3


»O mein Gott!« flüsterte Skudder. »Sie explodiert!«

Charity riß entsetzt die Hände vor die Augen, aber es nutzte nichts - über den Bildschirm flutete eine Woge unerträglicher, blendendweißer Helligkeit herein. Licht von so unvorstellbarer Intensität, daß die Wände des Gleiters durchsichtig zu werden schienen und sie durch ihre Hände hindurch sehen konnte! Es war, als hätte der gesamte Kosmos Feuer gefangen, ein Gleißen wie das Herz einer explodierenden Nova, das wie eine Mauer aus Licht auf sie zuraste ...und erlosch.

Von einem Moment auf den anderen war es vorbei. Es ging zu schnell, aber für eine nicht meßbare Zeitspanne glaubte Charity einen ... Ruck zu spüren, eine Erschütterung der Wirklichkeit, ein Gefühl, als betrachte sie einen Film, in dem ein nicht ganz sauberer Schnitt war, so daß die Szene übergangslos weiterlief, man aber trotzdem das Gefühl hatte, daß irgend etwas fehlte. Verrückt.

Charity schüttelte die verwirrenden Gedanken ab, hob die Hand ans Gesicht und fuhr sich mit den Fingerknöcheln über die Augen. Grelle Lichtpunkte blitzten auf ihrer Netzhaut, und im ersten Moment hatte sie Angst, blind zu sein. Intensiv genug war das Lohen der explodierenden Bombe gewesen. Aber dann begann sie Schemen in den wirbelnden Schleiern von ihrem Blick zu erkennen - und eine Szene, die einfach zu bizarr war, um eine Todesphantasie oder ein Fiebertraum zu sein.

Sie sah Gurk, der sich mit einem gellenden Schrei auf Kias stürzte.

Der Anblick war geradezu lächerlich: Die Ameise war fast dreimal so groß wie der Zwerg - und trotzdem war Gurks Anprall so ungestüm, daß Kias einen halben Schritt zurücktaumelte und fast in die Knie gebrochen wäre. Gurk krallte sich an ihm fest, schrie und kreischte ununterbrochen und hämmerte mit beiden Fäusten auf den gepanzerten Schädel der riesigen Kreatur ein. Es dauerte Sekunden, bis Kias überhaupt auf den Gedanken kam, sich zu wehren.

Natürlich war der Kampf dann schnell zu Ende.

Der Moroni versetzte Gurk einen Hieb, der ausgereicht hätte, ihm den Kopf von den Schultern zu reißen, hätte er mit ganzer Kraft zugeschlagen. Aber auch so wurde der Zwerg von ihm quer durch den Steuerraum des Gleiters bis vor die gegenüberliegende Wand geschleudert, wo er zusammensackte. Mühsam raffte er sich mit der Kraft eines Tobsüchtigen wieder auf, sprang in die Höhe und versuchte, sich mit weit ausgebreiteten Armen ein zweites Mal auf Kias zu stürzen. Skudder vertrat ihm den Weg und streckte die Hand aus, um ihn zurückzuhalten, aber Gurk schlug seinen Arm einfach zur Seite und versetzte ihm einen Stoß, der den Riesen mit einem verblüfften Laut taumeln und um sein Gleichgewicht kämpfen ließ. Im nächsten Augenblick prallte er ein zweites Mal gegen den Moroni und brachte ihn endgültig aus der Balance. Kias wankte. Mit drei seiner vier Hände klammerte er sich am Kontrollpult des Gleiters fest, mit der verbliebenen versuchte er, den tobenden Zwerg am Schlafittchen zu packen und auf Distanz zu halten.

Gurk entrang sich seinem Griff, prallte zum dritten Mal gegen das Insektenwesen und riß es endgültig von den Füßen. Kias kippte rücklings auf das Steuerpult. Seine wild um sich greifenden Hände fuhren mit einem scharrenden Laut über das Metall, berührten Schalter und Hebel und hinterließen millimetertiefe Kratzer im Metall. Der Gleiter machte einen spürbaren Ruck und begann zu schlingern. Irgendwo unter ihren Füßen heulte eine überlastete Maschine auf.

Charity überwand endlich ihre Überraschung, war mit zwei, drei raschen Schritten bei Kias und Gurk und versuchte, den tobenden Zwerg von der Brust des Moroni herunterzuzerren. Doch Gurk trat mit der Kraft eines Wahnsinnigen um sich. Er schleuderte auch sie zurück und fuhr fort, Brust und Gesicht des Moroni mit Faustschlägen und Tritten zu bearbeiten.

Charity tauschte einen raschen, völlig verwirrten Blick mit Skudder, griff zum zweiten Mal nach Gurk und stürzte hilflos nach hinten, als sich der Gleiter plötzlich auf die Seite legte und mit heulenden Maschinen durchsackte. Der vor Momenten noch ebene Boden verwandelte sich in eine spiegelblank polierte Rutschbahn. Sie schlitterte auf die Wand neben der Schleuse zu und riß instinktiv die Arme vor das Gesicht, aber der erwartete Aufprall blieb aus, denn der Gleiter fand im letzten Moment in die Waagerechte zurück. Hastig wälzte sie sich herum und versuchte auf die Beine zu kommen, schaffte es aber erst beim dritten oder vierten Versuch, denn der Gleiter schwankte noch immer. Das Deck unter ihren Füßen hob und senkte sich wie ein kleines Schiff, das in einen Taifun geraten war. Ein furchtbares Dröhnen und Kreischen marterte ihre Ohren, und plötzlich war der Steuerraum von gleißendem, unvorstellbar intensivem Licht erfüllt, einem grellweißen Lohen, das der Lichterglut der explodierenden Superbombe kaum nachstand.

Charity schrie vor Schrecken und Schmerz auf, riß die Hände vor die Augen und versuchte das Gesicht von der Quelle des peinigenden Lichtscheines wegzudrehen, aber es gelang ihr nicht - das Licht kam von überallher zugleich, als befänden sie sich in einem gläsernen Schiff im Herzen einer Sonne. Den Bruchteil einer Sekunde, bevor es sie endgültig blenden konnte, erlosch es. Zurück blieb ein allmählich verebbender Schmerz und ein Gewitter greller, grüner und orangeroter Blitze, die noch minutenlang auf Charitys Netzhaut nachleuchteten.

Vorsichtig nahm sie die Hände herunter. Sie konnte undeutlich sehen: Es gab keine Farben, und die Gestalten der anderen waren wie schwarze Scherenschnitt-Silhouetten, die sich auf völlig falsche Weise bewegten. Der Boden unter ihr zuckte und zitterte noch immer, und das Kreischen der überlasteten Maschinen hatte keineswegs aufgehört, sondern nur eine Höhe erreicht, in dem sie es nicht mehr hören konnte - aber sie spürte es, ein schmerzhaftes Vibrieren und Beben, wie ein lautloser Schrei, der jede Faser ihres Körpers zum Schwingen brachte.

Stöhnend versuchte sie sich aufzurichten, doch in diesem Moment ging ein neuerlicher, furchtbarer Ruck durch das Schiff. Charity verlor den Boden unter den Füßen, flog sich überschlagend durch die Zentrale und prallte gegen Stone, der mit einem Schmerzensschrei zu Boden ging. Halb betäubt brach sie über ihm zusammen, griff blindlings um sich und öffnete die Augen.

Ihr Blick fiel auf den Bildschirm. Wie durch ein Wunder hatte das Instrument die Lichtflut überstanden, so daß sie sehen konnte, daß sich der Gleiter nicht mehr im freien Raum aufhielt. Was sie jedoch nicht sehen konnte war, wo sie waren.

Rings um das Schiff tobte ein unvorstellbares Chaos. Gleißende Lichtblitze zuckten über den Monitor, Flammen, grelle Explosionen und irrlichternde ... Dinge, die sie auf unheimliche Weise an etwas erinnerten, ohne daß sie sagen konnte, woran. Sie fand auch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn das Chaos schien erst richtig zu beginnen. Das Schiff torkelte, drehte sich um seine Längsachse und raste für eine entsetzliche Sekunde in Rückenlage dahin, ehe die Automatik den Gleiter wieder auf Kurs brachte. Irgend etwas traf den Rumpf und bohrte sich hinein; Charity konnte das furchtbare Knirschen auseinanderbrechenden Metalls hören und einen Chor von schrillen Schreien, ohne im ersten Moment zu begreifen, wer es war, der dort schrie.

Mit heulenden Triebwerken, einen Schleier aus Feuer und Glut hinter sich herziehend, näherte sich der Gleiter dem Boden, sprang wie ein flach geworfener Stein wieder in die Höhe und prallte ein zweites Mal und mit noch größerer Wucht auf.

Diesmal schafften es die Schockabsorber nicht, die Erschütterung zu dämpfen.

Eine unsichtbare Faust traf Charity und preßte sie gegen Stone. Sein Schrei war nurmehr ein ersticktes Keuchen. Sie spürte, wie er unter ihr erschlaffte, und für einen Moment schwanden auch ihr die Sinne.

Aber es konnten nur Augenblicke gewesen sein, denn das Schiff war noch nicht einmal zur Ruhe gekommen, als ihr Bewußtsein zurückkehrte. Splitter und Rauch und grelle Flammen schienen auf den Monitor zuzurasen, und plötzlich sah sie einen riesigen schwarzen Schatten, der das Schiff regelrecht anzuspringen schien. Völlig unsinnig riß sie in einer instinktiven Bewegung, die sie nicht unterdrücken konnte, die Arme vor das Gesicht und spannte sich.

Der Aufprall war grauenhaft. Metall zerbarst. Der Monitor zerbrach, und anstelle der Bilder von Flammen brach wirkliches Feuer aus der Wand über dem Steuerpult. Sie konnte regelrecht spüren, wie sich das Schiff unter ihnen verformte. Irgend etwas explodierte, und für eine Sekunde fiel die Beleuchtung aus und wurde dann vom unheimlich gelben Schein der Notbeleuchtung ersetzt.

Und von einer Sekunde auf die andere war es still.

Nach dem Höllenlärm, der ihre Ohren gepeinigt hatte, tat die Stille fast weh. Charity sah die Flammen, die aus dem zerborstenen Monitor schlugen, aber sie hörte ihr Prasseln nicht, sie sah, wie sich dicht neben ihr eine schlanke Gestalt mit zu vielen Gliedern und falschen Bewegungen aufzurichten versuchte, und dann streifte ihr Blick Skudders Gesicht. Sein Mund bewegte sich, aber sie hörte nichts.

Was dem furchtbaren Licht nicht gelungen war, hatte der Lärm geschafft: Sie war nicht blind, aber taub.

Panik drohte sie zu überwältigen, aber es gelang ihr, sie niederzukämpfen. Benommen stemmte sie sich in die Höhe und erinnerte sich wieder daran, Stone bei ihrem Anprall von den Füßen gerissen zu haben. Sie sah auf ihn herab und stellte erleichtert fest, daß er nicht ernsthaft verletzt zu sein schien. Sein Gesicht war verzerrt. Er blutete, und seine Lippen bewegten sich, als er irgend etwas sagte, aber Charity verstand ihn nicht. Sie hörte noch immer absolut nichts.

Dafür sah sie im nächsten Moment etwas, das so bizarr war, daß sie es im allerersten Augenblick nicht einmal glaubte:

Kias hatte sich neben ihr auf drei seiner sechs Glieder hochgestemmt und versuchte auf das Steuerpult zuzukriechen, aber es gelang ihm nicht. An seinem rechten Bein hing ein blutüberströmter Zwerg, der mit einer Hand seinen Fuß umklammerte und mit der anderen immer und immer wieder auf das dünne Insektenbein darüber einschlug. Gurks Gesicht war verzerrt, und er hatte nun wirklich Schaum vor dem Mund, der hellrosa gefärbt war.

Charity stand auf, kämpfte einen Moment lang überrascht um ihr Gleichgewicht, als sie etwas zu spät begriff, daß der Boden des Steuerraumes nicht mehr eben war, sondern sich in eine abschüssige Rampe verwandelt hatte. Dann zerrte sie Gurk von dem Moroni fort; nicht einmal so sehr, um Kias zu helfen. Sie bezweifelte, daß das riesige Insekt die Faustschläge des Gnoms überhaupt spürte. Aber Kias war ebenso benommen wie sie oder Stone. Wenn er sich ganz instinktiv zur Wehr setzte, konnte das Gurks Tod bedeuten.

Nein, das konnte es nicht. Gurk würde nicht sterben, er konnte nicht sterben, ganz egal, was seinem Körper ge...

Der Gedanke brach so abrupt ab, als hätte jemand einen Schalter hinter ihrer Stirn umgelegt, und Charity blieb mit einem Gefühl tiefer Verwirrung zurück. Was war das? Für einen Moment hatte sie das Gefühl gehabt, als ob sich in ihren Gedanken eine Tür auftat, um ihr einen Blick in einen Teil ihres Gedächtnisses zu gewähren, der ihr für gewöhnlich immer verschlossen blieb.

Gurk nutzte den winzigen Moment, in dem sie abgelenkt war, um sich loszureißen - und sich sofort wieder auf den Moroni zu stürzen. Seine Lippen bewegten sich. Das Netz! Es wird zusammenbrechen! Ihr Wahnsinnigen!

Sie las die Worte von seinen Lippen. Es waren die gleichen, die er auch geschrien hatte, ehe das Chaos über das kleine Schiff und seine Besatzung hereinbrach. Völlig außer Rand und Band schlug und trat er immer wieder auf den Chitinpanzer des Rieseninsekts ein. Kias versuchte seinen Hieben auszuweichen, so gut er konnte, verzichtete aber zu Charitys Erleichterung darauf, sich zu wehren, so daß es ihr schließlich gelang, den Zwerg im wesentlichen unverletzt von der riesigen Ameise herunterzuzerren. Durch ihren ersten Fehler gewarnt, packte sie diesmal fester zu. Nach einigen Augenblicken stellte der Zwerg seinen Widerstand ein.

Sie registrierte eine Bewegung aus den Augenwinkeln und sah, daß auch Skudder sich wieder erhoben hatte. Er wankte, und als er den linken Fuß belastete, verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz; er konnte aber aus eigener Kraft stehen.

Sie sah, wie sich seine Lippen bewegten, zuckte zur Antwort mit den Schultern und berührte mit der freien Hand ihr Ohr. »Tut mir leid«, sagte sie. »Aber ich höre nichts.«

Seltsam - sie hatte nicht einmal mehr ein Gefühl für ihre eigene Stimme.

Skudder runzelte die Stirn, legte den Kopf auf die Seite und sah sie fragend an. Wieder bewegten sich seine Lippen, und plötzlich machte sich ein Ausdruck von Schrecken auf seinem Gesicht breit. Er sagte etwas. Sie konnte sehen, daß er schrie.

Charity hörte nichts - aber ganz plötzlich wurde ihr klar, daß auch Skudder den Klang seiner eigenen Stimme nicht hörte!

Mit einem Ruck drehte sie sich zu Stone herum. Der ehemalige Gouverneur der Erde hatte sich aufgesetzt und blickte abwechselnd sie und Skudder an, und auch auf seinem Gesicht hatte sich derselbe, fassungslose Schrecken breitgemacht wie auf dem Antlitz des Hopi. Er starrte sie an, dann hob er die Arme vor das Gesicht und klatschte in die Hände. Charity mußte nicht einmal mehr das Entsetzen in seinen Augen sehen, um zu begreifen, daß auch er nichts hörte.

Vorsichtig setzte sie Abn El Gurk wieder auf die Füße. Der Zwerg schien die Botschaft verstanden zu haben, denn er versuchte nicht noch einmal, sich auf den Moroni zu stürzen. Charity berührte mit den Fingern ihr Ohr und blickte fragend. Gurk schüttelte den Kopf. Auch er hörte nichts. Das konnte im Grunde nur eines bedeuten, dachte Charity schaudernd: daß sie alle vier von plötzlicher Taubheit befallen waren, war mehr als unwahrscheinlich. Die wahrscheinlich vollkommen verrückte Erklärung war, daß es keine Geräusche mehr gab!

Sie fuhr herum, starrte auf den Schirm und sah nichts außer Flammen und Glas, das über das Steuerpult verstreut war. Eine ölige Flüssigkeit tropfte aus einem Riß in der Wand und verquoll auf dem Pult. Das Metall mußte glühend heiß sein - aber sie spürte nicht einmal Wärme ...

Irgend etwas stimmte nicht, dachte Charity. Und nicht nur mit diesem Schiff. Vielleicht überhaupt nicht mit diesem Schiff. Vielleicht ... mit ihnen.

Sie wirbelte auf dem Absatz herum, zerrte Gurk einfach mit sich und lief über den schrägen Boden auf die Tür zu. Plötzlich hatte sie das sichere Gefühl, daß sie den Gleiter möglichst schnell verlassen sollten.

Stone und auch Skudder folgten ihr, ohne daß es einer weiteren Aufforderung bedurft hätte, nur Kias blieb an seinem zerstörten Steuerpult stehen. Der Blick seiner riesigen Facettenaugen huschte unstet über die zerborstenen Skalen und Monitore, und obwohl sie bis zu diesem Moment geglaubt hatte, daß das nicht einmal möglich sei, glaubte sie so etwas wie Panik darin zu erkennen.

Kias zitterte. Was um alles in der Welt sah der Jared, das sie nicht sahen?!

»Kias!« schrie sie. »Komm endlich!«

Der Jared reagierte nicht. Charity war sogar sicher, daß er es nicht einmal getan hätte, hätte er ihre Stimme gehört. Stone stürzte an ihr vorbei und verschwand hinter der Biegung des abschüssigen Ganges, und Skudder packte ihre Schulter und versuchte sie mit sich zu zerren.

Eine Sekunde lang war Charity unschlüssig, was sie tun sollte. Sie war nahe daran, kehrtzumachen und zu Kias zurückzulaufen, um ihn mit Gewalt aus dem Steuerraum zu zerren. Dann begriff sie, wie aberwitzig dieser Gedanke war. Kias war viel stärker als sie. Sie fuhr herum und beeilte sich, Skudder zu folgen.

Etwas geschah, als sie lautlos den Gang hinunterstürzten. Die Wände vor ihnen verformten sich und begannen Blasen zu werfen, aber wie vorhin im Steuerraum spürte sie nicht die geringste Wärme. Das Licht wechselte von Gelb zu Blau und dann zu einer Farbe, für die sie nicht einmal ein Wort hatte, und für einen winzigen, zeitlosen Moment war es ihr, als zögen Schwaden aus wesenlosem, grauem Nichts durch den Gang vor ihnen, ein Bild, das gleichermaßen seltsam wie furchteinflößend war.

Und das sie kannte! Sie hatte dieses sinnverdrehende wogende Etwas schon einmal gesehen, als ...

Auch diesmal schien irgend etwas den Gedanken abzuschneiden, ehe sie ihn zu Ende denken konnte, und auch diesmal blieb ihr keine Zeit, über das nachzudenken, was hinter ihrer Stirn vorging.

Es wurde schlimmer.

Das Schiff zitterte nicht mehr, es tobte. Dreimal mußte sich Charity an den Wänden abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen, und beim letzten Mal versank ihre Hand direkt vor ihren ungläubig aufgerissenen Augen bis über das Gelenk in dem scheinbar massiven Stahl des Gleiters. Sie spürte keinerlei Widerstand, sondern ein körperloses Saugen und Ziehen, als würde sie in einen unsichtbaren Abgrund hineingezerrt. Im letzten Moment erst riß sie sich zurück, fand ihre Balance wieder und torkelte weiter.

Ihre Augen begannen ihr eine andere Welt vorzugaukeln als ihre Sinne - sie hatte weiter das Gefühl, den Gang hinunter zu laufen, aber ihr Gleichgewichtssinn behauptete, daß sie sich aufwärts bewegte; jeder Schritt kostete sie mehr Kraft als der vorhergehende, und ihr eigener Körper schien plötzlich Tonnen zu wiegen. Ein bitterer, unangenehmer Geschmack lag in der Luft, und in ihren Ohren war furchtbares Rauschen, das sie im ersten Moment für ein Geräusch hielt, bis ihr klar wurde, daß sie es nur fühlte.

Dicht hinter Skudder raste sie den Gang entlang - und blieb abrupt stehen. Wo waren French und seine Leute?

Sie war mehr als nur verwirrt. Rings um sie herum brach vielleicht das Universum in Stücke, aber wie hatte sie Stark und French und die andern Orbit-Geborenen einfach vergessen können!

Hilflos sah sie sich um und registrierte, daß auch Skudder stehengeblieben war und fast verzweifelt zu ihr zurückblickte. Der Gang hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem schmucklosen Metallkorridor, durch den sie heraufgekommen waren. Die Wände waren auf unbeschreibliche Weise verformt worden, und ihre Augen gaukelten ihr Dinge vor, von denen sie gar nicht wissen wollte, ob sie Realität oder bloße Einbildung waren. Aber sie konnte zumindest erkennen, daß sie sich unmittelbar vor der Abzweigung zur Ladebucht des Schiffes befand. Vielleicht hatte Stark seine Familie dorthin gebracht, als das Chaos begann.

Sie gestikulierte Skudder zu und versetzte Gurk einen Stoß, der ihn in die Arme des Indianers taumeln ließ.

Dann fuhr sie herum und rannte in den abzweigenden Gang hinein, um zu dem Laderaum zu gelangen. Die Tür öffnete sich, als sie noch drei Schritte entfernt war, und Stone kam ihr entgegen. In Gedanken entschuldigte sich Charity bei ihm dafür, ihn für einen Feigling gehalten zu haben, als er als erster aus dem Steuerraum floh. Stone sagte etwas und schüttelte gleichzeitig den Kopf, und wenn Charity auch seine Worte nicht verstand, so begriff sie dafür um so besser die Bedeutung des Entsetzens, das auf seinen Zügen erschienen war. Irgend etwas Furchtbares mußte mit French und seinen Leuten geschehen sein.

Stone versuchte sie an der Schulter zurückzuhalten, aber Charity schlug seinen Arm beiseite, drängte sich an ihm vorüber und schlug die Faust auf den Schalter, der die Tür öffnete. Sie bereitete sich auf das Schlimmste vor, während das schwere Panzerschott mit enervierender Langsamkeit vor ihr beiseite glitt.

Auf den Anblick, der sich ihr dann bot, war sie trotzdem nicht vorbereitet.

Der Laderaum war nicht mehr da.

Er war nicht zerstört oder aus dem Schiff herausgerissen worden. Er existierte nicht mehr.

Sekundenlang blieb Charity einfach reglos stehen, gelähmt von der gleichen Mischung aus Erschütterung und Entsetzen, die sie auch auf Stones Gesicht gelesen hatte. Sie kannte diese Schiffe, und sie wußte, daß sie im Grunde nichts anderes als fliegende Laderäume waren; eine Art übergroßer Container mit Triebwerk und Steuerkanzel. Aber wo eigentlich ein dreißig Meter durchmessender Laderaum sein sollte, befand sich nur noch ein Streifen schimmerndes Metalls, hinter dem die rückwärtige Wand des Laderaumes begann. So irrsinnig ihr selbst der Gedanke vorkam - das Schiff war einfach kleiner geworden.

Stone berührte sie an der Schulter. Sie fuhr herum, starrte ihn an und sah, wie sich seine Lippen bewegten. Sie versuchte nicht zu antworten, sondern signalisierte ihm mit einem Nicken, daß sie verstanden hatte, und lief los.

Skudder, Gurk und auch Kias hatten den Gleiter bereits verlassen, als Stone und sie nebeneinander in der Schleusenkammer anlangten. Sie sah, daß der Hopi Gurk immer noch festhielt. Mit der freien Hand winkte er ihr zu, sich zu beeilen. Sein Mund war zu einem stummen Schrei geöffnet.

Das Schiff bäumte sich auf. Eine lautlose, rasend schnelle Wellenbewegung lief durch den Boden und hätte sie beinahe von den Füßen gerissen, und plötzlich schienen die Wände durchsichtig zu werden. Ein unsichtbarer Wind schien ihr plötzlich ins Gesicht zu schlagen, und mit einem Male fühlte sie erneut diesen schrecklichen, fast unwiderstehlichen Sog. Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, versetzte Stone einen derben Stoß, der ihn mehr aus der Schleuse herausstürzen ließ, und setzte ihm selbst mit einem verzweifelten Hechtsprung nach.

»...ttes Willen, BEEILT EUCH!« gellte Skudders Stimme in ihren Ohren. Gleichzeitig schlug ein geradezu höllischer Lärm über ihr zusammen: Schreie, das Prasseln von Flammen, ein elektrisches Knistern von unvorstellbarer Lautstärke, ein ununterbrochenes Bersten und Splittern und ein dumpfes Dröhnen, als bräche irgendwo ein ganzer Berg zusammen.

Der Schwung ihrer eigenen Bewegung riß sie nach vorne, so daß sie wieder gestürzt wäre, hätte Kias nicht zugegriffen und sie mit einer seiner so täuschend dünnen Hände aufgefangen. Charity bedankte sich mit einem automatischen Nicken bei ihm, machte sich los und drehte sich wieder zum Gleiter herum.

Der Anblick verschlug ihr den Atem.

Das Schiff glühte in einem kalten, inneren Feuer. Weißes Licht drang durch die metallenen Wände, so daß sie wie auf einer bizarren Röntgenaufnahme das Innere des kleinen Raumschiffes sehen konnten - und die Gestalten, die sich darin bewegten.

Es waren schwarze, mit harten Strichen gemalte Umrisse, die sich mit ruckhaften Bewegungen wanden und herumwarfen und rannten, ohne von der Stelle zu kommen, verzweifelt die Arme in die Höhe warfen, auf die Wände einschlugen ...

French, dachte sie entsetzt. Das waren French und seine Leute! Aber das war doch unmöglich! Der Gang war leer gewesen!

Aber jetzt waren sie da. Dort, wo sie sie zurückgelassen hatten, in der winzigen Schleusenkammer vor dem Steuerraum, durch die Skudder und Stone und sie selbst vor Sekunden gerannt waren!

Sie spürte, wie Skudder neben sie trat und etwas sagte, und diesmal hörte sie seine Stimme. Aber es war ihr unmöglich, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Fassungslos und zu Tode erschrocken starrte sie die Umrisse der Orbit-Geborenen an, die sich wie in Todeskrämpfen wanden. Skudder und sie mußten direkt durch sie hindurchgelaufen sein!

Instinktiv machte sie einen Schritt auf den Gleiter zu, aber Skudder hielt sie zurück. Das unheimliche Glühen des Schiffsrumpfes hatte noch an Intensität zugenommen - und plötzlich begann das Schiff vor ihren Augen zu schrumpfen! Sein Rumpf verbog sich, wurde kleiner, schien wie von unsichtbaren Riesenfäusten gepackt und wie ein Modell aus Silberpapier zusammengedrückt zu werden. Binnen weniger Sekunden schrumpfte es auf ein Drittel seiner ursprünglichen Größe zusammen und schmolz weiter. Etwas Schwarzes begann seine Umrisse nachzuzeichnen, als löse es sich im Feuer einer schwarzen Sonne auf.

»Großer Gott, was ist das?« flüsterte Skudder.

»Das ist noch gar nichts! Das ist erst der Anfang - wenn wir Glück haben!«

Verwirrt senkte Charity den Blick und sah auf Gurk herab. Die Stimme des Zwerges hatte nichts mehr von ihrem gewohnt spöttischen Klang. Sie zitterte vor Angst, und die gleiche, unbeschreibliche Furcht stand auch in seinen Augen geschrieben, während er der Vernichtung des Moroni-Gleiters zusah. Plötzlich fuhr er herum, riß sich mit einer überraschenden Bewegung von Skudder los und deutete haßerfüllt auf Kias.

»Weißt du, was sie getan haben?« kreischte er. »Weißt du, was diese Wahnsinnigen getan haben!?«

Charity sah sich schaudernd in der Runde um, ehe sie antwortete. Alles war so schnell gegangen und so unwirklich gewesen, daß sie sich bisher nicht einmal gefragt hatte, wo sie überhaupt waren. Aber immerhin erkannte sie, daß der flüchtige Eindruck, den sie kurz vor der Explosion des Monitors auf dem Bildschirm gehabt hatte, richtig gewesen war: Der Gleiter befand sich nicht mehr im Raum; über ihnen spannte sich eine gewaltige, eisengraue Kuppel, ein Dom aus Stahl, der mindestens einen halben Kilometer Durchmesser haben mußte, und...

... und plötzlich wußte sie, wo sie waren.

»Das Schiff!« flüsterte sie überrascht. »Wir ... wir sind am Nordpol!«

»Ja«, bestätigte Gurk säuerlich. »Solange er noch existiert.«

Sie waren in der Schwarzen Festung, dachte Charity verwirrt. Aber die Festung war kaum wiederzuerkennen.

Es war nicht das erste Mal, daß sie hier war. Sie war der erste lebende Mensch gewesen, der das Schiff der Moroni betreten hatte, und sie hatte es auch später noch einmal gesehen, wenn auch nur kurz und unter Umständen, die nicht unbedingt dazu angetan waren, sie sich in aller Ruhe umsehen zu lassen. Trotzdem fiel es ihr im ersten Moment schwer, diese zerstörte, brennende Trümmerwüste mit der gigantischen Transmitterstation am Nordpol zu identifizieren, die sie alle unter dem Namen Schwarze Festung kannten. Ein Teil der gewaltigen Eisenkuppel war zerstört worden. Überall brannte es. Die riesigen Maschinenblöcke, die sie bei ihrem letzten Besuch hier gesehen hatte, waren fast völlig vernichtet worden. Nur wenige Meter entfernt hatte sich das Wrack eines zweiten Gleiters in den Boden gebohrt. Tote Ameisen lagen zwischen den Trümmern, und der große Transmitterring, das Tor zu den Sternen, durch das die Invasoren von Moron gekommen waren, war verschwunden. An seiner Stelle gähnte ein schwarzes Loch in der Wirklichkeit.

Charity fand keine andere Beschreibung. Wo der dreißig Meter durchmessende Silberring gehangen hatte, drehte sich ein schwarzer, kochender Wirbel, hinter dem das Nichts begann. Hastig riß sie ihren Blick von der unheimlichen Erscheinung los und griff automatisch nach ihrer Waffe, als sich einige der spinnengliedrigen Insektenwesen auf sie zuzubewegen begannen.

»Das ist nicht nötig, Captain Laird«, sagte Kias rasch. »Sie haben nichts zu befürchten. Es sind Jared.«

Charity warf ihm einen unsicheren Blick zu und zog die Hand wieder zurück, behielt die näher kommenden Ameisen jedoch im Auge. Es waren acht oder zehn der sechsgliedrigen Gestalten, und sie unterschieden sich in nichts von den Moroni, die sie kannte.

»Wir haben die Schlacht gewonnen«, fuhr Kias fort. »Die Schwarze Festung gehört uns.«

»Unsinn«, sagte Gurk leise.

Charity ignorierte ihn. »Was hat das zu bedeuten?« fragte sie. »Wieso ... sind wir hier?«

»Alles ist plangemäß verlaufen«, behauptete Kias. »Meine Brüder haben diese Festung angegriffen, während wir die die Black-Hole-Bombe unschädlich gemacht haben.«

»Plangemäß?!« kreischte Gurk. Mit wild gestikulierenden Armen deutete er auf das saugende schwarze Nichts, das die Stelle des Transmitters eingenommen hatte. »Das da nennst du plangemäß!«

»Bitte, Gurk!« sagte Charity. Es fiel ihr immer schwerer, Ruhe zu bewahren. Eine Sekunde lang überlegte sie, ob es vielleicht nichts anderes als Gurks Nervosität war, die sie ansteckte, aber sie spürte selbst, daß dem nicht so war. Gleichgültig, was Kias und seine Brüder auch behaupten mochten: Irgend etwas war hier ganz und gar nicht plangemäß verlaufen.

Kias hob eine seiner vier Hände. »Es wäre besser für Sie und Ihre Begleiter, diesen Ort zu verlassen. Wir haben den Kampf gewonnen, aber die Gefahr ist noch nicht ganz vorbei.«

»Das kannst du laut sagen, Krötenfresse!« giftete Gurk. Er deutete auf das zuckende Loch in der Wirklichkeit. »Hat einer von euch überhaupt eine Ahnung, was ihr angerichtet habt?« Ohne Kias' Antwort abzuwarten, wandte er sich zu Charity herum und fuhr mit schriller Stimme fort: »Diese Wahnsinnigen! Weißt du, was sie getan haben?«

»Nein.« Charity seufzte. Kias machte einen Schritt auf sie zu, und Skudder bemerkte in resignierend klingendem Tonfall: »Aber du wirst es uns gleich erzählen, nehme ich an.«

»Dazu ist im Moment nicht der ...« begann Kias, aber Charity unterbrach ihn: »Laß ihn, Kias. Ich fürchte, vorher bekommen wir ohnehin keine Ruhe.« Sie lächelte, obwohl sie plötzlich wieder von Mißtrauen erfüllt war. Kias verschwieg ihnen etwas. Etwas Wichtiges. Mit einer auffordernden Geste wandte sie sich an Gurk.

»Sie haben die ganze Orbit-Stadt in einen Transmitter verwandelt!« sagte der Zwerg.

»Ich weiß«, antwortete Charity ruhig. »Ich bin nicht blind. Ich habe die Projektoren gesehen, kurz bevor die Bombe explodierte.«

»Du meinst, als sie explodierte«, berichtigte sie Gurk. »Begreifst du denn nicht? Sie ist nicht hier über der Erde explodiert!«

»Verdammt, was soll das?« mischte sich Skudder ein. »Wenn das so wäre, könnten wir kaum hier stehen und uns dein dummes Gerede anhören. Natürlich ist sie nicht über der Erde explodiert. Ich nehme an, sie haben sie an einen Ort geschickt, an dem sie keinen Schaden anrichten konnte.« Er deutete dorthin, wo der Sternentransmitter gestanden hatte. »Damit.«

»Das haben sie vielleicht vorgehabt«, sagte Gurk abfällig. »Aber sie haben sich verrechnet. Nicht wahr, Kias?«

Der Jared starrte ihn an und schwieg, aber in seinen Augen war plötzlich etwas, das Charity nicht gefiel; eine Drohung, wie sie sie noch nie zuvor an einem Jared bemerkt hatte. Gurk schien dieser Ausdruck zu entgehen - oder er beeindruckte ihn nicht, denn er fuhr im gleichen gehässigen Ton fort: »Nur um eine Kleinigkeit, nicht wahr? Das Ding ist nicht irgendwo in der Galaxis explodiert, sondern im gleichen Moment, in dem es in das Entmaterialisierungsfeld geriet. Richtig?«

Ohne daß Charity den Grund benennen konnte, jagten ihr Gurks Worte einen eisigen Schauer über den Rücken. Sie blickte Kias an. Der Jared schwieg noch immer, aber sie glaubte Zorn in seinem Blick zu entdecken. »Ist das ... wahr?« fragte sie.

»Mit großer Wahrscheinlichkeit«, antwortete Kias. »Ein Teil der Energie scheint in das Transmitternetz geflossen zu sein, so daß es zu einer kurzzeitigen Funktionsstörung kam. Das würde auch die sonderbaren Umstände unser Wiederverstofflichung erklären.«

»Eine kurzzeitige Funktionsstörung« kreischte Gurk. »Ihr hättet das gesamte Transmitternetz zerstören können!«

»Das wäre vielleicht nicht das schlechteste«, bemerkte Skudder trocken.

Gurk funkelte ihn an. »Und nicht das schlimmste«, fügte er hinzu. »Zum Teufel, versteht doch - niemand weiß, wie diese Transmitter überhaupt funktionieren! Aber das Netz ist gigantisch. Es umfaßt diese ganze Galaxis, vielleicht sogar mehr.«

»Und?« fragte Skudder.

»Und, und, und!« äffte Gurk seinen Tonfall böse nach. »Stell dir mal ein Haus vor, das vom Keller bis zum Dachboden von Starkstromkabeln durchzogen ist. Und dann stell dir vor, was passiert, wenn jedes einzelne dieser Kabel im gleichen Moment explodiert - falls deine Phantasie dazu ausreicht. Diese Irren hätten die ganze Milchstraße in die Luft sprengen können! Kleine Schwierigkeiten bei unserer Wiederverstofflichung? Verdammt, es hätte sein können, daß nichts mehr dagewesen wäre, in das wir hätten zurückkehren können!«

»Du übertreibst«, sagte Kias ruhig. »Die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe, wie du sie beschreibst, war recht gering.«

»Aber sie war gegeben?« fragte Charity erschrocken.

Kias machte eine beruhigende Geste. »Der Zwerg hat recht, was die Größe des Transmitternetzes angeht«, erklärte er. »Ein Gebilde von dieser Ausdehnung ist sehr belastungsfähig. Um das gesamte Transmitternetz zusammenbrechen zu lassen, wäre ein Vielfaches der angefallenen Energie nötig gewesen. Es kam zu ein paar kurzzeitigen Störungen, das ist alles.«

»So?« keifte Gurk. »Und wie nennst du das da?«

Wütend deutete er auf das Tor ins Nichts, das sich noch immer über dem schwarzen Block drehte, auf dem der Transmitter gestanden hatte.

Charitys Blick folgte seiner Geste - und erst in diesem Moment wurde ihr klar, daß sie sich die Bewegung, die sie im Inneren des schwarzen Wirbels gesehen zu haben glaubte, nicht eingebildet hatte. Was sie sah, war das dunkle Wogen des Hyperraumes, jener unfaßlichen Dimension, durch die jene geheimnisvollen Transmitterstraßen führten. Rauchschwaden trieben auf das zuckende Loch in der Wirklichkeit zu und verschwanden darin, und als sie noch einmal und genauer hinsah, erkannte sie etwas wie Nebel, der sich vom Boden löste und ebenfalls verschlungen wurde: Staub und mikroskopisch feine Trümmerstücke, die wie von Geisterhand bewegt auf den Riß im Raum-Zeit-Kontinuum zuglitten. Und ganz plötzlich, als hätte es erst der optischen Bestätigung bedurft, um sie das Gefühl spüren zu lassen, fühlte sie den Wind: einen ganz sachten, aber beständigen Wind, der in das schwarze Nichts hineinströmte wie in ein Fenster in die Unendlichkeit.

»Er ... er arbeitet noch!« murmelte sie erschrocken.

»Ganz recht!« sagte Gurk heftig. »Er arbeitet noch, wenigstens in einer Richtung. Aber ich sehe keinen Knopf mehr, um ihn abzuschalten.«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Charity wirklich verstand, was Gurk mit diesen Worten sagen wollte. »Du ... meinst, diese Transmitterverbindung ist ...«

»Ist keine Transmitterverbindung mehr, sondern ein Riß in der Welt!« unterbrach sie Gurk. »Ein Loch, durch das euer ganzer schöner Planet hindurchplumpsen kann, wenn es Ihnen nicht gelingt, es zu stopfen. Und ich wüßte nicht, wie das geschehen sollte.«

Charity fuhr herum und starrte Kias mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben an.

»Ihr könnt es doch schließen, oder?« fragte sie.

»Selbstverständlich«, antwortete Kias. »Wir werden das Problem analysieren und lösen - sobald Morons Herrschaft auf diesem Planeten endgültig gebrochen ist.«

»Dann wollen wir nur hoffen, daß das bald der Fall ist«, sagte Gurk böse. »Sehr bald.« Er kicherte, aber es hörte sich gekünstelt an. »Fällt euch irgend etwas auf?«

Sowohl Charity als auch Stone und Skudder blickten erneut zu dem wirbelnden Nichts im hinteren Teil der Halle empor. Der Anblick war unangenehm, so fremd und bizarr, daß er Charity noch eine Weile körperliches Unbehagen zu bereiten begann. Trotzdem zwang sie sich, fast eine Minute lang hinzusehen, ehe sie sich mit einem Kopfschütteln wieder an Gurk wandte. »Nein. Was?«

»Er wird größer«, sagte Gurk beinahe fröhlich.

Загрузка...