Mondorbit

»Nun macht es schon etwas mehr her, oder?«, fragte Dan, als der Raumgleiter auf das fusionsgetriebene Raumschiff zuflog.

Pancho bekundete mit einem Kopfnicken ihre Zustimmung. Beim Schiff dominierte zwar noch immer die Zweckmäßigkeit über die Ästhetik, doch lenkten nun sechs große, glänzende sphärische Brennstofftanks vom unverkleideten Antriebssystem ab. Große weiße Lettern, die ans zylindrische Crewmodul schabloniert waren, wiesen das Schiff als die Starpower I aus, und die Logos der Astro Manufacturing Corporation, von Humphries Space Systems und Selene prangten an einem der Brennstofftanks.

Der Raumgleiter war kaum mehr als eine gewöhnliche Mond-Fähre mit Zusatztanks und einem stärkeren Triebwerk, um von der Mondoberfläche in den Mondorbit aufzusteigen und zum Mond zurückzukehren. Dan und Pancho waren mit beigefarbenen Astro-Overalls bekleidet und befanden sich im bauchigen Besatzungsmodul aus Glasstahl. Sie hatten die gestiefelten Füße in Bodenschlaufen verankert, weil für diesen kurzen Flug in der Schwerelosigkeit keine Sitze erforderlich waren. An der Vorderseite des Moduls wuchs eine Instrumentenkonsole aus dem Boden, deren Bedienelemente jedoch nicht gebraucht wurden, weil das Schiff von den Flug-Controllern in Armstrong ferngesteuert wurde. Trotzdem war Dan froh, Pancho als qualifizierte Pilotin dabeizuhaben. Man weiß schließlich nie, sagte er sich.

Als sie sich dem fusionsgetriebenen Schiff näherten, stieß Pancho angesichts der Größe der Brennstofftanks einen Pfiff aus.

»Da geht aber eine Menge Brennstoff rein.«

»Das können Sie laut sagen«, sagte Dan zerknirscht. »Ich musste sogar zwei Helium-Drei-Kontrakte mit irdischen Energieversorgern stornieren, um diese verdammten Tanks zu füllen.«

»Stornieren?«

»Zwei Schritte weiter zum Konkurs«, sagte Dan mit einem Kopfnicken.

Pancho beschloss, das Thema in eine etwas andere Richtung zu lenken. »Haben Sie schon eine Entscheidung wegen des Langzeittests getroffen?«, fragte sie.

Dan schüttelte den Kopf. »Ich ziehe schon seit vier Tagen an allen mir bekannten Strippen.«

»Und?«

»Bisher hat sich nichts ergeben. Null. Niemand wagt es, gegen die IAA anzustinken.«

»Dann werden Sie den Testflug also durchführen müssen.«

»Sieht so aus«, sagte Dan zögernd und fuhr sich mit dem Finger übers Kinn.

»Wieso unternehmen wir dann diesen Ausflug?«

Der Anflug eines Lächelns legte sich auf Dans Gesicht. Er dachte an längst vergangene Zeiten, als er ein Freibeuter, ein Pirat gewesen war und die Erzladungen unbemannter Raumschiffe gekapert hatte. Anfangs hatte es sich um reine Verzweiflungstaten gehandelt, die einzige Art und Weise, wie ein frustrierter Dan Randolph den Weltraummarkt aufzubrechen vermochte, der von Monopolisten beherrscht wurde. Er hatte den Kampf gegen die Monopole gewonnen und das Sonnensystem für den freien Wettbewerb einzelner Personen, Unternehmen und Regierungen geöffnet. Aber er hatte einen Preis gezahlt. Sein Gesicht verdüsterte sich, als er sich an die Leute erinnerte, die als Kämpfer in diesem kurzen, unbesungenen Krieg gestorben waren. Er selbst war dem Tod auch nur um Haaresbreite entgangen.

»Was nun?«, hakte Pancho nach. »Ist das eine Lustreise oder was?«

Dan verdrängte die Gedanken an die Vergangenheit und erwiderte: »Ich will mir das Besatzungsmodul mal selbst anschauen. Und wir werden uns mit dem Planetengeologen treffen, den Zack Freiberg für uns ausgesucht hat.«

»Der Asteroiden-Spezialist?«

»Ja. Er ist bereits an Bord. Ist gestern nach Selene gekommen und gleich zum Schiff weitergeflogen. Er hat die Nacht an Bord verbracht.«

»Ein fleißiger Biber«, sagte Pancho. »Ist wohl ein frisch Diplomierter.«

»Er hat ein druckfrisches Diplom des Polytechnikums in Zürich.«

Die Flug-Controller führten den Raumgleiter präzise an die Starpower I heran. Dan und Pancho schauten zu, wie das Raumboot das Luftschleusen-Adapterstück mit der Luke des größeren Schiffs koppelte. Dann schwebten sie durch den tunnelartigen Adapter zur Luftschleusenluke des Fusions-Raumschiffs.

Die Luftschleuse mündete in den mittleren Abschnitt des Besatzungsmoduls. Zur Linken sah Dan die faltenbalgartigen Türen eines halben Dutzend Schlafkabinen, die den Durchgang säumten. Weiter oben war die Bordküche, eine Messe mit einem Tisch und sechs kleinen, aber bequem aussehenden Stühlen und — hinter einer geöffneten Luke — die Brücke. Zur Rechten waren die Toilette und eine geschlossene Luke, die zu den Ausrüstungs- und Lagerbuchten führte.

Dan hielt sich nach links, in Richtung der Küche und der Brücke.

»Stühle?«, fragte Pancho mit verwirrtem Gesichtsausdruck, während sie schwerelos ein paar Zentimeter unterhalb der Deckenverkleidung durch die Messe flogen.

»Sie werden die meiste Zeit beschleunigen oder abbremsen«, erklärte Dan, »und die wenigste Zeit in der Schwerelosigkeit zubringen.«

Sie nickte und schien über sich selbst enttäuscht. »Ich wusste es; ich habe es nur nicht kapieren wollen.«

Dan vermochte es ihr nachzufühlen. Er hatte die Konfiguration des Besatzungsmoduls schon ein paar hundertmal gesehen, Drei-D-Modelle betrachtet und sogar Virtuelle Realitäts-Simulationen durchgeführt. Aber in der Praxis war es doch etwas anderes. Er roch die Ausdünstungen des neuen Metalls und Kunststoffs und fuhr mit den Händen über die Plastikpanelen der Decke. Die Brücke wirkte klein, aber bequem, und es war auch schon das Summen der Elektroaggregate zu hören.

»Wo ist denn unser Diplomierter?«, fragte Pancho und blickte sich um.

»Damit bin wohl ich gemeint«, ertönte eine schnarrende Stimme hinter ihnen.

Dan drehte sich um und erblickte einen kräftigen jungen Mann, der sich mit beiden Händen an der offenen Luke festhielt. Er war etwas kleiner als Dan, hatte aber breite Schultern und eine Tonnenbrust. Die Statur eines Ringers. Das Gesicht war ebenfalls breit: ein vorspringendes Kinn mit einem breiten, schmallippigen Mund und kleinen, tief in den Höhlen liegenden Augen. Das Haar war so kurz geschoren, dass Dan nicht feststellen konnte, welche Farbe es hatte. Er trug einen kleinen funkelnden Stein im linken Ohrläppchen — ob Diamant oder Zirkon oder Glas, vermochte Dan nicht zu sagen.

»Ich habe Sie schon an Bord kommen hören. Ich war in der Instrumentenbucht und überprüfte die Ausrüstung«, sagte er mit dem Akzent des amerikanischen mittleren Westens — der aber so prononciert war, dass er ihn in einer Sprachenschule gelernt haben musste.

»Aha«, sagte Pancho.

»Ich bin Lars Fuchs«, sagte er und reichte Dan die Hand. »Sie müssen Mr. Randolph sein.«

»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Dr. Fuchs.« Fuchs' Pranke hielt Dans Hand umfasst. Der junge Mann hatte einen Händedruck wie ein Schraubstock. »Das ist Pancho Lane«, fuhr Dan fort. »Sie wird auf dem Flug die Pilotin sein.«

Fuchs senkte leicht den Kopf. »Ms. Lane. Und, Sir, ich bin nicht Doktor Fuchs. Noch nicht.«

»Das ist schon in Ordnung. Zack Freiberg hat Sie mir wärmstens empfohlen.«

»Ich bin Professor Doktor Freiberg überaus dankbar. Er hat mir sehr geholfen.«

»Und ich heiße Dan. Wenn Sie mich Mr. Randolph nennen, komme ich mir vor wie ein alter Mann.«

»Ich möchte Ihnen gewiss nicht zu nahe treten, Sir«, sagte Fuchs ernstlich besorgt.

»Nennen Sie mich einfach Dan.«

»Ja, Sir, natürlich. Und Sie müssen mich Lars nennen. Sie auch«, sagte er zu Pancho gewandt.

»Alles klar, Lars«, sagte Pancho und streckte die Hand aus.

Fuchs nahm sie zaghaft, als sei er irgendwie unschlüssig. »Pancho ist in Amerika ein Frauenname?«

Sie lachte. »Es ist der Name dieser Frau, Lars, alter Kumpel.«

»Pancho«, sagte Fuchs mit einem unbehaglichen Grinsen, als ob er den Namen ausprobierte.

»Sie kommen mit der Schwerelosigkeit sehr gut zurecht«, sagte Dan. »Nach dem, was Zack mir sagte, ist dies Ihr erster Weltraumaufenthalt.«

»Danke, Sir… Dan«, sagte Fuchs. »Ich bin extra schon gestern Abend gekommen, um mich vor Ihrem Eintreffen an die Mikrogravitation zu gewöhnen.«

Pancho lächelte mitfühlend. »Die ganze Nacht Bekanntschaft mit der Toilette gemacht, wie?«

»Ja, ich musste mich ein paarmal übergeben«, sagte Fuchs peinlich berührt.

»Das geht jedem so, Lars«, sagte sie. »Kein Grund, sich dafür zu schämen.«

»Ich schäme mich auch nicht«, sagte er und hob trotzig den Kopf.

Dan schob sich zwischen sie. »Haben Sie sich schon eine Kabine ausgesucht? Weil Sie zuerst an Bord kamen, dürfen Sie sich auch als Erster eine aussuchen.«

»He«, quengelte Pancho, »Sie wissen doch, dass ich schon einmal auf diesem Kahn war. Amanda auch.«

»Die Kabinen für die Besatzung sind alle gleich«, sagte Fuchs. »Es ist egal, welche ich nehme.«

»Ich nehme die letzte links«, sagte Dan und schaute den Gang entlang, der sich längs durch das Modul zog. »Sie liegt der Toilette am nächsten.«

»Sie?«, fragte Pancho erstaunt. »Seit wann nehmen Sie denn an der Mission teil?«

»Seit etwa vier Tagen«, sagte Dan. »Damals habe ich eine Entscheidung getroffen… in Bezug auf viele Dinge.«

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