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Die Dämmerung war kalt und grau. Ein paar Regenschauer zogen noch über das gepflügte Feld, doch Hook spürte, dass die starken Niederschläge vorüber waren. Nebel hing über den Ackerfurchen und in den tropfenden Bäumen.
Die Trommler hinter dem Zentrum der englischen Linie schlugen einen schnellen Rhythmus, der von lebhaften Trompetentönen verstärkt wurde. Die Musiker standen in der Nähe des königlichen Banners, dem größten der Armee, das von dem Sankt-Georgs-Kreuz, dem Banner Edwards des Bekenners, und der Flagge der Holy Trinity begleitet wurde. Diese vier Banner, alle an besonders langen Stangen befestigt, befanden sich in der Mitte der Schlachtordnung, während die Flanken, die Vorhut und die Nachhut die Banner ihrer Befehlshaber mitführten. Wenigstens fünfzig weitere Standarten wehten über Henrys Feldkämpfern, doch das war nichts im Vergleich zu der Masse von Seide und Leinen, mit denen die Franzosen aufmarschiert waren. «Zählt die Banner», hatte Thomas Evelgold vorgeschlagen, um die Anzahl der Franzosen abschätzen zu können, «und geht davon aus, dass jede Flagge einen Lord mit zwanzig Männern bedeutet.» Manche französische Herren hätten vielleicht weniger Feldkämpfer und die meisten bei weitem mehr, doch Thomas Evelgold war sicher, dass seine Methode eine Schätzung zur Größe des feindlichen Heeres zuließ. Sogar Hook mit seinen guten Augen konnte die unterschiedlichen Flaggen jedoch nicht auseinanderhalten: Es waren schlicht zu viele. «Da sind Tausende von diesen Bastarden», sagte Evelgold trostlos, «und seht euch all diese gottverdammten Armbrustschützen an!» Die französischen Armbrustschützen standen an den Flanken, doch viele waren auch weit hinter der Linie der Feldkämpfer aufgestellt worden.
«Ihr wartet!», rief ein älterer Feldkämpfer mit grauem Haar, der auf einem schlammbespritzten Wallach saß, den Bogenschützen zu. Er war einer der zahlreichen Männer, die Befehle weitergaben und Ratschläge erteilten. «Ihr wartet», rief er erneut, «bis ich meinen Stab in die Luft werfe!» Der Mann hielt einen kurzen, dicken Stab empor, der mit einem grünen Tuchstreifen umwunden und mit goldenen Kreuzblumen gekrönt war. «Das ist das Signal zum Abschießen der Pfeile! Niemand darf vorher schießen! Ihr achtet auf meinen Stab!»
«Wer ist das?», fragte Hook Evelgold.
«Sir Thomas Erpingham.»
«Und wer ist Sir Thomas Erpingham?»
«Der Mann, der den Stab wirft», sagte Evelgold.
«Ich werde ihn hoch in die Luft werfen!», rief Sir Thomas. «So! Seht ihr?» Er warf den Stab schwungvoll hoch, sodass er sich weit über ihm um sich selbst drehte. Als er wieder herunterfiel, wollte er nach ihm greifen, doch er verfehlte ihn. Hook überlegte, ob das ein böses Omen war.
«Heb ihn auf, Horrocks», sagte Evelgold, «und zwar ein bisschen hurtig!» Horrocks konnte nicht rennen, weil in den gepflügten Furchen der feuchte Schlamm stand. Er sank bis zu den Knöcheln darin ein, doch er hob den grünen Stab auf und reichte ihn dem grauhaarigen Ritter. Sir Thomas dankte ihm und ritt dann weiter an der Linie der Bogenschützen entlang, um seine Anweisungen zu wiederholen. Sir Thomas' Pferd hatte sehr mit dem morastigen Grund zu kämpfen. «Sie müssen den Pflug sehr tief angesetzt haben», sagte Evelgold.
«Winterweizen», sagte Hook.
«Was hat das damit zu tun?»
«Pflüge immer tief für die Wintersaat», erklärte Hook.
«Ich habe mit dem Pflügen noch nie etwas zu tun gehabt», sagte Evelgold. Er war Gerber gewesen, bevor er zu Sir Johns Ventenar ernannt worden war.
«Pflüge im Herbst tief und im Frühling flach», sagte Hook.
«Ich vermute, damit ersparen es sich die Bastarde zugleich, für uns Gräber ausheben zu müssen», knurrte Evelgold mürrisch. «Sie können uns einfach in diese breiten Furchen rollen und ein bisschen Erde über uns scharren.»
«Es klart auf», sagte Hook plötzlich. Im Westen, über den Mauern der Burg Azincourt, die gerade eben den Wald überragten, wurde der Himmel heller.
«Dann bleiben wenigstens die Bogensehnen trocken», bemerkte Evelgold, «und das bedeutet immerhin, dass wir ein paar von den gottverdammten Bastarden umbringen können, bevor sie uns abschlachten.»
Der Feind zog mehr Banner auf als die Engländer und hatte auch mehr Musiker. Die englischen Trompeter spielten kurze, herausfordernde Tonfolgen und hielten dann inne, um den Trommlern Zeit für ihre abgehackten, drängenden Rhythmen zu geben. Die französischen Trompeter dagegen hörten gar nicht auf zu spielen. Ihre Klänge bohrten sich kreischend mit dem kalten Wind in die Ohren der Engländer. Der größte Teil der französischen Armee war zu Fuß, ebenso wie die Engländer, doch an jedem Flügel sah Hook eine Heerschar Ritter mit ihren Pferden. Die Pferde trugen lange Leinenüberwürfe, die mit den Wappen der Ritter bestickt waren. Ihre Reiter versuchten sie warm zu halten, indem sie die Tiere auf und ab führten. Lanzen stachen in die Luft. «Bald greifen die verdammten Bastarde an», sagte Tom Scarlet.
«Vielleicht», sagte Hook, «vielleicht aber auch nicht.»
Halb wünschte er, dass die Franzosen kämen, damit die Qualen schnell ein Ende hätten, und halb wünschte er, sicher zurück in England zu sein und im warmen Bett zu liegen.
«Bespannt die Bögen nicht, bevor sie angreifen», rief Evelgold Sir Thomas' Bogenschützen zu. Diesen Rat hatte er schon wenigstens sechs Mal wiederholt, doch keiner der Bogenschützen achtete darauf. Sie zitterten in der Kälte und behielten den Feind im Auge. «Scheiße!», fügte Evelgold hinzu.
«Was ist denn?», fragte Hook aufgeschreckt.
«Bin grade in welche reingetreten.»
«Das bringt doch angeblich Glück», sagte Hook.
«Dann tanze ich am besten gleich im verdammten Dreck.»
Priester standen zwischen den Bogenschützen, um die Messe zu lesen, und einer nach dem anderen gingen die Männer zu ihnen, um das Brot des Lebens und die Vergebung ihrer Sünden zu erhalten. Der König hatte sich für alle gut sichtbar barhäuptig in der Mitte der Schlachtordnung vor die erste Linie und vor einen seiner Kapläne gekniet. Zuvor hatte er die gesamte Linie auf einem zierlichen weißen Pferd abgeritten, und die vergoldete Krone, die er über seinem Kampfhelm trug, hatte im Licht des Morgens unnatürlich hell gefunkelt. Er hatte die Aufstellung der Männer korrigiert und sich hier und da aus dem Sattel gebeugt, um mit einem Rütteln zu prüfen, ob der Stock eines Bogenschützen auch fest genug im Grund steckte. «Gott ist mit uns, meine Gefährten!», hatte er den Bogenschützen zugerufen. Einige hatten sich aus Ehrerbietung hinknien wollen, doch er hatte sie mit einer Handbewegung zum Stehenbleiben aufgefordert. «Gott ist auf unserer Seite! Habt Zuversicht!»
«Ich wünschte, Gott hätte ein paar mehr Engländer hierhergeschickt», wagte eine Stimme aus den Reihen der Bogenschützen zu rufen.
«Das muss niemand wünschen!» Der König klang bei dieser Erwiderung geradezu fröhlich. «Gottes Fürsorge ist alles, was wir brauchen! Wir sind genug Männer, um Sein Werk zu verrichten!»
Hook betete zu Gott, dass der König recht haben möge, während er sich vor Pater. Christopher kniete. Der trug ein schwarzes Priestergewand und darüber eine schlammbespritzte Kasel, einen ärmellosen Messüberwurf, der über und über mit weißen Tauben, grünen Kreuzen und den roten Löwen der Cornewailles bestickt war. «Ich habe gesündigt, Vater», sagte Hook, und dann beichtete er, was er noch nie zuvor jemandem erzählt hatte: dass er Robert Perrill ermordet hatte und plante, auch noch Thomas Perrill und Sir Martin umzubringen. Es fiel ihm schwer, die Worte über die Lippen zu bringen, doch Hook war der Überzeugung, dass dies sein letzter Tag auf Erden wäre.
Pater Christophers Hände erstarrten auf Hooks Kopf. «Warum hast du diesen Mord begangen ?»
«Die Perrills haben meinen Großvater, meinen Vater und meinen Bruder ermordet», sagte Hook.
«Und nun hast du einen von ihnen ermordet», sagte Pater Christopher ernst. «Nick. Das muss ein Ende haben.»
«Ich hasse sie, Pater.»
«Heute ist ein Tag des Kampfes», sagte Pater Christopher, «und du solltest zu deinen Feinden gehen, um ihre Vergebimg bitten und deinen Frieden machen.» Der Priester hielt inne, doch Hook sagte nichts. «Andere Männer tun das», fuhr Pater Christopher fort. «Sie suchen nach ihren Feinden und machen ihren Frieden miteinander. Auch du solltest das tun.»
«Ich habe versprochen, ihn nicht in der Schlacht zu töten», sagte Hook.
«Das genügt nicht, Nick. Willst du mit Hass in deinem Herzen vor Gott treten?»
«Ich kann mit ihnen keinen Frieden schließen», sagte Hook. «Nicht mehr, denn sie haben Michael umgebracht.»
«Christus hat Seinen Feinden vergeben, Nick, und wir sollen werden wie Christus.»
«Ich bin nicht Christus, Pater, ich bin Nick Hook.»
«Und Gott liebt dich», sagte Pater Christopher seufzend. Dann machte er das Kreuzeszeichen über Nicks Kopf. «Du wirst weder den einen noch den anderen ermorden, Nick. Das ist ein göttliches Gebot. Hast du mich verstanden? Du wirst nicht mit Hass in deinem Herzen in die Schlacht gehen. Nur dann wird Gott mit Wohlgefallen auf dich herabblicken. Versprich mir, dass du nicht an Mord denken wirst, Nick.»
Es war ein schwerer Kampf. Hook schwieg eine Weile, dann nickte er unvermittelt. «Ich werde sie nicht umbringen, Pater», sagte er unglücklich.
«Nicht heute, nicht morgen, nicht irgendwann. Schwörst du das?»
Hook dachte an die langen Jahre voller Hass, daran, wie er Sir Martin und Thomas Perrill verabscheute, und dann dachte er daran, was ihm an diesem Tag bevorstand, und er wusste, dass er Pater Christopher dieses feierliche Versprechen geben musste, wenn er in den Himmel kommen wollte. Wieder nickte er. «Ich schwöre es», sagte er.
Pater Christophers Hände schlossen sich um Hooks Kopf. «Deine Buße ist es, heute gut zu schießen, Nicholas Hook. Schieße gut für Gott und für deinen König. Te absolvo», sagte er. «Deine Sünden sind vergeben. Und jetzt sieh mich an.»
Hook blickte auf. Der Regen hatte endlich aufgehört. Er sah Pater Christopher in die Augen, während der Priester ein Stück Kohle nahm und begann, sorgfältig damit auf Hooks Stirn zu schreiben. «So», sagte er, als er fertig war.
«Was ist das, Pater?»
Pater Christopher lächelte. «Ich habe IHC Nazar auf deine Stirn geschrieben. Manche Leute glauben, das bewahre einen vor einem plötzlichen Tod.»
«Was bedeutet es, Pater?»
«Es ist der Name Christi, des Nazareners.»
«Schreibt ihn auch auf Melisandes Stirn, Pater.»
«Das werde ich, Hook, gewiss werde ich das. Und jetzt bereite dich auf den Leib Christi vor.» Hook erhielt das Sakrament und dann, ebenso wie es andere Männer taten und wie es der König getan hatte, nahm er ein Bröckchen nasser Erde und schluckte es mit der Hostie zum Zeichen dafür, dass er auf den Tod vorbereitet war. Er war bereit, die Erde zu empfangen, wie die Erde möglicherweise ihn würde empfangen müssen. «Gott segne dich, Nick», sagte Pater Christopher.
«Ich hoffe, wir sehen uns wieder, wenn es vorüber ist, Pater», sagte Hook und zog den Helm über seine Kettenhaube.
«Auch ich bete darum», sagte der Priester.
«Die Kackefresser müssen bald kommen», knurrte Will of the Dale, als Hook wieder bei seinen Männern ankam. Doch die Franzosen ließen durch nichts erkennen, dass sie angreifen wollten. Sie warteten ab, und ihre dichten Reihen füllten den Raum zwischen den beiden Wäldern fast vollständig aus. Die englischen Herolde, prächtig anzusehen mit ihren Gewändern und ihren weißen Stäben, waren auf das Feld geritten und hatten sich in der Mitte mit den französischen und burgundischen Herolden zusammengeschlossen. Nun saß die bunte Gruppe auf ihren Pferden in der Nähe des Waldrandes bei einer baufälligen Hütte mit bemoostem Dach. Sie würden die Schlacht gemeinsam beobachten und an ihrem Ende den Gewinner bestimmen.
«Los, ihr gottverdammten Bastarde, kommt schon», knurrte ein Mann.
Doch die gottverdammten Bastarde kamen nicht. Ihre Trompeten heulten, aber die langen stählernen Reihen rückten nicht vor. Sie warteten. Sie ritten die Pferde mit den bunt leuchtenden Überwürfen auf und ab, um die Armbrustschützen zu verstecken, die hinter der französischen Kampflinie positioniert waren. Als für einen kurzen Moment die Sonne durch die Wolken brach, sah Hook in der Mitte der französischen Aufstellung die Oriflamme, die rote, gegabelte Kriegsfahne, die den Franzosen verkündete, dass keine Gefangenen gemacht werden sollten. Tötet sie alle.
«Evelgold! Hook! Magot! Candeler!» Nun war es an Sir John Cornewaille, vor die Bogenschützen zu treten. «Kommt her! Nur ihr vier!»
Hook fand sich mit den drei anderen zusammen. Es war unglaublich schwer, die tiefen Ackerfurchen zu überqueren, weil sich der Lehmgrund in einen tückischen rötlichen Schlamm verwandelt hatte, der sich sofort schmatzend um die Stiefel schloss. Für Sir John war es noch schwieriger, denn er trug seine vollständige Plattenrüstung, sechzig Pfund Stahl, sodass er beim Gehen beinahe zu taumeln schien und bei jedem einzelnen Schritt mit seinen stahlbeschlagenen Stiefeln gegen das saugende Erdreich kämpfen musste. Sir John arbeitete sich bis zu einer Stelle vor, die vierzig oder fünfzig Schritte vor der Linie der Bogenschützen lag, und wartete dort auf seine Sergeanten. «Ihr müsst immer auch einen Blick auf eure eigene Armee werfen», grüßte er sie. «Damit ihr sie mit den Augen des Feindes sehen könnt. Also, seht sie euch an.»
Hook wandte sich um und betrachtete die schlammverdreckte, zerlumpte, erschöpfte Armee. Seine Armee. Die Mitte der Aufstellung bestand aus drei Kampfeinheiten, die jeweils etwa dreihundert Feldkämpfer umfassten. Die mittlere wurde vom König befehligt, die rechte von Lord Camoys und die linke vom Duke of York. Zwischen den drei Einheiten standen kleine Bogenschützen-Verbände, während die großen Bogenschützen-Einheiten an den Flanken aufgezogen waren. Die beiden Flankengruppen mit ihren Stöcken waren im leichten Winkel zur mittleren Kampfgruppe positioniert, sodass ihre Pfeile von der Seite auf die Feinde treffen würden. «Was werden die Franzosen also tun?», wollte Sir John wissen.
«Angreifen», sagte Evelgold mürrisch.
«Aber wann, und wen werden sie angreifen?», fragte Sir John schroff. Keiner der vier Bogenschützen antwortete. Stattdessen betrachteten sie ihre kleine Armee und konnten sich nicht denken, welche Antwort Sir John erwartete. «Denkt nach!», knurrte Sir John und ließ den Blick seiner hellblauen Augen über seine Sergeanten schweifen. «Ihr seid Franzosen! Ihr lebt in einem verdreckten Herrenhaus. Die Ratten hausen in den feuchten Mauern, und die Mäuse tanzen im Gebälk. Was wollt ihr?»
«Geld», brachte Hook vor.
«Also, was greifst du an?»
«Die Flaggen», sagte Thomas Evelgold.
«Weil dort das Geld ist», sagte Sir John. «Die gottverdammten Bastarde haben die Oriflamme gehisst», fuhr er fort, «aber das bedeutet gar nichts. Sie wollen Gefangene machen. Sie wollen reiche Gefangene. Sie wollen den König, den Duke of York, den Duke of Gloucester, sie wollen mich, sie wollen Lösegelder! Es bringt keinen Gewinn, Bogenschützen abzuschlachten, also werden die Bastarde die Feldkämpfer angreifen. Sie werden die Flaggen angreifen, aber ein paar könnten sich auch gegen euch wenden, also treibt ihr sie mit euren Pfeilen in die Mitte. Das habt ihr zu tun! Treibt ihre Flanken in die Mitte. Denn dort kann ich sie töten.»
«Wenn wir ausreichend Pfeile haben», sagte Evelgold zweiflerisch.
«Dann spart euch genügend auf!», erwiderte Sir John nachdrücklich, «denn wenn euch die Pfeile ausgehen, müsst ihr sie Mann gegen Mann bekämpfen, und sie sind darin geübt, ihr aber nicht.»
«Ihr habt uns den Zweikampf üben lassen, Sir John», sagte Hook und dachte an den Winter voller Übungen mit Schwertern und Äxten.
«Du bist darin vielleicht halb ausgebildet, aber die anderen Bogenschützen?» Hook warf einen Blick auf die wartenden Bogenschützen und wusste, dass sie keine ernstzunehmenden Gegner für die Franzosen waren. Sie waren Bogenschützen, Schneider und Schuhmacher, Walker und Zimmerleute, Müller und Schlachter. Sie waren Handwerker mit überaus großem Geschick, konnten die Sehne eines Eibenbogens bis zu ihrem Ohr spannen und einen Pfeil auf seine todbringende Reise schicken. Sie konnten töten, doch sie waren nicht für den Krieg gestählt, weder durch Turniere noch durch die Übung am Schwert von Kindesbeinen an. Viele von ihnen besaßen keine andere Rüstung als eine gepolsterte Jacke, und manche hatten nicht einmal diesen schwachen Schutz. «Gott verhüte, dass die Franzosen unter ihnen wüten!», sagte Sir John.
Darauf sagte keiner der Sergeanten etwas. Sie dachten an das, was geschehen würde, wenn die französischen Feldkämpfer in ihren Panzerrüstungen kämen, um sie zu töten. Hook erschauerte und wurde dann von fünf Reitern abgelenkt, die unter dem englischen Königsbanner auf die wartende französische Armee zuritten. «Was haben sie vor, Sir John?», fragte Evelgold.
«Der König hat sie mit einem Friedensangebot losgeschickt», sagte Sir John. «Die Franzosen sollen Henry die Krone abtreten. Im Gegenzug erklären wir uns bereit, sie nicht abzuschlachten.»
Evelgold starrte Sir John an, als traue er seinen Ohren nicht. Hook unterdrückte ein Lachen, und Sir John zuckte mit den Schultern. «Freilich werden sie auf diese Bedingung nicht eingehen», sagte er, «und das bedeutet, dass wir kämpfen, aber es bedeutet nicht, dass sie uns angreifen.»
«Warum sollten sie das nicht tun?», fragte Magot.
«Weil wir diejenigen sind, die an ihnen vorbeimüssen, um nach Calais zu kommen. Es könnte also gut sein, dass wir uns den Weg mitten durch ihre Armee freikämpfen müssen.»
«Mein Gott», murmelte Evelgold.
«Sie warten darauf, dass wir sie angreifen, Sir John?», fragte Magot.
«Ich würde das jedenfalls tun, wenn ich sie wäre!» Sir John drehte sich um und blickte zum Feind hinüber. «Sie wollen dieses Feld ebenso wenig überqueren wie wir, aber das müssen sie ja auch nicht. Wir schon. Wir müssen Calais erreichen, oder wir verhungern hier. Und das heißt: Wenn sie uns nicht angreifen, müssen wir sie angreifen.»
«Mein Gott», sagte Evelgold erneut, und Hook versuchte sich die Anstrengung vorzustellen, die es bedeutete, diese halbe Meile saugenden, rutschigen, klebenden Schlamms hinter sich zu bringen. Lass die Franzosen angreifen, dachte er, und mit einem Mal zitterte er am ganzen Körper. Er fror, er war hungrig, er war müde. Die Angst überlief ihn in Wellen und verflüssigte den Inhalt seiner Gedärme. Er war nicht der Einzige. Viele Männer schlüpften in den Wald, um sich zu erleichtern.
«Ich muss in den Wald», sagte er.
«Wenn du scheißen musst, dann tu's hier», sagte Sir John schroff, dann rief er den anderen Bogenschützen zu: «Keiner geht in den Wald!» Er befürchtete, der Mut könne seine Männer verlassen und sie würden sich hinter den Bäumen verstecken. «Wenn ihr scheißen wollt, dann tut es da, wo ihr gerade steht!»
«Scheißen und sterben», sagte Tom Evelgold.
«Und mit verschissenen Hosen zur Hölle fahren», schnauzte Sir John, «wen kümmert das schon?» Dann sah er jedem seiner Sergeanten schweigend in die Augen. «Dieser Kampf ist nicht verloren. Denkt daran, wir haben Bogenschützen, sie haben keine.»
«Aber wir haben nicht genügend Pfeile», sagte Evelgold.
«Dann sorgt dafür, dass jeder einzelne sein Ziel erreicht», sagte Sir John, den die Schwarzseherei seines Centenars unmutig werden ließ. Dann sah er Hook finster an. «Bei Gott, Mann, kannst du das nicht im Gegenwind machen?»
«Verzeihung, Sir John.»
Sir John grinste. «Wenigstens könnt ihr scheißen. Versucht das einmal in voller Rüstung. Ich sage euch, wir werden nicht gerade wie die Lilien duften, wenn wir unser Tagwerk hinter uns haben.» Er sah wieder zu den Franzosen hinüber und ließ seine hellen Augen auf der Oriflamme ruhen. «Und noch eins», sagte er eindringlich, «niemand darf Gefangene machen, solange wir euch nicht ausdrücklich gemeldet haben, dass es sicher ist. Bis dahin wird nur getötet.»
«Ihr glaubt, dass wir Gefangene machen?», fragte Evelgold ungläubig.
«Wenn die Männer zu früh Gefangene nehmen, schwächen sie die Kampflinie», sagte Sir John, ohne auf die Gegenfrage einzugehen. «Ihr müsst kämpfen und töten, bis sich die Bastarde nicht mehr wehren können, und erst dann könnt ihr anfangen, an Lösegelder zu denken.» Er hieb Evelgold seine Hand im Metallhandschuh auf die Schulter. «Sag deinen Leuten, dass wir heute Abend schlemmen werden, und zwar mit der erbeuteten französischen Verpflegung.»
Entweder das, dachte Hook, oder uns wird unsere Ration in der Hölle vorgesetzt. Mühsam lief er zurück zu seinen Männern, die bei ihren Stöcken warteten. Die Stöcke, mehr als zweitausend an dieser rechten Flanke der englischen Armee, bildeten ein gefährliches Dickicht aus geschärften Spitzen. Männer konnten recht leicht dazwischen hindurchgehen, doch kein Kriegspferd würde sie überwinden.
«Was wollte Sir John?», fragte Will of the Dale.
«Er wollte euch ausrichten lassen, dass wir heute Abend französische Verpflegung essen.»
«Glaubt er, sie werden uns gefangen nehmen?», fragte Will zweifelnd.
«Nein, er glaubt, wir werden gewinnen.»
Das rief ein bitteres Lachen hervor. Hook achtete nicht darauf und richtete seinen Blick wieder auf den Feind. Die erste Reihe der unberittenen Feldkämpfer erstreckte sich mit einer Unzahl blitzender Lanzenspitzen über die ganze Breite des Feldes. Immer noch rückten sie nicht vor, und immer noch warteten die Engländer ab. Die französischen Reiter bewegten ihre Kampfhengste, und weil die Pferde die tiefen Furchen nicht mochten, waren die meisten Ritter mit ihnen auf die grünen Weiden hinter dem Wald gegangen. Hinter den langsam abziehenden Wolken stieg die Sonne höher. Die Abgesandten des Königs, die mit dem Friedensangebot losgeschickt worden waren, hatten eine Unterredimg mit einer Gruppe Franzosen geführt und ritten nun über das Feld zurück. Augenblicke später verbreitete sich das Gerücht, dass die Franzosen eingewilligt hatten, die Engländer durchzulassen, doch dies erwies ich schnell als falsch. «Wenn sie nicht kämpfen wollen», sagte Tom Scarlet, «dann bleiben sie vielleicht einfach den ganzen Tag lang so stehen!»
«Wir müssen an ihnen vorbei, Tom.»
«Wir könnten uns ebenso gut heute Nacht davonmachen! Nach Harfleur zurückgehen!»
«Das wird der König nicht tun.»
«Und warum nicht, zum Teufel? Will er etwa sterben?»
«Er hat Gott auf seiner Seite», sagte Hook.
Tom überlief ein Schauer. «Dann hätte uns Gott wenigstens mit einem ordentlichen Frühstück versorgen können.»
Die Frauen brachten das wenige, was sie an Essbarem für diesen Tag hatten aufsparen können. Melisande gab Hook einen Fladen aus Hafermehl. «Wir teilen», sagte Hook.
«Der ist für dich», widersprach sie. Der Hafer war schon leicht schimmlig, aber Hook aß dennoch eine Hälfte des Fladens und reichte Melisande den anderen Teil. Es gab kein Ale, nur Wasser aus einem Bach, das Melisande in einem alten ledernen Weinschlauch mitgebracht hatte. Doch es schmeckte übelkeitserregend. Melisande stellte sich an Hooks Seite und starrte zu den Franzosen hinüber. «So viele», sagte sie leise.
«Sie rücken nicht vor», sagte Hook.
«Was geschieht dann?»
«Wir müssen sie angreifen.»
Sie schauderte. «Glaubst du, dass mein Vater da drüben ist?»
«Ganz sicher.»
Melisande sagte nichts. Sie warteten. Die Trompeten und Trommeln wurden immer noch gespielt, doch die Musiker wurden müde, und die Klänge waren weniger lebhaft als zuvor. Hook hörte Drosseln in den Bäumen singen, von denen einige schon alles Laub abgeworfen hatten, sodass ihre Äste so nackt wie die Holzbalken eines Schafotts zum grauen Himmel aufragten. Auf dem glitzernd nassen Feld zwischen den Armeen suchten Krammetvögel und Rotdrosseln in den gepflügten Furchen geschäftig nach Würmern. Hook dachte an zu Hause, an Kühe, die gemolken wurden, an das Röhren brünstiger Hirsche im Wald, an die kürzer werdenden Abende und das Herdfeuer in den Hütten.
Dann kam Bewegung in die englische Armee und riss Hook in die Gegenwart zurück. Der König war, nur begleitet von seinem Standartenträger, erneut auf seinem zierlichen weißen Pferd vor die Linie seiner Männer geritten. Er kam auf die Bogenschützen an der rechten Flanke zu, und sein Pferd, dem der unsichere Tritt zu schaffen machte, hob seine Hufe sehr hoch. Der König hatte seinen Helm mit der Krone abgenommen, und ein leichter Wind spielte mit seinem kurzen braunen Haar, sodass er jünger als seine achtundzwanzig Jahre wirkte. Er zügelte sein Pferd ein paar Schritte vor den ersten aufgepflanzten Stöcken, und die Centenare riefen ihren Männern zu, sie sollten die Helme abnehmen und sich niederknien. Dieses Mal billigte der König die Ehrenbezeugung und wartete, bis all seine zweieinhalbtausend Bogenschützen vor ihm knieten.
«Bogenschützen von England!», rief der König und schwieg einen Moment, während die Männer näher heranrutschten, um ihn besser hören zu können. Eingehüllte Bogenschäfte und Kriegsäxte hingen über ihre Schultern. Manche Männer waren mit Holzarbeiteräxten oder bleibeschwerten Flegeln bewaffnet. Die meisten hatten ein Schwert, wenn auch einige nichts weiter trugen als einen Bogen und ein Messer. Diejenigen mit Helmen hatten ihre Bacinets abgenommen, und andere schoben ihre Kettenhauben zurück, während sie ihren barhäuptigen König ansahen.
«Bogenschützen von England!», rief Henry erneut, und seine Stimme überschlug sich dabei, sodass er ein weiteres Mal innehielt. Der Wind fuhr in die Mähne seines Pferdes. «Heute fechten wir meinen Streit aus!», rief der König nun mit klarer und weittragender Stimme. «Unsere Feinde verweigern mir die Krone, die Gott mir verliehen hat! Sie glauben, dass sie uns heute demütigen können! Sie glauben, dass sie mich als Gefangenen vor die Massen in Paris zerren können!» Er legte eine Pause ein, während aufgebrachtes Gemurmel durch die Reihen der Bogenschützen lief. «Unsere Feinde», sprach er weiter, «haben gedroht, jedem Engländer die Finger abzuhacken, der den Bogen spannt!» Das Gemurmel schwoll zu wütend brodelnder Empörung an, und Hook dachte an den Platz in Soissons, auf dem das Abhacken der Finger nur der Auftakt eines viel schlimmeren Gemetzels gewesen war. «Und jedem Waliser, der den Bogen spannt!», fügte der König hinzu, worauf Jubel unter den Bogenschützen laut wurde.
«All das wollen sie», rief der König, «doch sie haben den Willen Gottes vergessen. Sie sind blind für Sankt Georg und Sankt Edward, die über uns wachen, und es sind nicht diese Heiligen allein, die uns unter ihren Schutz nehmen! Heute ist der Tag von Sankt Crispin und Sankt Crispinian, und diese Heiligen verlangen Vergeltung für all das Böse, das in Soissons verübt wurde.» Er hielt erneut inne, doch niemand gab einen Mucks von sich. Für die meisten Bogenschützen hatte der Name Soissons keinerlei Bedeutung. «Es ist uns zugefallen», sagte der König, «diese Vergeltung zu üben, und ihr müsst ebenso sicher wie ich wissen, dass wir heute Gottes Werkzeug sind! Gott ist in euren Bögen, Gott ist in euren Pfeilen, Gott ist in euren Waffen, Gott ist in euren Herzen, und Gott ist in euren Seelen. Gott wird uns behüten, und Gott wird unsere Feinde vernichten!» Wieder hielt er inne, während ein leises Murmeln von den Bogenschützen zu ihm klang. «Mit eurer Hilfe!», der König hatte seine Stimme noch weiter erhoben, «Mit eurer Kraft! Werden wir heute siegen!» Einen Herzschlag lang herrschte Stille, dann begannen die Bogenschützen laut zu jubeln. Der König wartete, bis die Rufe verklungen waren. «Ich habe unseren Gegnern Frieden angeboten! Gewährt mir mein Recht, habe ich ihnen gesagt, und wir werden Frieden haben, doch ihre Herzen kennen keinen Frieden und ihre Seelen kein Erbarmen, und deshalb sind wir an diesen Ort des Gerichts gekommen!» Nach diesen Worten blickte der König zum ersten Mal von den knienden Bogenschützen weg zu den lehmigen Furchen, die sich zwischen den Armeen erstreckten.
Dann sah er wieder seine Zuhörer an. «Ich habe euch an diesen Ort gebracht», sagte er jetzt mit leiserer und dennoch eindringlicher Stimme, «zu diesem Feld in Frankreich, aber ich werde euch hier nicht alleinlassen! Ich bin, durch die Gnade Gottes, euer König», seine Stimme wurde wieder lauter, «aber an diesem Tag bin ich nicht mehr als ihr, und ich bin auch nicht weniger als ihr. An diesem Tag kämpfe ich für euch, und ich verpfände euch mein Leben!» Der König musste sich unterbrechen, weil die Bogenschützen zu jubeln begannen. Er hob seine Hand im gepanzerten Handschuh und wartete darauf, dass wieder Stille einkehrte. «Wenn ihr hier sterbt, dann sterbe auch ich hier! Ich werde mich nicht gefangen nehmen lassen!» Wieder jubelten die Bogenschützen, und der König hob die Hand, bis der Jubel verebbt war. Dann lächelte er voller Zuversicht. «Aber ich erwarte nicht, gefangen genommen zu werden, noch werde ich getötet werden, denn alles, worum ich euch bitte, ist, an diesem Tag für mich ebenso zu kämpfen, wie ich für euch kämpfen werde!» Mit einer weit ausholenden Bewegung schloss er alle Bogenschützen ein. Sein Pferd machte einen Ausfallschritt, und er beruhigte es mit geübter Hand. «Heute kämpfe ich für eure Häuser, für eure Frauen, für eure Liebsten, für eure Mütter, für eure Väter, für eure Kinder, für euer Leben, für euer England!» Der Jubel, der diesen Worten folgte, musste bis ans andere Ende des Feldes gedrungen sein, wo die Franzosen unter ihren leuchtenden Bannern warteten. «Heute sind wir Brüder! Wir sind in England geboren, wir sind in Wales geboren, und ich schwöre bei der Lanze von Sankt Georg und bei der Taube von Sankt David, dass ich euch heim nach England bringe, heim nach Wales, mit neuem Ruhm für unser Land. Kämpft als Engländer! Das ist alles, was ich von euch erbitte! Und ich versichere euch, dass ich an eurer Seite kämpfen und für euch kämpfen werde! Ich bin euer König, doch an diesem Tag bin ich euer Bruder, und ich schwöre bei meiner unsterblichen Seele, dass ich meine Brüder nicht im Stich lassen werde! Gott schütze euch, meine Brüder!» Und damit wendete der König sein Pferd und ritt vor die Feldkämpfer, um ihnen die gleiche Rede zu halten, während ihm die Bogenschützen der rechten Flanke nachjubelten.
«Bei Gott», sagte Will of the Dale, «er glaubt wirklich, dass wir siegen werden!»
Und am anderen Ende des Feldes ließ der auffrischende Wind die rote Seide der Oriflamme wehen, sodass sie über den Lanzenspitzen der Feinde züngelte. Keine Gefangenen.
Und noch immer rückten die Franzosen nicht vor. Die Bogenschützen saßen nun auf dem Boden, und es kümmerte sie nicht, wie feucht er war. Manche schliefen gar, schnarchten auf der schlammigen Erde. Die Priester nahmen weiter die Beichte ab. Pater Christopher schrieb mit seinem Kohlestück den glückbringenden Namen Jesu auf Melisandes Stirn. «Du wirst beim Karrentross bleiben», erklärte er.
«Das werde ich, Pater.»
«Und sattle dein Pferd», riet er ihr.
«Um zu flüchten?»
«Um zu flüchten», stimmte er zu.
«Und trag den Wappenrock deines Vaters», fügte Hook hinzu.
«Das werde ich», versprach sie. Melisande verwahrte den Wappenrock in einem großen Beutel zusammen mit ihren weltlichen Besitztümern, und nun zog sie das feingesponnene Leinen heraus und entfaltete es. «Gib mir dein Messer, Nick.»
Er gab ihr seinen Dolch, und sie schnitt damit einen Streifen aus dem Saum des Wappenrocks. «Hier.» Sie hielt ihm den Stoffstreifen entgegen.
«Soll ich das tragen?», fragte Hook.
«Gewiss sollst du das», sagte Pater Christopher. «Das tut ein Soldat. Er trägt die Farben seiner Dame.» Er deutete auf die englischen Feldkämpfer, von denen sich die meisten ein seidenes Tuch um den Hals geknüpft hatten. Hook zog sich seinen eigenen Stoffstreifen um den Hals. Dann nahm er Melisande in die Arme.
«Du hast gehört, was der König gesagt hat», erklärte er ihr. «Gott ist auf unserer Seite.»
«Ich hoffe, Gott weiß das auch», sagte sie.
«Darum bete ich auch», sagte Pater Christopher.
Dann, mit einem Mal, entstand Bewegung. Nicht bei den Franzosen, die nicht zu erkennen gaben, dass sie angreifen wollten, sondern durch eine Gruppe englischer Feldkämpfer, die vor der englischen Linie entlangritten. «Wir werden vorrücken!», rief der Mann, der zum rechten Flügel geritten war. «Nehmt eure Stöcke! Wir rücken vor!»
«Gefährten!» Es war der König, der einige Schritte vor die Linie geritten war, sich in den Steigbügeln aufgerichtet hatte und mit den Armen winkte, um all seine Landsleute in Bewegung zu setzen. «Gefährten! Es geht los!»
«O mein Gott, mein Gott», sagte Melisande.
«Geh zurück zum Tross», forderte Hook sie auf und zog mühsam seinen Stock aus der Erde. «Geh, Liebste», sagte er, «mir wird nichts geschehen. Es gibt keinen Franzosen, der mich töten könnte.» Das glaubte er zwar selbst nicht, aber ihr zuliebe rang er sich dennoch ein Lächeln ab. Sein Magen zog sich zusammen. Angst ließ ihn erschauern. Er fühlte sich verletzlich und kraftlos, und er zitterte, doch irgendwie gelang es ihm dennoch, den Stock freizubekommen, und er legte ihn sich über die Schulter.
Er sah sich nicht mehr nach Melisande um. Er ging nach vorne, kämpfte mit dem zähen Schlamm, und das taten alle Männer auf der gesamten englischen Linie. Sie bewegten sich jämmerlich langsam, zogen ihre Füße aus dem durchnässten, saugenden Grund und gingen Schritt für beschwerlichen Schritt auf die Franzosen zu.
Und die Franzosen beobachteten sie. Sonst taten sie nichts. «Wenn die Bastarde ein Gehirn hätten, würden sie uns genau jetzt angreifen», sagte Evelgold.
«Vielleicht tun sie es ja noch», sagte Hook. Er sah zu den Feinden hinüber. Einige der Reiter, die ihre Pferde bewegt hatten, gingen nun zu den Flanken ihrer Armee, doch Eile war dabei nicht zu erkennen. Die Trompeter hatten ihr Spiel nicht verändert. Die Franzosen schienen zufrieden zu sein, die Engländer das Feld überqueren zu lassen, und Hooks Geist schlug Haken wie ein Hase auf der Frühlingswiese. War es wirklich der König gewesen, der in der vergangenen Nacht zu den Bogenschützen gekommen war? Er hatte vergessen, eine seiner zusätzlichen Bogensehnen einzumitteln und die Nockenschlinge zu knüpfen. Würde der König wirklich für Michael beten? Würde sein eigener Tod schnell kommen? Piers Candeler stieß unvermittelt einen Fluch aus und zog die Füße aus den Stiefeln, weil er barfuß besser über den morastigen Grund kam. Hook dachte an den Bogenschützen, den er in London gehängt hatte, und fragte sich, ob dieser Mann von der gleichen Angst erfüllt gewesen war, als er die schottische Armee kampfbereit auf den Hügel von Homildon ziehen sah, und dann dachte er an all die anderen Engländer, die für ihren König einen Kriegsbogen getragen hatten. Sie hatten gegen die Schotten gekämpft, gegen die Waliser, gegeneinander, und immer, immer, hatten sie gegen die Franzosen gekämpft, und diese Franzosen rührten sich jetzt immer noch nicht. Ihre Unbeweglichkeit schreckte Hook. Offenkundig begnügten sie sich damit zu warten, weil sie wussten, dass die kleine englische Armee keine andere Wahl hatte, als sich ihren Klingen entgegenzuwerfen.
Hooks linker Stiefel steckte erneut tief in der morastigen Erde, sodass er tat, was schon die meisten anderen Bogenschützen getan hatten. Er zog seinen Fuß aus dem Stiefel. Dann schüttelte er auch noch den zweiten Stiefel ab. Das Gehen war barfuß viel leichter. «Wenn sie sich bewegen», rief Evelgold warnend, «bleiben wir stehen, bespannen die Bögen und rammen die Stöcke ein.»
Doch die Franzosen bewegten sich nicht. Hook sah immer noch neue Männer zur französischen Armee strömen, die meisten von ihnen kamen aus Richtung Osten. Die berittenen Kämpfer an den Flanken beobachteten die Engländer, doch sie trieben ihre mit Panzerhauben und gepolsterten Überwürfen geschützten Kriegshengste nicht an. Die Reiter hielten ihre langen Lanzen aufrecht. Einige dieser Lanzen aus Eschenschäften und Stahlspitzen waren mit Wimpeln geschmückt. Hook sah nur stahlumrahmte Gesichter, denn die Feinde hatten ihre Visiere hochgeklappt. Er fror, obwohl er schwitzte. Er trug eine schwergepolsterte Jacke über seinem ledergefütterten Kettenhemd, und diese Rüstung mochte wohl einen Schwertstreich bremsen, doch von einer Lanze würde sie leicht durchbohrt werden. Hook versuchte sich vorzustellen, wie er in diesem zähen Schlamm einem Lanzenstoß ausweichen sollte, und wusste, dass das kaum möglich war.
«Langsam!», befahl eine Stimme. Die Bogenschützen waren jetzt zu weit vor den englischen Feldkämpfern, die sich, behindert durch ihre Rüstungen, nur sehr mühsam über das regendurchtränkte Feld arbeiteten. Doch Schritt für Schritt kamen sie weiter, und der Wald an den Seiten des Feldes rückte etwas näher zusammen, sodass die englische Linie nun die gesamte Lücke zwischen den Bäumen ausfüllte. Die leuchtend bunte Gruppe der Herolde, Franzosen, Engländer und Burgunder, führte ihre Pferde näher an die französische Linie, bis sie wieder einen Standort auf halbem Weg zwischen den Armeen gefunden hatten.
«Gott an Seinem verdammten Kreuz», knurrte Evelgold, «wie dicht will Er uns denn noch vor sie hinstellen ?»
Dann bellte eine Stimme den Bogenschützen zu, dass sie ihre Stöcke in den Boden rammen sollten. Der Feind stand jetzt dicht vor ihnen, kaum mehr als zweihundert Schritt entfernt, und das war nicht weiter als das entfernteste Ziel in einem Bogenschützen-Wettbewerb. Hook erinnerte sich an jene Sommertage mit Gauklern und tanzenden Bären und Ale und jubelnden Schaulustigen bei den Wettkämpfen der Bogenschützen. «Stöcke!», rief ein Mann. «Und passt auf, dass sie richtig festsitzen!»
Hook konnte seinen Stock ohne große Mühe in den weichen Grund drücken. Er warf einen Blick auf den Feind, und als er sah, dass die Linie sich immer noch nicht bewegte, nahm er seine Kampfaxt vom Rücken und hieb dreimal kräftig auf das angespitzte Ende des Stocks, um das Holz tiefer in die Erde zu treten. Mit dem Messer schälte er das gesplitterte Holz ab und schärfte die Spitze des Stocks neu an. Und dann, endlich, zog er seinen Bogen aus der Hülle. Uberall um ihn herum schlugen Bogenschützen ihre Stöcke ein oder bespannten Bögen. Hook stemmte den Bogenschaft gegen das untere Ende des Stocks und krümmte das Eibenholz, um die Schlinge in die obere Nocke einhängen zu können. Er ließ beide Pfeiltaschen von der Schulter gleiten, zog die Pfeile heraus und steckte sie mit den Spitzen in den Boden, Ahlspitzen auf die rechte, ein halbes Dutzend Breitköpfe auf die linke Seite. Er küsste den Bogenbauch, wo das dunkle Kernholz und das helle Splintholz zusammentrafen. Guter Gott, betete er, und dann betete er zu Sankt Crispinian, und sein Herz fühlte sich an wie ein gefangener Vogel, und sein Mund war trocken, und sein rechtes Bein zitterte, und immer noch rückten die Franzosen nicht vor, und immer noch antwortete Sankt Crispinian nicht auf Hooks Gebete.
Die Bogenschützen hatten sich verteilt. Ihr Stöcke bildeten keine gerade Linie, sondern waren in ungeregelten Reihen in die Erde gesenkt. Die Aufstellung der Bogenschützen zog sich weit nach hinten, sodass die Männer in den vorderen Reihen ihren Gefährten weiter hinten den Blick auf den Feind verstellten. Doch das war nicht von Belang, denn auf zweihundert Schritt Entfernung mussten sie ohnehin hoch in die Luft schießen, wenn ihre Pfeile bis zu den Franzosen fliegen sollten. Hook stand in der ersten Reihe. Als er sich umwandte, sah er ein paar Schritte rechts hinter sich Thomas Perrill seinen Stock einschlagen. Von Sir Martin war nichts zu sehen, und Hook überlegte, ob der Priester ins Lager zurückgegangen war. Bei diesem Gedanken flammte Sorge um Melisandes Sicherheit auf, doch er hatte keine Gelegenheit, weiter darüber nachzugrübeln, denn Tom Evelgold befahl seinen Männern, sich zur Front hin auszurichten.
Hook dachte, der Feind würde nun endlich vorrücken, aber die Franzosen rührten sich nicht. Die Mitte ihrer Linie bestand aus tiefen Reihen unberittener Feldkämpfer in bunten Wappenröcken und schimmernden Rüstungen, während unzählige Lanzenreiter ihre Flanken bildeten. Die seidenen Flaggen hoben sich strahlend vom grauen Himmel ab, und genau in der Mitte der französischen Linie, wo der Wald der Banner am dichtesten war, wehte die Oriflamme als roter Wellenstreifen in der Luft und sagte den Engländern, dass ihr Feind keine Gnade kannte.
Hook versuchte in den Reihen des Feindes Seigneur de Lanferelle auszumachen, doch er sah ihn nicht. Stattdessen sah er die Waffen. Er sah Schwerter, Lanzen, Kriegsäxte, Falkenschnäbel, Kampfhämmer, Schlachtbeile und Keulen. Einige der Keulen waren mit Eisendornen besetzt. Hook legte einen Breitkopf über den Bogenschaft und hatte erneut das dringende Bedürfnis, seinen Darm zu entleeren. Einen Moment lang schloss er die Augen und sandte ein weiteres inbrünstiges Gebet zu Sankt Crispinian. Dann suchte er sich mit den nackten Füßen einen sicheren Stand auf dem rutschigen Boden. Er wappnete sich.
«O lieber Jesus», sagte Thomas Scarlet.
«Mein Gott, mein Gott», murmelte Will of the Dale.
Denn Sir Thomas Erpingham, grauhaarig und barhäuptig, hatte sein Pferd bestiegen und war ein paar Schritte vor die englische Linie geritten. Das Pferd hob seine Hufen sehr hoch in dem zäh haftenden Boden. Hinter Sir Thomas warteten die englischen Feldkämpfer. Die neunhundert Männer standen in vier Reihen, und in der Mitte der ersten Reihe stand der König, prächtig anzusehen mit seiner glänzenden Rüstung und der juwelenbesetzten Krone um den Kriegshelm. Sir Thomas, in einem grünen Wappenrock, von dem sich rot das Sankt-Georgs-Kreuz abhob, wendete sein Pferd, sodass er den Franzosen den Rücken zukehrte. Er wartete einige Augenblicke.
«Bleib jetzt bei mir», betete Hook laut zu Sankt Crispinian.
Er wünschte, der Heilige würde zu ihm sprechen, doch Crispinian hüllte sich weiter in Schweigen.
«Spannen!», befahl Thomas Evelgold leise.
Hook hob den Bogen. Er zog die Hanfsehne bis zu seinem Ohr und spürte die wilde Kraft des gebogenen Holzes. Er fasste ein Pferd direkt vor sich ins Auge, doch er wusste, dass es nur Glück wäre, wenn der Pfeil traf. Wären die Franzosen fünfzig Schritt näher gewesen, hätte er sich seine Ziele nach Belieben heraussuchen können, doch nun musste er sich glücklich schätzen, wenn sein Pfeil nur vier oder fünf Schritt neben dem Ziel auftraf. Er hielt die Sehne zurück Sein rechter Arm zitterte.
Fünftausend Bogenschützen hatten ihre Bögen gespannt. Fünftausend Pfeile wurden auf fünftausend Sehnen gehalten.
Ein Starenschwarm flog mit laut rauschendem Flügelschlag über dem Wald von Tramecourt auf. Die Vögel über den Bäumen erinnerten an eine wirbelnde dunkle Rauchwolke, und dann, so schnell sie aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder. Auf der gesamten französischen Linie wurden die Visiere heruntergeklappt. Zuvor hatte Hook die Gesichter gesehen, nun hatte er nur noch stählerne Masken vor sich.
«Gott steh uns bei», murmelte ein Bogenschütze, während sich Sir Thomas in den Steigbügeln aufrichtete.
Sir Thomas Erpingham schleuderte den grünen Stab so hoch, dass er sich in der diesigen Luft mehrmals um sich selbst drehte. Schweigen hatte sich über das Feld von Azincourt gebreitet, und in diesem Schweigen flog der grüne Stab, und seine goldenen Kreuzblumen funkelten vor dem trüben Himmel. «Jetzt», rief Sir Thomas. «Schießen!»
Der Stab fiel herab.
Hook gab die Sehne frei.
Die Pfeile flogen.
Das erste Geräusch war das der Bogensehnen, das scharfe Schnarren, mit dem fünftausend Hanfsehnen von einem gekrümmten Eibenschaft nach vorn gerissen wurden, und es klang, als habe der Teufel seine Harfe gezupft. Dann war das Geräusch der Pfeile zu hören, das Seufzen, mit dem die Luft durch die Befiederung strich, jedoch tausendfach vervielfacht, sodass es sich anhörte wie eine heftige Windbö. Das Geräusch entfernte sich, als sich zwei Pfeilwolken, so dicht wie Starenschwärme, in den grauen Himmel erhoben. Als Hook nach dem nächsten Breitkopf griff, bewunderte er den Anblick von fünftausend Pfeilen in zwei himmelverdüsternden Wolken. Dann schienen die beiden Pfeilstürme einen Augenblick auf ihrem höchsten Punkt in der Luft stehenzubleiben. Und dann jagten sie vom Himmel herab.
Es war Sankt-Crispins-Tag in der Picardie.
Einen Moment noch herrschte Stille.
Dann schlugen die Pfeile ein.
Stahl traf auf Stahl. Ein lärmendes Klappern erhob sich, als habe der Satan selbst einen Hagelsturm geschickt.
Und damit hob das Wehgeschrei dieses Tages an. Es war der Schrei eines Pferdes, das sich mit einem Breitkopf in der Brust aufbäumte. Das Pferd machte einen Satz vorwärts, mit dem es seinen stahlgerüsteten Reiter nahezu aus dem Sattel warf. Die Bewegung des verwundeten Pferdes wirkte wie ein Signal, einige Pferde folgten ihm, dann gaben alle Reiter der französischen Linie ihren Tieren die Sporen, und mit Kriegsrufen auf den Lippen begann die Reiterei ihren Angriff. «Saint Denis! Montjoie!»
«Sankt Georg!», rief jemand aus der englischen Linie, und überall in der kleinen Armee wurde der Ruf aufgenommen. «Sankt Georg!» Die Feldkämpfer verspotteten die Franzosen mit Jagdrufen, und der Lärm wurde ohrenbetäubend, als die Trompeten ihre schrillen Töne gen Himmel schickten.
Über den Hooks zweiter Breitkopf zog.
Ghillebert, Seigneur de Lanferelle, stand in der ersten Reihe der französischen Armee. Er war einer der über achttausend unberittenen Feldkämpfer, aus denen die erste der drei französischen Kampfeinheiten bestand. Er trug einen schimmernden Plattenpanzer unter seinem Wappenrock mit der Sonne und dem Falken darauf, wenn auch die Beinstücke seiner Rüstung inzwischen mit Schlamm bespritzt waren. An seiner Seite hing ein langes Kampfschwert, über seiner Schulter eine bleibeschwerte Keule mit Eisendornen, und in der Hand hielt er eine Lanze mit stählerner Spitze und einem Eschenschaft, der auf sieben Fuß gekürzt worden war. Sein Kopf war von einer Lederkapuze umschlossen, die unter dem Kinn mit Bändern zusammengehalten wurde und unter der er sein langes Haar aufgerollt hatte. Über der Kapuze trug er eine Kettenhaube, die Kopf und Schultern bedeckte, und über der Kettenhaube saß ein italienischer Kampfhelm. Das Visier des Helmes war hochgeklappt, sodass er die Engländer sehen konnte, und so sah er auch, dass ihre Armee lachhaft klein war.
Die Franzosen schäumten beinahe über vor Siegesgewissheit. Henry von England hatte es gewagt, mit seiner läppischen Armee von der Normandie in die Picardie zu marschieren, weil er geglaubt hatte, seinen Feind beschämen zu können, indem er seine anmaßenden Banner auf französischem Gebiet zur Schau trug. Und jetzt saß er in der Falle. Lanferelle, der den Feind seit der Morgendämmerung beobachtete, schätzte, dass die Engländer nur tausend Feldkämpfer in ihrer Kampflinie stehen hatten, und diese Anzahl war ihm so lächerlich gering erschienen, dass er sie wieder und wieder überprüft hatte, indem er die Linie durch vier teilte, Köpfe zählte und wieder mit vier multiplizierte. Und bei jeder Berechnung war er auf dasselbe Ergebnis gekommen. Ungefähr eintausend Feldkämpfer standen drei aufeinanderfolgenden französischen Kampfeinheiten gegenüber, von denen jede mit wenigstens achttausend Feldkämpfern besetzt war. Allerdings waren da noch die beiden Flanken der Engländer.
Bogenschützen.
Tausende von Bogenschützen, zu viele, um sie zählen zu können. Die französischen Kundschafter waren mit höchst unterschiedlichen Zahlen zwischen viertausend und achttausend zurückgekehrt. Und diese Bogenschützen, das wusste Lanferelle, kämpften mit langen Eibenbögen, und sie hatten stählerne Pfeilspitzen, die aus geringer Entfernung auch noch die beste Rüstung der Christenheit durchschlugen. Aus diesem Grund waren Lanferelles Rüstungsteile auch so weit wie möglich abgerundet. Dadurch sollten auftreffende Pfeile abgelenkt werden. Dennoch war ihm klar, dass ein unglücklicher Schuss sehr wohl seine Rüstung durchdringen konnte. Aus diesen Gründen teilte Ghillebert, der Herr der Hölle, die Siegesgewissheit seiner Landsleute nicht. Er bezweifelte zwar keinen Augenblick, dass die französischen Feldkämpfer die englischen Feldkämpfer niedermachen konnten, doch bevor sie diese armselige Kampflinie erreichten, würden sie den Pfeilhagel überstehen müssen.
In der vorangegangenen Nacht, als die anderen Männer tranken, war Seigneur de Lanferelle zu einem Astrologen gegangen, einem berühmten Mann aus Paris, von dem erzählt wurde, er könne die Zukunft voraussehen, und Lanferelle hatte sich in die lange Schlange derjenigen eingereiht, die den Seher konsultieren wollten. Der Mann, bärtig, ernst und in einen pelzbesetzten schwarzen Umhang gehüllt, hatte Lanferelles Gold genommen und dann, nach vielem Stöhnen und Seufzen, erklärt, er sähe nichts als Ruhm in Lanferelles Zukunft. «Ihr werdet töten, mein Herr», hatte der Astrologe gesagt, «Ihr werdet töten und töten und Euch sowohl Ruhm als auch Ehre erwerben.» Danach, im strömenden Regen vor dem Zelt des Astrologen, hatte sich Lanferelle wie ausgehöhlt gefühlt.
Er würde töten und töten, da war er sicher, aber der wahre Ruhm bestand nicht darin, die Engländer abzuschlachten, sondern sie gefangen zu nehmen, und genau in der Mitte der feindlichen Linie, unter den größten Bannern, war der König von England. Nimm Henry gefangen, und ganz England wird Jahre brauchen, um das Lösegeld aufzubringen. Die Franzosen genossen die Aussicht auf diese Möglichkeit. In der englischen Linie standen auch königliche Dukes und bedeutende Lords, und jeder von ihnen konnte einen Mann über seine kühnsten Träume hinaus reich machen.
Doch zwischen dem Traum und der Wirklichkeit standen die Bogenschützen.
Und Ghillebert, Seigneur de Lanferelle, verstand etwas von der Macht des Eibenbogens.
Aus diesem Grund hatte Lanferelle, als die Engländer ihren langen, mühseligen Vorstoß auf das gepflügte Feld zwischen Tramecourt und Azincourt begannen, dem Konnetabel zugerufen, dass der rechte Moment für einen Angriff gekommen war. Die Engländer hatten, während sie sich vorwärtskämpften, den Zusammenhalt verloren. Statt einer Armee in Schlachtordnung waren sie mit einem Mal nur noch schlammverdrecktes Geschmeiß, das über die trügerischen Furchen kroch. Lanferelle hatte gesehen, dass auch die Bogenschützen vollkommen ungeordnet vorrückten, worauf er den Marschall Boucicaut und den Konnetabel D'Albret erneut angerufen hatte. «Lasst jetzt die Reiter angreifen!»
Die Reiter standen an den französischen Flügeln. Es waren großgewachsene Männer auf großgewachsenen Pferden, die Hengste hatten Panzerhauben über den Köpfen, und dick gepolsterte Überwürfe bedeckten ihren Körper. Ihre Aufgabe war es, in die Reihen der Bogenschützen an den Flanken einzubrechen und sie gnadenlos niederzumetzeln. Doch viele Reiter hatten sich mit ihren Tieren entfernt, um ihre Schlachtrösser auf den grünen Auen hinter den Wäldern in Bewegung zu halten, und die übriggebliebenen Reiter beobachteten die Engländer einfach nur.
«Es ist nicht meine Entscheidung», gab Marschall Boucicaut zurück.
«Wessen Entscheidung soll es denn sonst sein?», fragte Lanferelle.
«Jedenfalls nicht meine», sagte Boucicaut knapp und grimmig, und Lanferelle verstand, dass Boucicaut seine Befürchtungen teilte, was die Fähigkeiten der Bogenschützen anging.
«Im Namen Gottes!», sagte Lanferelle, als die Reiter weiterhin keinen Befehl zum Angriff erhielten und stattdessen nur auf ihren großen Kampfpferden saßen und zusahen, wie sich die Engländer immer weiter näherten.
«Wer führt uns überhaupt? Bei Gott, wer führt uns?», fragte Lanferelle laut. Niemand hatte den Franzosen vor der Schlacht eine mitreißende Rede gehalten, doch Lanferelle hatte gesehen, wie Henry vor der englischen Linie entlanggeritten war und mehrfach länger angehalten hatte.
Und wer sprach für Frankreich? Weder der Konnetabel noch der Marschall befehligten die riesenhafte Armee. Diese Ehre schien dem Duc de Brabant zugefallen zu sein, oder vielleicht auch dem jungen Duc d'Orleans, der gerade eben erst bei dem Feld angekommen war und nun den englischen Vorstoß beobachtete, während er zweifellos überschlug, wie viel Lösegeld er mit eventuellen Gefangenen herausschlagen konnte. Der Duc schien es zufrieden zu sein, den Feind gegen die französische Schlachtlinie vorrücken zu lassen, und deshalb wurden den französischen Reitern an den Flügeln keinerlei Befehle erteilt.
Lanferelle sah ungläubig mit an, wie es den Engländern gestattet wurde, bis zur Reichweite eines Langbogens heranzukommen. Die Franzosen hatten Armbrustschützen, sie hatten sogar eine Handvoll Männer, die den Eibenbogen beherrschten, und sie besaßen ein paar kleine Kanonen, die bereit zum Abfeuern waren, doch die wartenden Reiter verstellten sowohl den Kanonieren als auch den Armbrustschützen die Sicht. Die Armbrust besaß eine größere Reichweite als der Eibenbogen, doch die Armbrustschützen konnten nicht schießen, und so konnten die feindlichen Bogenschützen ihre Stöcke unbehelligt in den Boden schlagen. Bei Gott, dachte Lanferelle, das ist Tollheit. Die Bogenschützen hätten schon lange angegriffen und niedergemacht sein müssen, doch stattdessen hatte man es zugelassen, dass sie bis zur Reichweite ihrer Bögen herankamen und als Hindernis für die Reiter ihre Stöcke in den weichen Grund rammen konnten. Er sah zu, wie sie ihre Bögen bespannten, und obwohl sie dies in der Reichweite der französischen Armbrustschützen taten, blieben sie vollkommen ungestört. «Gott», sagte er zu niemandem im Besonderen, «da kommt sie herein, zieht sich nackt aus, legt sich aufs Bett, spreizt die Beine, und wir tun gar nichts.»
«Sire?», fragte sein Junker.
Lanferelle achtete nicht auf die Frage. «Visiere!», rief er seinen Männern zu. Er führte sechzehn Feldkämpfer an, und er wandte sich um, weil er sicher sein wollte, dass sie alle ihr Visier geschlossen hatten, bevor er sein eigenes herunterklappte.
Augenblicklich war er in Dunkelheit gehüllt. Einen Moment zuvor noch hatte er den Feind klar und deutlich sehen können. Er hatte sogar ein goldenes Glitzern um den Helm Henrys von England gesehen, doch nun hatte er eine Stahlklappe vor den Augen, und in diese Klappe waren zwanzig kleine Löcher gebohrt, von denen keines groß genug war, um auch nur die oberste Spitze eines schmalen Ahlspitzenpfeils hindurchzulassen. Um durch diese Löcher irgendetwas zu sehen, musste Lanferelle seinen Kopf von einer Seite zur anderen drehen, und auch dann konnte er nur wenig von dem ausmachen, was um ihn herum geschah.
Doch er sah den einzelnen Reiter vor der Mitte der englischen Linie.
Und er sah den Stab, der in die Luft geschleudert wurde.
Und er hörte die Worte «Jetzt!» und «Schießen!».
Er senkte den Kopf, als müsse er sich gegen einen heftigen Wind lehnen, und er hörte das aufsteigende Rauschen der Pfeile, und er zog die Schultern hoch und biss die Zähne zusammen. Und dann schlugen die Pfeile ein.
Das Geräusch, mit dem Tausende stählerner Pfeilspitzen auf Stahlrüstungen trafen, war grauenvoll. Ein Mann schrie vor Schmerz auf, und Lanferelle spürte einen dumpfen Schlag an der rechten Schulter, und obwohl der Pfeil abgelenkt worden war, riss er ihn dennoch zur Seite. Ein zweiter Pfeil ließ seine Lanze erbeben, wenn er auch nichts davon sehen konnte. Ein Tölpel in einer hinteren Reihe hatte sein Visier offen gelassen und gab ein gurgelndes Geräusch von sich, als ein Pfeil vom Himmel jagte und sich durch seinen Mund in die Luftröhre bohrte. Langsam sank der Mann in die Knie und hustete einen Blutschwall heraus. Andere Pfeile fuhren in den Boden oder glitten an den Rüstungen ab. Zu Lanferelles Linken wieherte ein Pferd und bäumte sich auf.
«Saint Denis! Montjoie!», riefen die Franzosen, und Lanferelle, der den Kopf von einer Seite zur anderen drehte, um durch die kleinen Visierlöcher erkennen zu können, was vor sich ging, sah die Reiter endlich vorrücken. Dann erklang ein weiterer Befehl zum Vormarsch aus dem Zentrum der französischen Linie, wo die Oriflamme im Wind wehte, und die erste Kampfeinheit setzte sich schwerfällig in Richtung des Feindes in Bewegung.
«Montjoie!», riefen die Franzosen, und ihre Stimmen hallten ohrenbetäubend in ihren Helmen wider. Lanferelle kam kaum von der Stelle, da seine Füße in den Panzerstiefeln tief im Schlamm steckten, doch er zerrte seinen rechten Fuß frei. Männer aus Schlamm und Stahl kämpften sich auf die wartenden Engländer zu. Die Engländer brüllten Hetzrufe, wie besessene Teufel auf der Jagd nach Christenseelen.
Und dann kam der zweite Pfeilsturm.
Der Hagel des Satans wütete, und wieder schrien die Männer.
Schließlich griffen die Franzosen an.
Die Reiter kamen zuerst. Hook sah, wie sich ein Pferd aufbäumte, sah den Reiter rücklings aus dem Sattel fallen, während seine bewimpelte Lanze einen Kreis vor dem Himmel beschrieb. Dann wurde das Pferd von dem nachrollenden Angriff verschluckt. Ritter stießen ihren Tieren die Sporen in die Flanken, senkten ihre Lanzen und brüllten ihren Kriegsruf, und Hook sah, wie die enormen Hufe der Pferde dicke Erdklumpen emporschleuderten. Die Hengste warfen ihre Köpfe in den Panzerhauben herum, unwillig wegen des holprigen Bodens, und die Sporen fuhren erneut gegen ihre Flanken, und der Angriff nahm Form an, als die Pferde schneller wurden.
Die Kunstfertigkeit eines berittenen Angriffs lag in einem langsamen Beginn, bei dem sich die Reiter Knie an Knie vorwärtsbewegten, sodass die gesamte schwergerüstete Linie gemeinsam auf den Feind traf. Erst im letzten Moment sollten die Reiter ihre Tiere galoppieren lassen. Doch der Grund auf dem gepflügten Feld war so weich, und die Pfeile jagten so unberechenbar aus dem Himmel herunter, dass die Männer unwillkürlich ihre Pferde antrieben, um beidem zu entkommen. Niemand hatte einen Angriff befohlen, er war eher von dem ersten Pfeilsturm ausgelöst worden, und nun stürmten die Reiter auf beiden Flanken so schnell nach vorn, wie sie ihre großen Pferde tragen konnten. Dreihundert Reiter griffen den rechten Flügel der Engländer an, und noch weniger den linken. Es hätten an jeder Flanke tausend Reiter sein sollen, doch die anderen waren immer noch auf den Wiesen, wo sie ihre Pferde bewegten.
Und die Bogenschützen spannten und ließen die Pfeile abschnellen.
Hook benutzte jetzt Breitköpfe. Sie richteten gegen Panzerrüstungen nicht viel aus, doch sie konnten die gepolsterten Überwürfe der Pferde durchbohren. Als sich die Entfernung verringerte, konnte er sie auf einer niedrigeren Bahn fliegen lassen, sodass ihre Kraft nicht hoch oben in der Luft vergeudet wurde. Hook richtete seine Pfeile unmittelbar auf die heranstürmenden Pferde und glaubte einen Moment lang, sie würden nichts bewirken, doch dann sah er ein Pferd stolpern und in einem Wirbel aus Schlamm, Reiter, Lanze und Rüstung zu Boden gehen. Das Pferd schrie, und sein Reiter, der unter dem Körper seines Tieres lag, schrie mit ihm, und das Pferd dahinter rannte in das verletzte Tier, das sich auf dem Boden wälzte, und dessen Reiter wurde vorwärts aus dem Sattel geschleudert. Hook spannte erneut, suchte sich ein gewaltiges Pferd mit zottigen Fesseln und schoss ihm knapp vor dem Sattelgurt einen Pfeil in die Flanke, und das Pferd brach seitwärts aus, stieß mit einem anderen zusammen, und Hooks nächster Pfeil grub sich bis zur Befiederung in eine gepolsterte Pferdebrust. Die ganze Welt war nur noch Hufschlag und Schreie und das Geräusch der Bogensehnen, und wenigstens ein Dutzend Pferde lagen auf dem Boden, manche kämpften darum, wieder hochzukommen, während andere den Morast spritzen ließen, indem sie wie rasend mit den Hufen auf den Boden schlugen und ihr Leben durch aufgerissene Arterien aus ihren Körpern strömte. Will of the Dale traf einen Reiter mit einem Breitkopf in die Kehle, und der Mann zuckte unter dem Pfeilschuss zurück, dann wurde er wieder nach vorn gegen seinen hohen Sattelknauf geschleudert, und seine Lanzenspitze bohrte sich in eine Ackerfurche und hob den Mann aus dem Sattel, während sein Pferd mit weißverdrehten Augen hinter den Löchern seiner Panzerhaube weitergaloppierte und den Mann am Steigbügel hinter sich herzog. Dann wurde das Pferd von einem Pfeil ins Auge getroffen, und es scherte aus und brachte damit zwei weitere Pferde zu Fall.
Die Bogenschützen schossen schnell. Die Reiter hatten vor ihrem Angriff keine weite Strecke zu überwinden, doch der morastige Grund behinderte sie, und in der Minute, die sie brauchten, um bei den englischen Bogenschützen anzukommen, waren sie das Ziel von über viertausend Pfeilen. Nur die Bogenschützen in den ersten beiden Reihen schossen auf die Pferde, die anderen Bogenschützen, deren Blick durch die vor ihnen stehenden Reihen verstellt war, ließen ihre Pfeile immer noch hoch in die Luft schnellen, um die Franzosen zu treffen, deren Pferde zu Boden gegangen waren.
Ein vor Schmerz tolles Pferd, aus dessen aufgerissenem Bauch ein Blutstrom quoll, drehte sich um und stürmte gegen die französischen Feldkämpfer in der Mitte des Feldes. Andere Tiere folgten ihm. Einige Reiter, behindert von toten und sterbenden Pferden vor ihnen, zogen sich wieder in den Sattel und machten ihre Pferde zur leichten Beute. Die Pfeile schnellten mit dem Geräusch eines Schlachterbeils in ihre Körper, und die Pferde schrien, und die Männer mussten sich mühen, um sie zu bändigen.
Dennoch erreichten einige Pferde die englische Kampflinie.
«Zurück!», riefen die Centenare. «Zurück!»
Die erste Reihe der Bogenschützen trat zurück, sodass ihre Feinde die Stöcke vor sich hatten. Sie schossen ohne Unterlass. Hook hatte eine Handvoll Breitköpfe, und seine nächste, mit Eichenholz beschwerte Spitze glitt an der Rüstung eines Feldkämpfers ab, der weniger als zwanzig Schritt vor ihm war. Erneut spannte er den Bogen, und dieses Mal bohrte sich der Pfeil in die Brust des Pferdes.
Dann kam der eigentliche Angriff der Franzosen.
Aber die Reiter hatten ihre Visiere heruntergeklappt und konnten durch die schmalen Schlitze oder Löcher kaum etwas erkennen, und ihre Pferde waren mit ihren stählernen Kopfhauben beinahe ebenso blind wie die Männer. Der Angriff wurde von den Stöcken aufgehalten, und ein Pferd kreischte jammervoll. Ein Stock ragte aus seiner aufgerissenen Brust, und aus seinem aufgerissenen Maul troffen Blutblasen. Der Reiter fuhr mit seiner Lanze sinnlos umher, während sich Pfeile in ihn bohrten, sodass Mann und Pferd zuckten und schrien. Ein anderer Hengst schaffte es an den ersten Stöcken vorbei, sah die zweite Reihe und verlor beim Ausweichen den Halt auf der nassen Erde. Pferd und Reiter fielen in einem krachenden Strudel aus Stahl und Eschenholz und Lanze zu Boden. «Meiner!», rief Thomas Evelgold und lief die paar Schritte mit seiner Kampfaxt zu dem Mann. Er schwang sie nur einmal, ließ den bleibeschwerten Hammerkopf auf den Helm des Feldkämpfers niederfahren, dann kniete er sich hin, zerrte das Visier des benommenen Mannes hoch und rammte ihm ein Messer ins Auge. Der Feldkämpfer erbebte und blieb reglos liegen. Das Pferd versuchte hochzukommen, doch Evelgold betäubte es mit einem Schlag seiner Axt und schlug dann mit der Axtklinge erneut zu, sodass die Panzerhaube aufbrach und der Schädel des Tiers gespalten wurde.
«Weiterschießen!», rief Evelgold.
Der Vorstoß hatte an den Stöcken geendet. Der erste französische Angriff war gescheitert. Die Reiter hätten die Bogenschützen niedermachen sollen, doch die Pfeile hatten ihr tückisches Werk verrichtet, und die Stöcke hatten die Uberlebenden daran gehindert, sich auf die Bogenschützen zu stürzen. Einige Feldkämpfer ritten schon zurück, verfolgt von Pfeilen, während reiterlose Pferde, toll vor Schmerz, gegen die eigenen Linien stürmten. Ein Mann, der tapferer als tapfer war, hatte seine Lanze fallen lassen, um das Schwert zu ziehen, und nun wollte er seinen Kampfhengst zwischen den Stöcken hindurchlenken, doch die Pfeile fuhren in sein Pferd, es ging in die Knie, und ein Breitkopf, der aus weniger als zehn Schritt Entfernung abgeschossen worden war, bohrte sich in seinen Brustpanzer und tötete ihn. Und so saß er, eine Leiche mit hängendem Kopf, auf seinem sterbenden Pferd, und die Engländer jubelten bei diesem Anblick.
Es war seltsam, aber Hooks Angst war verflogen. Statt ihrer erfüllte nun ein erregender Rausch seine Adern, und eine dünne, schrille Stimme sang in seinem Kopf die Totenklage. Er ging zu seinem Stock zurück und nahm einen Breitkopf auf. Die Reiter waren abgezogen, hatten sich den Pfeilen geschlagen gegeben, doch der Haupttrupp der Franzosen rückte weiter vor. Sie kamen zu Fuß, denn vollgerüstete Männer zu Fuß waren mit Pfeilen nicht so leicht angreifbar wie Pferde. Sie zogen unter strahlenden Bannern, doch die Ordnung ihrer Reihen war aufgelöst, weil reiterlose Pferde in blindem Entsetzen gegen sie stürmten. Männer stürzten unter den schweren Hufen, und andere Männer bemühten sich um die Ausrichtung der Linie, während sie durch die tiefen Ackerfurchen auf den englischen König und seine Feldkämpfer zustolperten. Hook suchte sich seine Ziele genau aus. Er spannte, die Sehne glitt mit täuschender Leichtigkeit bis an sein Ohr zurück und gab Pfeil um Pfeil frei. Andere Bogenschützen standen bei ihm, und alle drängten weiter vor, um ihre Geschosse auf die Franzosen niederregnen zu lassen.
Die rückten immer weiter vor. Ihre Reihen mochten von den panischen Pferden durchbrochen worden sein, und Männer fielen, wenn die Pfeile ins Ziel trafen, doch sie rückten immer noch vor. Der gesamte französische Hochadel stand in der vordersten Kampfeinheit, und über ihm wehten stolze Banner. Achttausend unberittene Feldkämpfer griffen neunhundert an.
Dann wurde eine französische Kanone abgefeuert.
Melisande betete. Es war kein bewusstes Beten, sie sandte mehr einen verzweifelten und stummen und unendlichen Schrei um Hilfe zu dem grauen Himmel hinauf, der ihr keinen Trost zu bieten hatte.
Der Versorgungstross hatte der Armee auf das Plateau folgen sollen, doch die meisten, die zum Tross gehörten, waren bei dem Dorf Maisoncelle geblieben, wo der König den größten Teil der Nacht verbracht hatte. Die königlichen Versorgungswagen waren dort abgestellt worden und wurden von zehn Feldkämpfern und zwanzig Bogenschützen bewacht, die sämtlich zu krank oder durch Verletzungen außerstande waren, in der Schlacht mitzukämpfen. Pater Christopher hatte Melisande zum Tross gebracht und gesagt, sie sei dort sicherer als bei den wenigen Packpferden, die auf das hochgelegene Feld geführt worden waren. Der Priester hatte seine geheimnisvollen Buchstaben auf ihre Stirn geschrieben. IHC Nazar. «Das wird dir dein Leben bewahren», hatte er versprochen.
«Schreibt es auch auf Eure eigene Stirn», hatte Melisande gesagt.
Pater Christopher hatte gelächelt. «Mein Leben liegt in Gottes Hand, meine Liebe», sagte er und malte ein Kreuzeszeichen vor ihr in die Luft, «und Er wird dich bewahren. Aber du musst hierbleiben. Hier bist du sicherer.» Dann hatte er sie zu einer Gruppe weiterer Bogenschützenfrauen gebracht, die zwischen zwei leeren Karren saßen, sich versichert, dass ihr Pferd gesattelt in der Nähe stand, und dann hatte Pater Christopher eines von Sir Johns Pferden genommen und war den Abhang zu dem Feld hinaufgeritten, auf dem die Armeen warteten. Melisande hatte ihm nachgesehen, bis er über der Kuppe der Anhöhe verschwunden war, und in diesem Moment hatte sie angefangen zu beten. Auch die anderen Frauen beteten.
Langsam nahm Melisandes Gebet Form an. Es hatte als unzusammenhängender Schrei um Hilfe begonnen, doch als sie sich an die Jungfrau wandte, zwang sie sich, ihre Worte sorgfältig zu wählen. Nick ist ein guter Mann, erklärte sie der Muttergottes, und er ist stark, aber er kann auch zornig und unwirsch sein, also hilf ihm, stark zu sein und am Leben zu bleiben. Lass ihn am Leben.
«Was tun wir, wenn die Franzosen kommen?», fragte Mathilda Cobbold.
«Weglaufen», sagte eine der anderen Frauen, und im selben Augenblick erklang Gebrüll vom Kampfplatz herunter. Sie hörten einen Kriegsruf, doch die Frauen waren zu weit entfernt, um den Namen Sankt Georgs zu verstehen, nur das laute Brüllen, das ihnen zu verstehen gab, dass hinter der Hügelkuppe irgendetwas geschah.
«Gott steh uns bei», sagte Matilda.
Melisande öffnete den großen Beutel, der ihre Besitztümer enthielt. Sie wollte den Wappenrock herausnehmen, den ihr Vater ihr gesandt hatte, doch der Beutel enthielt auch die Armbrust mit den Einlegearbeiten aus Elfenbein, die ihr Nick vor beinahe drei Monaten gegeben hatte. Sie zog die Waffe heraus.
«Willst du allein gegen sie kämpfen?», fragte Matilda.
Melisande lächelte, doch sie wusste kaum etwas darauf zu sagen. Sie war so unruhig, so verängstigt, und sie wusste, dass das Geschehen hinter der Hügelkuppe ihr weiteres Leben bestimmen würde und dass sie darauf keinerlei Einfluss nehmen konnte. Sie konnte nur beten.
«Geh hinauf, meine Liebe», sagte Nell Candeler, «und erschieß ein paar von den Bastarden.»
«Sie ist immer noch gespannt», sagte Melisande erstaunt.
«Was?», fragte Matilda.
«Die Armbrust», sagte Melisande, «ich habe nie mit ihr geschossen.» Sie starrte auf die Armbrust und dachte an den Tag, an dem Matt Scarlet gestorben war. Den Tag, an dem sie die Armbrust auf ihren Vater gerichtet hatte. Seit diesem Tag war die Armbrust gespannt gewesen, ihr stahlverstärkter Schaft hatte unter dem Zug der dicken Sehne gestanden, und sie hatte es nie bemerkt. Beinahe hätte sie den Hebel zum Auslösen umgelegt, doch dann steckte sie die Armbrust kurz entschlossen wieder in den Beutel und zog den zusammengefalteten Wappenrock heraus. Sie ließ ihren Blick auf dem hellen Stoff ruhen und wollte das Gewand schon über den Kopf ziehen, als sie mit einem Mal die Gewissheit überkam, dass sie nicht das Wappen eines Feindes tragen konnte, während Nick kämpfte. Und dann überkam sie eine weitere Gewissheit, nämlich die sichere Überzeugung, dass sie Nick niemals Wiedersehen würde, solange sie versucht war, den Wappenrock ihres Vaters zu tragen. Er musste verschwinden. «Ich gehe an den Fluss», sagte sie.
«Du kannst hier pissen», sagte Nell Candeler.
«Ich will ein bisschen umhergehen», sagte Melisande. Dann nahm sie ihren schweren Beutel und ging nach Süden, weg von den Armeen auf dem Plateau und weg von dem Tross. Sie ging zwischen den Saumtieren der Armee hindurch, die auf einer Wiese mit Herbstgras weideten, und bald waren ihre Füße ganz nass. Sie wollte den Wappenrock in die Ternoise werfen und zusehen, wie er stromab getrieben wurde, doch der Fluss der Schwerter war zu weit entfernt, und so entschied sie sich für einen Fluss, der nach den Regenfallen der Nacht schnell und mit hohem Wasserstand dahinrauschte. Er wand sich zwischen Feldern und Baumgruppen hindurch, die südlich des Dorfes lagen, und Melisande kauerte sich an sein Ufer, an dem die Blätter der Erlen und Weiden gelbe und goldfarbene Töne angenommen hatten. Den Beutel legte sie neben sich, zog den Wappenrock heraus, schloss die Augen und hielt ihn mit beiden Händen vor sich, als sei er eine Opfergabe.
«Beschütze Nick», betete sie, «lass ihn am Leben.» Und mit diesen Worten warf sie den Wappenrock ihres Vaters in den Fluss und sah ihm nach, als er schnell davongetragen wurde. Je weiter er weggetrieben wurde, dachte sie, desto sicherer wäre Nick.
Dann wurde die französische Kanone abgefeuert, und das Geräusch war so laut, dass es in dem gesamten Tal hinter dem Schlachtfeld widerhallte, und laut genug, dass Melisande sich umdrehte, um in Richtung Norden zu schauen.
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Und da stand plötzlich Sir Martin vor ihr, grinsend und mager, das graue Haar am knochigen Schädel klebend.
«Hallo, kleine Dame», sagte er lüstern.
Und es gab niemanden, der Melisande helfen konnte.
Sie war allein.
Eine Rauchwolke stieg über dem Hügel auf und zeigte, wo die Kanone abgefeuert worden war.
«Einsam und allein», sagte Sir Martin, «nur du und ich.» Er gab ein keuchendes Geräusch von sich, das ein Lachen gewesen sein mochte, raffte seine Kutte und stürzte auf sie zu.
Die Kanone feuerte und hustete Rauch über die linke Flanke der französischen Armee.
Hook sah den Kanonenstein, ohne sofort wahrzunehmen, was da auf ihn zukam. Ein dunkles Objekt hob sich in die Höhe und raste über das Feld, und es schien, als ob das Ding, das kaum mehr war als ein dunkles Flackern, genau auf ihn zujagte, und dann zerriss das Geräusch des Abschusses die Luft, und Vögel flatterten kreischend von den Bäumen auf, als der Kanonenstein wenige Schritte von Hook entfernt den Kopf eines Bogenschützen traf.
Der Schädel des Mannes löste sich in einer Wolke aus umherspritzendem Blut, Hirnmasse und Knochen auf. Der Stein flog weiter und zog eine blutsprühende Bahn hinter sich her, bis er Zweihundert Schritt hinter der englischen Linie in den Morast schlug. Er hatte die gesattelten Pferde der Feldkämpfer, die von Knappen bewacht wurden, nur um weniges verfehlt.
«Mein Gott», sagte Tom Scarlet entsetzt. Von seinem Bogenschaft fielen glibbrige Hirnbröckchen zu Boden.
«Schieß einfach weiter», sagte Hook.
«Hast du das gesehen?», fragte Scarlet, immer noch fassungslos. Was Hook sah, waren tote und sterbende Pferde, tote Reiter und dazwischen eine Masse Feldkämpfer, die auf ihn zukamen. Armbrustbolzen schwirrten nahe an ihm vorbei, doch nur sehr wenige Armbrustschützen hatten freie Sicht auf die Engländer. Die französischen Armbrustschützen waren bei der hintersten Kampfeinheit aufgestellt worden, zu weit weg, um sicher zielen zu können, und die meisten konnten den Feind nicht einmal sehen. Dann, als die erste französische Einheit auf die freie Fläche zwischen den Wäldern von Tramecourt und Azincourt vorrückte, war sämtlichen französischen Bogenschützen die Sicht auf die Engländer genommen, und sie hörten auf zu schießen.
Die erste französische Kampfeinheit hatte sich über das Feld zwischen den Bäumen verteilt, aber weil die Wälder bei der Mitte des Feldes näher zusammenrückten, mussten sich die Kämpfer enger aneinanderdrängen. Ihre Reihen waren zwar durch die panischen Pferde unterbrochen worden, die in die Kampflinie galoppiert waren, aber dennoch hatten sie nun, als sich das Feld verengte, nicht genügend Platz. Und die ganze Zeit über regnete es Pfeile auf sie herab.
Hook schoss ohne Unterbrechung. Er hatte bereits ein ganzes Pfeilbündel verbraucht und brüllend Nachschub verlangt. Jungen legten frische Pfeilbündel zwischen den Bogenschützen ab, doch es wurden Hunderttausende Pfeile benötigt. Fünftausend Bogenschützen konnten innerhalb einer Minute leicht sechzigtausend Pfeile verschießen, und als die Reiter angriffen, hatten sie sogar noch schneller geschossen. Manche Männer spannten und schossen weiterhin mit größter Geschwindigkeit, doch Hook verlangsamte den Takt. Je näher der Feind kam, desto tödlicher konnte ein Pfeil wirken, deshalb beschloss er, für den Moment nur Breitköpfe gegen die heranrückenden Franzosen einzusetzen.
Mit Breitköpfen konnte man kaum hoffen, eine Panzerrüstung zu durchbohren, doch die schiere Wucht, mit der sie auftrafen, genügte, um einen Mann rückwärtstaumeln zu lassen, und jeder Mann, den Hook zum Taumeln brachte, verursachte weiteres Durcheinander in den französischen Reihen, verlangsamte ihren Vorstoß. Der Feind kämpfte nicht nur mit dem schlammigen Untergrund, sondern auch mit dem unaufhörlichen Pfeilregen. Er hörte die Pfeile gegen Stahl treffen, ein seltsames Geräusch, das niemals endete, und die französischen Feldkämpfer, die immer noch einhundertfünfzig Schritt entfernt waren, sahen aus, als würden sie sich gegen einen Sturm beugen, doch es war ein Sturm, «der einen stählernen Hagel gegen sie trieb.
Thomas Brutte fluchte, als seine Bogensehne riss, sodass sein Pfeil sinnlos in der Luft umherwirbelte. Er zog eine weitere Sehne aus seinem Beutel und bespannte den Bogen neu. Hook sah, dass in jedem feindlichen Banner ein Dutzend oder mehr Pfeile steckten. Er zielte auf einen Mann in einem hellgelben Wappenrock, gab die Sehne frei, und sein Pfeil ließ den Mann stolpern. Ein Pferd lag vor dem Franzosen auf der Seite. Im Todeskampf schlug der Hengst mit dem Kopf auf den Boden und kreiste wild mit den Hufen, und die französische Linie löste sich weiter auf, als Männer versuchten, dem Tier auszuweichen. Überall um Hook war das kurze, dumpfe Geräusch der nach vorne schnellenden Bogensehnen zu hören. Der Himmel war schwarz von Pfeilen. Die meisten Bogenschützen zielten auf die Feldkämpfer, die unmittelbar auf sie zurückten, und um dem Pfeilsturm zu entgehen, drängten sich die ersten Reihen der Franzosen noch enger zur Mitte des Feldes zusammen. So schrumpfte die französische Linie, und die hintersten englischen Bogenschützen nutzten das aus, indem sie sich am Saum des Waldes von Tramecourt aufstellten. So hatten sie endlich freie Sicht, um die Franzosen von der Seite aus mit Breitköpfen zu beschießen.
Die tapfersten Franzosen mühten sich, die englische Kampflinie möglichst schnell zu erreichen, während sich die vorsichtigeren hinter die ersten Reihen zurückfallen ließen. Hook sah, dass die französischen Feldkämpfer, die ihren Vorstoß in einer langen, geraden Linie begonnen hatten, nun drei stellenweise miteinander verschmelzende, ungeordnete Keilformationen bildeten, die auf die Flaggen im Zentrum der drei englischen Kampfeinheiten ausgerichtet waren. Es würde einen Kampf Mann gegen Mann geben, und die Franzosen hofften, drei verheerende Löcher in die englische Kampflinie reißen zu können. Und wenn die Linie aus neunhundert Männern erst einmal durchbrochen war, würden Chaos und Tod herrschen. Hook warf einen Blick nach Norden, weil er fürchtete, dass die Verengimg der französischen Kampflinie ihren Armbrustschützen die Gelegenheit verschaffen würde, an den Flanken des Angreifers vorbeizuschießen, doch die Armbrustschützen schienen sich zurückgezogen zu haben, es war beinahe, als hätten sie das Interesse an diesem Kampf verloren.
Er nahm eine Ahlspitze und entdeckte den Mann mit dem gelben Wappenrock wieder. Er spannte, gab den Pfeil frei und griff schon nach dem nächsten Pfeil, als er den Mann in Gelb auf die Knie gehen sah. Die Ahlspitzen bohrten sich auf diese Entfernung durch die Rüstung, und Hook schoss wieder und wieder, jagte einen Pfeil um den anderen in die langsam vorankommende Kämpfermasse. Er zielte auf die erste Reihe. Nicht alle seine Pfeile bohrten sich in Rüstungen, doch einige trafen im rechten Winkel auf und durchschlugen den Stahl. Franzosen fielen, brachten die nachfolgende Reihe zum Stolpern, doch immer noch rückte die große gerüstete Menge weiter vor.
«Ich brauche Pfeile!», rief ein Mann.
«Bringt uns Pfeile, gottverdammt!», schrie ein anderer.
Hook hatte noch ein Dutzend. Der Feind war jetzt nahe, kaum einhundert Schritt von der englischen Linie entfernt, doch der Pfeilsturm wurde schon schwächer. Hook spannte, suchte sich ein Opfer mit einem schwarzen Wappenrock heraus, ließ den Pfeil davonschnellen und sah seinen Pfeil seitlich in den Topfhelm eindringen. Der Mann torkelte im Kreis, der Pfeil ragte aus seinem Kopf heraus, und seine Lanze brachte einen Ritter vor ihm zu Fall, bevor der sterbende Mann zusammenbrach und der Länge nach in den Schlamm stürzte.
Der nächste Pfeil glitt von einem Brustpanzer ab. Hook schoss erneut, er konnte inzwischen Einzelheiten an den Rüstungen erkennen. Er sah einen Mann in Blau und Grün, der offenbar einen goldenen Kronreif um den Helm trug, und Hook schoss auf ihn und verfluchte sich gleich darauf selbst, denn ein solcher Mann konnte sich die beste Rüstung leisten, und bestimmt war der Pfeil von der Panzerung abgeglitten, wenn der Mann auch schwankte und nur von seinem Standartenträger am Umfallen gehindert wurde. Hook gab den nächsten Pfeil frei und ließ ihn in niedriger Bahn fliegen, die im Oberschenkel eines Franzosen endete. Und dann hatte er nur noch einen Pfeil übrig. Er legte ihn über den Bogenschaft und betrachtete den Feind. Es schien ihm, als hätten all die Tausende von Pfeilen erstaunlich wenig Schaden unter den Franzosen angerichtet. Zwar waren viele zu Boden gegangen, und ihre Körper hielten die anderen auf, doch noch immer war der Acker voller lebendiger, schlammverspritzter, gutgerüsteter Franzosen, die mit ihren Lanzen, Schwertern, Keulen und Äxten gegen die englische Linie vorrückten. Sie schoben sich näher, jeder Schritt eine Anstrengung in dem zähen Schlamm, und Hook suchte sich einen Mann aus, der kraftvoller wirkte als die anderen, und dann schoss er ihm seinen letzten Pfeil in die Brust. Die Ahlspitze durchbohrte die Stahlplatte, zerschmetterte eine Rippe und fuhr tief in einen Lungenflügel, sodass aus den Visierlöchern des Helmes Blutfäden tropften.
«Pfeile!», brüllte Hook, doch da waren keine mehr, bis auf die wenigen, die die Bogenschützen der hinteren Reihen noch übrig hatten, und diese Männer hüteten ihre Geschosse. Die Bogenschützen wurden nun Zuschauer. Sie standen zwischen ihren Stöcken, nur wenige Schritte von der nächsten Keilformation der Franzosen entfernt, die inzwischen ebenfalls bis auf wenige Schritte an die englische Kampflinie herangekommen war.
Seigneur de Lanferelle war imstande, in voller Plattenrüstung über den Rücken seines Pferdes hinwegzuspringen, er tanzte manchmal sogar in seiner Rüstung, nicht nur weil den Frauen ein zum Kampf gerüsteter Mann gefiel, sondern auch, weil er gern vorführte, dass er mit Rüstung leichtfüßiger und gewandter war als die meisten Männer ohne. Doch jetzt konnte er sich kaum mehr bewegen. Jeder Schritt war ein Kampf gegen den saugenden Boden. An manchen Stellen sank er bis zur Mitte des Unterschenkels ein und konnte sich kaum wieder aus dem zähen Schlamm herausziehen, doch Schritt für Schritt kam er voran. Gelegentlich stützte er sich auf seinen Nachbarn, um seinen gepanzerten Stiefel aus dem zähen Morast zu zerren. Er versuchte, in die Ackerfurchen zu treten, in denen der Regen stand, denn diese Furchen hatten den festesten Boden. Durch die kleinen Löcher seines Visiers konnte er kaum etwas sehen, doch er wagte es nicht, das Visier aufzuklappen, denn überall um ihn schlugen lärmend Pfeile ein. Eine Ahlspitze traf ihn an der Stirn, sodass sein Kopf nach hinten gerissen wurde und er beinahe gestürzt wäre, doch einer seiner Männer stützte ihn und richtete ihn wieder auf. Ein anderer Pfeil traf seinen Brustpanzer, riss seinen Wappenrock auf und fuhr mit lautem, schrillem Kreischen an seiner Panzerung entlang. Seine Rüstung hielt beiden Pfeilen stand, doch andere Männer hatten dieses Glück nicht. Alle paar Augenblicke hörte man unter dem metallenen Pfeilregen einen Mann keuchen, schreien oder um Hilfe rufen. Lanferelle sah sie nicht stürzen, er hörte sie nur, und ihm war bewusst, dass ihr Vorstoß den Zusammenhalt verlor, denn Männer drängten sich von links, von wo die meisten Pfeile kamen, zur Mitte der Linie und störten so die Schlachtordnung. Rüstung schlug gegen Rüstung. Lanferelle selbst wurde so dicht gegen seinen rechten Nachbarn geschoben, dass er nicht einmal mehr den Arm mit der Lanze heben konnte. Er brüllte lautstark und versuchte angestrengt, einen Schritt vor den Mann zu kommen. Er drehte seinen Kopf von einer Seite zur anderen, um etwas Sinnvolles in dem grauverschwommenen Bild zu erkennen, das durch die Sehlöcher hereindrang. Die Engländer hatten, so stellte er fest, ihre Visiere aufgeklappt. Sie mussten keine Pfeile fürchten. Lanferelle wagte es immer noch nicht, sein Visier zu öffnen, weil vor ihm zwischen den englischen Kampfeinheiten jeweils einige Bogenschützen aufgestellt waren, und diese Männer würden Gott für das Ziel danken, das er ihnen mit einem offenen französischen Visier anbot.
Sein Atem ging keuchend unter dem Helm. Er hielt sich für einen kraftvollen Mann, doch er musste nach Luft schnappen, während er durch den tiefen Schlamm watete. Schweiß strömte über sein Gesicht. Sein linker Fuß rutschte in einer morastigen Pfütze aus, und er sank auf das rechte Knie. Mühselig kam er wieder hoch und schleppte sich weiter. Dann stolperte er über etwas, und dieses Mal fiel er neben die Leiche eines Feldkämpfers. Zwei seiner Männer zogen ihn wieder auf die Füße. Nun war er vollkommen mit Lehm überzogen. Einige Löcher in seinem Visier waren mit Schlamm verklebt, und er wischte mit der linken Hand darüber, doch der Panzerhandschuh konnte die zähe feuchte Erde nicht entfernen. Du musst nahe genug an sie herankommen, sagte er sich, du musst nur nahe genug an sie herankommen, dann kann das Töten beginnen. Lanferelle vertraute auf seine Fähigkeiten, wenn es ums Töten ging. Vielleicht war er kein Meister im Schlammwaten, aber töten konnte er, und deshalb unternahm er die nächste Anstrengung, um sich vor das Gedränge zu schieben, sodass er ausreichend Platz haben würde, um seine Waffen einzusetzen. Wieder wandte er den Kopf von rechts nach links, spähte durch die noch offenen Löcher seines Visiers und sah in gerader Linie vor sich ein großes Banner mit dem Wappen des englischen Königshauses, das sich schamlos die französische Lilie angeeignet hatte. Über das königliche Wappen auf dem Banner liefen drei weiße Streifen mit drei roten Kreisen, und da erkannte Lanferelle das Banner von Edward Duke of York. Er würde einen guten Gefangenen abgeben, dachte Lanferelle. Das Lösegeld für einen englischen Duke würde Lanferelle reich machen, und diese Aussicht schien seinen müden Beinen neue Kräfte zu verleihen. Er knurrte inzwischen, wenn er sich dessen auch nicht bewusst war. Die englische Kampflinie war dicht vor ihm. «Bist du da, Jean?», rief er, und sein Junker bejahte. Lanferelle hatte vor, die englische Linie mit seiner Lanze anzugreifen und dann, während der Feind vor diesem Schlag zurückwich, die unhandliche Waffe fallen zu lassen und mit der Keule weiterzukämpfen, die über seiner Schlüter hing, und wenn der Keulengriff brach, würde er eine der zusätzlichen Waffen einsetzen, die ihm sein Junker hinterhertrug. Unvermittelt fühlte sich Lanferelle von einem Hochgefühl durchströmt. Er hatte bis jetzt überlebt, er hatte den Pfeilsturm überlebt, und er würde mit seiner Lanze gegen den Feind kämpfen. Doch in ebendiesem Moment jagte eine Ahlspitze im rechten Winkel geradewegs in eines der Visierlöcher seines Helmes, und das Licht blendete Lanferelle, als der Pfeil den Stahl abschälte und seinen Nasenrücken spaltete. Sein Kopf wurde schmerzhaft zur Seite gerissen, als der Pfeil um Haaresbreite an seinem rechten Auge vorbeischoss und an seinem Wangenknochen entlangschrammte, bevor er im Helm stecken blieb.
Plötzlich konnte er sehen. Er sah durch den gezackten Spalt, der von dem Pfeil gerissen worden war, den er nun mit seiner linken Hand aus dem Helm zerrte. Viel war es zwar immer noch nicht, doch als er sich nach einem lauten, dumpfen Geräusch linksherum wandte, hatte er einen großgewachsenen Mann vor sich, der sich krümmte, während ihm schaumiges Blut aus den Visierlöchern seines Helmes tropfte. Dann wandte er seinen Blick zum Duke of York zurück, der nur noch ein paar Schritte entfernt war. Er senkte die Linke, um seine Lanze abzustützen, atmete tief ein und brüllte seinen Kriegsruf. Er brüllte, während er angriff, oder besser: während er sich die letzten Schritte über den schlammigen Acker pflügte. In seinen Schrei mischten sich Zorn und Hochstimmung. Zorn auf seinen schamlosen Feind und Hochstimmung, weil er die Pfeile der Bogenschützen überlebt hatte.
Lanferelle war in der Schlacht angekommen.
Auch Sir John Cornewaille war zornig.
Seit dem Tag, an dem die Armee in Frankreich gelandet war, hatte er zu den Befehlshabern der Vorhut gehört. Er hatte den kurzen Marsch nach Harfleur befehligt, hatte in der ersten Reihe der Männer gestanden, die diese widerspenstige Stadt angegriffen hatten, er hatte den Marsch im Norden der Seine auf diesen Schlammacker in der Picardie geführt. Doch jetzt war dem Verwandten des Königs, dem Duke of York, der Befehl über die Vorhut übertragen worden, und der fromme Duke war nach Sir Johns Ansicht kein sehr begabter Anführer.
Doch der Duke hatte den Befehl, und Sir John, der nur wenige Schritte rechts von ihm in der Linie stand, konnte sich dieser Anordnung nur beugen. Allerdings bedeutete das nicht, dass er den Männern der rechts aufgestellten Kampfeinheit nicht sagen konnte, was sie tun sollten, wenn die Franzosen kamen. Er beobachtete das Vorrücken der feindlichen Feldkämpfer, und er sah, wie sie sich durch den Schlamm quälten. Er verfolgte beeindruckt den Flug der dichten Pfeilstürme, die von links und rechts auf das Feld jagten, um zu treffen, zu verwunden und zu töten. Nicht ein einziges französisches Visier war offen, also waren die Männer halb blind, und der Schlamm verwandelte ihre Bewegungen in die von Krüppeln, und Sir John erwartete sie mit seiner Lanze, seiner Kampfaxt und seinem Schwert. «Hört ihr zu?», rief er. Er meinte damit seine eigenen Feldkämpfer, doch nur ein Narr würde Sir John Cornewailles Worte in einem Kampf nicht beherzigen. «Hört zu!», bellte er aus seinem offenen Helm heraus. «Wenn sie bei uns sind, werden sie die letzten paar Schritte im Sturm nehmen! Sie wollen uns so schwer wie möglich treffen! Sie wollen den Kampf beenden! Also: Auf mein Zeichen gehen wir alle drei Schritt zurück. Habt ihr verstanden? Wir gehen drei Schritt zurück!»
Seine eigenen Männer würden ihm gehorchen, das wusste er, ebenso wie Sir William Porters Männer. Sir John hatte seine Männer auf schnelle Manöver vorbereitet. Der Feind würde heranstürmen und seine gekürzten Lanzen geradewegs in englische Eingeweide oder Gesichter rammen wollen, und wenn die Engländer unvermittelt einige Schritte zurückgingen, würde der erste Schwung dieses Angriffs verlorengehen. Und in genau diesem Moment, in dem der Feind aus dem Gleichgewicht kam, würde Sir John den Gegenangriff beginnen. «Ihr wartet auf meinen Befehl!», rief er, wenn ihm auch zugleich Bedenken kamen. War es vielleicht zu gefährlich, auf diesem trügerischen Grund rückwärtszugehen? Doch der Feind würde vermutlich noch eher ausrutschen und fallen als seine eigenen Männer. Diese standen in drei unregelmäßigen Reihen, die sich in unmittelbarer Nähe des Dukes of York, der seine größere Kompanie um sich geschart hatte, auf sechs erweiterten. Der Duke, dessen angespannte Miene unter seinem Helm deutlich zu erkennen war, hatte sich nicht umgesehen, als Sir John seine Anweisungen gab. Stattdessen hatte er weiter geradeaus gestarrt und die Spitze seines Schwertes aus bestem Bordeaux-Stahl leicht auf einer Ackerfurche ruhen lassen. «Wenn sie angreifen!», rief Sir John und achtete genau darauf, ob der Duke irgendeine Reaktion zeigte, «dann lassen wir sie ins Leere laufen! Geht ein paar Schritte zurück! Und wenn sie aus dem Tritt kommen, greift ihr sie an!» Der Duke schwieg, er hielt den Blick weiterhin auf die Franzosen gerichtet, deren Kampfordnung sich immer weiter auflöste. Die Männer an den Seiten drängten in die Mitte, um den Pfeilen zu entkommen, und die Befehlshaber in der ersten Reihe verzerrten, was von der französischen Aufstellung noch übrig war, indem sie unübersehbar auf die Stellen der englischen Linie zuhielten, an denen die Banner anzeigten, wo der Hochadel stand. Doch so aufgelöst die französische Linie auch sein mochte, ihre erste Kampfeinheit war immer noch beeindruckend. Ihre Zahl übertraf die der englischen Feldkämpfer um das Achtfache. Es war eine wohlgerüstete Kämpfermasse, gespickt mit Lanzen und Schwertern; eine knirschende Welle aus Stahl, die alle Pfeile einfach von sich abzuschütteln schien, ebenso wie einem Stier die Stiche schwärmender Rinderbremsen gleich sein mochten. Dennoch brachen einige Franzosen zusammen, und immer wenn ein Mann durch eine Ahlspitze zu Fall kam, ließ er die Nachfolgenden stolpern, und Sir John sah das Drängen und Schieben, das Stoßen und Rempeln. Manche Männer rangen um einen Platz in der vordersten Reihe, wollten Ruhm und Ehre gewinnen, andere zögerten, als Erste zuzuschlagen, doch alle, das wusste er, gingen davon aus, dass sie auf Lösegelder und Reichtümer und die Freuden des Sieges zählen konnten.
«Gott schütze dich, John», sagte Sir William Porter unruhig. Er war neben seinen Freund in die Kampflinie getreten.
«Ich glaube, Gott wird uns den Sieg schenken», sagte Sir John laut.
«Ich wünschte, Gott hätte uns tausend englische Feldkämpfer mehr geschickt», sagte Sir William.
«Du hast gehört, was der König gesagt hat», rief Sir John als Antwort. «Wünsch dir auch nicht einen Mann mehr in unseren Reihen! Warum den Sieg teilen? Wir sind Engländer! Und wenn wir heute nur halb so viele Männer wären, würden wir diese Scheiße fressenden Söhne stinkender Huren trotzdem niedermachen!»
«Gott steh uns bei», murmelte Sir William.
«Tu, was ich sage», gab Sir John leise zurück. «Lass sie herankommen, geh zurück, und dann schlägst du zu. Wenn du den ersten Mann auf dem Boden hast, bildet er ein Hindernis für den nächsten. Verstehst du?»
Sir William nickte. Die Feinde waren sich nun nahe genug gekommen, um die gegnerischen Männer an ihren Wappenröcken zu erkennen, allerdings waren die Wappenröcke der Franzosen so sehr mit Schlamm bespritzt, dass man die Wappen kaum noch ausmachen konnte, und in beinahe jedem Wappenrock steckten zwei oder mehr Pfeile.
«Dann bringst du den zweiten Mann um», fuhr Sir John fort. «Aber nimm nicht das Schwert. Ein Schwert nützt bei einem solchen Kampf nicht viel. Schlag die Bastarde mit deiner Kampfaxt nieder. Betäube sie, brich ihnen die Beine, spalte ihnen die Schädel. Wenn du dann den zweiten Mann getötet hast, stolpert der dritte schon über zwei Leichen, bevor er dich angreifen kann.»
«Ich würde lieber die Lanze benutzen», wandte Sir William zurückhaltend ein.
«Dann ramm sie ihnen gegen die Visiere», sagte Sir John. «Das ist der schwächste Punkt an ihrer Rüstung. Ramm ihnen die Lanze ins Gesicht, William. Die gottverdammten Bastarde sollen leiden.» Die Franzosen waren nun weniger als fünfzig Schritt entfernt. Die Pfeilschüsse hatten fast gänzlich aufgehört, wenn auch noch einige wenige Ahlspitzen von der Seite in die Flanke des vorrückenden Feindes trafen. Die Bogenschützen, die zwischen den Einheiten der englischen Kampflinie gestanden hatten, machten sich zum Rückzug bereit, sodass die englische Linie der vollgerüsteten Männer keine Unterbrechung mehr aufwies. Diese Bogenschützen hatten noch einige Pfeile übrig und schossen sie schnell ab, bevor sie endgültig nach hinten befohlen wurden. Weitere Franzosen brachen zusammen. Einer, einen Pfeil tief im Bauch, ging in die Knie, schob sein Visier nach oben und erbrach eine blutiges Gemisch, bevor ihn die nachfolgenden Männer in die Ackerfurchen trampelten.
«Wir stehen drei Reihen tief», sagte Sir John, «und sie haben mindestens zwanzig Reihen. Die hinteren Männer werden die vorderen weiterschieben und sie uns so in die Klingen treiben.» Ein Grinsen flog über sein Gesicht. «Und wir sind nüchtern, William. Uns ist der Wein ausgegangen, also kämpfen wir nüchtern, aber ich wette, dass die Hälfte ihrer Armee jetzt noch betrunken ist. Gott steht auf unserer Seite, William.»
«Glaubst du das wirklich?»
«Glauben?» Sir John lachte. «Ich weiß es! Jetzt ist es gleich so weit.»
Neuer Lärm erhob sich, als die Franzosen wieder ihre Kriegsrufe brüllten. Auf Sir Johns linker Seite bewegte sich ein großer Pulk Gegner auf das Banner des Königs zu. Er sah die Oriflamme rot und tückisch hoch an ihrem Stab flattern, und dann vergaß er sie, weil der Feind seine Kräfte zu einer großen Anstrengung bündelte. Sie brüllten, sie versuchten die letzten Schritte zu rennen, sie kamen, um sich ihren Sieg zu holen.
Ihre Lanzen waren bereit zum Zustoßen. Sie schrien «Saint Denis! Montjoie!Montjoie!», und die Engländer heulten wie Jäger, die ihre Beute hetzen.
«Jetzt!», brüllte Sir John. «Jetzt!»
Sir Martin stieß Melisande zu Boden. Er legte ihr die Hand zwischen die Brüste und schob Melisande heftig rückwärts, sodass sie zwischen den Bäumen an der Uferböschung hinfiel. «So», sagte er, «sei ein folgsames kleines Mädchen und rühr dich nicht. Nein!», er hob eine Hand, als sie versuchte wegzukriechen. In dieser erhobenen Hand lag eine schreckliche Drohung, sodass Melisande erstarrte und Sir Martin damit zum Lächeln brachte. Seine Zähne waren nur noch gelbliche Stümpfe. «Irgendwo habe ich ein Messer», erklärte er ihr, «es muss doch irgendwo sein.» Er fingerte in einem Beutel an seinem Gürtel herum. «Es ist ein wirklich gutes Messer. Oh! Da ist es ja!» Er grinste, als er die kurze Klinge vor ihr emporhielt. «Setz ein Messer an ihre Kehle, sagt die Heilige Schrift, wenn du ein Mann von großem Appetit bist, und das bin ich, das bin ich wirklich, aber ich will dir deine hübsche Kehle trotzdem nicht durchschneiden, meine Hübsche. Es verdirbt mir nämlich beinahe die ganze Freude, wenn du in deinem Blut zappelst. Also sei ein gutes Mädchen und bleib still liegen, dann ist es bald vorbei.» Er lachte bei dem Gedanken, dann kniete er sich mit den Beinen rechts und links neben ihrem Körper über sie. «Aber ich denke, wir wollen dich nackt. Die Blöße ist gesegnet, Mädchen. In der Blöße liegt die Wahrheit. Das sind die Worte unseres Herrn und Erlösers.» Er hatte diese Worte erfunden, doch für ihn klang aus ihnen biblische Wahrheit. Er stemmte seine linke Hand auf ihre Brüste, sodass Melisande wimmerte. Er grinste, und in seinen tiefliegenden Augen sah Melisande den Wahnsinn glühen. Sie rührte sich kaum, sie wagte kaum, sich zu rühren, denn das Messer kam auf ihre Kehle zu, und dennoch tastete sie nach ihrem Beutel und zog ihn langsam näher zu sich.
«Was will uns scheiden von der Liebe Gottes?», fragte Sir Martin mit heiserer Stimme. «Kannst du mir das sagen, eh?» Immer noch grinsend, packte er mit der linken Hand den Ausschnitt ihres Gewandes. «Diese Frage stellt uns die Heilige Schrift, Mädchen. Was will uns scheiden von der Liebe Gottes? Was soll dich und mich scheiden, eh? Nicht Trübsal, so lautet das Wort des Herrn, nicht Angst, nicht Verfolgung, nicht Hunger, hörst du mir zu?»
Melisande nickte. Immer einen Fingerbreit zog sie den Beutel auf sich zu und tastete nach seiner Öffnung.
«Das Wort Gottes, mein kleines Mädchen», sagte Sir Martin, der sich jetzt tatsächlich biblischer Worte bediente, «geschrieben uns zum Trost vom gebenedeiten Paulus selbst. Weder Gefahr noch das Schwert soll uns von der Liebe Christi scheiden, und auch nicht, so sagt der Apostel, die Blöße!» Und damit schlitzte er mit dem kurzen Messer den Ausschnitt ihres Gewandes auf und riss es mit einer zuckenden Grimasse nach unten, sodass ihre Brüste nackt waren.
«Fürwahr», sagte Sir Martin ehrfürchtig, «fürwahr, fürwahr, fürwahr. Deine Blöße wird dich nicht von der Liebe Christi scheiden, mein Kind, so lautet das Versprechen der Heiligen Schrift. Du solltest beglückt über mein Erscheinen sein. Du solltest darüber frohlocken.» Er hatte sich neben sie gekniet, um ihr Leinengewand bis zum Saum aufzureißen. Dann betrachtete er in stummer Andacht ihren blassen Körper. Melisande lag reglos da, doch nun hatte sie ihre rechte Hand in den Beutel geschoben.
«Wir sind nackt gegangen, Mädchen, bevor die Frau die Sünde in die Welt gebracht hat», sagte Sir Martin, «und es ist nur recht und billig, dass die Frau für diese Ursünde bestraft wird. Findest du nicht auch?» Eine Windbö trug Schreie vom Hochplateau herüber, und der Priester wandte sich kurz nach der Hügelkuppe um. Melisande schob ihre Hand tiefer in den Beutel und tastete nach einem der kurzen lederbefiederten Bolzen. Als sich Sir Martin wieder zu ihr herumdrehte, erstarrte sie. «Sie spielen dort oben ihre Spiele», sagte er. «Sie lieben den Kampf, das tun sie, aber diese Partie werden die Franzmänner gewinnen! Es sind Tausende von den Bastarden! Dein Nick wird fallen, Mädchen. Unter dem Schwert eines Franzmanns. Du bist doch selbst eine kleine Französin, oder? Eine hübsche kleine Französin. Es tut mir nur leid, dass dein Nick niemals erfahren wird, dass ich dich für deine Sünden bestraft habe. Die Frau hat die Sünde in die Welt getragen, und die Frau muss bestraft werden. Es würde mir gefallen, wenn dein Nick in dem Wissen stirbt, dass ich dich bestraft habe, aber das wird er nicht, so ist es eben, so soll es sein, so hat es unser gütiger Gott beschlossen. Mein Thomas wird vermutlich auch sterben, und das ist ein Jammer, ich mag meinen Thomas nämlich, aber ich habe noch andere Söhne. Schenkst du mir vielleicht auch einen?» Er lächelte bei dieser Vorstellung und zerrte seine Kutte hoch. «Ich werde nicht sterben. Die Franzmänner töten keine Priester, weil sie nämlich nicht zur Hölle fahren wollen. Und wenn du lieb zu mir bist, meine Kleine, dann stirbst auch du nicht. Du darfst leben und ein Baby von mir bekommen. Sollen wir es Thomas nennen? So machen wir es! Und jetzt nimm deine zarten Schenkel auseinander.»
Melisande rührte sich nicht, doch der Priester trat ihr auf die Knie, und dann trat er noch einmal härter zu, sodass er seinen Fuß zwischen ihre Schenkel zwängen konnte. «Unser Henry hat seine Männer geradewegs in den Scheißekübel des Teufels geführt, nicht wahr?», sagte er. «Und jetzt werden sie bald allesamt tot sein. Sie werden allesamt tot sein, und nur du und ich bleiben übrig, kleines Mädchen, nur du und ich, und deshalb kannst du ebenso gut lieb zu mir sein.» Er zog das schwarze Priestergewand über seine Hüften hoch und grinste sie an. «Hübsch ist er, findest du nicht? Und jetzt, meine Kleine, heiß ihn willkommen.»
Er zwang seine Knie zwischen ihre Beine.
«Das wollte ich schon so lange tun», sagte er, während er über ihr kniete, «schon so unendlich lange.» Er zuckte krampfartig zusammen, dann beugte er sich vor und stützte sich auf der linken Hand ab, während er ihr mit der rechten wieder das Messer an die Kehle hielt. Ein zweiter Beutel hing neben einem hölzernen Kruzifix an einer Lederkordel um seinen Hals, und sowohl das Kruzifix als auch der Beutel schwangen hin und her und störten den Priester. «Die brauchen wir jetzt nicht, oder?», fragte er. «Die sind bloß im Weg, Mädchen.» Mit der Messerhand zog er sich die Kordel über den Kopf. Der Inhalt des Beutels klimperte, als er ihn auf die Uferböschung warf, und das Geräusch brachte ihn zum Grinsen. «Das ist Franzosengold, kleines Mädchen, Gold, das ich in Harfleur gefunden habe, und wenn du lieb zu mir bist, gebe ich dir einen Groschen oder zwei. Du wirst doch lieb sein, nicht wahr? Ganz still und lieb wie ein gutes kleines Mädchen?»
Melisande schob ihre Hand tiefer in den Beutel und fand, was sie suchte.
«Ich werde lieb sein», sagte sie mit ängstlich bebender Stimme.
«Oh, das wirst du», gab Sir Martin heiser zurück und legte das Messer wieder an ihren Hals. «Das wirst du ganz bestimmt.»
Sir John trat zurück. Zwei Schritt genügten. Zuerst hatte er befürchtet, den Befehl zu früh gegeben zu haben, und wieder hatte er geglaubt, es wäre zu spät, denn seine Füße steckten im Schlamm, doch er zerrte sie heraus, stolperte zwei Schritt zurück, und die angreifenden Franzosen schrien auf, weil sie glaubten, die Engländer wollten davonlaufen, dann stießen sie ihre Lanzen in die leere Luft, und der Schwung der Stöße brachte sie aus dem Gleichgewicht, und in diesem Moment schlug Sir John zu. «Jetzt!», brüllte er. «Zuschlagen!» Er rammte seine Lanze vorwärts, spießte die Eisenspitze in den Schritt des nächsten Feindes. Die englischen Lanzen waren ebenso wie die französischen gekürzt worden, doch die Franzosen hatten die Schäfte stärker gekürzt und hatten mit ihren Waffen deshalb eine geringere Reichweite als die Engländer. Sir Johns Lanze bohrte sich in Metall, und er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht in den Stoß, sah den Feind vorwärts zusammenklappen, zerrte die Lanze zurück, sah den Mann fallen und stieß erneut zu.
Die Franzosen, deren Hieb in die Leere gelaufen war, kamen ins Stolpern. Sie waren erschöpft, konnten ihre Füße kaum noch aus dem schweren Boden ziehen, und die Gewalt der englischen Lanzenstöße ließ sie stürzen. Rechts und links von Sir John lagen Männer auf den Knien, und er rammte die Lanze mit aller Kraft in das visiergeschützte Gesicht eines Mannes in der zweiten Reihe, um ihn rückwärtstaumeln zu lassen. Dann schleuderte er die Lanze auf den Boden und streckte die rechte Hand nach hinten aus. «Kampfaxt!»
Sein Junker gab ihm die Waffe.
Und das Töten begann.
Eine Lanze traf Sir Johns Kopf. Er hatte kein Visier, und der Franzose hatte versucht, Sir John das Auge auszustechen, doch der Hieb glitt am Helm ab, und Sir John schob sich einen Schritt nach vorn, schwang in einer knappen Bewegung seine Kampfaxt und schmetterte sie gegen den Helm des Mannes. Der Helm brach auf, und ein weiterer Mann krümmte sich im Schlamm. Etliche Männer in der französischen Linie waren zu Fall gekommen, und Sir John sorgte dafür, dass sie am Boden blieben, indem er die bleibeschwerte Hammerseite seiner Axt auf ihre Helme niederfahren ließ. Der Mann, der als Erster in Sir Johns Lanze hineingelaufen war, mühte sich, wieder aufzustehen, und Sir John hieb ihm die Klingenseite der Axt in die Rückenpanzerung und brüllte seinem Junker zu, dem Mann endgültig den Garaus zu machen. «Offne sein Visier», rief er, «töte ihn!» Dann suchte sich Sir John einen festen Stand und begann, sich seine Feinde auszusuchen.
Beinahe die gesamte erste Reihe der Franzosen war zu Boden gegangen, wo sie eine blutende Masse aus verschlungenen Körpern und gefährlich scharfen Waffen bildeten, und die nachfolgenden Reihen stolperten über diese Hindernisse, und dabei wurden sie mit Axtklingen, Keulen und Lanzenspitzen angegriffen. Das wäre jedoch noch nicht allzu schwer ins Gewicht gefallen, wenn die Franzosen die Hindernisse in Ruhe hätten überwinden können, doch sie wurden von den eigenen nachfolgenden Reihen nach vorne gedrängt, sodass sie unmittelbar in die englischen Klingen hineinstolperten. «Tötet sie!», brüllte Sir John. «Tötet sie! Tötet sie! Tötet sie!» Und in diesem Moment kam der Rausch der Schlacht über ihn, das schiere Glücksgefühl, ein Kriegsherr zu sein, gerüstet und bewaffnet, gefährlich und unbesiegbar. >Mit dem Hammerende der Kampfaxt schlug er Feinde in ihren Rüstungen nieder. Der Hammer musste die Rüstung nicht durchbohren, das vermochten ohnehin nur wenige Waffen, doch allein seine Wucht konnte einen Mann betäuben, und gewöhnlich genügte ein Hieb, um ihn niederzuwerfen oder gar für den Rest seines Lebens zum Krüppel zu machen.
Die Franzosen, so schien es Sir John, bewegten sich mit quälender Langsamkeit, während ihm gottgleiche Schnelligkeit verliehen worden war. Grinsend behielt er drei oder vier Feinde zugleich im Auge, suchte sich denjenigen aus, den er zuerst angreifen wollte, während er zugleich schon wusste, wie er den zweiten und den dritten niedermachen würde. Sie kamen auf ihn zu, und er spürte ihren Schrecken. Die hinteren Reihen der Franzosen waren mit Kurzwaffen, Keulen, Schwertern oder Äxten ausgerüstet, doch sie fanden keine Gelegenheit, sie einzusetzen, während sie über die Körper der Gefallenen gedrängt wurden. Sie torkelten den Hieben Sir Johns und seiner Männer entgegen, und so viele von ihnen gingen zu Boden, dass Sir John selbst über Tote hinwegsteigen musste. Nun befanden sich die Engländer im Gegenangriff. Neunhundert Männer bekämpften achttausend, doch diese neunhundert Männer wussten, wohin sie ihre Füße setzten, und mussten nicht befürchten, von Männern aus nachfolgenden Reihen nach vorne gedrängt zu werden.
Ein Franzose in schlammbespritzter Rüstung, deren Metall mit Sand gescheuert worden war, bis es wie Silber glänzte, stieß sein Schwert gegen Sir John, der die Wucht des Hiebes mit der Beinschiene abfing, die seinen linken Oberschenkel schützte. Sir Johns Mitstreiter zur Rechten hieb mit der Kriegsaxt auf den schimmernden Helm ein, und der Franzose brach zusammen wie ein Schlachtochse, während Sir John den spitzen Stachel seiner Kriegsaxt schon dem nächsten Gegner ins Gesicht rammte, der einen Wappenrock mit einer Weizengarbe trug. Unter der Spitze wurden Visier, Zähne und Gaumen zermalmt, sodass der Kopf des Mannes nach hinten schnappte, während sein Körper nach vorn gedrängt wurde. Sir John ließ seinen Nebenmann den Helm des Gefallenen zerschmettern, während er den nächsten Hieb seiner Kriegsaxt gegen einen Topfhelm schmetterte, auf dem sich ein Federbusch erhob. «Kommt her, ihr Bastarde! Ich will euch!», rief Sir John. Er lachte. In keinem Augenblick dachte er daran, dass einige Franzosen begierig danach waren, den Ruhm zu erwerben, den der Tod oder die Gefangennahme Sir John Cornewailles einbringen würde. Sie kamen und sie fielen. Sie wurden zu Opfern des durchnässten, schlüpfrigen Bodens und der Hindernisse, die sie durch ihre geschlossenen Visiere nicht sehen konnten. Sie liefen geradewegs in die kurzen, gewaltigen Hiebe einer Kampfaxt und verwandelten sich selbst in weitere Hindernisse für ihre Gefährten.
«Eng zusammenbleiben! Eng zusammenbleiben!», brüllte Sir John und versicherte sich, dass er einen Mann zur Linken und Sir William zur Rechten hatte. Der Kampf wurde Schulter an Schulter geführt, sodass der Feind keine Gelegenheit bekam, die Kampflinie aufzubrechen, und Sir Johns Feldkämpfer setzten die Techniken ein, die er sie gelehrt hatte. Sie waren über die ersten gefallenen Franzosen hinweggestiegen, und die zweite Reihe der Engländer öffnete die Visiere der Feinde und stieß ihnen Messer in Augen oder Münder, damit die Verwundeten nicht noch vom Boden aus einen Hieb oder Stich ausführen konnten. Die Franzosen kreischten, wenn sie die Klinge kommen sahen, sie zappelten im Schlamm, um den Stichen zu entgehen, sie starben in Zuckungen, und immer noch kamen weitere, die niedergeschlagen, verstümmelt und erstochen wurden. Manche Franzosen, die sich nun vor den Pfeilen sicher fühlten, hatten ihre Visiere geöffnet, und Sir John rammte einem Mann den Spitzdorn der Kampfaxt ins Gesicht, drehte sie, während er die Augenhöhle durchstach, zog sie triefend vor Gallertmasse und Blut zurück und sah, wie der Mann in seinem verzweifelten, qualvollen Todeskampf weitere Franzosen beim Kämpfen behinderte. Sir William Porter stieß Männern die Lanze ins Gesicht. Ein Stoß genügte meist, um die Männer aus dem Gleichgewicht zu bringen, und Sir Williams anderer Nachbar gab ihnen mit einem Hieb seiner Streitaxt den Rest. Sir William, im gewöhnlichen Leben ein stiller und gelehrter Mann, knurrte und röchelte, als er sich seine Opfer aussuchte. «Gottverflucht, William», rief Sir John, «das ist die reine Lust!»
Der Lärm war ohrenbetäubend. Stahl auf Stahl, Schreie, Kriegsrufe. Inzwischen waren genügend Franzosen gefallen, um den massiven Angriff zum Erliegen zu bringen, und kein Mann aus den hinteren Reihen kam mehr über die Leichen, ohne selbst einer englischen Klinge zum Opfer zu fallen. Blut stand in den Ackerfurchen. Sir John trat auf den behelmten Kopf eines Franzosen. Er war sich dessen nicht bewusst, doch er bemerkte, dass sein rechter Fuß endlich einmal festen Grund gefunden hatte, und sein Gewicht trieb das Visier des Mannes in den Schlamm, der durch die Visierlöcher in den Helm eindrang. Der Mann erstickte langsam. Er ertrank im Schlamm, rang nach Luft, während Sir John die Franzosen verhöhnte, sie zu sich rief und dann einen Ausfallschritt nach vorn machte, begierig, den nächsten Feind zu Tode zu bringen. «Tötet sie!», schrie er. «Tötet sie!» In seinem gesamten Körper kreiste ungebändigt die pure Kraft, und er setzte sie ein, um die französische Linie zu durchbrechen, sodass seine Männer ihm nachkommen konnten, und er hieb und stach mit der Geschwindigkeit des ge-fürchtetsten Turnierkämpfers der Christenheit. Er verkrüppelte Männer mit dem Spitzdorn seiner Axt, trieb ihn zwischen den Metallstreifen des Panzerschurzes hindurch, der ihren Schritt schützte, und wenn sie brüllend vor Schmerz zu Boden stürzten, schmetterte er ihnen den Hammer auf den Helm und überließ es den Männern hinter sich, den Feinden den Gnadenstoß zu versetzen. Auch Sir John bekam Hiebe auf die Rüstung ab, doch sie waren schwach. Dann gelang einem Franzosen doch ein enormer Hieb mit der Kampfaxt, und Sir John rettete, dass der Axtgriff des Feindes brach. Sir John brüllte Rache, holte mit seiner eigenen Axt aus und hieb dem Mann die Klinge durch das Kniestück der Rüstung ins Bein. Der Mann ging zu Boden und wehrte sich mit dem gebrochenen Schaft seiner Waffe, doch Sir John schmetterte den Hammerkopf seiner Axt mit solcher Gewalt auf seinen Helm, dass der Stahl aufbrach und Blut aus den Visierlöchern spritzte. Sir John und seine Feldkämpfer schlugen eine tiefe Lücke in die dichten französischen Reihen und töteten ohne Unterlass, um den Feind zum Stolpern zu bringen.
Zu seiner Linken, unbemerkt von Sir John, starb der Duke of York.
Der französische Angriff hatte zuerst die englische Vorhut getroffen. Einhundert Männer waren tot, bevor die Oriflamme in der Nähe von König Henrys Männern angekommen war, und vor der ersten Linie stand Ghillebert, Seigneur de Lanferelle, und ihm war halb gegenwärtig, dass die Engländer links von ihm einige Schritte zurückgetreten waren, als der französische Angriff kam, doch der Duke of York und seine Männer waren an Ort und Stelle gebheben, hatten mit Lanzen zugestochen, und Lanferelle war seitwärts ausgewichen, hatte eine Lanze an seinem Brustpanzer abgleiten lassen und dann seine eigene Lanze in ein Gesicht ohne Visierschutz gerammt. «Lanferelle!», rief er. «Lanferelle!» Er wollte die Engländer wissen lassen, wem sie gegenüberstanden. Er wehrte eine Lanze mit seiner eigenen ab, und dann nahm er die Keule von der Schulter und begann auf die Feinde einzuhacken. Dies war nicht der Ort für die feine Anmut eines Turnierkämpfers, nicht der Ort, um Kunstfertigkeit am Schwert zu zeigen, dies war ein Ort zum Abschlachten und Töten, zum Hacken und Verwunden, ein Ort, den Feind das Fürchten zu lehren. Und Lanferelle schmetterte die dornenbespickte Keule auf einen Mann im Wappenrock des Dukes, zerrte die blutigen Eisendornen aus dem zermalmten Helm, ließ die Waffe auf den nächsten Feind niederfahren, schleuderte ihn zurück, und dann hatte er den Duke beinahe vor sich, etwas zu seiner Rechten, doch zuvor musste er den Mann links vor sich töten, und das tat er mit einem so schweren Keulenhieb, dass er ihn bis zur Schulter hinauf spürte. «Ergebt Euch!», rief er dem Duke zu, der sein Visier heruntergeklappt hatte, und die Antwort des Dukes bestand in einem Schwerthieb, der hell gegen Lanferelles Rüstung klang, und Lanferelle senkte den Keulenkopf hinter der Schulter des Dukes und zog die Waffe ruckartig zu sich, sodass der hochgewachsene Mann nach vorne stolperte und der Länge nach hinfiel. «Er gehört mir!», rief Lanferelle. «Der Bastard gehört mir!» Und in diesem Moment kam der Rausch der Schlacht über Lanferelle, das Hochgefühl eines Kriegers, der seinen Feinden überlegen ist.
Er stand über dem Duke, einen Fuß auf seinem Rückgrat, und tötete jeden Mann, der ihn befreien wollte. Vier seiner eigenen Feldkämpfer standen ihm mit Kriegsäxten zur Seite, und sie brüllten, den Engländern Beleidigungen entgegen, bevor sie sie töteten. «Ich will das Banner!», rief Lanferelle. Er dachte daran, welch schöne Zierde die große Flagge des Dukes in der Halle seines Herrenhauses abgeben würde, wo er sie von den rauchgeschwärzten Balken der Musikerempore herabhängen lassen konnte und wo sie der Duke als Lanferelles Gefangener jeden Tag vor Augen haben würde. «Komm und stirb!», rief Lanferelle dem Standartenträger zu, doch englische Feldkämpfer drängten den Mann aus der unmittelbaren Gefahrenzone zurück und umringten Lanferelle, der ihre Hiebe abwehrte, hart zurückschlug, mit seiner wuchtigen Keule die Gegner aus dem Gleichgewicht bringen wollte, und die ganze Zeit brüllte er seinen Männern aus der zweiten Reihe zu, ihm den Rücken frei zu halten. Sie mussten verhindern, dass die nachdrängenden Franzosen ihn umrannten, und sie taten es, indem sie ihre eigenen Gefährten bedrohten, damit Lanferelle ausreichend Platz hatte, um die Keule gegen jeden Mann zu schwingen, der sich ihm entgegenstellte. Seine vier Männer hieben mit den Kampfäxten auf die englische Linie ein, die so dünn war, dass Lanferelle glaubte, sie durchbrechen und eine Vielzahl Franzosen hinter das Zentrum der englischen Aufstellung führen zu können. Warum nicht den König ebenso wie den Duke gefangen nehmen? «Vorwärts!», rief er. «Vorwärts!» Doch als er vorrücken wollte, hätten ihn beinahe die Toten aus dem Gleichgewicht gebracht, die über den Beinen des Dukes of York lagen. Lanferelle wollte die Körper mit den Füßen aus dem Weg schieben, doch da traf ein englischer Lanzenhieb seinen Brustpanzer und schleuderte ihn zurück. «Bastard!», brüllte Lanferelle und hieb mit den blutigen Eisendornen seiner Keule auf den knurrenden Gegner ein. Dann ließ ihn ein Warnruf nach links bücken, und er sah, dass die Engländer in die französische Linie einbrachen, um die Gegner einzukreisen. Er glaubte, es sei immer noch genügend Zeit, die feindliche Linie zu durchbrechen, und er wollte erneut vorrücken, doch wieder wurde er von einem Toten gehemmt, und dann stellte sich ihm eine ganze Gruppe Engländer entgegen, und ihre Lanzen, Streitäxte und Keulen trafen seine Rüstung, sodass er nichts anderes tun konnte, als zurückzuweichen. Diese Gelegenheit, die feindliche Linie zu spalten, war vorüber.
Er zog sich zurück und ließ den Duke of York mit dem Gesicht voran im Morast liegen. Der Duke, bewusstlos und niedergetrampelt, war in einer blutig roten Pfütze erstickt, und nun rückten die Engländer über seine Leiche hinweg vor, stürzten sich auf Lanferelle und seine Standarte mit der Sonne und dem Falken, und Lanferelle hielt sie mit kurzen, schweren Hieben in Schach. Er wusste nicht, dass der Duke tot war, er bedauerte lediglich, ihn für eine Weile nicht mehr in der Gewalt zu haben, doch dann sah er zu seiner Linken eine andere Standarte, eine Standarte, die tief in die französischen Reihen hineingetragen worden war und die einen aufsteigenden Löwen mit einer Krone zeigte, und ihm kam der Gedanke, dass ihn das Lösegeld für Sir John Cornewaille reich genug machen würde. «Mir nach!», brüllte er und rammte, schob und kämpfte sich den Weg zu Sir John frei.
In einiger Entfernung rechts vor Lanferelle tobte eine wilde Schlacht um die vier Standarten des Königs. Dutzende von Franzosen wollten sich die Ehre verdienen, den englischen König gefangen zu nehmen, doch sie hatten die gleichen Schrecknisse vor sich wie die übrigen französischen Angreifer. Ihre vorderste Reihe war schnell zusammengebrochen. Die Männer waren durch den Kampf auf dem zähen Untergrund erschöpft, viele waren in den Pfeilstürmen verletzt worden, und die Leibgarde des Königs war mit ihren tödlichen Äxten, Keulen und Spalthämmern auf sie losgegangen. Nun stolperten die Angreifer über Leichen, wurden von Axthieben getroffen, drängten jedoch immer noch vorwärts. Eine französische Lanze bohrte sich in den Plattenschurz von Humphrey Duke of Gloucester, dem jüngeren Bruder des Königs, und dieser Stoß in die Leiste ließ ihn stürzen. Franzosen eilten heran, um ihn gefangen zu nehmen, doch Henry stand über seinem verletzten Bruder und schwang beidhändig das Schwert gegen die Feinde. Er kämpfte mit dem Schwert, weil er fand, dies sei die angemessene Waffe für einen König, und wenn sie ihn gegenüber Männern mit Kampfäxten und Keulen in Nachteil setzte, dann erkannte Henry diesen Nachteil nicht an, denn er wusste Gott an seiner Seite. Er spürte Gott in seinem Herzen, er fühlte, dass Gott ihm Kraft verlieh, und sogar als eine französische Kampfaxt mit blinder Gewalt gegen seinen Helm mit der Königskrone fuhr, beschützte ihn Gott. Eine Goldblume wurde von der Krone geschlagen, und sein Helm war eingedrückt, doch der Stahl war nicht gebrochen, und das Lederfutter fing etwas von der Wucht des Hiebes auf. Henry blieb bei Bewusstsein, und er stieß dem Axtkämpfer sein Schwert in die Achselhöhle und brüllte seinen Kriegsruf. «Sankt Georg!»
Henry von England war erfüllt von gottgeschenkter Glückseligkeit. Niemals in seinem gesamten Leben hatte er sich Gott näher gefühlt, und fast bemitleidete er die Männer, die hierhergekommen waren, um zu sterben, denn sie wurden von Gott getötet. Henrys Leibgarde wich nicht von seiner Seite. Einen nach dem anderen tötete sie achtzehn Franzosen, die noch in der Nacht zuvor einen feierlichen Eid geschworen hatten, den König von England gefangen zu nehmen oder zu töten. Die achtzehn Männer gehörten durch ihren Schwur für immer zusammen. Sie waren zusammen vorgerückt, und nun starben sie zusammen. Ihre verdrehten, blutüberströmten Körper hemmten die Männer, die ebenfalls den Ruhm erringen wollten, der die Gefangennahme eines Königs einbrachte. Ein Franzose rief seine Herausforderung, holte mit der Dornenkeule gegen den König aus, und der König suchte mit der Schwertspitze in den Visierschlitz des Franzosen zu treffen, und die Keule traf einen Mann neben dem König, der taumelte, und ein anderer Engländer trieb dem Angreifer die Spitze seiner Kampfaxt in die Kehle, sodass Blut am eisenbeschlagenen Griff der Axt herunterschoss. Der Mann sank in die Knie, und der König rammte ihm die Klinge in den Visierschlitz und zermetzelte dem Mann Lippen und Zunge. Ein Blutschwall drang aus dem Visier, eine Kampfaxt fuhr auf den Helm des Mannes nieder, durchschlug den Stahl und spaltete den Schädel, sodass der König in sprühendem Blut stand, während er seine Klinge frei zerrte und den nächsten Lanzenhieb abwehrte. «Sankt Georg!», rief er wieder und fühlte göttliche Kraft durch seine Adern pulsen. Der Franzose mit der Lanze kämpfte mit offenem Visier, und Henry sah Angst in seinen Augen und dann eine stumme Bitte um Gnade, als ihm die Lanze aus den Händen gerissen wurde. Doch Gott wollte keine Gnade für Henrys Feinde, und deshalb fuhr der König dem Mann mit dem Schwert quer übers Gesicht und zerschnitt ihm damit beide Augäpfel. Ein Mann der königlichen Leibgarde brach den Helm des blinden Franzosen mit einem Spalthammer auf, und so fiel der nächste Körper auf den Leichenhaufen, der die englische Linie schützte.
Und die englische Linie hielt. An manchen Stellen war sie von den heranstürmenden Angreifern nach hinten verschoben worden, doch die Linie brach nicht, und nun wurde sie durch einen Wall aus toten und verwundeten Franzosen geschützt, und an einigen Abschnitten, wo die Engländer den Gegenangriff ausführten, bildeten sich in ihrer Linie Ausbuchtungen nach vorne. Und die Franzosen, denen es unmöglich war, unmittelbar geradeaus vorzurücken, begannen zu den Flanken hin auszuweichen.
Wo die Bogenschützen standen, die keine Pfeile mehr hatten.
«Du kannst sterben, oder du kannst kämpfen.» Die Stimme klang weit entfernt und leicht belustigt, so als ob es den Sprecher nicht kümmerte, welches Schicksal Nicholas Hook erwartete.
«Gottverdammt nochmal, Nick, sie greifen uns an», sagte Tom Scarlet beunruhigt. Die Bogenschützen hatten sich hinter die erste Reihe der Stöcke zurückgezogen und von dort aus mitverfolgt, wie die französischen Feldkämpfer gegen die englischen Linie angerannt waren. Die Bogenschützen hatten laut gejubelt, als die gefährlich schwach besetzte Linie den Feind hatte aufhalten können, doch nun wendete sich dieser Feind ihnen zu.
«Wir können kämpfen oder sterben», sagte Hook. Er warf seinen Bogen auf die Erde. Ohne Pfeile war er nutzlos, und sie hatten keine Pfeile mehr.
«Dann kämpfe», erklang die Stimme von Neuem, und Hook wusste, dass es Sankt Crispin war, der abweisendere Heilige, der zu ihm sprach.
«Ihr seid hier!», sprach er voller Erleichterung und Staunen laut aus.
«Ich bin hier, Nick», sagte Scarlet, «ich will zwar nicht hier sein, aber ich bin es.»
«Gewiss sind wir hier!», gab Sankt Crispin barsch zurück. «Wir sind hier, um unsere Vergeltung zu bekommen! Also kämpfe gegen sie, du Bastard! Worauf wartest du noch?»
Hook hatte innegehalten, um die Franzosen zu beobachten. Er ahnte, dass sie nicht versuchten, die Engländer von der Flanke her anzugreifen, sondern eher dem Gemetzel im Zentrum der Kampflinie entkommen wollten. Doch bald, so dachte er, würde manch ein Franzose beschließen, die leichtbewaffneten Bogenschützen anzugreifen, um auf diese Weise einen Weg hinter den König zu finden.
«Worauf wartest du noch?», wiederholte der Heilige zornerfüllt. «Tu Gottes Werk, im Namen des Herrn! Bring die gottverdammten Hunde einfach um!»
Ein Angstschauer überlief Hook. Er sah einen Franzosen näher an die Stöcke herankommen. Sein linker Arm hing kraftlos von dem zermalmten, blutigen Schulterstück seiner Rüstung herab.
«Was tun wir jetzt, Nick?», fragte Scarlet.
Hook zog die Kampfaxt von der Schulter. «Tötet sie!», brüllte er. «Tötet die gottverdammten Bastarde! Sankt Crispin! Tötet sie!»
Der Ruf rüttelte die Bogenschützen auf. Mit herausforderndem Gebrüll postierten sie sich zwischen ihren Stöcken, um die französische Flanke anzugreifen. Die Bogenschützen waren zusätzlich mit Kampfäxten, Schwertern oder Hämmern ausgerüstet. Die meisten waren barfuß, keiner besaß eine Beinrüstung, und nur wenige hatten sich einen Brustharnisch leisten können, doch auf dem morastigen Grund konnten sie sich so wesentlich schneller bewegen als die Franzosen. «Tötet sie!», rief Evelgold, und noch mehr Bogenschützen nahmen den Ruf auf. Wildheit flammte in den grauen Tag, eine unvermittelte und enthemmte Begierde, die Männer zu töten, die angekündigt hatten, den Bogenschützen die Finger abzuhacken. Und so machten sich Waliser und Engländer, in deren Armen die Kraft von Jahren als Bogenschützen steckte, auf, den Adel Frankreichs niederzumetzeln.
Hook beachtete den verwundeten Mann nicht und wandte sich stattdessen gegen einen Riesen in einem hellroten Wappenrock. Seinen ersten Hieb führte er mit so viel heißblütigem, unbedachtem Schwung aus, dass er ihm einen verächtlichen Blick Sir Johns eingetragen hätte. Der Franzose wich rückwärts aus und stieß dann mit seiner gekürzten Lanze zu, doch Hook hatte sich mit seiner Schwungkraft hinter den Mann gedreht, und als sich der hochgewachsene Franzosen umdrehte, weil er Hook nachsetzen wollte, schlug ihm Will of the Dale den Helm mit einem Hammer ein, und der Mann stürzte in den Morast. Geoffrey Horrocks kniete sich auf ihn, schob das Helmvisier auf und stach ihm ein langes Messer mit schmaler Klinge ins Auge. Hook ließ seine Kampfaxt gegen einen Mann mit einem schwarz und weiß gestreiften Wappenrock fahren und traf den Brustpanzer mit solcher Kraft, dass der Feind rücklings umfiel, und dann fuhr die Hammerseite der Axt auf den Schwertarm des Mannes nieder, und ein anderer Bogenschütze schmetterte seinen bleibeschwerten Spalthammer auf den Helm des Mannes. Die Franzosen, deren Füße tief in dem saugenden Grund einsanken, waren außerstande, den Hieben schnell genug auszuweichen, und ihre eigenen Schläge und Stöße gingen ins Leere. Die feindlichen Kämpfer hatten ihre Visiere hochgeklappt, weil sie nicht mehr mit Pfeilbeschuss rechnen mussten, und Hook stellte fest, wie leicht es war, mit dem Spitzdorn einer Kampfaxt eines ihrer Augen zu treffen und sie seitwärts wegzudrängen, wo gleich einer seiner Gefährten zur Stelle war, um einen Hieb mit dem Hammer folgen zu lassen. Kampfäxte, Hämmer und Spalthämmer richteten die größten Verheerungen unter den Franzosen an, bleibeschwerte Hammerköpfe, die von den muskulösen Armen der Bogenschützen geschwungen wurden, tun Helme aufzubrechen und Arme unter der Rüstung zu zerschmettern. Bogenschützen ohne Hämmer nahmen sich Streitäxte oder die Keulen gefallener Feinde. Sie witterten plötzlich leichte Beute. Immer mehr Bogenschützen rückten vor die Stöcke und schlossen sich der wilden Keilerei an.
Denn es war eine Keilerei. Es war eine Gasthauskeilerei. Es war wie bei dem Fußballwettbewerb zu Weihnachten, wenn sich die Männer zweier Dörfer trafen, um sich herumzuschubsen, zum Stolpern zu bringen und zu treten. Nur dass dieses Spiel mit Blei, Eisen und Stahl gespielt wurde. Zwei oder drei Bogenschützen griffen einen Franzosen an, brachten ihn zum Stolpern oder schlugen ihn mit dem Hammer nieder, dann stürzte sich einer auf den Feind, um ihn mit einem Messerstich ins Gesicht zu erledigen. Am schnellsten ging es mit dem Stich durch ein Auge, und das Opfer flehte kreischend um Gnade, wenn es die Klinge näher kommen sah, dann gab ein kaum merklicher Druck mit einem Mal gänzlich nach, wenn die Messerspitze den Augapfel durchstach, und das Kreischen verklang, wenn sich die Klinge ins Gehirn" bohrte. Solche Wunden bluteten kaum, und die gesamte Zeit schmetterten die englischen Trompeten, und überall war das Geräusch von Stahl auf Stahl zu hören und das Brüllen der Bogenschützen, die ihre Feinde an den Flanken abschlachteten.
Das war die Rache. Hook kämpfte mit der Erinnerung an Soissons. Er wusste, dass die beiden Heiligen an seiner Seite waren. Dies war ihr Festtag, und heute würde Frankreich dafür bezahlen, was Frankreich ihrer Stadt angetan hatte. Hook rammte den Spitzdorn seiner Axt in Männergesichter, und wenn sie dem Angriff auszuweichen versuchten, hakte er sich mit der Axtschneide über ihrer Schulter ein und zog, bis der Feind, dessen Füße im Schlamm steckten, vorwärtsstolperte, und dann fuhr die Hammerseite der Axt auf seinen Helm nieder, und der nächste Franzose war getötet. Hunderte Bogenschützen taten dasselbe, sodass der gesamte tiefgepflügte Acker zwischen den Wäldern ein einziges großes Schlachtfeld geworden war. Die Furchen, die für die Wintersaat vorbereitet worden waren, füllten sich mit Blut.
Es lagen so viele tote und verletzte Franzosen auf dem Feld, dass Hook über sie steigen musste, um den nächsten Gegner zu erreichen. Tom Scarlet, der massige Will Sclate und Will of the Dale rückten an seiner Seite vor, und wieder taten andere Bogenschützen dasselbe, und alle brüllten wie Dämonen. Ein Schwert traf Hook, doch die Kraft der Klinge wurde von seiner Kettenhaube aufgehalten, und Sclate, riesenhaft und bedrohlich, schmetterte den Schwertkämpfer mit der Hammerseite seiner Kriegsaxt nieder. Hook brachte einen weiteren Franzosen mit einem Stoß zu Fall, und Will of the Dale hackte seine Axt in den Oberschenkel des Gegners, sodass die Beinschiene der Rüstung barst und ein dicker Blutstrom aus dem schartigen Riss quoll.
Ein Bogenschütze schlug mit einem Spalthammer Löcher in Helme. Ein Hieb reichte aus, um Stahl, Schädel und Leben zu zerstören. Ein Franzose, dessen Bein von einem Hammer gebrochen worden war, rief flehentlich, dass er sich ergebe, doch niemand beachtete seinen Ruf, und er starb, als ihm ein Bogenschütze ein Messer in die Augenhöhle stach. Hook brüllte, wusste dabei nicht, dass er brüllte, und kämpfte mit verzweifelter Wut. Schlammbeschmiert, blutbespritzt und mit nackten Beinen töteten die Bogenschützen in heulender Raserei. Ihre Angst war in schieren Zorn umgeschlagen.
Ein französischer Ritter, prachtvoll in einem aus Goldfäden gewebten Wappenrock, wehrte Tom Scarlets Hieb ab und holte mit der Keule aus, um sie auf den Schädel des unerschrockenen Bogenschützen niederfahren zu lassen. Da traf ihn Hooks Axt im Nacken, bohrte sich durch einen stählernen Nackenschirm, und als der Mann fiel, zerrte Hook die Klinge frei und stieß einem anderen Franzosen den Spitzdorn in die Hüfte. Sclate, der Bauernriese, schwang dem Mann seinen Hammer zwischen die Beine, und ein gellender Schrei hallte über das blutgetränkte Feld von Azincourt.
Dann fiel ein Franzose in schlammbespritzter Rüstung, der ein blaues Seidenband um den Hals und eine silberne Löwenfigur auf dem Helm trug, auf ein Knie, zog seinen rechten Panzerhandschuh aus und streckte ihn Hook entgegen. Hook war noch vier oder fünf Schritt von ihm entfernt und wollte seinen Hammer auf den schimmernden Löwen schmettern, doch mit einem Mal verstand er die Absicht des Franzosen. «Gefangene!», rief er. «Gefangene!» Er riss dem Franzosen den Handschuh weg. «Nehmt Euren Helm ab», befahl er dem Mann. Niemand hatte bisher den Befehl gegeben, Gefangene zu nehmen, und Sir John hatte vor dem Kampf betont, dass niemand gefangen genommen werden sollte, bevor der König die Schlacht für gewonnen erachtete, doch das kümmerte Hook nicht. Die Franzosen ergaben sich.
Mehr und mehr Franzosen streckten den Engländern ihre Handschuhe entgegen. Ihre Helme blieben im Morast liegen, während ihre Geiselnehmer sie hinter die Kampflinie zerrten. «Was machen wir mit den Bastarden?», fragte Will of the Dale.
«Fesselt ihnen die Hände», meinte Hook. «Nehmt Bogensehnen!»
Inzwischen zog sich die erste französische Kampfeinheit zurück. Zu viele waren gestorben, und die Übriggebliebenen hatten den Mut zu einem Kampf verloren, der jetzt «schon so viel Blut in die Ackerfurchen hatte fließen lassen. Hook lehnte sich auf seine Kriegsaxt und beobachtete einen Bogenschützen in einem blauen, von Blut verdunkelten Wappenrock, der zwischen den verwundeten Feinden laut auflachte. Der Mann hatte einen Falkenschnabel entdeckt. Diese Waffe war halb Hammer, halb schnabelförmige Spitze, und er tötete die Verwundeten, indem er ihre Helme mit dem gebogenen Schnabelende durchbohrte, das an einem langen Schaft saß. Die keilförmige Spitze durchdrang den Stahl leicht und hackte sich in die Schädel darunter. «Wie Eier aufschlagen!», rief er niemandem im Besonderen zu und schlug hysterisch lachend den nächsten Helm auf. «Bastarde», schrie er unablässig. «Bastarde!» Er tötete wieder und wieder. Verletzte Männer flehten um Gnade, doch der Schnabelhammer fuhr weiter herab. Hook fehlte die Kraft, dagegen einzuschreiten. Der Mann schien über der Lust am Töten alles um sich herum vergessen zu haben, und wenn er einem verwundeten Mann den Falkenschnabel in den Schädel gehauen hatte, tat er es noch einmal und noch einmal, auch wenn der Mann schon lange tot war. Ein Mastiff stand über seinem verletzten Herrn und bellte den Engländer an, und der Bogenschütze tötete den Hund mit dem Falkenschnabel, und danach tötete er den Besitzer des Hundes. «Ihr wolltet mir die Finger abhacken!», brüllte er über dem Mann und schwang den spitzen Keil, um den schon eingeschlagenen Helm des Leichnams vollends zu zermalmen. «Ich hacke euch eure gottverdammten Schwänze ab!» Unvermittelt hob er den Zeigefinger und den Mittelfinger der rechten Hand und spreizte sie auseinander. «Die hier wolltet ihr abschneiden, was? Ihr Bastarde!»
«Grundgütiger», sagte Tom Scarlet. Sein Gesicht war mit Franzosenblut beschmiert, seine Kettenhaube war rot verfärbt, seine Beine, nackt unter den Kniehosen, waren schlammverkrustet. «Grundgütiger», wiederholte er.
Wie weit der französische Vorstoß gekommen war, zeigte nun ein langgezogener Leichenhaufen. Die erste Kampfeinheit hatte sich aus dem Grauen der Schlacht zurückgezogen, und die Engländer setzten ihr nicht nach. Die Männer waren entkräftet und hatten genug vom Töten. Es wurden Gefangene genommen und hinter die Kampflinie gebracht, wo sich Engländer und Waliser anstarrten, als könnten sie es nicht fassen, noch am Leben zu sein.
Dann erklangen weitere Trompeten. Als sich Hook nach Norden wandte, sah er die zweite französische Kampfeinheit, die mindestens ebenso groß war wie die erste, über das Feld anrücken.
Also musste die Schlacht von Neuem beginnen.
«Sie werden alle dort oben sterben», sagte Sir Martin, «bezahlen dieses Spiel mit dem Leben! Vermutlich bist du jetzt schon Witwe.» Er grinste und zeigte dabei seine gelblichen Zahnstümpfe. «Ich habe gehört, dass du geheiratet hast. Warum nur, Mädchen, warum? Die Ehe ist etwas für ehrbare Leute, nicht für gemeine Eintopffresser wie Hook. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Du bist eine Witwe, mein Mädchen! Und fürwahr, was für eine schöne Witwe du bist! So, jetzt lieg still, Mädchen! Lieg still!
«Ein Segen», sagte Melisande. Sie hatte endlich den Bolzen gefunden und versuchte, ihn in die Kerbe des Armbrustschafts zu legen, doch die Armbrust steckte in dem Beutel, und es war schwierig, den Mechanismus zu ertasten, ganz abgesehen davon, den Bolzen richtig einzulegen. Sir Martin kniete zwischen ihren Beinen und beugte sich über sie. Mit der linken Hand stützte er sich ab, und mit der rechten grapschte er ihr zwischen die Schenkel. Ein. Speichelfaden lief ihm aus dem Mund.
«Der gefällt mir nicht», sagte Sir Martin und nahm die rechte Hand aus ihrem Schritt, um die Kohleschrift von ihrer Stirn zu wischen. «Dein Segen gefallt mir nicht. Du sollst für mich hübsch aussehen! Du bleibst nicht ruhig liegen, Mädchen ! Willst du, dass ich dich schlage ?»
«Ich liege still», sagte Melisande, doch in Wahrheit wand sie sich verzweifelt und keuchte, während sie versuchte, das grässliche Gewicht von sich herunterzuwälzen. Sir Martin gab es auf, ihre Stirn abzuwischen, und griff ihr wieder zwischen die Beine. Melisande schrie, und ihr Schrei brachte den Priester zum Grinsen.
«Die Frau ist der Ruhm des Mannes», sagte er, «so lautet das heilige Wort des Allmächtigen Gottes. Also machen wir ein Baby, sollen wir?»
Sie glaubte, der Bolzen läge endlich in der Kerbe, aber sicher war sie nicht, doch auf diese Sicherheit konnte sie nicht mehr warten, und so zerrte sie die Armbrust herum und zog den ganzen Beutel mit. Sir Martin richtete sich leicht auf, um in sie zu stoßen. «Ave Maria», sagte er. «Ave Maria», und Melisande hievte den Beutel zwischen ihren und seinen Bauch und zog am Auslöser.
Nichts geschah.
Die Armbrust hatte vernachlässigt und voll gespannt in ihrem Beutel gelegen, und der Auslösemechanismus musste eingerostet sein. Sie schrie erneut. Sir Martins Speichel tropfte ihr aufs Gesicht, und sie krümmte wieder den Finger, und dieses Mal ging der Sperrhahn auf und gab die Sehne frei, und mit tückischem Zischen schoss der kurze, dicke Eisenbolzen über den stahlbeschlagenen Schaft und durch den Stoff des Beutels.
Sir Martin schien von ihr hochgehoben zu werden. Er starrte sie mit aufgerissenen Augen an, den Mund zu einem entsetzten Schrei geöffnet.
Dann brüllte er wie ein Eber beim Kastrieren. Blut spritzte aus seinem Schritt und floss in einem warmen Schwall über Melisandes Schenkel. Die Lederbefiederung des Bolzens ragte aus seiner Blase, während die rostige Spitze zwischen seinen Beinen hervorstand, und Melisande wand sich unter ihm weg, strampelte verzweifelt, und Sir Martins Hände krallten sich in ihr zerrissenes Gewand und hielten sie fest. Er schrie jetzt, klammerte sich an das Leinen, als könne es ihn retten, und Melisande riss sich von ihm los, schlüpfte ganz aus ihrem Gewand, und er krümmte sich auf dem feuchten Boden zusammen, wimmerte und keuchte und presste das zerrissene Leinen gegen seinen verwüsteten Schritt.
«Ihr sterbt», sagte Melisande. «Ihr werdet verbluten.» Sie hockte sich neben ihn, und seine blutunterlaufenen Augen sahen verzweifelt zu ihr empor. «Und ich werde lachen, während Ihr sterbt», fügte sie hinzu.
Ein weiterer Schrei wurde laut. Er kam aus dem Dorf, und Melisande sah Fremde beim Tross. Leute rannten auf die Karren zu, und noch mehr kamen vom Fluss her. Es waren Leute aus der Gegend, mit Hauen und Äxten und Beilen, Bauern, die plündern wollten. Ein Mann hatte sie entdeckt und kam mit dem gleichen lüsternen Gesichtsausdruck auf sie zu, den sie an Sir Martin gesehen hatte.
Melisande war nackt.
Dann fiel ihr der Wappenrock wieder ein.
Sie warf einen letzten Blick auf Sir Martin, der im qualvollen Todeskampf lag, raffte ihren Beutel und seinen Lederbeutel mit den Münzen an sich, und dann sprang sie in den Fluss.
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Seigneur de Lanferelle fluchte. Zu seinen Füßen stöhnte und keuchte ein Mann mit eingedrücktem, blutverschmiertem Helmvisier. Sein linker Unterschenkel war abgehackt worden, und das Blut aus der Wunde floss in einem pulsierenden Strom auf die Leiche, die unter ihm lag. «Einen Priester», jammerte der Mann, «um der Liebe Christi willen, einen Priester.»
«Es gibt hier keine Priester», sagte Lanferelle wütend. Er hatte seine Keule fallen lassen, denn die Kampfaxt war eine grausamere Waffe, und Grausamkeit musste er anwenden, wenn er die drohende Katastrophe in einen Sieg verwandeln wollte. Die Franzosen, entkräftet nach ihrer Schinderei auf dem morastigen Boden und halb blind hinter ihren geschlossenen Visieren, waren für die Engländer leichte Beute gewesen, doch Lanferelle wusste, dass die Gegner mit ihrer dünn besetzten Kampflinie keine geschlossene Reihe mehr zwischen den beiden Wäldern aufstellen konnten. An den Flanken der Kampflinie standen Bogenschützen, und die Bogenschützen hatten seiner Einschätzimg zufolge keine Pfeile mehr. Er klappte sein beschädigtes Visier auf, indem er das verbogene Metall über den Rand den Helmes zerrte. «Wir gehen nach links», sagte er.
Keiner seiner Männer erwiderte etwas darauf. Die erste französische Kampfeinheit hatte sich etwa zwanzig Schritt zurückgezogen, und die Engländer waren, als gelte eine stille Vereinbarung, nicht nachgerückt. Beide Seiten waren erschöpft. Männer lehnten sich auf ihre Waffen, um zu Atem zu kommen. Zwischen den beiden Armeen erstreckte sich ein langgezogener Hügel aus Körpern in Rüstungen, es waren Tote und Verletzte. Viele von ihnen lagen übereinander. Die Rüstungen, die in der Nacht zuvor so lange abgerieben worden waren, bis sie strahlend glänzten, waren schartig aufgerissen, schlammverkrustet und blutig. Dazwischen lagen Banner im Schmutz, und einige Engländer sammelten die stolzen Flaggen auf und gaben sie hinter die Kampflinie weiter, wo die französischen Gefangenen zusammengetrieben wurden. Die Oriflamme, die als Zeichen des gnadenlosen Einsatzes über der Mitte der französischen Linie geweht hatte, war verschwunden.
Die Engländer gaben Schläuche mit Wasser oder Wein von Mann zu Mann weiter, und plötzlich fühlte sich Lanferelle wie ausgetrocknet. «Wo ist der Wein?», fragte er seinen Junker.
«Ich habe keinen, Seigneur. Ihr habt mir nicht befohlen, welchen aufs Feld zu nehmen.»
«Muss ich dir auch noch das Pissen befehlen? Bei Gott, du stinkst wie eine Abortgrube. Hast du dich vollgeschissen?»
Der Junker nickte mit jämmerlicher Miene. Er war nicht der Einzige, der sich in all dem Grauen selbst beschmutzt hatte, doch er zitterte unter Lanferelles Verachtung. «Wir gehen nach links!», rief Lanferelle erneut. Er hatte vergeblich versucht, sich bis zu Sir John durchzukämpfen, und nun plante er, seine Männer die leichtbewaffneten Bogenschützen angreifen zu lassen. Er sah, dass sie Keulen und Kampfäxte trugen, aber das war besser, als sich ihren Eibenbogen und Pfeilen stellen zu müssen. «Diese Schlacht ist nicht verloren», erklärte er seinen Leuten, «sie hat noch nicht einmal richtig angefangen! Sie haben keine Pfeile mehr! Also können wir diese Bastarde jetzt töten! Hört ihr? Wir töten sie!»
Trompeten erklangen am nördlichen Ende des Feldes. Die zweite französische Kampfeinheit, deren Rüstungen noch makellos strahlten und in deren Bannern kein einziger Pfeil steckte, rückte zu Fuß über den morastigen Acker vor, den die Pferde und die achttausend Franzosen des ersten Angriffs tief aufgewühlt hatten. Die zweite Kampfeinheit kam an der kleinen Gruppe englischer, französischer und burgundischer Herolde vorbei, die vom Saum des Waldes auf der Seite von Tramecourt gemeinsam den Ablauf der Schlacht verfolgten. Die Angreifer der zweiten französischen Einheit, die ebenfalls aus achttausend Feldkämpfern bestand, würde in einer Minute die Kampflinie erreicht haben. Lanferelle, der nicht von den anrückenden Männern nach vorne gedrängt werden wollte, bewegte sich in Richtung der französischen Flanke. Er hatte elf Feldkämpfer bei sich, und er vermutete, dass sie ausreichten, um in die Linie der Bogenschützen einzubrechen. Und wenn sie zu zwölft die Bogenschützen angriffen, würden andere ihrem Beispiel folgen. «Diese gottverdammten Bogenschützen sind nicht an den Feldwaffen ausgebildet», erklärte er seinen Männern. «Das sind alles nur Handwerker! Nichts als Schneider und Korbflechter! Sie hacken einfach nur mit Äxten um sich. Also greift sie nicht als Erste an. Lasst sie zuschlagen, dann wehrt ihr den Hieb ab und tötet sie. Habt ihr mich verstanden?»
Die Männer nickten. Sie hatten sehr gut verstanden, doch auf dem Acker stand das Blut, die Oriflamme war verschwunden, und mindestens zwölf hochstehende französische Adlige waren tot oder wurden vermisst. Lanferelle wusste, dass sie" nur siegen konnten, wenn die Männer an den Sieg glaubten. Also würde er ihnen diesen Glauben beibringen. Er würde die englische Linie durchbrechen, und er würde Frankreich einen Triumph verschaffen.
Die englischen Feldkämpfer sahen die nächste Angriffswelle heranrollen. Sie stellten sich auf und hoben ihre Waffen. Als die zweite französische, Kampfeinheit die erste erreicht hatte, brüllten die neu hinzugekommenen Kämpfer: «Saint Denis! Montjoie! Montjoie!»
«Sankt Georg!», gaben die Engländer zurück, und erneut wurde das Kriegsgeheul angestimmt, die Hohnrufe, mit denen die Männer ihre Gegner aufforderten, zum Sterben zu ihnen zu kommen.
Doch die zweite Kampflinie kam nicht bis zu den Engländern, weil ihnen die Uberlebenden der ersten im Wege waren, und so konnten sie diese Uberlebenden nur vorwärtsdrängen. Sie schoben die erschöpften Männer auf die Leichenhaufen zu und auf die englischen Klingen dahinter. Wieder erhob sich Schlachtenlärm, Stahl klang auf Stahl, die Sterbenden schrien, und schrille Trompetenklänge zerrissen die Luft, als achttausend neue französische Feldkämpfer die Kampflinie erreichten.
Und Lanferelle griff die Bogenschützen an.
Die Frauen und Diener flohen von den englischen Versorgungskarren und rannten den Hügel zum Schlachtfeld hinauf, während hinter ihnen Leibeigene und Bauern auf die Karren kletterten, um nach leichter Beute zu suchen.
Melisande wurde von dem Fluss mitgezogen, der nach den sintflutartigen Regenfällen der letzten Tage schnell, kalt und schlammig dahinschoss. Sie strampelte im Wasser und stieß sich von niedrig über das Wasser ragenden Ästen weg, bis sie den Wappenrock entdeckte, der sich in einem Weidenzweig verfangen hatte. Sie zerrte ihn herunter, und dann kämpfte sie sich durch das Gestrüpp und die Nesseln, die an der Uferböschung wuchsen. Sie zog den Wappenrock über den Kopf. Das nasse Leinen klebte kühl an ihrem Körper, aber es bedeckte ihre Nacktheit, und sie zwängte sich langsam zwischen Brombeerranken und Haselbüschen hindurch zurück Richtung Norden. Dann sah sie die Reiter.
Es waren fünfzig oder sechzig Reiter, die westlich des Dorfes auf ihren Pferden saßen und das englische Lager beobachteten. Sie hatten kein Banner bei sich, und selbst wenn sie eines gehabt hätten, bezweifelte Melisande, dass ihr das Wappen bekannt gewesen wäre. Dennoch war sie sicher, dass die kleine englische Armee niemals so viele Reiter hinter der Kampflinie hätte abstellen können. Also mussten diese Reiter Franzosen sein, und Melisande, obgleich selbst Französin, sah in ihnen den Feind. Also duckte sie sich in ihrem hellen Wappenrock hinter einem Dorngebüsch.
Dann überfiel sie eine neue Sorge. Der Wappenrock bedeckte ihre Blöße, doch er störte auch ihre Seelenruhe. «Vergib mit», betete sie zur Jungfrau, «dass ich den Wappenrock trage. Lass Nick am Leben.»
Sie empfing keine Antwort. In ihrem Kopf herrschte vollkommene Stille.
Sie hatte geschworen, den Wappenrock nicht zu tragen, hatte geglaubt, dass es Nick auf dem hochgelegenen Schlachtfeld den Tod bringen würde, doch nun trug sie das Wappen mit der Sonne und dem Falken, und die Jungfrau hatte ihr nicht geantwortet, und sie wusste, dass sie ihr Übereinkommen mit dem Himmel brach. Sie erschauerte vor Kälte und Nässe, und dann begann sie zu zittern.
Nick würde sterben, sie wusste es bestimmt.
Also zog sie den Wappenrock aus, damit Nick am Leben blieb.
Immer noch kauerte sie hinter dem Dorngebüsch. Sie betete, nackt, frierend und verängstigt. Und im Norden, hinter den Reitern und hinter dem Dorf und hinter der Hügelkuppe, erhob sich neuer Schlachtenlärm.
«Wir haben sie vorhin getötet», brüllte Thomas Evelgold, «und wir können sie auch jetzt töten! Töten für England!»
«Für Wales!», rief ein Mann.
«Für Sankt Georg!», kam es von einem anderen.
«Für Sankt David!», gab der Waliser zurück, und mit diesen Schlachtrufen stürmten die Bogenschützen vor, um den neuen Feind anzugreifen. Sie hatten die erste französische Kampfeinheit niedergemacht, und einige Männer sahen sich schon durch die Gefangenen reich werden, die sie genommen hatten. Diese Gefangenen hatten die Helme abnehmen müssen, und ihre Hände waren mit Bogensehnen gefesselt worden. Dann hatte man sie hinter die aufgepflanzten Stöcke geführt, wo sie von einer Handvoll verwundeter Bogenschützen bewacht wurden. Und nun machten sich die Bogenschützen daran, das Feld mit weiteren Leichen zu übersäen und weitere Gefangene zu nehmen.
Sie stürmten vor. Inzwischen wussten sie, wie man die Feldkämpfer zu Boden warf, die sich in dem zähen Schlamm nur schwerfällig bewegen konnten. Und so warfen sich die Bogenschützen in die Flanke der Franzosen und hieben auf sie ein, um einen neuen Wall aus Leichen vor sich zu haben, der die Feinde behindern würde. Die meisten töteten sie mit einem Messerstich durchs Auge, nachdem sie durch einen Schlag mit dem Hammer niedergeworfen worden waren. Das Feld wogte vor schlammbespritzten, stahlgerüsteten Männern, die mit schwerem Schritt auf die Bogenschützen zurückten und von den dichten Reihen der Männer hinter ihnen auf sie zugeschoben wurden, und die unbeholfenen Feldkämpfer stolperten über Leichen, ihre Helme wurden eingeschlagen, sie starben unter Messerstichen, und immer noch drängten sie weiter vor. Manche trugen goldene oder silberne Ketten um den Hals oder trugen Rüstungen, die mit ihrer Pracht vom Reichtum oder der hohen Stellung ihrer Träger kündeten, und diese Männer versuchten die Bogenschützen gefangen zu nehmen. Zuerst töteten sie die Gefolgsleute eines Reichen, und dann, wie Jagdhunde einen Hirsch einkreisen, verhöhnten und bedrohten sie den Mann, bis er seinen Handschuh auszog.
«Komm her, du Bastard!», schrie Tom Scarlet einem Mann zu, auf dessen Wappenrock ein roter Schwan zu sehen war. «Los, komm!» Der Franzose beobachtete ihn, unter dem hochgeklappten Visier waren seine blauen Augen zu erkennen. Sein Helm war mit getriebenen Silberspiralen verziert und sein rotsamtener Schwertgürtel mit goldenen Rauten besetzt. Er suchte festen Tritt zwischen den Leichen, stieß mit seiner Lanze gegen Scarlets Bauch vor, und Scarlet lenkte die Lanze mit seiner Kampfaxt ab. Ein zweiter Franzose, der das gleiche Schwanenwappen trug, hieb mit einer wuchtigen Schwertklinge auf die Kampfaxt ein, doch der Stahl sprang von dem eisenbeschlagenen Schaft ab. Scarlet griff hart an, der Spitzdorn der Axt fuhr krachend gegen die Brustpanzerung unter dem Schwan, und der Mann taumelte rückwärts. Der Schwertkämpfer schlug erneut zu, und es gelang Scarlet kaum, den Hieb mit dem Schaft der Axt abzuwehren, doch dann war Will Sclate an seiner Seite, hob knurrend seine Kampfaxt und schmetterte sie dem Schwert-kämpfer so wuchtig auf den Helm, dass er das Metall eindrückte, als sei es aus Pergament. Der Helm brach auf, Blut und Hirnmasse schossen empor, und der riesenhafte, grimmige Sclate zog die Kampfaxt zurück.
«Wir wollen ihn, Will! Der Bastard ist reich!», rief Tom Scarlet und rammte den reichen Mann erneut mit seiner Kriegsaxt. Der Lord - Scarlet war überzeugt, einem Adligen gegenüberzustehen - stieß mit seiner Lanze zu, und dieses Mal packte Scarlet sie mit einer Hand und zog sie ruckartig zu sich. Der Mann stolperte vorwärts, fiel, und Scarlet griff unter den Rand seines Helms und zog ihn aus der Kampflinie. Will Sclate, unterstützt von einem Dutzend von Sir Johns Bogenschützen, schmetterte weitere Männer mit der Hammerseite seiner Kriegsaxt nieder. Scarlet hockte sich neben den Franzosen und sah ihm grinsend ins Gesicht. «Du bist reich, oder?»
Der Mann starrte ihn hasserfüllt an. Also zog Scarlet sein Messer. Er ließ die Spitze vor dem linken Augapfel des Mannes schweben. «Wenn du reich bist», sagte er, «dann bleibst du am Leben, und wenn du arm bist, dann stirbst du.»
«Je suis le Comte de Pavilly», sagte der Mann, «je me rends! Je me rends!»
«Heißt das, dass du reich bist?», fragte Scarlet.
«Hinter dir, Tom!», hörte er da Hook brüllen, und als er sich umdrehte, sah er Franzosen auf sich zustürmen, und in diesem Augenblick trieb der Comte de Pavilly Tom Scarlet sein eigenes Messer in den Schritt. Scarlet kreischte. Der Comte richtete sich im Schlamm auf und stieß erneut zu, dieses Mal in Tom Scarlets Bauch, und er riss und zerrte die Klinge durch das Fleisch. Dann mähte Will Sclates den Comte de Pavilly mit einem gewaltigen Schlag seiner Kampfaxt nieder, der ihm die Zähne bis in den Hinterkopf trieb. Sein Blut vermischte sich mit Tom Scarlets Blut. Die beiden Toten, der reiche Mann und der arme Mann, lagen übereinander, als Sclate seine Waffe aus dem Gemisch aus schartigem Metall und Knochen zerrte, bevor er vor einem unvermittelten Vorstoß der Franzosen zurückgedrängt wurde.
Auch Hook wurde zurückgedrängt.
Eine keilförmig aufgestellte Gruppe Franzosen stürmte gegen die Bogenschützen an. Bisher hatten die Engländer die Oberhand gehabt, weil sie angegriffen hatten und weil sie beweglicher waren als ihre Feinde. Doch nun hatten die Franzosen einen Weg gefunden, die Bogenschützen zurückzuschlagen: Sie kamen Schulter an Schulter und ließen die Hiebe der Bogenschützen ins Leere laufen, indem sie sie abwehrten, statt selbst anzugreifen. Wenn ein Bogenschütze ausglitt oder zu weit ausholte und zu spät sein Gleichgewicht wiederfand, zuckte eine Klinge vor, und ein Engländer sank im Schlamm zusammen, wo er mit Keulenhieben getötet wurde. «Tötet sie!», rief Seigneur de Lanferelle, der die Keilformation anführte. «Immer nur einen nach dem anderen! Gott wird uns Zeit genug geben, um sie alle zu töten! Saint Denis! Montjoie!» Endlich sah er den Sieg vor sich. Bis dahin waren die Franzosen im Grauen der Schlacht viel zu ungeordnet vorgegangen und hatten sich wie Vieh zur Winterschlachtung treiben lassen, doch Lanferelle war ruhig, er war tödlich, und er war selbstbewusst, und immer mehr Franzosen folgten ihm, weil sie spürten, dass endlich jemand ihre Führung übernommen hatte.
Hook sah den Falken in seiner sonnenglänzenden Pracht.
«Hinter dir, Tom!», hatte er Scarlet zugerufen, und dann hatte er gesehen, wie sich der Franzose in dem rotweißen Wappenrock unvermittelt aufrichtete, doch mehr hatte er nicht sehen können, weil ihm Lanferelle plötzlich gegenüberstand und er vor dem Hieb seiner Kampfaxt zurückweichen musste. Lanferelle hatte ihn nicht töten, sondern nur aus dem Gleichgewicht bringen wollen, und nun musste er vor dem nächsten Stoß des Spitzdorns zurückweichen und wäre vermutlich in den Ackerfurchen zu Boden gestolpert, wenn er nicht mit dem Rücken gegen einen der schrägen Stöcke gestoßen und von ihm aufrecht gehalten worden wäre. Er schwang seine eigene Kampfaxt gegen Lanferelles Waffe, doch es gelang dem Franzosen, Hooks Schlag abzulenken, und dann stieß er wieder zu, und Hook musste sich um den Stock drehen, wobei sich die Spitze in seiner Kettenhaube verfing, sodass er sich kaum noch bewegen konnte. Die Angst ließ ihn erstarren. «Geh näher heran», sagte Sankt Crispin, und Hook rammte seine Kampfaxt nach vorn, kämpfte im Schlamm um sicheren Stand, und Lanferelle war von dem unvermittelten Gegenangriff so überrascht, dass er seinen nächsten Stoß bremste. Hooks Waffe glitt an Lanferelles Rüstung ab, doch mit dem Hieb hatte er seine Kettenhaube losgerissen und konnte gerade noch einen Schritt zurückgehen, bevor ihm einer von Lanferelles Männern das Schwert auf die rechte Hand schmetterte.
«Ich hatte gehofft, dass wir uns begegnen», sagte Lanferelle.
«Weil Ihr sterben wolltet?», knurrte Hook. Noch immer raste heiß der Schrecken durch seine Adern, doch er spürte auch die Erleichterung darüber, dass er diesen Angriff überlebt hatte. Und schon musste er zwei neue Klingen abwehren, die seine nackten Beine treffen wollten. Thomas Evelgold kam ihm zu Hilfe, und dann noch Will of the Dale.
«Tom ist tot», sagte Will und lenkte mit einem Schwung seiner großen Axt eine Lanze zur Seite ab.
«Wie geht es Melisande?», fragte Lanferelle.
«Soweit ich weiß», sagte Hook, «ist sie am Leben.» Er stieß wieder vor, und seine Axt wurde wieder abgewehrt, doch er hatte nicht seine gesamte Kraft in den Stoß gelegt und holte schnell mit dem bleibeschwerten Axtkopf nach Lanferelles Arm aus, aber noch immer reichte der Schwung nicht aus, um den Franzosen zu beeindrucken.
Lanferelle lächelte. «Sie lebt», sagte er, «und du stirbst.» Er begann Hook mit kurzen, sehr beherrschten Stößen seiner Kampfaxt zuzusetzen, die Stöße kamen einmal schnell, einmal langsamer, einmal höher, einmal niedriger, und Hook, der sie weder abwehren konnte, noch Gelegenheit zu einem Gegenangriff fand, blieb nichts übrig, als zurückzuweichen. Lanferelle hatte eine Blutverkrustung dicht am Auge, doch seine Miene war merkwürdig ruhig und ausdruckslos, und diese Ruhe ließ Hook erschauern. Der Franzose sah Hook unablässig in die Augen, und Hook wusste, dass er sterben würde, wenn es ihm nicht gelang, an der zuckenden Klinge vorbeizukommen. Tom Evelgold hatte den gleichen Gedanken und schaffte es, eine Lanze zur Seite wegzuschlagen und an der Klinge vorbeizukommen, sodass er auf Lanferelles rechte Seite kam. Der Cententar erhob seine Kampfaxt mit beiden
Händen wie eine Lanze und brüllte einen Fluch, während er mit dem Spitzdorn auf den Plattenschurz des Franzosen losging. Die Spitze würde sich zwischen den Metallstreifen hindurchbohren, dann durch das Kettenhemd und durch das Leder, bevor sie Lanferelles Unterbauch aufrisse. Doch im letzten Augenblick drehte sich Lanferelle leicht zur Seite und hob das Ende seines Axtgriffes, um den Stoß abzuwehren, sodass Evelgolds Hieb seinen Brustpanzer traf. Der Mailänder Stahl hielt dem Angriff stand und ließ ihn abgleiten. Dann senkte Lanferelle den Kopf und rammte Tom Evelgold das hochgeklappte Visier seines Helms ins Gesicht, während ein anderer Franzose dem Engländer ein Schwert in den Oberschenkel stieß und es im Fleisch herumdrehte. Evelgold taumelte, Blut strömte sein Bein hinab und lief aus seiner zertrümmerten Nase. Der Kopfstoß mit dem Visier hatte auch seine Augen zerschnitten, und so sah er den Spitzdorn der Kampfaxt nicht kommen, der sich in sein Gesicht bohrte. Mit einem schrillen Wimmern brach er zusammen, und eine weitere Kampfaxt hackte sich in seinen Bauch, spaltete sein Kettenhemd und seine lederne Jacke, grub sich in seine Eingeweide, und dann waren die Franzosen an ihm vorbei, rückten mit kühler Überlegenheit weiter in den Bereich mit den Stöcken vor und kamen so immer dichter an die Rückfront der Engländer.
«Geh näher auf sie zu», schrie Sankt Crispin Hook an.
«Ich kann nicht», sagte Hook.
Tom Evelgold lag zuckend auf dem Boden. Ein französischer Feldkämpfer stieß eine Schwertspitze in seinen Rachen, ein dicker Blutschwall brach aus dem Mund, und dann regte sich der Centenar nicht mehr. Immer mehr Franzosen folgten Lanferelle und bildeten hinter ihm einen Keil, und auch wenn die Bogenschützen gegen sie kämpften, rückte der Feind weiter vor. Die Stöcke halfen den Franzosen nun, weil sie sich auf dem schlüpfrigen Boden an ihnen festhalten und die Bogenschützen bezwingen konnten. Hook versuchte sie neu aufzustellen, doch sie waren zu schlecht gerüstet, um erfahrene Feldkämpfer aufzuhalten. Also wichen sie immer weiter zurück. Sie waren nicht besiegt, noch nicht aber sie wurden unaufhaltsam zurückgedrängt.
Hook versuchte standzuhalten. Er tauschte Hiebe mit Lanferelle aus, doch er wusste, dass er den Franzosen nicht schlagen konnte. Lanferelle war zu schnell. Er besaß nicht Hooks Kraft, doch er war viel flinker mit seinen Waffen. «Es tut mir leid für Melisande», sagte Lanferelle, «denn sie wird um dich trauern.»
«Bastard», sagte Hook und rammte seine Kampfaxt vor. Der Hieb wurde abgelenkt, und er zog die Waffe zurück, und dieses Mal verfing sich der Axtkopf im Kopf von Lanferelles Axt, und Hook zog seine Waffe mit einem Ruck zurück und sah zum ersten Mal so etwas wie Überraschung auf dem Gesicht des Franzosen. Doch dann ließ Lanferelle seine Axt einfach los, und Hook stürzte beinahe rücklings auf den Boden.
«Aber Frauen überwinden die Trauer», sagte Lanferelle, «indem sie einen anderen Mann finden.» Er bückte sich nach seiner Axt, doch er tat es so schnell, dass Hook keine Gelegenheit zum Angriff hatte, und bis Hook seine Chance wahrgenommen hatte, war sie auch schon wieder vorbei. «Vielleicht schicke ich sie ja auch ins Kloster zurück», sagte Lanferelle, «und mache sie zu einer richtigen Braut Christi.» Er grinste Hook an, und dann begann er wieder mit seinen kurzen Axtstößen.
«Geh aus dem Weg», schnarrte Sankt Crispin.
«Ich kämpfe gegen ihn», brüllte Hook zur Antwort. Er wollte Lanferelle töten. Plötzlich hasste er ihn. «Ich töte ihn!», schrie er und wollte vorstoßen. Doch die zuckende Axt des Franzosen bremste ihn erneut.
«Geh aus dem Weg, gottverdammt!», röhrte die Stimme, aber da schrie nicht Sankt Crispin, und mit einem Mal fühlte sich Hook von Sir John Cornewaille kurzerhand zur Seite gestoßen. Sir John brachte Feldkämpfer heran, die mit ihren Lanzen gegen die Franzosen vorstießen, Stahlspitzen gegen Plattenrüstungen, und Hook taumelte in die Richtung, in der Will Sclate auf Lanferelles Gefolgsmänner einhieb. Lanferelle brüllte eine Herausforderung und griff Sir John an, und die anderen Franzosen stürmten durch den zähen Lehm vor. Eine Kampfaxt fuhr auf Hooks Helm, und weil er schon aus dem Gleichgewicht gekommen war, fiel er zu Boden. Der Axthieb war nicht mit voller Kraft ausgeführt worden, dennoch dröhnte er durch Hooks Kopf. Die Klinge glitt an seinem Helm ab, fuhr in seine Kettenhaube und hätte fast die Schulter seines Kettenhemdes aufgerissen. Er sah den Franzosen die Axt zurückziehen, bereit, ihm den Spitzdorn in den Bauch oder die Brust zu rammen, und Hook hieb verzweifelt mit seiner eigenen Waffe aufwärts. Es war ein wilder Stoß, und er trieb dem Feldkämpfer den Axtkopf in den Schritt. Wie der Schlag, der ihn getroffen hatte, war auch dieser nicht mit voller Kraft ausgeführt, doch er war heftig genug, dass der Franzose sich in plötzlichem grauenvollem Schmerz krümmte, und dann zog Will of the Dale Hook auf die Füße. Brüllend stieß Hook den Spitzdorn seiner Axt in die Brust des Feindes, durchbohrte die Kettenhaube und glitt damit über den oberen Rand des Brustpanzers. Er rammte den Dorn in den Körper des Franzosen, trieb ihn tief in seinen Brustkasten und sah, wie sich der untere Teil seines Helmes mit Blut füllte, das begann, aus der Visieröffnung zu rinnen. Ein Schwert traf Hook von rechts, doch sein Kettenhemd hielt die Klinge auf, und er schwang seine Waffe herum, zerrte sein Opfer daran mit und schob es dem Schwertmann entgegen, sodass er aus dem Gleichgewicht kam. Und dann griff Hook an.
Er benutzte den sterbenden Mann als Rammbock. Er drängte ihn in die französischen Reihen. Sclate und Will of the Dale folgten ihm, und beide schrien: «Sankt Georg!»
«Sankt Crispin!», brüllte Hook. Er schob den Sterbenden weiter. Der Verwundete spuckte Blut, als Hook versuchte, den Spitzdorn aus seinem Körper zu winden. Ein anderer Mann stieß nach Hook, doch Geoffrey Horrocks war hinter ihm und schlug dem Mann den Hammer gegen den Kopf. Der Hieb des bleibeschwerten Eisens klang dumpf, während der Kopf des Mannes zurückruckte. Er stürzte in den Schlamm. Dann fiel der Verwundete endlich von der Kampfaxt, und Hook, von seinem Gewicht befreit, brüllte zügellos und schwang seine Waffe von einer Seite zur anderen, während er auf die Franzosen losging. «Tötet die Bastarde, tötet sie einfach!», rief er. Andere Bogenschützen schlossen sich ihm an. Ihre Erleichterung über Sir Johns Auftauchen hatte sich in entfesselten Kampfeswillen verwandelt.
Sir John kämpfte jetzt gegen Lanferelle. Beide Männer gingen so schnell und gewandt mit ihren Waffen um, dass es schwer war, Angriff und Abwehr auseinanderzuhalten. Sir Johns Männer auf der rechten und linken Seite griffen die Franzosen mit solcher Wildheit an, dass Lanferelles Gefolgsleute unwillkürlich zurückwichen, um sich gegen die neuen Angreifer verteidigen zu können, und während sie zurückwichen, stolperten einige über die Leichen, die hinter ihnen auf der Erde lagen. Sie fielen, und die Engländer stürzten sich auf sie, Spitzdorne stachen zu, Kampfäxte brachen Rüstungen auf, Gesichter verzerrten sich in der Anstrengung des Tötens, und die unvermittelte Metzelei raubte den Franzosen den Mut, und sie versuchten sich zurückzuziehen, doch an ihren Flanken standen die Bogenschützen. Einige Männer wollten aufgeben. Sie zogen ihren Handschuh aus und riefen in verzweifeltem Entsetzen, dass sie sich gefangen nehmen lassen würden. «Zu spät», verhöhnte Will of the Dale einen Mann und hieb mit seiner Axt auf ihn ein, sodass ein Schulterstück aufbrach und die niederfahrende Klinge im Schulterblatt und den oberen Rippen des Mannes stecken blieb. Ein anderer Franzose in einem zerfetzten Wappenrock kroch auf Händen und Knien ziellos im Morast herum, Blut troff aus seinem Mund, eine helle Flüssigkeit lief aus seinen blinden Augen, bis ihn ein Bogenschütze umstieß und ihn beiläufig mit einem Messerstoß in den Mund tötete. Der junge Horrocks hackte einen Grafen zu Tode, schmetterte seine Kampfaxt wieder und wieder auf den Rückenpanzer des am Boden liegenden Mannes und brüllte Beschimpfungen, während sich die Klinge durch Stahl und Knochen fraß.
Lanferelle kämpfte immer noch gegen Sir John, und nach einer unausgesprochenen Übereinkunft griff keiner der anderen englischen Feldkämpfer in diesen Kampf ein. Beide kämpften stumm. Sie hieben, stießen und täuschten an, doch sie waren so geschickt und so schnell, dass keiner einen Vorteil gewinnen konnte. Sie waren die größten Turniermeister der Christenheit, einer Franzose und einer Engländer, und sie waren den schmeichelhaften Ruhm der ersten Plätze in der Turnierordnung gewohnt, die Bewunderung der Frauen, die leuchtend bunten Flaggen, die ritterliche Ehre, doch nun kämpften sie zwischen Leichen, unter dem Jammern und Stöhnen der Sterbenden auf einem Feld, das nach Blut und Exkrementen stank.
Das Ende des Kampfes kam durch einen Zufall. Lanferelle täuschte einen Stoß auf Sir Johns linke Seite an, zog sich mit überwältigender Geschwindigkeit wieder zurück und zwang Sir John so zu einem Schritt nach rechts. Sir John trat auf den Huf eines toten Kampfpferdes, und der Huf drehte sich unter dem Gewicht. Sir John glitt aus und fiel auf ein Knie, und Lanferelle schwang so schnell, wie eine Schlange zustößt, seine Kampfaxt herum und traf Sir Johns Helm mit einem klingenden Schlag. Sir John fiel auf den blutüberströmten Bauch des Pferdes, versuchte strampelnd auf die Füße zu kommen, und Lanferelle hob die Kampfaxt zum tödlichen Schlag.
Und ließ den Hieb niederfahren.
Die zweite Kampfeinheit der Franzosen hatte die Uberlebenden der ersten zurück aufs Schlachtfeld gedrängt, wo hinter einem Wall aus toten und sterbenden Franzosen die Engländer auf sie warteten. So viele Männer des französischen Hochadels waren schon tot oder verwundet; ihre Knochen gebrochen, ihre Eingeweide zerfetzt, ihr Hirn aus zermalmten Helmen quellend, ihre Augen ausgestochen und ihre Bäuche aufgeschlitzt. Männer wimmerten, manche riefen nach Gott oder ihren Frauen oder ihren Müttern, doch weder Gott noch irgendeine Frau kam, um sie zu trösten.
Der König von England kam. Er hatte eine Leiche weggezogen, die über zwei anderen gelegen hatte, um über den Wall aus Toten zu kommen, und er hob sein Schwert gegen einen Feind, der es gewagt hatte, sich über Gottes Wahl für den französischen Thron hinwegzusetzen. Seine Feldkämpfer rückten mit ihm vor, hieben mit ihren Äxten, mit knirschenden Keulenhieben und mit ihren scharfen Falkenschnäbeln auf einen entmutigten und erschöpften Feind ein. Sie ließen neue Leichenhügel hinter sich, weitere blutüberströmte Körper und noch mehr Krüppel, deren Hilfeschreie unbeantwortet verhallten. Henry führte sie an, auch wenn ihm seine Männer zuriefen, er solle sich in sicherer Deckung halten. Sein Helm hatte Beulen und Schrammen, eine Goldblume war von der strahlenden Krone abgeschlagen worden, doch Englands König war erfüllt von dem Gefühl der Rechtschaffenheit und einer heiligen Freude, denn er sah im Leiden des Feindes den Beweis göttlicher Fürsorge. Die Hebungen und Senkungen der Ackerfurchen waren zu einem blutig roten Brei niedergetrampelt worden. Männer wateten in einer Schlämme aus Erde, Blut und Exkrementen, sie quälten sich ab und sie starben, und Henrys Seele schwang sich in die Höhe. Gott war an seiner Seite, und in dieser Zuversicht fand er neue Stärke und tötete weiter.
Lanferelle ließ seinen schweren, tödlichen Hieb in demselben Augenblick niederfahren, in dem sich eine Kampfaxt um sein linkes Schulterstück hakte und er schnell und heftig zurückgezogen wurde. Der Hieb des Franzosen verfehlte Sir John, doch Lanferelle, der wie durch ein Wunder auf den Füßen geblieben war, drehte sich sofort zu seinem neuen Feind um. Und erstarrte.
Die Kampfaxt hatte ihn von Sir John weggezogen und ihm den Triumph unmöglich gemacht, und nun befand sich ihr Spitzdorn unmittelbar vor seinem Gesicht, drückte ihm die Lippen gegen die Zähne, und Lanferelle fand sich Angesicht zu Angesicht mit Hook wieder.
«Als Ihr früher mit ihm gekämpft habt», sagte Hook, «hat er Euch aufstehen lassen. Wollt Ihr ihm nicht das Gleiche gewähren?»
«Das hier ist die Schlacht», sagte Lanferelle, dessen Stimme durch den Druck des Spitzdorns verzerrt klang, «damals war es ein Turnier.»
«Wenn das also die Schlacht ist», fragte Hook, «warum sollte ich Euch dann nicht töten?»
Sir John stand auf, doch er schritt nicht ein. Er beobachtete nur das Geschehen.
«Weil dir Melisande niemals vergeben würde», sagte Lanferelle, und er sah das Zögern auf Hooks Gesicht, und er spannte sich an, bereit, seine eigene Kampfaxt zu heben, doch dann bohrte sich die Stahlspitze in seinen Mund und riss ihm das Zahnfleisch auf.
«Macht nur weiter», sagte Hook, «versucht es.»
Sir John schaltete sich weiterhin nicht ein.
«Versucht es», bat Hook noch einmal. Er wandte die Augen nicht von Lanferelle ab. «Wollt Ihr ihn, Sir John?»
«Er gehört dir, Hook.»
«Ihr gehört mir», sagte Hook zu Lanferelle.
«Je me rends», sagte Lanferelle und ließ den Schaft seiner Kampfaxt los, sodass sie dumpf in den Schlamm klatschte.
«Nehmt Euren Helm ab», befahl Hook und zog den blutigen Spitzdorn zurück.
Lanferelle nahm den Helm ab, dann seine Kettenhaube und auch die Lederhaube darunter, sodass sein langes schwarzes Haar frei über seinen Rücken hinunterfiel. Er gab Hook seinen linken Handschuh, und Hook führte seinen Gefangenen triumphierend hinter die Linie, wo die anderen Gefangenen bewacht wurden. Mit einem Mal wirkte Seigneur de Lanferelle müde, müde und bestürzt. «Fessle mir nicht die Hände», bat er Hook.
«Warum nicht?»
«Weil ich ein Ehrenmann bin, Nicholas Hook. Ich habe mich ergeben, und du hast mein Wort, dass ich nicht mehr versuchen werde zu kämpfen, ebenso wenig wie ich versuchen werde zu fliehen.»
«Dann wartet hier», sagte Hook.
«Ich werde warten», versprach Lanferelle.
Hook rief einem Knappen zu, dass er dem Franzosen Wasser bringen solle, und ging zurück in die Schlacht, die erneut auszuklingen schien. Die zweite französische Kampfeinheit hatte es nicht besser gemacht als die erste. Noch mehr Tote lagen auf den Leichenwällen, und jetzt quälten sich die Überlebenden durch den Morast zurück und ließen Tote, Verletzte und Gefangene hinter sich. Hunderte von Gefangenen. Grafen und Herzöge und Adlige und Feldkämpfer, alle in schlammverschmierten, blutgetränkten Wappenröcken, alle standen sie jetzt hinter der englischen Linie und beobachteten ungläubig, wie sich der Rest der zweiten französischen Kampfeinheit davonschleppte.
Es blieb die dritte französische Kampfeinheit. Ihre Banner flatterten im Wind, und auf der gesamten Linie stiegen Männer in die Sättel und ließen sich von ihren Junkern die Lanzen bringen. «Pfeile.» Sankt Crispinians Stimme ertönte in Hooks Kopf. «Du brauchst Pfeile.»
Das Tagewerk war noch nicht beendet.
Melisande beobachtete, was geschah.
Der englische Tross war in dem Dörfchen Maisoncelle und auf den angrenzenden feuchten Weiden verteilt, und manche Angehörige des Trosses hatten sich schon halb den Hügel hinaufbewegt, während ihnen Knappen und Diener mit Packpferden folgten, um in den Schutz der englischen Armee hinter der Hügelkuppe zu gelangen. Wenn es überhaupt noch eine englische Armee gab. Melisande wusste es nicht. Sie hatte Männer den Hügel herab in Richtung Maisoncelle laufen sehen, aber viele waren es nicht gewesen, und nach ihren Bewegungen zu schließen, waren es Verwundete. Nach einer Weile waren weitere Männer gekommen, doch langsam, nicht in hastiger Flucht, und sie hatte nicht verstanden, dass es Gefangene waren, die zu dem Dorf hinuntergebracht wurden. Dass keine Aufregung herrschte, ließ vermuten, dass die englische Linie auf dem Hügel noch standhielt, doch Melisande erwartete halb, und halb fürchtete sie, dass die Engländer, plötzlich von rachedurstigen Franzosen verfolgt, den Abhang herunterflüchten würden.
Doch stattdessen waren die französischen Reiter aus westlicher Richtung gekommen, und jetzt galoppierten sie in das Dorf, und Melisande beobachtete, wie sie Knappen niedermetzelten und dann abstiegen, um den englischen Tross zu plündern.
Die Reiter vertrieben die Bauern, die zuerst gekommen waren. Eine Handvoll englischer Feldkämpfer und verwundeter Bogenschützen war zur Bewachung des Lagers abgestellt worden, doch es waren insgesamt nur etwa dreißig Männer, und sie hatten ihre Pfeile schon auf die Bauern verschossen. Diese Männer zogen sich nun eilig den Hügel hinauf zurück. Die Frauen des Trosses gingen mit ihnen, und die Reiter entdeckten das Quartier des Königs. Ein Priester und zwei Knappen waren bei den Kleinodien des Königs geblieben. Diese drei waren schnell abgeschlachtet, und das Plündern begann.
Melisande beobachtete, was geschah. Sie sah einen Mann in einem roten, pelzbesetzten Gewand und mit einer Krone auf dem Kopf umherstolzieren, um seine Gefährten zum Lachen zu bringen. Sie verstand nicht, was hier vor sich ging. Sie konnte nur beten, dass Nick lebte. Also schloss sie die Augen, kauerte sich tief auf die Erde und betete.
Hook lebte.
Die beiden französischen Kampfeinheiten hatten sich schwerfällig über das Feld zurückgezogen. Auf der Fläche vor der englischen Linie lagen dicht an dicht Körper in schlammverschmierten Rüstungen. Die dritte französische Kampfeinheit war nun aufgesessen. Sie war die kleinste Einheit der Franzosen, aber immer noch größer als die gesamte englische Armee. Die Reiter hatten ihre Lanzen erhoben, und an einigen flatterten Wimpel. Trompeten erklangen. Doch die dritte Kampfeinheit konnte noch nicht angreifen, weil sie so viele abgesessene Franzosen vor sich hatte. Die Reiter ließen ihre Pferde ein paar Schritte nach vorn gehen und hielten dann wieder an.
«Pfeile!», rief Hook seinen Männern zu.
«Wir haben keine!», rief Will of the Dale zurück.
«Doch», sagte Hook. Er suchte seinen Bogen, hängte ihn über die Schulter, und führte seine Männer auf das Feld mit den französischen Leichen, und überall bei den Gefallenen lagen nutzlos verschossene Pfeile. Manche, deren Spitze den harten Rüstungsstahl getroffen hatten, waren nicht mehr zu gebrauchen, weil die Ahlspitzen sich verformt hatten, doch viele waren noch in sehr gutem Zustand. Hook entdeckte einige unbeschädigte Spitzen an Pfeilen mit zersplittertem Schaft, und diese Ahlspitzen zog er ab und befestigte sie an den intakten Schäften. Nebenbei plünderte er französische Leichen. Um den Hals eines Mannes hing eine Silberkette, und Hook steckte sie in seine Pfeiltasche. Auch Feldkämpfer durchsuchten die aufeinanderliegenden französischen Krieger, zogen die Toten von den Lebendigen weg, töteten die Verletzten, die keine Uberlebenschance hatten oder die zu arm waren, um Lösegeld einbringen zu können, und retteten die Wohlhabenden. Als Hook einen graubefiederten Pfeil aus dem Wappenrock eines Mannes zog, der auf dem Rücken vor ihm lag, bewegte sich der Mann plötzlich. Hook hatte ihn für tot gehalten, doch der Mann stöhnte und wandte dem Bogenschützen seinen Kopf hinter dem geschlossenen Visier zu. Hook klappte das Visier hoch und sah in verängstigte Augen. «Aidez-moi», sagte der Mann mühsam keuchend. Hook fand keine Verwundung, kein Loch in der Rüstung, doch der Mann schrie auf, als Hook versuchte, ihn auf die Füße zu ziehen. Der Franzose litt solche Schmerzen, dass er das Bewusstsein verlor, und Hook ließ ihn wieder auf den Boden sinken. Er nahm den Pfeil und setzte seine Suche fort. Ein Hund wollte ihn verbellen. Das Tier stand über einer Leiche in einem blutgetränkten Wappenrock. Hook schlug einen Bogen um den Hund und sammelte ein weiteres Dutzend Pfeile ein, die er in seine Pfeiltasche steckte.
«Nick!», rief Will of the Dale, und als Hook aufsah, hatte er einen einzelnen Reiter vor sich, der zwischen den Angehörigen der beiden abrückenden französischen Kampfeinheiten hindurch auf das Feld gekommen war. Der Reiter war klein und zierlich, und seine einzige Waffe war ein Schwert, das an seiner Seite in der Scheide hing. Er trug einen Plattenharnisch, doch er saß nicht auf einem wohlgerüsteten Kampfpferd, sondern auf einer kleinen Schecke. Auf seinem weißen Wappenrock aus Leinen kreuzten sich zwei rote Äxte, und darüber schimmerte das Gold einer schweren Kette, die um seinen Hals hing. Sein Helmvisier war hochgeklappt, und er schien zwischen den Leichen nach etwas zu suchen. Als er bemerkte, dass ihn die Bogenschützen beobachteten, hielt er sein Pferd an.
«Der Bastard sucht Ärger», sagte Will.
«Nein, er sieht uns nur an», erwiderte Hook, «und er ist ein kümmerlicher Tropf. Lass ihn.» Er hob einen Breitkopf auf, dann wieder eine Ahlspitze, und dann warf er wieder einen Blick auf den Reiter, der plötzlich das Schwert gezogen hatte und seinem Pferd die Sporen gab. «Vielleicht sucht er ja doch Ärger», sagte Hook, nahm den Bogen von der Schulter, stützte ihn zum Bespannen auf den Brustpanzer eines Gefallenen und hängte die Sehnenschlinge in die obere Kerbe.
Der Reiter hielt erneut an und sah auf ein Gewirr aus Rüstungen und Körpern hinunter. Die Toten lagen übereinander, und der Mann schien die Augen kaum von ihrem Anblick abwenden zu können. Lange starrte er sie an, nun weniger als zwanzig Schritt von den Bogenschützen entfernt, und dann, unvermittelt, stieß er eine schrille Herausforderung aus und trieb seine Schecke auf Hook zu. Die Stute gehorchte, grub ihre Hufe in den Morast und schleuderte Erdbrocken in die Höhe.
«Der dumme Bastard», sagte Hook wütend. Er legte eine Ahlspitze über die Sehne und hob den Bogen, während ein Dutzend Bogenschützen das Gleiche taten. Hook glaubte, der Mann würde nun wegreiten, doch stattdessen richtete der Reiter die gesenkte Klinge auf Hook, der die Sehne zu seinem rechten Ohr zog und nicht einmal darüber nachdachte, was er tat. Es geschah alles ganz unwillkürlich. Die Sehne war gespannt, er sah, wie sich der Reiter mit den Bewegungen der Schecke hob und senkte, sah das offene Visier und die unnatürlich hellen Augen und gab die Sehne frei.
Sein Pfeil bohrte sich geradewegs in das rechte Auge des Reiters, und seine Wucht ließ den Kopf des Mannes hart nach hinten fahren. Das Schwert fiel zu Boden, die Stute verlangsamte ihren Schritt und blieb dann verwirrt eine Lanzenlänge von Hook entfernt stehen. Keiner der anderen Bogenschützen hatte geschossen.
Jubel klang von der englischen Linie herüber, als der tote Reiter langsam aus dem Sattel kippte. Es dauerte lange, bis er vom Pferd fiel. Er rutschte seitwärts herunter, und dann stürzte er unter lautem Lärm seiner metallenen Rüstung zu Boden. «Hol sein Pferd», sagte Hook zu Horrocks.
Hook ging zu dem Toten hinüber. Er zog den Pfeil aus dem zerstörten Auge, um die dicke Goldkette über den Kopf des toten Mannes ziehen zu können. Dann erstarrte seine Hand, denn er sah den Anhänger an der Kette. Es war ein großer Anhänger aus hellem Elfenbein. In die elfenbeinerne, silbergefasste Scheibe war eine aus Jettstein geschnitzte Antilope eingelassen.
«Du dummer kleiner Bastard», sagte Hook, nahm dem Jungen den Helm ab, der viel zu groß für ihn war, und sah in das blutverschmierte Gesicht Sir Philippe de Rouelles' hinunter.
«Das ist ja ein Kind», sagte Horrocks überrascht.
«Ein dummer kleiner Bastard, das ist er», sagte Hook.
«Was hat er hier gewollt?»
«Tapfer sein, gottverdammt», sagte Hook. Er nahm die schwere Goldkette und ging die paar Schritte bis dahin, wo der Junge die Toten betrachtet hatte, und da, über zwei anderen Männern, lag ein Mann mit einem Wappenrock, der so mit Blut getränkt war, dass Hook das Wappen zuerst kaum erkennen konnte. Doch dann entdeckte er die Form zweier roter Äxte auf dem blutig roten Tuch. Dem Toten war der Helm vom Kopf gerutscht, und seine Kehle war bis zu den Knochen der Wirbelsäule durchtrennt. «Er ist gekommen, um nach seinem Vater zu suchen», sagte Hook.
«Woher weißt du das?»
«Ich weiß es einfach», sagte Hook. «Der arme kleine Bastard. Er hat bloß nach seinem Vater gesucht.» Er warf die Kette mit dem Anhänger in seine Tasche, hob eine weitere Ahlspitze auf und wandte sich in Richtung der englischen Linie.
Dort war der König mit seinem eingebeulten Helm und seinem von feindlichen Klingen zerfetzten Wappenrock auf sein zierliches weißes Pferd gestiegen, um sich größeren Überblick über den Feind zu verschaffen. Er sah die Überlebenden der Schlacht, die sich nordwärts zurückzogen, und dahinter die dritte Kampfeinheit mit erhobenen Lanzen, und er wusste, dass seine Bogenschützen wenige oder gar keine Pfeile mehr hatten.
Dann kam ein Kundschafter mit der Nachricht von der Plünderung des Lagers durch die Franzosen zu ihm, und als sich der König im Sattel umwandte, sah er, dass Hunderte seiner Männer damit beschäftigt waren, französische Gefangene zu bewachen. Gott mochte wissen, wie viele Gefangene es waren, doch ihre Zahl übertraf die seiner Feldkämpfer bei weitem. Er ließ seinen Blick nach rechts und links wandern. Er hatte die Schlacht mit neunhundert Feldkämpfern begonnen, und nun war die Linie viel dünner, weil so viele seiner Männer Gefangene genommen hatten und sie nun bewachten. Die Bogenschützen hatten das Gleiche getan. Ein paar waren auf dem Feld, um Pfeile einzusammeln, und der König schätzte diesen Einfall, doch er wusste auch, dass sie niemals genügend Pfeile sammeln konnten, um die Pferde der dritten Kampfeinheit zu töten. Er beobachtete, wie ein närrischer Franzose die Bogenschützen angriff, und zog eine Grimasse, als seine Männer den Tod dieses tapferen Narren bejubelten. Dann ließ er seinen Blick erneut auf seiner Armee ruhen.
Die Schlachtordnimg hatte sich aufgelöst. Henry wusste, dass sich die Kampflinie wieder formieren würde, wenn die letzte französische Kampfeinheit angriff, doch nun standen Hunderte von Gefangenen im Rücken der englischen Kampflinie, und diese Gefangenen konnten immer noch kämpfen. Sie hatten keine Helme, und sie hatten ihre Waffen abgeben müssen, aber sie konnten seiner Kampf-linie dennoch in den Rücken feilen. Den meisten waren die Hände gefesselt worden, aber nicht allen, und die ungefesselten Männer konnten die änderen befreien, sodass sie sich auf die bedenklich dünne englische Linie werfen konnten. Zudem waren da noch die anderen Franzosen, die seinen Tross plünderten, doch das konnte warten. Das Wichtigste war jetzt, den dritten französischen Angriff abzuwehren, und um das zu tun, brauchte er jede Klinge seiner kleinen Armee. Die vorrückenden Pferde würden von den Hunderten Leichen behindert werden, aber schließlich würden sie an ihnen vorbeikommen, und dann würden sich die langen Lanzen in seine Kampflinie bohren. Er brauchte dringend Männer.
Und Männer sahen zum König empor. Sie sahen ihn die Augen schließen und wussten, dass er zu seinem gestrengen Gott betete, dem Gott, der seine Armee an diesem Tag bisher verschont hafte, und Henry betete, dass ihm Gottes Gnade erhalten bliebe, und während sich seine Lippen im Gebet bewegten, erhielt er die Antwort. Die Antwort war so unglaublich, dass Henry einen Moment lang gar nichts tat. Dann sagte er sich, dass Gott zu ihm gesprochen hatte, und öffnete die Augen.
«Tötet die Gefangenen», befahl er.
Einer der Feldkämpfer seiner Hausmacht starrte nur zu ihm empor. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben. «Sire?»
«Tötet die Gefangenen!»
Auf diese Weise würden die Gefangenen nicht mehr kämpfen können, und die Männer, die sie bewachten, würden in die Kampflinie zurückkehren.
«Tötet sie alle!», rief Henry. Er deutete mit der behandschuhten Hand auf die Geiseln. Einer seiner Feldkämpfer schätzte nach einer schnellen Zählung, dass mehr als zweitausend Franzosen festgesetzt worden waren, und Henrys Geste schloss sie alle ein. «Tötet sie!», ordnete Henry erneut an.
Die Franzosen waren mit der Oriflamme in den Kampf gezogen, die keine Schonung verhieß, und so würde auch er ihnen keine Schonung gewähren.
Die Gefangenen würden sterben.
Seigneur de Lanferelle ging niedergeschlagen hinter der englischen Linie auf und ab. Er sah den englischen König mit seinem Helm voller Kampfspuren auf dem Pferd sitzen. Er erschrak, als er sah, dass auch der Duc d'Orleans, der Neffe des französischen Königs, zu den Gefangenen gehörte. Er war ein junger Mann, charmant und geistreich, doch nun, in einem blutbespritzten Wappenrock, den Arm im festen Griff eines englischen Bogenschützen, wirkte er benommen, geschlagen und krank. «Seigneur», sagte Lanferelle und fiel auf ein Knie.
«Wie konnte das nur geschehen?», fragte Orleans.
«Der Morast», sagte Lanferelle und erhob sich wieder.
«Mein Gott», sagte der Duc. Er zuckte zusammen. Nicht vor Schmerz, denn er war kaum verwundet, sondern vor Scham. «Alencon ist tot», fuhr er fort, «ebenso wie Bar und Brabant. Sens ist ebenfalls gestorben.»
«Der Erzbischof?», fragte Lanferelle, den es mehr entsetzte, dass ein Kirchenfürst tot war, als dass drei der edelsten Ducs Frankreichs getötet worden waren.
«Sie haben ihm die Eingeweide herausgerissen, Lanferelle», sagte der Duc, «sie haben ihm einfach die Eingeweide herausgerissen. Und d'Albret ist auch tot.»
«Der Konnetabel?»
«Tot», sagte Orleans, «und Bourbon ist gefangen.»
«Heiliger Himmel», sagte Lanferelle, aber nicht, weil der Konnetabel von Frankreich tot oder der Duc de Bourbon, der Sieger von Soissons, gefangen genommen worden war, sondern weil nun Marschall Boucicaut, der als wehrhaftester Mann Frankreichs galt, zum Duc d'Orleans geführt wurde.
Boucicaut starrte Lanferelle an, dann den königlichen Duc, und darauf schüttelte er seinen grauhaarigen Kopf. «Anscheinend sind wir alle dazu verdammt, die englische Gastfreundschaft zu genießen», knurrte er.
«Sie haben mich recht gut behandelt, als ich dort Gefangener war», sagte Lanferelle.
«Bei Gott, Ihr müsst ein zweites Lösegeld aufbringen?», fragte Boucicaut. Sein Wappenrock mit dem Adler darauf war zerrissen und blutbefleckt. Die Rüstimg, in der Nacht zu blendendem Schein poliert, hatte tiefe Schrammen von Klingen und war lehmverschmiert. Er warf einen bitteren Blick auf die anderen Gefangenen. «Wie ist es dort drüben?», fragte er.
«Saurer Wein und gutes Ale», sagte Lanferelle, «und Regen natürlich.»
«Regen», sagte Boucicaut beißend, «das war unser Untergang. Der Regen und der Morast.» Er hatte davon abgeraten, gegen Henrys Armee zu kämpfen, sei es mit oder ohne Regen, denn er hatte die englischen Bogenschützen gefürchtet. Besser, so hatte er gesagt, wir lassen sie entkräftet, wie sie sind, ihren Zug nach Calais fortsetzen und richten die französischen Kräfte darauf, Harfleur zurückzuerobern.
Doch die hitzköpfigen königlichen Ducs, wie zum Beispiel ebenjener junge Orleans, hatten auf einer Schlacht bestanden. Boucicaut spürte, wie ihm die Galle hochkam, er war versucht, dem Duc eine Anschuldigung entgegenzuschleudern, doch er unterdrückte das Verlangen. «Soll feucht sein in England», sagte er stattdessen. «Sind die Frauen auch feucht?»
«Oh, das sind sie», sagte Lanferelle.
«Ich brauche Frauen», sagte der Marschall von Frankreich und starrte zum grauverhangenen Himmel hinauf. «Ich bezweifle, dass Frankreich unsere Lösegelder aufbringen kann, und das bedeutet, dass wir vermutlich alle bis an unser Lebensende in England sitzen werden, also brauchen wir etwas, um uns die Zeit zu vertreiben.»
Lanferelle fragte sich, wo Melisande war. Plötzlich wollte er sie unbedingt sehen, mit ihr sprechen, doch es waren nur ein paar andere Frauen in Sichtweite, die den Verwundeten Wasser brachten. Priester boten den Männern die Letzte Ölung an, Heilkundige knieten neben den Verwundeten. Sie schnitten Rüstungsschnallen auf, zogen zermalmten Stahl aus aufgerissenem Fleisch und hielten Männer fest, die in Qualen um sich schlugen. Lanferelle entdeckte einen seiner eigenen Männer, überließ Orleans und den Marschall ihren Bewachern, kauerte sich neben den Mann und verzog das Gesicht beim Anblick des Beins, das von Axthieben halb abgetrennt worden war. Irgendjemand hatte den Oberschenkel mit einer Bogensehne abgebunden, doch immer noch pulste das Blut stoßweise aus der grässlichen Wunde. «Es tut mir leid, Jules», sagte Lanferelle.
Jules konnte nichts erwidern. Sein Kopf zuckte von einer Seite zur anderen. Er hatte sich so fest auf die Unterlippe gebissen, dass ihm ein Blutfaden übers Kinn lief.
«Du überlebst, Jules», sagte Lanferelle und bezweifelte seine eigenen Worte, und dann ließ ihn plötzliches Gebrüll herumfahren.
Ungläubig starrte er auf den Anblick, der sich ihm bot. Englische Bogenschützen ermordeten die Gefangenen. Einen Moment lang glaubte Lanferelle, dass die Bogenschützen toll geworden sein mussten, doch dann entdeckte er, dass sie unter dem Befehl eines Feldkämpfers standen. Französische Gefangene mit gefesselten Händen versuchten davonzulaufen, doch die Bogenschützen holten sie ein, drehten sie zu sich herum und schlitzten ihnen mit langen Messern den Hals auf. Blutfontänen spritzten aus den Wunden und weichten die Bogenschützen ein, und noch mehr Bogenschützen rannten mit gezogenen Messern los, um sich an dem Gemetzel zu beteiligen. Einige englische Feldkämpfer zogen Gefangene weg, offenkundig in der Absicht, sich die Aussicht auf Lösegeld zu erhalten. Nur die hochstehendsten und wertvollsten Gefangenen wie Marschall Boucicaut und die Ducs von Orleans und Bourbon wurden vor dem Blutbad bewahrt. Doch die anderen wurden erbarmungslos getötet. Mit einem Mal verstand Lanferelle. Der König von England befürchtete, dass ihm die französischen Gefangenen in den Rücken fallen würden, während die letzte französische Kampfeinheit angriff, und um das zu vermeiden, brachte er die Gefangenen um, und obwohl das alles einen Sinn ergab, war Lanferelle vollkommen überrascht von dieser Entscheidimg. Dann sah er auf sich selbst Bogenschützen zukommen und klopfte Jules auf die Schulter. «Stell dich tot, Jules», sagte er. Ihm fiel nichts anderes ein, um den Mann vor dem sicheren Tod zu bewahren, denn ohne Waffen konnte er ihn nicht verteidigen. Und so lief er los, um Sir John zu suchen. Sir John, da war er sicher, würde ihn beschützen, und wenn er Sir John nicht fand, würde er versuchen, den Wald von Tramecourt zu erreichen, und sich im dichten Unterholz verstecken.
Einige Gefangene wehrten sich, doch sie waren unbewaffnet, und die Bogenschützen schlugen sie mit ihren
Kampfäxten nieder. Die Bogenschützen bewegten sich flink in dem Morast und töteten mit grauenerregender Tüchtigkeit. Die englischen Kampfpferde, fest eintausend gesattelte Hengste, standen am südlichen Ende des Schlachtfeldes, und eine Handvoll Gefangener versuchte sie zu erreichen, doch ein paar der Knappen, die zur Bewachung der Pferde abgestellt waren, trieben sie dorthin zurück, wo die Bogenschützen ihr Mordwerk verrichteten. Alles war Entsetzen, Schreie und Blut, während Männer starben und andere auf ihre Schlächter zugetrieben wurden. Weitere Bogenschützen kamen zum Töten, und die Gefangenen stolperten über die tiefen Ackerfurchen auf der Suche nach einem Entrinnen, das es nicht gab. Auch für Lanferelle nicht. Er schaffte es zur rechten Flanke der englischen Linie, wo am Waldessaum die Hütte eines Forstmanns stand. Die Hütte brannte, und er hörte aus den Flammen und dem Rauch die Todesschreie eines Mannes. Die Bogenschützen, die das armselige Häuschen in Brand gesteckt hatten, entdeckten Lanferelle, rannten auf ihn zu, und er wich nordwärts aus, doch schon sah er noch mehr Bogenschützen zwischen sich und der englischen Kampflinie stehen, bei der Sir Johns Standarte flatterte. Dann erkannte er zu seiner Erleichterung die große Gestalt und grimmige Miene Nicholas Hooks.
«Hook!», rief er, doch Hook hörte ihn nicht. «Melisande!» Er rief den Namen seiner Tochter in der Hoffnung, dass er den Tumult und die Schreie durchdringen würde. Wieder wurden Trompeten gespielt, um die Engländer zu den Fahnen zu rufen. «Hook!», brüllte Lanferelle verzweifelt.
«Was habt Ihr denn mit Hook zu schaffen?», fragte ein Mann, und als sich Lanferelle umwandte, sah er sich vier englischen Bogenschützen gegenüber. Der Mann, der gesprochen hatte, war groß gewachsen, mager und hatte ein eckiges Kinn. In der Hand hielt er eine blutige Kampfaxt. «Kennt Ihr Hook denn?», fragte der Mann.
Lanferelle wich zurück.
«Ich habe Euch etwas gefragt», sagte der Mann und folgte Lanferelle. Er grinste und genoss die Furcht des Franzosen, «Ihr seid reich, oder? Wenn Ihr nämlich reich seid, lassen wir Euch vielleicht am Leben. Aber Ihr müsst schon sehr reich sein.» Mit einem Hieb seiner Kampfaxt versuchte er Lanferelles Knie zu treffen, um den Franzosen zu Fall zu bringen, doch es gelang Lanferelle, rückwärts auszuweichen, ohne zu stolpern. Er suchte nach festem Tritt in dem Morast.
«Ich bin reich», sagte er entmutigt, «sehr reich.»
«Er spricht Englisch», sagte der Bogenschütze zu seinen Gefährten, «er ist reich, und er spricht Englisch.» Er stieß die Kampfaxt vor, und der Spitzdorn traf Lanferelles linken Oberschenkel, doch die Rüstung gab nicht nach, und die Spitze glitt ab. «Und warum ruft Ihr nach Hook?», fragte der Mann und holte erneut mit der Axt aus.
Lanferelle hob in einer beschwichtigenden Geste beide Hände. «Ich bin sein Gefangener.»
Der große Mann lachte. «Unser Nick hat einen reichen Gefangenen? Das geht ganz und gar nicht!» Er stieß mit der Axt zu, traf mit der Spitze Lanferelles Brustpanzer, und Lanferelle stolperte wieder rückwärts, doch auch dieses Mal fiel er nicht zu Boden. Er warf einen verzweifelten Blick um sich, hoffte darauf, eine verlorene Waffe zu entdecken, und wieder grinste der große englische Bogenschütze über die Furcht auf dem blutverkrusteten Gesicht des Franzosen. Die gepolsterte Jacke, die der Bogenschütze über einem Kettenhemd trug, war an mehreren Stellen aufgeschlitzt, sodass die Wollfüllung in blutverklebten Klumpen heraushing. Sein rotes Sankt-Georgs-Kreuz war im Regen zerlaufen, sodass sein Wappenrock mit dem Mond und den drei Sternen darauf blutrot verfärbt war. «Wir können nicht zulassen, dass Nick reich wird», sagte der Mann und hob seine Kampfaxt, um sie auf Lanferelles ungeschützten Kopf niederzuschmettern.
Und genau in diesem Augenblick sah Lanferelle das Schwert. Es war nur ein kurzes und klobiges Schwert, ein billiges Schwert, und es drehte sich in der Luft um sich selbst, und einen Herzschlag lang glaubte er, es sei auf ihn geschleudert worden, um ihn zu verletzen, bevor ihm klarwurde, dass es ihm zugeworfen worden war. Die Klinge wirbelte über die Schulter des großgewachsenen Bogenschützen, und Lanferelle schnappte danach und erwischte irgendwie den Griff, doch die Axt fuhr schon nieder, getrieben von den gewaltigen Kräften des Bogenschützen, und Lanferelle blieb keine Zeit zur Abwehr, sodass er sich nur mit seinem gesamten Gewicht nach vorn gegen den Bogenschützen werfen konnte. Der Schaft der Kampfaxt traf seinen linken Arm, und Lanferelle hob das Schwert, doch in dem Hieb, der in der Pfeiltasche des Bogenschützen endete, steckte keine Kraft. Einer der anderen Bogenschützen holte mit seiner Kampfaxt aus, doch nun hatte sich Lanferelle gefangen und wehrte den Hieb mit seiner Klinge ab, indem er dem Mann mit unfassbarer Geschwindigkeit sein Schwert durchs Gesicht zog. Der Mann taumelte weg. Blut floss aus seiner zertrümmerten Nase und der aufgeschlitzten Wange, und schon war Lanferelle einen Schritt zurückgetreten und hatte das Schwert gehoben, um gegen den großgewachsenen Bogenschützen zu kämpfen.
Drei Bogenschützen standen nun vor Lanferelle, doch zwei von ihnen besaß keinen Mut, um gegen ihn anzutreten, sodass der großgewachsene Mann auf sich allein gestellt war. Der Bogenschütze drehte sich um und sah Hook herankommen. «Bastard», zischte er ihn an, «du hast ihm dieses Schwert zugeworfen!»
«Er ist mein Gefangener», sagte Hook.
«Und der König hat befohlen, die Gefangenen zu töten!»
«Dann töte ihn, Tom», sagte Hook belustigt. «Töte ihn doch!»
Tom Perrill sah wieder den Franzosen an. Er entdeckte einen tödlichen Blick in Lanferelles Augen, dachte an die Geschwindigkeit, mit der dieser Mann ausweichen und Hiebe abwehren konnte, und senkte seine Kampfaxt. «Du tötest ihn, Hook», sagte er höhnisch.
«Mylord», sprach Hook Lanferelle an, «diesem Mann wurde Geld geboten, um Eure Tochter zu schänden. Er ist mit diesem Vorhaben gescheitert, doch solange er am Leben ist, schwebt Melisande in Gefahr.»
«Dann töte ihn», sagte Lanferelle.
«Ich habe Gott versprochen, es nicht zu tun.»
«Aber ich habe Gott nichts dergleichen versprochen», sagte Lanferelle und ließ das billige Schwert gegen Tom Perrill vorzucken, sodass der Bogenschütze zurückweichen musste. Perrill sah Hook mit aufgerissenen Augen an, ohne seine Angst und sein Erstaunen verbergen zu können. Dann wandte er sich wieder Lanferelle zu, auf dessen Gesicht ein Lächeln lag. Das Schwert des Franzosen war kümmerlich und schlecht gearbeitet, die Kampfaxt war die bei weitem überlegene Waffe, dennoch trat Lanferelle mit heiterer Zuversicht einen Schritt auf Tom Perrill zu.
«Tötet ihn!», rief Perrill seinen Gefährten zu, doch keiner von ihnen rührte sich, und Perrill rammte sein Axt mit einer verzweifelten Bewegung gegen Lanferelles Zwerchfell vor, und der Franzose wich der Waffe mit verächtlicher Leichtigkeit aus, hob dann einfach das Schwert und stieß ein einziges Mal zu.
Die Klinge glitt in Perrills Schlund, aus dem sofort ein Schwall Blut brach. Reglos starrte der Bogenschütze den Mann an, der ihn tötete. Lautlos und dickflüssig rann das Blut an der Schwertklinge hinab und lief über Lanferelles unbehandschuhte Hand. Einen Augenblick oder zwei blieben beide Männer wie erstarrt voreinander, dann brach Perrill zusammen, Lanferelle zog die Klinge aus seinem Mund und warf Hook das Schwert zu.
«Genug! Genug!» Ein Feldkämpfer im Wappenrock des Königs ritt hinter der englischen Kampflinie entlang, um den Bogenschützen den neuen Befehl zuzurufen. «Genug! Hört mit dem Töten auf! Halt! Genug!»
Hook ging zur englischen Linie zurück.
Er sah graue Wolken, die sich über dem Feld von Azincourt ballten. Und er sah vor der englischen Armee einen wahren Totenacker. Es waren mehr Tote, dachte Hook, als sein König eigene Männer auf dieses durchweichte Schlachtfeld geführt hatte. Die unzähligen Gefallenen lagen umschlungen in ihrem grausigen Sterben, hingestreckt und blutüberströmt, Körper in Rüstungen, aufgerissen, durchbohrt und zermalmt. Da waren Männer und Pferde. Da waren aufgegebene Waffen, gestürzte Flaggen und gestorbene Hoffnungen. Ein Feld, gepflügt für Winterweizen, hatte eine Bluternte eingebracht.
Und am Ende dieses Feldes, hinter den Toten, hinter den Sterbenden und den Klagenden, zog sich die dritte französische Kampfeinheit zurück.
Die versammelte Macht Frankreichs zog sich zurück. Die Männer wandten sich nach Norden, ließen Azincourt hinter sich, ritten, um der lachhaft kleinen Armee zu entkommen, die ihre Welt in Grauen verwandelt hatte.
Es war vorbei.