. »Jetzt können sie sie nicht mehr verfehlen.«
Es ging langsam. Die Sendungen von der Hasatso wurden immer ermutigender. Und endlich berichteten sie vom Einfangen des Bootes. »Hani-Signal im Boot«, berichtete die Hasatso an Kirdu-Station. »Sie leben.«
»Empfangen«, sagte Tahar knapp.
Pyanfar unterbrach die Verbindung und saß für einen Moment mit auf dem Pult verschränkten Händen da. Ein Schiff und eine Tradition waren untergegangen; das war der Trauer wert. Heimat und Lebensbereich für die Faha-Besatzung waren verloren. »Station«, sendete sie einen Augenblick später, »richten Sie der Faha-Besatzung aus, dass Chanur sein tiefes Mitgefühl zum Ausdruck bringt und dass Ker Hilfy par Faha die Hilfsmittel der Chanurs Stolz anbietet, wie sie vorhanden sind.«
»Unterrichten Sie sie«, sendete eine andere Stimme direkt, »dass Dur Tahar von Tahars Mondaufgang ebenfalls ihren Beistand anbietet.«
Das war höflich. Pyanfar lehnte sich im Sessel zurück, drehte sich schließlich um und stand auf, streckte die Schultern. »Was getan werden konnte, ist geschehen. Hol etwas zu trinken, Hilfy! Wenn ich aus dem Bett geworfen werde, schuldet mir das jemand. Getränke für alle, die wollen. Frühstück. Und währenddessen werde ich mir die weniger dringenden Berichte anhören. — Haral, wer hat jetzt eigentlich Dienst?«
»Ich.«
»So. Dann leg das Unterdeck still! Tirun, du gehst wieder!«
»Aye«, brummte Tirun, erhob sich steif und humpelte hinter Hilfy her. Pyanfar lehnte sich an das Kom-Bedienungspult und betrachtete Haral, die den zweiten Platz einnahm.
»Dieser Knnn ist in eine Kreisbahn um Lijahan gegangen«, sagte Haral, die konzentriert die Bildschirme beobachtete. »Macht immer noch Aufruhr. Ein Wunder, dass er nicht versucht, die Ladung da draußen zu bergen.«
»Huch. Hoffentlich bleiben alle, wo sie sind.«
»Der Gleiter arbeitet immer noch an unserem Heck, und eine ganze Gruppe ist mit den Verbindungsstellen beschäftigt. Das Kabel ist zur Sicherung bereit. Aber vierzehn Tafeln fehlten und sechs hatten sich gelöst, und sie schätzen, dass es noch einmal zwanzig Stunden Schicht auf Schicht dauern wird, bis die neuen befestigt sind.«
»Götter!« Pyanfar fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und in die Mähne und dachte an die Kif — an einen Angriff, der die Sternjäger zu Schrott gemacht hatte. Es gab noch andere außer den Knnn, von denen eventuell zu erwarten war, dass sie zu einem Bergungsunternehmen hinauseilten; dann gab es noch die Kif auf der Station… die kein Zeichen einer Bewegung an den Tag legten. Das war unnatürlich. Niemand unternahm etwas, außer vielleicht ein paar ehrgeizigen Bergleuten da draußen, aber niemand von der Station. Es wurde geflüstert, Gerüchte gingen hinter jedermanns Rücken um.
»Die Tahar«, fuhr Haral nach einem Moment fort, »haben auf den Befehl zum Auslaufen hin gebeten, die Ladeoperationen beenden zu können. Es wurde gestattet.«
»Hilfreich. Zumindest sind sie es hier.«
»So hilfreich, wie die Tahar allgemein sind, bitte um Entschuldigung.«
»Ich werde mit ihnen reden.«
»Du denkst, sie könnten bereit sein, uns den Rücken zu decken?«
»Nein«, sagte sie, »das tue ich nicht. Nicht, solange ihnen das keinen Gewinn verspricht. Was machen sie eigentlich? Sie nehmen doch keine Fracht an Bord.«
»Aber sie entladen, bereiten sich auf hohe Geschwindigkeiten vor. Container strömen heraus wie Maden.«
Pyanfar nickte. »Also will die Station diese Fracht in Sicherheit sehen. Und Tahar wird sie rasch ausladen bis zu dem bisschen, das sie immer zu behalten pflegt. Die ›Persönlichkeit‹ hat klein beigegeben, das ist klar; ein paar der ansässigen Gesellschaften haben angefangen, über Verluste zu heulen, und Tahar wird so lange hierbleiben, wie es ihr gefällt. Dadurch gewinne ich Zeit.«
»Götter, das gibt eine Rechnung!«
»Er ist teuer, unser Außenseiter, in jeder Beziehung.«
Sie wandte sich um, als Hilfy mit einem großen Tablett durch den Türbogen des Eingangs kam. Zwei Becher und zwei Portionen Frühstück standen darauf. »Danke«, sagte Pyanfar und nahm Teller und Becher… hielt inne und betrachtete Hilfy, die stehen geblieben war, um sich die Situation auf den Bildschirmen anzuschauen. Nach wie vor kamen Sendungen von der Hasatso herein, mit gelegentlichen Unterbrechungen, die die Intervalle der Bremsmanöver kennzeichneten. »Wird noch eine Weile dauern«, sagte Pyanfar. »Sofern sie nicht einen medizinischen Notfall haben, bezweifle ich, dass sie nach dem Wendepunkt noch einmal beschleunigen; vielmehr werden sie langsam einfliegen, und es dauert noch Stunden bis dahin. Geh zurück ins Quartier! Ich meine, was ich sage.«
Ein paar Häfen früher hätte sich Hilfy vielleicht aufgelehnt, die Ohren zurückgelegt und geschmollt. Jetzt nickte sie nur und ging. Pyanfar warf Haral, die der davongehenden jungen Frau hinterher sah und einmal nachdenklich nickte, einen kurzen Blick zu.
»Huch«, sagte Pyanfar und schaute ins Frühstück, und für eine Weile saßen sie und Haral nur da, beobachteten den Scanner und aßen. »Ich will dir was sagen, Kusine«, sagte Pyanfar schließlich. »Du nimmst dir frei, und ich übernehme.«
»Nicht nötig, Käpt‘n.«
»Sei nicht edel. Ich habe einiges zu erledigen. Und eines kannst du für mich tun. Wenn du hinuntergehst, sieh mal nach Tully! Stell sicher, dass mit ihm alles in Ordnung ist!«
»Okay«, sagte Haral. Sie stand auf und stellte die Teller wieder auf das Tablett. »Aber er ist in Ordnung, Käpt‘n. Chur hat sich bei ihm hingelegt und hält ein Auge auf ihn.«
Pyanfar hatte gerade den letzten Schluck Gfi zu sich genommen, um Haral den Becher zu reichen. Jetzt knallte sie ihn aufs Tablett. »Götter und Donner — habe ich für ihn nun getrennte Unterkunft angeordnet oder nicht?«
Harals Ohren senkten sich in Bestürzung. »Chur sagte, er sei beunruhigt, Käpt‘n; hat sich ein Lager im Waschraum gemacht, damit er nicht allein ist, wenn er aufwacht. Sie sagte — Verzeihung, Käpt‘n —, sie hätte ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, weil er so schlecht aussah. Du warst im Bett, Käpt‘n, da habe ich es entschieden.«
Pyanfar stieß einen kurzen Atemzug hervor. »So. Na ja. Deprimiert, sagt Chur.«
Haral nickte. »Wir sollten ihn aufnehmen«, meinte sie.
»Sagt Chur.«
»Amm.« Haral begriff plötzlich diesen Gedankengang, und ihre Schnurrbarthaare sanken herab. »Tut mir leid, Käpt‘n.«
»Ein er, um der Götter willen!«
»Nicht so, als wenn er Hani wäre, Käpt‘n.«
»Nein, so nicht«, sagte Pyanfar nach einem Moment.
»In Ordnung. Bring ihn unter, wo du willst! Das ist Sache der Besatzung, nicht meine. Lass ihn arbeiten! Er behauptet, Scan-Techniker zu sein. Lass ihn Wache sitzen! Wer ist als nächste dran?«
»Ker Hilfy.«
»Mit jemandem von den Erfahreneren. Eine, die ihre Fehler schon gemacht hat.«
Haral grinste und rieb sich die schwarze Narbe, die über ihre Nase verlief. »Aye. Eine von uns wird sich seiner annehmen.«
»Raus mit dir!«
Haral ging. Pyanfar glitt vom Tisch herunter und schaltete die gewünschten Funktionen auf ihr Pult um, setzte sich in den tief gepolsterten Sessel und ging die eingegangenen Nachrichten der zurückliegenden Stunden durch. Es gab dabei nichts anders als das, wovon Haral schon gesprochen hatte, Tahars Auseinandersetzung bezüglich des Bleibens und die Anfänge der Sternjäger-Krise. Sporadische Informationen kamen weiterhin herein: die Hasatso berichtete von vier Überlebenden… — Vier! Eine kalte Niedergeschlagenheit senkte sich auf sie. Vier von der Siebenerbesatzung dieses Schiffes. Mehr als nur der physische Rumpf der Sternjäger war dort draußen verlorengegangen, mehr als nur ein oder zwei Leben aus einer mit Chanur verwandten Besatzung. Wenn vier von sieben übrig waren, dann waren die Verluste zu schwer für eine Gruppe, um sich wieder zu erholen — so, wie sie früher gewesen war. Götter, neu zu beginnen, nachdem man so viel verloren hatte…
»Station«, sendete sie, »hier Pyanfar Chanur: Bestätige Hasatso-Sendung. Namen der Überlebenden.«
»Chanurs Stolz«, antwortete die Station, »Hasatso berichtet, dass die vier Überlebenden in guter Verfassung sind. Keine näheren Informationen. Geben Anfrage weiter.«
Abwesend dankte sie der Station und starrte für einen Moment auf den Schirm. Bei dieser Anfrage musste sie sich mit der Verzögerungszeit abfinden, konnte nichts anderes tun als warten. Sie raffte sich auf, Checks durchzuführen, während alle Schiffe mit der Reparatur ihrer Schäden beschäftigt waren, den Stationsmarkt anzurufen und ein paar Käufe und Lieferungen via Dockskurierdienst zu vereinbaren. Es gab Verzögerungen bei dieser Verbindung: Auf der Station schien jeder in dem ganzen Durcheinander geistig benebelt zu sein, bis hinunter zu den Gebrauchsartikelmaklern.
»Station, was hält die Antwort auf?« sendete sie an Haupt-Op. »Besatzung verweigert Antwort«, kam es zurück. Auch dort ein Versagen der Kommunikation. Die Nerven. Möglicherweise lagen aufgewühlte Hani mit den Mahe-Rettern im Streit. Schiff verloren, Fracht verloren, Leben verloren. Eine schreckliche Geschichte.
Und einer der Knnn hatte von der Station abgelegt und sendete sein Heulen, wälzte sich entlang eines unsicheren Kurses um die Peripherie der Station wie eine Kugel aus Irrlicht, löste damit tickende Beschwerden/Beschuldigungen/Bitten? von der Tc‘a-Kontrolle aus.
Götter. Das Sauerstoffatmerkommando wurde für den Augenblick ruhig. Tc‘a schnatterten und zischten. Pyanfar griff nach dem Ausstoß des Übersetzers, aber fand nichts Verständliches darin. Tc‘a ließ sich am besten übersetzen, wenn es sich um einfache Docksinstruktionen handelte oder allen Schiffen gemeinsame Operationen. Dies hier war etwas anderes, verdammt noch mal.
Schließlich trat Schweigen ein, sogar bei den Tc‘a. Der Knnn fuhr weiter hinaus und blieb dort. Die Hasatso setzte ihren langsamen Anflug fort. Endlich meldete sich die Mahendo‘sat- Seite der Station wieder mit ruhigen Operationsanweisungen für den anfliegenden Frachter, nichts Informelles.
Pyanfar sendete keine Fragen an sie. Niemand tat es.
Die Neuigkeiten trafen ein, als die Hasatso mit der letzten Phase des Anfluges begann: vier Überlebende gab es, eine fünfte war während des Ausstoßes des Rettungsbootes an ihren Wunden gestorben und blieb im Boot, als die Hasatso es wieder freigab, keine Hani- Entscheidung, sondern eine Mahe-Ehrung. Zwei waren mit der Sternjäger gestorben, entweder beim Angriff oder weil sie es nicht geschafft hatten, das Rettungsboot zu erreichen — diese Information war nicht eindeutig. Ein Name wurde genannt: Erster Offizier Hilan Faha, Überlebende; und noch einer: Lihan Faha — der Kapitän, die dritte Tote.
»Tante«, sagte Hilfy, nachdem Pyanfar sie zur Brücke gerufen und ihr alles erklärt hatte, »ich würde gerne zu ihrem Liegeplatz am Dock gehen. Ich weiß, dass es gefährlich ist, aber mit deiner Erlaubnis würde ich es gern machen.«
Pyanfar legte Hilfy eine Hand auf die Schulter und nickte. »Ich begleite dich«, sagte sie, woraufhin Hilfy sowohl erleichtert als auch erfreut wirkte. »Geran«, sagte Pyanfar dann, nachdem sie sich umgedreht, über den Kom gebeugt und den Rundspruch eingeschaltet hatte. »Geran.«
Die Bestätigung traf ein.
»Geran, übernimm wieder die Wache im Unterdeck-Op! Es sind wieder Nachrichten hereingekommen. Der Kapitän der Sternjäger und zwei Frauen ihrer Besatzung sind tot.
Hilfy und ich werden das Rettungsschiff aufsuchen und die Faha dann mit zu uns an Bord nehmen, wenn es ihnen recht ist. Es hätte keinen Sinn, wenn sie sich mit den Fragen und Formularen der Mahe herumschlagen.«
Nach einer kurzen Verzögerung kam die traurige Bestätigung. »Komm!« sagte Pyanfar dann zu Hilfy, und sie gingen hinaus zum Lift. Hilfys Haltung war ziemlich aufrecht, ihr Gesicht beherrscht… keine guten Nachrichten, wenn man bedachte, dass sie schlafen gegangen war in dem Glauben, die Lage sei besser, als es sich jetzt tatsächlich herausgestellt hatte. Aber zumindest ein Teil der Faha-Besatzung war gerettet worden, und das war mehr, als sie zu Beginn gehofft hatten.
Wieder ein Posten auf der Kif-Rechnung, wenn der Tag ihrer Aufstellung einmal gekommen war. Aber wenn jetzt dort draußen Kif waren — und das konnte gut sein, dass sie am Rand des Systems lauerten und dasselbe Spiel spielten, dass die Stolz ihrerseits bei Urtur gespielt hatte —, dann warteten sie auf einen Augenblick, wo sie im Vorteil waren, wo nicht mehr fünf bewaffnete Mahendo‘sat-Patrouillenschiffe im Raum kreuzten.
Der Rundspruch hatte nicht nur Geran geweckt. Tirun war auf und saß im Op, als sie auf dem Weg zur Schleuse dort vorbeikamen, und auch Geran war da, der die Wache zugewiesen worden war. Chur stand mit Tully auch in der Gegend herum, und der Außenseiter wirkte leicht beunruhigt in diesem ganzen Aufruhr, den er nicht begriff. Von weiter unten im Korridor kam Haral herbeigeeilt. »Ich komme mit, wenn du erlaubst«, sagte sie, und Pyanfar nickte, denn es war ihr durchaus recht. »Kif sind da draußen«, sagte Pyanfar. »Aber ich lasse mich nicht zweimal auf dieselbe Art fangen.«
»Gebt acht!« wünschte ihnen Tirun, als sie gingen, und in der Luftschleuse zögerte Pyanfar, während Haral die äußere Luke öffnete, um sich die Pistole aus deren sicherem Aufbewahrungsort im Schließfach neben dem Kom zu holen und sie sich in die Tasche zu stecken.
»Wir kommen an keinen Detektoren vorbei«, sagte sie. »Los geht‘s!«
Die Luke blieb hinter ihnen offen; sie gingen den gerippten Rampengang hinaus aufs Dock.
Maschinen heulten links von ihnen; die Mondaufgang war noch mit der Entladung beschäftigt und Container kamen heraus in die Hände von Mahendo‘sat-Dockarbeitern, nicht in die einer Hani-Besatzung.
»Vielleicht sind sie auch weg, um die Faha zu treffen«, mutmaßte Pyanfar, als sie das völlige Fehlen einer Hani-Überwacherin vor dem Schiff bemerkte. Eine höfliche Geste, die zu erwarten gewesen war; die Politik blieb abseits, wenn ein Hani-Schiff verunglückte.
»Nicht viel los«, meinte Haral.
Das traf zu. Wo normalerweise die gewaltigen Docks einen regen Fußgängerverkehr die Krümmung hinauf und hinab aufgewiesen hätten, gab es jetzt nicht einmal mehr gelegentliche Passanten, und die Aktivitäten bei der Mondaufgang waren die einzig erwähnenswerten in Sichtweite. Dockarbeiter, Wartungspersonal und Mahe, die in speziellem Auftrag unterwegs waren, blieben stehen und starrten sie im Vorbeigehen an und hinter ihnen her. Stsho drängten sich an den Eingängen ihrer Schiffe und flüsterten miteinander. Auch die Kif waren draußen, wie zu erwarten gewesen war, bildeten eine Traube nahe dem Zugang zu einem ihrer Schiffe — ganze acht von ihnen, die bei ihren Containern herumlungerten und den Hani knackende Beleidigungen nachriefen.
Und bei einer dieser Unverschämtheiten zuckten Pyanfars Ohren; sie unterbrach ein instinktives Herumfahren und versuchte den Anschein zu erwecken, sie hätte nicht gehört oder nicht verstanden. Er weiß Bescheid, Hani-Diebin. Wie viele Schiffe willst du noch in den Untergang treiben?
»Käpt‘n…«, murrte Haral, und auch Hilfy machte Anstalten, sich umzudrehen. »Nach vorn, Götter!« zischte Pyanfar und packte Hilfy am Arm. »Was willst du hier anfangen und mit welchen Chancen?«
»Was machen wir denn?« fragte Hilfy, die gehorsam zwischen ihnen einherging. »Woher kann er etwas wissen?«
»Weil eines dieser Kif-Schiffe seins ist, Kleine; es kam von Kita hierher, und jetzt hat dieser Akukkakk noch weitere Schiffe dazu verpflichtet, ihm zu helfen. Sie werden sich von hier aus verstreuen wie Sporen, sobald wir ablegen, und die Götter mögen uns helfen; wir sitzen hier fest, bis die Reparaturen fertig sind.«
»Es ist so gut wie sicher, dass sie die Sternjäger erledigt haben. Ich möchte…«
»Wir möchten alle gern, aber wir haben mehr Verstand. Komm weiter!«
»Wenn sie uns auf dem Dock erwischen…«
»Umso mehr Grund haben wir, die Überlebenden an Bord zu bekommen und abzulegen. Ich fürchte, du wirst auch hier nicht frei umherschweifen können, Kleine.«
»Schätze, ich komme auch ohne das aus«, brummte Hilfy. Sie gingen weiter zwischen den Verladebrücken einher und vorbei an untätigen Schiffsbesatzungen bis zum Liegeplatz Zweiundfünfzig, wo sich ein Übermaß an Passanten versammelt hatte, eine dunkle Menge Mahendo‘sat mit glatten Petzen, hochgewachsene Körper, die es schwierig machten, jetzt irgend etwas zu erkennen. Medizinisches Personal befand sich darunter, ebenso Stationsbeamte, die man an ihren auffälligen Kragen und Kilts erkennen konnte.
Und Hani, ganz eindeutig. Als sie sich mit den Ellbogen durch die Menge schob, erspähte Pyanfar bronzene Mähnen und glitzernde Edelsteine an einem Hani-Ohr, und sie hielt mit Haral und Hilfy hinter sich auf diese Gruppe zu.
»Höchste Zeit, dass du dich blicken lässt«, sagte Dur Tahar bei ihrer Ankunft.
»Kümmer dich um deinen eigenen Kram!« sagte Pyanfar. »Meine Nichte hier ist eine Faha.«
Dur Tahar ließ den Blick kurz und ohne Kommentar in diese Richtung gehen. »Die Hasatso ist jeden Moment fällig«, sagte sie.
»Ein paar Kif versammeln sich unten auf dem Dock. Ich würde darauf achtgeben, wenn ich du wäre.«
»Dein Problem.«
»Nur eine Warnung.«
»Wenn du etwas anfängst, Chanur, dann warte nicht auf unsere Hilfe.«
»Verdammt, du ermutigst mich wirklich nicht, höflich zu sein.«
»Ich brauche deine Höflichkeit nicht.«
»Eine gegenseitige Gefährdung, Tahar.«
»Was, du bittest um Gefallen?«
Die Krallen zuckten. »Um deinen Verstand, verflixt!«
»Ich werde darüber nachdenken.«
Die Hasatso legte an; Verschlüsse und Greifer krachten.
Gerüste glitten herauf, und Mannschaften öffneten eine nach der anderen die Stationsluken für das Schiff, stellten Kabelverbindungen her und begannen mit dem Ausfahren des Rampengangs zur Schiffsschleuse. Für die Zuschauerreihen war das alles ein qualvoll langsamer Vorgang, und nur die Mahendo‘sat ergriffen die Gelegenheit zum Schwatzen.
Und endlich kündigte ein fernes Wimmern und dumpfes Pochen das Öffnen der Luke des Frachters an, der erste Vorgang in der ganzen Prozedur. Die Station erwiderte die Maßnahme, und die Mahe-Besatzung begleitete vier Hani aus dem Schiff heraus; erschöpfte Hani, eine mit bandagiertem und an die Brust gebundenem Arm. Alle machten sie den Eindruck, als ob es eine große Leistung wäre, überhaupt noch zu gehen.
Unvermeidlicherweise marschierten die Mahendo‘sat-Beamten herbei. Mahe- und Hani- Papiere wurden unterzeichnet; und Pyanfar packte Hilfy an der Schulter und arbeitete sich mit ihr nach vorn. Hilfy machte die letzten Schritte allein und umarmte die Entkommenen, eine von den Faha nacheinander müde erwiderte Geste.
»Mein Kapitän«, sagte Hilfy dann, »meine Tante Pyanfar Chanur. Meine Mannschaftsgefährtin Haral Araun par Chanur.
Es gab Umarmungen die Reihe entlang. »Unser Schiff steht euch offen«, sagte Pyanfar dem Ersten Offizier, deren abgezehrtes Gesicht und benommene Augen sie aufnahmen und im Moment anscheinend zuviel aufzunehmen hatten, wo die Mahe medizinische Hilfe anboten und die Station sofortige Aussagen wünschte. Pyanfar überließ die Faha für den Moment Hilfy und den Tahar, die herbeigekommen waren und ihr Beileid bekundeten, und schüttelte nacheinander der Mannschaft des Mahe-Rettungsschiffes die Hände, darunter auch deren offenkundigen Kapitän, ein großer ungeschlachter Bursche, der so zerquetscht und verwirrt aussah wie die Faha und der wahrscheinlich gerade über seine verlorene Fracht und den Zorn der betroffenen Firmen nachdachte und darüber, was all diese Dankbarkeit ihm denn einbringen würde, sobald das lobende Rufen erstarb und die Rechnungen eintrafen.
»Sind Sie der Kapitän, Mahe?« fragte Pyanfar.
Ein bejahendes Nicken.
»Ich bin Pyanfar Chanur; Chanur hat ihretwegen einen Bericht auf Kirdu eingereicht; die Chanur-Gesellschaft wird Ihnen auf Anuurn Hani-Status verleihen. Kommen Sie dorthin, ja? Fliegen Sie Anuurn an. Keine Steuern.«
Dunkle Mahe-Augen hellten sich etwas auf. »Gut«, sagte er. »Gut.« Und er drückte ihr beide Hände mit zermalmendem Griff, drehte sich um und schnatterte seinen Leuten etwas vor — wahrscheinlich war er einer jener Mahe, die kaum das Pidgin verstanden und dessen halber Wortschatz gut möglicherweise schon war. Er schien den anderen das Angebot zu erklären.
Grinsen breitete sich aus, und Pyanfar entrann der Zermalmung und kehrte zu Hilfy und den anderen zurück, legte den Arm um Hilfy und bugsierte die ganze Hani-Gruppe durch das Gedränge der großen Mahendo‘sat-Körper. Die Tahar bildeten mit den Chanur einen Keil, und sie brachen ins Freie durch.
»Hier entlang!« sagte Pyanfar, und der Erste Offizier Hilan Faha nahm den anderen Ellbogen ihrer verletzten Gefährtin und versicherte sich der beiden anderen. Sie entkamen den Beamten, die hinter ihnen herriefen und dabei etwas von Formularen andeuteten — Chanur, Faha und Tahar in einer Gruppe das Dock hinauf zum emporgekrümmten Horizont, wo die Stolz und die Mondaufgang angedockt lagen.
»Wie weit noch?« fragte der Faha-Offizier mit zitternder Stimme.
»Schon ziemlich nah«, beruhigte Hilfy sie. »Lass dir Zeit!« Der Weg zurück wirkte weit länger, und ihr Marsch ging durch das von den Faha bestimmte Tempo langsamer vonstatten. Forschend betrachtete Pyanfar die dunklen Stellen entlang ihres Weges, und sie war nicht die einzige, die beobachtete, das wusste sie genau. An den Kif-Schiffen mussten sie vorbei, und dort standen die Kif, mittlerweile zehn… riefen mit höhnischem Knacken ihre Beleidigungen und die Einladung, zu ihnen an Bord zu kommen und mitzufahren. »Wir bringen euch zu eurem Hafen«, heulten sie. »Wir werden dafür sorgen, dass ihr euren Lohn erhaltet, Hani-Diebe!«
Ein wilder Blick trat in Hilan Fahas Augen. Sie blieb abrupt stehen und starrte sie an.
»Nein«, sagte Pyanfar sofort. »Wir sind mit Duldung der Station hier. Dies ist nicht unser Territorium — nicht auf den Docks.«
Die Kif heulten und zirpten ihre Beleidigungen. Aber die Faha gingen weiter, und während die Kif-Stimmen in der Ferne verklangen, kamen sie an den Stsho vorbei, die mit großen bleichen Augen starrten, dann an einer beruhigend großen Zahl von Mahendo‘sat-Schiffen vorbei aufwärts, inmitten völliger Stille von Dockmannschaften und Passanten, die sie mit respektvoller Sympathie betrachteten.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Pyanfar.
Die Faha hatten nicht mehr den Atem, um noch zu antworten, gingen einfach neben ihnen her, bis sie endlich, endlich den Liegeplatz der Stolz erreichten. »Faha«, sagte daraufhin Dur Tahar, »die Mondaufgang ist nicht beschädigt, wie es bei der Stolz der Fall ist. Wir bieten euch eine Passage an, die zugesichertermaßen direkter ist und schneller nach Hause führt.«
»Wir nehmen an«, sagte Hilan Faha zu Pyanfars Bestürzung.
»Kusine«, sagte Hilfy mit sorgfältig modulierter Stimme, »Kusine, die Stolz wird ziemlich schnell ablegen, und wir benötigen die Hilfe. Wir brauchen euch, Kusinen. Vielleicht findet ihr euch in die Gesellschaft ein.«
»Tamun hat alles durchgemacht, was sie überhaupt verkraften kann«, sagte Hilan Faha und legte ihrer verletzten Kameradin beschützend die Hand auf die Schulter. Sie blickte zu den Tahar. »Wir kommen an Bord, mit eurer Erlaubnis.
»Kommt!« erwiderte Dur Tahar, und ihre Leute umringten die vier und begleiteten sie durch die Rampe. Hilfy machte zwei Schritte hinter ihnen her und blieb dann mit angelegten Ohren stehen, die Hände seitlich herabhängend, während ihre Verwandten im Rampengang der Mondaufgang verschwanden.
Ihre ganze Körperhaltung brachte Demütigung zum Ausdruck, die Erniedrigung einer abgewerteten und beiseite geschobenen Halbwüchsigen. Pyanfar steckte die Hände hinter den Hosenbund, weil sie in ihrer Verlegenheit nicht wusste, was sie mit ihnen machen sollte — sie konnte sie einfach nicht ausstrecken und Hilfy wie ein Kind trösten. Es war deren Sache, es so zu nehmen, wie es in ihren Kräften stand. »Sie haben einen Schock erlitten«, sagte sie einen Moment später. »Es tut mir leid, Tante.«
»Komm!« sagte Pyanfar und nickte in Richtung ihrer eigenen Rampe. Eine rote Flut überspülte ihr Blickfeld, ein langsames Sieden. Hilfys wegen musste sie die Sache einfach so nehmen, wie sie ausfiel, aber es nagte trotzdem an ihr. Sie ging als erste hinauf und Haral als letzte, und sie überließen Hilfy ihrem Schweigen und der Wiederherstellung ihrer Würde.
Feiglinge, dachte Pyanfar und schluckte auch diesen Gedanken Hilfys wegen hinunter. Sie benötigten die zusätzlichen Hände verzweifelt; auch diese weniger edle Erwägung fraß an ihr. Sie brauchten die Faha. Aber die Faha hatten genug von den Kif.
Und dort draußen lagen Kif-Schiffe und lauerten. Dessen war sie sich in zunehmendem Maße sicher — wenn nicht tatsächlich an den Rändern des Kirdu-Systems, wie es sehr wohl sein mochte, dann doch zumindest überall verstreut und auf ihre Gelegenheit wartend. Mehr und mehr Kif-Schiffe, ein sich sammelnder Schwarm von ihnen, und diese Kooperation miteinander war bislang ohne Beispiel.
Durch die Luftschleuse betraten sie den Korridor, und Chur und Geran, die sich mit der offenkundigen Absicht, ihre Faha-Gäste willkommen zu heißen, auf den Weg nach draußen gemacht hatten — blieben im Eingang des Op-Raumes stehen, einfach so.
»Unsere Freunde haben ihre Absicht geändert«, sagte Pyanfar knapp. »Sie haben sich entschlossen, mit den Tahar zu fliegen. Es hat etwas mit der Verletzung zu tun, die eine von ihnen erlitt, und die Tahar haben ihnen einen schnelleren Heimweg versprochen.«
Damit war der Geschichte in Hilfys Interesse ein akzeptabler Anschein verliehen. Chur und Geran wichen zurück, als Pyanfar in den Op-Raum trat und Geran und Tully betrachtete, der dort saß. Geran begriff gut und Tully sah beunruhigt aus, spürte die in der Luft liegende Stimmung, ganz ohne Zweifel, verstand sie aber nicht. »Hat nichts mit dir zu tun«, sagte Pyanfar abwesend und nahm in einem Sessel am hinten stehenden Tisch Platz, besah sich das Systembild, das Geran überwacht hatte. Hilfy und Haral kamen zusammen herein, und es herrschte eine gespannte Stille, als alle hier versammelt wären und Hilfy sich bemühte, ein neutrales Gesicht zu machen.
»Na ja, viel Glück für sie«, brummte Tirun. »Sie haben wirklich genug erlebt.«
»Es sind Kif draußen auf dem Dock«, berichtete Pyanfar. »Sie wissen zuviel und werden darüber frech. Sie sind vor uns von Kita hierher gekommen, ein Teil von dem Haufen auf Treffpunkt oder Urtur… Urtur, vermute ich, denn ich habe Namen überprüft, und es waren nicht mehr dieselben wie dort. Die Nachricht wandert einfach von einem Kif zum nächsten weiter. Es wird eng hier.«
»Bald werden noch mehr hier sein«, meinte Haral. »Ich wette, dass es draußen vor dem System welche gibt. Käpt‘n, glaubst du, wir könnten die Mahe überreden, uns zu unserem Sprungpunkt zu eskortieren? Sicherlich reicht unser Einfluss dafür aus.«
»Diese Geschichte wird ihren Weg von Station zu Station machen«, sagte Pyanfar bitter.
»Götter — aber ich glaube nicht, dass wir viel Wahl haben. Ich werde sie bewegen, uns nach draußen zu begleiten.«
»Wenn unser Heck wieder zusammengeflickt ist«, meinte Tirun verdrießlich.
Von weiter unten aus dem Korridor drang ein Geräusch herein — Schritte in der Luftschleuse.
Alle Köpfe drehten sich zur Tür, und Pyanfar griff nach der Pistole in ihrer Tasche, bahnte sich ihren Weg an Tirun vorbei zur Tür des Op-Raumes und entsicherte die Pistole klickend.
Es war eine Hani — Hilan Faha, die überrascht eine Hand hochwarf und stehen blieb, als sie Pyanfar erblickte. Letztere schaltete mit einer Krallenspitze wieder die Sicherung ein und stieß die Waffe in die Tasche zurück. Sie spürte, dass die anderen von ihrer Besatzung hinter ihr standen.
»Plötzlich die Meinung geändert?« fragte sie die Faha.
»Ich muss mit dir reden. Und mit meiner jungen Kusine.«
»Mit deiner Kusine, verflucht, und mit mir. Komm rein! Weder sie noch ich werden uns hier draußen wie Dockshausierer unterhalten.«
»Ker Pyanfar«, murmelte die Faha eine Anstandsformel, die in keiner Weise den Zorn der Angesprochenen besänftigte. Pyanfar winkte die ganze Gesellschaft zurück in den Op- Raum — erinnerte sich erst dann an Tully, der dort in der Falle saß, aber es gab ja kein Geheimnis um seine Anwesenheit auf dem Schiff und keinen Grund, ihm zu befehlen, sich an all den anderen vorbei hinauszustehlen. Sollte die Faha doch vor ihm sprechen; sollte sie doch ihre Entschuldigungen unter dem Blick des Außenseiters abgeben — das geschah ihr recht.
Und Hilan Faha blieb beim Anblick Tullys im Eingang stehen, dieser nackthäutigen Kreatur von Hani-Gestalt und in Hani-Kleidung, die mit der Besatzung am Tisch saß. Hilans Ohren sanken herab. »Das da«, sagte sie, sich zu Pyanfar umwendend, »ist das Ding, das die Kif wollen — oder?«
»Sein Name lautet Tully.«
Hilan presste die Lippen zusammen, wobei sich bedrohlich die Nase runzelte. »Ein lebendiges Ding. Bei den größeren Göttern, wo bist du gewesen, Chanur, und was geht eigentlich vor sich in dieser Geschichte?«
»Wenn du mit diesem Schiff reisen würdest, dann könntest du fragen, und ich würde eventuell antworten. Wie die Dinge stehen, kannst du aber dann noch alles erfahren, wenn es auch die Tahar tun.«
»Verdammt, für dich ist die Sternjäger untergegangen — hierfür…« Sie spie aus und schluckte weitere Worte hinunter, als Pyanfar sie finster anblickte. »Es war die Entscheidung des Kapitäns. Wir haben bei Urtur alles ausgeladen und sind abgehauen, um euch einen Ausbruch zu ermöglichen. Aber wo wart ihr dann? Wo ist die Hilfe für uns geblieben?«
»Blind, Hilan Faha — wir haben im Staub gehockt und waren völlig blind. Wir haben es versucht, glaub mir; aber letztlich hatten wir nur noch die Wahl, zu springen oder einen Zusammenstoß zu riskieren. Wir hofften, ihr würdet in dem von uns erzeugten Durcheinander entkommen.«
Hilans Atem ging ruhiger. »Es war die Entscheidung des Kapitäns, nicht meine. Ich hätte mich nicht aus dem Dock gerührt, merk dir das! Ich wäre da hockengeblieben und hätte es euch überlassen, mit den Kif zurechtzukommen, mit diesem sogenannten Diebstahl…«
»Du erachtest ein Kif-Wort für höher als meines?«
»Wenn du eine Erklärung hast, würde ich mich freuen, sie zu hören. Meine Kusinen sind tot.
Wir sind erledigt. Wahrscheinlich werden wir kein neues Schiff mehr bekommen. Das große Chanur macht Pläne, aber Leute wie wir… wir gehen auf andere Faha-Schiffe, wo immer wir einen Kojenplatz finden. Ich vermute, du weißt, wo Gewinne zu holen sind, und — mögen die Götter dein intrigantes Fell verfaulen lassen — du hast etwas aufgestört, wofür eine Menge Schiffe bluten werden. Wofür eine Menge kleine Gesellschaften untergehen werden. Sie haben mir eine Botschaft für dich mitgegeben, Pyanfar Chanur; das soll ich dir von den Kif ausrichten: Das, was du gemacht hast, ist zu wichtig, als dass man es ignorieren oder durchgehen lassen könnte. Sie werden dir überallhin folgen, egal wie viel Leute dafür erforderlich sind — sogar bis Anuurn! Sie sagen, sie würden allen Hani klarmachen, dass deine Beute kein Gewinn für sie ist. Soviel von ihrem Hakkikt, Akukkakk, dem von Urtur. Seine Worte.«
»Pah! Kif-Drohungen. Ich hätte dir bessere Nerven zugetraut.«
»Es sind keine leeren Drohungen«, sagte Hilan Faha, die Augen geweitet, die Nasenflügel gebläht und vor Schweiß glitzernd. »Sagt allen Hani — so Akukkakk —, verlasst diese Pyanfar Chanur oder erlebt Verwüstung, selbst die des Anuurn-Raumes!«
»Und wo hast du das alles gehört? Von verstreuten Schiffen und einem Kif, der uns nie erwischt hat — der es auch nicht geschafft hat, euch zu fangen, Hilan Faha; und wenn wir bei Urtur zusammengekommen wären…«
»Nein, nein, du verstehst nicht. Sie haben uns gefangen, Chanur, uns eingeholt und dabei zwei meiner Kusinen getötet. Bei Kita. Und sie haben uns wieder ziehen lassen… aber während des Sprunges ist das Schiff kaputtgegangen. Sie haben uns nur ziehen lassen, um diese Botschaft zu überbringen.«
Die Schmach der Faha war enorm. Schweigen herrschte im Raum und niemand schien zu atmen.
»So«, sagte Pyanfar. »Du glaubst alles, was deine Feinde sagen?«
»Ich sehe das!« sagte Hilan und deutete auf Tully. »Und ganz plötzlich sieht das Spiel viel größer aus als vorher. Ganz plötzlich sehe ich einen Grund dafür, dass die Kif sich sammeln und vielleicht nicht mehr innehalten. Chanurs Ambitionen sind diesmal zu weit gegangen. Worin du auch steckst, ich möchte nicht dabei sein. Meine Schwester und zwei meiner Kusinen leben noch, und wir werden heimkehren. — Kusine…«, sagte sie dann zu Hilfy gewandt, »bei dir…, entschuldige ich mich.«
Hilfy sagte nichts, starrte sie nur mit Schmerz im Blick an. »Hilfy kann mit euch gehen, wenn sie will«, sagte Pyanfar.
»Ich werde es ihr nicht vorwerfen. Es wäre vielleicht sogar klug von ihr… worauf du ja hingewiesen hast.«
»Ich nehme sie gerne mit«, sagte Hilan.
»Ich bleibe auf meinem Schiff«, sagte Hilfy, und Pyanfar verschränkte die Arme über einem Leib, in dem widerstreitende Gefühle wühlten… auch Stolz, das auch.
»So«, sagte sie. »Ich wünsche euch eine sichere Reise. Am besten wäre es ja, wenn wir zusammen flögen, aber ich bin sicher, dass das jetzt nicht mehr die Absicht der Tahar ist.«
»Nein, ist sie auch nicht.« Die Faha blickte zu Boden und dann wieder auf zu Tully, wobei sich ihre Augen verdunkelten. »Wenn du deine Beziehung zu anderen in Betracht gezogen hättest, dann hättest du das nicht gemacht. Diesmal hast du dir zuviel vorgenommen. Und so werden auch andere denken.«
»Was ich mir vorgenommen habe, ist ohne ein ›mit deiner Erlaubnis‹ oder meinem Wissen, dass es überhaupt existierte, an Bord gekommen. Was würdest du mit einem Flüchtling machen, der auf dein Schiff gerannt kommt? Ihn den Kif auf Anforderung aushändigen? Ich verkaufe intelligente Wesen nicht.«
»Aber du machst dir nichts daraus, sie zu verlieren.«
»Mit deiner Kleinmütigkeit«, sagte Hilfy plötzlich, »wirfst du weg, was die Gefallenen getan haben.«
Die Ohren der Faha sanken herab. »Wer bist du, dass du urteilen könntest? Sprich mit mir, wenn du ein paar Jahre weiter bist, Kusine! Dies…« Sie kam Tully gefährlich nahe, und Chur, die auf einem Pult gesessen hatte, rutschte herunter und baute sich in ihrem Weg auf.
Tully verließ seinen Sessel und zog sich soweit um die Biegung des Tisches herum zurück, wie es nur ging. Die Faha zuckte die Achseln, eine unbekümmerte Geste, mit der sie ihre Absicht aufgab. »Ich habe noch etwas zu sagen«, sagte sie, den Blick direkt auf Pyanfar gerichtet. »Ob du nun mit Absicht hierin verwickelt bist oder nicht — es könnte schlicht und einfach das Ende sein. Deine Verbündeten haben dir vielleicht beigestanden, aber es hat sich alles zu sehr verwickelt. Es ist zu riskant geworden. Wie lange ist es her, dass du zu Hause warst?«
»Ein paar Monate.« Pyanfar holte tief Luft und stieß die Hände in den Gürtel… spürte, dass etwas Böses auf sie zu kam; dieses schlechte Gefühl bezüglich eines Hauses auf seinem Höhepunkt, wo jeder Hauch von Veränderung problematisch war. Und auf einmal gefiel ihr der Gesichtsausdruck der Faha nicht mehr, der von Wildheit zu Unbehagen umgeschwenkt war, zu einer aus Anstand resultierenden Scham. »Vielleicht noch länger«, sagte Pyanfar, »wenn man bedenkt, dass ich beim letzten Besuch nicht auf den Planeten hinuntergegangen bin. Was ist los, Faha? Was willst du mir unbedingt erzählen?«
»Einer deiner Söhne… hat Mahn von Khym Mahn übernommen und ist jetzt Nachbar von Chanur. Er hat — Ambitionen. Der alte Mahn ist im Exil und Kohan Chanur bedarf plötzlich aller seiner Verbündeter.« Hilan Faha zuckte die Achseln. Die Ohren hingen herab, und um die Nase herum war sie weiß, sah bereits so aus, als würde sie lieber woanders sein, als einem Chanur-Schiff solche Nachrichten zu überbringen. »Mein Kapitän hätte dich unterstützt; aber wer sind wir jetzt, wo eines unserer Schiffe dahin ist, eines von dreien, die Faha besaß. Und was sollen wir darüber denken, wenn du so etwas anfängst und Chanur doch schon alles hat, mit dem es fertig werden kann? Du hast deine Fracht verloren und dir eine Fehde mit den Kif eingehandelt, die jetzt drohen, in Anuurn-Raum einzudringen, um der Götter willen — wie will Chanur seine anderen Verbündeten halten, wenn das losgeht? Ich habe mein Schiff verloren, meinen Kapitän, einige meiner Kusinen — und ich muss an meine Familie denken. Ich kann mich nicht mit dir einlassen, nicht jetzt. Ich kann Faha nicht an dieser Sache beteiligen und unseren Schiffen eine Fehde mit den Kif eintragen. Du stehst im Begriff, alles zu verlieren. Andere werden zu demselben Schluss kommen, und Chanur wird nicht mehr da sein, wenn du überhaupt noch einmal zurückkommst. Ich kehre heim, Ker Pyanfar, und ich nehme das Tahar-Schiff, weil ich muss, weil ich nicht das, was von uns noch geblieben ist, im Geschick Chanurs verwickelt haben möchte.«
»Du bist jung«, meinte Pyanfar und blickte ihre Nase entlang. »Die Jungen machen sich immer Sorgen. Du hast recht, dein Kapitän hätte mich unterstützt. Sie hätte die Nerven dazu gehabt. Aber geh du deinen Weg, Hilan Faha! Ich werde deine Schulden bezahlen, wie ich es versprochen habe; Chanur wird die Mahe belohnen, die euch herausgeholt haben. Und sobald ich mit diesem Balg Kara fertig bin, werde ich auch in besserer Stimmung sein, so dass ich dies hier vielleicht sogar vergesse. Dann brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen, mir in Zukunft noch einmal zu begegnen — fürchte dich nicht so sehr. Ich werde dich nicht für allzu schlecht erachten… die Jungen wachsen noch. Aber, bei den Göttern, ich werde von dir niemals dieselbe Meinung haben wie von deinem Kapitän. Du bist nicht Lihan, Hilan Faha, und wirst es vielleicht auch niemals sein.«
Die Faha zitterte direkt vor Wut. »So bezahlt zu werden, wie du sie bezahlt hast…«
»Sie würde mich zu einer Mahe-Hölle verfluchen, wenn sie hier wäre, aber sie würde nicht so handeln wie du. Sie würde nicht über einen Freund herfallen. Geh, Hilan Faha, verschwinde von meinem Schiff! Ich wünsche dir eine sichere und schnelle Reise.«
Für einen Moment schien es, als würden der Faha die Hand ausrutschen, aber sie war erschöpft und ohne Hoffnung, und der Mut verließ sie wieder. »Ihr Fluch auf dich!« sagte sie, drehte sich um und schritt hinaus, mit nicht mehr so geraden Schultern und nicht mehr so hoch getragenem Kopf wie bei ihrer Ankunft. Pyanfar runzelte die Stirn und betrachtete Hilfy, die buchstäblich zitterte.
»Kohan hat in seinem Brief nichts von dieser Mahn-Geschichte erwähnt«, sagte Pyanfar.
»Was weißt du darüber, Nichte?«
»Gar nichts«, sagte Hilfy. »Und ich will es auch nicht glauben. Ich denke, die Faha haben auf Gerüchte gehört.«
»Was wusstest du über den Stand der Dinge, solange du noch zu Hause warst? Wo warst du da mit den Gedanken, außer bei der Stolz? Ist es möglich, dass sich etwas zusammenbraute und du nichts davon gehört hast?«
»Es gab stets Gerede, und Kara Mahn trieb sich immer im Distrikt umher — er und Tahy. Es wurde in diese und jene Richtung geredet, und ich glaube, Na Khym hat direkt mit Vater gesprochen.«
»Verflucht soll er sein! Kohan hätte in seinem Brief etwas sagen können.«
»Er hat mich geschickt«, sagte Hilfy mit dünner und schmerzerfüllter Stimme. »Als die Stolz im System aufkreuzte, bat ich darum, gehen zu dürfen, und er sagte, er würde das nie erlauben. Und dann… in der darauffolgenden Nacht gab er mir den Brief und steckte mich ins Flugzeug — Götter, auf diese Weise verschwand ich in Richtung Hafen, fast ohne Gelegenheit, etwas einzupacken. Er sagte, ich müsste mich beeilen, oder die Stolz wäre schon wieder weg aus dem Hafen und damit auch meine Chance. So war es in jener Nacht, aber ich dachte…, ich dachte, der Grund für alles liege darin, dass Schiffe nicht mit Tag und Nacht rechnen und dass sowieso eine Fähre hinaufging.«
»Oh, Götter!« ächzte Pyanfar und setzt sich an den Tisch gelehnt hin, blickte dann wieder zu dem Kreis ängstlicher Gesichter auf. »Soweit geht mein Sohn noch nicht. Mögen die Götter die Kif vernichten; wir werden sie erledigen, aber wir werden uns auch um diese kleine Sache zu Hause kümmern, und zwar als erstes.«
Ohren richteten sich auf. »Wir stehen zu dir«, sagte Haral. »Götter… ja, nach Hause! Werden dort einige Nacken schütteln.«
»Hai!« stimmten Geran und Tirun zu, und Tully zuckte sichtlich zusammen und beruhigte sich erst wieder, als Chur seine Schulter tätschelte. Er setzte sich und Hilfy nahm neben ihm Platz und legte ihm eine Hand auf die Schulter — zwei niedergeschlagene Seelen; die miteinander nicht viel mehr teilten als ihr Elend.
»Wir bringen das in Ordnung«, sagte Pyanfar zu Hilfy. »Und wir tun das zu unseren Bedingungen. Einverstanden, Nichte?«
»Er hat mich weggeschickt«, sagte Hilfy. »Ich hätte helfen können, und er sah es kommen und schickte mich fort.«
»Huch. Du bist noch nicht alt genug, um deinen Vater so zu sehen wie ich, bei allem Respekt vor dir. Er denkt nach, bevor ihn ein Problem erwischt — kein großes Überlegen, während es abläuft, die Götter wissen es, aber er baut die Teile auf wie Spielfiguren auf einem Brett. Verdammt zu stolz, um mich auf den Planeten herabzurufen, ah ja; zu verdammt fein, um die junge Hilfy Chanur bei der Hand zu haben, damit sie sich mit ihren Mahn-Kusinen in die Wolle kriegt und seine eigene Stimmung anheizt… lass hier nicht deine Ohren hängen, Kleine! Wir sind hier in der Familie. Soweit es deinen Vater betrifft, finden Sonnenauf- und Untergang auf dem Horizont deiner Schultern statt, und mein verfluchter Sohn würde schnurgerade auf den größtmöglichen Ärger zumarschieren, den er deinem Vater nur bereiten kann, um Chanur zu übernehmen, und das beträfe deine kostbare und unerfahrene Person. Nein, Kohan hat einfach das Feld geklärt, sonst nichts. Es bestehen Chancen, dass er damit einen Fehler gemacht hat; auch dagegen ist er nicht immun. Ich hätte es vorgezogen, dich dort zu haben, weil ich glaube, du wärst mit Klein-Kara gut fertig geworden und mit Tahy obendrein. Aber wenn die Mondaufgang heimwärts fliegt, dann deswegen, die hier gewonnenen Neuigkeiten dorthin zu bringen; und das wird Probleme aufwerfen, dank den Faha. Und es wird einen Zeitpunkt geben, zu dem Kohan in der Enge sitzen wird. Welche Gefährtinnen hat er im Haus? Deine Mutter — und wen sonst noch?«
»Akify und Lilun.«
»Ich hoffe, dass deine Mutter zu ihm steht«, sagte Pyanfar mit Nachdruck. Die Kihan und die Garas waren nur Zierrat. Sie ging hinüber zum Pult und starrte einen Moment lang auf den Scanner. »Egal. Was da auch vor sich geht, wir werden es in Ordnung bringen.«
»Pyanfar…«
Tullys seltsame Stimme. Sie drehte sich um und schaute ihn an, erinnerte sich an das Funkgerät und stellte es auf Sendung, machte sich nicht die Mühe mit dem Ohrhörer.
»Frage«, sagte Tully und machte eine vage Geste in Richtung der Tür, durch die die Faha hinausgegangen war. »Er kämpfen«.
»Sie«, stellte Pyanfar ungeduldig richtig. »Alles sie.« Tully biss sich auf die Lippe und sah verwirrt aus. »Es hat nichts mit dir zu tun«, sagte Pyanfar. »Nichts, was du verstehen würdest.«
»Ich gehen«, bot er an und machte Anstalten, seinen Platz am Tisch zu verlassen, aber Chur hielt ihn an der Schulter fest. »Nein«, sagte sie. »Alles in Ordnung, Tully. Niemand ist böse auf dich.«
»Du bist nicht der Grund«, fügte Pyanfar hinzu. »Nicht davon.« Sie ging zur Tür, wandte sich noch einmal zu ihrer Mannschaft um. »Wir bringen das in Ordnung«, sagte sie, drehte sich um und ging hinaus, allein den Korridor hinab zum Lift.
Khym gestürzt. Vielleicht tot. Zumindest im Exil. Der Verlust ihres Gefährten bedrückte sie in überraschendem Maße. Mahn würde in den Händen des jungen Kara nicht mehr das sein, was es zu Khyms Zeiten gewesen war. Khyms Stil war lässig und würdevoll gewesen und zugegebenermaßen faul. Er war ein angenehmer Bursche von einer Art, zu der man gerne zurückkehrte; jemand, der schöne Dinge mochte und es liebte, im Schatten seines Gartens zu sitzen und den Geschichten zu lauschen, die sie ihm von fernen Häfen erzählen konnte, von Orten, die er niemals sehen würde. Grenzenlose, freundliche Neugier. Das war Khym Mahn. Und der Sohn, mit dem er Nachsicht hatte walten lassen und dem er verziehen hatte, war zurückgekommen und hatte ihm Garten und Haus und Namen genommen, während der arme Khym… die Götter mochten wissen, wo er sich befand und in welchem Elend.
Sie fuhr mit dem Lift zum Hauptdeck hinauf und betrat ihr Quartier, schloss die Tür und setzte sich an den Schreibtisch… verzichtete lange darauf, die wenigen Erinnerungsstücke hervorzuholen, die aufzubewahren sie sich die Mühe machte; sie bewahrte die Heimat eher im Geist als in Gegenständen. Schließlich betrachtete sie, was sie hatte, ein Bild, einen glatten grauen Stein — merkwürdig, wie angenehm sich ein kleines Stück Stein anfühlte und wie fremd es in dieser stählernen Welt wirkte; ein Stein, der die Kahin-Berge vor ihrem inneren Auge heraufbeschwor, den Anblick und das Rauschen des Grases im Wind, die Wärme der Sonne und die glatte Kälte des Regens auf den Felsen, die aus den grasbewachsenen Bergflanken herausragten.
Ihr Sohn… hatte Khym hinausgeworfen, sich neben Chanur niedergelassen, um Kohan selbst zu bedrohen, alles auseinander zunehmen, was sie getan und aufgebaut hatte und was Kohan bewahrte. Kaum verwunderlich, dass Kohan Wert darauf gelegt hatte, Hilfy vor Schaden zu bewahren, vor einer Situation, in der Gefühle ausgelöst wurden und Vernunft verlorenging.
Lass sie Erfahrungen machen! hatte Kohan gebeten… Und: Pass auf sie auf!
Sie legte die Andenken weg und dachte nach, denn solange die Reparaturen im Gang waren, gab es wenig anderes zu tun. Sie saßen in der Umarmung der Station fest und hofften, dass die Kif nicht hinter ihrem verwundbaren Rücken auftauchten. Saßen hier — während ihre Feinde die Zeit fanden, zu tun, was sie wollten.
Anuurn selbst angreifen — so unbesonnen konnte Akukkakk nicht sein. So viele Schiffe besaß er nicht, wie dafür nötig waren. Es handelte sich um großes Geschrei, wie es die Kif stets von sich gaben, völlig übertrieben… von der Art, wie sie es immer herausbrüllten in der Hoffnung auf größere Gewinne durch die Angst eines Feindes, größer als sie durch Anwendung von Gewalt möglich waren. Sofern der Hakkikt nicht wahnsinnig war — eine Definition, der es zwischen verschiedenen Lebensformen an Exaktheit mangelte. Sofern der Hakkikt nicht Gefolgsleute befehligte, die mehr am Zerstören interessiert waren als an Gewinn.
Noch nie zuvor in der aufgezeichneten Geschichte hatte ein Hakkikt ein so weites Gebiet aufgewühlt und dabei so viele Schiffe eingesetzt. Noch nie hatte einer das gemacht, was dieser hier getan hatte, eine Stsho-Station angegriffen, ein ganzes Sternsystem und dessen ganzen Verkehr schikaniert und bedroht, wie bei Urtur geschehen.
Pyanfar saß da und überlegte, dass die Drohung letztlich doch substanziell sein konnte.
Schließlich überprüfte sie den Scanner über ihr eigenes Terminal. Nur das zu Erwartende war zu sehen. Die Knnn trieben sich immer noch fern der Station umher; als sie das Audio hinzuschaltete, war auch der Gesang wieder zu hören, ein ruhiger diesmal und über drei disharmonische Töne schwankend. Die Tc‘a verhielten sich still, außer einem, der konstant in Tönen quasselte, die so langsam waren wie die der Knnn. Der Gefangene? fragte sie sich. Eine Klage über das Schicksal? Außer diesen Stimmen gab es nur die normalen Geräusche von der Station und das nahe Geschnatter der Gleitermannschaften, die zu keinem Zeitpunkt ihre Reparaturarbeiten an der Stolz unterbrochen hatten. Normalerweise hätte auch einmal wieder ein Sprungfrachter ablegen müssen, aber das Schicksal der Hasatso, die dort draußen nur mit einem Notfall konfrontiert worden war, hatte alles einschlafen lassen. Nicht einmal die Bergleute regten sich mit ihren Erztransportern vom Fleck, die im Orbit um Mala oder Kilaunan festsaßen.
Pyanfar rief bei den Stationsdiensten an und beschwerte sich über die verspätete Lieferung der bestellten Güter. Der Kurierdienst gab Versprechungen ab und erwähnte etwas von fehlender Zeit, und sie akzeptierte das und rechnete mit dem ohnehin üblichen Eintreffen des Kuriers etwa zu der Zeit, wo der Rampengang bereits geschlossen wurde.
Stasteburanato benutzte jetzt zumindest seinen Verstand und ließ die Patrouillen draußen durch das System kreuzen, wachsam gegen Gefahren. Die Mahe kamen ihren Verpflichtungen nach.
Von den Tahar erwartete sie weniger.