5


Der Rückflug nach Europa dauerte acht oder zehn Stunden, obwohl sie einen der Moroni-Gleiter benutzten. Aber sie konnten nicht die direkte Route über den Atlantik nehmen, sondern flogen einen geradezu aberwitzigen Zickzackkurs, der sie mit Ausnahme Neukaledoniens und Andorras wahrscheinlich über den gesamten Planeten fliegen ließ. Trotzdem wurde der Gleiter mehrmals angegriffen; und mindestens einmal geriet er dabei so sehr in Bedrängnis, daß er wahrscheinlich abgestürzt wäre, hätte sie nicht im letzten Moment eine von Jared kommandierte Staffel unterstützt.

Charity erfuhr all diese Dinge allerdings erst am nächsten Tag, denn sie hatte den Gleiter kaum betreten und die Schwarze Festung verlassen, da fiel sie auch schon in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst spät am Abend des darauffolgenden Tages erwachte; mit einem schlechten Geschmack im Mund, schmerzendem Kopf und der Erinnerung an wirre, sinnlose Alpträume, die sie geplagt hatten.

Vorsichtig setzte Charity sich auf; ihr Kopf schien wie in einem Schmerzkrampf zu pulsieren. Sie wankte, preßte Daumen und Zeigefinger so fest auf die geschlossenen Lider, daß sie bunte Sterne vor den Augen flimmern sah, und hielt den Atem an, bis der Schwindelanfall allmählich verebbte. Danach bewegte sie sich mehr als behutsam.

Zumindest fand sie sich in einer Umgebung wieder, die sie kannte; sie war in dem gleichen Zimmer unterhalb der Kommandoebene des Eifelbunkers, das sie schon zuvor bewohnt hatte, so daß sie sich weder den Schädel einrannte noch über irgendein unvermutetes Hindernis stolperte, als sie mit halb geschlossenen Augen ins Bad schlurfte. Ihr Kopf dröhnte, als säße hinter ihren Schläfen ein Zwerg, der mit wachsender Begeisterung auf einer Kesselpauke das Steptanzen übte. Sie brauchte fast eine Stunde, in der sie sich abwechselnd eiskaltes Wasser über Gesicht, Handgelenke und Nacken laufen ließ, bis sie das Gefühl hatte, wenigstens wieder halbwegs klar zu sein. Und diese Zeit machte ihr endgültig klar, wieso sie so rasch eingeschlafen und so lange danach erst wieder aufgewacht war. Es war nicht das erste Mal, daß man ihr ein Betäubungsmittel verabreichte. Allerdings das erste Mal, daß sie eine Dosis bekam, die ausgereicht hätte, einen argentinischen Zuchtbullen flachzulegen.

Der erste halbwegs klare Blick in den Spiegel brachte die nächste unangenehme Überraschung. Daß sie so schlecht aussah, wie sie sich fühlte, überraschte sie nicht einmal besonders, aber was sie schockierte, war ihr Haar. Sie hatte eine graue Strähne bekommen.

Eine Zeitlang musterte sie ihr eigenes Spiegelbild mißmutig, dann streckte sie ihm die Zunge heraus, drehte sich herum und verließ das Bad. Die Kleider, die sie bei ihrer Rückkehr getragen hatte, waren ebenso verschwunden wie der improvisierte Raumanzug und ihre Waffen, aber dafür fand sie etwas, dessen Anblick sie ebenso überraschte, wie es sie mit einer fast kindlichen Freude erfüllte: Auf einem Stuhl neben ihrem Bett lag säuberlich zusammengefaltet eine dunkelblaue Uniform der Space Force, in der richtigen Größe, mit korrekten Rangabzeichen und sogar einem winzigen Namensschildchen, auf dem: ›Laird, C. Cptn‹ zu lesen stand. Leider war der Waffengurt leer, und jemand hatte sich die Mühe gemacht, die winzige Atombatterie aus dem Körperschild-Generator auszubauen.

Sie zog sich an, eilte ins Bad zurück und gönnte sich für einige Augenblicke das Vergnügen, sich selbst im Spiegel zu betrachten. Ihr bleiches Gesicht, die Ringe unter den Augen und die graue Strähne im Haar störten den Gesamteindruck ein wenig, aber alles in allem sah sie für eine eigentlich sechsundachtzigjährige Frau nicht schlecht aus.

Als sie den Raum verlassen wollte, erlebte sie die zweite unangenehme Überraschung des Tages: Die Tür ließ sich nicht öffnen.

Charity drückte ein halbes Dutzend Mal mit wachsendem Zorn auf den Knopf, ehe sie sich eingestand, daß der Mechanismus elektronisch gesperrt war. Nicht defekt - die Standby-Lampe brannte in beruhigendem Grün.

»Verdammt, was soll das?« sagte sie verärgert. Mit einem Ruck fuhr sie herum, trat an das Interkom-Gerät neben der Tür und drückte den Rufknopf. Der Bildschirm leuchtete so prompt auf, als hätte jemand am anderen Ende nur darauf gewartet, daß sie sich meldete, und die ausdruckslosen Facettenaugen einer Ameise starrten sie an.

Eine halbe Sekunde lang war Charity gelähmt vor Schrecken - obwohl sie nach allem, was geschehen war, eigentlich mit diesem Augenblick hätte rechnen müssen. Erst dann fragte sie unsicher: »Kias?«

Die Ameise versuchte ein menschliches Kopfschütteln zustande zu bringen. »Mein Name ist Tipa, Captain Laird«, sagte sie. »Die Ihnen unter dem Namen Kias bekannte Jared-Einheit befindet sich zur Zeit nicht in der Kommandozentrale.«

»Ich möchte mit Kias sprechen«, verlangte Charity.

Tipa versuchte, mit den Schultern zu zucken. »Das ist nicht notwendig«, sagte er. »Ich kann alle Ihre Wünschen ebenso erfüllen wie Kias, und ...«

»Befindet sich die mir unter dem Namen Kias bekannte Jared-Einheit in diesem Bunker?« unterbrach ihn Charity. Sie bezweifelte, daß Tipa den Sarkasmus, der in ihren Worten zum Ausdruck kam, überhaupt begriff, aber zumindest beantwortete er ihre Frage nach einer Sekunde mit einem Kopfnicken.

»Ja.«

»Dann beweg deinen knochigen Hintern und schaff ihn an den Monitor!« verlangte Charity. »Ich rede nicht mit einer Ameise, die Tipa heißt und jedesmal auseinanderzufallen scheint, wenn sie eine Bewegung macht.«

»Aber ich versichere Ihnen, daß ...«

Charity schaltete das Gerät ab, kramte einen Moment lang in ihrer Erinnerung und gab dann eine vierstellige Zahl in die Tastatur ein. Diesmal dauerte es wesentlich länger, bis der Bildschirm hell wurde, aber sie hatte die richtige Nummer erwischt: Auf der Mattscheibe erschien ein Gesicht, das Skudder zu gehören schien.

»Hallo!« begrüßte ihn Charity fröhlich. »Wie ich sehe, hast du dir die gleichen schlechten Angewohnheiten zugelegt wie ich.«

Skudder öffnete müde ein Auge und blickte sie fragend an.

»Du siehst in den Spiegel und wäschst dem Fremden das Gesicht, den du darin erblickst.«

»Wie?« machte Skudder. Er gähnte ungeniert. »O Gott... sag mal: Fühlst du dich eigentlich so, wie du aussiehst?«

»Ich glaube schon«, antwortete Charity. »Wieso?«

»Mein Beileid. Wie lange bist du schon tot?«

»Du bist also doch schon wach.« Charity wurde übergangslos ernst. »Sie haben auch dich betäubt.«

»Ja. Und das ist noch nicht alles.« Skudder gähnte wieder, rieb sich über die Augen und blinzelte ein paarmal heftig. Offensichtlich hatte er erheblich größere Mühe als sie, wach zu werden. »Meine Tür geht nicht auf.«

»Meine auch nicht«, sagte Charity. »Es sieht so aus, als wären wir gefangen.« Seltsam - erst jetzt, da sie die Worte aussprach, wurde ihr ihre wahre Bedeutung klar.

»Gefangen?« Skudder gähnte erneut, fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und trat einen Schritt von der Kamera zurück, so daß sie seinen Oberkörper sehen konnte. Mit einem Gefühl leiser Überraschung registrierte sie, daß auch er neue Kleider bekommen hatte. Er trug wieder die gleiche schwarze Lederkluft, in der sie ihm das erste Mal begegnet war: Motorradjacke und -hose, Stiefel und einen schweren, nietenbesetzten Gürtel. Und obwohl sie seinen Rücken nicht sehen konnte, wußte sie, daß sie auf der Jacke einen silbernen Hai mit aufgerissenem Maul entdecken würde; das Emblem der Sharks, deren Anführer er damals gewesen war. Jemand hatte sich verdammt viel Mühe gegeben, ihnen beiden eine kleine Freude zu bereiten. Und der gleiche Jemand mußte eine Menge über sie wissen. Eigentlich kam dafür nur einer in Frage.

»Stone.«

»Wie?« murmelte Skudder verschlafen.

Charity winkte ab. »Nichts. Ich habe nur laut gedacht.« Sie wechselte abrupt das Thema. »Was glaubst du, warum sie uns eingesperrt haben?«

Bevor Skudder antworten konnte, erschien in der oberen rechten Ecke des Bildschirmes ein winziges Fenster, in dem Tipas Kopf auftauchte. »Sie täuschen sich, Captain Laird«, sagte der Jared. »Sie sind keineswegs gefangen. Es hat in dieser Anlage nur gewisse Veränderungen gegeben, so daß es uns besser erschien, Sie und Ihren Begleiter zu ihrer eigenen Sicherheit zu isolieren.«

Charity starrte die Ameise an, und plötzlich wurde sie doch zornig. »Zu unserer eigenen Sicherheit, so?« schnappte sie. »Wie schön. Dann nehme ich auch an, daß du uns zu unserer eigenen Sicherheit belauschst, wie?«

Der Moroni brachte es tatsächlich fertig, verwirrt auszusehen. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen, Captain Laird«, sagte er.

»Wir schätzen es nicht besonders«, antwortete Charity gereizt, »wenn man unseren Gesprächen zuhört, ohne daß wir es wissen. Für euch mag das ja ein Fremdwort sein, aber wir Menschen haben so etwas wie eine Intimsphäre, und wir mögen es gar nicht, wenn jemand ohne unsere Erlaubnis darin herumschnüffelt.«

»Ich glaube, jetzt verstehe ich«, sagte der Jared. »Sie meinen, wir sollten damit aufhören, Ihre Interkom-Leitung zu überwachen.«

»Das wäre eine ausgezeichnete Idee«, sagte Charity.

»Ich werde es veranlassen«, versprach Tipa. »Wünschen Sie auch, daß die Video-Überwachung Ihres Quartiers eingestellt wird?«

Charity riß die Augen auf. »Wie?!«

»Ich verstehe«, sagte Tipa hastig. »Ich werde das Wort Intimsphäre in unsere Verhaltensmuster aufnehmen lassen, Captain Laird.«

Das Gesicht der Ameise verschwand vom Bildschirm.

Eine Sekunde später hörte Charity ein leises Klicken, und die Tür glitt einen Spaltbreit auf. Und dann verschwand auch Skudders Gesicht vom Bildschirm.

Ihre Quartiere lagen unmittelbar nebeneinander, so daß er nur wenige Augenblicke brauchte, um zu ihr zu kommen. Er wirkte noch blasser und kranker als auf dem Monitor. Seine Hände zitterten ununterbrochen, und sein Atem roch schlecht. Was um alles in der Welt hatte man ihnen gegeben, damit sie schliefen?

Sie umarmten sich flüchtig, aber auf eine sonderbare vertraute, warme Art. Irritiert fuhr Charity sich mit dem Handrücken über die Stirn und maß Skudder mit einem langen, sehr verwirrten Blick, und Skudder seinerseits sah sie beinahe erschrocken an. Es war nicht der Umstand, daß sie sich berührt hatten - ihr Verhältnis ging weit über eine gewöhnliche Freundschaft hinaus -, aber Charity hatte bisher geglaubt, daß sie für Skudder gegenüber allenfalls geschwisterliche Liebe empfand.

Aber das stimmte nicht. Ganz plötzlich wußte sie, daß da viel mehr war. Wieso hatte sie das eigentlich niemals erkannt? Und wieso begriff sie es eigentlich jetzt?

Auch auf Skudders Gesicht zeigte sich ein Ausdruck tiefer Verwirrung. Sie fragte sich, ob es nur die Reaktion auf ihr sonderbares Verhalten war.

»Hal ... lo«, sagte Skudder unbeholfen. Er versuchte zu lachen und bewegte die Hände, als wüßte er plötzlich nicht mehr, wohin damit. »Ich weiß nicht, ob es die richtige Uhrzeit dafür ist, aber auf jeden Fall: guten Morgen.«

Was um alles in der Welt ...? Charity trat einen Schritt zurück und maß ihn mit einem neuen, sehr aufmerksamen Blick von Kopf bis Fuß. Abgesehen von seiner bleichen Gesichtsfarbe und den noch immer zitternden Händen sah Skudder tatsächlich genauso aus wie an dem Tag, an dem sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Selbst die kleine Wurfaxt, die sein Markenzeichen bei den Sharks gewesen war, steckte wieder in seinem Gürtel. Offensichtlich hielten die Jared den Tomahawk nicht für gefährlich genug, um ihn Skudder wegzunehmen.

»Erstaunlich«, sagte Charity. »Jemand scheint ziemlich großen Wert darauf zu legen, daß wir uns wohl fühlen.«

Skudder zog eine Grimasse und griff sich an den schmerzenden Schädel. »Ja. Ich merke es. Ob Stone und Gurk auch hier sind?«

»Sehen wir nach«, schlug Charity vor.

Sie verließen das Zimmer und kontrollierten der Reihe nach alle anderen Räume im Gang. Sie waren allesamt leer. Die letzte Tür, die auf den Hauptkorridor hinausführte, war verschlossen.

Charity sparte sich die Mühe, ein zweites Mal auf den Knopf zu drücken - aber sie verpaßte der Tür einen kräftigen Fußtritt. Mehr als nur ein wenig verärgert stapfte sie in ihr Quartier zurück und trat an das Interkom-Gerät. Tipas schwarzes Ameisengesicht erschien auf dem Monitor, und Charity fuhr ihn an, noch bevor der Jared überhaupt Zeit fand, etwas zu sagen.

»Verdammt, ich frage dich noch einmal: Wieso sind wir eingesperrt? Und jetzt sag bloß nicht wieder, das geschähe alles nur zu unserer eigenen Sicherheit!«

»Du wirst auch allmählich wach, wie?« flüsterte Skudder hinter ihr.

Charity ignorierte ihn. »Und wo sind Stone und Gurk?« fügte sie erregt hinzu, ehe Tipa auch nur auf ihre erste Frage antworten konnte.

»Sie sind sehr verwirrt, Captain Laird«, sagte Tipa. »Ich verstehe das ebenso wie Ihre momentane Erregung.«

»Wie schön!« sagte Charity gereizt. »Dann tu etwas dagegen!«

»Die Jared-Einheit Kias und Governor Stone sind auf dem Weg zu Ihnen«, antwortete die Ameise. »Sie werden alle Ihre Fragen beantworten.«

Er schaltete ab, und Charity starrte den erloschenen Monitor mit einer Mischung aus Zorn und Verblüffung an.

»Habe ich das richtig verstanden?« fragte Skudder zögernd. »Sagte er: Governor Stone?«

»Ich habe das auch gehört«, bestätigte Charity verwirrt. Sie zuckte mit den Schultern. »Warten wir ab. Wir werden es erfahren.«

»Ich hoffe es«, knurrte Skudder. »Und eine Menge anderer Dinge hoffentlich auch. Wenn dieser Kias nicht mit ein paar überzeugenden Antworten herausrückt, dann mache ich ihm einen Knoten in seine vier Arme!«

Charity lächelte flüchtig. Mit angezogenen Knien hockte sie sich auf die Bettkante und blickte an Skudder vorbei ins Leere. Skudder sah sie an. Sie spürte seinen Blick, obwohl sie nicht einmal in seine Richtung sah, und plötzlich war eine fast greifbare Spannung zwischen ihnen. Was war mit ihnen geschehen, während sie dort draußen im Raum gewesen waren?

Sie versuchte sich zu erinnern, aber es war schwer. Da war ... ein Moment gewesen, an den sie sich nur undeutlich erinnerte. Es hatte mit Skudder zu tun gehabt, aber auch mit ihr, mit Stone, mit Gurk und Kias und den Jared und ...

Der Gedanke erlosch so rasch, als hätte ihn jemand abgeschaltet, und zurück blieb nichts als ein Gefühl tiefer Verwirrung. Etwas war dort draußen geschehen.

»Sie haben an unseren Erinnerungen herumgepfuscht«, sagte Skudder plötzlich. Charity sah ihn fragend an, und Skudder tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die rechte Schläfe. »Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie ... habe ich das Gefühl, daß da ein Loch ist.«

»Kannst du neuerdings Gedanken lesen?« fragte Charity.

»Wenn sie so deutlich auf deinem Gesicht geschrieben stehen, dann kann ich es«, antwortete Skudder. »Außerdem habe ich ein wenig Erfahrung in solchen Dingen.«

»Du?«

»Nicht direkt«, schränkte Skudder ein. »Daniel hat einmal ein paar meiner Männer auf eine Mission geschickt. Als sie zurückkamen, fühlten sie sich so wie ich jetzt - sie konnten sich an nichts mehr erinnern. Wir haben nie herausgefunden, wo sie waren oder was sie erlebt haben.«

Skudders Worte klangen einleuchtend. Auch sie hatte schon mit diesem Gedanken gespielt. Und doch ... Charity spürte, daß es nicht stimmte. Sie hatte nichts vergessen. Ganz im Gegenteil hatte sie plötzlich das absurde Gefühl, zusätzliche Erinnerungen zu haben.

Es vergingen gute zehn Minuten, bis sie das Geräusch der Tür draußen im Gang hörte und Stone und Kias in Begleitung zweier Ameisen bei ihnen erschienen.

Charity sah Daniel Stone mit wenig freundlichem Gesichtsausdruck an. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt wieder die nachtschwarze Kleidung, in der sie ihm damals im Shai-Taan begegnet war. Doch sein Gesicht sah makellos aus. Frisch rasiert, keine Schatten unter den Augen, kein ungesunder Glanz.

»Gut sehen Sie aus, Stone«, begann sie übergangslos. »Ich nehme an, Sie hatten nicht denselben Begrüßungscocktail wie Skudder und ich?«

Stones Lächeln blieb unverändert. Doch es war Kias, der antwortete, nicht er. »Tipa unterrichtete mich bereits über Ihre Verärgerung, Captain Laird. Ich entschuldige mich für die Unbequemlichkeiten, die Ihnen und Mister Skudder entstanden sind.«

»Unbequemlichkeiten?« Skudder reckte kampflustig das Kinn vor. »Komm doch mal mit nach draußen, Spinnengesicht. Dann zeige ich dir, was Unbequemlichkeiten sind.«

Stone lächelte flüchtig, während Kias wahrscheinlich nicht einmal verstand, wovon Skudder sprach. Charity sagte rasch: »Ihr hättet uns umbringen können, Kias. Was soll das? Weshalb wurden wir betäubt? Was ist dort draußen passiert, das wir nicht sehen sollten?«

»Es war ein Versehen«, sagte Stone. »Bitte glauben Sie mir - Kias und seine Freunde haben es nur gut gemeint. Sie und Skudder waren vollkommen erschöpft. Wir dachten, sie könnten zwölf Stunden Tiefschlaf gut gebrauchen.« Er lächelte entschuldigend. »Ich schätze, die Dosis war ein bißchen zu stark.«

»Und ich schätze, du hast dich wieder einmal gut arrangiert«, sagte Skudder. Unwillkürlich verfiel er wieder in die gewohnte Anrede von früher. Er trat auf Stone zu und hob einen Zipfel des albernen schwarzen Capes an, das er über der Kombination trug. »Du hättest lieber den Schneider wechseln sollen statt den Dienstherren.«

»Du täuschst dich, Skudder«, sagte Stone.

»Wir haben Governor Stone gebeten, uns beratend zur Seite zu stehen«, sagte Kias. »Seine Erfahrung ist für uns von großem Wert.«

»Seine Erfahrung?« Skudder machte eine abfälliges Geräusch und sah den Jared von der Seite her an. »Warum habt ihr sie euch nicht einfach genommen? Ich könnte mir Daniel Stone gut als Jared vorstellen.«

»Es war nicht sein Wunsch«, antwortete Kias. »Wir würden niemals ein denkendes Individuum gegen seinen Willen in unsere Gemeinschaft aufnehmen.«

»Wie schön«, sagte Skudder kalt und wandte sich wieder an Stone. »Wie ist es, Daniel - hättest du nicht Lust auf einen kleinen Spaziergang? Ich könnte dir auch noch zu der einen oder anderen Erfahrung verhelfen.«

»Laß ihn, Skudder«, sagte Charity.

»Lassen?« Skudder schnappte nach Luft. »Was ist in dich gefahren? Dieser Kerl hat uns alle an die Moroni verkauft. Er hat ...« Vor lauter Zorn fehlten ihm die Worte. Erregt fuhr er herum und wandte sich heftig gestikulierend an Kias. »Ihr könnt diesem Kerl nicht trauen! Er ... er hat sein eigenes Volk verraten, und jetzt verrät er die, an die er es verraten hat! Er wird auch euch bei der erstbesten Gelegenheit verraten!«

»Man kann uns nicht betrügen«, sagte Kias ruhig. »Aber ich verstehe Ihre Gefühle, Mister Skudder. Governor Stones Einverständnis vorausgesetzt, werden wir dafür sorgen, daß Sie so wenig unmittelbaren Kontakt wie möglich miteinander haben. Zumindest für die erste Zeit.«

»Das ist vielleicht keine schlechte Idee«, sagte Charity. Sie warf Skudder einen fast beschwörenden Blick zu, den er aus trotzig funkelnden Augen erwiderte, und wandte sich wieder an Kias.

»Was ist hier eigentlich los? Wieso sind wir eingeschlossen worden? Und wo ist Gurk?«

»In der Kommandozentrale«, sagte Stone. Offensichtlich, dachte Charity verärgert, hatten die beiden eine geheime Absprache, daß prinzipiell nie der auf eine Frage antwortete, an den sie gerichtet war. »Und Sie sind nicht eingesperrt, Captain Laird. Es hat ... gewisse Veränderungen gegeben. Ich hielt es lediglich für besser, zuerst mit Ihnen zu reden. Selbstverständlich können Sie sich frei bewegen und tun, was Sie wollen.«

Skudders Hand glitt zu der kleinen Axt in seinem Gürtel. »Meinst du das ernst?«

»Was ist passiert?« fragte Charity noch einmal. Sie sah ein, daß es wahrscheinlich das beste war, Skudder einfach zu ignorieren.

»Nichts. Alles läuft nach Plan«, antwortete Stone in einem Tonfall, der bewies, daß ganz und gar nicht alles nach Plan verlief. Das schien ihm sogar selbst aufzufallen, denn er lächelte plötzlich verlegen. »Nur haben wir diesen Plan anscheinend falsch eingeschätzt.«

»Haben wir das?«

Stone zuckte mit den Schultern. »Ich denke, wir sind alle davon ausgegangen, daß die Sache vorbei ist, wenn wir die Bombe entschärfen. Aber offenbar ist das nicht der Fall. Die Schwarze Festung ist gefallen, aber ...«

»... die Moroni sind so unfreundlich, sich weiter zur Wehr zu setzen«, vermutete Charity. »Nicht wahr?«

»Alles geschieht, wie wir es vorausgesehen haben«, sagte Kias. »Die Sklaven der Shait leisten erbitterten Widerstand. Aber wir werden sie besiegen.«

Shait?

Etwas am Klang dieses Wortes ließ Charity schaudern. Sie hatte es nie zuvor gehört, und doch schien es etwas tief in ihrer Seele zu berühren und sie mit einem Gefühl eisiger Furcht zu erfüllen.

Und dann wußte sie es.

Shait.

Shai-Taan.

Das Gefühl des Fremden und doch auf furchtbare Weise Bekannten, das sie immer überkommen hatte, wenn sie sich in der Nähe eines Moroni aufhielt. Die instinktive Furcht beinahe aller Menschen den Außerirdischen gegenüber ... das alles ergab plötzlich einen Sinn, weil ...

Der Gedanke war fort und mit ihm das Wissen, was er bedeutet hatte. Zurück blieb nur der Schrecken, eine an Entsetzen grenzende Lähmung, die es ihr sekundenlang unmöglich machte, einen klaren Gedanken zu fassen.

»Was hast du?« fragte Skudder alarmiert. Offensichtlich zeigte sich ihr Erschrecken deutlich auf ihrem Gesicht.

»Nichts«, sagte Charity rasch. Mit einer nervösen Geste wandte sie sich wieder an Kias. »Shait?«

»Ihr nennt diese Wesen die Herren der Schwarzen Festung«, antwortete Kias. »Sie sind ebenso unsere Feinde wie die Ihres Volkes. Wir hatten gehofft, beide auf diesem Planeten anwesenden Shait bei unserem Angriff auf die Transmitterstation am Nordpol Ihrer Welt zu eliminieren, aber leider konnte einer entkommen.«

»Und?« fragte Skudder. »Wo ist das Problem? Sucht ihn.«

»Sie verstehen das Wesen der Shait nicht«, antwortete Kias. »Sie üben geistige Kontrolle über alle Moron-Geschöpfe auf diesem Planeten aus. So lange dieser eine Shait existiert, wird der Widerstand der Arbeiter und Soldaten nicht aufhören. Aber wir sind durchaus in der Lage, ihn mit anderen Mitteln zu brechen.«

»Dann sollte man diesen einen Shait erledigen«, schlug Skudder erneut vor.

Stone maß ihn mit einem abfälligen Blick. »Genial«, sagte er spöttisch. »Das ist die Idee. Wieso sind wir nur nicht von selbst darauf gekommen? Aber jetzt, wo Sie uns gesagt haben, was wir tun müssen, werden wir diesen Krieg sicher in ein paar Stunden beenden.«

Skudder setzte zu einer wütenden Entgegnung an, aber Charity unterbrach ihn mit einer warnenden Geste und trat mit einem Schritt zwischen ihn und Stone. »So völlig unrecht hat er nicht«, sagte sie.

»Natürlich nicht!« erklärte Stone verärgert. »Der halbe Planet sucht nach diesem Monster!«

»Und die andere Hälfte versucht, ihn daran zu hindern, nehme ich an.«

»So ungefähr«, gestand Stone.

»Das heißt, es herrscht Krieg«, sagte Charity ruhig. »Und wahrscheinlich auf der ganzen Erde. Was zum Teufel hat sich eigentlich geändert?«

Obwohl sie Stone angesprochen hatte, antwortete Kias. »Ich höre einen gewissen Unterton von Verbitterung in Ihrer Stimme, Captain Laird«, sagte er. »Ich verstehe das. Es ist Ihr Heimatplanet, über den wir reden. Aber die Lage ist nicht so ernst, wie es vielleicht auf den ersten Blick den Anschein hat. Der Sternentransmitter am Nordpol ist deaktiviert, so daß die Shait von jeglichem Nachschub abgeschnitten sind. Es ist uns gelungen, etwa zwanzig Prozent ihrer Streitkräfte zu übernehmen, und der verbliebene Rest wird sich nicht sehr lange halten. Ein einzelner Shait besitzt nicht die nötige geistige Kapazität, einen ganzen Planeten auf Dauer unter seiner Kontrolle zu halten. Wir werden diesen Kampf zweifellos gewinnen.«

»Sicher«, antwortete Charity düster. »Es fragt sich nur, was dann noch von der Erde übrig ist, nicht wahr?«

Kias wollte antworten, aber Stone unterbrach ihn mit einer Handbewegung - und einem raschen, verschwörerischen Blick. »Dieselbe Befürchtung teile ich auch«, sagte er. »Und das ist auch der Grund, aus dem ich mich bereit erklärt habe, das Angebot der Jared anzunehmen und ihnen zu helfen, die Shait zu besiegen. Und der Grund, aus dem wir alle Ihre Hilfe brauchen, Captain Laird.« Er sah Skudder an, zögerte eine Sekunde, dann fuhr er mit hörbarer Überwindung fort: »Und Ihre auch, Mister Skudder.«

Charity funkelte ihn an. »Wissen Sie, was mir an Ihnen so wenig gefällt, Stone?« fragte sie. »Sie sind schon wieder dabei, das Kommando zu übernehmen. Ich frage mich allmählich, ob Skudder nicht vielleicht recht hat.«

»Ich übernehme überhaupt nichts«, antwortete Stone. »Kias hat mich gebeten, mit Ihnen zu reden, das ist alles. Sie müssen uns nicht helfen.« Er machte eine zornige Handbewegung zur Tür. »Sie sind frei. Sie und Skudder können tun und lassen, was immer sie wollen. Sie können hierbleiben und uns helfen, die Erde endgültig zu befreien, oder aber gehen. Überlassen Sie es Kias und seinen Leuten, den Shait zu vernichten. Ich zweifle nicht daran, daß es ihnen auch allein gelingen wird. Aber beschweren sie sich danach über nichts!«

Charity kochte innerlich vor Wut. Aber sie beherrschte sich. Das Schlimmste war, daß Stone recht hatte. Sie konnte sich nicht über Dinge beklagen, die zu ändern vielleicht in ihrer Macht stand.

»Also?« fragte sie gepreßt. »Was sollen wir tun?«

Stone beherrschte sich meisterhaft, aber Charity spürte seine Erleichterung. »Im Moment gar nichts«, antwortete er. »Ich erkläre Ihnen alles später, wenn Sie sich einen ersten Überblick über die aktuelle Situation verschafft haben. Ihre unmittelbare Hilfe brauchen wir später - sobald Kias' Leute das Versteck des Shait ausfindig gemacht haben.«

»Wieso?« fragte Charity mißtrauisch.

»Die Jared könnten sich diesem Geschöpf nicht einmal auf eine Meile nähern, ohne entdeckt zu werden«, sagte Stone.

»Aber irgend jemand muß es schließlich erledigen, oder?«

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