Kapitel 4

Am Abend aßen Hellberg, Marion und Claudia allein. Karl blieb bei Erika. Sie war noch immer total erschöpft, lag im Bett und nahm nur ein paar Bissen gebratenes Kalbfleisch zu sich. Dazu trank sie Mineralwasser.

»Geh doch auch 'runter, Karl«, sagte sie nach dem Essen. »Ich weiß doch, wie gern du Rotwein trinkst. Trink' deine Flasche. Mir geht es wieder gut, nur müde bin ich.« »Wenn du meinst. Ich wollte aber bei dir.«

»Geh nur, Karli.« Erika lächelte und streichelte seine Hände.

»Mir tut der Schlaf gut . und dir der Wein nach all der Aufregung.«

Karl Haußmann ging nach unten in den Speiseraum. Er traf Marion allein an, mit einem Gesicht, als habe sie Essig getrunken.

»Nanu?« sagte Haußmann. »Wo sind denn die anderen?«

»Fort! Signorina Claudia wurde es nach dem Essen übel und mußte an die Luft.«

»Und du bist nicht mitgegangen?«

»Nein. Ich wußte, daß du noch herunterkommst. Ich muß mir dir sprechen.«

Karl Haußmann öffnete den Kragen seines Hemdes. Ihm war plötzlich wärmer, als es tatsächlich war.

»Es hat sich vieles geändert, Marion.«

»Ich weiß.« Marion stand auf. »Gehen wir auch hinaus. Ich möchte solche Dinge nicht unter anderen Menschen besprechen.«

Sie verließen das Speisezimmer und gingen hinter dem Gasthaus auf der Liegewiese hin und her. Hellberg und Claudia sahen sie jenseits der Straße auf einem kleinen Hügel sitzen. Ein bitteres Lächeln umspielte den Mund Marions.

»Frank scheint ja ein rührender Sanitäter zu sein. Und auch du entwickelst dich zu einem perfekten Krankenpfleger. Ich frage mich: Was soll ich noch hier?«

»Marion, es haben sich Dinge ereignet.«

»Wir wollen nicht mehr daran denken, daß du mich nach Italien mitgenommen hast, um einen gedanklichen Ehebruch in der Realität zu vollenden. Und unser Alibi Frank, der Ahnungslose, bricht auch die Spielregeln. Ich mache mir nichts vor; er hat sich in diese Claudia verliebt. Das tut ein wenig weh, Bärchen, denn Frank und ich kennen uns gut.«

»Erika ist sehr krank.«

»Ja. Das ist etwas, woran wir alle nicht denken konnten, als wir die Reise antraten. Ich finde es furchtbar, daß Erika Krebs haben soll. Ich bedauere sie wirklich tief. Wenn ich wüßte, wie ich ihr helfen könnte, ich würde es sofort tun.«

»Du, Marion?« Haußmann starrte sie ungläubig an.

Welche Wandlung! Oder war es wiederum nur gutes Theater?

»Dieses Schicksal ist furchtbar, Bärchen. Ich kann verstehen, daß du hin- und hergerissen wirst. Aber du sollst auch wissen, daß ich dich sehr liebe. Dieser Liebe wegen könnte ich auch deine Frau pflegen, wenn es nötig ist. Du sollst das Unglück nicht so hart empfinden, ich bin ja auch noch bei dir.« Sie lehnte sich an Karl und legte den Arm um seine Schulter.

Haußmann atmete schneller. Die Wärme von Marions Körper, ihre Schönheit, der Duft ihres Haares, ihre Anschmiegsamkeit, die Gewißheit, wirklich nicht mehr in schweren kommenden Stunden allein zu sein - das alles zusammen war ein wirklich wundervolles Gefühl. Ein Gefühl, das sich mit Schauder mischte.

»Daß auch alles so kommen mußte«, sagte er heiser und zog Marion an sich. »Ich danke dir, Marion. Bisher habe ich dich für ein kleines Aas gehalten.«

»Mein dummes, brummendes Bärchen!« flüsterte sie ihm zärtlich ins Ohr.

Dann küßten sie sich.

Aber von Karls Seite war es mehr Dankbarkeit.

Am Fenster des dunklen Zimmers trat Erika langsam zurück. Sie hatte alles beobachtet, ohne die Worte verstehen zu können. Doch es genügte ihr, daß Karl Marion küßte.

Verloren, dachte sie. Ich habe ihn endgültig verloren. Jetzt habe ich es mit eigenen Augen gesehen. Nun ist meine Welt dunkel und leer. Für mich ist hier kein Platz mehr.

Sie ging mit einem Glas zum Wasserhahn, ließ es halb volllaufen, ging zurück zum Bett und öffnete ein Röhrchen mit Tabletten, das ihr Dr. Tezza nach den Untersuchungen gegeben hatte. »Wenn Sie starke Schmerzen haben ... zwei Stück, mehr nicht!« hatte er gesagt.

»Sie werden danach schlafen wie ein Murmeltier. Ich habe das Präparat selbst entwickelt. Es wirkt auch krampflösend.«

Zwanzig Tabletten waren in dem Glasröhrchen.

Erika schüttete alle zwanzig in das Wasserglas und rührte mit einem Strohhalm so lange herum, bis sie sich aufgelöst hatten. Das Wasser war milchig, undurchsichtig geworden. Es roch stark nach Kampfer.

Einen Augenblick lang zögerte Erika. Sie dachte an ihre Kinder. Aber die waren erwachsen und lebten ihr eigenes Leben. Noch einmal trat sie ans Fenster. Über Capistrello hing ein herrlicher Mond am fahlen Nachthimmel. Karl und Marion waren nicht mehr im Garten. Irgendwo, in der Dunkelheit, sind sie jetzt, und küssen sich oder.

Erika spann den grausamen Gedanken nicht weiter. Sie hob das Glas an die zitternden Lippen und trank. Vier tiefe Schlucke . und es war geschehen. Es gab kein Zurück mehr.

Erika stellte das Glas ab, überlegte, spülte es dann aus und legte sich ins Bett. Noch spürte sie nichts, im Gegenteil, ihr Herz schlug rasend.

So ist also mein Ende, dachte sie. Das ist mir von meinem Leben übriggeblieben: Ein selbstgewählter Tod in einem spärlichen Gastzimmer einer Pension in Avezzano. So klein und elend kann eine glückliche Welt werden.

Dann wurde sie müde und schlief ein.

Auf leisen Sohlen, in den Samtschuhen des Traumes, kam der Tod zu ihr.

Karl Haußmann saß in der Gaststube und trank Wein. Einen goldroten, süßen, schweren Wein. Er kannte ihn nicht und ahnte nicht seine Tücken. Er merkte nur, wie glatt der Wein ins Blut ging und seine Aufregung glättete. Und das brauchte er. Er hatte in ein paar Minuten erlebt, wie der ganze Plan seiner Italienreise zusammenbrach. Frank Hellberg zeigte seine Sympathie zu Claudia so deutlich, daß Marion mit verbissenem Gesicht auf ihr Zimmer ging. Kurz darauf zogen sich auch Hellberg und Claudia zurück, und Karl blieb allein mit seinem Wein und seinem vielschichtigen Kummer.

Nach Bari, dachte er und sah den goldroten Wein. Zum >Schiff der Hoffnung<. Ist das nicht auch wieder ein Trugbild, eine Illusion, ein Strohhalm, der schnell bricht? Ein Wundermittel gegen Krebs. Gibt es denn noch Wunder? Soll man Erika diese anstrengende Fahrt überhaupt noch zumuten? Wäre es nicht besser, gleich zurück nach Deutschland zu fahren? War dieser Dr. Tezza nicht Warnung genug?

Fragen über Fragen. Und dann die persönlichen Probleme. Die offensichtlich echte Liebe Marions. Das Mädchen Claudia. Die kommende Auseinandersetzung zwischen Marion und Hellberg. Ein Gebirge von Problemen.

Haußmann sah nicht auf die Uhr, als er aufstand, aber er spürte, wie er schwankte und wie der süße, schwere Wein wie Blei in sein Gehirn drang. Mühsam tappte er die Treppe hinauf, suchte nach dem Zimmerschlüssel, den ihm Erika mitgegeben hatte, fand nach längerem Stochern das Schlüsselloch, ging hinein und zog sich aus. Er warf noch einen Blick auf Erika. Sie lag auf der Seite, schlief ruhig und fest und rührte sich nicht.

Morgen fahren wir, Rika, dachte Karl und zog die Decke über sich. Du sollst nicht sagen, ich hätte für dich nicht jede Chance wahrgenommen. Dann überschwemmte der Alkohol völlig sein Bewußtsein. Fünf Minuten später schnarchte er.

Zwei Zimmer weiter hatte sich in den vergangenen zwei Stunden ein nur äußerlich höflicher, haßerfüllter Kampf zugetragen.

Marion lag schon im Bett, als Claudia ins Zimmer kam. Vom Flur her hörte sie den geflüsterten Abschied zwischen Frank und dem italienischen Mädchen. Sie küssen sich, dachte sie wütend. Jetzt küssen sie sich.

Dann kam Claudia herein.

»Guten Abend«, sagte sie.

»Guten Abend.« Marion legte das Buch weg, in dem sie gelesen hatte. »Eine romantische Nacht, nicht wahr?«

Claudia blieb an der Tür stehen. »Herr Hellberg schlug vor, daß ich diese Nacht hier schlafe. Nirgendwo ist etwas frei. Aber, wenn es Ihnen nichts ausmacht, rücke ich einen Stuhl ans Fenster und warte dort den Morgen ab. Ich will Sie nicht stören.«

»Sie stören nicht.« Marion drehte sich zur Wand. »Das Bett ist breit genug für zwei.«

Wenig später schlüpfte Claudia unter die Decke. Sie hatte kalte Füße, und sie war so zart, daß Marion kaum ihre Gegenwart spürte. Aber das war es nicht . das Bewußtsein, neben einem Mädchen zu schlafen, das Frank Hellberg durch ihre engelhafte Art zu erobern begann, machte das Bett eng und nahm Marion fast die Luft. Es war ihr, als lägen Zentner neben und auf ihr.

Nach Mitternacht, die Glocken der Kirche von Avezzano hatten sie eingeläutet, hielt es Marion nicht mehr im Bett. Es kribbelte über ihren ganzen Körper wie von Tausenden von Ameisen. Vorsichtig stieg sie über die tief schlafende Claudia aus dem Bett, zog ihren Bademantel an und stellte sich ans Fenster. Die Luft war kühl und rein und herrlich für die erhitzten Nerven. Ein paarmal sah Marion zu Claudia hinüber. Ihr Gesicht war wie aus Porzellan. Sie hatte noch nie etwas so Zerbrechliches und Schönes gesehen.

Gegen ein Uhr verließ Marion das Zimmer. Sie hatte vor, zu Frank hinüberzugehen und wenigstens bei ihm eine Entscheidung zu erzwingen. Es war nicht die erste Nacht, die sie beisammengewesen wären, aber es würde die entscheidende Nacht werden. Die Ausschaltung der elfenhaften Claudia.

Auf dem Wege zu Franks Zimmer kam sie an Haußmanns Zimmer vorbei. Der Schlüssel steckte von außen im Schloß, und die Tür war nur angelehnt. Marion blieb erstaunt stehen, schob die Tür dann einen Spalt breiter auf und sah hinein.

Karl lag auf dem Rücken und schlief mit rasselndem Atem. Neben ihm aber hing Erika halb aus dem Bett. Ihr Kopf lag fast auf dem Fußboden, die Arme pendelten über der Bettkante. Ihr Gesicht

war leichenblaß, die Augen halb geöffnet.

Marion stieß einen leisen Schrei aus, schlüpfte ins Zimmer, hob Erika ins Bett zurück und legte die Hand auf ihre Stirn. Sie war kalt und blutleer. Marion riß das Hemd über Erikas Brust auf, drückte das Ohr auf das Herz ... es schlug noch, aber es war kaum hörbar. Es war wie das letzte, zaghafte Ticken einer Uhr, deren Feder abgespult ist.

»Karl!« schrie Marion und rüttelte Haußmann an den Schultern. »Karl! Wach' auf!Wach' auf!« Haußmann grunzte im Schlaf, aber Marion ließ ihm keine Ruhe. Sie rüttelte so lange, bis Karl im Bett auffuhr und sich die Augen rieb.

»Marion.«, stammelte er entsetzt. »Bist du verrückt?«

»Deine Frau. Karl!«

Karl sah zur Seite. Dann sprang er mit einem Satz aus dem Bett. »Erika!« rief er. »Mein Gott! Mein Gott! Was hat sie bloß getan?« Er rannte im Zimmer herum, kopflos, während Marion versuchte, Erika Wasser zwischen die bleichen Lippen zu gießen. Dann sah er das leere Röhrchen auf der Erde liegen und wußte, was geschehen war.

»Einen Arzt!« rief Haußmann. »Sofort einen Arzt!« Er rannte hinaus auf den Flur und rief so lange, bis der Gastwirt erschien und Hellberg hinunterrannte zum Wagen.

Der alte Landarzt von Avezzano erschien wenig später, von Hellberg geholt, im Schlafanzug. Seine Anzughose hatte er einfach darübergezogen. Er brachte ein vorsintflutliches Magenauspumpgerät mit: einen dünnen, roten Gummischlauch, einen verbeulten Irrigator, drei große Spuckschalen.

»Nein, so etwas!« sagte er immer wieder. »So etwas! Solche Dummheit!«

Erika wurde im letzten Augenblick gerettet. Über vier Liter entgiftende Flüssigkeit pumpte der Arzt in Erikas Magen und pumpte sie wieder heraus. Dann gab er ihr zwei starke Kreislaufinjektionen und massierte das Herz. Als wieder etwas Farbe in Erikas leichenblasses Gesicht kam, lehnte sich der alte Arzt erschöpft zurück und nickte Haußmann zu.

»Bene.«, sagte er.

»Ich danke Ihnen, Doktor.« Karl zitterten die Knie. Mehr konnte er nicht sagen. Was er in der letzten halben Stunde mitgemacht hatte, war nicht in Worten auszudrücken.

»Legen Sie sich hin, Herr Direktor«, sagte Marion, als der Arzt gegangen war. »Ich bleibe bei Ihrer Frau und halte Wache.«

»Das kann ich nicht verlangen«, stotterte Karl.

»Verlangen nicht. Aber ich tue es.«

»Sie haben es entdeckt.« Karl schluckte mehrmals. »Ihnen verdanke ich die Rettung meiner Frau.«

»Reden wir nicht mehr davon.« Marion setzte sich an die Bettkante. »Ruhen Sie sich jetzt aus.«

»Sie können in meinem Zimmer schlafen.« Frank Hellberg stand am Fenster. »Ich bleibe auch hier.«

»Danke. Ich . ich bin völlig durcheinander.«

Hellberg wartete, bis Karl das Zimmer verlassen hatte. Dann trat er hinter Marion und legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Du bist besser, als du aussiehst«, sagte er leise.

Marion verstand ihn. Er schien das Doppelspiel durchschaut zu haben.

»Man täuscht sich oft«, antwortete sie.

Erika schlief drei Tage lang. Zweimal täglich kam der alte Arzt, gab ihr eine Kreislaufspritze, schimpfte über den Lumpen Tezza und trank auf Kosten Haußmanns nach der Konsultation einen Liter Rotwein in der Wirtschaft.

»Sie ist über'n Berg«, sagte er am dritten Tag. »Aber zehn Tage Ruhe ist das mindeste, was sie braucht. Wenn sie aufwacht, haben wir die Krisis überstanden.«

In diesen drei Tagen waren viele Fragen zwischen Karl, Marion, Frank und Claudia besprochen worden. Zunächst ging es darum, die Schiffsplätze in Bari auf dem Fährschiff >Sveti Stefan< zu be-kommen. Hellberg, der in Bari angerufen hatte bei der Stazione Ma-rittima, erfuhr, daß telefonische Anmeldungen völlig sinnlos seien. Man schlage sich um die Schiffskarten. Aus Foggia und Brindisi habe man schon Polizeiverstärkung heranholen müssen. Die Menschen benähmen sich wie die Raubtiere. Die Todesangst zerriß alle Erziehung und Moral.

»Es bleibt nichts übrig, als nach Bari vorauszufahren, die Karten zu besorgen und Sie und Ihre Frau dann abzuholen«, sagte Frank. »Sonst warten wir in Bari zwei oder drei Wochen. Vielleicht gelingt es mir, Karten für eine baldige Passage zu bekommen. Es wird alles nur eine Geldfrage sein.«

»Bieten Sie, was man vertreten kann. Ach was, zahlen Sie jeden Preis!« Karl Haußmann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und Sie wollen wirklich das Opfer auf sich nehmen und vorausfahren, Frank?«

»Das bedarf doch keiner Frage, Herr Haußmann.«

»Sie sind ein wahrer Freund.« Karl drückte Frank die Hände. »Ich kann noch immer nicht begreifen, daß Erika so etwas getan hat. ich habe ihr nie die Verzweiflung über die Krankheit angemerkt. Es muß ein Kurzschluß gewesen sein. Das Erlebnis bei diesem Schuft Tezza ... das war zuviel für sie.«

Die anderen nickten stumm.

Auch sie blieben in dem Irrtum befangen, Erika sei angesichts ihrer Krankheit verzweifelt.

Wenn sie die Wahrheit gewußt hätten!

Vielleicht hätte die Fahrt nach Bari zum >Schiff der Hofihung< nie so stattgefunden, wie sie an diesem Abend beschlossen wurde.

»Ich fahre mit«, sagte Marion, als man wieder auf die Fahrt kam. »Ich kann dich ablösen, Frank. Ich fahre zwar nicht gut, aber besser schlecht gefahren, als gut gelaufen.«

»Und ich?« fragte Claudia leise.

»Sie natürlich auch.« Frank nickte ihr zu. »Sie gehören jetzt zur Familie.«

»Das walte Gott!« Marion nahm einen Schluck Wein. Was sie sonst noch sagen wollte, mußte sie hinunterspülen.

Frühmorgens, gleich nach der Morgendämmerung, starteten sie. Es war ein sonniger, aber windiger Tag. Über die Hänge von Capistrello pfiff der Wind und rüttelte die Pinien.

Zuerst saß Frank Hellberg am Steuer. Er fuhr die Straße Nr. 82 über Sora bis zur Kreuzung der Straße Nr. 6, die nach Cassino entlang dem Höhenrücken der Monti Simbrunini führt. Über Cassi-no erreichten sie die Autobahn nach Neapel. Aber Hellberg fuhr nicht bis zu der vielbesungenen Straße, sondern zweigte vorher ab auf die Straße Nr. 7 in Richtung Caserta - Benevento - Foggia. Ihm schien dies der nächste Weg zu sein, quer durch den Appennino Meridionale, durch Weingärten und rauhe Felsschluchten, verlassene Täler und Höhen mit wundervoller Weitsicht.

»Rechts von uns liegt Neapel«, sagte Marion etwas wehmütig, als sie das Straßenschild las. »Man könnte den Vesuv sehen, Capri, Ischia, Pompeji. Kinderträume, an denen wir jetzt vorbeifahren.« Sie beugte sich zu Frank hinüber. »Liebling, kannst du nicht den kleinen Umweg über Neapel machen?«

»Jede verlorene Stunde kann einen Tag längeren Wartens in Bari bedeuten. Neapel läuft nicht weg, das sieht in 100 Jahren noch genauso postkartenromantisch aus wie heute. Aber in Bari müssen wir um die Zeit rennen!«

»Es war ja nur ein kleiner Gedanke.« Marion lehnte sich wieder zurück. »Verzeih. Du hast ja recht.« Sie war sanft wie eine Taube.

Am Nachmittag waren sie in Foggia. In einer Trattoria aßen sie ein paar Happen und tranken Fruchtsaft. Dort kaufte Hellberg auch die neueste Zeitung. Auf der ersten Seite stand ein großer Bericht aus Bari. >Ansturm auf Krebsheilmittel.< Der Reporter schilderte in mitreißenden Worten den Sturm auf die Schiffskarten. Daneben veröffentlichte ein italienischer Professor Dr. Cradeno seine Ansicht über das neu entdeckte Wundermittel HTS. »Ich warne!« schrieb er. »Ich warne alle! Auch dies ist wieder ein Irrlicht wie viele vor ihm. Es gibt kein sicher wirkendes Chemotherapeutikum gegen den >Krebs<. Brustkrebs ist etwas ganz anderes als Magenkrebs oder Darmkrebs. Laßt euch nicht in Panik jagen! Wartet die klinischen Untersuchungen von HTS ab.«

Frank Hellberg vernichtete die Zeitung, ohne sie Claudia oder Marion gezeigt zu haben. Was dieser Professor Dr. Cradeno schrieb, war auch seine Ansicht. Aber wenn man sieht, wie sich ein Kranker an die Hoffnung klammert. Man kann, man darf ihn nicht enttäuschen. Der Lebenswille ist gerade bei einem Krebskranken ungeheuerlich. Er sprengt alle Maße. Und die Hoffnung ist der große Motor, der ihn immer wieder antreibt.

Von Foggia ab fuhr Marion.

Noch 127 Kilometer waren es bis Bari. Entlang der Küste des Adriatischen Meeres. Die herrliche Sonnenstraße von Barletta, Bisceglie und Molfetta. Links das blaue Meer und der weiße Strand, rechts die Weinberge, auf denen ein herrlicher Rose reift. Ein gottgesegnetes Land, fruchtbar und schön und ewig wie die Sonne, die es prägt.

Zwischen Molfetta und Bari kamen sie in eine Polizeikontrolle. Karabinieri in hellgrauen Uniformen hatten die Straße gesperrt und fragten jeden Wagen nach dem Ziel der Fahrt.

»Nach Bari?« fragte einer der Polizisten und starrte Marions goldene Haare fasziniert an.

»Ja!« sagte Hellberg.

»Sie werden umgeleitet. Die Zufahrtstraße ist verstopft. Sie werden Bari heute nicht mehr erreichen. Sie müssen in Altamura oder Materna übernachten.«

Hellberg zog seinen Ausweis aus der Tasche und hielt ihn hoch.

»Presse.«

»Trotzdem.«

»Muß das sein?« Marion beugte sich etwas vor. Ihre Bluse war zwei Knöpfe weit offen. Der Karabiniere warf einen Blick auf die gewölbte, weiße Aussicht und schnaufte. Welcher Italiener bekommt da nicht ein weiches Herz?

»Freie Fahrt!« rief der Polizist seinen Kollegen zu und winkte. »Presse!«

Und während alle anderen Wagen umgeleitet wurden und nicht nach Bari durften, erreichten Hellberg, Marion und Claudia die Hafenstadt unter einem vom Sonnenuntergang feuerroten Himmel, das Meer in Gold und Flammen getaucht.

»Bari!« sagten alle drei, als das Ortsschild auftauchte. Sie hupten zur Begrüßung und fuhren dann langsam über die Staatsstraße 16 in die ersehnte Stadt ein. Links erhob sich die gewaltige Ellipse des Stadio della Vittoria, vor ihnen erhoben sich neben den niedrigen alten Häusern die Neubauten in den glutenden Abendhimmel. Moderne Hochhäuser, Wohnblocks, Hotels, der schlanke Kirchturm der Kathedrale. Sie fuhren die Via Napoli hinunter, bogen in die Via Pizzoli ein und stellten den Wagen am Rande der Piazza Garibaldi ab.

Mit steifen Beinen kletterten sie aus dem Wagen und gingen erst ein wenig hin und her, ehe sie etwas sagten.

»Na, wie bin ich gefahren?« fragte Marion.

»Sehr gut.« Hellberg lachte befreit. »Am besten war deine offene Bluse bei Molfetta.«

»Es stimmt also wieder, daß eine Frau am Steuer alle Hindernisse überwindet. Wie, das ist gleichgültig!«

Man war in einer ausgelassenen Stimmung. Die Nervenanspannung des langen Tages auf den Landstraßen löste sich. Wie die Kinder alberten sie herum, kauften sich an einem Eiswagen Gelati Mot-ta und ließen reihum bei dem anderen lecken, denn sie hatten jeder ein verschiedenes Eis. Schokolade, Erdbeer, Pistazien.

»Und nun auf zur Zimmersuche!« sagte Hellberg, als sie das Eis gegessen hatten. »Das wird ein harter Brocken.«

Seine Ahnung trog nicht.

Bari war ein Heerlager geworden. Rund um den Hafen waren alle Hotels, Pensionen, Privathäuser, ja selbst die Lagerhäuser besetzt. Auf der Piazza Christ. Colombo standen Wohnwagen an Wohnwagen, die findige Italiener beim Einsetzen des Krankensturmes so-fort dorthin gefahren hatten und für teures Geld vermieteten. Denn kein Platz war günstiger als der Kolumbus-Platz. Links von ihm ging die breite Molo Foraneo ab, eine mit Schienensträngen übersäte künstliche Halbinsel, der Hauptumschlagplatz des Hafens von Bari. Am Ende der Mole aber lag der Ankerplatz der >Sveti Stefan<, dem Fährschiff nach Jugoslawien.

>Das Schiff der Hoffnung.<

Drei Stunden lang liefen Hellberg und die beiden Mädchen durch Baris Straßen. Durch die enge, winkelige Altstadt, durch die saubere, schachbrettartig angelegte Neustadt mit ihren breiten Boulevards, dem Corso Vittore Emanuel II., Corso Cavour und Corso Mazzini. Vom Hauptbahnhof bis zum alten Castello liefen sie, vom Fischereihafen bis zurück zur Piazza Garibaldi mit dem ewig plätschernden Brunnen und der subtropischen Pflanzenpracht. Der Verkehr brandete an ihnen vorbei. Omnibusse, Schlangen von Autos, Pferdekarren, Droschken, schreiende Kinder.

Vom Fremdenverkehrsbüro Uffizio Informazioni Corso Cavour 2 hatte Hellberg eine Liste mit Privatpensionen, kleinen Hotels und Privatzimmern erhalten.

»In den großen Hotels - unmöglich, Signore«, sagte der freundliche, aber erschöpfte Mann hinter der Theke des Fremdenverkehrsbüros. Seit Tagen und Wochen sagte er immer das gleiche. Er kam sich wie ein Papagei vor. »Alles ausgebucht. Für Wochen. Im Hotel Palace? Nicht für 1.000 Dollar, Signore. Sie glauben ja nicht, was hier los ist!«

Hellberg glaubte es. Er sah es ja. Um den Hafen herum und auch in der Stadt stauten sich die Autos mit fremden Nummernschildern. Es schien, als sei man dörferweise nach Bari gezogen. Und in allen Augen, in die er am Hafen blickte, sah er Entschlossenheit und Kampf um das nackte Leben.

Hinüber nach Jugoslawien.

Hinüber nach Sarajewo.

Die Wunderkapsel HTS.

Sechzehn Stück sollen einen Krebskranken heilen!

Sechzehn Stück!

Und heute nacht fährt wieder das Schiff über das Meer nach Dubrovnik.

Auf dem Schwarzmarkt in Bari, in den Gäßchen hinter dem Fischereihafen, verkauft man die Fährkarte schon für 100 Dollar.

Die Zimmerliste nützte Hellberg wenig. Überall, wo er hinkam, was das Zimmer schon besetzt. Aber in einem Haus in der Via Tan-zi erlebte er einen Teil des Wunders, auf das er wartete. Der Padrone, der Hauswirt, der ihm öffnete, hob sofort beide Hände, als er die Liste in Hellbergs Hand sah.

»Nix! Nix!« sagte er in richtiger Einschätzung, einen Deutschen vor sich zu haben. »Voll bis unters Dach.« Und dann zog er Hellberg in die Diele der Pension, beugte sich vor und sagte: »Billietti für Schiff, ja? Quanta? Drei ... vier.«

Hellberg hielt den Atem an. War so etwas möglich?

»Fünf.« sagte er.

»Prego.« Der Padrone griff in die Tasche. »Stück 200 deutsche Mark. Data . prego.« Er holte eine der Schiffskarten hervor. Es war die Reservierung von zwei Kabinen zweiter Klasse für eine Überfahrt nach Dubrovnik in 11 Tagen. »Macht 1.000 deutsche Mark. Hast du?«

»Ich habe!« Hellberg zählte 10 Hundertmarkscheine in die schmuddelige Hand des Padrone. Dann nahm er die Karten entgegen und verstaute sie wie einen Goldschatz in seiner Brieftasche.

»Und wo bekommen wir drei Betten?« fragte er danach. »Seit drei Stunden rennen wir herum.«

»Ich habe einen Freund.« Der Padrone riß von der Zeitung, die auf dem Tisch in der Diele lag, den Rand ab und schrieb eine Adresse darauf. »Hier, Signore. Zeigen Sie Schrift, er kennt sie. Sie werden Betten bekommen.«

»Das Wunder zweiter Teil!« sagte Hellberg, als er wieder bei den Mädchen war. »Wir haben die Karten und wir haben Betten! Wir müssen wahre Glückskinder sein!«

So kamen sie zu der Pensione Renzo. Sie lag in einer der engen, winkeligen, schmutzigen Gassen der Altstadt. Ein Haus, an dem Hellberg normalerweise schnell vorbeigelaufen wäre.

Der Hauswirt las den abgerissenen Zeitungsrand, nickte und gab den Eintritt frei.

»Dritte Etage«, sagte er. »Nummer 14. Nur ein Raum, aber mit zwei Betten. Eins kommt noch. Pro Kopf und Nacht 100.000 Lire. Drei Tage im voraus. Prego.«

Und wieder zahlte Hellberg.

Dann lagen sie alle drei erschöpft im Bett, machten sich gar nicht die Mühe, sich auszuziehen, sondern sanken so, wie sie waren, auf die Decken.

»Meine Füße.«, sagte Marion. Dann schlief sie ein, als habe man sie betäubt.

Auch Claudia, total ausgepumpt von dem stundenlangen Lauf, war nicht mehr fähig, etwas zu tun. Sie streckte sich aus und schlief schon, als der Padrone mit einem dürren Hausknecht das dritte Bett brachte und aufstellte.

Und dann - endlich - konnte sich auch Hellberg hinlegen und kam sich vor, als habe man ihm alle Knochen gebrochen.

Die Nacht sank über Bari. Über Gerechte und Ungerechte.

In dieser Nacht geschah etwas Furchtbares.

In der Pensione Renzo, auf Zimmer 15, wurde ein Mann ermordet. Der Hauswirt, der spät in der Nacht von einem Bummel durch einige Weinlokale zurückkam, sah hinter den blinden Scheiben noch Licht. Das wunderte ihn, denn der Bewohner von Nr. 15 war gerade aus Dubrovnik zurückgekehrt. Er hatte das Zimmer schon bei der Abfahrt von Bari fest bestellt gehabt. Nun war er zurückgekommen aus Sarajewo, ein glücklicher, ein strahlender, ein verjüngter Mensch.

»Ich habe die Wunderpillen!« hatte er schon im Hausflur geschrien. »Ich habe 20 Pillen! Damit kann ich meine Frau völlig heilen! 20 Pillen! Ich werde morgen der Madonna in der Kathedrale eine dicke

Kerze opfern, die dickste, die es in Bari gibt!«

Der Hauswirt stieg die drei Treppen hinauf, klopfte an die Tür von Nr. 15, legte das Ohr an das Holz, und als er nichts hörte, drückte er die Klinke herunter.

Die Tür war nicht verschlossen.

Im Schein der trüben Deckenlampe lag der Mann vor dem Tisch auf dem Boden. Um seinen Kopf hatte sich eine große Blutlache gebildet.

Der Mörder hatte ihm die Kehle durchschnitten. Eine grauenhafte Wunde zog sich fast von Ohr zu Ohr.

In der Hand hielt der Tote eine Damenhandtasche, in die sich seine Finger im Todeskampf fest verkrallt hatten.

Zehn Minuten später war die Polizei da.

Zwei Spezialisten untersuchten die Leiche, der junge Polizeioffizier löste die Tasche aus den Händen des Toten. Aufgeregt, mit beiden Armen fuchtelnd, sprach der Padrone auf ihn ein.

Und dann klopfte es an die Tür von Nr. 14. Hart, fordernd.

Hellberg fuhr aus dem Bett. Claudia und Marion richteten sich auf. »Aufmachen, Polizei!« dröhnte eine Stimme vom Flur.

Die schwarzen Fahrkarten, dachte Hellberg. Verdammt! So große Glückskinder scheinen wir doch nicht zu sein.

Er öffnete und prallte geblendet zurück. Ein Handscheinwerfer strahlte ihn an.

»Kommen Sie heraus!« sagte die schneidende Stimme wieder. Claudia und Marion folgten Hellberg in den Flur. Da sahen sie die offene Tür von Zimmer 15 und blieben mit einem Aufschrei entsetzt stehen.

Der Tote in der Blutlache.

Der grauenhafte Schnitt in der Kehle.

Und hinter ihnen sagte die schneidende Stimme:

»Sie sind verhaftet wegen Mordes! Mitkommen und Hände auf den Rücken!«

Noch geblendet von dem Handscheinwerfer und wie gelähmt von dem grauenhaften Anblick, rührten sie sich nicht. Erst, als jemand

Hellberg unsanft in den Rücken stieß und laut »Avanti! Avanti!« rief, löste sich ihre Erstarrung.

»Das dürfte doch wohl ein Irrtum sein!« sagte Hellberg erregt. »Wie kommen Sie dazu, uns.«

»Mitkommen! In Nebenzimmer.« Der junge Polizeioffizier sprach etwas Deutsch. Plötzlich war der obere Flur voller Polizeiuniformen, und harte Hände packten Hellberg und die beiden Mädchen und schoben sie in ihr Zimmer zurück. Im Nu war der Raum taghell, zwei neue Handscheinwerfer strahlten Hellberg, Claudia und Marion an. Von der Straße tönte eine Sirene. Die Mordkommission. Der Leichenwagen. Der Polizeiarzt. Die enge, winkelige Gasse war nun hellwach. Aus allen Häusern quollen die Menschen, umstanden das Mordhaus, diskutierten mit weiten Armbewegungen und südländischem Temperament.

Der Leiter der Mordkommission sah sich die Leiche noch einmal genau an und ließ sich eingehend von dem Polizeioffizier berichten, ehe er ins Nebenzimmer ging, sich hinter einen in der Zwischenzeit herbeigeholten breiten Tisch setzte und eine Brille aufsetzte.

»Sprechen Sie englisch?« begann er sein Verhör und sah Hellberg dabei an.

»Ja.« Von jetzt ab wurde nur englisch gesprochen, was auch Claudia verstand. Marion saß auf dem Bett und schüttelte immer wieder den Kopf. »So ein Blödsinn!« sagte sie. »So ein verrückter Blödsinn! Man sollte darüber lachen.«

Diese Meinung änderte sich in ein paar Minuten. Der Leiter der Mordkommission ließ keinen Zweifel, daß die Situation äußerst ernst war.

»Sie sagen, Sie hätten mit dem Mord nichts zu tun?« fragte er. »Gar nichts?«

»Sehr richtig! Ich protestiere gegen diese Unterstellung.« Hellberg trat einen Schritt vor. »Es ist absurd!«

»Sie werden gleich sehen, daß es gar nicht absurd ist, Sir. Was wollen Sie in Bari?«

»Karten zur Überfahrt nach Dubrovnik besorgen.«

»Um nach Sarajewo zu kommen?«

»Ja.«

»Zu den Wunderpillen des Dr. Zeijnilagic?«

»Ja.«

»Sie sind krebskrank?«

»Nein. Einer meiner Bekannten. Sie warten in Avezzano auf unsere Rückkehr mit den Karten.«

»Name.«

»Karl und Erika Haußmann aus Gelsenkirchen in Westdeutschland. Ich bin Journalist und heiße Frank Hellberg.«

»Ein Journalist. Sieh an!« Der Leiter der Mordkommission von Bari lächelte mokant. »Immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mord wegen 20 Wunderpillen . eine gute Schlagzeile, nicht wahr?«

»Was wollen Sie eigentlich?« rief Hellberg empört.

»Ihren Paß bitte.«

Hellberg reichte ihn hin. Der Beamte prüfte ihn und legte ihn zur Seite auf den Tisch. »Und Ihre Pässe bitte«, sagte er zu den beiden Mädchen.

Marion trat an den Tisch. Unter ihrem Bademantel trug sie hauchdünne Shorties. Während sie ging, schlug der Mantel auf und gab einen Blick auf ihre langen, schlanken Beine frei. Für einen Süditaliener ist so etwas Alibi genug, aber der Polizeichef der Mordkommission schien aus Norditalien zu kommen. Er beachtete Marions aufreizende Figur nicht einmal.

»In Ordnung!« sagte er und legte Marions Paß auf den Hellbergs.

»Und Sie, Signorina?«

Claudia suchte verzweifelt nach ihrer Handtasche. Sie sah neben und unter das Bett, sie räumte ihren kleinen Koffer völlig aus, sie kroch im Kleiderschrank herum.

»Suchen Sie etwas?« fragte der Leiter der Mordkommission.

»Meine Handtasche.« Claudia trat außer Atem an den Tisch. »Signore Capitano . ich hatte gestern abend meine Handtasche hier auf den Stuhl gelegt. Ich weiß es genau.« »Und in der Tasche war Ihr Paß?«

»Ja.«

»Ist das hier Ihre Tasche?«

Der Beamte griff unter den Tisch und hob eine Damenhandtasche hoch in das Scheinwerferlicht.

»Ja!« rief Claudia. »Das ist sie!« Ihr kleines, zartes Gesicht wurde ratlos. »Wie kommen Sie an meine Tasche? Wo war sie?«

»Der Ermordete hatte sie in der Hand«, sagte der Capitano ruhig. »Er umklammerte sie noch im Tode. Ich verhafte Sie wegen Mordes, Signorina.«

Mit einem leisen Schrei sank Claudia ohnmächtig zusammen. Zwei Polizisten trugen sie auf das Bett und stellten sich dann daneben auf, als sei das Mädchen ein gefährlicher Gewaltverbrecher. Frank Hellberg, der zu ihr eilen wollte, wurde von einem stämmigen Polizisten am Ärmel festgehalten.

»Das ist ja Wahnsinn!« schrie Hellberg. »Signorina Torgiano soll einen Mann.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Es ist nicht zu fassen, was sich Beamte ausdenken können!«

»Gehen wir weiter.« Der Capitano reagierte nicht im geringsten auf den Protest Hellbergs. »Ein Mädchen wie die Signorina ist nicht in der Lage, einen solchen Halsschnitt auszuführen. Für einen solchen sogenannten Kragenschnitt braucht man Kraft. Er wird in einem Zuge gemacht, und dazu braucht man Muskeln. Signorina Tor-giano aber ist zu zart dazu. Also haben Sie den Mann ermordet, während die Signorina vielleicht das Opfer festhielt, umklammerte, mit ihrem Körper niederdrückte.«

»Nein! Sie hat den Mann mit ihrer Handtasche erst niedergeschlagen und dann mit ihrem Büstenhalter gefesselt«, sagte Hellberg voller ironischer Bitterkeit.

Der Polizeikommissar schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Lassen Sie die albernen Witze, Sir!« brüllte er. »Die Lage, Ihre Lage ist ernst genug. Jedes Gericht wird die Tasche in der Hand des Toten als maßgebendes Indiz werten! Auch ein deutsches Gericht!«

»Und warum wohl sollten wir den Mann von nebenan ermordet haben?«

»Wegen der Wunderpillen aus Sarajewo. Er hatte 20 Stück bekommen und wollte morgen weiter nach Rom. Und Sie haben vorhin selbst gesagt, daß Sie nach Sarajewo wollen, um diese Pillen zu holen! Da Sie keine Schiffskarten mehr bekamen, war der Weg hier einfacher. Hinein ins Nebenzimmer, Kehle durchgeschnitten.«

»O Himmel!« Hellberg schlug sich wieder gegen die Stirn. »Sie sollten Kriminalromane schreiben, Capitano! Ich habe ja die Schiffskarten!«

»Wo?« Man sah an den Augen des Kommissars, daß er unsicher wurde. Hellberg griff in die Brieftasche und zog seinen großen Schatz hervor. Der Capitano warf einen Blick darauf. Sein Gesicht entspannte sich wieder.

»Das sind plumpe Fälschungen!« sagte er.

Es war Hellberg, als habe ihn jemand von hinten mit einem Hammer gegen den Kopf geschlagen. »Nein.«, stammelte er. »Das ist unmöglich. Ich habe.«

»Sie haben einen hohen Betrag schwarz dafür bezahlt, nicht wahr? Man hat Sie betrogen - falls Sie die Karten nicht als gutes Alibi selbst anfertigten.«

»Ich kann Ihnen die Adresse nennen, wo ich sie gekauft habe. Es ist ein Freund des Hauswirtes. Er hat mir sogar einen Zettel mitgegeben, sonst hätten wir nie das Zimmer bekommen.«

»Warten Sie, Sir.«

Der Kommissar ging hinaus. Auf dem Flur hörte man einen erregten Wortwechsel, der lauter und lauter wurde. Dann kam der Ca-pitano herein und setzte sich. Seine verschlossene Miene ließ nichts Gutes vermuten.

»Der Padrone sagt aus und ist bereit, es zu beeiden, daß er von Ihnen nie einen Zettel bekommen hat. Er hat überhaupt keinen Freund, der Schiffskarten, und dazu noch gefälschte, verkaufen könnte. Er sagt aus, daß Sie und die beiden Damen bei ihm klingelten, und da er noch ein Zimmer frei hatte und Sie alle so erschöpft aussahen, habe er Ihnen das Zimmer gegeben.« »Ich habe die Adresse seines Freundes!« Hellberg suchte mit zitternden Fingern die Liste des Fremdenverkehrsvereins von Bari. Als er sie fand, zeigte er dem Capitano den Namen der Pension in der Via Tanzi. Ein Polizist verließ das Zimmer mit der Weisung, nachzusehen, ob es Wahrheit war.

»Wäre es nicht besser, Sie legen ein Geständnis ab?« fragte der Kommissar.

Hellberg starrte ihn an, als käme er von einem anderen Stern. »Was soll ich denn gestehen?«

Auf dem Bett erwachte Claudia aus ihrer Ohnmacht. Ein Polizist flößte ihr Rotwein ein, der um diese Jahreszeit billiger war als Wasser, das man rationierte. Dann begann sie zu husten, ein trockener, bellender Husten, der den Capitano aufhorchen ließ. Er sah hinüber zu dem sich auf dem Bett krümmenden Mädchen.

»Die Signorina ist auch krank?«

»Ja. Sie hat Lungenkrebs!« antwortete Hellberg hart.

»Ist die Lage nicht sonnenklar, Sir?« Der Capitano steckte die Pässe Hellbergs und Marions in eine Aktenmappe. »Sie redeten immer nur von Ihren Bekannten, die in Avezzano warten. Von der Signorina haben Sie nichts erzählt.«

»Weil Sie nicht danach fragten!«

»Die alte, immer wieder dumme Ausrede.« Der Kommissar winkte lässig ab. »Sie brauchten die Pillen jetzt! Für die Signorina. Dann die gefälschten Passagekarten, die niemand verkauft haben will . denn Sie glauben doch nicht, daß der Pensionsbesitzer in der Via Tanzi >Ja< sagt?!«

»Nein.«

»Na also!« Der Capitano erhob sich und winkte. Je zwei Polizisten stellten sich neben Hellberg, Marion und Claudia. »Kommen Sie mit. Morgen früh werden wir die Verhöre fortsetzen. Bis dahin haben Sie Zeit, sich die Wahrheit zu überlegen.«

»Wird diese dumme Komödie tatsächlich noch weitergespielt?« rief Marion erregt. Von der englischen Unterhaltung hatte sie nur einige Worte verstanden, aber den Zusammenhang nicht begriffen.

»Es scheint so.« Hellberg wandte sich an den Leiter der Mordkommission. »Ich bitte um sofortige Benachrichtigung des deutschen Konsulats in Neapel und um einen Anwalt!«

»Morgen früh, wie Sie wollen, Sir.« Der Capitano machte eine kleine, höfliche Verbeugung. »Bis dahin bitte ich Sie, meine Gäste zu sein.«

Das war nicht ironisch gemeint, sondern wirklich höflich. Erst der überführte Mörder ist ein wirklicher Mörder.

Unter dem Geschrei der Nachbarn und der Kinder, die trotz der nächtlichen Stunde wieder auf der Gasse waren, unter Drohungen und geschwungenen Fäusten wurden Hellberg, Claudia und Marion mit einem Polizeiwagen abtransportiert. Der Tote war schon fortgeschafft. Der Hausdiener scheuerte bereits den Boden von Zimmer Nr. 15. Es war eine scheußliche Arbeit. Das Blut war in die Ritzen der Dielen gelaufen und mußte mit einem Messer herausgekratzt werden.

Am nächsten Morgen wurden auf der Molo Foraneo, an den wartenden Wohnwagen, von einem mittelgroßen, bärtigen Mann in schäbiger, abgetragener Kleidung 20 Kapseln HTS, das Wundermittel gegen den Krebs von Dr. Zeijnilagic aus Sarajewo, zum Kauf angeboten. Ein Ehepaar aus Marseille kaufte sie für ihren krebskranken Sohn und bezahlte 3.000 neue Francs dafür. Überglücklich fuhren sie sofort von Bari ab. Ihr Sohn Marcel lag seit 6 Monaten in der Klinik von Marseille. Lymphogranulomatose, lautete die Diagnose. Unheilbar.

Nun glaubten sie, das Leben in der Hand zu haben. In einer Tüte, 20 Kapseln HTS.

Die Mutter weinte vor Glück, als sie aus der Hand des mittelgroßen, bärtigen Mannes die Tüte bekam.

Aus einer Hand, an der Blut klebte.

Aber wer sah es?

Erika Haußmann hatte sich von ihrem Selbstmordversuch erholt.

Die Herzspritzen des alten Landarztes und eine Olivenölkur, die einen radikalen Durchfall erzeugte, aber dadurch den gesamten Darm von Giftstoffen reinigte, retteten ihr das Leben. Nach fünf Tagen konnte sie wieder das Zimmer verlassen. Gestützt auf ihren Mann Karl ging sie in den Garten, legte sich in den Liegestuhl unter den Sonnenschirm und atmete tief die mit Blütenduft und Geruch von gemähtem Gras geschwängerte Luft.

Von der kritischsten Stunde ihres Lebens sprachen sie nicht. Karl Haußmann umsorgte Erika mit rührender Tolpatschigkeit, so wie es Männer immer tun, wenn sie etwas gutzumachen haben. Er holte ihr Eis und eisgekühlte Fruchtsäfte, er kaufte in Avezzano die besten Backwaren, ließ saftige Steaks für sie braten und den zartesten Salat anrichten. Am siebenten Tag mietete er einen Karren mit zwei Mauleseln und ließ Erika durch die herrliche Landschaft fahren. Durch Weinberge und Gemüsefelder, zum Fluß Aterno und den Bewässerungskanälen des Tieflandes von Trasacco, das früher einmal sumpfig war und nun ein blühender Garten.

Es war ein herrlicher Tag. In einem Ristorante, dessen Pergola aus einem Dach von Weinranken bestand, aßen sie eine Minestrone und tranken einen herrlichen, leicht süßen, rubinroten Wein. Und hier erst brach Erika ihr Schweigen über das Vorgefallene.

»Wie hast du bemerkt, was ... was ich getan habe?« fragte sie.

Karl Haußmann zuckte zusammen.

»Fräulein Gronau entdeckte es.«

»Marion? Was hatte sie denn in unserem Schlafzimmer zu suchen?«

»Sie sah den Schlüssel von draußen stecken, und die Tür war nur angelehnt. Das kam ihr komisch vor. Und ich hatte ja einen gehörigen Schwips, als ich 'raufkam.« Haußmann sah in sein Glas. Die Minuten der damaligen Nacht kamen aus der Erinnerung zurück, bedrückend und anklagend. »Sie sah dich halb aus dem Bett hängen. Da hat sie mich geweckt. Zuerst wußte ich gar nicht, was los war. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Dann hat Hellberg den Arzt geholt, und Fräulein Gronau hat sich rührend um dich gekümmert. Ich war ja unfähig dazu.« »Dann verdanke ich also ihr, daß ich lebe?«

»Gewissermaßen ja.«

Erika schwieg. Warum hat sie mich nicht sterben lassen, dachte sie verwundert. Der Weg zu Karl wäre doch dann frei gewesen. Oder war es ihr bloß unangenehm, auf solche Weise das Erbe antreten zu können?

Als sie nach Avezzano zurückkamen, erwarteten sie zwei Männer in hellbeigen Maßanzügen. Sie saßen vor dem Gasthaus bei einer Flasche Wein und erhoben sich sofort, als der Wagen mit den Mauleseln hielt.

»Dolcare«, stellte sich der erste der Männer vor. »Polizeiinspektor Dolcare aus L'Aquila. Das ist mein Assistent Falcioni.« Dolca-re sprach ein holpriges Deutsch, durchsetzt mit italienischen Ausdrücken, aber man konnte ihn gut verstehen. »Prego, nicht erschrecken, Signora. Nur eine kleines Frage. Formsache, wie man sagt. Können wir nehmen Platz an dieses Tisch?«

»Ich weiß zwar nicht, daß wir Apfelsinen geklaut haben«, sagte Karl Haußmann mit gezwungenen Humor, »aber wenn es nötig ist: Bitte, ich gestehe alles.« Er lachte laut. Man setzte sich an den runden Tisch, der Wirt brachte noch zwei Gläser, und zuerst trank man gemeinsam ein Glas Wein. Das hebt die Stimmung und macht freier.

»Nur einiges Fragen, Signore«, sagte Inspektor Dolcare und zog aus der Tasche einen Brief. Es war ein amtliches Schreiben, wie Haußmann am Kopf und an den Stempeln sah. »Welches Wagen fahren Sie?«

»Type oder Nummer?«

»Due, Signore.«

»Ich habe einen hellblauen Mercedes 220 mit der Nummer GE -MZ 921.«

»Und wo ist Wagen jetzt?«

»Aha!« Haußmann sah Erika an. »Da hat der Frank einen Unfall gebaut, paß mal auf.« Und zu Dolcare sagte er: »Wenn alles normal verlaufen ist, muß er längst in Bari sein.« »Ist er, Signore.«

»Und dort hat's geknallt.«

»Prego? Ich nicht.« Dolcare hob beide Hände.

»Ein Unfall? Bum. Aus!« Haußmann ließ beide Fäuste zusammenprallen. Eine Sprache, die jeder versteht im Zusammenhang mit Autos. Dolcare lächelte mild.

»Niente, Signore. Auto nix kaputt. Auto steht auf der Piazza Garibaldi in Bari. Plombiert.«

»Warum das denn?« Haußmann wurde unsicher. Wenn die Polizei etwas plombiert, dann ist es etwas Ernstes.

»Wer fuhr Auto?« fragte Dolcare weiter.

»Ein Bekannter. Frank Hellberg. Ein Journalist.«

»Und wer hat gefahren mit?«

»Fräulein Marion Gronau und ein Fräulein Claudia Tortelle oder Torrosa oder so.«

»Torgiano.«

»Richtig!«

»Sie werden können bürgen für sie?«

»In jeder Höhe!« Haußmann lächelte wieder. Geld, dachte er. Die haben kein Geld mehr. Wer weiß, was da passiert ist. Vielleicht ist es ihnen gestohlen worden. Und nun sitzen sie irgendwo fest und haben uns als Bürgen genannt. Na, wir werden es ja gleich erfahren.

»Wo sind sie, Herr Inspektor?« fragte Karl Haußmann und griff in die Brusttasche. »Wieviel Geld brauchen sie?«

»Nix Lire, Signore. Signore Hellberg ist in Bari. Verhaftet mit den Signorinas.«

»Verhaftet? Aber wieso denn?« stotterte Karl.

»Wegen Mordes.«

Es war, als habe zwischen ihnen ein Meteor eingeschlagen. Karl starrte Erika an, und er sah in ihren Augen die gleiche Verblüffung wie bei sich. Sekundenlang waren sie unfähig, etwas zu sagen, aber dann plötzlich begann Haußmann zu lachen und schlug sich auf die Schenkel.

»Inspektor!« rief er und holte tief Atem. »So einen herrlichen Blödsinn habe ich selten gehört!«

»Sie haben ermordet Mann, der 20 Tabletten HTS mitgebracht hat aus Sarajewo.« Dolcare war sehr ernst, als er das sagte. »Mann war im Nebenzimmer von Pensione. Er hatte Tasche von Signori-na Torgiano in Hand.«

Erika Haußmann schüttelte den Kopf. »Das ist doch alles nur eine Verwechslung. So etwas kann man doch im Ernst nicht glauben.«

»Man will Sie anhören in Bari. Wann können Sie abfahren?«

»Sofort!« Haußmann sprang auf. »Aber womit? Mein Wagen ist ja in diesem Bari!«

»Signore Falcioni wird Sie gerne hinbringen.« Inspektor Dolcare sah zu dem erregten Haußmann hinauf. »Vielleicht wirklich nur alles Irrtum, Signore. Aber Indizien . man muß tun seine Pflicht, nicht wahr?«

»Natürlich.« Haußmann sah auf seine Frau. »Fühlst du dich auch wirklich stark genug, um schon zu fahren? Verdammt noch mal . wenn einmal der Wurm drin ist.«

»Es wird schon gehen, Karli.« Erika lächelte ermunternd. »Wer weiß, in welcher Situation unsere Freunde sind.«

Eine Stunde später fuhr Kriminalsergeant Falcioni die Haußmanns mit einem kleinen, weißen Fiat nach Bari. Da der Kofferraum nicht ausreichte, hatte man die Hauptlast des Gepäcks auf das Dach geschnallt.

Nur wer schon einmal mit einem Italiener gefahren ist, weiß, was Karl und Erika Haußmann in den nächsten Stunden aushielten. Es gab keine Kurven, in die man nicht hineinflog; es gab keine Serpentinen, die man nicht mit kreischenden Reifen nahm; es gab Engpässe, in die man laut hupend hineinraste, und wenn die Straße gerade war, beugte sich Falcioni über das Lenkrad und wurde zum Rennfahrer.

Dreimal kippte der kleine Wagen fast um, weil in scharfen Kurven die Dachlast verrutschte und das Gepäck herunterhing. Dann stieg Signore Falcioni seelenruhig aus, zurrte alles wieder fest, lächelte verzeihend zu Erika, machte mit weiten Armbewegungen klar, daß alles gar nicht so schlimm sei, sah auf seine Uhr, rief:»Madonna mia!«, sprang hinter das Steuerrad und gab Gas.

»Und da meckerst du immer, wenn ich ein bißchen scharf fahre«, sagte Karl Haußmann und hielt sich am Türgriff fest.

»Ich werde nie mehr etwas sagen, Karli, wenn wir heil in Bari ankommen.« Erika schloß die Augen. Sie rasten quer durch den Apennin. Eine Bergstraße, links ein unbefestigter Abgrund, rechts ein schroffer Felshang.

Falcioni hupte wie ein Irrer und jagte die Straße hinauf. Dabei pfiff er vor sich hin und war anscheinend sehr vergnügt und zufrieden mit seinem donnernden und fauchenden Auto.

Was Haußmann nie geglaubt hatte: Sie schafften es, heil und noch an diesem Tage nach Bari zu kommen. Allerdings war es schon dunkel, als sie die Via Napoli hinunterrasten und kreischend zur Piazza Garibaldi abbogen. Dort stand unter einer Platane der hellblaue Mercedes mit der Gelsenkirchener Nummer.

»Mein Wagen!« rief Haußmann und klopfte gegen die Scheibe. »Da steht er ja! Halt! Halt!«

Sergeant Falcioni nickte und lachte. »Capito!« rief er. »Erst Poli-cia!«

Und weiter rasten sie durch das nächtlich erleuchtete, elegante, aus Tausenden Lichtern glitzernde, reiche Bari. Corso Vittore Emanuel II . um die Ecke wie ein Irrer in die Via Sparano . hinunter zur Piazza Umberto.

Das Haus der Kriminalpolizei. Unscheinbar. Eine Toreinfahrt. Falcioni hupte, bog in vollem Tempo auf das Haus, durchraste die Toreinfahrt, es gab einen Schlag, als das Gepäck vom Dach gerissen wurde, denn die zweiteiligen Tore waren nur unten geöffnet worden, dann flogen Erika und Karl nach vorn gegen die Sitze und stellten erschöpft und in den Knien zitternd fest, daß die Fahrt endlich ein Ende hatte.

»Ich sage nie mehr was, Karli.«, stammelte Erika, als sie auf sicherem Boden im Hof des Hauses stand. »So etwas könnte ich nicht noch einmal ertragen.«

»Und dabei ist die Unfallziffer in Italien geringer als bei uns.« Haußmann streckte sich. »Ich komme mir vor wie ein vom Schafott Geretteter.«

»Bitte mitkommen!« sagte ein Beamter, der aus einer Seitentür in den Hof kam. »Der Capitano erwartet Sie schon.«

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