TEIL III. DER KNECHT

KASTILIEN 30. AUGUST 1492

1. KAPITEL EIN MANN MIT EINER HACKE

Der Unbeschreibliche und der kleine Esel führten Jona die ganze Nacht südwärts, unter einem runden, ziehenden Mond, der ihnen Gesellschaft leistete und dem Esel den Weg erhellte. Jona wagte nicht anzuhalten. Der Priester, der mit Benito zum Haus der Martins gekommen war, hatte sicherlich sofort berichtet, daß ein ungetaufter Jude flüchtig sei und die Christenheit bedrohe. Um sein Leben zu retten, hatte Jona vor, sich so weit wie möglich von Toledo zu entfernen.

Seitdem er seine Heimatstadt verlassen hatte, ritt er durch offenes Land. Hin und wieder tauchte der schattige Umriß einer finca, eines Bauernhofs, neben dem Pfad auf. Immer wenn ein Hund bellte, trieb er sein Tier mit den Fersen zum Traben an, und so zog er an den wenigen Behausungen vorbei wie ein Geist auf einem Esel.

Im ersten Licht der Morgendämmerung sah er, daß sich die Landschaft verändert hatte - sie war weniger hügelig als die Gegend zu Hause, und die Höfe waren größer.

Die Erde mußte hier sehr gut sein; er kam an einem Weinberg, einem riesigen Olivenhain und einem Feld mit grünen Zwiebeln vorbei. Da er eine große Leere im Magen verspürte, stieg er ab, zog einige Zwiebeln aus der Erde und aß sie hungrig. Beim nächsten Weinberg pflückte er sich ein Büschel Trauben, die zwar nicht ganz reif, aber voller säuerlichem Saft waren. Mit seinen

Münzen hätte er sich Brot kaufen können, aber er wagte es nicht, weil er fürchtete, daß man ihn ausfragte.

An einem Bewässerungsgraben, der ein kleines Rinnsal Wasser führte, hielt er an, um den Esel am Rand grasen zu lassen und selbst ein wenig zu rasten. Als die Sonne aufging, saß er am Graben und dachte über seine mißliche Lage nach. Möglicherweise war es doch angebracht, sich ein festes Ziel auszusuchen. Wenn er schon fliehen mußte, lenkte er seinen Esel vielleicht besser gleich in Richtung Portugal, wohin einige der Juden Toledos gegangen waren.

Inzwischen waren Arbeiter mit Hacken und Macheten aufgetaucht. Jetzt entdeckte Jona auch ihre Hütten am anderen Ende des Feldes und Gruppen von Männern, die Gestrüpp jäteten und zu Haufen stapelten. Die meisten von ihnen achteten nicht auf den Jungen mit dem Esel, und Jona ließ sein Tier weitergrasen, bis es satt war. Erstaunt über die Gutmütigkeit des Esels und über seine Folgsamkeit, spürte Jona Dankbarkeit in sich aufsteigen.

Der Esel muß einen Namen haben, beschloß er, und im Weiterreiten dachte er darüber nach.

Das Feld war noch kaum außer Sicht, als er hinter sich das beklemmende Donnern galoppierender Hufe hörte. Er lenkte den Esel schnell an den Wegrand, um den Trupp in Sicherheit beobachten zu können. Es waren acht Berittene, doch zu Jonas Bestürzung zogen sie nicht an ihm vorüber, sondern hielten an.

Es war ein Spähtrupp, sieben Soldaten mit ihrem Offizier, grimmig dreinblickende Männer, die mit Piken und Kurzschwertern bewaffnet waren. Einer der Soldaten saß ab und pinkelte laut in den Graben.

Der Offizier musterte Jona. »Wie nennt man dich, Junge?«

Jona bemühte sich, nicht zu zittern. In seiner Angst klammerte er sich an den Namen, den er in Toledo noch ausgeschlagen hatte. »Ich bin Tomas Martin, Euer Exzellenz.«

»Wo ist dein Zuhause?«

Bestimmt hatten die Feldarbeiter diesen Männern verraten, daß sie einen Fremdling gesehen hatten. »Im Augenblick komme ich aus Cuenca«, sagte Jona.

»Und hast du auf deinem Ritt von Cuenca Juden gesehen?«

»Nein, Euer Exzellenz. Keine Juden«, erwiderte Jona, der seine Angst zu verbergen suchte.

Der Offizier lächelte. »Und wir auch nicht, obwohl wir suchen. Jetzt sind wir sie endlich los. Sie sind entweder geflohen oder konvertiert oder in Fesseln geschlagen.«

»Sollen sich die anderen mit ihnen herumärgern«, sagte der abgesessene Soldat, der Pinkler. »Die verdammten Portugiesen werden ihre helle Freude an ihnen haben. Schon jetzt sind sie in Portugal die reinste Plage, so viele, daß man sie dort erschlägt wie Ungeziefer.« Er kicherte und schüttelte sein Glied.

»Was ist dein Ziel?« fragte der Offizier beiläufig.

»Ich bin unterwegs nach Guadalupe«, sagte Jona.

»Ah, eine weite Reise. Was gibt es in Guadalupe?«

»Ich gehe dorthin... auf der Suche nach dem Bruder meines Vater, Enrique Martin.« Das Lügen war gar nicht schwer, das merkte er nun. Und um noch eins draufzusetzen, fügte er hinzu, daß er Cuenca verlassen habe, weil sein Vater im Jahr davor als Soldat im Kampf gegen die Mauren gefallen sei.

Die Züge des Offiziers wurden weicher. »Ein Soldatenschicksal... Du siehst kräftig aus. Willst du arbeiten, damit du dir auf der Reise nach Guadalupe Essen kaufen kannst?«

»Essen wäre sehr gut, Euer Exzellenz.«

»Auf dem Gut von Don Luis Carnero de Palma braucht man kräftige junge Arbeiter. Es ist der nächste Hof an dieser Straße. Sag Jose Galindo, daß Capitan Astruells dich schickt«, sagte der Offizier.

»Ich danke Euch sehr, Capitan!«

Der Pinkler kletterte wieder in den Sattel, und die Männer rit-ten davon, während Jona ihnen erleichtert nachsah und ihren Staub schluckte.

Der Hof, von dem der Capitan gesprochen hatte, war sehr groß, und schon von der Straße aus sah Jona, daß hier viele Arbeiter ihr Brot verdienten. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er vielleicht doch nicht vorbeireiten sollte, wie es seine Absicht gewesen war; immerhin hatten die hiesigen Soldaten ihm seine Geschichte abgenommen, während man sich in anderen Landstrichen - zu seinem Schaden - als mißtrauischer erweisen könnte.

Kurz entschlossen lenkte er seinen Esel auf den Zuweg.

Jose Galindo stellte ihm keine Fragen, nachdem er den Namen von Capitan Astruells gehört hatte, und schon bald darauf stand Jona in einer trockenen, von Steinen übersäten Ecke eines Zwiebelfeldes und jätete mit einer Hacke Unkraut.

Am späten Vormittag zerrte ein Mann mit dünnen, sehnigen Armen einen kleinen Karren über das Feld, wie ein Pferd, das einen Wagen zog, und blieb bei jeder Gruppe stehen, um an die Arbeiter eine Schüssel mit dünner Grütze und einen Ranken grobes Brot zu verteilen.

Jona aß so schnell, daß er kaum etwas schmeckte. Das Essen besänftigte seinen Bauch, aber er mußte auch sofort pinkeln. Hin und wieder ging einer der Männer zu dem Graben am Rand des Feldes, um sich zu erleichtern, aber Jona, der an seinen beschnittenen Penis, sein jüdisches Erkennungszeichen, dachte, hielt den Urin so lange zurück, bis er, zitternd vor Schmerz und Angst, nicht mehr anders konnte, als zum Graben zu gehen und sich zu erleichtern. Er versuchte, seine Eichel mit der Hand zu verdecken, während seine Blase sich entleerte. Aber niemand sah zu ihm herüber, und so pinkelte er zu Ende und kehrte zu seiner Hacke zurück.

Die Sonne brannte heiß.

Wo waren alle, die er kannte?

Was geschah mit ihm?

Er arbeitete wie ein Besessener und bemühte sich, nicht nachzudenken, während er zuschlug, als wäre die Hacke das Schwert Davids und das Unkraut die Philister. Oder als wäre das Unkraut die Männer des Inquisitors, die seiner Vorstellung nach ganz Spanien durchstreiften, einzig und allein auf der Suche nach ihm.

Nach drei Tagen harter Arbeit auf diesem Hof erkannte er, schmutzig und erschöpft, daß es der zweite August war. Der neunte Tag des Aw. Der Tag der Zerstörung des Tempels in Jerusalem war der letzte Tag der Ausreisefrist für die spanischen Juden. Er verbrachte den Rest des Tages neben der Arbeit im stillen Gebet, und immer wieder schickte er seine Bitten zu Gott, daß Eleasar und Aaron und Juana nun schon auf hoher See in Sicherheit seien und sich weiter und weiter von diesem Ort entfernten.

2. KAPITEL DER GEFANGENE

Iona war als Stadtjunge aufgewachsen. Dennoch vertraut mit den Verrichtungen auf den Bauernhöfen Toledos, hatte er hin und wieder die Ziegen seines Onkels Aaron gemolken, die Herde gefüttert und gehütet und bei der Heuernte oder beim Schlachten oder Käsen geholfen. Auch war er stark, groß für sein Alter und beinahe voll ausgewachsen. Aber noch nie hatte er die tägliche Mühsal unerbittlicher Arbeit erlebt, die ein bäuerliches Leben auf dem Lande bestimmt, und in den ersten Wochen auf dem Gut Carnero de Palmas schmerzten jeden Abend seine Glieder und wehrten sich gegen die ungewohnte Belastung. Die jüngeren Männer wurden geschunden wie Ochsen, man gab ihnen die Arbeiten, die für jene zu schwer waren, deren Kräfte von Jahren ähnlicher Plackerei bereits aufgezehrt waren. Doch Jonas Muskeln wuchsen und wurden hart, die Sonne bräunte sein Gesicht, und bald sah er aus wie die anderen Arbeiter.

Er war mißtrauisch gegen jeden und fürchtete sich vor allem, denn er wußte um die Gefahr, in der er lebte; er hatte sogar Angst, daß man ihm seinen Esel stahl. Nachts, wenn er neben dem Tier in einem Winkel der großen Scheune schlief, ergriff ihn manchmal das merkwürdige Gefühl, daß der Esel ihn beschützte wie ein Wachhund.

Die peones schienen zufrieden zu sein mit ihren Tagen voll schwerer Arbeit. Jedes Alter war unter ihnen vertreten: Es gab Jungen in Jonas Alter, es gab reife, kräftige Männer, aber auch Greise, die ihre letzten Kräfte aufbrauchten. Jona war und blieb ein Fremdling. Er redete mit keinem, und keiner redete mit ihm, außer um ihm zu sagen, wo er arbeiten sollte. Auf dem Feld gewöhnte er sich allmählich an die für ihn ungewohnten Geräusche, das Knirschen von Hacken, die sich in die Erde gruben, das Klirren von Schaufelblättern, die auf Stein trafen, an das Ächzen der schwer arbeitenden Männer. Wenn er zu einem anderen Teil des Feldes gerufen wurde, machte er sich sofort auf den Weg; wenn er ein Werkzeug brauchte, bat er höflich, aber ohne viele Worte darum. Er spürte, daß die anderen ihn mit neugieriger Feindseligkeit betrachteten, und er wußte, daß einer der Männer früher oder später einen Streit mit ihm anfangen würde. Um nicht ganz schutzlos zu sein, schärfte er unauffällig eine abgelegte Hacke, bis sie eine scharfe Spitze hatte. Der Stiel war abgebrochen, so daß nur noch ein kurzer Handgriff übrig war, und er hatte sie nachts immer an seiner Seite, als seine Streitaxt.

Das Gut war kein bequemer Zufluchtsort. Die schwere Arbeit brachte nur ein paar elende Sueldo ein und nahm jede Minute des Tageslichts in Anspruch. Aber es gab Brot und Zwiebeln, und manchmal Grütze oder eine dünne Suppe. Nachts träumte Jona gelegentlich von Lucia Martin, öfters aber von dem Fleisch, das er, ohne je darüber nachzudenken, im Haus seines Vaters gegessen hatte, gebratenen Hammel und Zicklein, und an jedem Sabbatabend geschmortes Geflügel. Sein Körper verlangte nach Fett, schrie nach Fett.

Als das Wetter kühler wurde, wurden auf der Farm Schweine geschlachtet, und die Abfälle und schlechteren Fleischstücke wurden den Arbeitern hingeworfen, die sich gierig darauf stürzten. Jona wußte, daß er das Schweinefleisch essen mußte; es nicht zu tun wäre sein Untergang gewesen. Und zu seinem großen Entsetzen stellte er fest, daß die rosigen Schnipsel ihm sehr gut schmeckten. So sagte er stumm einen Segensspruch für Fleisch über den Schweineabfällen auf, und während er sich noch fragte, was er da tat, wußte er zugleich, daß er verdammt war.

Das alles machte seine Einsamkeit und Verzweiflung noch schlimmer. Er sehnte sich nach einer menschlichen Stimme, die Ladino oder Hebräisch mit ihm sprach. Jeden Morgen und jeden Abend sagte er das Trauerkaddisch auf und ließ die Worte danach noch lange auf sich wirken. Manchmal sang er bei der Arbeit auch stumm Sätze aus der Schrift oder die Segenssprüche und Gebete, die bis vor kurzem noch sein Leben bestimmt hatten.

Er war bereits sieben Wochen auf dem Hof, als die Soldaten zurückkehrten. Seit er andere über sie hatte reden hören, wußte er, daß sie zur Santa Hermandad, zur Heiligen Bruderschaft, gehörten, einem Verband örtlicher Milizen, die der spanische Thron zu einer landesweiten Polizeitruppe zusammengeschlossen hatte.

Am frühen Nachmittag schnitt er eben Gestrüpp, als plötzlich Capitan Astruells vor ihm stand.

»Was! Du bist immer noch da?« fragte der Capitan, und Jona konnte nur nicken.

Kurze Zeit später sah er Astruells im Gespräch mit dem Gutsverwalter Jose Galindo, und die beiden Männer starrten zu ihm herüber.

Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Jona wußte, was geschehen würde, wenn der Offizier anfing, Nachforschungen anzustellen.

Den Tag beendete er in einem Miasma der Furcht. Als die Nacht hereinbrach, führte er seinen Esel hinaus in die Dunkelheit. Es standen ihm noch einige Münzen für seine Arbeit zu, aber er verzichtete darauf und nahm statt dessen die kaputte Hacke mit.

Sobald er sich sicher genug wähnte, bestieg er den Esel und ritt davon.

Nachdem der Esel so lange hatte Gras weiden dürfen, war seine Verdauung deutlich besser geworden. Das Tier bewegte sich so gleichmäßig und war so fügsam, daß Jona es endgültig ins Herz schloß.

»Du mußt einen Namen haben«, sagte er und tätschelte ihm den Hals.

Nach langer und reiflicher Überlegung entschied Jona sich für zwei Namen.

Für sich und in der Dunkelheit der Nacht wollte er das gute und treue Tier Mose nennen, zu Ehren von zwei Männern: des einen, der die Hebräer aus der ägyptischen Gefangenschaft geführt hatte, und zu Ehren von Mose ben Maimon, dem großen Philosophen und Arzt.

»Und in Gegenwart von anderen will ich dich Pedro nennen«, vertraute er dem Esel an.

Es waren durchaus passende Namen für den Begleiter eines Jungen, der ebenfalls mehrere Namen hatte.

Vorsichtig wie bei seiner ersten Etappe ritt er zwei Nächte lang nur in der Dunkelheit und suchte sich bei Tageslicht Verstecke für Mose und sich selbst. Die Trauben in den Weingärten am Wegesrand waren reif, und jeden Abend aß er mehrere Büschel davon, die sehr gut waren, nur daß anstelle des Esels nun ihn die Winde plagten. Sein Magen knurrte ständig, seine Eingeweide verlangten nach fester Nahrung.

Am dritten Morgen zeigte ein Wegweiser westwärts nach Gua-dalupe und südwärts nach Ciudad Real. Da er Capitan Astruells gesagt hatte, sein Ziel sei Guadalupe, wagte er nicht, dorthin zu reiten, und lenkte seinen Esel auf die südliche Abzweigung.

Es war Markttag in Ciudad Real, und in der Stadt wimmelte es von Menschen. Die Menge ist so dicht, daß niemand sich über die Anwesenheit eines Fremden Gedanken machen wird, dachte Jona, obwohl einige Leute ihn anstarrten und grinsten über den

Anblick des schlaksigen jungen Mannes auf einem Esel, der so klein war, daß die Füße des Reiters beinahe über den Boden schleiften.

Als Jona auf der plaza mayor bei einem Käser vorbeikam, konnte er nicht widerstehen und opferte eine kostbare Münze für einen kleinen Käse, den er hungrig verschlang, obwohl er längst nicht so gut schmeckte wie die Käse, die sein Onkel Aaron gemacht hatte.

»Ich suche eine Anstellung, Senor«, sagte er hoffnungsvoll.

Doch der Käser schüttelte den Kopf. »Soso. Aber ich kann niemand anstellen!« Doch dann rief er bedeutungsvoll einem in der Nähe stehenden Mann zu: »Vogt, hier ist ein junger Mann, der Arbeit sucht.«

Der Mann, der nun heranstolziert kam, war klein und hatte einen sehr dicken Bauch. Seine wenigen Haare klebten ihm fettig am Schädel.

»Ich bin Isidoro Alvarez, der alguacil dieser Stadt.«

»Ich bin Tomas Martin. Ich suche Arbeit, Senor.«

»Oh, ich habe Arbeit... Ja, die habe ich wirklich. Was hast du bis jetzt getan?«

»Ich warpeon auf einem Gut in der Nähe von Toledo.«

»Was hat man auf diesem Gut angebaut?«

»Zwiebeln und Getreide. Und es gab auch eine Herde Milchziegen.«

»Mein Stall ist anders bestückt. Ich halte Verbrecher und verdiene mein Brot damit, daß ich sie vor der Sonne und dem Regen bewahre«, sagte er, und der Käser lachte schallend. »Ich brauche jemand, der das Gefängnis putzt, die duftenden Scheißekübel meiner Übeltäter ausleert und ihnen ab und zu ein wenig Essen hinwirft, damit sie nicht verhungern, solange sie in meiner Obhut sind. Kannst du das, junger peon ?«

Es waren nicht gerade verlockende Aussichten, aber die kleinen braunen Augen des alguacil wirkten fröhlich und zugleich gefährlich. In der Nähe kicherte jemand. Jona spürte, daß die Leute nur auf eine Belustigung warteten, und er wußte, man würde ihm nicht gestatten, das Angebot höflich abzulehnen und weiterzureiten.

»Ja, Senor, das kann ich.«

»Na, dann mußt du mit mir zum Gefängnis kommen, damit du sofort damit anfangen kannst«, sagte der alguacil.

Als Jona dem Mann folgte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf, denn er hörte, wie der grinsende Käser einem anderen berichtete, Isidoro habe endlich einen Wärter für die Juden gefunden.

Das Gefängnis war ein langes und schmales Steingebäude. An einem Ende befand sich das Amtszimmer des alguacil und am anderen ein Verhörzimmer. Zu beiden Seiten des Korridors zwischen den Zimmern lagen winzige Zellen. In den meisten Zellen lag jemand zusammengerollt auf dem Steinboden des beengten Raums oder lehnte an der Wand.

Isidoro Alvarez hatte Jona gesagt, daß zu seinen Gefangenen drei Diebe, ein Mörder, ein Säufer, zwei Wegelagerer und elf Neue Christen gehörten, die angeklagt waren, insgeheim immer noch Juden zu sein.

Ein Wachposten mit Schwert und Knüppel saß schläfrig auf einem Hocker im Gang. »Das ist Paco«, sagte der alguacil zu Jona und murmelte dann dem Posten zu: »Der da ist Tomas.« Dann ging er in sein Amtszimmer und schloß die Tür hinter sich zu, damit der gewaltige Gestank draußen blieb.

Entmutigt erkannte Jona, daß jeder Versuch, diesen Ort zu reinigen, mit den bis zum Überlaufen vollen Koteimern beginnen mußte, und so bat er Paco, die erste Zelle aufzuschließen, in der eine Frau mit leerem Blick teilnahmslos zusah, wie er ihren Eimer nahm.

Als er Mose hinter dem Gefängnis angebunden hatte, war ihm ein Spaten aufgefallen, der an der Wand hing, und den nahm er jetzt und suchte sich eine sandige Stelle, wo er ein tiefes Loch grub. Er kippte die stinkenden Exkremente in das Loch, füllte dann den Eimer zweimal mit Sand und leerte ihn darüber. In der Nähe stand ein Baum mit großen, herzförmigen Blättern, mit denen er den Eimer auswischte, und dann spülte er ihn in dem Rinnsal eines nahen Grabens, bevor er ihn in die Zelle zurücktrug.

So säuberte er die Eimer in fünf Zellen, und sein Mitleid wurde immer größer, denn der Zustand der Insassen war erbärmlich. Als die Tür zur sechsten Zelle geöffnet wurde, ging er hinein und hielt einen Augenblick inne, bevor er den Eimer in die Hand nahm. Der Gefangene war ein schlanker Mann. Wie bei den andern Männern wucherten auch bei ihm Haare und Bart unge-stutzt, dennoch glaubte Jona in seinem Gesicht vertraute Züge wiederzuerkennen.

Der Posten grunzte verärgert, weil er an der geöffneten Tür warten mußte, und Jona nahm den Koteimer und trug ihn nach draußen.

Erst als er mit dem gereinigten Eimer in die Zelle zurückkehrte und sich das Gesicht vorstellte, wie es mit geschnittenen Haaren und ordentlich gestutztem Bart aussehen mochte, traf ihn die Erinnerung wie ein Schlag. Es war das Bild seiner sterbenden Mutter und des Mannes, der viele Wochen lang täglich zu ihnen gekommen war, um sich über Esther Toledano zu beugen und ihr Medizin einzuflößen.

Der Gefangene war Bernardo Espina, der ehemalige Arzt von Toledo.

3. KAPITEL DER FESTTAG

Nachts schlief Jona auf dem Steinboden des Verhörzimmers. Einmal am Tag holte er Essen, das die Frau von Gato, der Nachtwache, kochte, und gab es den Gefangenen. Er aß, was sie aßen, und gab manchmal sogar seine Portion an Mose ab, um dessen karge Kost aus unkrautreichem Gras etwas aufzubessern. Insgeheim aber wartete er auf eine günstige Zeit zur Flucht. Paco sagte, daß es bald ein großes Autodafe geben werde, das viele Leute in die Stadt lockte. Das schien Jona ein guter Zeitpunkt zu sein.

Unterdessen hielt er das Gefängnis sauber, und da Isidoro mit seiner Arbeit zufrieden war, ließ er ihn in Ruhe. In seinen ersten Tagen wurden die Diebe von Paco und Gato kräftig verprügelt und dann freigelassen. Auch der Säufer wurde freigelassen, nur um drei Tage später betrunken und wild schreiend in eine andere Zelle einzuziehen.

Mit der Zeit erfuhr Jona aus den gemurmelten Flüchen und Unterhaltungen zwischen Isidoro und seinen Männern, welche Verbrechen man einigen der Neuen Christen zur Last legte. Ein Fleischer namens Isaak de Montesa wurde beschuldigt, nach jüdischem Ritus geschlachtetes Fleisch verkauft zu haben. Vier anderen warf man vor, bei ebendiesem Montesa regelmäßig Kunden gewesen zu sein. Juan Peropan war eingesperrt, weil er Papiere mit jüdischen Gebeten besessen habe, und seine Frau

Isabel, weil sie freiwillig an jüdischen Riten teilgenommen habe. Nachbarn von Ana Montalban hatten beobachtet, daß sie den sechsten Tag der Woche als Ruhetag nutzte, sich jeden Freitag vor Sonnenuntergang wusch und während des jüdischen Sabbats saubere Kleider trug.

Nach einer Weile wurde Jona sich der Blicke des Arztes aus Toledo bewußt, die ihm folgten, sooft er in der Nähe seiner Zelle arbeitete.

Eines Morgens, als er gerade in dessen Zelle zu tun hatte, sprach der Gefangene ihn schließlich an. »Warum nennt man dich Tomas?«

»Wie sollte man mich sonst nennen?«

»Du bist ein Toledano, ich erinnere mich nur nicht mehr, welcher.«

Ihr wißt, daß ich nicht Meir bin, hätte Jona am liebsten gesagt, aber er traute sich nicht. Dieser Arzt konnte ihn als Gegenleistung für ein mildes Urteil an die Inquisition verraten, oder etwa nicht?

»Ach, da irrt Ihr Euch, Senor«, sagte er, fegte zu Ende und verließ die Zelle.

Einige Tage vergingen ohne weiteren Vorfall. Der Arzt brachte viel Zeit mit seinem Gebetbuch zu und starrte Jona nicht länger an. Jona bekam den Eindruck, daß der Mann, wenn er ihn hätte verraten wollen, es schon längst getan hätte.

Von all den Gefangenen war der Fleischer Isaak de Montesa der trotzigste. Oft brüllte er Segenssprüche und Gebete in Hebräisch und schleuderte sein Judentum seinen Häschern ins Gesicht. Die anderen Beschuldigten waren stiller, beinahe teilnahmslos in ihrer Verzweiflung.

Jona wartete, bis er wieder einmal in Espinas Zelle stand. »Ich bin Jona Toledano, Senor.«

Espina nickte. »Dein Vater Helkias... Ist er geflohen?«

Jona schüttelte den Kopf. »Ermordet«, sagte er, doch dann kam Paco, um ihn wieder herauszulassen und die Zelle abzuschließen, und sie verstummten.

Paco war ein fauler Mann, der, den Stuhl gegen die Wand gekippt, döste, wenn Isidoro nicht in der Nähe war. Zu solchen Zeiten war er sehr unwirsch, wenn Jona ihn bat, die Zellen aufzuschließen, und schließlich gab er Jona den Schlüssel und sagte ihm, er solle es selber tun.

Jona kehrte sehr gespannt in die Zelle des Arztes zurück, aber zu seiner Enttäuschung wollte Espina nicht weiterreden, sondern hielt den Blick starr auf die Seiten seines Gebetbuchs gesenkt.

Als Jona Isaak de Montesas Zelle betrat, stand der Fleischer schwankend da, die Kutte über den Kopf gezogen wie einen Gebetsmantel. Er sang laut, und Jona sog gierig den Klang des Hebräischen ein und lauschte den Worten:


Die Sünde, die wir vor dir begangen haben durch Unzucht,

Und die Sünde, die wir vor dir begangen haben durch das

Bekenntnis mit dem Mund,

Und die Sünde, die wir vor dir begangen haben freventlich

oder aus Versehen,

Und die Sünde, die wir vor dir begangen haben wissend oder

unwissend,

Alles, o Gott der Verzeihung, verzeihe und vergib uns, sühne uns.


Montesa bat um Vergebung, und erschrocken erkannte Jona, daß es der zehnte Tag des hebräischen Monats Tischri sein mußte, Jom Kippur, der Tag der Versöhnung. Am liebsten hätte er in Montesas Gebete mit eingestimmt, aber die Tür zum Amtszimmer des alguacil stand offen, und er konnte Isidoros laute und Pacos unterwürfige Stimme hören, und so fegte er nur um den

Betenden herum und verschloß die Tür wieder, nachdem er die Zelle verlassen hatte.

An diesem Tag aßen alle Gefangenen die Grütze, die er in die Zellen brachte, bis auf Montesa, der das strikte Fastengebot dieses hohen Festtages befolgte. Auch Jona aß nichts, er war froh um diese Gelegenheit, sein Judentum ohne Gefahr ausüben zu können. So erhielt Mose sowohl seine als auch Montesas Grütze.

In der Nacht, als er schlaflos auf dem harten Boden des Verhörzimmers lag, bat Jona Gott um Vergebung für seine Sünden und für alle Kränkungen und Verletzungen, die er jenen beigebracht hatte, die er liebte, und jenen, die er nicht liebte. Er sagte das Kaddisch und dann das Schema auf und bat den Allmächtigen, er möge Eleasar und Aaron und Juana beschützen, und dann fragte er sich, ob sie überhaupt noch lebten.

Da er erkannte, daß er den jüdischen Kalender bald vergessen würde, wenn er nichts dagegen unternahm, beschloß er, sich die hebräische Jahreseinteilung vorzusagen, wann immer er eine Gelegenheit dazu hatte. Er wußte, daß fünf Monate - Tischri, Sche-wat, Nissan, Siwan und Aw - dreißig Tage hatten, die übrigen sieben - Cheschwan, Kislew, Tewet, Adar, Ijar, Tammus und Elul -dagegen neunundzwanzig.

Zu gewissen Zeiten, in den Schaltjahren, wurden Tage hinzugefügt. Darüber wußte er allerdings nicht genau Bescheid. Abba hatte immer genau gewußt, was für ein Tag gerade war...

Ich bin nicht Tomas Martin, dachte er schläfrig. Ich bin Jona Toledano. Mein Vater war Helkias ben Ruben Toledano. Wir sind vom Stamme Levi. Heute ist der zehnte Tag des Monats Tischri im Jahr fünftausendzweihundertdreiundfünfzig...

4. KAPITEL DAS AUTODAFE

Für die Gefangenen begann ein neuer Abschnitt, als eines Morgens Wachen kamen, Espina Ketten anlegten und ihn in einem Karren zum Verhör vor die Inquisition brachten. Es war Nacht, als sie ihn zurückbrachten, beide Daumen ausgerenkt, zerstört von der Folter mit der Schraube. Jona brachte ihm Wasser, er aber lag, das Gesicht zur Wand, auf dem Boden seiner Zelle. Am Morgen ging Jona noch einmal zu ihm. »Wie kommt's, daß Ihr hier seid?« flüsterte er. »In Toledo kannten wir Euch als Christen von ganzem Herzen.«

»Ich bin ein Christ von ganzem Herzen.« »Aber... warum haben sie Euch dann gefoltert?« Espina schwieg eine Weile. »Was wissen die denn schon von Jesus?« sagte er schließlich.

Immer wieder kamen die Männer mit dem Karren und brachten die Gefangenen einen nach dem anderen weg. Juan Peropan kehrte mit gebrochenem linkem Arm vom Verhör zurück, man hatte ihn auf das Rad geflochten. Das genügte, um seine Frau Isabel zu brechen. Bei ihrem Verhör entging sie der Folter, indem sie alles gestand, was ihre Befrager ihr vorhielten.

Jona mußte dem alguacil Wein auftragen, als der eben zwei Freunden die Einzelheiten von Isabels Geständnis schilderte.

»Sie schob die ganze Schuld auf ihren Gatten. Juan Peropan habe nie aufgehört, Jude zu sein, sagt sie, nie, nie! Er habe sie gezwungen, koscheres Fleisch und Geflügel zu kaufen, sie gezwungen, unheiligen Gebeten zu lauschen und sie selbst aufzusagen, sie gezwungen, sie ihre Kinder zu lehren.«

Außerdem habe sie Zeugnis abgelegt gegen jeden der Gefangenen, die des Judaisierens angeklagt seien, und so die Vorwürfe gegen sie erhärtet.

Isidoro Alvarez sagte, sie habe sogar gegen den Arzt ausgesagt, obwohl sie ihn gar nicht kenne. Angeblich hatte er ihr gestanden, den Bund Abrahams erfüllt zu haben, indem er an achtunddreißig jüdischen Knaben die rituelle Beschneidung durchführte.

Die Verhöre der einzelnen Gefangenen dauerten einige Tage. Dann wurde eines Morgens auf dem Balkon des Offiziums der Inquisition ein rotes Banner aufgezogen zum Zeichen dafür, daß in Kürze bei einem Autodafe die Todesstrafen vollzogen würden.

Nachdem nun alle Hoffnung zerstört war, zeigte Bernardo Espina sich sehr begierig, von Toledo zu sprechen.

Jona traute ihm instinktiv. Als er eines Nachmittags den Boden des Korridors fegte, hielt er vor Espinas Zelle inne, und die beiden unterhielten sich. Jona berichtete, wie sein Vater zum leeren Haus der Espinas gegangen war und dann zur Abtei zur Himmelfahrt Mariä, nur um diese ebenfalls verlassen zu finden.

Espina nickte. Es schien ihn nicht zu überraschen, daß man die Abtei zur Himmelfahrt Mariä aufgegeben hatte. »Eines Morgens wurden Fray Julio Perez, der Mesner, und zwei bewaffnete Wachen ermordet vor der Kapelle gefunden. Und die Reliquie der Santa Ana fehlte. Es gibt hier tiefe Unterströmungen in der Kirche, junger Toledano, die grausam genug sind, um Leute wie dich und mich bedenkenlos zu verschlingen. Rodrigo Kardinal Lancol ist kürzlich unser neuer Oberhirte geworden, Papst Alexander VI. Seine Heiligkeit hat es sicher nicht einfach so hinge-nommen, daß eine Abtei eine so heilige Reliquie abhanden kommen läßt. Die Mönche wurden bestimmt über den ganzen Hieronymiten-Orden verstreut.«

»Und Prior Sebastian?«

»Du kannst sicher sein, daß er kein Prior mehr ist und an einen Ort geschickt wurde, wo er sein Priesteramt unter widrigen Umständen ausüben muß«, entgegnete Espina. Dann lächelte er bitter. »Vielleicht haben die Diebe die Reliquie mit dem Ziborium vereinigt, das dein Vater angefertigt hat.«

»Was sind das für Männer, die die Sünde eines Mordes begehen, um einen heiligen Gegenstand zu stehlen?« fragte Jona, und Espina lächelte müde.

»Unheilige Männer, die sich selbst den Anschein der Heiligkeit geben. In der ganzen Christenheit haben die Frommen immer viel Glauben und Hoffnung in Reliquien gesetzt. Es gibt einen umfangreichen und ertragreichen Handel mit solchen Dingen und tödliche Kämpfe um sie.«

Espina erzählte nun, wie Padre Sebastian ihn beauftragt hatte, die Umstände des Mordes an Meir zu untersuchen. Es war schwer für Jona zu hören, was der Arzt am Schauplatz des Mordes an Meir herausgefunden hatte, und dann berichtete Espina von seinem Verhör durch Fray Bonestruca, den Inquisitor.

»Bonestruca? Der mit dem Buckel? Ich habe erfahren, daß es Bonestruca war, der den Pöbel aufgehetzt und zu meinem Vater geschickt hat. Und auch ich selbst habe diesen Bonestruca schon einmal gesehen«, sagte Jona.

»Er hat ein merkwürdig schönes Gesicht, nicht wahr?« erwiderte Espina. »Aber seine Seele muß eine schwerere Last tragen als diesen Buckel auf seinem Rücken. Ein Mann wie er vernichtet bereitwillig jeden, der etwas erfährt, das ihn in Schwierigkeiten bringen könnte. Als ich nach dem Verhör wieder freigelassen wurde, wußte ich, daß ich weggehen mußte, sonst würde er mich wieder verhaften lassen, und diesmal endgültig. Ich bereitete eben die Abreise vor, als Padre Sebastian nach mir schickte. Als der Prior mir sagte, daß die Reliquie verschwunden sei, war es, als hätte der Wahnsinn ihn gepackt. Er weinte. Er trug mir auf, die Reliquie wiederzubeschaffen, als stünde das in meiner Macht, wenn ich es nur wollte. Er zeterte über die Unglaublichkeit des Verbrechens und flehte mich an, alles zu tun, um die zu finden, die ihm so grausam mitgespielt hatten.«

Espina schüttelte den Kopf. »Ich war überzeugt, daß man mich verhaften würde, wenn ich auch nur einen Augenblick länger in Toledo bliebe. Ich bat meine Frau, mit unseren Kindern bei Verwandten Schutz zu suchen, und floh.«

»Wohin seid Ihr gegangen?«

»Nach Norden, ins Hochgebirge. Ich fand verborgene Orte und wanderte von einer kleinen Siedlung zur anderen, wo die Menschen froh waren, einen Arzt zu sehen.«

Jona konnte sich gut vorstellen, daß diese Leute sich gefreut hatten. Er erinnerte sich an die Behutsamkeit, mit der dieser Mann seine Mutter behandelt hatte, und auch daran, daß sein Vater gesagt hatte, Espina habe bei Samuel Provo gelernt, dem großen jüdischen Arzt.

Espina hatte ein edles Leben im Dienst an anderen geführt. Obwohl er die Religion seiner Väter aufgegeben hatte, war er ein ehrenwerter Mann, ein Heiler. Und doch war er verdammt. Jona fragte sich, ob man diese Konvertiten vielleicht retten konnte, aber er sah keinen Weg. Nachts wurden sie von Gato bewacht, einem niederträchtigen Mann, der den ganzen Tag schlief und die Zellen nach Einbruch der Dunkelheit mit hinterhältiger Wachheit beobachtete. Und falls Jona tagsüber die Gelegenheit bekommen sollte, den schlafenden Paco mit seiner angespitzten Hacke zu töten, würden weder die Gefangenen noch er selbst sehr weit kommen, wenn sie aus Ciudad Real zu fliehen versuchten. Die Stadt glich einem Heerlager. Wenn Gott wollte, daß sie gerettet würden, hätte er Jona einen Weg gezeigt.

»Wie lange dauerte es, bis man Euch fand?«

»Ich war schon fast drei Jahre unterwegs, als sie mich faßten. Die Inquisition wirft ein beängstigend weites Netz aus.«

Jona lief es kalt über den Rücken, denn er wußte, daß dieses Netz auch nach ihm ausgeworfen wurde.

Er sah, daß Paco aufgewacht war und sie beobachtete, und so fing er wieder an zu fegen.

»Einen guten Nachmittag, Senor Espina.«

»Einen guten Nachmittag... Tomas Martin.«

Der Inquisition war es ein Anliegen, die Hinrichtungen den weltlichen Behörden zu überlassen, und so überwachte der alguacil auf der plaza mayor die Errichtung von sieben hölzernen Scheiterhaufen sowie eines quemadero, eines kreisrunden Ziegelofens, der von Maurern in aller Eile hochgezogen wurde.

Im Gefängnis weinten einige der Gefangenen, andere beteten. Espina erschien ruhig und gefaßt.

Jona schrubbte den Boden des Korridors, als Espina ihn ansprach. »Ich muß dich um etwas bitten.«

»Alles, was in meiner Macht...«

»Ich habe einen Sohn von acht Jahren, mit dem Namen Francisco. Er lebt bei seiner Mutter Estrella de Aranda und seinen zwei Schwestern. Kannst du diesem Jungen das Gebetbuch seines Vaters und seinen Segen überbringen?«

»Senor.« Jona war erstaunt und betrübt. »Ich kann nicht nach Toledo zurückkehren. Und Euer Haus ist sowieso verlassen. Wo ist Eure Familie?«

»Ich weiß es nicht, vielleicht bei den Vettern und Basen meiner Frau, der Familie Aranda in Maqueda. Oder vielleicht bei der Familie Aranda in Medellin. Aber nimm das Gebetbuch, ich bitte dich. So Gott will, erhältst du vielleicht eines Tages die Gelegenheit, es zu überbringen.«

Jona nickte. »Ja, ich werde es versuchen«, sagte er, obwohl das

christliche Buch ihm die Finger zu versengen schien, als er es entgegennahm.

Espina streckte die Hand durch das Zellengitter. Jona nahm sie. »Möge der Herr Euch gnädig sein.« »Ich gehe ein zu Jesus. Möge Gott dich behüten und bewahren. Bitte bete für meine Seele.«

Schon früh versammelte sich auf der plaza mayor eine Menge, zahlreicher als für jeden Stierkampf. Es war ein wolkenloser Tag, doch der leichte Wind trug schon herbstliche Kühle. Unterdrückte Aufregung lag in der Luft, die erfüllt war von Kindergeschrei, von Gemurmel, von den Rufen von Essensverkäufern und den munteren Klängen eines Quartetts - einem Flötisten, zwei Gitarristen und einem Lautespieler.

Am späten Vormittag erschien ein Priester. Er hob die Hand, um die Menge zum Schweigen zu bringen, und stimmte dann mit den Versammelten eine endlose Reihe von Vaterunsern an. Inzwischen war der Platz gesteckt voll mit Leibern, Jona unter ihnen.

Schaulustige drängten sich auf den Baikonen der Gebäude um die plaza und auf allen Dächern. Bald kam es zu Unruhe auf dem Platz, als die Zuschauer, die den Scheiterhaufen am nächsten standen, von Isidoro Alvarez' Männern zurückgedrängt wurden, um Platz zu machen für die Ankunft der Verurteilten.

Die Gefangenen wurden auf zweirädrigen, von Eseln gezogenen Schinderkarren vom Gefängnis zur plaza gebracht. Unter dem Gejohle der Schaulustigen führte man sie durch die Straßen.

Alle elf verurteilten Judaisierer trugen die spitzen Hüte der Büßer. Zwei Männer und eine Frau trugen gelbe sambenitos, Büßerhemden, die mit diagonalen Kreuzen gekennzeichnet waren. Sie waren verurteilt, in ihre Heimatgemeinden zurückzukehren und dort diese sambenitos für eine lange Zeit der Buße und Aussöhnung, der christlichen Frömmigkeit und des Spotts ihrer Nachbarn zu tragen.

Sechs Männer und zwei Frauen trugen schwarze, mit Dämonen und Höllenflammen verzierte sambenitos als Zeichen dafür, daß sie den Opfertod sterben würden.

Auf der plaza mayor wurden die Verurteilten von den Karren gezerrt, die Kleider wurden ihnen abgenommen, und die Menge reagierte auf ihre entblößten Leiber mit Raunen und einem Wogen wie Meeresbrandung, denn jeder wollte die Nacktheit begaffen, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Schande war.

Obwohl Jona wie betäubt starrte, sah er, daß Ana Montalban nackt, mit hängenden, leeren Brüsten und grauen Haaren zwischen den Beinen, älter wirkte als bekleidet. Isabel Peropan sah jünger aus, sie hatte die runden, festen Hinterbacken eines Mädchens. Ihr Gatte war überwältigt von Kummer und Angst. Er konnte nicht mehr gehen, sondern wurde gestützt und geschleift. Jeder Gefangene wurde zu einem Scheiterhaufen gebracht und an den Pfahl gefesselt.

Der haarige Körper von Isaak de Montesa zeigte keine Verletzungen; der Fleischer war der Folter entgangen, weil sein beständiges und störrisches Aufsagen jüdischer Gebete seine Schuld offensichtlich gemacht hatte; doch jetzt hatte man ihn zur Strafe für seinen Trotz für den quemadero ausersehen. Die Öffnung in der Wandung des Ofens war eng, und drei Männer stießen und stopften seinen großen Körper hinein, während die Leute ihn schadenfroh verhöhnten und er ihnen die Worte des Schema entgegenschleuderte. Seine Lippen bewegten sich weiter, während die Maurer eilends die Öffnung mit Ziegeln verschlossen.

Espina betete auf lateinisch.

Viele Hände schichteten Reisigbündel um die Gefangenen, und die wachsenden Stapel gewährten ihnen ein Mindestmaß an Schicklichkeit, denn sie verdeckten ihre Unterkörper und verbargen die beschämenden Sudelflecken der Angst. Auch um den quemadero wuchs das Reisig in die Höhe, bis von den Ziegeln des Ofens nichts mehr zu sehen war.

Das Quartett stimmte nun Hymnen an.

Kaplane standen neben den vier Gefangenen, die um eine Aussöhnung mit Christus gebeten hatten. Ihre Richtstätten waren mit Garrotten ausgestattet, Stahlbändern, die ihren Hals umspannten und mit Schrauben hinter dem Pfosten festgezogen wurden. Für ihre Frömmigkeit wurde ihnen nun die Gnade kirchlichen Erbarmens gewährt, denn man erdrosselte sie vor dem Verbrennen. Isabel Peropan war die erste; trotz ihrer Unschuldsbeteuerungen und ihrer verhängnisvollen Anprangerung der anderen hatte man sie verurteilt, aber die Inquisition gewährte ihr die Gnade der Garrotte.

Als nächstes wurde die Garrotte bei Espina und zwei Brüdern aus Almagro angewendet, während Isidoro schon die Reihe der Scheiterhaufen abschritt und eine brennende Fackel an die trok-kenen Reisigbündel hielt, die sich mit lautem Knistern sofort entzündeten.

Mit den Flammen stieg auch der Lärm der Menschen in die Höhe, die je nach Temperament das Schauspiel mit Rufen der Ehrfurcht und des Staunens, Schreien der Furcht oder ausgelassenem und schadenfrohem Johlen bedachten. Männer und Frauen hielten Kinder in die Höhe, damit sie schon hier auf Erden einen Blick auf das Feuer der Hölle erhaschen konnten, vor dem Gott der Herr sie retten und bewahren würde, wenn sie nur Vater und Priester gehorchten und nicht sündigten.

Das Reisig um den quemadero brannte mit lautem Getöse. Isaak der Fleischer saß drinnen und briet wie ein Hähnchen im Herd, nur daß, sagte sich Jona leise, Geflügel nicht bei lebendigem Leib geröstet wurde.

Die Verurteilten wanden sich. Ihre Münder öffneten und schlossen sich, aber wegen des Lärms der Menge konnte Jona ihre Schreie nicht verstehen. Isabel Peropans lange Haare gingen in Flammen auf und zeichneten eine gelbe und blaue Aureole um das purpurrote Gesicht. Jona konnte es nicht ertragen, Espina an-zusehen. Rauch waberte und wehte, der alles verbarg und ihm einen Grund gab für seine tränenden Augen. Jemand stieß ihn an und schrie ihm ins Ohr.

Es war Isidoro. Der alguacil deutete auf das zur Neige gehende Holz, schalt ihn einen faulen Bengel und befahl ihm, Paco und Gato zu helfen, einen Karren mit frischem Reisig zu beladen.

Als der Karren beladen war, kehrte Jona nicht mehr auf die plaza zurück. Im stillen und leeren Gefängnis nahm er sein Bündel und die kaputte Hacke und ging damit zu Mose, der friedlich im Schatten graste.

Kaum war er aufgestiegen, trieb er den braven kleinen Esel mit den Hacken an, und sie verließen Ciudad Real in forschem Galopp. Jona hatte weder Augen für den Weg noch für die Landschaft. Das Autodafe hatte ihm einen grausigen Vorgeschmack gegeben auf seinen eigenen Tod, sollte die Inquisition ihn fangen. Etwas in ihm schrie, daß er sich einen mitfühlenden Priester suchen müsse. Vielleicht war es für ihn noch nicht zu spät, um die Taufe zu erflehen und ein Leben in katholischer Rechtschaffenheit zu führen.

Aber er hatte dem Andenken seines Vaters, Gott und seinem Volk ein Versprechen gegeben.

Und sich selbst.

Zum ersten Mal war sein Haß auf die Inquisition stärker als seine Angst. Die Bilder, die er gesehen hatte, waren nicht mehr auszulöschen, und er sprach zu Gott nicht als Bittsteller, sondern in forderndem Zorn.

Was für ein göttlicher Plan ist das, der so viele von uns zu Tode bringt?

Und: Zu welchem Zweck hast du mich zum letzten Juden in Spanien gemacht?

5. KAPITEL DIE FRAU AUF DEM GUT

Iona führte Mose über den Fluß Guadiana, und der junge Mann und der Esel waren erst ein kurzes Stück Wä gewatet, als sie zu einem tiefen Loch in der Flußmitte kamen, wo Jona den Rauchgestank aus seinen Kleidern, wenn schon nicht aus seiner Seele spülen konnte. Dann ritten sie langsam durch ein bewirtschaftetes Tal, links immer die Hügel der Sierra Morena in Sicht.

Der spät einsetzende Herbst war angenehm mild. Immer wieder hielt Jona unterwegs auf Bauernhöfen an, um für Nahrung und Unterkunft zu arbeiten, späte Zwiebeln zu ernten, Oliven zu pflücken oder beim Stampfen der letzten Weintrauben des Jahres zu helfen.

Während das Jahr sich langsam dem Winter zuneigte, reiste er in wärmere Gefilde. Weit im Südwesten, wo Andalusien an das südliche Portugal stößt, kam er durch eine Reihe winziger Dörfer, deren Leben ganz auf die großen Güter in der Nachbarschaft ausgerichtet war.

Auf den meisten Gütern war die Wachstumszeit vorüber, dennoch fand Jona harte Arbeit auf einem riesigen Hof, der einem Edelmann namens Don Manuel de Zuniga gehörte.

»Wir machen Felder aus Waldstücken, wo es noch nie Felder gegeben hat. Arbeit ist genügend vorhanden, wenn du welche suchst«, sagte der Verwalter zu ihm. Er hieß Lampara, aber Jona sollte schon bald erfahren, daß die anderen ihn Lamperon nannten, den Fettkloß, sobald er ihnen den Rücken kehrte.

Es war eine äußerst anstrengende Arbeit; schwere Steine mußten ausgegraben und fortgeschafft, Felsbrocken zertrümmert, Bäume gefällt und entwurzelt, Gestrüpp mußte geschnitten und verbrannt werden, aber Jona war wie seine Vorfahren großgewachsen, und die schwere Arbeit auf anderen Bauernhöfen hatte seine Muskeln kräftig und hart gemacht. Es gab so viel Arbeit auf dem Zuniga-Hof, daß er den ganzen Winter bleiben konnte. Eine Abteilung Soldaten lagerte auf einem nahen Feld. Anfangs behielt er sie während der Arbeit immer im Auge, doch sie kümmerten sich nicht um ihn, sondern beschäftigten sich nur mit Marschieren und Exerzieren. Das Klima war mild, fast schon schmeichelnd, und es gab genügend zu essen. So blieb er auf dem Hof.

Die Dinge, die er gesehen und erlitten hatte, sonderten ihn von den anderen peones ab. Trotz seiner Jugend hatten sein Gesicht und seine Augen etwas Einschüchterndes, das andere davon abhielt, sich mit ihm einzulassen.

Er warf seinen harten Körper in die nie enden wollende Arbeit und versuchte das Entsetzen auszulöschen, das die Erinnerung an jene brennenden Gestrüppstapel immer wieder aufs neue in ihm weckte. Nachts sank er neben Mose auf die Erde und schlief tief, die Hand auf der angespitzten Hacke. Der Esel wachte über ihn, während er von Frauen und körperlicher Liebe träumte, aber wenn er sich tags darauf an den Traum erinnerte, fehlte ihm das Wissen um fleischliche Dinge, um sagen zu können, ob er richtig geträumt hatte.

Er nahm sich das Band mit dem Silberring vom Hals und steckte es in den Sack mit seinen wenigen anderen Habseligkeiten. Den Sack band er an Mose fest und behielt von nun an den Esel immer im Auge. Danach arbeitete er ohne Hemd und genoß es, wie der Schweiß seine Haut in der milden Luft kühlte.

Don Manuel besuchte sein Gut, und solange er da war, arbeiteten auch die faulsten seiner Männer so fleißig wie Jona. Der Besitzer war ein alternder Mann, klein und wichtigtuerisch. Zwar besichtigte er Felder und Scheunen, bemerkte aber kaum etwas und verstand noch weniger. Er blieb drei Nächte, schlief mit zwei jungen Mädchen aus dem Dorf und ging dann wieder.

Jeder atmete auf, als Zuniga wieder verschwunden war, und die Männer redeten verächtlich über ihn. Sie nannten ihn el cornudo, den Hahnrei, und mit der Zeit erfuhr Jona auch, warum.

Das Gut hatte Leiter und Aufseher, doch die eigentliche Herrin, der sich alle peones beugten, war eine ehemalige Geliebte des Don, Margarita Vega. Noch bevor sie voll zur Frau gereift war, hatte sie ihm zwei Kinder geboren. Aber als Don Manuel nach einem Jahr in Frankreich zurückkehrte, mußte er, zur Belustigung aller, die für ihn arbeiteten, feststellen, daß Margarita in seiner Abwesenheit von einem der Arbeiter ein drittes Kind bekommen hatte. Zuniga hatte ihr zum Abschied eine Heirat vermittelt und ein Haus geschenkt. Doch ihr Gatte war ihr schon nach weniger als einem Jahr davongelaufen. Von da an hatte sie sich mit vielen Männern eingelassen, und daraus waren weitere drei Kinder von verschiedenen Vätern entstanden. Jetzt war sie fünfunddreißig Jahre alt, breithüftig und hartäugig, eine Frau, die man nicht unterschätzen durfte.

Die peones sagten, Don Manuel komme nur so selten, weil er Margarita noch immer liebe und sich jedesmal, wenn sie sich einen anderen Mann nehme, aufs neue betrogen fühle.

Eines Tages hörte Jona Mose schreien, und als er den Kopf hob, sah er, daß einer der Arbeiter, ein junger Mann namens Diego, den Sack von Moses Rücken genommen hatte und ihn eben öffnen wollte.

Jona ließ seine Hacke fallen und warf sich auf den anderen, und dann wälzten sie sich, wild um sich schlagend, im Staub. Ein paar

Augenblicke später standen sie wieder und prügelten mit hartgearbeiteten Fäusten aufeinander ein. Jona sollte erst Tage darauf erfahren, daß Diego ein gefürchteter Raufbold war, und tatsächlich bekam er gleich zu Anfang des Kampfes einen heftigen Schlag ab, der ihm, wie er sofort merkte, die Nase brach. Zwar war Jona ein paar Jahre jünger als Diego, aber größer und nicht viel leichter. Seine Arme hatten eine längere Reichweite, und er kämpfte mit der Leidenschaft all der unterdrückten Angst und des mühsam beherrschten Hasses, die sich so lange in ihm aufgestaut hatten. Fäuste trafen auf Knochen, wie das Knallen von Dreschflegeln in der Tenne. Es war ein Kampf um Leben und Tod, das war jedem klar, der es sah.

Jetzt kamen die anderen Arbeiter herbeigelaufen und umringten sie schreiend und johlend. Ihr Lärm lockte den Aufseher an, und er trennte die Streithähne schließlich mit Flüchen und Faustschlägen.

Diego hatte einen zerschlagenen Mund und ein zugeschwollenes Auge, und es schien ihm nur recht zu sein, als der Aufseher Schaulustige und Streitende wieder an ihre Arbeit befahl.

Jona wartete, bis alle verschwunden waren, dann schnürte er den Leinensack wieder sorgfältig zu und befestigte ihn an Moses Haltestrick. Seine Nase blutete, und er wischte sich das Blut mit dem Handrücken von der Oberlippe. Als er den Kopf hob, sah er, daß Margarita Vega mit ihrem Säugling im Arm dastand und ihn beobachtete.

Seine Nase war geschwollen und dunkel verfärbt, und seine zerschlagenen Fingerknöchel schmerzten ihn tagelang. Aber der Kampf hatte die Aufmerksamkeit der Frau auf ihn gelenkt.

Für Jona war es unmöglich, sie nicht zu bemerken. Es kam ihm vor, als sehe er sie, wohin er auch schaute, immer mit entblößter, großer brauner Brust, an der hungrig saugend ihr Kleines hing. Die Leute auf dem Hof stießen sich an und grinsten, denn auch ihnen fiel auf, daß Margarita häufig gerade da auftauchte, wo der große und stille junge Mann arbeitete.

Sie war freundlich zu Jona und ging ungezwungen mit ihm um.

Oft trug sie ihm kleine Aufgaben im Haus auf, und dann rief sie ihn zu sich und gab ihm Brot und Wein. Es dauerte nur ein paar Tage, bis er nackt mit ihr war, ungläubig einen weiblichen Körper berührte und die Milch schmeckte, die eben noch den ganz in der Nähe schlafenden Säugling genährt hatte.

Ihr Körper war schwer, aber nicht unansehnlich, die Beine muskulös, der Nabel tief, der Bauch trotz der vielen Geburten nur leicht gerundet. Ihre dicklippige Scham war ein kleines Tier mit wildem braunem Pelz. Sie leitete ihn an und zögerte nicht, Forderungen zu stellen, und er lernte sehr schnell, ihre Wünsche zu erfüllen. Die erste Paarung war für ihn schnell vorüber. Aber er war jung und kräftig, und als sie ihn noch einmal bereit machte, legte er dieselbe Leidenschaft an den Tag wie im Kampf mit Diego, bis zu dem Augenblick, da sie sich beide keuchend erschöpften.

Nach einer Weile wurde er sich im Halbschlaf ihrer tastenden Hände bewußt, als wäre er ein Tier, das sie kaufen wollte.

»Du bist ein converso.«

Sofort war er hellwach.

»...Ja.«

»Soso. Wann wurdest du denn zum wahren Glauben bekehrt?«

»... Äh... Vor einigen Jahren.« Er schloß die Augen wieder und hoffte, daß sie nicht weiter in ihn dringen würde.

»Und wo?«

»In Kastilien. In der Stadt Cuenca.«

Sie lachte. »Aber ich bin in Cuenca geboren. Während der acht Jahre hier bei Don Manuel war ich oft dort. Zwei meiner Schwestern und ein Bruder leben dort, und meine alte abuela, die meine Mutter und meinen Vater überlebt hat. In welcher Kirche wurdest du denn bekehrt, in San Benito oder in San Marco?«

»Es war... in San Benito, glaube ich.«

Sie starrte ihn an. »Glaubst du? Weißt du nicht, wie die Kirche geheißen hat?«

»Nur so eine Redensart. Ja, natürlich San Benito. Eine sehr hübsche Kirche.«

»Eine schöne Kirche, nicht? Und welcher Priester?«

»Der alte.«

»Aber sind denn nicht beide alt?« Sie sah ihn zweifelnd an. »War es Padre Ramon oder Padre Garcillaso?«

»Padre Ramon.«

Margarita nickte und stieg aus dem Bett. »So, aber jetzt darfst du nicht mehr zurück an die Arbeit gehen. Du mußt hier schlafen wie ein guter Junge, bis ich meinen Haushalt erledigt habe, und dann wirst du stark sein wie ein Löwe, und wir werden noch einmal viel Spaß haben, ja?«

»Ja, gut.«

Doch als er kurz darauf aus dem kleinen Fenster des Zimmers schaute, sah er sie über den Hof eilen, trotz der Mittagshitze ihren Säugling im Arm und ihr Kleid so hastig übergeworfen, daß es auf einer Seite an ihrer breiten Hüfte Falten warf.

Jona wußte, daß es in der Stadt Cuenca mit ziemlicher Sicherheit keinen Padre Ramon gab und vielleicht nicht einmal eine Kirche mit dem Namen San Benito.

Nachdem er sich schnell angezogen hatte, ging er zu Mose, den er im Schatten von Margaritas Haus angebunden hatte, und einen Augenblick später ritten sie unter der gleißenden Sonne davon. In der Mittagshitze kam er nur an zwei Männern vorüber, die ihm keine Beachtung schenkten. Bald darauf erklomm er auf seinem Esel einen Pfad hinauf in die Hügel der Sierra Morena.

Auf einem Höhenzug hielt er inne und sah hinunter auf den Gutshof von Don Manuel de Zuniga. Die kleinen Gestalten von vier Soldaten mit in der Sonne funkelnden Brustpanzern und Waffen folgten Margarita Vega, die auf ihr Haus zueilte.

So hoch über ihnen fühlte Jona sich sicher genug, um Marga-rita mit einer gewissen erstaunten Dankbarkeit zu betrachten.

Habt Dank, meine Dame!

Sollte es noch einmal möglich sein, würde er gerne solche Wonnen wieder erleben. Um nicht noch einmal von seinem beschnittenen Penis in Gefahr gebracht zu werden, beschloß er, fortan den Frauen zu sagen, seine Bekehrung habe nicht in einer kleinen Kirche, sondern in einer großen Kathedrale stattgefunden. In der Kathedrale von Barcelona, wo es eine ganze Armee von Geistlichen gab, so viele Priester, daß kein Mensch sie alle beim Namen kennen konnte.

Seine Nase tat ihm immer noch weh. Aber im Weiterreiten rief er sich noch einmal alle Einzelheiten von Margaritas Körper ins Gedächtnis, die Bewegungen, die Gerüche, die Geräusche.

Etwas Unglaubliches war passiert: Er war in den Körper einer Frau eingedrungen.

Er dankte dem Unbeschreiblichen. Dafür, daß Er ihm gestattet hatte, frei und gesund an Körper und Geist zu bleiben, daß Er Frauen und Männer so wunderbar ausgestattet hatte, daß sie, wenn sie zusammenkamen, zueinander paßten wie Schlüssel und Schloß, und daß Er ihn diesen Tag hatte erleben lassen.

Dies ist mir geschehen am zwölften Tag des Monats Schewat...

... Ich bin nicht Tomas Martin, ich bin Jona Toledano, der Sohn von Helkias dem Silberschmied, vom Stamme Levi.

... Die anderen Monate sind Adar, Nissan, Ijar, Siwan, Tarnmus, Aw, Elul, Tischri, Cheschwan, Kislew und Tewet, sagte er sich vor, während Mose sicheren Schritts in die braunen Hügel kletterte.

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