SPLITTER ALPHA: Begrenzt bewohnbare Welt im Sektor Trans-Kohlensack. Sonne: Gelber Zwergstern vom Typ G2, etwa zehn Parsek vom Sektorzentrum Neukaledonien entfernt. Allgemein bezeichnet als der Splitter in Murchesons Auge (s.d.) oder einfach ›Splitter‹. Masse 0,91 Sol; Helligkeit 0,78 Sol.
Splitter Alpha besitzt eine giftige Atmosphäre, die jedoch mit Filtern des kommerziellen oder militärischen Standardtyps atembar ist. Kontraindiziert für Herzkranke oder bei Emphysemgefahr. Sauerstoff: 16 Prozent. Stickstoff: 79,4 Prozent. CO2: 2,9 Prozent.
Helium: l Prozent. Komplexe Kohlenwasserstoffe einschließlich Ketonen: 0,7 Prozent.
Schwerebeschleunigung: 0,780 Standard-ge. Planetenradius 0,84 und Masse 0,57 relativ zur Erde; ein Planet von normaler Dichte. Umlaufperiode: 0,937 Standardjahre oder 8 750 005 Stunden. Der Planet besitzt eine Achsneigung von 18 Grad, die große Bahnhalbachse beträgt 0,93 AE (137 Millionen Kilometer). Das Klima ist generell eher kühl, die Polargebiete sind unbewohnbar und eisbedeckt. Äquatoriale und tropische Zonen sind gemäßigt bis heiß. Der Sonnentag von Alpha dauert 27,33 Stunden.
Alpha besitzt einen Mond: klein, relativ nahe, ursprünglich ein Asteroid, der auch auf der Rückseite den charakteristischen Explosionskrater aufweist, der alle Planetoiden im Splittersystem kennzeichnet. Der auf dem Mond installierte Fusionsgenerator samt Energiesender stellt eine der Hauptgrundlagen der Zivilisation von Splitter Alpha dar.
Topographie: 50 Prozent der Oberfläche Ozean, uneingerechnet der ausgedehnten polaren Eiskappen. Das Land ist über weite Gebiete hin flach, Berge sind niedrig und stark erodiert. Es gibt nur wenig Wald. Fruchtbares Land wird intensiv bebaut.
Die auffallendsten Oberflächenmerkmale sind kreisförmige Formationen, die überall zu finden sind. Die kleinsten sind so weit erodiert, dass sie kaum mehr erkennbar sind, während die größten überhaupt nur aus Orbithöhe wahrnehmbar sind.
Obwohl die physischen Merkmale von Splitter Alpha von einigem Interesse sind — insbesondere für Ökologen hinsichtlich der Auswirkungen intelligenten Lebens auf das planetare Ökosystem — konzentriert sich das Hauptinteresse des Imperiums wohl auf die Bewohner des Systems …
Zwei Raumschlitten steuerten den Kutter an, und einige Gestalten in Raumanzügen kletterten an Bord. Als Menschen und Splits alles im Boot überprüft hatten, übergaben die Maate, die es in die Umlaufbahn gebracht hatten, erleichtert das Kommando an die Kadetten und kehrten auf die Mac Arthur zurück. Die Kadetten richteten sich begeistert in der Kontrollkabine ein und starrten hinunter auf die Landschaft, die noch nie ein Mensch gesehen hatte.
»Wir sollen euch mitteilen, dass jeder Kontakt mit euch nur über dieses Boot stattfindet«, erklärte Whitbread seinem Split. »Tut mir leid, aber wir dürfen euch nicht auf die Mac Arthur einladen.«
Whitbreads Split zeigte durch ein sehr menschlich wirkendes Achselzucken an, was es von diesem Befehl hielt. Gehorsam schuf keinerlei Spannungen zwischen ihm und seinem Menschen. »Was werdet ihr mit dem Kutter machen, wenn ihr heimkehrt?«
»Der bleibt euch als Geschenk«, antwortete Whitbread. »Vielleicht möchtet ihr das Boot für ein Museum oder so haben. Es gibt einige Dinge, von denen der Kapitän will, dass ihr sie erfahrt …«
»Und andere, die wir nicht erfahren dürfen. Gewiss.« Aus der Umlaufbahn war die Planetenoberfläche ein Muster von Kreisen, immer wieder Kreisen: Meere, Seen, der Bogen einer Gebirgskette, der Lauf eines Flusses, eine Bucht … Eine riesige Ringformation gab es, die stark erodiert und von Wald getarnt war — man hätte sie überhaupt nicht bemerkt, wäre sie nicht quer über einen Gebirgszug gelegen, das Rückgrat des Kontinents zerschneidend. Ein Meer von der Größe des Schwarzen Meers wies genau im Mittelpunkt eine flache Insel auf. »Da ist anscheinend Magma hochgequollen, wo der Asteroid die Kruste durchschlagen hat«, meinte Whitbread.
»Kannst du dir vorstellen, was für ein Geräusch das gewesen sein muss?«
Whitbreads Split nickte. »Kein Wunder, dass ihr alle Asteroiden hinaus zu den Trojanischen Punkten transportiert habt. Das war doch der Grund, nicht?«
»Ich weiß nicht. Es ist so lange her, dass wir nur sehr unvollständige Aufzeichnungen haben. Ich stelle mir vor, dass die Asteroiden jedoch leichter auszubeuten waren, leichter als Basis für eine Zivilisation dienen konnten, wenn sie alle beisammen lagen.«
Whitbread erinnerte sich, dass der Wabenasteroid nicht die Spur einer Strahlung aufgewiesen hatte. »Sag, wie lange ist das nun eigentlich her?«
»Oh, mindestens zehntausend Jahre. Whitbread, wie alt sind denn eure ältesten Aufzeichnungen?«
»Weiß ich nicht genau. Aber ich kann mich erkundigen.« Der Kadett blickte hinunter. Sie überquerten eben den Terminator — die Schattenlinie war eine Kette von Kreisbögen.
Die Nachtseite war mit den Lichtern lausender Städte übersät. In der Ära des Condominiums mochte die Erde so ausgesehen haben, doch die Kolonialwelten des Imperiums waren niemals so dicht besiedelt gewesen.
»Schau, dort vorne.« Whitbreads Split deutete auf einen kleinen Feuerpunkt am Rande seiner Welt. »Das ist das Transferschiff. Nun können wir euch unsere Welt zeigen.« »Ich glaube, eure Zivilisation ist ein ganzes Stück älter als unsere«, sagte Whitbread nachdenklich.
Sallys Ausrüstung und ihr persönliches Gepäck waren in der Hauptkabine des Kutters für den Abtransport bereitgestellt. Ihr winziges Schlafabteil, nicht viel mehr als eine Koje, war ausgeräumt und wirkte wieder militärisch unpersönlich. Sally stand an der Aussichtsluke und sah zu, wie das silberglänzende Delta des Transferschiffs sich der Mac Arthur näherte. Ihr Split kümmerte sich nicht darum.
»Ich — äh — ich habe eine etwas heikle Frage«, sagte Sallys Fjunch(klick).
Sally wandte sich von der Aussichtsluke ab. Das Splitschiff war jetzt am Kutter längsseits gegangen, und von der Mac Arthur kam ein kleines Raumtaxi herüber. »Nun, sag schon.«
»Was machst du, wenn du noch keine Kinder bekommen willst?«
»Ach je«, sagte Sally und lachte ein bisschen. Sie war die einzige Frau unter beinahe tausend Männern — und das in einer männlich orientierten Gesellschaft. Sie hatte das alles recht gut gewusst, bevor sie sich zur Teilnahme an der Expedition entschloss, aber nun ging ihr doch der tröstliche, weibliche Klatsch irgendwie ab, der so zum gewohnten Leben gehörte: Heiraten und Kinder und Haushalt und Gesellschaftsskandale. Sie hatte nicht gewusst, eine wie große Rolle dies alles in ihrem Leben spielte, bis sie in die Revolte von New Chicago geriet, und nun vermisste sie es mehr als je zuvor. Manchmal hatte sie mit den Köchen der Mac Arthur über Rezepte geplaudert, was ein kümmerlicher Ersatz war und nichts daran änderte, dass das einzige ebenfalls weiblich orientierte Wesen im Umkreis von Lichtjahren ihr Fjunch(klick) war.
»Ich bin dein Fjunch(klick)«, erinnerte sie das Split. »Ich würde das Thema nicht erwähnen, wenn ich nicht glaubte, dass ich das wissen sollte … Hast du Kinder auf der Mac Arthur?« »Ich? Nein!« Sally lachte wieder. »Ich bin nicht einmal verheiratet.«
»Verheiratet?«
Sally informierte ihr Split über die Ehe. Sie bemühte sich, über keine grundlegenden Voraussetzungen hinwegzugehen. Manchmal war es schwierig, daran zu denken, dass das Split ein fremdes Wesen war. »Dir muss das wohl recht sonderbar vorkommen«, schloss sie.
»›Hör zu, ich verschweige dir nichts‹, wie Mr. Renner sagen würde.« Die Imitation war perfekt, in Tonfall wie in Gesten. »Ich finde eure Sitten gewiss seltsam. Wir werden wohl kaum viele übernehmen, glaube ich. Die physiologischen Unterschiede sind zu groß.«
»Nun ja — natürlich.«
»Ihr heiratet also, um Kinder aufzuziehen. Wer zieht Kinder auf, die außerhalb einer Ehe geboren werden?«
»Dafür gibt es wohltätige Institutionen«, sagte Sally ernst. Sie vermochte ihre Abscheu nicht zu verbergen.
»Ich nehme an, dass du nie …« Das Split verstummte taktvoll.
»Nein, natürlich nicht.«
»Wie machst du das? Ich meine nicht, warum, sondern wie?«
»Nun — du weißt, dass Männer und Frauen Geschlechtsverkehr haben müssen, damit ein Kind entstehen kann, so wie ihr auch — ich hab’ euch ziemlich genau untersucht.«
»Also, wenn ihr nicht verheiratet seid, dann … macht ihr es einfach nicht?«
»Ja. Es gibt natürlich Pillen, die eine Frau einnehmen kann, wenn sie gern mit Männern zusammen ist, aber nicht die Folgen tragen will.«
»Pillen? Wie wirken die? Hormone, ja?« Das schien das Split zu interessieren, wenn auch mehr nebensächlich.
»Richtig.« Sie hatten schon über Hormone gesprochen. Auch in der Physiologie der Splits gab es auslösende oder steuernde chemische Verbindungen, die jedoch von ganz anderer Art als beim Menschen waren. »Aber eine anständige Frau nimmt sie nicht?« vermutete Sallys Split.
»Nun … äh …«
»Wann wirst du heiraten?«
»Wenn ich den richtigen Mann finde.« Sie überlegte einen Augenblick, zögerte und fügte dann hinzu: »Vielleicht habe ich ihn schon gefunden.« Bloß dass der verdammte Idiot vermutlich schon mit seinem Schiff verheiratet ist, dachte sie.
»Warum heiratest du ihn dann nicht?«
Sally lachte. »Das ist nicht etwas, in das man sich Hals über Kopf hineinstürzt. ›Jung gefreit, bald bereut.« Ich kann heiraten, wann immer ich will.« Die durch ihren Beruf geprägte Objektivität ließ sie einschränken: »Naja, innerhalb der nächsten fünf Jahre jedenfalls. Wenn ich bis dahin nicht verheiratet bin, würde man mich als alte Jungfer ansehen.«
»Was bedeutet das?«
»Nun, die Leute würden es sonderbar finden.« Neugierig geworden fragte sie: »Was ist, wenn ein Split keine Kinder haben will?«
»Dann haben wir keinen Geschlechtsverkehr«, sagte Sallys Split tugendsam.
Ein kaum hörbares Klunk verriet, dass das Transferschiff am Kutter angedockt hatte.
Die Landefähre der Splits hatte die Form einer stumpfen Pfeilspitze, die mit einem abschmelzenden Hitzeschutzmaterial überzogen war. Das Cockpit bestand aus einem transparenten Ring, abgesehen davon gab es keine Aussichtsluken. Als Sally und ihr Split den Eingang erreichten, stellte sie erstaunt fest, dass Horace Bury knapp vor ihr an Bord ging.
»Sie fliegen mit hinunter auf Alpha, Exzellenz?« erkundigte sich Sally.
»Ja, Mylady.« Bury schien ebenso überrascht zu sein wie Sally. Als erden Verbindungstunnel betrat, merkte er, dass die Splits einen alten Trick der Raumflotte einsetzten — das Rohr stand unter Druck, und zwar herrschte am drüberen Ende der geringere Druck, so dass die Passagiere praktisch hinübergeblasen wurden. Das Schiffsinnere war erstaunlich geräumig und bot allen genügend Platz: Renner, Sally Fowler, Kaplan Hardy — Bury überlegte, ob man ihn wohl jeden Sonntag auf die Mac Arthur zurückholen würde —, Dr. Horvath, den Kadetten Whitbread und Staley, zwei Maaten, die Bury nicht kannte — und den Split-Partnern für alle bis auf drei der mitfliegenden Menschen. Er studierte die Sitzanordnung mit belustigtem Interesse, das nur zum Teil die aufkeimende Furcht zu kaschieren vermochte: jeweils vier Sitze nebeneinander, und zwar abwechselnd einer für Menschen, einer für Splits. Als sich alle anschnallten, wuchs seine Belustigung. Es fehlte offensichtlich ein Sitz.
Doch dann zog sich Dr. Horvath nach vorne ins Cockpit und schnallte sich in dem Sitz neben dem Piloten, einem Braunen, an. Bury ließ sich in der ersten Reihe nieder, wo nur zwei Sitze nebeneinander angebracht waren, und ein Split nahm den Sitz neben ihm ein. Angst schnürte ihm die Kehle zusammen, Allah ist gnädig, ich bezeuge, dass Allah — nein! Er hatte nichts zu befürchten, hatte nichts getan, was ihn in Gefahr bringen könnte.
Und doch — er saß hier hilflos angeschnallt neben einem fremden Wesen, während auf der Mac Arthur jeden Augenblick ein Zufall dazu führen konnte, dass man entdeckte, was er mit seinem Druckanzug gemacht hatte.
Ein Druckanzug ist der persönlichste Gegenstand, den ein Mensch im Weltraum besitzt, ein viel intimeres Ding als eine Pfeife oder eine Zahnbürste vielleicht. Trotzdem hatten viele die unsichtbaren Heinzelmännchen an ihre Anzüge herangelassen. Während des zeitraubenden Fluges zu Splitter Alpha hatte Commander Sinclair die Veränderungen untersucht, die die Minis vorgenommen hatten.
Bury hatte abgewartet. Endlich erfuhr er über Nabil, dass die Heinzelmännchen den Wirkungsgrad der Rezirkulationssysteme verdoppelt hatten. Sinclair gab die Druckanzüge ihren Eigentümern zurück — und begann, die Anzüge der Offiziere in ähnlicher Weise zu modifizieren.
Einer der Drucklufttanks von Burys Anzug war jetzt nur mehr eine Attrappe. Er enthielt einen halben Liter Druckluft und zwei Minisplits mit künstlich herabgesetzten Lebensfunktionen. Das Risiko war natürlich groß. Die Minis würden vielleicht die tief-schlafinduzierenden Drogen nicht vertragen. Oder er würde eines Tages Luft benötigen, die nicht mehr da war. Bury war jedoch immer bereit gewesen, für einen entsprechenden Gewinn auch Risiken einzugehen.
Als der Anruf kam, war er sicher gewesen, dass seine Tat entdeckt worden war. Ein Maat war auf dem Bildschirm seiner Kabine aufgetaucht, sagte: »Gespräch für Sie, Mr. Bury«, lächelte boshaft und stellte durch. Bevor Bury sich lange den Kopf zerbrechen konnte, sah er sich einem Split gegenüber.
»Fjunch(klick)«, sagte dieses fremde Wesen und schaute ihn fragend an. »Sie sind verwirrt. Den Ausdruck werden Sie aber doch sicher kennen.«
Bury hatte rasch die Fassung wiedergewonnen. »Natürlich. Es war mir nur nicht bewusst, dass ein Split mich studiert.« Der Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht.
»Nein, Mr. Bury, ich bin Ihnen eben zugeteilt worden. Mr. Bury, was würden Sie davon halten, auf Splitter Alpha zu kommen?«
»Ich bezweifle, dass man mir gestattet, das Schiff zu verlassen.«
»Kapitän Blaine hat es genehmigt, wenn Sie selbst wollen. Mr. Bury, wir würden Ihren Rat bezüglich der Handelsmöglichkeiten zwischen dem System Splitter und dem Imperium sehr schätzen. Wir sind überzeugt, dass beide Seiten davon profitieren würden.« Ja! Beim Barte des Propheten, eine solche Chance — Bury hatte sofort zugestimmt. Nabil konnte seine versteckten Heinzelmännchen bewachen.
Jetzt aber, an Bord des Schiffes, das ihn auf die fremde Welt hinunter brachte, gewannen seine Befürchtungen wieder die Oberhand. Er musterte das Split neben sich.
»Ich bin Dr. Horvaths Fjunch(klick)«, sagte das Split. »Entspannen Sie sich doch. Diese Boote sind sehr sicher konstruiert.«
»Aha«, sagte Bury, und nach einer Weile entspannte er sich wirklich. Der gefährlichste Zeitpunkt lag jetzt Stunden zurück. Nabil musste inzwischen die Tankattrappe sicher in der Hauptluftschleuse der Mac Arthur untergebracht haben, wo sie unter den Hunderten anderer Luftflaschen nicht auffallen würde. Dieses fremde Schiff war zweifellos menschlichen Raumfähren überlegen, wenn auch vielleicht nur aus dem einen Grund, dass die Splits die Botschafter des Menschenimperiums sicher nicht einer Gefahr aussetzen wollten. Es war jedoch gar nicht der Flug hinunter auf diese fremde Welt, der Angst in seiner Kehle empor drängte, bis er ihren Geschmack metallisch scharf im Mund spürte …
Ein leichter Ruck lief durch das Schiff. Die Reise hatte begonnen.
Zur Überraschung aller war sie recht ereignislos. Verschiedentlich gab es Beschleunigungsschwankungen, doch keinerlei Turbulenzen. Dreimal fühlten sie kaum wahrnehmbare Rucke, so als ob Landeklappen ausgefahren würden — und dann merkten sie, dass das Schiff über festen Boden rollte. Sie waren gelandet.
Sie traten hinaus in eine Art Druckkammer aus durchsichtigem Material. Die Luft war gut, doch so geruchlos, dass sie fast schal wirkte. Außer dem Schiff gab es nichts zu sehen, und das starrten die Menschen jetzt mit unverhehlter Faszination an.
Es war zu einem Segelflugzeug mit Möwenschwingen geworden. Aus dem Deltarumpf waren die verschiedensten Klappen und Leitflossen und Flügel gewachsen.
»Das war ein Flug!« meinte Horvath leutselig, als er zu den anderen trat. »Dieser Vogel ändert dauernd seine Gestalt! Die Flügel haben nicht etwa Scharniere oder so, sie wachsen einfach heraus! Die Düsen öffnen und schließen sich wie Mäuler! Es war wirklich sehenswert. Wenn Commander Sinclair je herunterkommt, müssen wir ihm den Fensterplatz lassen«, meinte er schmunzelnd, ohne die finsteren Blicke zu bemerken.
Am anderen Ende der durchsichtigen Konstruktion, die einer Traglufthalle ähnelte, öffnete sich eine Luftschleuse, und drei braun-weiße Splits kamen herein. Wieder fühlte Bury, wie eine unerklärliche Furcht in ihm aufstieg, als die drei sich trennten und je eines sich einem Maat zugesellte, während das dritte auf ihn zukam.
»Fjunch(klick)«, sagte es.
Burys Mund wurde trocken. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte das Split. »Ich kann nicht Ihre Gedanken lesen.«
Wenn das Split Bury beruhigen wollte, war dies das Ungeeignetste, was man ihm sagen konnte. »Man hat mir berichtet, dass das dein Beruf ist.« Es war ihm unmöglich, zu einem nackten, pelzigen Geschöpf ›Sie‹ zu sagen — den meisten Menschen ging es so, und die Splits fanden nichts dabei, da sie selbst keine Höflichkeitsanreden kannten.
Das Split lachte. »Es ist mein Beruf, aber ich kann es nicht. Ich werde über Sie nur das wissen, was Sie mir zeigen oder mitteilen.« Es redete gar nicht so, wie Bury seiner Ansicht nach redete. Es hatte offenbar nur die Menschen im allgemeinen studiert. Nichts weiter.
»Du bist männlich«, stellte er fest.
»Ich bin jung. Die anderen waren schon weiblich, als sie die Mac Arthur erreichten. Mr.
Bury, wir haben Fahrzeuge draußen, und nicht weit entfernt wurde eine Unterkunft vorbereitet. Kommen Sie, schauen Sie sich unsere Stadt an, und dann können wir über Geschäfte sprechen.« Es fasste ihn mit den zwei feingliedrigen rechten Händen beim Arm. Die Berührung war sehr seltsam, doch Bury ließ sich ohne merkliche Reaktion zur Luftschleuse führen.
»Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich kann nicht Ihre Gedanken lesen«, hatte das Split gesagt und seine Gedanken gelesen. Auf vielen wiederentdeckten Welten des Ersten Imperiums kursierten Gerüchte über gedankenlesende Wesen, aber, Allah sei Dank, man war nie auf eins gestoßen. Diese Kreatur — fremdartig wie kein anderes Wesen und intelligent — leugnete ein solches Talent ab. Die Berührung des Split war nicht unangenehm, obwohl Menschen aus Burys Kulturkreis es Hassten, berührt zu werden. Er hatte jedoch schon so viele fremdartige Bräuche und fremdartige Rassen kennengelernt, dass ihn die Vorurteile seiner Jugend längst nicht mehr belasteten.
Dieses Split allerdings — Bury wusste von keinem anderen Fjunch(klick), das sich so verhielt. Die anderen Splits duzten ihre menschlichen Partner von Anfang an und passten sich ihnen mit beunruhigendem Einfühlungsvermögen an. Wollte sein Fjunch(klick) ihn in Sicherheit wiegen? Sollte er sich undurchschaubar und überlegen vorkommen?
Ohne die Hoffnung auf Profit hätte ihn nichts auf diese Welt locken können — Profit ohne Grenzen, einfach dadurch, dass er sich umsah. Selbst die Terraformung der neukaledonischen Welten durch das Erste Imperium hatte nicht annähernd die industrielle Kapazität erfordert wie der Transport der Asteroiden in die Trojanischen Punkte von Splitter Beta.
»Ein geeignetes Handelsprodukt«, sagte das Split gerade, »sollte nicht zu umfangreich oder schwer sein. Wir werden sicher Gegenstände finden, die bei uns Mangelware und im Imperium überreich vorhanden sind, umgekehrt natürlich auch. Ihr Besuch wird für beide Seiten sehr wertvoll werden …«
Sie erreichten die anderen, die bereits in der Luftschleuse waren. Große, durchsichtige Scheiben boten Ausblick auf den Flughafen. »Verdammte Angeber«, bemerkte Renner ungnädig zu Bury. Auf den fragenden Blick des Handelsmagnaten zeigte Renner hinaus. »Rundherum verbautes Gebiet, und nicht ein Meter Sicherheitsspielraum.«
Bury nickte. Das kleine Flugfeld war von Wolkenkratzern eingekreist, wuchtigen Riesenbauten, die einer am anderen standen. Nur an einer Stelle zog sich ein Grüngürtel durch die Stadt nach Osten. Wenn eine Raumfähre oder ein Flugzeug abstürzte, würde das eine Katastrophe bedeuten — aber die Splits bauten keine Flugzeuge, die abstürzten.
Außen an der Luftschleuse warteten drei Bodenwagen mit geschlossener Kabine, zwei für die Passagiere, einer für das Gepäck. Die für Menschen gebauten Sitze nahmen zwei Drittel der Kabine ein. Bury nickte nachdenklich. Den Splits machte es offensichtlich nichts aus, wenig Platz zu haben. Kaum saßen alle, fuhren die Lenker, allesamt Braune, ohne merklichen Ruck los. Die Fahrzeuge liefen geräuschlos und flott.
Wie bei ähnlichen Wagen auf Imperiumswelten saßen die Motoren an den Naben der großen Ballonreifen.
Auf allen Seiten ragten mächtige, hässliche Gebäude empor und verdeckten den Himmel. Die mattschwarzen Straßen waren breit, aber mehr als ausgelastet, und die Split fuhren wie die Irren. Winzige Autos schössen mit wenigen Zentimetern Abstand aneinander vorbei, und etwas wie Ausweichregeln schien es nicht zu geben. Dieser rege Verkehr war natürlich nicht lautlos. Ein gleichförmiges, tiefes Summen lag über den Straßen, wohl das Geräusch von den Hunderten kleinen Motoren, und hin und wieder wurde schrilles Geplapper vernehmbar, das vielleicht Schimpfen oder Fluchen sein mochte.
Als die Menschen sich an den Verkehr gewöhnt hatten und nicht mehr bei jedem um Haaresbreite vermiedenen Zusammenstoß entsetzt die Augen schlössen, bemerkten sie, dass die anderen Fahrer ebenfalls alle Braune waren. Die meisten Wagen hatten einen Fahrgast, manchmal war es ein braunweißes Split, manchmal ein reinweißes. Die Weißen waren größer als die Braun-Weißen, und ihr Pelz sah sehr gepflegt und weich aus — und sie waren es, die schimpften, während ihre Chauffeure schweigend weiterfuhren.
Wissenschaftsminister Horvath drehte sich zu den Menschen in der Sitzreihe hinter ihm um. »Ich hatte einen guten Ausblick auf die Gebäude, als wir landeten — jedes einzelne hat einen Dachgarten. Nun, Mr. Renner, sind Sie froh, dass Sie mitgekommen sind? Wir haben wohl einen Flottenoffizier erwartet, aber Sie eigentlich nicht.«
»Ich war anscheinend der Geeignetste«, sagte Renner, »oder, wie der Kapitän sich ausdrückte, der entbehrlichste Offizier an Bord. Man wird mich wohl in der nächsten Zeit kaum für irgendwelche Kursberechnungen brauchen.«
»Und deshalb hat man Sie mitkommen lassen?« erkundigte sich Sally.
»I wo. Ich glaube, was den Kapitän wirklich überzeugte, war wohl mein Kreischen und Heulen und Fußaufstampfen, als man mich nicht sofort auswählte. Er scheint irgendwie den Eindruck bekommen zu haben, dass ich gerne mitkäme. Und das tu ich.« Die Art, wie der Navigationsoffizier sich in seinem Sitz vorbeugte, erinnerte Sally an einen Hund, der die Nase aus einem Autofenster in den Fahrtwind streckt.
Nach einer Weile erst bemerkten sie die Gehsteige, die in Höhe des ersten Stockwerks an den Gebäuden entlang führten. Die Fußgänger dort oben waren recht schlecht zu sehen. Es gab Weiße, Braun-Weiße, und … andere.
Ein großes, symmetrisches Geschöpf kam daher wie ein Riese unter den Weißen. Es musste gut drei Meter groß sein und hatte einen kleinen, ohrenlosen Kopf, der fast von den schräg ansteigenden, mächtigen Schultermuskeln überwachsen war. Es trug eine ziemlich schwer aussehende Kiste unter je zwei Armen. Sein Gang war roboterhaft gewichtig und unbeirrbar. »Was ist das?« fragte Renner. »Ein Arbeiter«, antwortete Sallys Split. »Ein Träger. Nicht besonders intelligent …«
Dann entdeckte Renner noch ein anderes Geschöpf, nach dem er sich den Hals ausrenkte, denn sein Pelz war rostrot, als hätte es sich in Blut gewälzt. Es war etwa so groß wie Renners Split, nur sein Kopf war kleiner, und als es seine rechten Hände hob, sah Renner, dass es sehr lange, dünne Finger hatte, die ihn an Amazonenspinnen erinnerten. Er tippte seinem Fjunch(klick) auf die Schulter und zeigte hinüber. »Und das dort?«
»Ein Arzt«, sagte Renners Split. »Wir sind eine sehr vielfältige Spezies, wie ihr wohl inzwischen erkannt habt. Alle diese Typen sind gewissermaßen verwandt …«
»Mhm. Und die Weißen?«
»Sind Befehlsgeber. Einer war an Bord unseres Schiffs, was ihr sicherlich gewusst habt, ja?«
»Wir haben so was vermutet.« Der Zar jedenfalls. Womit würde der Mann noch recht haben?
»Was hältst du von unserer Architektur?«
»Hässlich. Abscheuliche Industriebauten«, sagte Renner. »Ich wusste, dass eure Vorstellungen von Schönheit sich von unseren unterscheiden würden, aber — sei mal ehrlich, habt ihr überhaupt eine Schönheitsnorm?«
»Hör zu, ich verschweige dir nichts. Natürlich haben wir eine, aber sie ist ganz anders als eure. Und mir ist immer noch nicht klar, was ihr an Bögen und Säulen schön findet …«
»Freudsche Symbole«, erklärte Renner überzeugt. Sally schnaubte verächtlich.
»Das sagt Horvaths Split auch immer, aber ich habe bis jetzt noch keine vernünftige Erklärung zu hören bekommen«, sagte Renners Split. »Übrigens, wie gefallen euch diese Fahrzeuge?« Die Limousinen unterschieden sich gewaltig von den kleinen Zweisitzern, die an ihnen vorbei sausten. Und nicht zwei von den flinken, winzigen Vehikeln glichen einander — die Splits schienen die Vorteile einer Massenproduktion noch nicht entdeckt zu haben. Aber alle Fahrzeuge, die sie gesehen hatten, waren klein; es war nicht mehr an ihnen dran als etwa an zwei Motorrädern, während die Menschen in niedrigen, stromlinienförmigen Wagen mit glänzender, elegant geschwungener Karosserie befördert wurden. »Sie sind prächtig«, sagte Sally. »Habt ihr sie eigens für uns gebaut?«
»Ja«, antwortete ihr Split. »Haben wir das Richtige getroffen?«
»Ganz genau. Wir fühlen uns sehr geehrt«, sagte Sally. »Ihr müsst viel Aufwand in diese …« Sie verstummte fassungslos. Renner wandte sich um nach dem, was sie gesehen hatte, und schnappte nach Luft.
Schlösser wie dieses hatte es in den bayerischen Alpen der Erde gegeben. Es gab sie noch, dieses Gebiet war nie bombardiert worden, aber Renner hatte nur Nachahmungen auf anderen Welten gesehen. Hier jedoch, mitten unter den kastenförmigen Gebäuden der Splits, erhob sich ein Märchenschloss mit Türmchen und Zinnen.
»Was ist denn das für ein Bauwerk?« fragte Renner entgeistert.
Sallys Split antwortete. »Hier werdet ihr wohnen. Es ist ein in sich geschlossener … wie sagt ihr … Lebensraum? Mit eigener Atmosphäre, einer Garage und luftdichten Wagen.«
Alle waren zutiefst beeindruckt. In die Stille hinein sagte Horace Bury: »Ihr seid bewunderungswürdige Gastgeber.«
Sie nannten es von Anfang an ›das Schloss‹ Es stand außer Frage, dass es eigens für sie entworfen und gebaut worden war. Es bot Platz für vielleicht dreißig Menschen. Die Ausschmückung und Einrichtung entsprach den Gepflogenheiten von Sparta — mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen.
Whitbread, Staley, Sally und die Doktoren Hardy und Horvath hatten zugute Manieren, um zu lachen, als ihre Fjunch(klick)s ihnen ihre Wohnräume zeigten. Die Raummaate Jackson und Weiss waren stumm vor Verblüffung und hätten überdies Sorge gehabt, etwas Dummes oder Verbotenes zu sagen, wenn sie den Mund auftaten. In Horace Burys Volk beachtete man eine strenge Tradition der Gastlichkeit, und abgesehen davon fand er außer auf Levant alle Sitten und Bräuche sonderbar.
Renners Volk jedoch respektierte Offenheit; er hatte festgestellt, dass Offenheit im allgemeinen das Leben leichter machte — außer in der Flotte. In der Flotte hatte er gelernt, den Mund zu halten. Glücklicherweise hatte sein Fjunch (klick) die gleichen Ansichten.
Er schaute sich in dem Raum um, den man ihm zugewiesen hatte. Doppelbett, Kommode, großer Schrank, eine Couch und ein niedriges Tischchen — das Ganze erinnerte vage an die Hotelprospekte, die er den Splits gezeigt hatte. Das Zimmer war fünfmal so groß wie seine Kabine auf der Mac Arthur.
»Endlich mal wieder Ellbogenfreiheit«, stellte er befriedigt fest. Er schnupperte. Nicht die Spur eines Geruchs war festzustellen. »Wenn das gefilterte Luft eurer Welt ist, habt ihr verdammt gute Arbeit geleistet.«
»Danke. Was Ellbogenfreiheit betrifft …« — Renners Split spreizte sämtliche Ellbogen — »davon sollten wir eigentlich mehr brauchen als ihr, aber wir tun es nicht.«
Die eine Seite des Raums war ein Fenster vom Boden bis zur Decke. Draußen ragten die Bauten der Stadt in die Höhe — die meisten waren größer als das Schloss. Renner stellte fest, dass seine Aussicht den Blick entlang einer breiten Straße auf einen prächtigen Sonnenuntergang in allen möglichen Rottönen erlaubte. Im Fußgängerstockwerk war nur ein Gewimmel farbiger Flecken zu erkennen — viele Rote und Braune, aber auch eine Menge Weiße. Er sah dem Getriebe eine Weile zu, dann drehte er sich wieder um.
Neben dem Kopfende seines Betts war eine Nische. Er schaute hinein und entdeckte eine Kommode und zwei seltsame Möbelstücke, die ihm bekannt vorkamen. Sie ähnelten Crawfords Koje, nachdem sich das Braune in dessen Kabine häuslich eingerichtet hatte.
Er fragte: »Wieso zwei?«
»Wir werden ein Braunes zugeteilt bekommen.«
»Aha. Hör zu, ich werde dir jetzt ein neues Wort beibringen. Es heißt Intimsphäre«. Es bezieht sich auf das menschliche Bedürfnis …«
»Wir wissen das mit der Intimsphäre.« Das Split trat betroffen zurück. »Du willst doch nicht etwa sagen, dass ein Mensch sein Fjunch(klick) aus seiner Intimsphäre ausschließt?«
Renner nickte ernst.
»Aber … aber … Renner, hast du kein Gefühl für Tradition?«
»Was meinst du?«
»Nein. Verdammt. Also gut, Renner. Wir werden hier eine Tür anbringen. Mit Schloss?«
»Mhm. Vielleicht sollte ich hinzufügen, dass die anderen vermutlich ähnlich empfinden, auch wenn sie’s nicht sagen.«
Das Bett, die Couch und der Tisch wiesen keine der bekannten Split-Verbesserungen auf. Die Matratze war ein wenig zu hart, aber das machte nichts aus. Renner warf einen Blick ins Bad und brach in Gelächter aus. Die Toilette war ein Schwerelosigkeitsmodell ähnlich wie im Kutter, nur war der Spülknopf aus Gold und als eine Art Hundekopf modelliert. Die Badewanne war — nun, sonderbar.
»Diese Badewanne muss ich ausprobieren«, sagte Renner.
»Bitte, sag mir, was du davon hältst. Wir haben ein paar Bilder von Badewannen in euren Prospekten gesehen, aber angesichts eurer Anatomie kamen sie uns lächerlich vor.«
»Stimmt. Noch nie hat jemand eine vernünftige, bequeme Badewanne erfunden. Auf diesen Bildern gab’s keine Toiletten, nicht?«
»Seltsamerweise nein.« »Hmmm.« Renner begann eine Skizze zu zeichnen. Als er fertig war, meinte sein Split. »Wie viel Wasser braucht so ein Ding eigentlich?«
»Eine ganze Menge. Zuviel für ein Raumfahrzeug.«
»Nun, wir werden sehen, was wir tun können.«
»Oh, und ihr solltet vielleicht noch eine Tür zwischen Bad und Wohnzimmer einsetzen.«
»Noch mehr Intimsphäre?«
»Genau.«
Das Abendessen an diesem Tag erinnerte an ein formelles Dinner in Sallys Heim auf Sparta, nur gab es einige seltsame Unterschiede. Die Diener — schweigend, aufmerksam, ehrerbietig — waren vielleicht anderthalb Meter große Arbeiter. Sie wurden vom Gastgeber angeleitet, den, dem Rang entsprechend, Dr. Horvaths Split spielte. Die Nahrungsmittel stammten aus den Vorräten der Mac Arthur — mit Ausnahme einer Vorspeise, einer melonenähnlichen Frucht mit einer süßen, gelben Sauce. »Wir garantieren, dass das nicht giftig ist«, sagte Renners Split. »Wir haben einige Nahrungsmittel gefunden, für die wir uns verbürgen können, und wir suchen nach weiteren. Ob es euch schmeckt, ist eine andere Frage.« Die Sauce hob den säuerlichen Geschmack der Melone auf, und die Kombination war köstlich.
»Das wäre zum Beispiel eine mögliche Handelsware«, bemerkte Bury. »Wir würden allerdings lieber die Samen importieren, nicht die Früchte selbst. Sind sie schwierig anzubauen?« »Durchaus nicht, bei geeigneten Kulturbedingungen«, sagte Burys Split.
»Wir werden Ihnen Gelegenheit geben, eine Bodenuntersuchung durchzuführen. Haben Sie sonst noch Dinge gefunden, die als Handelsobjekte in Frage kämen?«
Bury runzelte die Stirn und blickte auf seinen Teller. Niemand hatte bis jetzt eine Bemerkung über das Tafelgeschirr gemacht: Alles war aus Gold, die Teller, Besteck, selbst die Weingläser, obwohl sie die Form von dünnen Kristallgläsern hatten. Und doch konnte das Material nicht Goldsein — es war nicht wärmeleitend. Im übrigen handelte es sich um einfache Kopien des Plastikgeschirrs vom Kutter der Mac Arthur, selbst die eingeprägten Markenzeichen am Rand waren vorhanden.
Alle warteten auf seine Antwort. Die Beziehungen zwischen Splitter und Imperium würden wesentlich von den Handelsmöglichkeiten abhängen. »Während der Fahrt zum Schloss hielt ich Ausschau nach Anzeichen von Luxus. Mir ist nichts aufgefallen, das man so bezeichnen würde, wenn man von den Dingen absieht, die eigens für uns Menschen hergestellt wurden. Vielleicht habe ich eure Luxusgüter einfach nicht erkannt.«
»Ich verstehe das Wort wohl, aber es gibt bei uns kaum Luxusgüter. Wir — ich spreche natürlich für die Befehlsgeber — legen mehr Wert auf Macht, Einflussbereich, die Fortdauer eines Hauses und einer Dynastie. Wir streben danach, unseren Kindern den entsprechenden Status im Leben zu garantieren.«
Bury merkte auf. ›Wir sprechen für die Befehlsgeber.‹ Er verhandelte also mit einem Dienstboten. Nein. Einem Agenten. Das musste er im Gedächtnis behalten und sich immer überlegen, wie bindend irgendwelche Zusagen seines Fjunch(klick)s waren. Er lächelte und sagte: »Schade. Luxusgüter sind immer ideale Handelsobjekte. Ihr werdet verstehen, wie schwierig es ist, geeignete Waren zu finden, wenn ich euch sage, dass es sich zum Beispiel nicht lohnen würde, Gold von euch zu kaufen.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Wir werden zusehen müssen, dass wir etwas Wertvolleres finden.«
»Kunstgegenstände, vielleicht?«
»Kunst?«
»Erlaube«, sagte Renners Split und brach in ein schrilles Gezwitscher aus. Vielleicht zwanzig Sekunden lang sprach es sehr schnell, dann warf es einen Blick in die Runde.
»Verzeihung, aber so ging es rascher.« Burys Split sagte: »Natürlich. Ich nehme an, Sie würden die Originale haben wollen?«
»Wenn möglich.«
»Aber gewiss. Uns gilt eine Kopie ebensoviel wie das Original. Wir haben viele Museen; ich werde einige Besichtigungen organisieren.«
Es stellte sich heraus, dass auch die anderen alle mitkommen wollten.
Als Whitbread nach dem Abendessen in sein Zimmer zurückkam, brach er beinahe in Gelächter aus, als er entdeckte, dass das Bad jetzt eine Tür bekommen hatte. Sein Split bemerkte seinen Gesichtsausdruck und sagte: »Mr. Renner hatte einiges über Intimsphäre zu äußern.« Es wies mit einem Daumen auf die Tür, die jetzt die Schlafnische der Splits abgrenzte.
»Ach, die wäre nicht nötig gewesen«, meinte Whitbread. Er war es gar nicht gewöhnt, allein zu schlafen. Wenn er mitten in der Nacht aufwachte, mit wem sollte er sich unterhalten, bis er wieder einschlief?
Jemand klopfte an die Zimmertür. Raummaat Weiss — von Tabletop, wie sich Whitbread erinnerte. »Sir, könnte ich wohl mit Ihnen allein sprechen?«
»In Ordnung«, sagte Whitbreads Split und zog sich in die abgeteilte Nische zurück. Die Splits lernten sehr schnell, was es mit der Intimsphäre auf sich hatte. Whitbread winkte den Maat herein.
»Sir, wir haben gewissermaßen ein Problem«, sagte Weiss. »Das heißt, ich und Jackson. Wir sind mitgekommen, um auszuhelfen, Sie wissen ja, Gepäck tragen und Saubermachen und so.«
»Richtig. Nun, Sie werden nichts Derartiges tun müssen. Wir alle haben dazu einen Technikertyp zugeteilt bekommen.«
»Ja, Sir, aber das ist noch nicht alles. Jackson und ich, wir haben auch jeder einen Braunen bekommen. Und … und …«
»Fjunch(klick)s.«
»Genau.« »Naja, über ein paar Dinge dürfen Sie mit denen eben nicht sprechen.« Beide Maate waren im Hangardeck stationiert und würden ohnehin nicht viel über Feldtechnologie wissen.
»Ja, Sir, das wissen wir. Keine Kriegserlebnisse, nichts über die Schiffsbewaffnung oder den Antrieb.« »Sehr gut. Abgesehen davon, Weiss, habt ihr Urlaub. Ihr reist erster Klasse, mit einem Diener und einem eingeborenen Führer. Genießt es. Sagt nichts, wofür euch der Zar den Kopf abreißen würde, fragt mal lieber nicht nach dem örtlichen Vergnügungsviertel und macht euch keine Gedanken wegen der Kosten. Laßt’s euch gut gehen und hofft, dass sie euch nicht mit dem nächsten Boot wieder hinauf schicken.«
»Aye, aye, Sir.« Weiss begann zu grinsen. »Wissen Sie was, Sir? Das ist genau das, wofür ich in die Flotte eingetreten bin. Herrliche fremde Welten. Das ist’s, was sie uns im Rekrutierungsbüro versprochen haben.«
»›Goldene Städte im weiten Weltall …‹ Mir auch.«
Später stand Whitbread noch lange an dem großen Fenster. Die Stadt draußen war ein Meer von Lichtern. Die meisten der kleinen Autos waren verschwunden, doch jetzt erfüllten riesige, lautlose Lastwagen die Straßen. Die Scharen der Fußgänger waren etwas geringer geworden. Einmal sah Whitbread ein langes, dünnes Wesen, das zwischen den Weißen dahinflitzte, als stünden sie still. Dann schwenkte es um einen massigen Träger-Typ herum und war weg.
Renner war vor Tagesanbruch wach. Während er in der seltsamen Badewanne lag, wählten die Splits Kleider für ihn aus und legten sie bereit. Er gab sich damit zufrieden, denn er würde wohl nicht so bald wieder die Dienste eines nichtmilitärischen Kammerdieners genießen können. Seine Handwaffe war diskret neben den Kleidern bereitgelegt, und nach einigem Nachdenken schnallte Renner sie sich doch um — unter einer zivilen Tunika aus fantastisch schimmernden Fäden. Er wollte gar keine Waffe tragen, aber Vorschrift war Vorschrift …
Die anderen waren alle schon beim Frühstück und schauten durch die große Fensterfront dem Heraufdämmern des Morgens zu. Wie beim Sonnenuntergang war der Himmel ein Feuerwerk von Rottönen. Der Tag von Splitter Alpha war für Menschen einige Stunden zu lang. Sie konnten abends länger aufbleiben und trotzdem mit Tagesanbruch aufstehen, ohne zuwenig Schlaf zu bekommen.
Zum Frühstück gab es unter anderem große, erstaunlich eiförmige gekochte Eier. In der Schale war eine rühreiähnliche Masse, die etwas wie eine Maraschinokirsche enthielt.
Man sagte Renner, dass dieses Kirschending nicht besonders schmecke, und er versuchte es lieber nicht selbst.
»Das Museum ist nur ein paar Blocks entfernt.« Dr. Horvaths Split rieb sich eifrig die rechten Hände. »Gehen wir doch zu Fuß. Sie werden warme Kleidung brauchen, glaube ich.«
Die Splits hatten alle dasselbe Problem: Welche Hände sollten sie einsetzen, um menschliche Gesten nachzuahmen? Renner konnte sich gut vorstellen, dass Jacksons Split dabei verrückt werden würde. Jackson war Linkshänder.
Sie gingen also zu Fuß. Ein kalter Wind fegte ihnen entgegen. Die Sonne war eine große, mattleuchtende Scheibe; so früh am läge konnte man sie direkt ansehen. Zwei Meter unter ihnen brausten Scharen winziger Autos durch die Straßen. Der Geruch der Luft von Splitter Alpha sickerte unter die Filterhelme der Menschen, und auch das leise Summen der Wagen und das Geschnatter von Splitstimmen drangen hindurch.
Die Menschengruppe schritt zwischen Scharen von Splits jeglicher Färbung dahin — aber man beachtete sie nicht. Dann kam ein Trupp weißpelziger Spaziergänger und blieb stehen, um sie in Augenschein zunehmen. Die Splits unterhielten sich mit melodischem Gezwitscher und starrten die Menschen neugierig an.
Bury schien sich ungemütlich zu fühlen; soweit es möglich war, hielt er sich in der Mitte der anderen. Er fürchtet wohl, dass ihm die Blicke was antun, dachte Renner. Der Chefnavigator stellte fest, dass er selbst von einem recht deutlich schwangeren, weißen Split begutachtet wurde; das Kind war eine kugelige Wölbung oberhalb des komplizierten Rumpfgelenks. Renner grinste das Split an, hockte sich hin und wandte ihm (eigentlich ihr) den Rücken zu. Sein Fjunch(klick) trillerte leise, worauf das Weiße näher herankam, und bald betasteten ein Dutzend kleine Hände von einem halben Dutzend weißen Splits Renners Wirbelsäule.
»Richtig! Ein bisschen tiefer«, sagte Renner. »Gut, genau da kratzen. Mmmmmm.« Als die Weißen weitergegangen waren, streckte Renner seine langen Beine und beeilte sich, die anderen einzuholen. Sein Split trabte nebenher. »Ich hoffe, dass ich nie deine Respektlosigkeit lerne«, sagte das Fjunch (klick).
»Weshalb nicht?« erkundigte sich Renner ernsthaft.
»Wenn ihr fort seid, werden wir andere Aufgaben erhalten. Aber mach dir keine Sorgen.
Wenn du es fertig bringst, deine militärischen Vorgesetzten zufrieden zustellen, wird es mir wohl auch nicht schwer fallen, unsere Befehlsgeber zumindest nicht zu verärgern.«
Er sagte das mit einem fast sehnsüchtigen Unterton, fand Renner — aber er war sich seiner Sache nicht sicher. Wenn es bei den Splits überhaupt ein Mienenspiel gab, so hatte noch kein Mensch gelernt, es zu interpretieren.
Das Museum lag noch ein Stück weiter voraus. Wie alle anderen Gebäude war es ein massiger Klotz von Bau, nur die Front bestand aus Glas oder einem ähnlichen Material.
»Wir haben viele Orte, die man mit eurem Wort ›Museum‹ bezeichnen könnte«, erklärte Horvaths Split eben, »in dieser und in anderen Städten. Dieses lag am nächsten und beschränkt sich auf Malerei und Plastik.«
Ein Riese tauchte vor ihnen auf, drei Meter groß — und die Last auf seinem Kopf machte noch einen weiteren Meter aus. Es war ein Weibchen, wie Renner an der flachen, hochliegenden Wölbung des Leibes erkannte. Die Augen hatten den sanften Blick eines Tieres, ohne Begreifen, ohne Bewusstsein. Das Wesen passierte die Gruppe, ohne seinen Schritt zu verlangsamen.
»Eine Schwangerschaft scheint die Splits nicht irgendwie zu behindern«, stellte Renner fest.
Braun-weiße Köpfe und Oberkörper wandten sich nach ihm um. Renners Split sagte:
»Nein, natürlich nicht. Weshalb sollte eine Schwangerschaft etwas ausmachen?«
Sally Fowler nahm es auf sich, das zu erklären. Sie versuchte, ihnen vorsichtig beizubringen, wie hilflos und schwerfällig schwangere Menschenfrauen waren. »Das ist ein Grund, warum sich bei uns immer wieder männlich orientierte Kulturen entwickeln.
Und …« Sie war noch immer bei ihrem Vortrag über Probleme der Geburt, als man das Museum erreichte.
Der Türstock reichte Renner gerade bis zur Nasenwurzel. Die Decke der Räume war etwas höher; er streifte mit den Haaren daran. Dr. Horvath musste den Kopf einziehen.
Die Beleuchtung war ein bisschen zu gelb. Und die Gemälde hingen ein Stück zu tief.
Die Bedingungen für eine gemütliche Besichtigung waren das nicht. Abgesehen davon wirkten die Farbtöne der Malereien irgendwie falsch und passten überhaupt nicht zusammen. Dr. Horvath und sein Split waren in angeregte Unterhaltung vertieft, seit er erklärt hatte, dass Blau plus Gelb dem menschlichen Auge als Grün erscheint. Die Augen der Splits waren ähnlich wie die von Menschen (oder von Kraken, wenn man es genau nahm) gebaut: ein Augapfel, eine adaptierbare Linse und Rezeptoren, die den Sehnerven die optischen Reize zuführten. Nur waren die Rezeptoren anders geartet.
Trotzdem waren die Gemälde eindrucksvoll. Im Hauptsaal, der etwa drei Meter hoch war und größere Bilder enthielt, blieb die Gruppe vor einer sehr realistischen Straßenszene stehen. Ein Braun-Weißes war auf ein Auto geklettert und sprach offenbar zu einer Menge von Braunen und Braun-Weißen. Der Hintergrund loderte rot — der Himmel eines Sonnenuntergangs? In allen Mienen stand dasselbe ausdruckslose Lächeln, aber Renner glaubte, irgendwie eine gewalttätige Stimmung zu entdecken und schaute sich das Bild genauer an. Viele in der Menge trugen Werkzeuge, die sie aber immer in der linken Hand hielten, und viele Werkzeuge waren beschädigt oder zerbrochen. Die Stadt selbst brannte.
»Es heißt ›Kehrt an eure Aufgaben zurück‹. Ihr werdet sehen, dass das Motiv des Großen Narren des öfteren wiederkehrt«, sagte Sallys Split. Es ging weiter, bevor die Menschen es um eine genauere Erklärung bitten konnten.
Das nächste Bild der Reihe zeigte einen neuen Split-Typ: groß und schlank, mit kleinem Kopf und langen Beinen. Das Wesen rannte aus einem Wald heraus auf den Betrachter zu. Sein Atem wehte als dampfweiße Fahne hinter ihm her. »Ein Nachrichtenläufer«, sagte Hardys Split.
Das darauffolgende Gemälde stellte wiederum eine Szene im Freien dar: Vielleicht zwei Dutzend Braune und Weiße, die um ein loderndes Lagerfeuer saßen und aßen. Aus dem Dunkel ringsum glommen rötlich die Augen von Tieren. Die Landschaft war rötlich düster, und am Himmel stand Murchesons Auge vor der Schwärze des Kohlensacks.
»Ihr wisst nicht, was sie denken und fühlen, wenn ihr sie anseht, oder? Das haben wir befürchtet«, meinte Horvaths Split. »Was … nichtverbale Kommunikation betrifft, so sind unsere Symbole völlig anders.« »Kann ich mir vorstellen«, sagte Bury. »Diese Bilder hätten einen gewissen Verkaufswert, aber keinen besonderen. Sie wären nur Kuriositäten … als solche einigermaßen wertvoll, wenn man den großen potentiellen Markt und ihre relative Seltenheit in Betracht zieht. Aber für uns haben sie keine Aussage. Wer hat sie gemalt?«
»Dieses hier, nun, das ist ziemlich alt. Sie sehen ja, dass es auf die Wand des Gebäudes gemalt wurde, und …«
»Aber von welcher Art Split? Von Braun-Weißen?«
Die Splits stimmten ein nicht gerade höfliches Gelächter an. Bury s Split sagte: »Sie werden nie irgendein Kunstwerk finden, das nicht von einem Braun-Weißen geschaffen wurde. Kommunikation ist unsere Spezialität. Kunst ist Kommunikation.«
»Hat ein Weißes niemals etwas zu sagen?«
»Aber selbstverständlich. Aber es hat einen Vermittler, der für es sagt, was zu sagen ist.
Wir übersetzen, wir interpretieren, wir sorgen für Verständigung. Viele dieser Gemälde sind visuell ausgedrückte Argumente.«
Weiss war am Rande der Gruppe mitgewandert und hatte nicht ein einziges Mal den Mund aufgetan. Renner wurde aufmerksam. Leise fragte er den Maat: »Möchten Sie was dazu sagen?«
Weiss kratzte sich am Kinn. »Sir, ich bin seit der Schule in keinem Museum mehr gewesen … aber, sollen nicht manche Bilder — ich meine, werden nicht manche Bilder gemalt, nur um einfach hübsch zu sein?«
»Hm.«
In all den Sälen, die Gemälde enthielten, gab es nur zwei Porträts. Beide zeigten Braun Weiße, vom Oberkörper aufwärts. Bei den Splits drückte offenbar die Miene nichts aus, der Körper dafür ungleich viel mehr als beim Menschen. Das Licht in beiden Porträts war ziemlich eigenartig, und die Arme der Splits waren seltsam verzerrt dargestellt. Renner fand, dass sie irgendwie bösartig wirkten.
»Böse? Nein!« sagte Renners Split. »Dieses hier hat den Anstoß zum Bau der Narren-Sonde gegeben, und dieses hat eine universelle Sprache geschaffen, vor langer Zeit.«
»Wird sie noch gesprochen?«
»Gewissermaßen ja. Aber sie hat sich natürlich zersplittert, wie es mit Sprachen immer geschieht. Sinclair und Potter und Bury sprechen nicht dieselbe Sprache wie du.
Manchmal sind die Laute ähnlich, aber die nichtverbalen Symbole sind ganz anders.«
Renner holte Weiss am Eingang des Skulpturensaals ein. »Sie haben recht. Im Imperium gibt es jede Menge Bilder, die einfach nur schön sein sollen. Hier nicht. Ist Ihnen der Unterschied aufgefallen? Keine Landschaft ohne Splits, die irgend etwas tun.
Fast keine Porträts, und die zwei waren verdammt tendenziös. Genaugenommen hat eigentlich alles hier irgendeine Tendenz.« Er wandte sich an sein Split. »Hab’ ich nicht recht? Die Bilder, auf die du uns aufmerksam gemacht hast — die gemalt wurden, bevor ihr die photographische Kamera erfunden hattet. Das waren keine wirklichkeitsgetreuen Darstellungen.«
»Renner, weißt du, wie viel Arbeit in einem Gemälde steckt?« »Ich hab’s nie ausprobiert. Aber ich kann es mir vorstellen.« »Wie kannst du dann annehmen, dass sich jemand soviel Mühe macht, wenn er nichts zu sagen hat?«
»Und wenn er sagen wollte, naja, ›Berge sind schön‹, oder so was?« meinte Weiss.
Renners Split zuckte die Achseln.
Die Plastiken waren besser als die Malereien. Hier spielte die verschiedene Farb- und Lichtwahrnehmung keine Rolle. Die meisten Skulpturen stellten Splits dar, aber sie waren mehr als Porträts. Eine Reihe von immer kleineren Splits: ein Träger, drei Weiße, neun Braune, siebenundzwanzig Minis? Nein, alle Figuren waren aus weißem Marmor, und alle hatten den Körperbau der sogenannten Befehlsgeber. Bury betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene und sagte: »Mir fällt eben ein, dass ich Interpretationen all dieser Kunstwerke brauche, bevor ich sie irgend jemandem verkaufen oder auch nur schenken könnte.«
»Unbedingt«, sagte Burys Split. »Diese Plastik zum Beispiel symbolisiert eine Art Religion des vorigen Jahrhunderts. Die Seele eines Elternwesens teilt sich auf die Kinder auf, und wiederum auf die Enkelkinder und so fort ohne Ende.«
Die nächste Plastik war aus rötlichem Sandstein und stellte eine Gruppe von Splits mit langen, schlanken Fingern dar — und die linke Hand hatte zu viele Finger, der linke Arm war ungewöhnlich klein. Ärzte? Sie wurden von einem Faden aus grünem Glas niedergemäht: eine Laserwaffe, von einer nicht dargestellten Person geführt. Die Splits wollten nicht mit ihren menschlichen Begleitern darüber sprechen. »Ein unangenehmes Ereignis aus unserer Geschichte«, sagte Burys Split, und mehr war nicht heraus zubekommen.
Eine andere Plastik zeigte eine Kampfszene zwischen ein paar marmornen Weißen und einem Trupp roter Sandsteingestalten von unbekanntem Typ. Die Roten waren hager und wirkten gefährlich mit ihren scharfen Klauen und Zähnen. Im Zentrum des Getümmels stand eine seltsame Maschine. »Das hier ist recht interessant«, sagte Renners Split. »Der Brauch bestimmt, dass ein Vermittler — einer von unserem Typ — jedes wie immer geartete Transportmittel von einem Befehlsgeber verlangen kann, wenn er es braucht. Vor langer Zeit benutzte ein Vermittler seine Autorität, um den Bau einer Zeitmaschine zu befehlen. Ich kann euch die Maschine zeigen, wenn ihr die Reise auf euch nehmen wollt. Sie befindet sich auf der anderen Seite dieses Kontinents.«
»Eine funktionierende Zeitmaschine?«
»Keine funktionierende, Jonathon. Sie wurde nie fertig gestellt. Der Meister jenes Vermittlers wurde durch dieses verrückte Projekt mittellos.«
»Oh.« Whitbread war sichtlich enttäuscht. »Sie wurde nie getestet«, meinte das Split.
»Vermutlich war schon die Theorie nicht richtig.«
Die Maschine schaute aus wie ein kleines Zyklotron mit einer Kabine im Inneren … irgendwie wirkte sie beinahe plausibel, fast wie ein Langston-Feld-Generator.
»Ihr interessiert mich immer mehr«, sagte Renner zu seinem Split. »Stimmt es wirklich, dass ihr jederzeit jedes Transportmittel requirieren könnt?«
»Es stimmt. Unsere Hauptbegabung ist Kommunikation, unsere Hauptaufgabe dagegen, Kämpfe zu verhindern. Sally hat uns von euren — sagen wir — arteigenen Problemen berichtet, die mit Waffen bereinigt werden, und von der Rolle des Unterwerfungsreflexes, den verschiedenen Formen des Befriedungsverhaltens. Unsere Spezies hat dafür einen eigenen, nur darauf spezialisierten Typ entwickelt — uns Vermittler. Wir können den Standpunkt eines Individuums einem anderen verständlich machen. Verständigungsschwierigkeiten können manchmal gefährliche Dimensionen annehmen — meist kurz vor einem Krieg. So oft, dass man eigentlich nicht mehr an einen Zufall glauben kann. Wenn zumindest einer von uns immer ein Transportmittel oder auch nur ein Telefon oder Funkgerät zur Verfügung hat, werden Kriege unwahrscheinlich.«
Bei den Menschen gab es einige betroffene, nachdenkliche Mienen. »Fantastisch«, sagte Renner, und: »Ich frag mich, ob ihr die Mac Arthur requirieren könntet.«
»Nach Tradition und Gesetzeslage, ja. Praktisch gesehen ist das eine blöde Frage.«
»Na gut. Diese kämpfenden Wesen rund um die Zeitmaschine …«
»Legendäre Dämonen«, erklärte Burys Split. »Sie verteidigen die Struktur der Realität.«
Renners Split schwieg.
Renner erinnerte sich an uralte Gemälde von der Erde, aus Spanien vermutlich, die aus der Zeit stammten, da in Europa die Pest herrschte. Die Bilder zeigten Lebende, Männer und Frauen, die von aus den Gräbern gestiegenen, bösartigen Toten angegriffen wurden. Neben den weißen Splits wirkten diese roten Sandsteinwesen schaurig hager und knochig, und ihr Hass war fast greifbar.
»Und wozu die Zeitmaschine?« »Dieser Vermittler war der Ansicht, dass ein bestimmtes Ereignis in der Geschichte auf einem Verständigungsfehler beruhte. Er beschloss, den Fehler zu korrigieren.« Renners Split zuckte die Achseln — eine Geste, die mehr mit den Oberarmen als mit den Schultern ausgeführt wurde, denn ein Split konnte die Schultern nicht richtig heben. »Ein Großer Narr. Auch die Narren-Sonde war so ein Projekt. Vielleicht nicht ganz so aussichtslos. Ein Himmelsbeobachter fand Anzeichen dafür, dass es auf einer Welt eines nahen Sterns Leben geben müsse. Sofort beschloss dieser Große Narr, einen Kontakt mit diesen Wesen herzustellen. Ein ungeheures finanzielles und industrielles Potential wurde auf sein Projekt verschwendet, in einem solchen Maße, dass die gesamte Zivilisation davon beeinflusst wurde. Er brachte es so weit, dass seine Sonde tatsächlich gebaut wurde, und angetrieben von einem Lichtsegel und einer Batterie von Lasergeschützen …«
»Von hier an kommt mir die Sache bekannt vor.«
»Also — die Narrensonde wurde viel später wirklich gestartet, mit einem anderen Piloten. Wir nehmen an, dass ihr ihre Bahn zurückverfolgt habt.«
»So war es. Leider war die Besatzung tot, aber die Kapsel hat uns erreicht, der Kontakt wurde hergestellt. Warum nennt ihr sie da immer noch Narren-Sonde? — Ach lass nur«, sagte Renner. Sein Split lachte in sich hinein, so gut eben Splits lachen konnten.
Vor dem Museum warteten wieder zwei große, geschlossene Wagen auf die Gruppe.
Eine eigens konstruierte Treppe führte hinunter zum Straßenniveau. Winzige Zweisitzer kurvten um das Hindernis herum, ohne auch nur langsamer zu werden, und ohne es je zu streifen.
Staley blieb unten an der Treppe unvermittelt stehen. »Mr. Renner! Sehen Sie doch!«
Renner blickte sich um. Einer der Kleinwagen war unmittelbar an der Mauer eines großen, nichtssagenden Gebäudes stehen geblieben — es gab keinerlei Randstein. Der braune Fahrer und sein weißpelziger Passagier stiegen aus, und der Weiße verschwand mit einiger Eile um die Ecke. Der Braune löste zwei versteckte Hebel an der Vorderseite und stemmte sich dann gegen das Auto. Es klappte zusammen wie eine Ziehharmonika, zu einem Paket von kaum einem halben Meter Dicke, das den Menschen wie Schrott vorkam. Das braune Split drehte sich um und folgte seinem weißen Meister.
»Die Dinger sind zusammenklappbar!« rief Staley überrascht.
»Aber natürlich«, antwortete Renners Split. »Stellt euch bloß die Verkehrsstauung vor, die es gäbe, wenn man sie nicht kleiner machen könnte! Kommt, steigt ein.«
Sie stiegen ein, und Renner erklärte: »Ich würde nicht mal für einen Tagesverdienst von Bury in einer dieser kleinen Mausefallen mitfahren.«
»Oh, die sind durchaus sicher. Das heißt«, meinte Renners Split, »nicht das Auto ist zuverlässig, sondern der Fahrer. Erstens haben die Braunen kaum territoriale Instinkte, sind also nicht aggressiv. Zweitens basteln sie dauernd an den Autos herum, deshalb wird nie etwas nicht funktionieren.«
Die großen Limousinen fuhren los. Beim Museum tauchten Braune auf und begannen die Treppe abzubauen.
Die Gebäude waren weiterhin nichts als schmucklose, große, rechteckige Klötze. Die Straßen waren in einem streng rechtwinkligen Gitter angelegt. Horvath fand, dass diese Stadt eine künstlich geschaffene sein musste, keine natürlich gewachsene. Irgend jemand hatte sie von einem Ende zum anderen geplant und dann frisch drauflos gebaut.
Waren alle Städte so? Diese hier zeigte keine Spuren des ewigen Verbesserungstriebes der Braunen.
Oder doch? Nicht bei grundlegenden Dingen, aber zum Beispiel bei Einzelheiten wie der Straßenbeleuchtung. In manchen Gegenden gab es breite Lumineszenzstreifen an den Häuserwänden. Andernorts bestand die Beleuchtung aus schwebenden Ballonlampen, die der Wind jedoch nicht forttragen konnte. Wieder anderswo zogen sich Leuchtröhren an den Straßenrändern oder am Mittelstreifen entlang, oder die Beleuchtung war tagsüber gar nicht zu erkennen.
Und dann diese kleinen Schachtelautos — jedes war ein bisschen anders, im Bau der Scheinwerfer vielleicht oder in den Spuren von Ausbesserungsarbeiten oder in der Art, wie sie zusammenklappten.
Die Limousinen hielten an. »Wir sind da«, verkündete Horvaths Split. »Hier ist der Zoo.
Das Lebensformenreservat, genauer gesagt, denn ihr werdet feststellen, dass hier mehr für die Bequemlichkeit der ›Bewohner‹ Sorge getragen wurde als für die der Besucher.«
Horvath und die anderen sahen sich ratlos um. Überall nichts als massige, quaderförmige Bauten, kein Freiland, nichts auch nur entfernt Zooähnliches.
»Hier links. Dieses Gebäude hier! Warum sollte ein Zoo nicht in einem Gebäude errichtet werden?«
Der ›Zoo‹ war ein sechsstöckiges Gebäude, dessen Räume für Splitbegriffe außergewöhnlich hoch waren. Genaugenommen war es schwer zu sagen, wie hoch die Räume wirklich waren. Die Decke schaute wie freier Himmel aus. Im ersten Stockwerk war es ein heiterer blauer Himmel mit kleinen, dahintreibenden Wolken und einer Sonne, deren Stand frühen Nachmittag anzeigte.
Die Besucher wanderten durch einen schwülen Dschungel, dessen Charakter sich von einem Meter zum anderen änderte. Die Tiere kamen nicht an sie heran, obwohl keiner der Menschen erkennen konnte, weshalb nicht. Die Wesen schienen sich auch nicht irgendwie eingesperrt zu fühlen.
Einer der Bäume schaute aus wie ein riesiger Ochsenziemer, der mit dem Griff in der Erde steckte. Der eine, armdicke, lianenartige Trieb wickelte sich um den Stamm.
Büschel von runden Blättern sprossen aus dem dünneren Teil. Ein Tier, das wie ein großes, plattfüßiges Split aussah, stand daneben und glotzte Whitbread an. Es hatte scharfe, gekrümmte Klauen an den beiden rechten Händen, und kräftige Hauer ragten aus dem Maul. »Das war eine Abart des Träger-Typus«, erklärte Horvaths Split, »aber diese Tiere konnten nie richtig gezähmt werden. Die Gründe sind wohl offensichtlich.«
»Diese künstlichen Lebensräume sind fantastisch!« begeisterte sich Horvath. »Ich habe nie etwas Perfekteres gesehen. Ich verstehe nur nicht, warum nicht ein Teil des Zoos einfach im Freien errichtet wurde. Wozu ein künstliches Habitat schaffen, wenn die passende Umwelt von Natur aus vorhanden ist?«
»Ich weiß auch nicht genau, warum man dazu übergegangen ist. Es hat sich jedenfalls als recht praktisch erwiesen.«
Im zweiten Stock war eine trockene Sandwüste geschaffen worden. Die Luft war angenehm warm, der künstliche Himmel blassblau, und gegen den perfekt vorgetäuschten Horizont ging er in ein gelbliches Braun über. Fleischige, dornenlose Pflanzen wuchsen im Sand. Manche hatten die Form dicker Seerosenblätter. Viele wiesen Fraßspuren auf. Nach einer Weile stießen die Besucher auf das Wesen, von dem die Spuren stammten. Es schaute aus wie ein nackter, weißer Biber mit breiten, vorstehenden Zähnen und musterte sie friedfertig, als sie vorübergingen.
Im dritten Stockwerk regnete es anscheinend unablässig. Scheinbar Meilen entfernt zuckten Blitze über den Himmel. Die Menschen lehnten es ab, diese Halle zu besichtigen, weil sie keinerlei Regenschutz mitgenommen hatten. Die Splits nahmen es halb entschuldigend, halb verstimmt auf. Es war ihnen gar nicht eingefallen, dass der Regen die Menschen stören könnte; sie selber mochten Regen gern.
»Das wird uns immer wieder passieren«, meinte Whitbreads Split. »Wir studieren euch, aber wir lernen euch nie ganz kennen. Schade, hier entgehen euch einige sehr interessante Pflanzenformen, abgesehen von den Tieren. Vielleicht an einem anderen Tag, wenn sie den Regen abgestellt haben …« Das vierte Stockwerk enthielt im Gegensatz zu den anderen keine Wildnis. Auf den vorgetäuschten Hügeln in der Ferne gab es sogar kleine, runde Häuser. Auf den niedrigen, schirmförmigen Bäumen wuchsen rote und lila Früchte unter dem flachen, grünen Blätterdach. Unter einem der Bäume standen ein paar Proto-Splits. Sie waren klein, rundlich, fast untersetzt, und ihre rechten Arme schienen verkümmert zu sein. Sie musterten die Besuchergruppe mit traurigen, glänzenden Augen, dann langte das eine nach einer lila Frucht. Sein linker Arm war gerade lang genug.
»Noch ein unbrauchbares Mitglied unserer Spezies«, sagte Horvaths Split. »Jetzt längst ausgestorben, außer in den Lebensformreservaten.« Das Split schien sie weiterdrängen zu wollen. Schließlich fanden sie in einem Melonenbeet ein zweites Paar von den Wesen — es waren die gleichen Früchte, wie es sie zum letzten Abendessen gegeben hatte, stellte Hardy fest.
Auf einer größeren Wiese weidete friedlich eine Familie von zottigen Wesen mit Hufen; eines allerdings hielt Wache und ließ die Besucher nicht aus den Augen.
Eine Stimme hinter Whitbread bemerkte: »Du bist enttäuscht. Weshalb?«
Whitbread drehte sich überrascht um. »Enttäuscht? Nein! Ich finde es sehr interessant.«
»Mein Fehler«, sagte Whitbreads Fjunch(klick). »Vielleicht sollte ich mich mal mit Mr.
Renner unterhalten. Kommst du mit?«
Die Gruppe hatte sich etwas zerstreut. Hier konnte man sich unmöglich verirren, und alle genossen es, nach langer Zeit wieder einmal Gras unter den Füßen zu haben: lange, eingeringelte, blaugrüne Halme, ein ungewöhnlich federnder Rasen, der den lebenden Teppichen in den Häusern der Aristokraten und wohlhabenderen Handelsleute glich. Renner blickte sich neugierig um, als er merkte, dass man etwas von ihm wollte.
»Mr. Renner, mir kommt es vor, als ob Sie irgendwie enttäuscht über unseren Zoo wären.«
Whitbread erwartete mit Unbehagen die Antwort des Navigators. Renner zog die Brauen zusammen. »Hmja, und ich hab’ mir schon überlegt, weshalb. Ich sollte gar nicht so fühlen. Wir bekommen hier eine fremde Welt auf kleinstem Raum vorgeführt, aber — Whitbread, ist es Ihnen auch aufgefallen?«
Whitbread nickte widerstrebend.
»Das ist es eben! Eine fremde Welt, für uns sehr bequem in ein Gebäude zusammen gefasst. Wie viele Zoos auf wie vielen Welten haben Sie schon gesehen?«
Whitbread zählte in Gedanken zusammen. »Sechs, einschließlich der Erde.«
»Ja, und alle waren so wie dieser, nur dass hier die Illusion des offenen Raums perfekter ist. Und wir haben etwas erwartet, das um Größenordnungen anders ist. Ist es aber nicht. Es ist einfach wieder eine neue fremde Welt, wenn man von den intelligenten Splits absieht.«
»Warum sollte hier alles so anders sein?« meinte Whitbreads Split, und in seiner Stimme lag vielleicht ein Unterton von Bedauern. Die Menschen mussten daran denken, dass die Splits niemals eine fremde Welt mit fremden Lebewesen gesehen hatten. »Es tut mir jedenfalls leid, dass ihr enttäuscht seid«, sagte das Split. »Staley unterhält sich prima. Und Sally und Dr. Hardy auch, aber für die hat das natürlich berufliches Interesse.«
Das nächste Stockwerk war ein Schock für die Menschen.
Dr. Horvath trat als erster aus dem Lift — und blieb wie angewurzelt stehen. Er sah eine normale Straße einer Split-Stadt vor sich. »Ich fürchte, wir haben die falsche … Tür …« Er verstummte. Einen Moment lang glaubte er, dass ihm sein Hirn einen Streich spielte.
Die Stadt war verlassen. Einige Autos waren auf den Straßen zu sehen, aber es waren Wracks, und einige schienen ausgebrannt zu sein. Etliche Gebäude waren zusammengebrochen, Schuttberge verlegten die Straße. Ein Schwärm flinker, schwarzer Wesen huschte auf ihn zu, schwenkte pfeifend ab und verlor sich in den dunklen Ritzen geborstenen Mauerwerks. Binnen Sekunden war von dem Spuk nichts mehr zu sehen.
Horvath spürte, dass es ihn kalt überlief. Als ihn eine pelzige kleine Hand am Ellbogen berührte, zuckte er zusammen.
»Was ist los, Doktor? Sie haben doch sicher auch Tiere, die sich dem Stadtleben angepasst haben?«
»Nein«, sagte Horvath.
»Ratten«, meinte Sally Fowler. »Und dann gibt es eine Art Läuse, die nur auf Menschen lebt. Das ist aber schon alles, glaube ich.«
»Wir haben ziemlich viele Arten«, sagte Horvaths Split. »Vielleicht können wir euch einige zeigen … sie sind allerdings recht scheu.«
Aus einiger Entfernung waren die kleinen, schwarzen Tiere nicht von Ratten zu unterscheiden. Hardy machte ein Foto von einem Schwärm, der aufgeregt in den Ruinen Deckung suchte. Er hoffte, später auf einer Vergrößerung mehr zu sehen.
Weiters gab es ein großes, flaches Wesen, das sie erst bemerkten, als sie ganz nahe herangekommen waren. Es zeigte Färbung und Muster der Mauer, an die es sich presste.
»Wie ein Chamäleon«, meinte Sally und musste daraufhin natürlich erklären, was ein Chamäleon war.
»Da ist noch eins«, sagte Sallys Split. Es zeigte auf ein betonfarbenes Exemplar, dass an einer grauen Mauer klebte. »Versucht nicht, es aufzuscheuchen. Es hat unangenehme Zähne.«
»Woher ernähren sie sich?«
»Aus Dachgärten. Obwohl diese Sorte auch Fleisch frisst. Und eine insektenfressende Art gibt es auch …« Das Split führte die Gruppe aufeinen Dachgarten — die Dächer dieser Pseudostadt lagen allerdings kaum mehr als zwei Meter über dem Straßenniveau. Verwilderte Getreidepflanzen und Obstbäume wuchsen dort, und die Besucher bekamen ein kleines, armloses Zweibeinerwesen zu sehen, das seine eingerollte Zunge über einen Meter weit herausschießen lassen konnte. Es schaute aus, als hätte es das Maul voller Walnüsse.
Im sechsten Stockwerk schlug ihnen eisige Kälte entgegen. Der Himmel war von einem bleiernen Grau. Schneeschauer fegten über eine scheinbar endlose, vereiste Tundra.
Hardy wollte sich genauer umsehen, da es in dieser kalten Hölle etliches an Leben gab: Büsche und winzige verkrüppelte Bäume wuchsen durch das Eis, an denen ein großes, friedfertiges Wesen knabberte, eine Art Riesenkaninchen mit Schneeschuhpfoten und Tellerohren, aber ohne Vorderbeine. Die anderen mussten beinahe Gewalt anwenden, um Hardy hinauszubekommen; in seinem wissenschaftlichen Eifer hätte er auch Erfrieren in Kauf genommen.
Im Schloss erwartete sie bereits das Abendessen: Lebensmittel vom Schiff, aber auch Scheiben von einem flachen, grünen Kaktus, der vielleicht einen dreiviertel Meter Durchmesser hatte und ungefähr drei Zentimeter dick war. Das Innere, ein rotes Gallert, schmeckte fast fleischähnlich. Renner fand es durchaus genießbar, während die anderen es nicht einmal hinunterbrachten. Auf die anderen Gänge stürzten sie sich wie die Verhungernden und unterhielten sich angeregt zwischen den Bissen und bei mitunter ziemlich vollem Mund. Offenbar hatte der ungewohnt lange Tag sie so hungrig gemacht.
Als die Unterhaltung schließlich etwas abflaute, sagte Renners Split: »Wir haben eine ungefähre Vorstellung davon, was Touristen in einer fremden Stadt sehen wollen zumindest, soweit wir das euren Reisefilmen entnehmen konnten. Museen.
Regierungsgebäude. Denkmäler. Architektonische Sehenswürdigkeiten. Vielleicht noch Geschäfte und Nachtlokale. Vor allem aber das Leben der Einheimischen.« Das Split machte eine bedauernde Geste. »Einiges davon mussten wir streichen. Wir haben keine Nachtlokale. Zu wenig Alkohol hat keinerlei Wirkung auf uns. Zu viel bringt uns um. Ihr werdet Gelegenheit bekommen, unsere Musik zu hören, aber offen gesagt, sie wird euch nicht gefallen.
Die Regierung besteht aus Vermittlern, die sich für ihre Besprechungen an irgendeinem Ort treffen können. Die Befehlsgeber wohnen, wo sie wollen, und fühlen sich im allgemeinen an die Übereinkommen ihrer Vermittler gebunden. Von unseren Denkmälern werdet ihr einige zu sehen bekommen. Was unsere Lebensweise angeht, so beschäftigt ihr euch ja schon von Anfang an damit.«
»Wie steht es mit der Lebensweise von einem Weißen?« fragte Hardy. Dann musste er plötzlich gähnen, dass ihm die Kiefer knackten.
»Er hat recht«, warf Hardys Split ein. »Es müsste möglich sein, die Residenz eines Befehlsgebers zu besichtigen. Vielleicht bekommen wir die Erlaubnis …« Das Split brach in ein helles Geschnatter aus.
Die anderen Fjunch(klick)s schienen zu überlegen. Sallys Split sagte schließlich: »Wir werden ja sehen. Jetzt aber bin ich für Feierabend.«
Den Menschen machte der geänderte Tagesrhythmus sichtlich zu schaffen. Die Doktoren Horvath und Hardy gähnten mehrmals, rieben sich die Augen, erstaunt, dass sie so plötzlich schläfrig geworden waren, und verabschiedeten sich. Bury war noch erstaunlich munter. Renner hätte gerne gewusst, welche Rotationsperiode seine Heimatwelt hatte. Er selber war lange genug im Raum herumgegondelt, um sich jeder Tageseinteilung anpassen zu können.
Aber die Gesellschaft war schon im Aufbruch begriffen. Sally sagte allen gute Nacht und wankte hinaus. Renner schlug vor, noch Volkslieder zu singen, stieß damit aber auf wenig Sympathie und gab es auf.
Eine Wendeltreppe führte in den Turm hinauf. Seiner Neugier nachgebend, bog Renner in einen Seitengang ab. Als er an eine Luftschleuse kam, wurde ihm klar, dass dieser Gang auf den Rundbalkon hinausführte, der den Turm als schmaler Mauervorsprung umgab. Renner legte keinen Wert auf eine Kostprobe der Luft von Splitter Alpha und fragte ’sich, ob der Balkon überhaupt zur Benutzung gedacht war. Dann brachte ihn die Vorstellung des schlanken Turms mit dem Ringbalkon auf den Gedanken, dass die Splits vielleicht mit Freudschen Symbolen zu spielen begannen. Durchaus möglich. Er kehrte um und wanderte in sein Zimmer.
Renner glaubte zuerst, in den falschen Raum geraten zu sein. Das Farbschema war verblüffend: Orange und Schwarz anstelle der blassen Brauntöne, die das Zimmer noch am Morgen gezeigt hatte. Der Druckanzug an der Wand war jedoch seiner, mit Rangabzeichen und Namensplakette auf der Brust. Er schaute sich um und versuchte sich klar zu werden, ob ihm die Änderung gefiel.
Aber nicht allein das war geändert — nein, der Raum war jetzt wesentlich wärmer.
Gestern Abend hatte er etwas gefroren. Ein Gedanke kam ihm — er ging hinüber und schaute in die Schlafkammer der Splits. Jawohl, es war ausgesprochen kühl darin.
Renners Split lehnte in der Tür und beobachtete ihn mit dem üblichen leichten Lächeln.
Renner grinste beschämt und setzte seine Inspektionsrunde fort.
Das Badezimmer — die Toilette war jetzt anders. Ziemlich so, wie er skizziert hatte.
Nein, doch nicht, es war kein Wasser darin. Und kein Spülmechanismus war zu entdecken.
Zum Kuckuck, es gab wohl nur eine Methode, ein Klo zu testen.
Als er wieder hineinschaute, war das Becken blitzsauber. Er leerte ein Glas Wasser hinein und sah zu, wie es abfloss, ohne einen Tropfen zu hinterlassen. Das Becken besaß eine reibungsfreie Oberfläche.
Muss Bury davon erzählen, dachte er. Es gab Stützpunkte auf luft- und wasserlosen Monden, und Welten, auf denen Wasser oder die Energie für seine Wiederaufbereitung kostbar war. Morgen. Jetzt war er viel zu schläfrig.
Die Rotationsperiode von Levant betrug 28 Stunden und 40,2 Minuten. Bury hatte sich zwar mittlerweile recht gut an den Standardtag auf der Mac Arthur gewöhnt, aber es ist immer einfacher, sich auf längere als auf kürzere Tage einzustellen. Er wartete in Gedanken versunken, während sein Fjunch(klick) ihren Braunen um Kaffee schickte. Er begann Nabil zu vermissen … und fragte sich gleich darauf, ob das braune Split nicht noch andere von Nabils Fähigkeiten besaß. Er hatte schon die Braun-Weißen schwer unterschätzt, vor allem, was ihre Macht betraf. Anscheinend konnte sein Split jedes Fahrzeug auf Splitter Alpha requirieren, ob es nun schon gebaut war oder nicht; trotzdem war es nur Agent für jemanden, den Bury nie zu Gesicht bekommen hatte. Die Situation war ziemlich undurchschaubar.
Der Braune kam mit Kaffee und einem zweiten Gefäß zurück, das eine blassbraune Flüssigkeit enthielt, die nicht dampfte. Ob das giftig ist? fragte er sich.
»Ziemlich sicher«, sagte sein Fjunch(klick) auf seinen fragenden Blick hin. »Die Verunreinigungen könnten dir schaden, oder die Bakterien. Es ist Wasser von draußen.«
Es war nicht Burys Gewohnheit, zu schnell auf das Geschäft zu sprechen zu kommen.
Ein übereifriger Geschäftsmann, fand er, wurde leicht übers Ohr gehauen. Er war sich nicht bewusst, dass diese Meinung auf einer jahrtausend alten Tradition beruhte.
Jedenfalls unterhielten sich er und sein Split-Partner zunächst über alles mögliche.
Besonders interessierte sich das Split für die verschiedenen Regierungsformen der Menschen.
Schließlich kam Bury wieder auf Luxusgüter zu sprechen.
»Luxusgüter. Im Prinzip finde ich ja auch, dass etwas Derartiges am geeignetsten wäre«, sagte sein Split. »Wenn ein Luxusgegenstand leicht zu verschiffen ist, lohnt sich der Handel schon wegen der geringen Transportkosten. Selbst für euren Narren-Antrieb müsste das gelten. In der Praxis gibt es aber leider ein paar Einschränkungen.«
Auf einige davon war Bury schon selbst gekommen. »Zum Beispiel?«
»Kaffee. Tee. Wein. Ich nehme an, dass du auch mit Wein handelst?«
»Meine Religion verbietet den Wein.« Indirekt hatte Bury natürlich seine Finger im Weinhandel zwischen den Welten, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass die Splits an der Einfuhr von Wein interessiert sein könnten.
»Einerlei. Die Einfuhr von Alkohol würden wir nicht zulassen, und Kaffee schmeckt uns nicht. Dasselbe gilt wahrscheinlich für eure sonstigen Delikatessen, obwohl vielleicht manches durchaus einen Versuch wert ist.«
»Und ihr selbst handelt nicht mit Luxusgütern?«
»Nein. Man könnte sagen, wir handeln mit der Macht über andere, mit Sicherheit, mit der Stabilität von Bräuchen, von Dynastien … ich spreche natürlich für die Befehlsgeber. Zu ihrem Nutzen handeln wir mit diesen Dingen, aber auch mit Diplomatie. Der eigentliche Handel umfasst Bedarfsgüter, haltbare Dinge, sowie Fähigkeiten. — Was hältst du von unseren Kunstwerken?«
»Sie würden einen guten Preis bringen, solange sie selten sind. Aber ich glaube, wir werden mehr mit Ideen und Erfindungen handeln.«
»Ja?«
»Zum Beispiel diese reibungsfreie Toilette, beziehungsweise das zugrunde liegende Prinzip wäre für uns interessant. Dann die verschiedenen Supraleiter, von denen ihr weit leistungsfähigere herstellt als wir. Wir haben in einem Asteroiden eine Probe gefunden.
Könnt ihr diesen Stoff für mich herstellen?«
»Ich bin sicher, dass die Braunen einen Weg finden.« Das Split winkte lässig mit einer Hand. »Dabei gibt es bestimmt keine Probleme. Ihr jedenfalls habt uns eine Menge zu bieten. Land zum Beispiel. Wir würden Land für unsere Botschaften kaufen.«
Das würde höchstwahrscheinlich gratis zur Verfügung gestellt werden, überlegte Bury.
Aber für diese Spezies war Land buchstäblich unbezahlbar wertvoll; ohne die Menschen würden sie niemals mehr besitzen als ihre eine kleine Welt. Außerdem würden sie Land zur Besiedlung haben wollen. Diese Welt war überfüllt. Bury hatte aus der Umlaufbahn die Lichter der Städte gesehen, ein dichtes Netz aus Licht, das nur an den Ozeanen endete. »Land«, meinte er zustimmend, »und Getreide. Es gibt Getreidearten, die unter Sonnen eures Typs wachsen. Wir wissen, dass ihr einige davon essen könnt. Vielleicht würden sie hier sogar besser gedeihen? Lebensmittel selbst einzuführen würde sich kaum lohnen, aber Saatgetreide zum Beispiel durchaus.«
»Vielleicht habt ihr auch Ideen zu verkaufen.«
»Das würde mich wundern. Eure Findigkeit ist ungeheuer und bewundernswert.«
Das Split winkte ab. »Danke. Aber wir haben nicht alles erfunden, was es zu erfinden gibt. Wir haben zwar zum Beispiel selbst einen Narren-Antrieb entwickelt, aber dieses Kraftfeld, das zum Schutz …«
»Wenn ich erschossen werde, verliert ihr den einzigen Kaufmann in diesem System.«
»Allah sei — ich meine, sind eure Behörden wirklich so streng darauf bedacht, ihre Geheimnisse zu hüten?«
»Vielleicht ändern sie ihre Meinung, wenn sie euch besser kennen. Außerdem bin ich kein Physiker«, sagte Bury mit unbewegter Miene.
»Ja natürlich. Bury, wir haben das Thema Kunst noch nicht abgeschlossen. Unsere Künstler sind wandlungsfähig und können frei über jede Art von Material verfügen. Im Grunde genommen wäre ein Austausch von Kunstwerken zwischen Splitter und Imperium von Vorteil für die Verständigung unserer Rassen. Wir haben allerdings noch nie versucht, mit unserer Kunst einen fremden Geist anzusprechen.«
»Dr. Hardys Bücher und Lehrbänder enthalten eine Menge Reproduktionen von Kunstwerken.«
»Die sollten wir vielleicht studieren.« Burys Split nippte nachdenklich an seinem schmutzigen Wasser. »Wir haben vorhin von Kaffee- und Weinsorten gesprochen.
Meine Kollegen haben festgestellt, dass unter euren Wissenschaftlern und Militärs ein — wie soll ich es ausdrücken — ein starker, kultureller Trend zum Wein besteht.«
»Ja. Ursprungsgebiete, Jahrgänge, Marken, Empfindlichkeit gegenüber freiem Fall, welche Weine zu welchen Speisen passen.« Bury verzog das Gesicht. »Ich habe oft zugehört, aber ich verstehe nichts davon. Ich finde es ärgerlich und kostspielig, dass manche meiner Schiffe mit konstanter Beschleunigung fliegen müssen, nur um eine Flasche Wein vor den eigenen Sedimenten zu schützen. Warum können sie das Zeug im Endhafen nicht einfach zentrifugieren und filtern?«
»Wie ist es mit Kaffeesorten? Sie trinken alle Kaffee. Kaffee unterscheidet sich nach Sorte, Boden, Klima, Röstprozess. Ich weiß das. Ich habe deine Vorräte gesehen.«
»Ich habe noch viel mehr Sorten auf der Mac Arthur. Ja … und auch die Kaffeetrinker unterscheiden sich. Auf einer von Amerikanern besiedelten Welt wie Tabletop würde man die dicke Brühe, die in Neuparis bevorzugt wird, nicht anrühren, und der Kaffee von Levant wäre ihnen viel zu süß und zu stark.« »Aha.«
»Hast du einmal von der Sorte Jamaica Blue Mountain gehört? Sie wächst auf der Erde, auf einer großen Insel in einem tropischen Meer. Die Insel wurde nie bombardiert, und schlechte Mutationen sind in den Jahrhunderten nach dem Zusammenbruch des Condominiums zugrunde gegangen. Diese Sorte ist nicht verkäuflich. Schiffe der Flotte bringen sie in den Kaiserlichen Palast auf Sparta.«
»Wie schmeckt sie?« »Ich habe dir doch gesagt, sie ist reserviert für …« Bury zögerte.
»Nun schön. Du kennst mich anscheinend sehr gut. Ich würde nicht noch einmal einen solchen Preis bezahlen, aber ich bedauere es nicht.«
»Die Flottenoffiziere schätzen dich gering, weil du kein Weinkenner bist.« Burys Split schien nicht wie die anderen dauernd zu lächeln. Sein Gesichtsausdruck war nichtssagend wie der eines routinierten Händlers, wie der Burys. »Das ist natürlich dumm von ihnen. Wenn sie wüssten, wie viel es über Kaffee zu wissen gibt …«
»Worauf willst du hinaus?«
»Du hast Vorräte an Bord. Lehre sie die Wissenschaft des Kaffees. Nimm deine Vorratssorten als Beispiel.«
»Meine Vorräte würden für die Offiziere eines Flottenkreuzers keine Woche lang reichen!«
»Du würdest ihnen so die Gemeinsamkeiten zwischen deiner und ihrer Kultur aufzeigen.
Oder ist dir diese Vorstellung unsympathisch? Nein, Bury, ich lese nicht deine Gedanken. Aber ich merke, dass du die Flotte, die Behörden des Imperiums Hasst; du tendierst dazu, die Unterschiede zwischen ihnen und dir zu übertreiben. Vielleicht tun sie etwas Ähnliches?«
»Ich lese nicht deine Gedanken.« Bury unterdrückte die hilflose Wut, die in ihm aufkeimte — und im gleichen Augenblick begriff er. Er wusste jetzt, warum sein Split-Partner immer wieder diesen Satz wiederholte. Es sollte ihn unsicher machen. Und das bei einem wichtigen Handelsgespräch.
Bury lächelte breit. »Eine Woche des guten Willens. Schön, ich werde deinen Vorschlag in die Tat umsetzen, wenn wir wieder an Bord der Mac Arthur sind. Allah weiß, dass sie sehr viel über Kaffee zu lernen hätten. Vielleicht kann ich ihnen sogar beibringen, ihre Espressomaschinen richtig zu bedienen.«
Rod und Sally saßen allein in der Privatkabine des Kapitäns. Das Vidisystem war abgeschaltet, und die Kontrolltafel über Rods Schreibtisch zeigte beruhigende Reihen grüner Lichter. Rod streckte seine langen Beine aus und nippte an seinem Drink. »Weißt du, das ist das erste Mal seit Neukaledonien, dass wir beide für uns sind. So wie früher.«
Sie lächelte zaghaft. »Aber viel Zeit bleibt uns nicht — die Splits erwarten uns bald zurück, und ich muss Berichte auf Band sprechen … Wie lange können wir eigentlich noch im Splittersystem bleiben, Rod?«
Blaine zuckte die Achseln. »Das liegt beim Admiral. Vizekönig Merrill war für eine möglichst baldige Rückkehr, aber Dr. Horvath möchte natürlich noch mehr erfahren. Ich genauso. Sally, wir haben immer noch nichts wirklich Wichtiges zu berichten! Wir wissen immer noch nicht, ob die Splits eine potentielle Gefahr für das Imperium darstellen oder nicht.«
»Rod, möchtest du nicht endlich aufhören, den paranoischen Admiralitätsbeamten zu spielen? Du weißt, dass es nicht die Spur eines Beweises gibt, dass die Splits in irgendeiner Weise feindselig sind. Wir haben keine Anzeichen von Waffen oder Kriegen oder sonst irgend etwas in der Richtung gefunden …«
»Ich weiß«, sagte Rod unzufrieden. »Und eben das beunruhigt mich, Sally. Hast du je von einer menschlichen Zivilisation gehört, die keine Soldaten hatte?«
»Nein, aber Splits sind keine Menschen.«
»Ameisen auch nicht, aber sie haben Soldaten — vielleicht hast du recht, Kutuzov kann einen schon anstecken. Da ich gerade von ihm spreche — er will noch häufiger Berichte haben. Du weißt, dass jedes Fetzchen Information unbearbeitet binnen einer Stunde an die Lenin weitergeleitet wird? Wir haben sogar Muster von Split-Erzeugnissen hinübergeschickt, auch einige von den verbesserten Sachen, an denen die Heinzelmännchen rumgebastelt hatten …«
Sally lachte auf. Rod zog einen Augenblick lang eine saure Miene, dann lachte er mit.
»Tut mir leid, Rod. Ich weiß, dass es unangenehm gewesen sein muss, dem Zar zu eröffnen, dass du Heinzelmännchen in deinem Schiff hättest — aber es war wirklich komisch!«
»Sehr komisch. Jedenfalls, wir schicken alles zur Lenin, was nur möglich ist — und nun pass auf, du hast mich Paranoiker geschimpft: Kutuzov lässt alles draußen im Vakuum untersuchen, dann in Behälter versiegeln, die mit Ciphogen gefüllt sind, und außerhalb seines Schiffs lagern! Er hat wohl Angst vor einer Ansteckung.« Die Sprechanlage gab einen lauten Summton von sich. »Oh, verdammt.« Rod drehte sich zum Vidischirm um.
»Kapitän hier.«
»Kaplan Hardy möchte Sie sprechen, Kapitän«, meldete der Infanterieposten. »Mit Mr.
Renner und den Wissenschaftlern.«
Rod seufzte und warf Sally einen bedauernden Blick zu. »Lassen Sie sie rein und schicken Sie nach meinem Steward. Ich nehme an, die Herrschaften werden alle einen Drink haben wollen.«
Die Herrschaften wollten. Endlich hatten alle eine Sitzgelegenheit gefunden, was das Fassungsvermögen von Rods Kabine erheblich beanspruchte. Rod begrüßte die Mitglieder der Alpha-Expedition und nahm dann einen Stoß Papiere von seinem Schreibtisch. »Erste Frage: Brauchen Sie die Maate auf dem Planeten? Soviel ich weiß, haben sie nichts zu tun.«
»Nun, es schadet jedenfalls nichts, wenn sie dabei sind«, sagte Dr. Horvath. »Allerdings könnten wir ihre Plätze schon für wissenschaftliches Personal gebrauchen.«
»Die Antwort ist also nein«, stellte Rod fest. »Gut. Ich überlasse es Ihnen, Dr. Horvath, durch wen von Ihren Leuten Sie die beiden ersetzen wollen. Nächster Punkt: Brauchen Sie Soldaten?«
»Du lieber Himmel, nein«, wehrte Sally ab. Sie warf Horvath einen raschen Blick zu, worauf dieser nickte. »Kapitän, die Splits sind nicht nur nicht feindselig, sie haben sogar dieses Schloss eigens für uns gebaut. Es ist einfach wundervoll! Warum können Sie nicht selbst mit hinunterkommen und es sich ansehen?« Sie zwinkerte ihm bittend zu.
Rod lachte bitter auf. »Unmöglich. Befehl des Admirals. Ich darf nicht einmal irgendeinen Offizier hinunterlassen, der etwas über den Bau des Feld-Generators weiß.« Er nickte nachdenklich. »Jedenfalls stimmen der Admiral und ich in einem Punkt überein: Wenn Sie Hilfe brauchten, wären zwei Soldaten ziemlich nutzlos — und außerdem wäre es vielleicht nicht ratsam, Fjunch(klick)s auf ein paar Krieger loszulassen, und mehr Plätze haben wir ja nicht frei. Das bringt mich auf den nächsten Punkt. Dr. Horvath, sind Sie mit Mr. Renner zufrieden? Vielleicht sollte ich ihn bitten, den Raum zu verlassen, während Sie antworten.«
»Unsinn. Mr. Renner war eine große Hilfe für uns. Kapitän, gilt diese Entscheidung eigentlich auch für meine Leute? Darf ich zum Beispiel einen Physiker nicht auf Splitter Alpha mitnehmen?«
»Nein.«
»Aber Dr. Buckman hat fest damit gerechnet. Die Splits haben Murchesons Auge und den Kohlensack seit langer Zeit beobachtet … wie lange schon, Mr. Potter?«
Der Kadett wollte nur zögernd mit der Sprache heraus. »Tausende Jahre, Sir«, stotterte er endlich. »Bloß …«
»Bloß was, Kadett Potter?« wollte Rod wissen. Potter war noch allzu unsicher, und das musste man ihm abgewöhnen. »Reden Sie schon.«
»Jawohl, Sir. Es gibt Lücken in ihren Beobachtungen, Kapitän. Die Splits haben das selber zwar nicht erwähnt, aber Dr. Buckman sagt, das sei offensichtlich. Ich hätt’ gesagt, dass sie einfach von Zeit zu Zeit das Interesse an Astronomie verloren haben, aber das findet Dr. Buckman unvorstellbar.« »Kann ich mir denken«, lachte Rod. »Wie wichtig sind eigentlich diese Beobachtungen, Mr. Potter?«
»Für die Astrophysik vielleicht sehr, Kapitän. So weit ihre Geschichte zurückreicht, haben sie diesen roten Riesen bei seiner Wanderung quer über den Kohlensack beobachtet. Er soll ’ne Supernova werden und dann ein Schwarzes Loch — und die Splits behaupten, sie wüssten, wann das sein wird.«
Kadett Whitbread brach in ein Gelächter aus. Alle schauten zu ihm hin. Whitbread vermochte kaum die Fassung zu behalten. »Entschuldigung, Sir — aber ich war dabei, als Gavin Dr. Buckman davon erzählte. Das Auge wird im Jahre 2774020 explodieren, und zwar am 27. April zwischen vier und vier Uhr dreißig früh, sagen sie. Ich glaube, Dr.
Buckman würde ersticken vor Empörung. Dann begann er die Berechnung selber nachzuprüfen. Er brauchte dreißig Stunden …«
Sally grinste. »Und hat dabei fast sein Fjunch(klick) umgebracht«, ergänzte sie. »Er ließ sich dann von Dr. Horvaths Split die Daten übersetzen, als sein eigenes einfach nicht mehr konnte.«
»Ja, aber er hat festgestellt, dass die Splits recht haben«, erklärte Whitbread. Er räusperte sich und amte Buckmans trockene Stimme nach: »Verdammt genau, Mr.
Potter, das muss ich schon sagen. Alle Beobachtungsdaten und meine Berechnungen bestätigen es.«
»Ihre schauspielerischen Talente machen Fortschritte, Mr. Whitbread«, stellte der Erste Offizier Cargill fest. »Bedauerlicherweise kann man das von Ihren Astrogationskenntnissen nicht behaupten. Kapitän, ich finde, dass Dr. Buckman alles, was er braucht, auch hier haben kann. Es ist offensichtlich nicht nötig, dass er den Split-Planeten selbst aufsucht.«
»Der Meinung bin ich auch. Dr. Horvath, die Antwort lautet also nein. Außerdem — möchten Sie wirklich eine Woche in enger Gesellschaft mit Dr. Buckman verbringen?
Na, sagen Sie lieber nichts«, fügte er hastig hinzu. »Wen wollen Sie mitnehmen?«
Horvath zog nachdenklich die Brauen zusammen. »De Vandalida, vermute ich.«
»Ja bitte«, sagte Sally rasch. »Wir brauchen einen Geologen. Ich habe zwar versucht, uns Gesteinsproben zu verschaffen, aber über den Aufbau von Splitter Alpha habe ich weniger als nichts erfahren. Es gibt praktisch nur Ruinen, die aus noch älteren Ruinen bestehen, wenn man außerhalb der Städte gräbt.«
»Wollen Sie damit sagen, dass es keine Gesteine gibt?« fragte Cargill.
»Die gibt es schon, Commander«, antwortete sie. »Granite, Lavagesteine, Basalte, aber sie sind nicht dort, wo sie nach der üblichen Planetenentstehung sein müssten. Sie wurden samt und sonders bereits verwendet, für Mauern, Böden oder Dachplatten. Ich habe zwar in einem Museum Bohrkerne gefunden, aber ich werde nicht schlau daraus.«
»Moment mal«, sagte Rod. »Soll das heißen, dass man immer nur auf die Reste von Städten stößt, wo man auch gräbt? Selbst draußen in den Anbaugebieten?«
»Nun, für allzu viele Ausgrabungen war keine Zeit. Jedenfalls, dort, wo ich gegraben habe, war drunter immer noch etwas, ich wusste nie, wo ich aufhören sollte! Kapitän, da gab’s zum Beispiel eine Stadt wie das New York im Jahr 2000 unter einer Ansammlung von Lehmhütten ohne Wasserleitung. Ich glaube, die Zivilisation der Splits hat einen totalen Zusammenbruch mitgemacht — vor vielleicht zweitausend Jahren.«
»Das würde die Lücken in den Beobachtungen erklären«, sagte Rod. »Was mir nicht ganz einleuchtet — sie sind doch intelligent genug, ihre Zivilisation nicht einfach zusammenbrechen zu lassen?« Er schaute Horvath fragend an, der jedoch nur die Achseln zuckte.
»Ich habe eine Theorie«, meinte Sally. »Hatte man auf der Erde irgendwann in der Zeit des Condominiums nicht Probleme mit der Luftverschmutzung durch Verbrennungsmotoren? Angenommen, die Splits hatten eine Zivilisation, die auf fossilen Brennstoffen basierte, und die gingen ihnen aus? Könnten sie dann nicht in eine neue Eisenzeit zurückgefallen sein, bevor sie wieder eine Plasmaphysik und Fusionsreaktoren entwickelten? Zumindest scheinen sie sehr knapp an radioaktiven Erzen zu sein.«
Rod zuckte die Achseln. »In diesem Fall wäre ein Geologe wirklichnützlich — und hätte weitaus mehr Grund, den Planeten persönlich zu besuchen als Dr. Buckman. Wir sind uns also einig, Dr. Horvath?«
Der Wissenschaftsminister nickte mit säuerlicher Miene. »Trotzdem, diese Einmischung der Flotte in unsere Arbeit passt mir nicht. Sagen Sie’s ihm, Dr. Hardy. Das muss einfach aufhören.«
Der Linguist und Kaplan blickte überrascht auf. Er hatte es sich mehr im Hintergrund bequem gemacht und aufmerksam zugehört, aber selbst nichts gesagt. »Nun, ich bin auch der Meinung, dass ein Geologe unten nützlicher sein wird als ein Astrophysiker, Anthony. Und — Kapitän, wie ich sehe, befinde ich mich in einer etwas diffizilen Lage.
Als Wissenschaftler kann ich diese Einschränkungen in unserem Verkehr mit den Splits nicht billigen. Als Vertreter der Kirche stehe ich vor einer unerfüllbaren Aufgabe. Und als Flottenoffizier … kann ich nicht umhin, dem Admiral zuzustimmen.«
Die Anwesenden blickten den rundlichen Kaplan überrascht an. »Ich bin erstaunt über Sie, Dr. Hardy«, erklärte Horvath. »Haben Sie auf Splitter Alpha auch nur den geringsten Beweis irgendwelcher kriegerischer Aktivitäten entdeckt?«
Hardy legte bedächtig die Fingerspitzen zusammen und sprach über den Giebel seiner Hände hinweg. »Nein. Und das, Anthony, macht mir Sorgen. Wir wissen, dass die Splits Kriege haben: um sie zu verhindern, entwickelte sich die Kaste der Vermittler — wurde vielleicht absichtlich entwickelt. Ich glaube nicht, dass sie bei dieser Aufgabe immer Erfolg haben. Weshalb also verstecken die Splits ihre Waffen vor uns? Aus dem gleichen Grund, aus dem wir unsere verbergen, diese Antwort liegt nahe — doch bedenken wir folgendes: wir verhehlen nicht, dass wir Waffen haben, nicht einmal, welcher Art sie sind. Warum tun die Splits das?«
»Vielleicht schämen sie sich«, meinte Sally und verstummte betroffen, als sie Rods Gesichtsausdruck sah. »Ich — also so habe ich das nicht gemeint — aber ihre Kultur ist nun mal viel älter als die unsere, da wäre es schon denkbar, dass ihre kriegerische Vergangenheit sie in Verlegenheit bringt.«
»Möglich«, räumte Hardy ein. Genießerisch sog er den Duft seines Weinbrands ein, während er überlegte. »Oder auch nicht, Sally. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Splits irgend etwas Wichtiges verbergen — und das sozusagen vor unserer Nase.«
Eine lange Weile sagte niemand etwas. Schließlich schnaubte Horvath missbilligend und sagte: »Wie sollten sie das zuwege bringen, Dr. Hardy? Ihr Regierungssystem beruht auf formlosen Verhandlungen zwischen den Vertretern der Befehlsgeber-Kaste.
Die Städte scheinen alle weitgehend selbständig zu sein. Splitter Alpha hat wohl kaum etwas wie eine planetare Regierung aufzuweisen — halten Sie es also für wahrscheinlich, dass die Splits zu einer Verschwörung gegen uns imstande wären? Mir kommt das nicht sehr plausibel vor.«
Hardy zuckte die Achseln. »Nach allem, was wir gesehen haben, Dr. Horvath, haben Sie sicherlich recht. Und trotzdem — ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie etwas verbergen.«
»Sie haben uns alles gezeigt«, beharrte Horvath. »Selbst den Haushalt von Befehlsgebern, die normalerweise in ihrem Heim keine Besucher empfangen.«
»Sally wollte gerade darauf zu sprechen kommen, als Sie alle eintrafen«, sagte Rod schnell. »Das interessiert mich sehr — wie lebt die Offiziersklasse der Splits? Wie die Aristokratie des Imperiums?«
»Das ist ein besserer Vergleich, als man annehmen möchte«, brummte Horvath. Zwei trockene Martinis hatten ihn einigermaßen besänftigt. »Es gab eine Menge Übereinstimmungen — obwohl die Splits einen ganz anderen Begriff von Luxus haben als wir. Manches ist natürlich gleich. Landbesitz. Dienstboten. Solche Dinge.« Horvath akzeptierte einen weiteren Drink und begann sich für das Thema zu erwärmen.
»Tatsächlich haben wir zwei solche Befehlsgebersitze besichtigt. Der eine war ein Wolkenkratzer in der Nähe des Schlosses. Das gesamte Gebäude wurde von dieser Familie kontrolliert: Läden, Kleinindustrie, Hunderte von Braunen und Roten und Arbeitern und — also Dutzende verschiedene Kasten. Der andere Befehlsgeber dagegen, dessen Einflussbereich mehr in der Landwirtschaft lag, hatte viel Ähnlichkeit mit einem Landedelmann. Die Arbeiter wohnen in langen Häuserreihen, zwischen denen die Felder liegen. Die eigentliche Residenz befindet sich in der Mitte der Domäne.«
Rod dachte an den Stammsitz seiner eigenen Familie. »Crucis Court war früher von Dörfern und Feldern umgeben — aber nach den Sezessionskriegen waren natürlich alle Dörfer befestigt, und der Court ebenso.«
»Sonderbar, dass sie das erwähnen«, bemerkte Horvath nachdenklich. »Diese ›Residenz’ hatte ebenfalls etwas Befestigtes an sich. Ein mächtiges Mauerngeviert mit einem großen Innenhof. Übrigens, diese Wohntürme in der Stadt haben in den unteren Stockwerken keine Fenster und auf dem Dach große Gärten. Scheinen ziemlich autark zu sein. Das Ganze wirkte recht militärisch. Sagen Sie, wir müssen doch dem Admiral gegenüber nichts von diesem Eindruck erwähnen, oder? Er wäre überzeugt, auf militaristische Tendenzen gestoßen zu sein.«
»Sind Sie so sicher, dass er damit unrecht hätte?« fragte Jack Cargill. »Nach allem, was ich gehört habe, besitzt jeder dieser sogenannten Befehlsgeber eine wirtschaftlich unabhängige Festung. Dachgärten. Heinzelmännchen, um die Maschinerie in Ordnung zu halten — zu schade, dass wir nicht ein paar zähmen können, als Aushilfe für Sinclair.«
Cargill bemerkte die finstere Miene seines Kapitäns und fuhr hastig fort: »Wie dem auch sei — dieser Landedelmann hätte vermutlich in einem Krieg die bessere Chance, aber beide von diesen Residenzen scheinen mir eher Zitadellen zu sein. Die übrigen Wohnsitze von Befehlsgebern, von denen ich gehört habe, nicht weniger.« Dr. Horvath hatte sich um Beherrschung bemüht, während Sally Fowler vergeblich versuchte, ihre Belustigung zu unterdrücken. Schließlich lachte sie auf. »Commander Cargill! Die Splits besitzen seit Jahrhunderten eine Raumfahrt- und Fusionstechnologie. Wenn ihre Häuser immer noch wie Festungen wirken, kann das nur traditionsbedingt sein! Praktischen Zweck hat das heute keinen mehr. Sie sind doch Militärexperte: Was hilft einem eine solche Festung gegen moderne Waffen?«
Cargill wusste nichts darauf zu erwidern, aber seine Miene verriet deutlich, dass er nicht überzeugt war.
»Wenn ich recht verstanden habe, versuchen sie also, ihre Wohnsitze in puncto Versorgung unabhängig zu machen?« fragte Rod. »Auch in der Stadt? Das kommt mir kaum sinnvoll vor. Sie müssten zumindest das Wasser von außen einleiten.«
»Es hat ziemlich viel geregnet«, sagte Renner. »An drei von sechs Tagen.«
Rod musterte seinen Chefnavigator. Meinte er das ernst?
»Wussten Sie, dass es linkshändige Splits gibt?« fuhr Renner fort. »Alles an ihnen ist seitenverkehrt. Zwei sechsfingrige linke Hände, ein kräftiger rechter Arm, und die Schädel-Schulter-Verbindung ist auf der rechten Seite.«
»Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich’s bemerkte«, meinte Whitbread grinsend. »Das neue Split benahm sich genauso wie Jacksons früheres. Es muss sehr genau instruiert worden sein.«
»Linkshänder«, sagte Rod. »Warum nicht?« Wenigstens hatten sie das Thema gewechselt. Die Stewards brachten einen Mittagsimbiss herein, und alle griffen zu.
Danach war es Zeit, wieder zum Split-Planeten aufzubrechen.
»Auf ein Wort, Mr. Renner«, sagte Rod, als der Navigator gehen wollte. Er wartete, bis die anderen alle außer Cargill draußen waren. »Ich möchte einen Offizier dort unten wissen, und Sie sind der einzige entbehrbare Mann, der den Richtlinien des Admirals entspricht. Aber obwohl Sie keine Waffen außer Ihrer Handwaffe haben und keine Soldaten, handelt es sich um ein militärisches Unternehmen, und wenn sich die Lage zuspitzt, sind Sie der verantwortliche Befehlshaber.«
»Ja, Sir.« Es klang etwas verwirrt.
»Wenn Sie einen Menschen oder ein Split erschießen müssten, wären Sie dazu imstande?«
»Ja, Sir.«
»Ihre Antwort kam sehr schnell, Mr. Renner.«
»Ich habe mir das schon früher sehr gut überlegt, als ich wusste, dass ich zur Flotte müsste. Wäre mir damals klargeworden, dass ich nicht imstande bin, jemanden zu erschießen, hätte ich wohl dafür sorgen müssen, dass mein Käptn das weiß.«
Blaine nickte. »Nächste Frage. Werden Sie die Notwendigkeit einer militärischen Aktion so rechtzeitig erkennen, dass wir noch etwas unternehmen können? Auch wenn Sie selbst auf verlorenem Posten stehen?«
»Ich glaube schon. Darf ich noch einen anderen Punkt erwähnen, Kapitän? Ich möchte wirklich gerne wieder hinunter, und …«
»Sprechen Sie schon, Mr. Renner.«, »Kapitän, Ihr Fjunch(klick) ist verrückt geworden.«
»Das ist mir bekannt«, sagte Kapitän Blaine kühl.
»Ich vermute, dass ein Fjunch(klick) des Zars noch viel schneller verrückt werden würde.
Die Alpha-Expedition braucht also einen Offizier, der möglichst wenig der militaristischen Denkungsart huldigt …«
»Schauen Sie schon, dass Sie an Bord kommen, Mr. Renner! — Und alles Gute.« »Aye, aye, Sir.« Renner versuchte erst gar nicht, sein befriedigtes Grinsen zu verbergen, als er ging.
»Der ist in Ordnung, Käptn«, sagte Cargill.
»Hoffentlich, Erster. — Jack, glauben Sie, es war unser militärisches Verhalten, das mein Split um den Verstand gebracht hat?«
»Nein, Sir.« Cargill wirkte ziemlich überzeugt.
»Was war’s dann?«
»Käptn, ich weiß es nicht. Ich weiß eine ganze Menge nicht, wenn’s um diese glotzäugigen Viecher geht. Nur einer Sache bin ich mir sicher, dass sie nämlich viel mehr über uns lernen als wir über sie.«
»Ach was, Erster — sie lassen unsere Leute überall hingehen, wo sie wollen. Sally sagt, dass sie sich förmlich überschlagen in ihrer Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Sie verstecken rein gar nichts vor uns. Jack, Sie haben die Splits von Anfang an irgendwie gefürchtet, nicht? Weshalb eigentlich? Haben Sie eine Ahnung?«
»Nein, Käptn.« Cargill musterte Blaine misstrauisch und entschied dann, dass sein Chef ihn nicht beschuldigte, ein Angsthase zu sein. »Ich hab’ einfach ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache.« Er warf einen Blick auf seinen Taschencomputer, um die genaue Zeit festzustellen. »Ich muss jetzt gehen, Käptn. Soll Mr. Bury mit dieser Kaffeeangelegenheit helfen.«
»Bury — Jack, ich wollte ohnehin mit Ihnen über den Mann sprechen. Sein Split hält sich jetzt in ihrem Orbitalschiff auf, und Bury ist in den Kutter übersiedelt. Worüber unterhalten sich die beiden?«
»Nun, Sir, es heißt, dass sie über mögliche Handelsabkommen palavern …«
»Schon, aber Bury weiß eine Menge über das Imperium. Wirtschaft, Industrie, Umfang der Flotte, wie viele Rebellenwelten wir gegen uns haben — ich wage mir gar nicht vorzustellen, was er noch alles weiß.«
Cargill grinste, »Er hat in letzter Zeit seine rechte Hand nicht wissen lassen, wie viele Finger die linke hat, Käptn. Warum sollte er den Splits irgend etwas umsonst verraten?
Außerdem hab’ ich schon dafür gesorgt, dass er nichts sagt, was Ihnen nicht recht wäre.«
»Wie das?«
»Ich hab’ ihm erzählt, dass wir jeden Quadratzentimeter des Kutters mit Abhörgeräten gepflastert haben, Sir.« Cargills Grinsen vertiefte sich. »Klar, er weiß, dass wir nicht dauernd alle Bänder abhören können, aber …«
Rod erwiderte das Grinsen. »Ich bin sicher, das funktioniert! Also gut, dann machen Sie, dass Sie zu diesem Kaffeeklatsch kommen — ist’s Ihnen schon recht, wenn Sie für so was herhalten sollen?«
»Ach was, Käptn, war ja meine Idee. Wenn Bury den Köchen beibringen kann, noch in Gefechtssituationen einen einigermaßen genießbaren Kaffee zu produzieren, ändere ich vielleicht noch meine Meinung über ihn. Übrigens, warum ist er eigentlich auf diesem Schiff in Haft?«
»In Haft? Commander Cargill …«
»Käptn, die gesamte Mannschaft weiß, dass es irgendeine komische Bewandtnis hat mit ihm. Das Kantinengeschwätz behauptet, dass er in die Revolte von New Chicago verwickelt war und dass Sie ihn im Auftrag der Admiralität auf Eis gelegt haben. Das stimmt doch, oder?«
»Irgend jemand hat ein bisschen zu viel geredet, Jack. Ich jedenfalls kann dazu nichts sagen.«
»Klar. Sie haben Ihre Befehle, Käptn. Aber ich stelle fest, dass Sie’s nicht bestreiten. Ist ja durchaus plausibel. Ihr alter Herr ist reicher als Bury — ich frage mich, wie viele Flottenoffiziere er kaufen könnte? Ich krieg’ eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass wir einen Gefangenen haben, der ohne weiteres einen ganzen Planeten kaufen könnte.« Cargill verabschiedete sich und eilte in die Hauptmannschaftsküche.
Am Abend zuvor war man im Verlauf des Dinners irgendwie auf Kaffee zu sprechen gekommen, und Bury hatte seine übliche, gelangweilte Gleichgültigkeit aufgegeben, als er sich, ausführlich über das Thema verbreitete. Er hatte der Tischrunde von der berühmten alten Mocha-Java-Mischung berichtet, die immer noch auf Welten wie Makassar angebaut wurde, und von der prachtvollen Kombination von reinem Java und dem Grua, der auf Prinz Samuals Welt gezogen wurde. Er kenne die Geschichte des Jamaica Blue Mountain, sagte er, jedoch nicht seinen Geschmack. Beim Dessert schlug er eine ›Kaffeeverkostung‹ nach dem Muster einer Weinproben-Party vor.
Es war ein ausgezeichneter Abschluss eines ausgezeichneten Dinners gewesen, als Bury und Nabil wie die Alchimisten mit Filtern und Trichtern und kochendem Wasser und Büchsen mit handbeschrifteten Etiketten herumhantierten. Die übrigen Gäste fanden es unterhaltsam, und Bury erschien ihnen nun irgendwie in einem anderen Licht; man hatte ihn sich vorher eigentlich nur schwer als begeisterten Kenner von irgend etwas vorstellen können.
»Das eigentliche Geheimnis ist jedenfalls, das Gerät wirklich sauber zuhalten«, hatte er erklärt. »Bittere Essenzen vom Vortag lagern sich darin an, besonders in Espressomaschinen.«
Zum Schluss hatte Bury angeboten, am nächsten Tag die diversen Kaffeemaschinen der Mac Arthur zu inspizieren. Cargill, für den Kaffee auf einem Kriegsschiff eine ähnliche lebenswichtige Bedeutung hatte wie Torpedos, hatte das Angebot erfreut akzeptiert. Jetzt sah er interessiert zu, wie der schwarzbärtige Handelsmagnat die große Espressomaschine untersuchte und sich mit einigem Misstrauen eine Tasse füllte.
»Diese Maschine ist tatsächlich gut gepflegt«, sagte er dann. »Sehr gut gepflegt.
Absolut sauber, und der fertige Espresso wird auch nicht zu oft aufgewärmt. Für durchschnittlichen Kaffee ist das ein ausgezeichnetes Ergebnis, Commander.« Jack Cargill füllte sich verblüfft auch eine Tasse und kostete. »He, der ist ja besser als das Zeug, das es in der Offiziersmesse gibt!«
Die Köche wechselten unauffällig Blicke. Cargill bemerkte es jedoch, und er bemerkte noch etwas anderes. Er strich mit einem Finger über die Seitenwand der Espressomaschine und schaute sich dann verblüfft seine öligbraune Fingerspitze an.
Bury tat es ihm nach, roch an seinem Finger und berührte ihn mit der Zungenspitze.
Cargill kostete das öl an seiner Hand. Es schmeckte wie eine Konzentration all des schlechten Kaffees, den er je hinuntergeschüttet hatte, um nicht im Dienst einzuschlafen. Er schaute die Espressomaschine an, als hätte sie ihn gebissen, und dabei fiel sein Blick auf den Griff des Auslasshahns.
»Minis«, knurrte er. »Nehmt das verdammte Ding auseinander!«
Sie entleerten die Maschine und zerlegten sie — soweit sie sich noch zerlegen ließ.
Abschraubbare Teile waren jetzt zumeist mit anderen untrennbar verschmolzen und verklebt. Das Geheimnis dieser Zaubertrick-Espressomaschine schien jedenfalls in der selektiven Durchlässigkeit ihres Metallgehäuses zu liegen. Die gealterten ätherischen öle passierten das Metall und konnten einfach außen abgewischt werden.
»Meine Gesellschaft würde der Flotte dieses Funktionsprinzip gerne abkaufen«, sagte Bury.
»Ich wünschte, wir hätten es zu verkaufen. Na schön, Ziffren, wie lange geht das schon so?«
»Sir?« Der Koch, ein Unteroffizier, tat, als ob er nachdenken müsse. »Ich weiß nicht recht, Sir. Vielleicht zwei Monate.«
»War das Ding schon so, bevor wir die Minis ausgeräuchert haben?« fragte Cargill scharf.
»Äh, ja, Sir«, sagte der Koch. Aber er sagte es zögernd, und Cargill verließ die Kombüse mit nachdenklich zusammengezogenen Brauen.
Cargill begab sich eilends in Rods Kabine. »Ich glaube, wir haben wieder Heinzelmännchen, Käptn.« Er berichtete, was ihn zu dieser Ansicht gebracht hatte.
››Haben Sie schon mit Sinclair geredet«? fragte Rod. »Herrgott, Erster, der Admiral wird aus der Haut fahren. Sind Sie sicher?«
»Nein, Sir. Aber ich werde es herausfinden. Käptn, ich bin überzeugt, dass wir überall nachgeschaut haben, als wir das Schiff säuberten. Wo könnten sie sich nur versteckt haben?«
»Darüber können Sie sich den Kopf zerbrechen, wenn Sie wissen, ob wieder welche da sind. Also, holen Sie sich den Ersten Maschinisten und durchsuchen Sie das Schiff noch mal von vorn bis hinten. Und verdammt, diesmal dürfen Sie nichts übersehen!«
»Aye, aye, Käptn.«
Die Alpha-Expedition hatte in der ›Schloss-Stadt‹ Tausende von den Miniatur-Exemplaren zu Gesicht bekommen. Renners Split nannte sie ›Bastler‹, und sie fungierten als Gehilfen der braunen ›Techniker‹. Die großen Splits beharrten darauf, dass die Bastler nicht intelligent seien, sondern lediglich als Erbanlage die Fähigkeit besäßen, mit Werkzeugen und Maschinen umzugehen, ebenso wie den typischen Split-Instinkt des Gehorsams gegenüber den höheren Kasten. Sie mussten geschult werden, aber das besorgten im wesentlichen die erwachsenen Bastler. Wie die anderen dienenden Kasten stellten sie eine Art von Reichtum dar, und die Anzahl der Bastler, Techniker und anderer niederer Subarten, die zum Haushalt eines Meisters gehörten, war ein Maß für seine Bedeutung, seinen gesellschaftlichen Status. Letzteres war eine Folgerung Kaplan Hardys und noch nicht definitiv bestätigt worden.
Etwa eine Stunde später meldete sich Cargill wieder. »Wir haben sie, Käptn«, sagte der Erste Offizier grimmig. »Dieser Luftumwälzer vom B-Deck — erinnern Sie sich an dieses halb zerschmolzene Ding, das Sandy noch mal hingekriegt hat?«
»Ja.«
»Nun, jetzt ragt’s nicht mehr in den Korridor heraus. Sandy sagt, es könnte unmöglich funktionieren, und er buddelt jetzt in den Innereien herum — aber für mich reicht das aus. Diese Biester sind wieder da.« »Alarmieren Sie die Infanterie, Erster. Ich bin ab sofort auf der Brücke.«
»Aye, aye, Sir.« Cargill drehte sich wieder zu dem Lufterneuerungsgerät um. Sinclair hatte den Deckel abgenommen und knurrte gälische Flüche hinein, während er den freigelegten Mechanismus untersuchte.
Die inneren Teile waren verändert. Das Gehäuse war umgeformt worden. Der zweite Filter, den Sinclair eingesetzt hatte, war verschwunden, und der andere so verändert, dass er ihn kaum wiedererkannte. Von der einen Filterwand troff eine Art öliger Brühe in einen Plastiksack, der prall mit irgendeinem Gas gefüllt war — offenbar hatte die Brühe leicht verdunstende Bestandteile.
»Hmja«, nickte Sinclair. »Alle typischen Anzeichen sind da, Commander Cargill, Schraubverbindungen verschweißt. Fehlende Teile und so weiter.«
»Also Heinzelmännchen.«
»Klar«, knurrte Sinclair. »Und wir dachten, wir hätten die Bande vor Monaten ausgerottet! Nach meinem Log wurde dieses Gerät erst vorige Woche überprüft. Da war’s noch unverändert.«
»Aber wo können sie sich nur verkrochen haben?« wollte Cargill erbittert wissen. Der Erste Maschinist schwieg. »Was nun, Sandy?«
Sinclair zuckte die Achseln. »Ich würde vorschlagen, dass wir uns das Hangardeck ansehen, Sir. Das ist die Region des Schiffs, die am wenigsten benutzt wird.«
»Stimmt.« Cargill aktivierte nochmals das Vidi. »Käptn, wir werden das Hangardeck überprüfen — aber ich fürchte, es besteht gar kein Zweifel mehr. Wir haben sehr lebendige Heinzelmännchen an Bord.«
»In Ordnung, Jack. Ich muss jetzt an die Lenin Meldung machen.« Rod holte tief Luft und umklammerte die Armstützen seines Kommandositzes, als müsse er sich für eine Schlacht wappnen. »Verbinden Sie mich mit dem Admiral.«
Kutuzovs grobe Gesichtszüge tauchten auf dem Schirm auf. Rod berichtete hastig. »Ich weiß nicht, wie viele es sind, Sir«, schloss er. »Meine Offiziere suchen noch nach weiteren Spuren.«
Kutuzov nickte. Ein langes Schweigen trat ein, während der Admiral auf einen Punkt über Blaines linker Schulter starrte. »Kapitän, haben Sie meine Befehle hinsichtlich der Kommunikationssperre befolgt?« »Jawohl, Sir. Ununterbrochene Kontrolle jeglicher ein- und ausgehender Signale. Da war nichts.«
»Nichts, soweit wir wissen«, korrigierte der Admiral. »Wir können annehmen, dass nichts durchging, aber es wäre möglich, dass diese Kreaturen mit anderen Splits Verbindung bekommen haben. Wenn ihnen das gelungen ist, gibt es auf der Mac Arthur keine Geheimnisse mehr. Wenn nicht — Kapitän, Sie werden der Expedition sofort Order geben, unverzüglich auf die Mac Arthur zurückzukehren, und Sie werden alles vorbereiten für den Aufbruch nach Neukaledonien in dem Augenblick, da alle an Bord sind. Haben Sie verstanden?«
»Aye, aye, Sir«, sagte Blaine kühl.
»Sie sind nicht einverstanden?«
Rod überlegte einen Augenblick lang. Er hatte zuerst nur an das empörte Geschrei gedacht, das Horvath und die anderen erheben würden. Jetzt musste er feststellen, dass er ausnahmsweise mit dem Admiral einer Meinung war. »Doch, Sir. Ich wüsste keine bessere Vorgangsweise. Aber angenommen, ich kann das Ungeziefer ausrotten, Sir?«
»Können Sie dessen je sicher sein, Kapitän?« wollte Kutuzov wissen. »Ich könnte es jedenfalls nicht. Sind wir erst aus diesem System draußen, können wir die Mac Arthur Stück für Stück auseinandernehmen und brauchen nicht zu befürchten, dass das Viehzeug Kontakt mit anderen Splits erlangt. Solange wir hier sind, besteht diese Gefahr immer, und das ist ein Risiko, das ich nicht eingehen will.«
»Was soll ich den Splits erzählen, Sir?« fragte Rod.
»Sie werden erklären, dass an Bord Ihres Schiffes plötzlich eine Krankheit ausgebrochen ist. Und dass wir uns gezwungen sehen, ins Imperium zurückzukehren. Sie können ihnen sagen, dass Ihr Kommandant das befohlen hat und Sie keine andere Erklärung wüssten.
Wenn sich später bessere Erklärungen für notwendig erweisen, hat das Außenministerium genügend Zeit, sie vorzubereiten. Für den Augenblick muss das genügen.«
»Jawohl, Sir.« Das Bild des Admirals erlosch. Rod wandte sich an den wachhabenden Offizier. »Mr. Crawford, dieses Schiff geht in wenigen Stunden auf Heimatkurs.
Verständigen Sie alle Abteilungen, und dann verbinden Sie mich mit Mr. Renner auf Splitter Alpha.« Ein gedämpftes Alarmsignal hallte durch das Schloss. Renner schaute schlaftrunken auf und bemerkte sein Split beim Bildfunkschirm, der in einer Ornamentalmalerei an der Wand sichtbar geworden war.
»Der Kapitän will dich sprechen«, sagte das Split.
Renner warf einen Blick auf seinen Taschencomputer. Auf der Mac Arthur war es beinahe Mittag, herunten in der Schloss-Stadt dagegen eher Mitternacht. Schläfrig kam er auf die Füße und tappte zum Bildschirm hinüber. Blaines Gesichtsausdruck ließ ihn augenblicklich wach werden.
»Wir haben einen kleinen Notstand an Bord, Mr. Renner. Sie müssen die Splits ersuchen, alle unsere Leute heraufzuschicken. Sie eingeschlossen.«
»Dr. Horvath wird nicht mitkommen wollen, Sir«, sagte Renner, dessen Denken auf Hochtouren arbeitete. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht, und wenn er das merkt, würden die Splits es genauso erkennen.
Blaine nickte. »Er wird müssen. Sorgen Sie dafür, Renner.«
»Jawohl, Sir. Was ist mit unseren Fjunch(klick)s?« »Oh, die können mit Ihnen bis zum Kutter heraufkommen«, sagte Blaine. »So arg ist es nicht. Nur eine A-Eins-Angelegenheit.«
Erst nach ein oder zwei Sekunden hatte Renner begriffen, was das bedeutete, und dann hatte er sich wieder so weit im Griff, dass er sich nichts anmerken ließ. Zumindest hoffte er das. »Aye, aye, Käptn. Wir kommen.«
Er kehrte zur Schlafcouch zurück und setzte sich auf die Kante. Während er seine Stiefel anzog, versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Die Splits wussten wohl kaum die Codebezeichnungen der Flotte zu deuten, aber A-Eins bedeutete höchste militärische Priorität … und Blaine hatte das allzu leichthin gesagt.
Na schön, dachte er. Die Splits wissen, dass ich ihnen etwas vormache. Sie müssen es merken. Irgendwo dort draußen hat’s Alarm gegeben, und ich soll die potentiellen Geiseln von diesem Planeten wegholen, ohne dass die Splits das kapieren. Was wiederum heißt, dass die Splits nichts von dem Grund für den Alarm wissen, und das gibt eigentlich keinen Sinn.
»Fjunch(klick)«, erinnerte ihn sein Split. »Was ist los?«
»Ich weiß nicht«, sagte Renner durchaus wahrheitsgemäß.
»Und du willst es auch nicht wissen«, sagte das Split. »Habt ihr irgendwelche Schwierigkeiten?« »Weiß ich auch nicht«, antwortete Renner. »Du hast ja gehört, was der Kapitän gesagt hat. Also, wie stelle ich das jetzt an, die ganze Expedition mitten in der Nacht hinauszubringen?«
»Das kannst du mir überlassen«, erklärte Renners Split.
Das Hangardeck stand normalerweise unter Vakuum. Die Schleusentore waren so gewaltig, dass ein gewisser Luftverlust sonst unvermeidlich gewesen wäre. Später würde Cargill eine genaue Durchsuchung des Hangardecks unter Druck veranlassen; vorläufig jedoch schauten er und Sinclair sich erst einmal bei Vakuum um.
Alles schien in Ordnung zu sein, nichts war verändert. »Also«, sagte Cargill. »Was würden Sie unternehmen, wenn Sie ein Mini-Split wären?«
»Ich würde die Boote außen am Rumpf parken und den Hangarraum als Treibstofftank benutzen.« »Solche Schiffe gibt’s. Wäre allerdings ein recht umfangreiches Unternehmen für einen Trupp Heinzelmännchen.« Cargill wanderte auf das Hangartor hinaus. Er wusste nicht, wonach er eigentlich suchte, und hätte später auch nicht sagen können, warum er zu Boden blickte. Er begriff erst nach einigen Atemzügen, dass etwas nicht stimmte.
Der Spalt, der die beiden mächtigen, rechteckigen Torflügel trennte …
… war verschwunden!
Cargill starrte verdattert um sich. Nichts. Die Tore waren Teil des Rumpfs geworden. Die starken Motoren an den Angeln, die das Tor öffneten und schlössen, waren ebenfalls verschwunden.
»Sandy?«
»Eh?«
»Wo sind die Hangartüren?«
»Mann, Se stehn ja drauf, Se bescheuerter — also ich kann’s nicht glauben!«
»Sie haben uns eingesperrt. Warum? Wie? Wie konnten sie im Vakuum arbeiten?«
Sinclair hastete zurück zur Luftschleuse. Die Kontrollanzeigen der Luftschleuse — »Alle Anzeigeinstrumente grün«, sagte Sinclair. »Alles in Ordnung, soweit sie es verstehen.
Wenn die Heinzelmännchen die Instrumente beschwindeln können, wäre es durchaus möglich, dass sie das Hangardeck unter Druck hatten, bis wir kamen.«
»Testen wir den Türmechanismus.« Cargill schwang sich auf eine der versenkbaren Stützstreben.
»Die Instrumente zeigen an, dass sich das Tor öffnet. Immer noch … öffnen beendet.«
Sinclair drehte sich um. Nichts. Nichts als die hellbraun lackierte Bodenfläche, geschlossen und massiv wie jeder andere Teil der Rumpfwand.
Er hörte Cargill fluchen. Er sah, wie Cargill von der Stütze herunter auf den Boden sprang, der ein Hangartor gewesen war. Und er sah, wie Cargill durch diesen Boden fiel, als hätte es sich um die Oberfläche eines Teichs gehandelt.
Sie mussten Cargill aus dem Langston-Feld herausziehen. Er war bis zur Brust in dem schwarzen Nichts versunken und sank langsam tiefer. Seine Beine waren sehr kalt geworden, und sein Herz schlug nur noch sehr langsam. Das Feld absorbierte jegliche Bewegungsenergie, verlangsamte die Molekularbewegung.
»Ich hätte mit dem Kopf voran reinfallen sollen«, sagte er, als er wieder zu sich kam.
»Dass wenigstens das Hirn zu funktionieren aufhört, bevor das Herz zu langsam wird.
Aber Herrgott noch mal, wer hätte sich so was vorgestellt?«
»Was ist geschehen?« fragte Sinclair.
Cargill machte den Mund auf, schloss ihn wieder ratlos und setzte sich benommen auf.
»Also, das ist mit Worten kaum zu beschreiben. Es war wie ein Wunder. Es war, als ginge ich auf Wasser, und jemand nahm mir plötzlich den Heiligenschein weg. Sandy, es war ein verdammt sonderbares Gefühl.«
»Es hat auch recht komisch ausgesehen.«
»Das möcht’ ich wetten. Ist ihnen klar, was die Biester tun, ja? Sei bauen die Mac Arthur um! Die Tore sind immer noch da, aber jetzt könnten die Boote einfach durch sie hindurch. Man braucht jetzt nicht einmal mehr das Hangardeck evakuieren.«
»Ich sag’s dem Käptn«, meinte Sinclair und ging zum Vidi hinüber.
»Wo zur Hölle haben sie sich versteckt?« fragte Cargill entrüstet. Die Maschinenmaate, die ihn herausgezogen hatten, blickten sich ratlos um. »Wo? Wo haben wir nicht nachgeschaut?«
Seine Beine waren noch immer ziemlich kalt. Er massierte sie geistesabwesend. Auf dem Bildschirm tauchte nun Rod Blaines besorgte Miene auf. Cargill kam mühsam auf die Füße. Kaum stand er, heulten die Alarmsirenen durch das ganze Schiff. »Achtung.
Alarm Rot Eins. Feindliche Eindringlinge an Bord. Alle Kampfmannschaften legen sofort Gefechtsanzüge an. Infanteristen in Gefechtsadjustierung im Hangarraum sammeln!«
»Die Geschütze!« brüllte Cargill auf.
»Was ist los?« fragte Sinclair, und Rods Blick richtete sich auf den ersten Offizier.
»Die Geschütze, Käptn! Wir haben nicht in die Geschütze geschaut. Verdammt, ich bin doch ein Idiot! Hat denn niemand an die Geschütze gedacht?«
»Das könnte es sein«, räumte Sinclair ein. »Kapitän, ich möchte vorschlagen, dass Sie die Frettchen holen lassen.«
»Zu spät, Erster«, sagte Blaine. »Der Käfig hat ein Loch. Sie sind weg. Ich habe das schon überprüft.«
»Gottverdammt«, sagte Cargill. Er sagte es beinahe ehrfürchtig. »Gott verdamm die Viecher.« Er schwang herum zu den bewaffneten Infanteristen, die aufs Hangardeck stürmten. »Folgen Sie mir.« Er war jetzt nicht mehr bereit, die Miniatur-Splits als entwischte Schoßtiere der Biologen zu behandeln, nicht einmal als gewöhnliche Schädlinge. Von nun an waren sie für ihn feindliche Eindringlinge.
Der Trupp hastete zum nächstliegenden Geschützstand. Ein erschrockener Maat sprang von seinem Platz auf, als der Erste Offizier, der Erste Maschinist und ein Trupp Soldaten in Gefechtsanzügen in den Kontrollraum stürmten.
Cargill starrte die Instrumentenkonsole an. Alles schien in Ordnung zu sein. Er zögerte einen Moment lang aus Furcht vor dem, was er finden musste, dann öffnete er die Inspektionsluke.
Die Linsen und Fokusierringe waren nicht mehr zu sehen. Der Tubus von Geschütz Nummer Drei wimmelte von Heinzelmännchen. Cargill fuhr entsetzt zurück — und der grelle Lichtspeer eines Laserimpulses zuckte gegen seinen Panzeranzug. Er fluchte, entriss dem Soldaten neben ihm einen Kanister Ciphogen und knallte ihn gegen die Öffnung. Es war gar nicht nötig, erst das Ventil zu öffnen.
Der Kanister wurde spürbar heiß, und ein Laserstrahl brannte sich durch und blitzte knapp an Cargill vorbei. Als das Zischen des ausströmenden Gases verstummte, lagen Schwaden gelben Nebels im Kontrollraum. Im Rohr des Dreiergeschützes häuften sich tote Minis und zernagte Knochen. Rattenskelette, elektronische Bauteile, Reste von Stiefeln und ähnlichem — und vergaste Heinzelmännchen.
»Sie haben sich da drinnen eine Horde Ratten gehalten«, schrie Cargill. »Dann haben sie sich schneller vermehrt und offenbar alle aufgefressen. Zuletzt haben sie einander aufgefressen …«
»Was ist mit den übrigen Geschützen?« fragte Sinclair. »Wir sollten schnell machen.«
Im Korridor draußen ertönte ein Schrei. Der von seinem Platz verdrängte Maat taumelte aufs Deck. An seiner Hüfte breitete sich ein hellroter Fleck aus. »Im Ventilator«, keuchte er.
Ein Infanteriekorporal zerrte am Abdeckgitter. Eine Stichflamme zischte an seinem Panzeranzug auf, und er fuhr zurück. »Hat mich erwischt, bei Gott!« Entgeistert starrte er auf das saubere, rauchende Loch in seiner Schulter, während drei andere Infanteristen mit ihren Handlasern auf eine davonhuschende Gestalt feuerten. In einem anderen Teil des Schiffs schrillte ein Alarmsignal.
Cargill sprang zu einem Vidianschluss. »Käptn …«
»Ich weiß«, sagte Blaine hastig. »Was immer Sie gemacht haben, es hat die Biester offenbar im ganzen Schiff aufgestört. Es sind im Augenblick ein Dutzend Einzelgefechte im Gang.«
»Mein Gott, Sir, was sollen wir tun?«
»Schicken Sie Ihre Leute zur Zweierbatterie, um die zu säubern«, befahl Blaine. »Dann melden Sie sich bei der Schadensbehebung.« Er drehte sich zu einem anderen Bildschirm um, »Sonstige Anweisungen, Admiral?«
Auf der Brücke ging es ziemlich hektisch zu. Einer der gepanzerten Steuermannsmaate sprang von seinem Platz auf und wirbelte herum. »Da drüben!« schrie er. Ein Infanterieposten richtete seine von den Heinzelmännchen umgebaute Waffe hilflos auf die gezeigte Stelle.
»Sie sind nicht mehr Herr Ihres Schiffs«, stellte Kutuzov ruhig fest.
»Nein, Sir.« Noch nie im Leben war Rod etwas so schwergefallen, wie das zuzugeben.
»Verletzte in Korridor Zwanzig«, meldete der Brückensprecher.
»Die Wissenschaftlerregion«, sagte Rod. »Schicken Sie alle verfügbaren Soldaten in dieses Gebiet. Sie sollen den Zivilisten helfen, Druckanzüge anzulegen. Vielleicht können wir das gesamte Schiff mit Gas —«
»Kapitän Blaine. Unsere vordringlichste Aufgabe ist, mit einem Maximum an Informationen ins Imperium zurückzukehren.«
»Ja, Sir …«
»Was bedeutet, dass die Zivilisten an Bord wichtiger sind als ein Schlachtkreuzer.«
Kutuzovs Stimme war ruhig, aber der verzerrte Mund verriet seinen Ärger. »An zweiter Stelle stehen Split-Erzeugnisse, die noch nicht zur Lenin gebracht wurden. Kapitän, Sie werden daher allen Zivilisten befehlen, Ihr Schiff zu verlassen. Ich werde die Boote der Lenin außerhalb unseres Schutzfeldes postieren. Sie werden die Zivilisten von zwei zuverlässigen Offizieren begleiten lassen. Dann werden Sie jegliche Split-Erzeugnisse sicherstellen, die den Transport zur Lenin wert sind. Sie können versuchen, die Kontrolle über Ihr Schiff wiederzuerlangen, soweit Sie dabei nicht diesen Befehlen zuwiderhandeln — und Sie werden schnell handeln, Kapitän, weil ich beim ersten Anzeichen irgendeiner Nachrichtenübermittlung von Ihrem Schiff aus — mit Ausnahme über abgesicherten Richtstrahl an mich — die Mac Arthur zu Atomen schieße.«
Blaine nickte bitter. »Aye, aye, Sir.«
»Wir verstehen uns also.« Der Gesichtsausdruck des Admirals änderte sich nicht ein bisschen. »Und Gott mit Ihnen, Kapitän Blaine.«
»Was ist mit meinem Kutter?« fragte Rod. »Sir, ich muss mit dem Kutter sprechen …«
»Ich werde die Kutterbesatzung verständigen, Kapitän. Nein. Von ihrem Schiff aus wird keinerlei Nachricht gesendet.«
»Aye, aye, Sir.« Rod sah sich auf der Brücke um. Die Leute starrten nervös um sich. Die Infanterieposten hatten die Waffen im Anschlag, und ein Bootsmann kümmerte sich um einen verletzten Kameraden.
Herrgott, kann ich der Sprechanlage noch trauen? fragte sich Rod. Er brüllte einem Melder Befehle zu und schickte drei Soldaten als Begleitung mit.
»Signal von Mr. Renner, Sir«, verkündete der Brückensprecher.
»Nicht antworten«, knurrte Blaine.
»Aye, aye, Sir. Keine Antwort.«
Der Kampf um die Mac Arthur hatte eben erst begonnen.
An Bord des Kutters waren ein Dutzend Menschen und zwei Braun-Weiße. Die anderen Split-Partner der Expeditionsmitglieder hatten sich sofort in das Kontaktschiff begeben, während Whitbreads und Sallys Fjunch(klick)s in den Kutter mitkamen. »Hätte wenig Sinn«, meinte Whitbreads Split. »Wir haben jeden Tag mit dem Befehlsgeber in unserem Schiff gesprochen.«
Dass nur diese beiden Splits geblieben waren, konnte auch einen anderen Grund haben. Der Kutter war nun ziemlich voll besetzt, und das Raumtaxi von der Mac Arthur war noch nicht eingelangt.
»Was hält sie bloß auf?« meinte Renner verwundert. »Lafferty, geben Sie eine Anfrage durch.« Lafferty, der Pilot des Kutters, hatte in der letzten Zeit sehr wenig zu tun gehabt.
Nun schaltete er den Kommunikationsstrahl ein.
»Keine Antwort, Sir.« meldete er nach einigen Augenblicken.
»Sind Sie sicher, dass das Gerät funktioniert?« »Vor einer Stunde ging’s noch«, sagte Lafferty. »Äh — da kommt etwas herein, Sir. Eine Nachricht von der Lenin.«
Kapitän Michailovs Gesicht erschien auf dem Bildschirm. »Bitte ersuchen Sie alle Nichtmenschen, dieses Schiff zu verlassen«, sagte er.
Irgendwie gelang es den Splits, sich gleichzeitig überrascht, belustigt und etwas gekränkt zu zeigen. Als sie gingen, schauten sie sich noch einmal fragend um.
Whitbread zuckte die Achseln. Staley rührte sich nicht. Als die Splits im Luftschleusentunnel waren, schloss er die Tür hinter ihnen.
Kutuzov zeigte sich auf dem Bildschirm. »Mr. Renner, Sie werden alle an Bord befindlichen Personen zur Lenin schicken. Sie müssen Druckanzüge tragen, und eines meiner Boote wird sie abholen. Die Zivilisten werden an einer Sicherungsleine herüberkommen. Sie müssen einen Luftvorrat für eine Stunde im Vakuum mit haben. In der Zwischenzeit werden Sie keinen Versuch machen, mit der Mac Arthur Kontakt aufzunehmen. Ist das klar?«
Renner schluckte. »Aye, aye, Sir.«
»Sie werden keine Fremdwesen an Bord lassen, bis Sie neue Weisungen erhalten.« »Aber was soll ich ihnen sagen, Sir?« fragte Renner.
»Sie sagen ihnen, dass Admiral Kutuzov ein unverständlicher Paranoiker ist, Mr. Renner.
Und jetzt führen Sie Ihre Befehle aus.«
»Jawohl, Sir.« Der Schirm erlosch. Renner war blass geworden. »Jetzt liest er schon Gedanken …«
»Kevin, was geht hier vor?« wollte Sally wissen. »Wir werden mitten in der Nacht aus den Betten geholt, hier herauf expediert — und nun antwortet Rod nicht, und der Admiral lässt uns unser Leben riskieren und die Splits verärgern.« Sie sprach jetzt ganz wie Senator Fowlers Nichte, wie eine Dame des Adels, die versucht hatte, sich den Wünschen der Flotte zu fügen, aber jetzt mit ihrer Langmut zu Ende war.
Dr. Horvath war noch viel ungehaltener. »Ich will damit nichts zu tun haben, Mr. Renner.
Ich habe nicht die Absicht, einen Druckanzug anzulegen.« »Die Lenin geht neben der Mac Arthur längsseits«, sagte Whitbread tonlos. Er starrte durch eine Sichtluke hinaus.
»Der Admiral lässt unser Schiff von Booten einkreisen — ich glaube, jetzt bringt jemand eine Leine hinüber.«
Alle drängten sich an die Aussichtsluken. Lafferty richtete das Teleskop des Kutters aus und schaltete das Bild auf die Brückenschirme. Nach einer Weile sah man, wie Gestalten in Raumanzügen sich an Leinen zu den Booten der Lenin hinüberzogen.
Nach einiger Zeit schwenkten die Boote ab, und andere nahmen ihren Platz ein.
»Sie verlassen die Mac Arthur«, sagte Staley verwundert. Er blickte auf, sein kantiges Gesicht war verzerrt. »Und eins von den Booten der Lenin kommt auf uns zu. Mylady, Sie werden sich beeilen müssen. Ich glaube nicht, dass wir noch viel Zeit haben.«
»Ich habe schon gesagt, ich gehe nicht!« erklärte Dr. Horvath starrsinnig.
Staley legte eine Hand auf seine Waffe. In der Kabine wurde es totenstill.
»Doktor, erinnern Sie sich an den Befehl, den Admiral Kutuzov vom Vizekönig erhielt?« erkundigte sich Renner schließlich beiläufig. »Wenn ich mich recht entsinne, sollte er eher die Mac Arthur zerstören als die Splits wichtige Informationen gewinnen lassen.«
Renners Stimme klang kühl und beinahe spöttisch.
Horvath versuchte, noch etwas zu sagen. Er hatte sichtlich Schwierigkeiten, nicht die Beherrschung zu verlieren. Endlich drehte er sich ohne ein Wort um und ging zum Spind mit den Druckanzügen. Nach einigen Augenblicken folgte ihm Sally.
Horace Bury war gleich nach der Kaffeemaschinenuntersuchung in seine Kabine zurückgekehrt. Er arbeitete gerne bis spät in die Nacht hinein und hielt dafür einen kurzen Mittagsschlaf. Obwohl er zur Zeit nichts zu arbeiten hatte, war er bei der Gewohnheit geblieben. Die Alarmsirenen weckten ihn. Irgend jemand befahl Gefechtsadjustierung für die Infanterie. Er wartete, aber es geschah längere Zeit nichts mehr. Schließlich begann es beinahe unerträglich zu stinken. Der Geruch machte ihn würgen — er konnte sich nicht erinnern, jemals einen solchen Gestank in die Nase bekommen zu haben, ein Konzentrat von Maschinenabgasen und der Ausdünstung ungewaschener Körper — und mit jedem Augenblick wurde es schlimmer.
Wieder schrillten Alarmsignale. »Alle Vorkehrungen für Hochvakuum! Alle Mann Druckanzüge anlegen! Militärpersonal Gefechtsanzüge anlegen. Alles klarmachen für Hochvakuum!«
Nabil jammerte entsetzt los. »Idiot! In den Anzug!« schrie Bury und holte hastig seinen eigenen. Erst als er saubere Luft atmete, hörte er wieder auf die Alarmmeldungen.
Die Stimmen klangen irgendwie anders. Sie kamen nicht aus der Bordsprechanlage, sondern aus dem Gang — jemand brüllte draußen Anweisungen durch alle Korridore.
»Zivilisten haben sofort das Schiff zu verlassen. An alle Zivilisten: Bereiten Sie sich auf sofortiges Verlassen des Schiffs vor!«
Also wirklich. Bury lächelte fast. Das war nun etwas ganz Neues — war es eine Übung?
Der Lärm draußen klang nach einem ziemlichen Durcheinander. Ein Trupp Soldaten in Gefechtsanzügen, die Waffen im Anschlag, polterte vorbei. Burys Lächeln erlosch und er sah sich hastig um, was von seinen Besitztümern sich zu retten lohnte.
Wieder hallte Gebrüll durch den Korridor. Ein Offizier tauchte auf und schrie Anweisungen. Die Zivilisten würden die Mac Arthur über eine Sicherungsleine verlassen. Jeder durfte ein Gepäckstück mitnehmen, musste aber auf jeden Fall eine Hand freibehalten.
Beim Barte des Propheten! Welche Ursache hatte das alles nur? War das goldglänzende Asteroidenmetall, dieser Wärmesupraleiter, sichergestellt worden? Ganz bestimmt würde man die kostbare, selbstreinigende Espressomaschine nicht mitnehmen.
Was sollte er zu retten versuchen?
Die Schwere im Schiff wurde merklich geringer. Große Schwungräder im Inneren begannen seine Rotation aufzunehmen. Bury sammelte eilig die Gegenstände ein, die jeder Weltraumreisende brauchte, egal, was sie wert waren. Irgendwelche Luxussachen konnte er sich jederzeit wieder kaufen, aber …
Die Miniaturexemplare. Er musste diese Pressluftflasche aus der Luftschleuse D holen.
Und wenn er für eine andere Luftschleuse eingeteilt wurde, was dann?
Er packte in rasender Eile. Zwei Handkoffer — den einen würde Nabil tragen. Jetzt, da Nabil seine Befehle hatte, arbeitete er rasch und zuverlässig. Immer wieder ertönten draußen aufgeregte Stimmen, und mehrmals kamen Trupps Schiffspersonal oder Soldaten an der Kabinentür vorbei, alle bewaffnet und in Panzeranzügen.
Burys Druckanzug begann sich aufzublähen. Der Luftdruck im Schiff fiel rasch, und er gab den Gedanken auf, dass dies nur eine Übung sein könnte. Ein Teil der wissenschaftlichen Ausrüstung vertrug kein Vakuum — und niemand war in seine Kabine gekommen, um seinen Druckanzug zu überprüfen. Die Flotte würde kaum mit einer Übung das Leben von Zivilisten gefährden.
Ein Offizier kam den Korridor heran. Bury vernahm seine harte, vollkommen ruhige Stimme durch sein Helmradio. Nabil hielt unsicher lauschend inne, und Bury wies ihn mit einer Handbewegung an, den Helmfunk einzuschalten.
»An alle Zivilisten: Begeben Sie sich zur nächstgelegenen Luftschleuse auf der Backbordseite«, rief die völlig emotionslose Stimme. In wirklichen Gefahrensituationen sprachen Flottenoffiziere immer so, was Bury endgültig vom Ernst der Lage überzeugte.
»Evakuierung von Zivilpersonen nur durch Backbordschleusen. Wenn Sie sich nicht auskennen, fragen Sie den nächsten Offizier oder Maat. Bitte bewegen Sie sich langsam und mit Vorsicht. Es ist Zeit genug, alle Personen zu evakuieren.« Der Offizier schwebte vorüber und zog sich in einen anderen Korridor.
Backbordseite? Gut. Nabil hatte klugerweise den falschen Lufttank in der nächstliegenden Luftschleuse versteckt. Ehre der Herrlichkeit Allahs: Das war eine Schleuse auf der Backbordseite gewesen. Er winkte seinem Diener und begann sich von einem Haltegriff zum nächsten an der Wand entlang zuziehen. Nabil folgte geschickt; er hatte seit ihrer Inhaftierung genügend Zeit zum Üben gehabt.
Eine verwirrte Menge schob sich durch den Korridor. Bury sah, wie dahinter ein Trupp Infanterie in den Korridor einbog, kehrt machte und in die Richtung zu feuern begann, aus der er gekommen war. Das Feuer wurde erwidert, helles Blut verdampfte ins Vakuum und bildete zahllose kleine Tröpfchen, die durch die stählernen Korridore schwebten. Die Gangbeleuchtung begann zu flackern.
Ein Unteroffizier kam herangetrieben und schloss sich ihnen an. »Weiter, weiter«, knarrte er. »Unsere Fl-Jungs können nicht mehr lange durchhalten. Gott segne sie!«
»Worauf schießen sie?« fragte Bury.
»Minis«, brummte der Unteroffizier. »Wenn sie diesen Korridor nehmen, müssen Sie sich schnell absetzen, Mr. Bury. Die kleinen Biester haben Waffen.«
»Die Heinzelmännchen?« fragte Bury ungläubig. »Mini-Splits?«
»Ja, Sir, das Schiff ist überschwemmt von den kleinen Scheusälern. Sie haben jetzt die Lufterneuerungsanlage so umgestellt, wie’s ihnen behagt … Beeilen Sie sich, Sir. Bitte.
Die Soldaten können sie nicht lange aufhalten.«
Bury stieß sich kräftig von einem Haltegriff ab und trieb bis ans Ende des Korridors, wo er geschickt von einem Raummaat aufgefangen und um die Kurve befördert wurde.
Heinzelmännchen? Aber sie waren doch im ganzen Schiff ausgerottet worden, bis auf …
An der Luftschleuse wartete bereits eine Traube von Menschen. Weitere Zivilisten trafen ein, und das nicht mehr kämpfende Flottenpersonal verstärkte noch das Gedränge. Bury schob sich gewaltsam bis zum Luftflaschenspind durch. Ja, seine war noch da. Er zog die Attrappe heraus und gab sie Nabil, der sie an Burys Anzug befestigte.
»Das wird nicht nötig sein, Sir«, sagte ein Offizier. Bury stellte fest, dass er den Mann direkt hören konnte: Hier herrschte noch normaler Luftdruck — aber sie waren durch keinerlei luftdichte Türen gekommen! Die Heinzelmännchen! Sie hatten die unsichtbare Druckschranke erzeugt, die das Prospektor-Split auf seinem Boot gehabt hatte! Dieses Geheimnis musste er haben! »Man kann nie wissen«, sagte Bury zu dem Offizier. Der Mann zuckte die Achseln und schob wieder zwei Personen in die Schleuse. Dann war Bury an der Reihe. Der Offizier winkte sie weiter.
Die Schleuse öffnete sich. Bury berührte Nabils Schulter und zeigte hinaus. Nabil begann sich an der Leine in die Schwärze hinauszuziehen. Schwärze, keine Sterne, nichts. Was war da draußen? Bury merkte, dass er den Atem anhielt. Ehre sei Allah, ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah — Nein! Er hatte die kostbare Luftflasche gerettet, mit den beiden im Tief schlaf liegenden Minis. Ungeahnte Reichtümer!
Technische Geheimnisse, die nicht einmal das Erste Imperium besessen hatte! Und ein endloser Strom neuer Erfindungen und Verbesserungen. Nur — was für ein Dschinn schlummerte in dieser Flasche?
Nun waren sie durch den engen Tunnel im Schutzfeld der Mac Arthur — ein genau kontrolliertes Loch — hindurch. Draußen lag das Dunkel des Raums, von dem sich ein tief schwarzer Umriss abhob. Weitere Sicherungsleinen führten von Öffnungen im Feld der Mac Arthur zu dieser dunklen Silhouette, und viele winzige Spinnen schoben sich an den Fäden entlang. Hinter Bury kam wieder eine Gestalt im Raumanzug, dahinter noch eine. Nabil und andere waren vor ihm, und … Seine Augen gewöhnten sich nun zusehends an die neuen Verhältnisse. Er konnte den tiefrötlichen Schimmer des Kohlensacks wahrnehmen, und der dunkle Fleck voraus musste die Lenin mit ihrem Feld sein. Ob er durch das hindurch musste? Nein, Boote lagen außerhalb davon, und die Weltraumspinnen krabbelten auf sie zu.
Das Boot kam näher. Bury wandte sich zu einem letzten Blick auf die Mac Arthur um. In seinem langen Leben hatte er schon von vielen temporären Wohnsitzen Abschied genommen; die Mac Arthur war keineswegs der angenehmste gewesen. Er musste jedoch an die vielen technischen Kostbarkeiten denken, die nun vernichtet werden würden. All die Heinzelmännchen-Verbesserungen, die fantastische Kaffeemaschine. Er verspürte einen Anflug von Bedauern. Die Mannschaft der Mac Arthur war für seine Hilfe mit dem Kaffee wirklich dankbar, und seine Demonstration nach dem Dinner war bei den Offizieren ein großer Erfolg gewesen. Alles war bestens verlaufen. Vielleicht auf der Lenin …
Die Luftschleuse war jetzt nur mehr ein kleiner Lichtfleck hinter ihm. Noch eine ganze Reihe Leute kamen an der Leine nach. Den Kutter, wo sein Split sich jetzt aufhielt, konnte er nicht ausmachen. Ob er es wohl jemals wiedersehen würde?
Er blickte sich um und schaute dem nächsten an der Leine zu. Die Gestalt im Raumanzug holte rasch auf, denn sie hatte kein Gepäck und daher beide Hände frei.
Ein Scheinwerfer von der Lenin streifte den Helm und leuchtete durch das Visier.
In diesem Augenblick sah Bury zumindest drei Paar Augen auf sich gerichtet. Große Augen in winzigen Gesichtern.
Später kam es Bury vor, als ob er nie in seinem Leben so schnell gedacht hätte. Einen Herzschlag lang starrte er die herangleitende Gestalt an, während alle möglichen Gedanken durch sein Hirn rasten, und dann …
Der Mann, der seinen Schrei hörte, sagte später, es hätte wie der Schrei eines Wahnsinnigen oder eines Menschen in Todesqualen geklungen.
… dann schleuderte Bury seinen Handkoffer auf die Gestalt.
Sein nächster Schrei war eine entsetzte Warnung. »Sie sind im Anzug! Da drinnen sind sie!« Er tastete nach der Luftflasche auf seinem Rücken und riss sie herunter. Mit beiden Händen hob er den Metallzylinder hoch über den Kopf und schleuderte ihn.
Dem Handkoffer war die Gestalt ungeschickt ausgewichen. Ein Mini in jedem Arm bewegte die Finger des Anzugs … sie verloren den Halt, versuchten die Leine wieder zu erwischen. In diesem Augenblick traf die Pressluftflasche genau die Sichtplatte des Helms und zerschmetterte sie.
Augenblicklich quollen winzige, zappelnde Gestalten heraus, sechsgliedrig, äffchengroß, und die ausströmende Luft trieb sie davon. Noch etwas war dabei, etwas von der Form eines Fußballs, etwas, das Bury aus bestimmten Erfahrungen erkannte. So also hatten sie den Offizier an der Luftschleuse getäuscht. Ein abgetrennter menschlicher Kopf.
Bury merkte, dass er drei Meter abseits der Leine schwebte. Zitternd holte er tief Atem.
Ja, er hatte den richtigen Kanister geworfen. Allah war gnädig.
Er wartete, bis ein Mann aus dem Boot der Lenin kam und sich mit seinen Anzugdüsen zu ihm herüberschoss. Der Mann nahm Bury in Schlepp. Die Berührung ließ Bury zusammenzucken; sein Retter mochte sich auch vielleicht wundern, warum Bury so scharf in seinen Helm starrte. Vielleicht aber auch nicht.
Die Mac Arthur machte plötzlich einen heftigen Satz. Rod stürzte zum Vidi und brüllte:
»Sinclair! Was zum Teufel tun Sie, Commander?«
Die Antwort war kaum vernehmbar. »Käptn, das war ich nich’. Ich hab’ keine Kontrolle mehr über die Korrekturdüsen, un’ sonst über verdammt wenig.«
»Oh Gott«, sagte Blaine. Sinclairs Bild verschwamm auf dem Schirm. Die übrigen Schirme erloschen. Einen Moment später war die gesamte Kommunikation auf der Brücke zusammengebrochen. Rod versuchte es mit Hilfsschaltungen. Nichts.
»Computer ist stillgelegt«, meldete Crawford. »Ich kriege überhaupt nichts mehr herein.«
»Versuchen Sie die direkte Leitung. Ich brauche Cargill«, befahl Rod dem Sprecher.
»Ich hab’ ihn, Käptn.«
»Jack, wie sieht es bei euch achtern aus?«
»Schlecht, Käptn. Wir sind eingekreist, und ich hab’ außer den direkten Leitungen keine Verbindung mehr — und etliche davon sind auch schon tot.« Die Mac Arthur ruckte wieder, und im hinteren Brückenraum wurden aufgeregte Stimmen laut. »Käptn!
Leutnant Piper meldet eben, dass die Minis in der Hauptkombüse miteinander kämpfen!
Es ist eine richtige Schlacht!«
»Herrgott, Erster, wie viele von den Biestern haben wir nur an Bord?«
»Käptn, ich hab keine Ahnung! Hunderte vielleicht. Sie müssen sich in jedem Geschütz eingenistet und dann überallhin ausgebreitet haben. Sie sind …« Cargills Stimme brach ab.
»Jack!« rief Rod. »Sprecher, haben wir eine andere Leitung zum Ersten Offizier?«
Bevor der Bootsmannsmaat antworten konnte, war Cargill wieder in der Leitung.
»Knappe Sache, Käptn. Zwei bewaffnete Minis kamen aus dem Hilfsfeuerleitcomputer.
Wir haben sie erwischt.« Blaines Gedanken jagten einander. Die Kommandoverbindungen gingen eine nach der anderen verloren, und er wusste nicht einmal, wie viele Leute er noch hatte. Der Computer war unbrauchbar. Selbst wenn sie die Mac Arthur wieder unter Kontrolle bekommen sollten, würde sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr raumtauglich gemacht werden können. »Sind Sie noch dran, Erster?«
»Ja, Sir.«
»Ich gehe jetzt hinunter zur Luftschleuse, um mit dem Admiral zu sprechen. Wenn ich mich nicht in fünfzehn Minuten wieder melde, verlassen Sie das Schiff. Fünfzehn Minuten, Jack. Von jetzt an.«
»Aye, aye, Sir.«
»Sie können schon beginnen, die Mannschaft zu sammeln. Und nur an der Backbordseite, Jack — das heißt, wenn sie die augenblickliche Lage bei behalt. Die Schleusenoffiziere haben Order, die Öffnungen im Feld zu schließen, wenn sich die Mac dreht.«
Rod winkte der Brückenbesatzung zu und begann sich zu den Schleusen vorzuarbeiten.
In den Gängen herrschte Chaos, und gelber Nebel — Ciphogen — erfüllte einen Großteil des Schiffs. Rod hatte gehofft, der Mini-Gefahr mit Gas ein Ende zu bereiten, aber es hatte nicht geklappt, und er wusste nicht, weshalb.
Die Infanteristen hatten einige Schotten niedergerissen und’ sich hinter den Trümmern verschanzt, mit schussbereiten Waffen.
»Die Zivilisten draußen?« fragte Rod den Offizier an der Schleuse.
»Ja, Sir. Soweit wir feststellen konnten. Käptn, ich habe die Männer einen Kontrollgang durch die Zivilregion machen lassen, aber ich möchte das nicht noch mal riskieren. Die Minis sind dort besonders zahlreich — als hätten sie dort Unterschlupf gefunden.«
»Das haben sie vielleicht, Piper«, sagte Blaine. Er zog sich durch die Schleuse und richtete seinen Helmsender auf die Lenin. Der Kommunikationslaser blitzte auf. Rod hielt sich am Schleusenrand fest, um die abgesicherte Verbindung nicht zu unterbrechen.
»Wie ist die Lage?« wollte Kutuzov wissen. Widerstrebend berichtete Rod. Er wusste, was jetzt folgen musste.
»Ihre Vorschläge?« fragte der Admiral knapp.
»Die Mac Arthur wird wahrscheinlich nie wieder raumtüchtig, Sir. Ich fürchte, ich werde sie aufgeben und die Selbstzerstörung einleiten müssen, sobald ich eine Kontrollrunde gemacht habe, um eventuell eingeschlossene Leute herauszuholen.« »Und was werden Sie tun?«
»Den Rettungstrupp führen, Sir.«
»Nein.« Die Stimme des Admirals klang sehr ruhig. »Ich nehme Ihren Vorschlag an, Kapitän, aber ich befehle Ihnen hiermit, Ihr Schiff zu verlassen. Halten Sie diesen Befehl im Log fest, Commander Borman«, fügte er an jemand anderen im Brückenraum gewandt hinzu. »Sie werden Order geben, das Schiff zu verlassen und zu vernichten, Sie werden das Kommando dem Ersten Offizier übergeben, und sich an Bord des Kutters Nummer Zwei der Lenin melden. Sofort.«
»Sir — Sir, ich ersuche, bei meinem Schiff bleiben zu dürfen, bis meine Besatzung in Sicherheit ist.«
»Abgelehnt, Kapitän«, antwortete die unbarmherzige Stimme unwirsch. »Ich bezweifle durchaus nicht, dass Sie Mut haben, Kapitän. Die Frage ist, haben Sie genug Mut, um weiterzuleben, nachdem Sie Ihr Kommando verloren haben?«
»Sir …« Oh, zur Hölle mit dem Alten! Rod drehte sich zur Mac Arthur um, wodurch die abgesicherte Verbindung unterbrochen wurde. An der Luftschleuse wurde gekämpft.
Eine Anzahl von Minis hatte das Schott gegenüber der einen Barrikade durchgeschmolzen, und die Soldaten feuerten wild durch die Öffnung. Blaine presste die Zähne zusammen und wandte sich von dem Gefecht ab. »Admiral, Sie können mir nicht befehlen, meine Leute im Stich zu lassen!«
»Kann ich das nicht? Bedrückt Sie der Gedanke an die Zukunft? Sieglauben, man wird für den Rest Ihres Lebens hinter Ihrem Rücken über Sie flüstern, Sie verurteilen? Und das sagen Sie mir? Führen Sie Ihre Befehle aus, Kapitän Lord Blaine.«
»Nein, Sir.«
»Sie widersetzen sich einem ausdrücklichen Befehl?«
»Ich kann diesen Befehl nicht akzeptieren. Ich habe immer noch das Kommando über mein Schiff, Sir.«
Einen langen Augenblick schwieg der Admiral. »Ihr Beharren auf der Flottentradition ist bewundernswert, Kapitän, aber dumm. Es wäre möglich, dass Sie der einzige Offizier im ganzen Imperium sind, der ein Verteidigungsmittel gegen diese Bedrohung weiß. Sie wissen jetzt mehr über diese Fremden als sonst jemand in der Flotte. Dieses Wissen ist wichtiger als Ihr Schiff. Es ist wichtiger als jeder Mann in Ihrem Schiff, jetzt, da die Zivilisten evakuiert sind. Ich kann Ihnen nicht erlauben, mit Ihrem Schiff zu sterben, Kapitän. Sie werden von Bord gehen, selbst wenn ich erst einen anderen Kommandanten hinüberschicken müsste.«
»Er würde mich nicht finden, Admiral. Entschuldigen Sie mich, Sir, ich habe zu tun.«
»Halt!« Wieder eine Pause. »Also gut, Kapitän. Ich werde ein Abkommen mit Ihnen treffen. Wenn Sie in Verbindung mit mir bleiben, werde ich Ihnen gestatten, an Bord der Mac Arthur zu bleiben, bis das Schiff verlassen und die Selbstvernichtung eingeleitet ist.
Von dem Moment an, da Sie nicht mehr in Verbindung mit mir sind, sind Sie des Kommandos über die Mac Arthur enthoben. Muss ich Commander Borman hinüberschicken?«
Das Unangenehme ist, dachte Rod, dass er recht hat. Die Mac ist verloren. Cargill kann die restlichen Leute ebenso gut wie ich herausholen. Und vielleicht weiß ich wirklich etwas Wichtiges. Aber es ist immer noch mein Schiff! »Ich nehme Ihre Bedingungen an, Sir. Ich kann die Aktion ohnehin von hier aus besser leiten. Die Brücke ist von jeder Verbindung abgeschnitten.«
»Gut. Ich habe also Ihr Wort.« Der Kommunikationsstrahl erlosch.
Rod drehte sich wieder zur Luftschleuse um. Die Infanterie hatte das Scharmützel gewonnen, und Piper winkte ihm. Rod zog sich an Bord. »Commander Cargill hier«, sagte das Vidifon, doch der Bildschirm blieb dunkel. »Käptn?«
»Ja, Jack?«
»Wir kämpfen uns durch auf die Backbordseite, Käptn. Sinclair und seine Leute sind bereit, sich abzusetzen. Er sagt, ohne Verstärkung kann er die Maschinenräume nicht länger halten. Und ein Melder hat berichtet, das steuerbord in der Unteroffiziersmesse Zivilisten eingeschlossen sind. Ein Trupp Infanterie ist bei ihnen, aber es wird ihnen hart zugesetzt.«
»Erster, wir haben Order, das Schiff aufzugeben und die Selbstvernichtung einzuleiten.«
»Jawohl, Sir.«
»Wir müssen diese Zivilisten rausholen. Können Sie einen Weg von Schott 160 nach vorne sichern? Vielleicht finde ich jemanden, der die Wissenschaftler wenigstens so weit bringt.«
»Ich denke schon, Sir. Aber, Käptn, ich komm’ nicht mehr an den Feldgeneratorraum ran! Wie sollen wir da vernichten?«
»Darum werde ich mich kümmern. Tun Sie nur Ihren Job, Erster.« »Aye, aye, Käptn.«
Selbstvernichtung. Als die Flotte vor Jahrtausenden noch eine Marine gewesen war, hatte man von Versenken gesprochen. Diese bitterste Aufgabe eines Kommandanten war jedoch nicht leichter geworden. Sein Schiff vernichten. Es klang irgendwie unwirklich. Rod atmete tief ein. Die Luft aus dem Atemgerät hatte einen säuerlich metallischen Geschmack. Doch vielleicht war es gar nicht die Luft.
Eine Stunde verging, bis ein Boot der Lenin am Kutter längsseits ging. Alle sahen schweigend zu, wie es heranglitt.
»Relaissignal von Mac Arthur über Lenin, Sir«, meldete der Bootsmann. Der Bildschirm leuchtete auf.
Das Gesicht auf dem Bildschirm zeigte zwar Rod Blaines Züge, aber es war nicht sein Gesicht. Sally erkannte ihn fast nicht. Er schaute älter aus, und seine Augen waren leer — tot. Er starrte die Menschen im Kutter an, und sie starrten ihn an, fassungslos.
Schließlich sagte Sally: »Rod, was um Himmels willen geht hier vor?«
Blaine schaute ihr in die Augen und wandte dann den Blick ab. Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. »Mr. Renner«, sagte er. »Schicken Sie alle Leute über die Leine zum Boot der Lenin hinüber. Räumen Sie den Kutter. Und jetzt hören Sie alle zu: Sie werden vom Piloten des Bootes einige sonderbare Befehle erhalten. Befolgen Sie sie aufs Wort! Sie werden keine zweite Chance bekommen, also debattieren Sie erst nicht. Tun Sie genau, was man Ihnen sagt.«
»Also Moment mal«, fauchte Horvath. »Ich …«
Rod unterbrach ihn. »Doktor, aus Gründen, die Ihnen später aufgehen werden, erhalten Sie vorläufig keine Erklärung. Sie werden wie die anderen tun, was man Ihnen sagt.« Er blickte wieder zu Sally. Diesmal kam ein Funke Leben in seine Augen, Besorgnis vielleicht. Sie versuchte zu lächeln, aber es wurde nicht viel daraus. »Bitte, Sally«, sagte er. »Tu genau alles, was der Pilot sagt. Alles Gute. Ende und aus.«
Einige Atemzüge lang regte sich niemand. Dann holte Sally tief Luft und wandte sich zur Luftschleuse. »Gehen wir«, sagte sie. Wieder versuchte sie ein Lächeln, aber es ließ sie nur noch beunruhigter wirken.
Die Steuerbordschleuse war mit dem Kontaktschiff der Splits verbunden worden. So verließen sie jetzt den Kutter auf der Backbordseite. Die Besatzung des Bootes hatte bereits mehrere Sicherungsleinen zum Kutter gespannt. Das Boot war dem Kutter der Mac Arthur sehr ähnlich — ein relativ flacher Rumpf mit einem schaufeiförmigen Wiedereintrittsschild unterhalb der Nase.
Sally zog sich langsam an der Leine entlang zum Boot der Lenin und durch die äußere Schleusentür. In der Schleuse wurde sie angehalten, die Öffnung hinter ihr glitt zu, und sie merkte, dass Luft in die Kammer einströmte.
Ihr Anzug bestand aus einem sehr dichten Gewebe, das wie eine zweite Haut an ihrem Körper anlag. Der eigentliche Raumanzug war eine formlose Schutzhülle darüber.
»Es ist leider nötig, Sie zu durchsuchen, Mylady«, sagte ein Offizier mit etwas gutturalem Akzent. Sie blickte sich um: Zwei bewaffnete Infanteriesoldaten standen hinter ihr in der Schleusenkammer. Die Waffen waren nicht auf sie gerichtet — nicht genau jedenfalls. Aber die beiden waren sehr wachsam, und sie hatten Angst.
»Was soll das?« wollte sie wissen.
»Alles zu seiner Zeit, Mylady«, sagte der Offizier. Er half ihr, das Atemgerät vom Rücken zu nehmen. Es wurde in einen durchsichtigen Plastikbehälter gesteckt. Der Offizier schaute in ihren Helm, nachdem er ihn ihr abgenommen hatte, und steckte ihn zu den Luftflaschen und ihrem Schutzanzug. Alles, was sie jetzt noch anhatte, füllte sie ganz offensichtlich mit ihrem Körper aus. »Danke«, murmelte der Offizier. »Gehen Sie jetzt bitte nach achtern. Die anderen werden nachkommen.«
Renner und die übrigen Angehörigen der Flotte wurden etwas anders behandelt.
»Ausziehen«, sagte der Offizier. »Alles, wenn’s recht ist.« Die Infanteristen waren nicht einmal so rücksichtsvoll, ihre Waffen ein wenig zur Seite zu richten. Als sie alles abgelegt hatten, was sie am Körper hatten — Renner musste sogar seinen Siegelring in den Behälter geben — wurden sie nach vorne geschickt. Ein zweiter Infanterieoffizier wies ihnen Gefechtsanzüge zu, und zwei Soldaten halfen ihnen, sie anzulegen. Jetzt waren keine Waffen mehr auf sie gerichtet. »Die lausigste Striptease-Schau, die mir je untergekommen ist«, bemerkte Renner zu dem Piloten. Der Bootsmann nickte nur.
»Könnten Sie mir vielleicht verraten, was das alles soll?« »Der Kapitän wird es Ihnen erklären, Sir«, sagte der Bootsmann.
»Wieder mal Heinzelmännchen!« rief Renner.
»Ist das der Grund, Mr. Renner?« erkundigte sich Whitbread hinter ihm. Der Kadett zwängte sich wie befohlen in einen Panzeranzug. Er hatte sich nicht getraut, jemand anderem Fragen zu stellen, aber mit Renner konnte man reden.
Renner zuckte die Achseln. Die ganze Sache kam ihm irgendwie unwirklich vor. Der Kutter war vollgestopft mit Infanterie und Waffen — und viele Männer stammten von der Mac Arthur. Schütze Kelley stand mit ausdrucksloser Miene an der Luftschleuse und hielt seine Waffe darauf gerichtet.
»Das sind alle«, sagte eine Stimme.
»Wo ist Kaplan Hardy?« fragte Renner.
»Bei den Zivilisten, Sir«, sagte der Bootsmann. »Einen Augenblick, bitte.« Er hantierte an der Kommunikationskonsole herum. Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte Blaines Gesicht.
»Abgesicherte Verbindung, Sir«, meldete der Bootsmann.
»Danke. — Staley.«
»Ja, Kapitän?« antwortete der dienstälteste Kadett.
»Mr. Staley, dieser Kutter wird in Kürze bei der Lenin längsseits gehen. Die Zivilisten und unsere Kutterbesatzung mit Ausnahme von Bootsmann Lafferty werden sich auf das Kriegsschiff begeben, wo sie von Sicherheitsoffizieren durchsucht werden. Sobald sie von Bord gegangen sind, übernehmen Sie das Kommando über den Kutter Nummer Eins der Lenin und setzen über zur Mac Arthur. Sie werden an der Steuerbordseite unmittelbar achtern von der Unteroffiziersmesse eindringen. Ihre Aufgabe ist es, ein Ablenkungsmanöver zu starten und alle noch überlebenden Feinde in diesem Gebiet zu binden, um einer Gruppe von Zivilisten und Soldaten, die in der Messe eingeschlossen sind, eine Möglichkeit zum Entkommen zu geben. Sie werden Kelley und seine Leute mit Druckanzügen und Kampfausrüstung für fünfundzwanzig Männer in diese Messe schicken. Die Ausrüstung ist bereits an Bord. Die ganze Gruppe setzt sich dann Richtung Bug ab. Commander Cargill hat den Weg von Schott Eins-sechs-null nach vorne freigemacht.«
»Aye, aye, Sir.« Staley schien nicht recht glauben zu können, was er gehört hatte. Trotz der Schwerelosigkeit im Kutter stand er stramm. Blaine lächelte fast. Zumindest zuckten seine Lippen ein wenig. »Der Gegner, Kadett, besteht aus einigen hundert Miniatursplits. Sie haben Handwaffen zur Verfügung. Einige sind mit Gasmasken ausgerüstet. Sie sind nicht gut organisiert, aber sehr gefährlich. Sie werden sich davon überzeugen, dass sonst keine Passagiere oder Besatzungsmitglieder mittschiffs auf der Steuerbordseite eingeschlossen sind. Wenn dieser Auftrag erledigt ist, werden Sie mit einigen Leuten in die Mannschaftsmesse mittschiffs vordringen und die Kaffeemaschine mitnehmen. Aber sehen Sie verdammt genau nach, ob die Maschine leer ist, Mr. Staley.
»Die Kaffeemaschine?« murmelte Renner ungläubig. Whitbread schüttelte den Kopf und flüsterte Potter irgend etwas zu.
»Die Kaffeemaschine, Mr. Renner. Sie wurde von den Minis umgebaut, und das Prinzip könnte von großem Wert für das Imperium sein. Sie werden vielleicht auf andere seltsame Gegenstände stoßen, Mr. Staley. Es ist Ihnen überlassen, was Sie davon mitnehmen wollen — aber Sie werden unter keinen Umständen etwas herausbringen, in dem ein lebendes Mini stecken könnte. Und beobachten Sie die Leute um sich genau.
Die Minis haben mehrere Besatzungsmitglieder umgebracht, sich in ihre Panzeranzüge gesetzt und den abgetrennten Kopf zur Täuschung im Helm gelassen. Überzeugen Sie sich, dass ein Mensch im Raumanzug ein Mensch ist, Mr. Staley. Wir haben bis jetzt noch nicht festgestellt, dass sie diesen Trick auch mit Druckanzügen versuchen, aber seien Sie auf jeden Fall verdammt vorsichtig.«
»Jawohl, Sir«, sagte Staley mit heiserer Stimme. »Sir, werden wir das Schiff wieder unter Kontrolle bekommen können?«
»Nein.« Blaine kämpfte sichtlich um Fassung. »Sie werden nicht viel Zeit haben, Kadett.
Vierzig Minuten nachdem Sie die Mac Arthur betreten haben, werden Sie sämtliche konventionellen Selbstvernichtungssysteme aktivieren und den Zeitzünder an dem Torpedo, den wir vorbereitet haben, einschalten. Melden Sie sich bei mir an der Hauptschleuse backbord, wenn Sie das getan haben. Fünfundvierzig Minuten nach Ihrem Entern wird die Lenin auf jeden Fall mit dem Beschuss der Mac Arthur beginnen.
Ist das alles klar?«
»Ja, Sir«, sagte Horst Staley ruhig. Er warf den anderen einen Blick zu. Potter und Whitbread erwiderten den Blick betroffen. »Kapitän«, sagte Renner. »Sir, ich möchte darauf hinweisen, dass ich der ranghöchste Offizier hier bin.«
»Das weiß ich, Renner. Ich habe auch für Sie eine Aufgabe. Sie werden Kaplan Hardy zurück zum Kutter der Mac Arthur begleiten und ihm helfen, alle wichtigen Geräte und Aufzeichnungen sicherzustellen. Ein anderes Boot von der Lenin wird Sie und die Sachen abholen, und Sie werden dafür sorgen, dass alles in einen versiegelten Behälter verpackt wird, den das Boot mitbringt.«
»Aber — Sir, ich sollte diesen Entsatztrupp anführen!«
»Sie sind kein Kampfoffizier, Renner. Erinnern Sie sich, was Sie mir gestern nach dem Lunch sagten?«
»Ja, aber ich hab’ Ihnen nicht gesagt, ich sei ein Feigling«, fauchte Renner.
»Das ist mir durchaus bewusst. Mir ist außerdem bewusst, dass Sie wahrscheinlich der unorthodoxeste Offizier sind, den ich habe. Dem Kaplan wurde gesagt, dass an Bord der Mac Arthur eine Seuche ausgebrochen sei und dass wir ins Imperium zurückkehren müssten, bevor alle angesteckt werden. Das ist die offizielle Erklärung für die Splits. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber Hardy wird es leichter haben, sie zu überzeugen, wenn er selbst daran glaubt. Ich muss ihm aber jemanden mitgeben, der auch die wahre Situation kennt.«
»Einer der Kadetten …«
»Mr. Renner, zum Kutter der Mac Arthur! Staley, Sie haben Ihre Befehle.«
»Aye, aye, Sir.«
Renner verschwand wütend.
Drei Kadetten und ein Dutzend Flotteninfanteristen klammerten sich in das Kollisionsnetz in der Hauptkabine des Lenin-Kutters. Die Zivilisten und die reguläre Besatzung waren von Bord gegangen, und das Boot begann sich langsam von dem schwarzen Umriss der Lenin zu entfernen.
»Also, Lafferty«, sagte Staley. »Bringen Sie uns auf die Steuerbordseite der Mac Arthur.
Wenn wir nicht angegriffen werden, rammen Sie, und zwar bei der Tankanlage achtern von Schott 185.«
»Jawohl, Sir.« Lafferty zeigte keinerlei merkliche Reaktion. Er, war ein starkknochiger Mann, der von den Ebenen der Welt Tabletop stammte. Sein Haar war aschblond und sehr kurz geschnitten, und seine kantigen Züge schienen aus Holz geschnitzt zu sein.
Das Kollisionsnetz war für heftige Stöße konstruiert. Die Kadetten hingen darin wie Fliegen in einem riesigen Spinnennetz. Staley schaute Whitbread an. Whitbread schaute Potter an. Beide vermieden es, die Soldaten hinter sich anzusehen. »Also los!« befahl Staley. Der Antrieb heulte auf.
Die eigentliche Schutzhülle jedes Kriegsschiffs ist das Langston-Feld. Kein Material könnte ja der unvorstellbaren Hitze von Fusionsbomben und Hochenergielasern widerstehen. Da ohnehin alles, was das Feld und das Defensivfeuer des Schiffs zu durchdringen vermag, jegliche Materie dahinter zu Atomen verglühen lässt, kann der Rumpf eines Kriegsschiffs relativ dünnwandig sein. Er ist jedoch nur relativ dünn. Ein Schiff muss ausreichend strukturelle Festigkeit besitzen, um hohe und plötzliche Beschleunigungen auszuhalten.
Einige Abteilungen und Tanks sind jedoch recht groß und daher weniger stabil, so dass ein ausreichend wuchtiger Aufprall theoretisch ihre Wände durchbrechen musste. In der Praxis — nun, Staley konnte sich nicht erinnern, dass jemals ein Schiff auf diese Weise geentert worden wäre, so sehr er auch sein Gedächtnis durchkramte. In der Ausbildung lernte man es allerdings. Man konnte durch Rammen an Bord eines manövrierunfähigen Schiffs gelangen, auch wenn das Feld noch intakt war. Staley fragte sich, welcher verdammte Irre das zum ersten Mal versucht hatte.
Der längliche, tiefschwarze Klumpen, der die Mac Arthur umgab, wurde zu einer Mauer aus schwarzem Nichts. Der schaufeiförmige Wiedereintrittsschild des Kutters klappte hoch. Horst sah, wie sich der vordere Sichtschirm verdunkelte.
Der Kutter schoss vorwärts. Ein Augenblick intensiver Kälte, als sie das Feld durchdrangen, dann das Kreischen zerreißenden Metalls. Das Boot kam zum Stillstand.
Staley schnallte sich los. »Los jetzt«, befahl er. »Kelley, schneiden Sie einen Durchgang in die Tankwand.«
»Ja, Sir.« Die Infanteristen sprangen hinaus. Zwei richteten einen großen Schneidlaser auf das verbeulte Metall, das einmal die Innenwand eines Wasserstofftanks gewesen war. Kabel führten von dem Gerät zurück in den schwer mitgenommenen Kutter.
Die Tankwand riss an den aufgeschmolzenen Linien, ein Stück barst heraus und traf beinahe die beiden Soldaten. Luft pfiff durch das Loch, und tote Minisplits wurden herausgewirbelt wie Herbstblätter.
Die Wände des Korridors dahinter waren verschwunden. Etliche Abteilungen waren zu Schrott verwandelt, Schotts durchbrochen, seltsame Apparate waren entstanden.
Überall wimmelte es von toten, aufgedunsenen Minis. Keines schien einen Druckanzug gehabt zu haben.
»Herrgott«, murmelte Staley entgeistert. »Also gut, Kelley, dann holen Sie mal diese Anzüge. Gehen wir.« Er stieß sich ab und schwebte über das Gerumpel zur nächsten luftdichten Tür. »Nach der Kontrollanzeige ist Druck auf der anderen Seite«, stellte er fest. Er griff in das Kommunikationsfach am Schott und schloss sein Helmmikrofon an.
»Hört mich jemand?«
»Korporal Hasner hier, Sir«, antwortete eine Stimme sofort. »Sehen Sie sich vor da drüben, dort ist alles voll Minis.«
»Nicht mehr«, antwortete Staley. »Wie ist die Lage bei Ihnen drinnen?«
»Neun Zivilisten ohne Anzüge, Sir. Noch drei überlebende Infanteristen. Wir wissen nicht, wie wir diese Wissenschaftler rausbekommen sollen ohne Anzüge.«
»Wir haben welche«, erklärte Staley grimmig. »Können Sie die Zivilisten so lange schützen, bis wir durch diese Tür gekommen sind? Wir haben hier draußen Vakuum.«
»Himmel, ja, Sir. Einen Moment.« Ein surrendes Geräusch setzte ein. Die Instrumente zeigten an, dass der Druck jenseits des Schotts fiel. Dann bewegten sich die schweren Riegel. Die Tür öffnete sich, und eine Gestalt im Panzeranzug wurde sichtbar. Hinter Hasner standen noch zwei Infanteristen und richteten ihre Waffen auf Staley, als er hereinkam. Hinter ihnen — Staley schnappte nach Luft.
Die Zivilisten standen am anderen Ende der Unteroffiziersmesse beisammen. Sie trugen nichts als die üblichen weißen Overalls des wissenschaftlichen Personals. Staley erkannte Dr. Blevins, den Veterinär. Die Leute schienen sich ganz frisch und munter zu unterhalten. »Aber wir haben doch keine Luft hier drinnen!« schrie Staley.
»Hier nicht, Sir«, sagte Hasner. Er wies auf ein sonderbares Kästchen. »Dieses Ding da, Mr. Staley — es macht eine Art unsichtbaren Vorhang; wir können durch, aber die Luft nicht.« Kelley knurrte etwas und ließ seinen Trupp in die Messe ausschwärmen. Den Zivilisten wurden Anzüge zugeworfen.
Staley schüttelte verwundert den Kopf. »Kelley. Sie übernehmen den Befehl hier.
Bringen Sie alle nach vorn und nehmen Sie diesen Kasten mit, wenn er bewegbar ist.«
»Ist er«, sagte Blevins. Er sprach in das Mikrofon des Helms, den Kelley ihm gegeben hatte, aber er hatte ihn noch nicht aufgesetzt. »Das Ding kann auch ein- und ausgeschaltet werden. Korporal Hasner hat ein paar Minis getötet, die daran herumbastelten.«
»Gut. Wir nehmen’s mit«, entschied Staley. »Und jetzt bringen Sie die Leute auf Trab, Kelley!«
»Jawohl, Sir!« Der Infanterieschütze schob sich vorsichtig durch die unsichtbare Barriere. Er musste sich ein wenig anstrengen. »Das — das ist ein bisschen wie das Feld, Mr. Staley. Nur nicht so dicht.«
Staley knurrte eine unverständliche Antwort und winkte den anderen Kadetten. »Die Kaffeemaschine«, sagte er. Es klang, als zweifle er an seinem eigenen Verstand.
»Lafferty. Kruppman. Janowitz. Sie drei kommen mit uns.« Er trat durch die Tür hinaus in den demolierten Korridor.
Am anderen Ende war ein luftschleusenartiger Durchgang. Staley wies Whitbread an, die äußere Tür zu öffnen. Die Hebel waren leicht zu bewegen. Der kleine Trupp drängte sich in die winzige Schleusenkammer, und sie spähten durch das dicke Glas eines Bullauges in den Hauptsteuerbordkorridor.
»Sieht ganz normal aus«, flüsterte Whitbread.
Augenscheinlich war es das auch. Sie passierten die Luftschleuse in zwei Schüben und zogen sich an den Handgriffen den Gang entlang bis zur Tür der Hauptmannschaftsmesse.
Staley schaute durch das dicke Glas der Sichtluke in den Messeraum. »Herrgott!«
»Was ist los, Horst?« fragte Whitbread. Er schob seinen Helm neben den Staley s.
In der Messe waren Dutzende Minis. Die meisten hatten Laserwaffen — und sie feuerten aufeinander. Es schien keinerlei Fronten zu geben. Anscheinend kämpfte jedes Mini gegen jedes andere, obwohl das vielleicht nur auf den ersten Blick so aussah. Ein rosiger Nebel erfüllte den Raum: Splitblut. Tote und verwundete Splits schwebten wie in einem alptraumhaften Tanz durch die Luft, und blaugrüne Lichtsperre zuckten überall auf.
»Da können wir nicht rein«, flüsterte Staley. Dann fiel ihm ein, dass er über sein Helmradio sprach. Er hob die Stimme. »Wir würden niemals lebend rauskommen.
Vergessen wir die Kaffeemaschine.« Sie streiften weiter durch den Korridor und suchten nach sonstigen Überlebenden.
Es gab keine. Staley führte den Trupp zurück zur Mannschaftsmesse. »Kruppman«, befahl er. »Sie und Jartowitz setzen diesen Korridor unter Vakuum. Brennen Sie ein Schott durch, setzen Sie Granaten ein — egal wie, aber schaffen Sie hier Vakuum. Und dann verlassen Sie schnellstens das Schiff.«
»Aye, aye, Sir.« Als die Infanteristen in dem stählernen Korridor um die Ecke bogen, verloren die Kadetten den Kontakt mit ihnen. Die Helmfunkgeräte waren nur für Sichtverbindung geeignet. Trotzdem war es nicht still. Die Mac Arthur war erfüllt von ungewohnten, seltsamen Geräuschen. Schrille Pfiffe und Schreie, das Kreischen aufgerissenen Metalls, ein Summen und Vibrieren — eine schrecklich fremdartige Geräuschkulisse.
»Die Mac gehört nicht mehr uns«, flüsterte Potter. Ein langgezogenes Wuuuusch — der Korridor stand unter Vakuum. Staley schleuderte eine Thermit-Granate gegen die Wand des Messeraums und zog sich hinter die nächste Ecke zurück. Grelles Licht flammte kurz auf, dann eilte Staley zurück, um seinen Handlaser auf die noch glühende Stelle des Schotts abzufeuern. Die anderen nahmen gleichfalls den Beschuss auf.
Bald begann sich die Metallwand nach außen zu beulen und barst schließlich. Luft strömte heulend in den Gang heraus, eine Wolke toter Minis mit sich reißend. Staley versuchte die Verschlusshebel des Eingangs zu lösen, aber sie rührten sich nicht. Also schmolzen die Männer mit ihren Lasern das Loch im Schott weiter aus, bis sie hindurchkriechen konnten.
Lebende Minis waren keine mehr zu sehen. »Warum können wir’s nicht im ganzen Schiff so machen?« wollte Whitbread wissen. »Wir könnten es wieder in unsere Macht bekommen, wenn wir die Biester einfach rauspusten …«
»Vielleicht«, sagte Staley. »Lafferty. Holen Sie die Kaffeemaschine und bringen Sie sie nach Backbord. Los, wir geben Ihnen Deckung.«
Der Bootsmann winkte und schnellte sich den Korridor entlang in die Richtung, die die Infanteristen eingeschlagen hatten. »Sollten wir uns nich’ am besten mit ihm absetzen?« erkundigte sich Potter.
»Die Torpedos«, knurrte Staley. »Wir müssen die Zünder aktivieren.«
»Aber, Horst«, protestierte Whitbread. »War’s nicht einfacher, ich meine, könnten wir nicht das Schiff wieder unter Kontrolle bekommen? Ich hab’ noch keine Minis mit Druckanzügen oder Atemgeräten gesehen …«
»Brauchen sie nicht. Sie können diese fantastischen Druckbarrieren herstellen«, erinnerte ihn Staley. »Außerdem haben wir unsere Befehle.« Er deutete nach achtern, und sie setzten sich in Bewegung. Jetzt, da keine Menschen mehr in der Mac Arthur waren, brauchten sie nicht mehr Rücksicht nehmen, konnten luftdichte Türen durchschmelzen und die Gänge vor ihnen mit Granaten säubern. Potter und Whitbread schauderten bei dem Gedanken, welchen Schaden sie anrichteten. Ihre Waffen war nicht für den Gebrauch im Innern eines Raumschiffes gedacht.
Die Torpedos waren noch an ihrem Platz: Staley und Whitbread waren bei dem Team dabei gewesen, das sie beiderseits des Feldgenerators aufs Deck geschweißt hatte.
Bloß — der Generator war verschwunden. Das leere Gehäuse war alles, was zurückgeblieben war.
Potter griff nach den Zeitzündern, die die Bomben auslösen würden. »Warte«, befahl Staley. Er fand den Anschluss einer Direktleitung und stöpselte sein Helmsprechgerät an. »Hallo, hier ist Kadett Horst Staley im Feldgeneratorraum. Hört mich jemand?«
»Aye, aye, Mr. Staley«, antwortete eine Stimme. »Einen Moment, Sir, hier ist der Kapitän.« Gleich darauf war Blaine in der Leitung.
Staley erklärte die Lage. »Der Feldgenerator ist weg, Sir, aber das Feld scheint immer noch zu bestehen …«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen am anderen Ende. Dann fluchte Blaine wütend, riss sich aber gleich zusammen. »Sie haben sich verspätet, Mr. Staley. Wir haben Befehl, in fünf Minuten die Öffnungen im Feld zu schließen und in die Boote der Lenin zu gehen. Sie können nie da rauskommen, bevor die Lenin das Feuer eröffnet.«
»Nein, Sir. Was sollen wir tun?« Blaine zögerte einen Moment lang. »Das werde ich mit dem Admiral besprechen müssen. Bleiben Sie, wo Sie sind.«
Ein plötzlicher, brausender Orkan ließ die drei hastig Deckung suchen. Eine Weile sagte niemand etwas, dann stellte Potter überflüssigerweise fest: »Wir haben wieder Druck.
Die Heinzels haben wohl irgend ’ne Tür repariert.«
»Dann werden sie bald hier sein.« Whitbread fluchte erbittert. »Was hält nur den Käptn auf?« wollte er wissen. Darauf war keine Antwort möglich. Schweigend, angespannt, mit schussbereiten Waffen kauerten sie beisammen, während sie um sich die Mac Arthur wieder zum Leben erwachen hörten. Die neuen Herren des Schiffs kamen.
»Ich gehe nicht ohne die Kadetten von Bord«, erklärte Rod dem Admiral.
»Sind Sie sicher, dass sie nicht mehr die Backbordschleuse achtern erreichen können?«
»Nicht einmal in zehn Minuten, Admiral. Die Minis haben diesen Teil des Schiffs unter Kontrolle. Die Burschen müssten sich jeden Meter durchkämpfen.«
»Was schlagen Sie dann vor?«
»Lassen Sie sie die Rettungsboote benutzen, Sir«, sagte Rod hoffnungsvoll. An vielen Stellen des Schiffs gab es Rettungsboote, und ein Dutzend war nicht weiter als zwanzig Meter vom Feldgeneratorraum entfernt. Die Boote, nicht viel mehr als ein Feststoffantrieb mit aufblasbaren Kabinen, waren nur dafür gedacht, einen Menschen ein paar Stunden überleben zu lassen, wenn das Schiff schwer beschädigt war oder vor der Explosion stand. Beides konnte man von der Mac Arthur im Augenblick behaupten.
»Die Minis könnten Aufnahmegeräte und Sender in die Rettungsboote eingebaut haben«, wandte Kutuzov ein. »Auf diese Art könnten sie den großen Splits alle Geheimnisse der Mac Arthur mitteilen.« Er sprach mit jemand neben ihm. »Halten Sie das für denkbar, Kaplan?«
Blaine hörte Kaplan Hardy im Hintergrund antworten. »Nein, Sir. Die Minis sind Tiere.
Ich war immer dieser Ansicht, die großen Splits behaupten es, und alle Beobachtungen unterstützen diese Annahme. Sie würden zu etwas derartigem nur fähig sein, wenn sie direkte Anweisungen erhalten — außerdem, Admiral, wenn sie so darauf brennen, Verbindung mit den Splits zu bekommen, dann können Sie sicher sein, dass sie’s bereits getan haben.« »Da«, knurrte Kutuzov. »Es ist absurd, diese Offiziere sinnlos zu opfern.
Kapitän Blaine, Sie werden sie anweisen, die Rettungsboote zu verwenden, sie jedoch warnen, dass unter keinen Umständen Minis mit ihnen herauskommen dürfen. Sobald sie fort sind, werden Sie selbst sofort an Bord der Lenin kommen.«
»Aye, aye, Sir.« Rod seufzte erleichtert und schaltete auf die Leitung zum Generatorraum um. »Staley: der Admiral sagt, ihr könnt die Rettungsboote benutzen.
Überzeugt euch, dass keine Minis drinnen stecken. Ihr werdet durchsucht, bevor ihr in eins der Lenin-Boote umsteigt. Stellt die Zeitzünder an und haut ab. Alles klar?«
»Aye, aye, Sir.« Staley drehte sich zu den beiden anderen Kadetten um. »Die Rettungsboote«, rief er. »Wir …«
Grellgrüne Strahlen zuckten rundum auf. »Filter runter!« schrie Whitbread. Sie warfen sich hinter die Torpedos, als ein Strahl wild durch den Raum fegte. Er brannte Löcher in die Wände, dann durch den Rumpf selbst. Luft strömte rauschend aus, und der Strahl kam zum Stillstand, erlosch jedoch nicht. Unablässig pumpte er Energie durch das Loch im Rumpf hinaus in das Feld.
Staley klappte seinen Lichtfilter hoch. Er war mit Wolken silbriger Metallteilchen belegt.
Vorsichtig duckte er sich unter dem Strahl weg, um nachzusehen, was ihn erzeugte.
Es war ein schwerer Handlaser. Ein halbes Dutzend Minis waren nötig gewesen, ihn heranzuschleppen. Einige davon, erstickt und aufgebläht, hingen immer noch an den Doppelgriffen.
»Also los«, sagte Staley. Er schob einen Schlüssel in die Sperre am Torpedoschaltpult.
Potter neben ihm tat das gleiche. Sie drehten die Schlüssel herum — und hatten noch zehn Minuten zu leben. Staley stürzte zur Sprechanlage. »Auftrag ausgeführt, Sir!«
Sie hasteten durch die jetzt offene, luftdichte Tür hinaus und durch den Hauptkorridor nach achtern, schössen von einem Haltegriff zum nächsten. Null-Ge-Rennen war ein beliebter, wenn auch etwas reglementwidriger Sport bei den Kadetten, und jetzt waren sie froh über das gute Training. Hinter ihnen würde der Zeitzünder leise der Detonation entgegenticken …
»Hier müsste es sein«, sagte Staley. Sein Laserstrahl brannte sich durch eine luftdichte Tür und schmolz dann ein etwa mannsgroßes Loch durch den Rumpf selbst. Luft entwich zischend — die Splits hatten es wieder fertiggebracht, sie noch auf ihrer Flucht nach achtern mit der stinkenden Atmosphäre von Splitter Alpha zu umgeben. Dünne Nebelstreifen aus Eiskristallen hingen im Vakuum.
Potter fand den Schaltkasten für die Aktivierung der Rettungsboote und zerschlug mit dem Knauf seiner Waffe die Glasscheibe davor. Die drei traten zur Seite und erwarteten, dass die Rettungsboote aus ihren Nischen ausgefahren und aufgeblasen würden.
Statt dessen klappte ein Teil des Bodens hoch. Unter dem Deck war eine Anzahl von großen Kegeln verstaut — an der Grundfläche vielleicht zwei Meter im Durchmesser und rund acht Meter hoch.
»Wieder mal die Heinzels«, sagte Whitbread.
Die Kegel sahen alle gleich aus und waren aus Schrott zusammengebastelt. Die Minis mussten wochenlang unter der Deckfläche geschuftet haben, die Rettungsboote und andere Einrichtungen ausgeschlachtet und dann daraus diese seltsamen Dinger zusammengesetzt haben. Jeder Kegel enthielt am breiten Ende eine konturierte Andruckliege, während die Spitze in eine Raketendüse auslief.
»Schau dir die verdammten Dinger gut an, Potter«, befahl Staley. »Sieh nach, ob sich irgendwo Minis darin verbergen können.« Das war anscheinend nicht der Fall.
Abgesehen von dem konischen Rumpf, der massiv war, gab es nur ein offenes Stützgerüst. Potter klopfte und stocherte herum, während seine Freunde Wache hielten. Er suchte gerade nach einer Öffnung im Rumpfkegel, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Er riss eine Granate aus dem Gürtel und fuhr herum. Ein Raumanzug schwebte — aus der Korridorwand hervor. Die Gestalt umklammerte mit beiden Händen einen schweren Laser.
Staleys Stimme war einige Nervosität anzumerken. »Sie da! Identifizieren Sie sich!«
Die Gestalt hob die Waffe. Potter schleuderte seine Granate.
Die Explosion überschwemmte alles mit grellgrünem Licht und zerriss eines der konischen Rettungsboote. »War’s ein Mensch?« schrie Potter. »Oder nicht? Die Arme waren verkehrt geknickt — die Beine zu steif und gerade — was war das?«
»Ein Feind«, sagte Staley. »Ich glaube, wir sollten zusehen, dass wir hier rauskommen.
Nehmen wir diese Boote, solange noch welche da sind.« Er kletterte in den Konturensitz eines unbeschädigten Kegelbootes. Gleich darauf wählten sich die beiden anderen ebenfalls einen Sitz.
Horst entdeckte eine Art Schaltbrett an einem Schwenkarm und zog ihn herum vor seinen Sitz. Die Instrumente waren in keiner Weise gekennzeichnet. Offenbar wurde von allen Splits, Tieren wie Intelligenzwesen, gleichermaßen erwartet, dass sie die Funktionsweise irgendeiner Maschine auf den ersten Blick begriffen.
»Ich probiere jetzt den großen, quadratischen Knopf aus«, sagte Staley entschlossen.
Seine Stimme klang seltsam hohl durch das Helmradio. Er riss sich zusammen und drückte den Knopf.
Ein Stück der Rumpfwand unter ihm verschwand wie weggesprengt. Der Kegel wurde hinausgeschleudert. Einen Augenblick lang feuerte die Raketendüse. Dann intensive Kälte und Schwärze — und er war außerhalb des Feldes.
Noch zwei Kegel schnellten an die Oberfläche des dunklen Teichs. Hastig richtete Horst sein Helmradio auf die Lenin aus — einen mächtigen schwarzen Fleck, der nicht mehr als einen Kilometer entfernt war. »Hier Kadett Staley! Die Rettungsboote sind umgebaut worden. Wir sind drei, und allein in diesen …«
Ein vierter Kegel tauchte aus der Dunkelheit. Staley drehte sich in seinem Sitz um. Der Insasse sah wie ein Mensch aus. Die drei Handwaffen feuerten gleichzeitig. Der vierte Kegel glühte auf und begann zu schmelzen, doch sie stellen das Feuer erst nach längerer Zeit ein. »Eins von den … äh …« Staley wusste nicht, wie er seine Meldung formulieren sollte. Die Verbindung war vielleicht nicht sicher.
»Wir chaben Sie auf dem Bildschirm, Kadett«, sagte eine Stimme mit schwerem Akzent.
»Entfernen Sie sich von der Mac Arthur und warten Sie, bis Sie gecholt werden. Chaben Sie Ihren Auftrag ausgeführt?«
»Jawohl, Sir.« Staley blickte auf seine Uhr. »Noch vier Minuten, Sir.«
»Dann schauen Sie, dass Sie wegkommen, Kadett«, wies die Stimme an.
Gut, aber wie? fragte sich Staley. Die Funktion der Steuerinstrumente war nicht so einfach zu erraten. Während er noch hastig nach irgendwelchen Hinweisen suchte, zündete seine Rakete neuerlich. Aber was — er hatte jedenfalls nichts berührt. »Meine Rakete feuert wieder«, meldete Whitbreads Stimme. Es klang ruhig, viel ruhiger, als Staley sich fühlte.
»Aye, meine auch«, sagte Potter. »Aber ’nem geschenkten Gaul soll man nicht in die Düsen gucken. Wir entfernen uns wenigstens vom Schiff.«
Das Dröhnen hielt an. Alle drei Boote beschleunigten mit nahezu einem Standard-ge auf Splitter Alpha zu, der als mächtige grüne Sichel die eine Seite des Himmels beherrschte. Auf der anderen Seite erstreckte sich das Dunkel des Kohlensacks und davor das dunklere Schwarz der Lenin. Die Boote beschleunigten noch lange Zeit.
Der junge russische Kadett nahm vorbildlich Haltung an. Sein Gefechtsanzug war blitzsauber gepflegt, so wie überhaupt seine ganze Adjustierung vollkommen dem Reglement entsprach. »Der Admiral ersucht Sie, auf die Brücke zu kommen«, sagte er höflich in fehlerlosem Anglic., Rod Blaine folgte ihm niedergeschlagen. Sie schwebten durch die Luftschleuse des Nummer-Zwei-Hangars der Lenin und wurden von einer Ehrengarde aus Kutuzovs Infanteristen in Empfang genommen. Das Ehrenzeremoniell eines Kapitänbesuchs stachelte nur seinen Schmerz auf. Er hatte seine letzten Befehle erteilt, und er hatte als letzter sein Schiff verlassen. Jetzt war er nur mehr ein Beobachter, und dies war vermutlich das letzte Mal, dass ihm jemand ein Empfangszeremoniell bereitete.
Alles an diesem Kriegsschiff kam ihm zu groß vor, obwohl er wusste, dass das nichts als eine Täuschung war. Mit wenigen Ausnahmen war die Bauweise der schweren Schlachtschiffe vereinheitlicht, so dass er ebenso gut an Bord der Mac Arthur hätte sein können. Die Lenin befand sich im Gefechtszustand, alle luftdichten Türen waren geschlossen und verriegelt. An den Schaltborden der wichtigsten Schleusen standen Infanterieposten, aber sonst begegnete ihnen niemand, und Rod war froh darüber. Er hätte niemandem von seiner früheren Mannschaft — oder von den Passagieren — gegenübertreten mögen.
Die Brücke der Lenin war riesig. Sie war als Flaggschiff eingerichtet, und der Brückenraum enthielt zusätzlich zu den üblichen Bildschirmen, Instrumentenkonsolen und Kommandoplätzen noch ein Dutzend Sitze für den Gefechtsstab des Admirals. Rod erwiderte hölzern den Gruß des Admirals und ließ sich dankbar in den Sitz des Flaggenkapitäns sinken. Er fragte sich nicht einmal, wohin Commander Borman, Kutuzovs Flaggenleutnant und Stabschef, verschwunden war. Er war mit dem Admiral in seiner Kommandostation allein. Die Bildschirme über ihm zeigten die Mac Arthur aus einem halben Dutzend Richtungen. Die letzten Boote der Lenin entfernten sich gerade.
Staley muss seinen Auftrag ausgeführt haben, dachte Rod. Jetzt bleiben der Mac nur noch ein paar Minuten. Wenn sie vernichtet ist, dann bin ich wirklich am Ende. Ein neuernannter Kapitän, der sein Schiff auf der ersten Fahrt verliert — selbst der Einfluss des Marquis konnte das nicht aufwiegen. Blinder Hass auf alles, was im System des Splitters lebte, wallte in ihm hoch.
»Verdammt, wir müssten das Schiff doch diesen — diesen gottverdammten Tieren wegnehmen können!« brachte er erstickt hervor.
Kutuzov schaute überrascht auf. Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen, dann wurde seine Miene etwas freundlicher. »Da. Wenn sie wirklich nicht mehr sind.
Aber angenommen, sie sind keine Tiere? Auf jeden Fall ist es zu spät.«
»Ja, Sir. Die Torpedos sind scharfgemacht.« Zwei Wasserstoffbomben. Der Feldgenerator würde binnen Millisekunden zu Atomen verdampfen, und die Mac Arthur — der Gedanke war wie ein körperlicher Schmerz. Wenn die Bildschirme aufflammten, gab es sie nicht mehr. Er blickte unvermittelt auf. »Wo sind meine Kadetten, Admiral?«
Kutuzov knurrte: »Sie haben sich auf eine tiefere Umlaufbahn eingebremst und sind zur Zeit unter dem Horizont. Ich werde ihnen ein Boot nachschicken, sobald hier alles klar ist.«
Sonderbar, dachte Rod. Aber auf Befehl des Admirals durften sie nicht direkt zur Lenin kommen, und die Boote waren kein wirklicher Schutz, wenn die Mac Arthur explodierte.
Die Kadetten hatten eine unnötige Vorsichtsmaßnahme ergriffen, weil die Torpedobomben nur einen geringen Prozentsatz ihrer Energie in Form von Gammastrahlen und Neutronen abgaben, aber es war eine verständliche Vorsichtsmaßnahme. Der Zähler, der den Zündzeitpunkt angab, drehte sich lautlos auf Null. Kutuzov wartete grimmig, während eine Minute, dann noch eine verging. »Die Torpedos sind nicht explodiert«, sagte er schließlich vorwurfsvoll.
»Nein, Sir.« Rods Elend war vollständig. Und jetzt …
»Kapitän Michailov. Lassen Sie bitte die Hauptgeschützbatterien klarmachen und die Mac Arthur anvisieren.« Kutuzovs Blick wandte sich Rod zu. »Ich bedauere das. Nicht so sehr wie Sie. Aber ich bedauere es. Ziehen Sie es vor, den Befehl selbst zu erteilen?
Kapitän Michailov, Sie gestatten?«
»Da, Admiral.«
»Danke, Sir.« Rod holte tief Atem. Ein Mann musste seinen Hund selber erschießen.
»Feuer!«
Ein Raumgefecht ist ein fantastischer Anblick. Wie mattschwarze Rieseneier gleiten die Schiffe aufeinander zu, vom Sonnenfeuer ihres Antriebs geschoben. Leuchtende Wellen an den schwarzen Flanken zeigen an, wo ein Torpedo explodiert ist, der den bunten Lichtspeeren der Sekundärgeschütze entgangen ist. Die Hauptbatterien pumpen über grüne oder rubinrote Strahlenbalken Energie in das Feld des Gegners, Strahlen, die erst durch Reflexion an interplanetarischen Staubteilchen sichtbar werden — oder an dem Staub, zu dem Torpedohüllen oder Boote verglühen.
Nach und nach beginnen die Schutzfelder zu glimmen. Dunkelrot, hellgelb, grellgrün — wenn immer mehr Energie vom Feld aufgesogen wird. Rote und grüne Lichtfäden aus den Geschützen verbinden diese bunten Rieseneier, und ihre Farbe ändert sich ständig, bis das ganze Schauspiel in einem unerträglich hellen, weißen Lichtblitz endet.
Drei grüne Lichtfäden griffen nun von der Lenin zur Mac Arthur hinüber. Sonst geschah nichts. Der Kreuzer veränderte weder seine Position noch erwiderte er das Feuer. Sein Feld begann rötlich zu glühen, und mittschiffs, wo die Strahlen sich trafen, ging es bald in Gelb über. Wenn das Feld weiß wurde, war es überlastet, und die aufgespeicherte Energie würde sich entladen, nach innen und außen. Kutuzov sah mit Verwunderung zu.
»Kapitän Michailov. Bitte vergrößern Sie unseren Abstand auf tausend Kilometer.« Die Furchen auf der Stirn des Admirals vertieften sich, als der Antrieb der Lenin sie sachte von der Mac Arthur wegschob. Die Mac Arthur war jetzt leuchtend grün mit einigen bläulichen Flecken. Ihr Bild auf den Schirmen wurde kleiner. Die heißen Flecken im Feld verschwanden, als die Laser nicht mehr so genau an einer Stelle konvergierten. Selbst in einer Entfernung von tausend Kilometern wirkte das blaugrüne Feuerei immer noch riesig.
»Kapitän, bewegen wir uns noch relativ zur Mac Arthur?« fragte Kutuzov.
»Njet, Admiral.«
»Sie scheint näher zu kommen.«
»Da, Admiral. Ihr Feld dehnt sich aus.«
»Dehnt sich aus?« Kutuzov wandte sich zu Rod. »Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Nein, Sir.« Er wünschte jetzt nichts mehr, als vergessen zu dürfen. Sprechen, denken, sich der Ereignisse bewusst zu werden war schmerzhaft. Aber er versuchte zu überlegen. »Die Minis müssen den Generator umgebaut haben, Sir. Und sie verbessern alles, was sie in die Finger bekommen.«
»Bedauerlich, so etwas zerstören zu müssen«, brummte Kutuzov. »Mit einem so ausgedehnten Feld, einer so viel größeren Abstrahlfläche, wäre die Mac Arthur jedem Schiff der Flotte gewachsen …«
Das Feld der Mac Arthur war jetzt violett und riesenhaft angeschwollen. Es füllte die Bildschirme, und Kutuzov verminderte auf seinen die Vergrößerung um den Faktor zehn. Das Schiff wirkte wie ein riesiger, violetter Ballon, der an leuchtend grünen Seilen hing. Die Männer auf der Brücke warteten angespannt, und zehn Minuten vergingen.
Fünfzehn Minuten.
»Kein Schiff hat jemals so lange im Violetten ausgehalten«, knurrte Kutuzov. »Sind Sie immer noch überzeugt, dass wir es nur mit Tieren zu tun haben, Kapitän Blaine?«
»Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, Sir. Und sie haben mich überzeugt«, meinte Rod vorsichtig. »Ich wünschte, Dr. Horvath wäre jetzt hier.«
Kutuzov grunzte angewidert. »Dieser Narr von Pazifist. Er würde gar nicht verstehen, was er sieht.« Schweigend warteten sie eine weitere Minute.
Das Vidi summte. »Admiral, eine Nachricht vom Kontaktschiff der Splits«, meldete der Kommunikationsoffizier.
Kutuzov verzog das Gesicht. »Kapitän Blaine. Sie nehmen die Nachricht entgegen.«
»Sir?«
»Beantworten Sie diesen Anruf von den Splits. Ich werde selbst mit keinem dieser Wesen sprechen.«
»Aye, aye, Sir.«
Das Gesicht hätte das irgendeines Vermittler-Splits sein können, aber es hielt sich auffällig steif, deshalb war Rod nicht erstaunt, als es erklärte: »Ich bin Dr. Horvaths Fjunch(klick). Ich habe eine schmerzliche Nachricht für Sie, Kapitän Blaine. Im übrigen sind wir Ihnen dankbar für die Warnung — wir verstehen zwar nicht, warum Sie Ihr Schiff zerstören wollen, aber wenn wir in der Nähe gewesen wären …«
Blaine rieb sich den Nasenrücken. »Wir müssen eine Seuche bekämpfen. Vielleicht macht die Vernichtung der Mac Arthur ihr ein Ende. Wir hoffen es jedenfalls. Hört zu, wir haben im Augenblick ziemlich viel zu tun. Was für eine Nachricht habt ihr für uns?«
»Ja, natürlich. Kapitän, die drei kleinen Boote, die von der Mac Arthur flohen, haben eine Landung auf Splitter Alpha versucht. Es tut mir leid, aber keins hat es überstanden.«
Die Brücke der Lenin schien zu verschwimmen. »Eine Atmosphäre-Landung mit Rettungsbooten? Aber das ist ja Wahnsinn. So etwas würden sie nie …«
»Doch, doch, sie haben es versucht. Wir haben ihre Flugbahn so weit es ging verfolgt — Kapitän, wir haben Aufzeichnungen. Sie sind in der Atmosphäre verglüht, restlos …«
»Gottverdammt noch mal! Sie waren schon in Sicherheit!«
»Es tut uns sehr leid.«
Kutuzovs Gesicht war eine steinerne Maske. Seine Lippen bildeten lautlos das Wort »Aufzeichnungen!«.
Rod nickte. Er fühlte sich unendlich müde. »Wir würden gerne diese Aufzeichnungen bekommen«, sagte er zu dem Split. »Seid ihr sicher, dass keiner meiner jungen Offiziere überlebt hat?«
»Ganz sicher, Kapitän. Wir bedauern das alles sehr. Natürlich hatten wir keine Ahnung, dass sie etwas derartiges versuchen würden, und wir konnten einfach gar nichts tun unter diesen Umständen.«
»Natürlich nicht. Danke.« Rod schaltete das Vidi ab und wandte sich wieder dem Schauspiel auf den Außenschirmen zu.
Kutuzov murmelte: »Also keine Leichen, keine Wrackteile. Sehr bequem.« Er berührte eine Taste an der Armstütze seines Kommandositzes und sagte: »Kapitän Michailov, bitte schicken Sie den Kutter auf die Suche nach den Kadetten.« Er wandte sich zu Rod um. »Natürlich wird man nichts finden.«
»Sie glauben den Splits nicht, Sir, oder?« fragte Rod.
»Glauben Sie ihnen, Kapitän?«
»Ich — ich weiß es nicht, Sir. Und ich sehe keine Möglichkeit, ihre Behauptung nachzuprüfen.«
»Ich auch nicht, Kapitän. Der Kutter wird nach ihnen suchen und nichts finden. Wir wissen nicht, wo sie den Eintritt in die Atmosphäre versucht haben. Der Planet ist groß.
Selbst wenn sie überlebt haben und frei sind, könnten wir tagelang suchen und sie nicht finden. Und wenn sie gefangen sind — dann wird man niemals eine Spur von ihnen finden.« Er grunzte, aber es klang fast wie ein Seufzer. »Michailov«, sprach er in die Kommandoleitung, »sorgen Sie dafür, dass der Kutter genau sucht. Und setzen Sie jetzt Torpedos ein, um dieses Schiff zu zerstören!«
»Ja, Sir.« Der Kapitän der Lenin erteilte von seinem Platz auf der anderen Seite des großen Brückenraums aus leise Befehle. Ein Schwärm Torpedos schoss auf die Mac Arthur zu. Durch das Feld konnten sie nicht, die darin aufgestaute Energie hätte sie in Sekundenbruchteilen verdampfen lassen. Sie detonierten jedoch alle zugleich am Rande des Feldes, und eine regenbogenfarbene Welle fegte über die violettglühende Oberfläche. Grellweiße Flecken leuchteten auf und verschwanden wieder.
»Penetration an fünf Stellen«, meldete der Geschützoffizier.
»Volle Penetration?« fragte Rod ironisch. Noch lebte sein Schiff, und es wehrte sich tapfer …
Der Admiral fauchte zornig. Das Schiff lag fünfhundert Meter innerhalb dieser violetten Gluthölle — diese Energieblitze hatten es vermutlich nie erreicht, sonst wäre das Feld zusammengebrochen.
»Geschütze: Feuer halten. Zweite Torpedosalve!« befahl Kutuzov.
Wieder strebte eine Wolke schimmernder Geschosse auf das bedrängte Schiff zu.
Überall an der violetten Oberfläche leuchteten weiße Lichtblitze auf, als sie detonierten.
Viele weiße Flecken entstanden im Violett, und die Glutoberfläche begann zu wabern.
Dann aber sah die Mac Arthur wieder genauso aus wie zuvor: ein violetter Feuerballon von einem Kilometer Durchmesser, der von Fäden grünen Lichts festgehalten wurde.
Ein Messesteward reichte Rod eine Tasse Kaffee. Gedankenverloren nippte er. Er schmeckte grauenhaft. »Feuer!« bellte Kutuzov. Hasserfüllt starrte er auf die Bildschirme. »Feuer!«
Plötzlich geschah es. Das Feld der Mac Arthur dehnte sich mächtig aus, wurde blau, gelb — und verschwand. Automatische Sensoren gaben Signal, und die Vergrößerung der Bildschirmkameras wurde erhöht. Das Schiff war noch da.
Der Rumpf glühte rot, und einige Teile waren zusammengeschmolzen. Aber es hätte überhaupt nicht mehr da sein dürfen. Wenn ein Feld zusammenbricht, verdampft alles darin zu Atomen …
»Die müssen da drinnen gebraten worden sein«, sagte Rod mechanisch.
»Da. Feuer!«
Die grünen Lichtspeere flammten auf. Die Mac Arthur veränderte sich langsam, schmolz, verformte sich, gab Dampfwolken von sich. Ein Torpedo schwebte fast langsam auf sie zu. Immer noch feuerten die Laserbatterien, auch als der Torpedo das Schiff traf und explodierte. Als Kutuzov endlich das Feuer einstellen ließ, war nichts mehr übrig als eine Wolke von sehr feinem Staub.
Rod und der Admiral starrten noch sekundenlang ’auf den leeren Bildschirm. Endlich wandte der Admiral sich ab. »Rufen Sie die Boote zurück, Kapitän Michailov. Wir gehen auf Heimatkurs.«
Drei nicht sehr große Kegel fallen vom Himmel. In jedem sitzt ein Mann, sicher darin eingebettet wie ein Ei in einem Eierbecher …
Horst Staleys Boot war das erste. Ein kleiner, quadratischer Bildschirm erlaubte ihm den Blick nach vorne, nach hinten hatte er völlig freie Aussicht, etwas zu freie für seinen Geschmack. Abgesehen von seinem Raumanzug war er schutzlos dem Weltraum ausgesetzt. Ein wenig über und hinter ihm flogen zwei weitere Kegel mit flammenden Spitzen. Irgendwo weit unter dem Horizont befanden sich die Mac Arthur und die Lenin.
Es bestand nicht die geringste Chance, dass sein Helmfunkgerät so weit reichte, aber er stellte es trotzdem auf Notruffrequenz und meldete sich immer wieder. Er bekam keine Antwort.
Es war alles viel zu schnell geschehen. Die Kegel hatten plötzlich mit kleinen Steuerdüsen die Spitzen nach vorne geschwenkt, und die Bremsraketen hatten gezündet. Als er dazu kam, die Lenin zu rufen, war es zu spät gewesen. Vielleicht waren die Signalmaate gerade mit etwas anderem beschäftigt gewesen, oder vielleicht war er zu langsam gewesen — irgendwie kam sich Horst auf einmal sehr verlassen vor.
Immer noch fielen sie. Schließlich setzten die Raketen aus.
»Horst!« Das war Whitbreads Stimme. Staley antwortete.
»Horst, diese Dinger versuchen eine Landung!«
»Ja. Also landen wir eben. Was sollen wir sonst tun?«
Darauf gab es keine Antwort. Schweigend fielen die drei kleinen Kegel auf die grüne Welt unten zu. Dann: Eintritt in die Atmosphäre.
Für keinen von ihnen war es das erste Mal. Sie kannten die Farben des Plasmafeldes, das sich vor der Nase eines Landungsboots aufbaut, Farben, die von der Zusammensetzung des Hitzeschildes abhingen. Diesmal aber waren sie dieser Feuerprobe nahezu schutzlos ausgesetzt. Was für Strahlung würde entstehen? Wie viel Hitze?
Whitbreads Stimme drang durch das stärker werdende statische Rauschen zu Staley durch. »Ich versuche, wie so ein Heinzelmännchen zu denken, und das ist nicht leicht.
Sie kannten unsere Anzüge. Sie mussten wissen, wie viel und welche Strahlung sie abschirmen können. Nur, was glauben sie, wie viel können wir aushalten? Welche Hitze?«
»Ich hab’ mich anders entschlossen«, hörte Staley Potter sagen. »Ich werde nicht landen.«
Staley versuchte das Gelächter der beiden anderen zu ignorieren. Er war für drei Leben verantwortlich, und er nahm seine Verantwortung ernst. Er versuchte, seine verkrampften Muskeln zu entspannen, während er auf Hitze, unfühlbare Strahlung, Turbulenz, unkontrollierten Fall, plötzlichen Schmerz und Tod wartete.
Schräg unter ihm zog die fremde Landschaft vorbei, verzerrt durch das glühende Gas, das die Kegelspitze umströmte. Runde Meere, Flussschleifen. Ausgedehnte Stadtgebiete. Eisbedeckte Berge, gegen die das Häusermeer einer unvorstellbar weitläufigen Stadt anbrandete. Dann eine lange Strecke nur Ozean; ob diese verdammten Kegel schwimmfähig waren? Wieder Land. Die Kegel werden langsamer, Einzelheiten werden wahrnehmbar. Nun braust Luft gegen sie an, heftige Windböen zerren an ihnen. Unten ein See, Boote darauf, viele winzige Punkte, ganze Scharen davon. Ein Stück dunkelgrüner Wald, scharf begrenzt, von einem Netz von Straßen durchzogen.
Der Rand von Staleys Kegel öffnete sich, und ein ringförmiger Fallschirm wurde vom Fallwind hochgerissen. Staley wurde tief in seinen Konturensitz gepresst. Eine Minute lang sah er nichts als blauen Himmel. Dann kam der Aufprall, der ihm alle Knochen durcheinanderschüttelte. Er fluchte in sich hinein. Der Kegel schwankte und kippte auf die Seite.
Potters Stimme schrillte in Staleys Ohren. »Ich hab’ die Düsensteuerung gefunden! Ihr müsst so einen Gleitknopf in der Mitte suchen, wenn die Viecher alle Boote gleich gebaut haben. Das ist die Schubkontrolle, und wenn ihr diesen ganzen verdammten Steuerkasten an dem Arm schwenkt, dreht die Düse sich entsprechend.«
Zu dumm, dass er das nicht früher entdeckt hat! dachte Staley. Er sagte: »Komm möglichst tief runter und lass das Ding knapp über dem Boden schweben. Der Treibstoff könnte jeden Augenblick ausgehen. Hast du die Fallschirmauslösung gefunden, Potter?«
»Nöh. Der hängt irgendwo rum. Die Antriebsflamme wird ihn mittlerweile wohl verbrannt haben. Wo seid ihr?«
»Ich bin gelandet. Muss nur erst loskommen …« Staley machte die Gurten los, die ihn festgehalten hatten, und kollerte heraus. Der Sitz war jetzt fast einen halben Meter tiefer im Kegel drinnen. Staley zog seine Waffe und brannte ein Loch hinein, um den Raum dahinter zu untersuchen. Es war alles mit einem komprimierbaren Schaumstoff gefüllt.
»Wenn ihr unten seid, überzeugt euch genau, dass keine Minis in eurem Boot stecken«, befahl er nachdrücklich.
»Verdammt! Bin fast umgekippt«, sagte Whitbreads Stimme. »Es schwebt sich mit diesen Dingen nicht so …«
»Ich seh’ dich, Jonathon!« schrie Potter. »Bleib über der gleichen Stelle, ich komm’ zu dir rüber.«
»Haltet Ausschau nach meinem Fallschirm«, rief Staley.
»Ich seh’ nichts von dir. Wir könnten zwanzig Kilometer von einander entfernt sein. Ich hör’ dich auch nicht sehr deutlich«, antwortete Whitbread.
Staley rappelte sich auf. »Alles zu seiner Zeit«, murmelte er. Er untersuchte das Rettungsboot sehr sorgfältig. Es gab keinerlei Hohlraum, in dem ein Mini sich versteckt und die Landung hätte überstanden haben können, aber er sah zur Vorsicht noch einmal nach. Dann schaltete er wieder auf die Ruffrequenz und versuchte Verbindung mit der Lenin zu bekommen, obwohl er keine Antwort erwartete und auch keine bekam.
Die Funkgeräte von Raumanzügen sind nur für Sichtverbindung geeignet und absichtlich nur mit relativ geringer Leistung ausgestattet, sonst wäre der Weltraum erfüllt von einem Durcheinander von Funkgesprächen. Die umgebauten Rettungsboote enthielten nichts, das irgendwie einem Funkgerät glich. Wie sollten Überlebende nach Vorstellung der Minis eigentlich Hilfe herbeirufen?
Staley stand noch etwas unsicher auf den Beinen, er musste sich erst wieder an die Schwerkraft gewöhnen. Er war inmitten von bebauten Feldern gelandet. Reihen dunkelroter Büsche, die an Auberginenpflanzen erinnerten und ihm etwa bis zur Brust reichten, wechselten ab mit niedrigen, hellen Getreidebüscheln. Die Reihen erstreckten sich, so weit man sehen konnte, in alle Richtungen.
»Hab’ dich immer noch nicht entdeckt, Horst«, meldete Whitbread. »Das bringt uns nichts. Horst, kannst du ein großes, niedriges Gebäude sehen, das wie ein Spiegel funkelt? Es ist das einzige Gebäude weit und breit.«
Staley entdeckte es, ein metallisch blitzendes Bauwerk ganz am Horizont. Es war ein weiter Weg bis dorthin, aber das Bauwerk war der einzige markante Punkt auf diesen endlosen Feldern. »Ich hab’s.«
»Wir fliegen dorthin und treffen uns dort.«
»Gut. Wartet auf mich.«
»In die Richtung, Gavin«, hörte er Whitbread sagen. »Seh’ schon«, kam die Antwort. Die beiden anderen unterhielten sich noch eine Weile, und Horst Staley kam sich ziemlich verlassen vor.
»Uff! Mein Antrieb setzt aus!« rief Potter.
Whitbread sah wie Potters Kegelboot die letzten paar Meter fiel. Es prallte mit der Spitze zuerst auf, schwankte und kippte zwischen die Pflanzen. Whitbread schrie: »Gavin, alles in Ordnung?«
Erst war nur ein Rascheln zu hören, dann kam Potters Stimme: »Och, ’s zwickt mich hin und wieder im rechten Ellbogen, wenn das Wetter lausig ist …’ne alte Sportverletzung.
Aber schau zu, dass du so weit wie möglich kommst, Jonathon. Ich treff’ euch beide dann bei dem Gebäude.«
»Ist recht.« Whitbread ließ seinen Kegel wieder etwas schräg nach vorne kippen, so dass die Düse ihn auf das Gebäude zutrieb, das rasch größer wurde.
Es war groß. Anfangs hatte er nichts gehabt, das ihm geholfen hätte, seine Größe abzuschätzen; jetzt flog er schon zehn Minuten oder länger darauf zu, und es war immer noch ein ziemliches Stück entfernt.
Es war ein Kuppelbau, dessen zylindrische Seitenwand allmählich in die flache Kuppelwölbung überging. Fenster waren keine zu sehen, auch sonst war die Fassade strukturlos, bis auf einen rechteckigen Rahmen, der eine Tür sein mochte und an dem gewaltigen Bauwerk lächerlich klein aussah. Das Dachmaterial reflektierte das Sonnenlicht stärker als Metall, fast wie ein Spiegel.
Whitbread flog niedrig und ziemlich langsam. Dieses einsame Riesengebäude inmitten der endlosen Felder kam ihm irgendwie nicht recht geheuer vor. Mehr als die Sorge, der Treibstoff könnte ihm zu früh ausgehen, hielt ihn dieses Gefühl davon ab, seinem ersten Impuls zu folgen und so schnell wie möglich hinzufliegen.
Die Antriebsrakete setzte nicht aus. Die Minis hatten vielleicht den Festtreibstoff irgendwie verändert; niemals waren jedenfalls zwei Dinge, die sie gebaut hatten, völlig gleich. Whitbread landete genau vor dem rechteckigen Tor. Nur die Größe des Gebäudes hatte es klein erscheinen lassen; aus der Nähe gesehen war es riesig.
»Ich bin da«, flüsterte er beinahe, dann musste er über sich selbst grinsen. »Hier ist ein Tor. Es ist sehr groß und geschlossen. Komisch — es führen keine Wege oder Straßen hierher, und die Pflanzen stehen bis an die Mauer.«
»Vielleicht landen Flugzeuge auf dem Dach«, bemerkte Staleys Stimme.
»Glaub’ ich kaum, Horst. Das Dach ist rund. Ich glaube nicht, dass hier überhaupt jemals viele Leute herkommen. Muss eine Art Lagerhalle sein. Oder vielleicht ist eine Maschine drinnen, die sich selbst wartet.«
»Geh lieber nicht ran. Gavin, mit dir auch alles in Ordnung?« »Klar, Horst. Ich werd’ etwa in ’ner halben Stunde bei dem Gebäude sein. Bis bald.«
Staley bereitete sich auf einen längeren Marsch vor. Etwas wie Notrationen konnte er in dem Rettungsboot nicht finden. Nach einigem Überlegen zog er seinen Gefechtspanzer und den Druckanzug darunter aus. Beides enthielt keinerlei Geheimnisse für die Splits.
Dann montierte er das Atemgerät ab und bastelte sich aus Helm und Halsabdichtung eine Art Gasmaske. Schließlich holte er noch das Funkgerät aus dem Anzug und hängte es sich an den Gürtel, nachdem er einen letzten Versuch unternommen hatte, die Lenin zu erreichen. Es kam keine Antwort. Was hatte er anderes erwartet? Funkgerät, Wasserflasche, Handwaffe, das Lufterneuerungsgerät. Das musste genügen.
Staley musterte sorgfältig den gesamten Horizont. Es gab nur das eine Gebäude — sehr unwahrscheinlich also, dass er auf das falsche zuhielt. Er marschierte los, froh über die geringe Schwere, und hatte bald das angenehmste Tempo gefunden.
Eine halbe Stunde später stieß er auf das erste Split. Er war schon fast neben ihm, als er es bemerkte: dem Typ nach unterschied es sich von allen, die er bisher kennengelernt hatte, und es war nicht größer als die Pflanzen. Es arbeitete zwischen den Reihen, glättete mit den Händen die Erde und riss Unkraut aus, das es zwischen die bepflanzten Furchen warf. Es beobachtete ihn, während er herankam. Als er vorbeiging, wandte es sich wieder seiner Arbeit zu.
Das Split war in manchen Dingen einem Braunen ähnlich. Die Achsel- und Leistenbehaarung war allerdings dicker, und Arme und Beine waren auch dichter bepelzt. Die linke Hand glich etwa der eines Braunen, während die rechten Hände nur je fünf Finger und einen rudimentären Stummel hatten. Die Finger waren plump und kurz.
Die Beine waren kräftig, die Füße groß und platt. Wenn man von der viel stärker abgeflachten Stirn absah, glich der Kopf dem eines Braunen.
Wenn Sally Fowler recht hatte, hieß das, dass die Intelligenz dieses Wesens praktisch null war. »Hallo«, rief Horst ihm trotzdem zu. Das Split schaute ihn einen Augenblick lang stumm an, dann riss es das nächste Unkraut aus.
Später sah er noch eine Menge von den Kretin-Braunen. Sie beobachteten ihn gerade so lange, bis sie sicher sein konnten, dass er keine Pflanzen zerstörte, dann verloren sie jedes Interesse an ihm. So marschierte Horst unter dem grellen Schein des Splitters auf das spiegelnde Gebäude zu. Es war viel weiter weg, als er zuerst gedacht hatte.
Kadett Jonathon Whitbread wartete. Seit er bei der Flotte war, hatte er ziemlich viel Zeit damit zugebracht; er war jedoch erst siebzehn Standardjahre alt, und in diesem Alter fällt einem Warten niemals leicht.
Er saß auf seinem Kegelboot, gerade hoch genug, um den Kopf über den Pflanzenreihen zu haben. In der Stadt hatten ihn die vielen Häuser nur wenig von dieser Welt sehen lassen; hier hatte er einen freien Ausblick auf den gesamten Horizont. Der Himmel war rundum bräunlich gefärbt, nur um den Zenit ging das Braun in ein blässliches Blau über. Im Osten quollen dichte Wolkenbänke empor, und ein paar schmutzigweiße Cumuli zogen über den Himmel.
Die Sonne stand ziemlich genau über ihm. Er kam zu dem Schluss, dass er in der Nähe des Äquators sein musste, und erinnerte sich, das die Schloss-Stadt irgendwo in nördlichen Breiten lag. Obwohl die Sonne im Zenit stand, war sie weniger hell und blendend als die viel kleinere Sonne von Neuschottland.
Dies und eine Menge andere Dinge, die ihm gar nicht richtig bewusst wurden, sagten ihm, dass er sich auf einer fremden Welt befand. Und doch, so weit er schaute, gab es nichts als harmlose Felder, nur das Gebäude mit der verspiegelten Oberfläche … immer wieder wanderte sein Blick hin. Schließlich stand er auf, um das Tor zu untersuchen.
Es war gut zehn Meter hoch. Für Whitbread eindrucksvoll groß, für ein Split gewaltig.
Aber ließen sich Splits von Größe beeindrucken? Whitbread glaubte es nicht recht.
Dieses Tor musste aus praktischen Gründen so groß sein — aber was war zehn Meter hoch? Eine riesige Maschine? Nicht das leiseste Geräusch war zu vernehmen, als er das Außenmikrofon seines Helms an die glatte Metallfläche hielt.
An der einen Wand der Türnische entdeckte er eine Art Klappe, von einer starken Scharnierfeder gehalten. Unter der Klappe war etwas, das wie ein Kombinationsschloss aussah. Und das war auch schon alles — nur, dachte er, erwarteten die Splits, dass eins der Ihren ein solches Rätsel auf den ersten Blick löste. Ein Schlüsselschloss wäre gleichbedeutend mit einer Tafel KEIN ZUTRITT gewesen. Das hier war etwas anderes.
Sicherlich sollte es irgend jemanden fernhalten — aber wen? Braune? Weiße? Arbeiter oder die nichtintelligenten Klassen? Vielleicht alle bis auf bestimmte Individuen. Ein Kombinationsschloss war eine Art Mitteilung, ein Zeichen.
Nun kam Potter herangekeucht, in seinem Helm fast vor Schweiß erstickend, die halbgeleerte Wasserflasche am Gürtel. Er schaltete sein Helmmikrofon auf einen kleinen Lautsprecher um und das Funkgerät ab. »Wollte immer mal die Alpha-Luft ausprobieren«, sagte er. »Na, jetzt weiß ich, wie sie ist. Was hast du denn da entdeckt?«
Whitbread zeigte es ihm. Er schaltete sein Mikrofon ebenfalls um. Es musste ja nicht die ganze Umgebung mithören können, was sie redeten.
»Hm. Ich wünschte, Dr. Buckman war da. Das sind Split-Ziffern — ah, und eine schematische Darstellung des Splitter-Systems, mit der Ziffernscheibe anstelle des Splitters. Warte mal …«
Whitbread beobachtete seinen Freund fasziniert. Potter starrte die Drehscheibe nachdenklich an, schürzte die Lippen und sagte schließlich: »Also, der Gasriese ist 3,27 mal so weit vom Splitter entfernt wie Alpha. Hmmm.« Er langte in seine Hemdtasche und holte den Mini-Computer hervor, der zu ihm gehörte wie seine rechte Hand. »Mal sehen … drei Komma acht acht im Zwölfersystem. Aber in welche Richtung dreht man die Ziffernscheibe?«
»Die Kombination könnte auch das Geburtsdatum von jemandem sein«, meinte Whitbread. Er war froh, dass Gavin Potter hier war. Er war froh, dass überhaupt ein menschliches Wesen in seiner Nähe war. Was der Neuschotte aber mit diesem Nummernschloss anstellte, war irgendwie … beunruhigend. Links, rechts, links, rechts — Gavin Potter stellte der Reihe nach die Ziffern ein.
»Ich glaube, Horst hat uns bezüglich dieses Gebäudes etwas befohlen«, sagte Whitbread zögernd. Er fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut.
»›Geh lieber nicht ran‹ — das ist wohl kaum ein Befehl, oder? Wir sind schließlich hergekommen, um möglichst viel über die Splits zu erfahren.«
»Nun …« Auf jeden Fall war es ein interessantes Rätsel. »Versuch’s noch mal links«, schlug Whitbread vor. »Halt jetzt.« Whitbread drückte auf das Symbol, das Splitter Alpha darstellte. Es schnappte mit einem Klicken ein. »Dreh weiter nach links.«
»Klar. Auf den astronomischen Karten der Splits drehen die Planeten sich immer im Gegenuhrzeigersinn.«
Nach der dritten eingestellten Ziffer begann das Tor in die Höhe zu gleiten. »Es klappt!« rief Whitbread begeistert.
Das Tor schob sich etwa anderthalb Meter hoch und blieb dann stehen. Potter warf Whitbread einen unbehaglichen Blick zu und. fragte: »Was jetzt?«
»Mach keinen Blödsinn.«
»Naja, wir haben unsere Anweisungen«, sagte Potter langsam. Sie setzten sich zwischen die Pflanzen und schauten einander an. Dann schauten sie zur Kuppel. Es war hell drinnen, und sie konnten unter der Torkante leicht hineinsehen. Im Innern des Kuppelbaus waren Gebäude …
Staley war etwa drei Stunden unterwegs, als er das Flugzeug bemerkte. Es flog recht hoch und schnell; er winkte hinauf, obwohl er nicht erwartete, gesehen zu werden. Das war auch nicht der Fall, und er setzte nachdenklich seinen Weg fort.
Schließlich kam das Flugzeug wieder in Sicht. Es war hinter ihm, flog viel tiefer, und hatte, soviel er sehen konnte, breitere Flügel als vorhin. Es ging noch tiefer und verschwand zwischen den sanft gewellten Hügeln, in denen er gelandet war. Staley zuckte die Achseln. Man würde seinen Fallschirm und das Rettungsboot finden und seine Fußspuren entdecken. Wohin er ging, war auf den ersten Blick zu erkennen.
Kurze Zeit später war das Flugzeug wieder in der Luft und flog genau in seine Richtung.
Es war jetzt viel langsamer geworden, offensichtlich suchte man nach ihm. Er winkte wieder, obwohl er einen Moment lang versucht war, sich zu verstecken, was einfach idiotisch war. Er musste gefunden werden, bevor sein Lufterneuerer versagte, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er sich mit diesen Splits verständigen sollte.
Das Flugzeug strich über ihn hinweg und zog eine Schleife. Dann schwenkten seine Düsen nach vorne und unten, und es setzte gefährlich schnell in den Pflanzen auf. Drei Splits saßen darin, und ein Braun-Weißes kaum hastig herausgeklettert.
»Horst!« rief es in Whitbreads Tonfall. »Wo sind die anderen?«
Staley deutete zu dem Kuppelgebäude hin. Es war noch immer eine gute Wegstunde entfernt.
Whitbreads Split schien in sich zusammenzusinken. »Da haben wir’s. Horst, sind sie schon dort?«
»Sicher. Sie warten auf mich. Sie sind schon seit ungefähr drei Stunden dort.«
»Oh Gott. Vielleicht sind sie doch nicht reingekommen. Whitbread könnte es nicht.
Komm schnell, Horst.« Das Fjunch(klick) zeigte auf das Flugzeug. »Du wirst dich da irgendwie reinquetschen müssen.«
Drinnen saßen ein zweites Braun-Weißes und der Pilot, ein Braunes. Whitbreads Split trillerte etwas, das mindestens fünf Oktaven und neun Tonarten umfasste. Das andere Braun-Weiße gestikulierte wild. Sie machten Staley zwischen den Konturensitzen Platz, und das Braune hantierte an den Bedienungsinstrumenten. Das Flugzeug hob ab und schoss auf das Gebäude zu. »Vielleicht sind sie doch nichthineingekommen«, wiederholte Whitbreads Split. »Vielleicht.«
Horst saß unbequem zusammengekauert am Kabinenboden und machte sich Sorgen.
Die Sache gefiel ihm immer weniger. »Was ist denn los?« fragte er.
Whitbreads Split sah ihn seltsam an. »Vielleicht nichts.« Die beiden anderen Splits sprachen kein Wort.
Whitbread und Potter standen allein unter der mächtigen Kuppel. Fassungslos schauten sie sich um.
Die Kuppel war nur eine Schutzhülle. Von der halben Höhe ihrer Wölbung aus beleuchtete eine einzelne Lichtquelle den gesamten Innenraum wie eine sanfte Nachmittagssonne. In vielen Gebäuden, die Whitbread gesehen hatte, verwendeten die Splits diese Art von Beleuchtung. Unter der Kuppel lag eine kleine Stadt — eine sehr seltsame Stadt. Niemand bewohnte sie. Kein Ton war zu hören, keine Bewegung zu sehen, in keinem der Fenster war Licht. Und die Häuser …
Die Stadt war geradezu chaotisch uneinheitlich. Keins der Gebäude passte zum nächsten. Whitbread bekam eine Gänsehaut beim Anblick von zwei eleganten, von vielen Fenstern durchbrochenen Pfeilerbauten, die etwas flankierten, das wie eine ungeheuerliche mittelalterliche Kathedrale aussah, ein Gewirk aus Streben und Bögen, Türmchen und Simsen, die von Gestalten bewacht wurden, die laut Burys Split Dämonen darstellen sollten.
Hunderte Baustile und zumindest ein Dutzend verschiedener technologischer Entwicklungsstufen kamen hier zusammen. Jene freitragenden Hallendecken konnten kaum ohne Spannbeton oder ein noch fortschrittlicheres Material errichtet worden sein, ganz abgesehen von den sicher nicht einfachen Konstruktionsberechnungen.
Das Bauwerk, das dem Tor am nächsten war, bestand dagegen aus einfachen, sonnengetrockneten Lehmziegeln. Hier stand ein Quaderbau mit Wänden aus einseitig versilbertem Glas, dort waren die Wände aus grauen Steinblöcken, die Fenster unverglast, nur mit primitiven Holzläden zu verschließen.
»Wetterläden. Das muss hier gestanden haben, bevor die Kuppel gebaut wurde«, sagte Potter.
»Offensichtlich. Die Kuppel ist praktisch neu. Diese … Kathedrale könnte man’s nennen, diese Kathedrale in der Mitte dagegen ist so alt, dass man glaubt, sie müsste im nächsten Augenblick zerfallen.«
»Schau mal. Dieses parabolisch-hyperbolische Gebilde, das da aus einer Mauer herausgebaut wurde. Sieh dir bloß die Mauer an!«
»Ja, die muss mal zu einem anderen Gebäude gehört haben. Weiß Gott, wie alt das ist.« Die Mauer war über einen Meter dick, an den Kanten und auf der Krone zeigten sich Spuren von Verwitterung. Sie war aus verkleideten Steinblöcken errichtet, von denen jeder wohl gut eine halbe Tonne wog. Eine Schlingpflanze hatte sich daran hochgezogen, war in Ritzen eingedrungen und hatte die Mauer so durchwachsen, dass sie wahrscheinlich nur mehr von den Lianentrieben zusammengehalten wurde.
Whitbread beugte sich über die Ranken. »Kein Mörtel, Gavin. Sie haben die Blöcke genau zugerichtet aneinandergefügt. Trotzdem hält die Mauer dieses ganze Erkerbauwerk — das aus Beton ist. Sie haben wirklich dauerhaft gebaut.«
»Erinnerst du dich, was Horst über den Wabenasteroiden gesagt hat?«
»Er meinte, man könne sein Alter förmlich fühlen. Es stimmt … man kann das auch hier …«
»Die Bauten hier müssen aus den verschiedensten Zeitaltern stammen. Ich glaube, wir werden darauf kommen, dass das einfach ein Museum ist. Ein Architekturmuseum? Und Jahrhundert für Jahrhundert haben sie neue Exponate hinzugefügt. Zum Schluss wurde dann diese Kuppel errichtet, um die Bauten vor der Witterung zu schützen.«
»Hmmja …«
»Du scheinst nicht sehr überzeugt zu sein.«
»Diese Kuppel ist zwei Meter dick und aus Metall. Welche Witterung …«
»Vielleicht herunterstürzende Asteroiden. Nein, das ist Unsinn, die Asteroiden wurden schon vor Äonen in sichere Entfernung geschafft.«
»Ich denke, ich werde mir mal diese Kathedrale anschauen. Sie sieht aus, als war’ sie das älteste Gebäude hier.«
Die Kathedrale war tatsächlich ein Museum. Jedes zivilisierte Wesen hätte es als solches erkannt. Museen sind überall ziemlich gleich.
Es gab Vitrinenschränke mit allen möglichen alten Gegenständen darin, die mit bedruckten Täfelchen versehen waren. »Ich kann diese Ziffern lesen, glaub ich«, sagte Potter. »Sieh mal, sie sind vier- und fünfstellig. Und das im Duodezimalsystem.!«
»Mein Split hat mich mal gefragt, wie alt unsere Zivilisation ist. Wie alt ist ihre, Gavin?«
»Na ja, ihre Jahre sind kürzer … fünf Stellen. Von irgendeinem Ereignis zurückdatiert; das sind Minuszeichen vor diesen Zahlen. Warte mal …« Er holte seinen Taschencomputer hervor und schrieb rasch einige Zahlen auf den winzigen Schirm.
»Das hier würde vierundsiebzigtausend und noch was bedeuten. Jonathon, die Schilder sind fast neu.«
»Die Sprache verändert sich. Sie müssen immer wieder mal die Beschriftungen modernisieren.«
»Ja … ja, dieses Zeichen kenne ich. ›Ungefähr.‹« Potter eilte von einem Exponat zum nächsten. »Hier ist es wieder. Hier nicht … aber da. Jonathon, komm und schau dir das an!«
Es war ein sehr altes Gerät. Einst war es aus Eisen gewesen, doch jetzt bestand es wahrscheinlich durch und durch aus Rost. In der Vitrine hing eine Skizze, die zeigte, wie das Ding vermutlich früher ausgesehen hatte. Eine Haubitze.
»Hier auf dem Schild. Dieses doppelte Näherungszeichen steht für eine begründete Vermutung. Ich frage mich, wie oft diese Beschriftung wohl erneuert wurde?«
Ein Raum folgte dem anderen. Sie entdeckten eine breite Treppe, die nach oben führte; die Stufen waren flach, aber breit genug für menschliche Füße. Oben waren noch mehr Räume, noch mehr Exponate. Die Decken waren niedrig. Die Beleuchtung bestand aus Ketten von Glühbirnen, die aufflammten, wenn sie einen Raum betraten, und erloschen, wenn sie ihn verließen. Die Glühbirnen waren so angebracht, dass sie den Gesamteindruck der Räume nicht verdarben. Das Museum selbst war ja ein Ausstellungsstück.
Die Schildchen waren alle gleich, die Vitrinen dagegen alle verschieden. Whitbread fand das nicht weiter erstaunlich. Nicht zwei von den Splits hergestellte Gegenstände waren jemals gleich. Ein Exponat jedoch … er musste beinahe lachen.
Die mehrere Meter lange und zwei Meter breite gläserne Blase ruhte auf einem bizarr geformten Sockel aus pfirsichfarbenem Metall. Beides schaute sehr neu aus. Der Rahmen trug ein Schild. In dem Glasgebilde stand eine wunderbar geschnitzte, hölzerne Truhe, groß wie ein Sarg, vom Alter fast weiß gebleicht, deren Deckel nur mehr aus den Resten eines rostigen Drahtgitters bestand. Auch daran war ein Schild. Unter dem verrosteten Gitter war eine Sammlung herrlich geformter, eierschalendünner Porzellangefäße zu sehen, einige zerbrochen, andere unversehrt. Jedes Stück davon trug wieder ein datiertes Schildchen. »Erinnert mich an diese Puppen, wo eine in der anderen steckt«, meinte Whitbread grinsend.
Potter fand das nicht amüsant. »Ungefähr so was ist das auch. Siehst du das? Dieser Glasballon, steht hier, ist ungefähr zweitausend Jahre alt … das kann doch nicht stimmen, oder?«
»Nur wenn …« Whitbread kratzte mit seinem Jahrgangsring über die glasähnliche Oberfläche. »Beides hat Schrammen. Künstlicher Saphir anscheinend.« Er versuchte es am Sockelmetall. Das Metall ritzte den Ringstein. »Ich glaub die zweitausend.«
»Aber die Truhe ist ungefähr zweitausendvierhundert Jahre alt, und dieses Geschirr ist mit dreitausend und mehr datiert. Schau dir doch an, wie sich der Stil von Stück zu Stück ändert. Das muss eine Sammlung sein, die die Entwicklung einer bestimmten Töpfereirichtung darstellt.«
»Meinst du, die Holztruhe stand früher in einem anderen Museum?«
»Was sonst?«
Jetzt lachte Whitbread doch, und sie gingen weiter. Nach einer Weile zeigte Whitbread auf einen Gegenstand und meinte, »Schau mal, das ist aus demselben Metall, nicht?«
Die kleine, mit zwei Händen zu bedienende Waffe — denn das war es offensichtlich — trug das gleiche Datum wie die Saphirkugel.
Als nächstes stießen sie auf eine rätselhafte Konstruktion, ein aufrecht stehendes Gitter aus Sechsecken, deren Seiten aus zwei Meter langen Stahlstreben bestanden. Einige der Sechsecke waren mit dicken Plastikplatten ausgefüllt, in anderen waren nur mehr zersplitterte Reste vorhanden.
Potter wies auf die leichte Wölbung der Konstruktion hin. »Das war mal auch eine Kuppel, kugelförmig, mit geodätischem Gerüst. Nicht mehr viel übrig davon — im übrigen hätte sie nie das ganze Gelände überspannt.«
»Du hast recht. Aber sie ist nicht einfach verwittert und dann ersetzt worden. Sieh dir nur an, wie die Streben am Rand verbogen sind. Ein Tornado? Das Land hier wäre flach genug.«
Potter begriff nicht sofort. Auf Neuschottland, einer terrageformten, aberziemlich rauen Welt, gab es keine Wirbelstürme. Er rief sich seine Meteorologiekenntnisse ins Gedächtnis und nickte. »Könnte sein. Ja, könnte sein.« Anschließend an die Fragmente der früheren Kuppel entdeckte Potter ein fast zerfallendes Metallgerippe, das von den Resten einer Plastikhülle umgeben war. Auch das Plastik schaute verwittert und brüchig aus. Auf dem Schild waren zwei Jahreszahlen angegeben, beide fünfstellig. Eine Skizze daneben zeigte ein schlankes Straßenautomobil mit drei Sitzen hintereinander. Es sah ziemlich primitiv aus. Die Motorhaube war geöffnet dargestellt.
»Ein Verbrennungsmotor«, sagte Potter. »Ich hatte schon das Gefühl, Splitter Alpha müsste arm an fossilen Brennstoffen sein.« »Sally hatte einen ähnlichen Gedanken. Sie meinte, die Split-Zivilisation hat einen rapiden Niedergang durchgemacht, als die fossilen Brennstoffe aufgebraucht waren. Ich glaube allmählich, dass sie recht hatte.«
Die interessanteste Entdeckung jedoch befand sich hinter einem großen, in eine Wand eingelassenen Fenster. Sie stellten fest, dass sie in den Hauptturm der ›Kathedrale‹ blickten. An der Scheibe war eine alte, verschnörkelte Bronzeplatte befestigt, auf der noch ein kleineres, neueres Schild angebracht war.
Im Turm stand eine alte Weltraumrakete. Trotz der Rostlöcher in den Flanken und der allgegenwärtigen Korrosion war die Form noch sehr gut zu erkennen: ein langes, zylindrisches Geschoss mit erstaunlich dünnen Wänden und einer winzigen Kabine unterhalb der abgerundeten Nase.
Sie eilten zur Treppe. Im nächsten Stockwerk musste wieder ein Fenster sein …
Tatsächlich. Sie knieten sich auf den Boden, um den Motor besser studieren zu können.
»Ich bin mir nicht ganz …«, meinte Potter unschlüssig.
»Ungefähr wie der NERVA-Typ von der Erde«, stellte Whitbread beinahe flüsternd fest.
»Ein Atomantrieb, sehr frühes Stadium. Kleiner Spaltreaktor. Ein nichtaktiver Brennstoff wird durch den Reaktorkern aus Uran oder Plutonium geschickt. Noch keine Fusion …«
»Bist du sicher?«
Whitbread schaute sich den Antrieb noch einmal an, bevor er nickte. »Bin ich.«
Nach dem Verbrennungsmotor war erst der Atomspaltungsmotor entwickelt worden. Es gab immer noch Welten im Imperium, auf denen Verbrennungsmotoren verwendet wurden. Energie aus Atomspaltung allerdings war fast nur mehr ein Mythos. Während die beiden jungen Männer diese Reliquie aus den Anfängen des Atomzeitalters betrachteten, wurde ihnen zum ersten Mal das ungeheure Alter all der Gegenstände rundum bewusst, und sie fühlten, wie die Mauern stumm von Millennien erzählten.
Das Flugzeug landete neben den orangeroten Fetzen eines Fallschirms und dem durchlöcherten Rumpf eines Kegelbootes. Das Tor gleich dahinter stand anklagend offen.
Whitbreads Split sprang aus dem Flugzeug und rannte zu dem Kegel. Es zwitscherte etwas, und der Pilot kletterte hinaus und eilte hin. »Sie haben es aufgebracht«, sagte Whitbreads Split. »Ich hätte nie gedacht, dass Jonathon herausfindet, wie. Wird wohl Potter gewesen sein. Horst, besteht auch nur die geringste Chance, dass sie nicht hineingegangen sind?«
Staley schüttelte den Kopf.
Das Split trillerte wieder dem Braunen etwas zu. »Halt Ausschau nach irgendwelchen Flugzeugen, Horst«, sagte Whitbreads Split dann. Es sprach kurz mit dem anderen Braun-Weißen, das ebenfalls ausstieg und den Himmel beobachtete.
Das Braune holte sich Whitbreads abgelegten Druckanzug und den Gefechtspanzer. Es arbeitete rasch, hatte bald die Halsöffnung des Anzugs verschlossen und den fehlenden Helm durch irgendeine plastische Masseersetzt. Dann holte es die Reserveluftflasche vom Atemgerät und hantierte mit Werkzeugen, die es aus einer Gürteltasche holte, an den Ventilen herum. Plötzlich blähte sich der Anzug auf. Das Braune stellte ihn so hin, dass es aussah, als befände sich ein Mensch darin. Dann verband es die Schultern mit einem elastischen Seil und stach an jedem Handgelenk ein Loch.
Zischend strömte die Luft aus den Löchern … und der leere Anzug hob die Arme. Der Druck fiel weiter, und die Arme sanken hinunter. Frische Luft strömte durch das automatisch sich öffnende Ventil ein, und die Arme schnellten wieder hoch …
»Das sollte genügen«, sagte Whitbreads Split. »Wir haben deinen Anzug genauso hergerichtet und seine Temperatur auf eure normale Körpertemperatur erhöht. Wenn wir Glück haben, bombardieren sie ihn, ohne nachzuprüfen, ob du darin steckst.«
»Bombardieren?«
»Wir können uns natürlich nicht darauf verlassen. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, den Anzug auf ein Flugzeug schießen zu lassen …«
Staley packte das Split an der Schulter und schüttelte es. Das Braune stand mit seinem leeren Lächeln gleichgültig daneben. Die tropische Sonne brannte jetzt am heißesten herunter. »Warum sollte uns jemand umbringen wollen?« wollte Staley wissen.
»Ihr seid alle zum Tod verurteilt, Horst.«
»Aber warum? Ist es wegen dieser Kuppel? Gibt es irgendein1 Tabu?«
»Wegen der Kuppel, ja. Tabu, nein. Wofür haltet ihr uns, für primitive Wilde? Ihr wisst zuviel, das ist alles. Tote plaudern nichts aus. Komm jetzt, wir müssen sie finden und da rausholen.«
Whitbreads Split bückte sich unter dem Tor: Es hatte das nicht nötig — aber Whitbread hätte sich bücken müssen. Das zweite Braun-Weiße folgte schweigend. Das Braune blieb draußen zurück, das ewige, sanfte Lächeln im Gesicht.
Sie entdeckten die beiden anderen Kadetten in der Nähe der Kathedrale. Das dumpfe Geräusch von Staleys Stiefeln ließ Whitbread aufblicken; der Gang des einen Splits fiel ihm auf, und er fragte: »Fjunch(klick)?«
»Fjunch(klick).«
»Wir haben eine Erkundung …«
»Jonathon, dafür ist keine Zeit«, sagte das Split. Das zweite Braun-Weiße musterte sie mit sichtlicher Ungeduld.
»Wir sind wegen unbefugten Eindringens zum Tode verurteilt«, sagte Staley schroff.
»Ich weiß nicht, weshalb.«
Einen Augenblick schwiegen alle. Dann rief Whitbread: »Ich auch nicht! Das hier ist nichts als ein Museum …«
»Ja«, sagte Whitbreads Split. »Ihr musstet ja hier landen. Man kann’s nicht mal Pech nennen. Eure blöden Kreaturen von Minis müssen die Landungskegel so programmiert haben, dass sie nicht über Wasser oder in einer Stadt oder im Gebirge runterkommen würden. Klar, dass ihr in einem Anbaugebiet gelandet seid. Und da haben wir nun mal unsere Museen.«
»Hier draußen? Warum?« fragte Potter. Es klang, als ob er die Antwort bereits wüsste.
»Hier sind doch keine Leute …«
»Eben. Damit die Museen nicht bombardiert werden.«
Jetzt war die Stille fast greifbar. Das Split bemerkte: »Gavin, du scheinst nicht sehr erstaunt zu sein.«
Potter versuchte, sich am Kinn zu kratzen. Der Helm kam ihm dazwischen. »Ich fürchte, wir können euch wohl nicht überzeugen, dass wir hier nichts erfahren haben?«
»Unwahrscheinlich. Ihr seid seit drei Stunden hier.« Whitbread mischte sich ein. »Wohl eher zwei Stunden. Horst, diese Anlage ist fantastisch! Ein Museum im anderen — die Ausstellungsstücke sind einfach unglaublich alt — ist das das Geheimnis? Dass diese Zivilisation schon sehr lange besteht? Ich verstehe nicht, warum ihr das verbergen wollt.«
»Ihr habt … äh … eine Menge Kriege gehabt«, sagte Potter zögernd.
Das Split nickte — eine Bewegung, die eher ein Rucken von Schultern und Kopf war.
»Ja.«
»Große Kriege.«
»Stimmt. Auch kleine Kriege.«
»Wie viele?«
»Herrgott, Potter! Wer sollte das zählen? Tausende Zyklen. Tausende Male der Rückfall in die Barbarei. Immer wieder ein Großer Narr, der einen Ausweg finden will. Mir reicht’s jedenfalls. Die ganze Befehlsgeberkaste ist zu Großen Narren geworden, nach meiner Meinung. Sie glauben, sie könnten den Lauf der Zyklen beenden, wenn sie in den Weltraum auswandern und andere Sonnensysteme besiedeln.«
Horst Staleys Stimme war ausdruckslos, und während er sprach, sah er sich aufmerksam um. Seine Hand lag auf dem Griff seiner Waffe. »Meinen sie? Und was ist das nun, von dem wir zuviel wissen?«
»Das werde ich euch sagen. Und dann werde ich versuchen, euch zu eurem Schiff zu bringen — lebend.« Es zeigte auf das zweite, ebenfalls weibliche Vermittlersplit, das dem Gespräch offensichtlich nicht folgen konnte und gleichgültig daneben stand.
Whitbreads Split trillerte und pfiff ihm etwas zu. »Nennt sie am besten Charlie«, sagte es. »Ihren richtigen Namen könnt ihr nicht aussprechen. Charlie vertritt einen Befehlsgeber, der bereit ist, euch zu helfen. Vielleicht. Auf jeden Fall ist das unsere einzige Chance …«
»Und was unternehmen wir jetzt?« wollte Staley wissen.
»Wir versuchen, Charlies Meister zu erreichen. Dort wird man euch schützen. (Pfiff, Klick, Pfiff.) Äh … ihr könnt ihn König Peter nennen. Wir haben keine Könige, aber dieser Meister ist zur Zeit männlich. Er ist einer der mächtigsten Befehlsgeber, und wenn er mit euch geredet hat, wird er euch vermutlich helfen, sicher heimzukommen.«
»Vermutlich«, sagte Horst bedächtig. »Hör mal, was ist das eigentlich für ein Geheimnis, das ihr so ängstlich hütet?« »Später. Wir müssen hier fort.«
Horst Staley zog seine Laserpistole. »Nein, gleich jetzt. Potter, gibt’s irgend etwas in diesem Museum, mit dem man mit der Lenin Verbindung aufnehmen könnte? Such mal.«
»Aye, aye — ist die Waffe denn wirklich nötig?«
»Such uns ein Funkgerät!«
»Horst, hör doch«, drängte Whitbreads Split. »Die Befehlsgeber wissen, dass ihr irgendwo hier in der Gegend gelandet seid. Wenn ihr zu funken versucht, werden sie das Signal blockieren. Und wenn ihr doch eine Nachricht durchbekommt, werden sie die Lenin vernichten.« Staley versuchte etwas zu sagen, aber das Split fuhr beharrlich fort.
»Oh, ja, das können sie. Es wäre nicht leicht, zugegeben. Dieses Schutzfeld von euch ist recht wirkungsvoll. Aber ihr habt bisher nur gesehen, zu was unsere Techniker imstande sind, ihr habt nie gesehen, wozu die Krieger fähig sind. Wir haben beobachtet, wie eines eurer besten Schiffe zerstört wurde. Wir wissen jetzt, wie das zu machen ist.
Glaubst du, ein kleines Kriegsschiff kann sich gegen die Flotten von hier und den Asteroidenstationen behaupten?«
»Herrgott, Horst, es hat vielleicht recht«, sagte Whitbread.
»Wir müssen den Admiral informieren.« Staley wirkte nicht mehr so sicher, aber seine Waffe schwankte nicht einen Augenblick. »Mr. Potter, fuhren Sie Ihre Befehle aus.«
»Ihr werdet Gelegenheit bekommen, die Lenin zu verständigen, sobald wir in Sicherheit sind«, rief Whitbreads Split, und für einen Momentklang seine Stimme fast schrill vor Aufregung. Dann sagte es ruhiger: »Glaub mir, Horst, es ist der einzige Ausweg.
Außerdem würdet ihr nie imstande sein, irgendeins unserer Kommunikationsgeräte ohne unsere Hilfe zu bedienen. Und wir werden euch nicht helfen, eine Dummheit zu machen. Wir müssen jetzt endlich hier raus!«
Das andere Split trillerte etwas. Whitbreads Split antwortete, und sie unterhielten sich kurz in ihrer seltsamen Zwitschersprache. Schließlich übersetzte Whitbreads Split.
»Wenn nicht die Truppen meines Meisters bald hier sind, dann auf jeden Fall die Krieger des Museumsbewahrers. Ich weiß nicht, auf welcher Seite der Bewahrer in dieser Angelegenheit steht. Charlie weiß es auch nicht. Bewahrer sind steril und nicht ehrgeizig, aber sie wachen sehr eifersüchtig über die ihnen anvertrauten Dinge.«
»Würden sie uns bombardieren?« »Nicht, solange wir hier drin sind. Nein. Dabei würde das Museum zerstört, und Museen sind — wichtig. Aber der Bewahrer wird Truppen herschicken — wenn nicht die meines Meisters vorher hier sind.«
»Warum ist jetzt noch keiner da?« wollte Staley wissen. »Ich höre auch nichts.«
»Um Himmels willen, sie können bereits unterwegs sein! Passt auf, mein Meister — mein früherer Meister — hat die Entscheidungsgewalt über die Menschenforschung gewonnen. Die will sie natürlich nicht verlieren, deshalb wird sie niemand anderen zuziehen. Sie wird versuchen, die hiesigen Machthaber herauszuhalten, und da ihre Domäne die Region um das Schloss ist, dauert es einige Zeit, Krieger hierher zubringen.
Es sind fast zweitausend Kilometer.«
»Euer Flugzeug war ziemlich schnell«, sagte Staley ausdruckslos.
»Ein Vermittler-Flugzeug für Notfälle. Die Meister lassen es nicht zu, dass einer von ihnen solche Flugzeuge einsetzt. Schon euer Auftauchen in unserem System hat beinahe einen Kompetenzen-Krieg ausgelöst. Würde ein Meister seine Krieger ein solches Flugzeug benutzten lassen, würde es gewiss Krieg geben …«
»Haben eure Befehlsgeber denn keine Militärflugzeuge?« fragte Whitbread.
»Sicher, aber die sind langsamer. Trotzdem könnten sie uns zwingen, Deckung zu suchen. Unter diesem Gebäude verläuft eine … Untergrundbahn …«
»Untergrundbahn?« wiederholte Staley misstrauisch. Die Ereignisse folgten einfach zu rasch aufeinander. Er hatte das Kommando ihres kleinen Trupps, aber er wusste nicht, was er tun sollte.
»Natürlich. Hin und wieder kommen doch Besucher in das Museum. Mit der Untergrundbahn dauert es ziemlich lange, vom Schloss hierher zu gelangen. Und wer weiß, was der Bewahrer inzwischen unternimmt? Er könnte sogar die Einmischung meines Meisters verbieten. Wenn er das tut, dann könnt ihr sicher sein, dass er euch töten lässt, damit nicht andere Meister noch hier um euch kämpfen.«
»Etwas gefunden, Gavin?« brüllte Staley.
Potter trat aus dem Eingang eines der modern wirkenden Pfeiler aus Glas und Stahl.
»Nichts, womit ich umgehen könnte. Nichts, das ich auch nur im entferntesten als Funkgerät erkennen könnte. Und das sind die neuesten Bauten. In den älteren ist wahrscheinlich alles komplett verrostet.«
»Horst, wir müssen von hier fort!« drängte Whitbreads Split von neuem. »Wir haben keine Zeit für Unterhaltungen …«
»Diese Krieger könnten mit Flugzeugen bis zur nächsten Station fliegen und nur für den Rest der Strecke die Untergrundbahn benutzen«, gab Whitbread zu bedenken. »Wir sollten wirklich etwas unternehmen, Horst.«
Staley nickte langsam. »Na gut. Wie kommen wir fort? In eurem Flugzeug?« »In dem haben wir nicht alle Platz«, sagte Whitbreads Split. »Aber zwei könnten mit Charlie fliegen, und ich würde …«
»Nein«, unterbrach Staley entschieden. »Wir bleiben beisammen. Könntest du ein größeres Flugzeug herbeirufen?«
»Ich kann nicht einmal sicher sein, dass eines bis zu uns durchkäme. Du hast wahrscheinlich recht. Es wäre besser, beisammen zu bleiben. Also, dann ist die Untergrundbahn der einzige Ausweg.«
»Der bereits voller Feinde sein könnte.« Staley überlegte einen Augenblick lang. Die Kuppel war ziemlich bombenfest, und die verspiegelte Oberfläche ein guter Schutz gegen Laserwaffen. Sie konnten sich hier verschanzen — aber für wie lange? Wie jeder Soldat in Feindesland begann er sich als Gejagter zu fühlen und die nötige misstrauische Vorsicht zu entwickeln.
»Wohin müssen wir, um eine Nachricht zur Lenin durchzubekommen?« erkundigte er sich. Das war auf jeden Fall das Wichtigste.
»In König Peters Domäne. Es sind tausend Kilometer bis dorthin, aber das ist der einzige Ort, wo ihr die Geräte bekommen könntet, um einen nicht auffangbaren Funkspruch abzusenden. Ob es tatsächlich klappt, können wir nicht garantieren, aber es ist die einzige Möglichkeit.«
»Und das Flugzeug können wir nicht benutzen — also gut. Wo ist die Untergrundbahn?
Wir müssen einen Hinterhalt errichten.«
»Hinterhalt?« Das Split nickte zustimmend. »Natürlich. Horst, ich habe wenig Ahnung von Taktik und solchen Dingen. Vermittler kämpfen nicht. Ich versuche nur, euch zu Charlies Meister zu bringen. Du wirst dich darum kümmern müssen, wenn man uns unterwegs umbringen will. Wie gut sind eure Waffen?« »Wir haben nur Handwaffen.
Nicht sehr wirkungsvoll.«
»Im Museum sind noch andere. Das gehört mit zum Zweck eines Museums. Ich weiß aber nicht, welche noch funktionieren.«
»Das wäre einen Versuch wert. Whitbread. Potter. Seht euch nach Waffen um. Also, wo ist diese Untergrundbahn?«
Die Splits schauten sich um. Charlie verstand anscheinend doch, um was es ging, obwohl sie kein Wort Anglic von sich gab. Die beiden unterhielten sich zwitschernd, dann deutete Whitbreads Split auf das kathedralenähnliche Gebäude. »Da hinein.« Es machte Staley auf die angeblichen Dämonenplastiken an den Simsen und Vorsprüngen aufmerksam. »Alles, was ihr seht, ist harmlos, außer diese Wesen. Das ist die Krieger-Kaste: Soldaten, Leibwächter, Polizisten. Sie sind Schlächter und sehr tüchtig in ihrem Beruf. Wenn ihr ein solches Wesen seht, lauft.«
»Quatsch, laufen«, knurrte Staley. Er packte seine Pistole fester. »Wir treffen uns unten«, rief er den beiden anderen zu. »Was wird aus deinem Braunen?«
»Ich rufe sie«, sagte Whitbreads Split und stieß einen lauten Trillerton aus.
Das Braune kam in den Kuppelbau und brachte Charlie eine Reihe Gegenstände. Die beiden Splits inspizierten sie kurz, dann sagte Whitbreads Split: »Das werdet ihr brauchen können. Luftfilter. Ihr könnt die Helme abnehmen und diese Masken tragen.«
»Unsere Funkgeräte …« wandte Horst ein.
»Nehmt alles mit. Unser Braunes kann später auch die Funkgeräte umbauen. Wollt ihr wirklich eure Ohren unter diesen unpraktischen Helmen haben? Die Luftregeneratoren halten ohnehin nicht ewig.«
»Danke«, sagte Horst. Er nahm einen der Filter und befestigte ihn. Ein weicher Napf bedeckte seine Nase; ein dünner Schlauch führte davon zu einem kleinen Kanister, den er an den Gürtel hängen konnte. Es war eine Erleichterung, den Helm abnehmen zu können, aber er wusste nicht recht, was er nun damit anfangen sollte. Schließlich befestigte er ihn am Gürtel, was auch nicht sehr bequem war. »Schön, gehen wir.« Das Sprechen war ohne Helm leichter, aber er musste daran denken, dass er nicht durch den Mund atmen durfte. Eine spiralförmige Rampe führte hinab. Tief hinunter. Nichts rührte sich unter der schattenlosen Beleuchtung, aber Staley kam sich doch als Zielscheibe für jeden vor, der da unten lauern mochte. Er wünschte sich, Granaten und einen Trupp Infanterie zu haben. Aber er und seine beiden Kameraden waren hier ganz auf sich allein gestellt. Die Splits waren noch da, schon. Aber — Vermittler. »Vermittler kämpfen nicht«, hatte Whitbreads Split gesagt. Daran musste er immer denken. Das Fjunch(klick) benahm sich so sehr wie Jonathon Whitbread, dass er immer die Arme zählen musste, um zu wissen, mit wem er redete, aber es kämpfte nicht. Auch Braune kämpfen nicht.
Wachsam pirschte er sich als erster die Rampe hinunter, seine Waffe schussbereit. Die Rampe endete an einer Tür, und einen Augenblick zögerte er. Hinter der Tür war alles still. Ach, zum Teufel, dachte er und trat hinaus.
Er war allein in einem weiten, zylindrischen Tunnel, an dessen Boden Schienen entlang liefen, von einer Art Bahnsteig auf der einen Seite begleitet. Links von ihm endete der Tunnel in einer Felswand. Auf der anderen Seite führte er geradewegs in die Dunkelheit hinein. Im Gestein der Tunnelwände waren breite Rillen, die wie die Rippen eines riesigen Wals wirkten.
Das Split kam heran und bemerkte, was er anschaute. »Hier war einmal ein Linearbeschleuniger, bevor irgendeine wieder aufsteigende Zivilisation ihn wegen der Metalle ausschlachtete.« »Ich seh keine Wagen. Wie kommen wir zu einem?« »Ich rufe einen. Jeder Vermittler kann das.« »Nicht du. Charlie«, sagte Horst. »Oder wissen sie schon, dass er, ich meine, sie auch an dieser Verschwörung beteiligt ist?«
»Horst, wenn wir auf einen Wagen warten, wird er voller Krieger sein. Der Bewahrer weiß, dass ihr sein Museumsgebäude geöffnet habt. Ich weiß nicht, warum seine Leute nicht schon hier sind. Vermutlich gibt es einen Kompetenzstreit zwischen ihm und meinem Meister. Die Befehlsgeber wachen sehr eifersüchtig über ihre Kompetenzgebiete … und König Peter wird das seine tun, um die Lage weiter zu komplizieren.«
»Wir können nicht mit dem Flugzeug fliehen. Wir können nicht über die Felder marschieren. Und wir können keinen Wagen rufen«, sagte Staley. »Na gut. Zeichne mir so einen Untergrundwagen auf.«
Das Split skizzierte ihn auf dem Schirm von Staleys Taschencomputer. Eine Schachtel auf Rädern, wie alle Fahrzeuge auf dieser bevölkerten Welt — möglichst viel Innenraum bei möglichst geringem Parkplatzbedarf. »Die Motoren sitzen hier an den Rädern. Die Steuerung ist vermutlich automatisch …«
»Nicht für militärische Unternehmungen.«
»Also dann wäre die Steuerung hier vorne. Die Braunen und die Krieger können aber eine Menge Änderungen durchgeführt haben. Das wäre durchaus wahrscheinlich …«
»Wie eine Panzerung. Panzerglas. Frontgeschütze.« Die drei Splits erstarrten, und Horst lauschte aufmerksam. Er hörte nichts.
»Schritte«, sagte das Split. »Whitbread und Potter.«
»Vielleicht.« Staley huschte lautlos zum Eingang.
»Nur mit der Ruhe, Horst. Ich erkenne den Rhythmus.«
Sie hatten Waffen gefunden. »Das hier ist ein Prachtstück«, sagte Whitbread. Er hielt ein Rohr hoch, das am vorderen Ende eine Linse aufwies, am anderen einen Schaft, der für Split-Schultern geformt war. »Ich hab’ keine Ahnung, wie lang die Energie reicht, aber das Ding hat ein Loch durch eine dicke Steinmauer geschnitten, ganz durch.
Unsichtbarer Strahl.«
Staley nahm die Waffe. »Genau so was brauchen wir. Die anderen könnt ihr mir später zeigen. Jetzt verzieht euch in den Eingang und bleibt dort.« Staley postierte sich am Ende des Bahnsteigs, wo die Eingangshalle in den eigentlichen Tunnel überging. Er stand so neben der Tunnelmündung, dass ihn keiner, solange er im Tunnel war, sehen konnte. Er fragte sich, wie wirkungsvoll eine Splitpanzerung war. Würde das Material einen Gammastrahllaser aufhalten? Es war vollkommen still. Er wartete mit einiger Ungeduld, weil er nicht wusste, ob er das Richtige getan hatte.
Das ist ja verrückt, sagte er sich. Aber was können wir sonst tun? Angenommen, sie kommen in Flugzeugen und landen vor der Kuppel? Wir hätten das Tor schließen und jemanden als Wache zurücklassen sollen. Aber dafür war es noch nicht zu spät.
Er wollte gerade zu den anderen zurückgehen, als er es hörte: ein tiefes Summen in der Ferne über den Schienen. Es ließ ihn irgendwie ruhiger werden. Jetzt brauchte er keine Entscheidungen mehr zu treffen. Horst drückte sich gegen die Wand und umfasste die fremdartige Waffe fester. Der Wagen kam ziemlich rasch näher …
Das Fahrzeug war viel kleiner, als Staley erwartet hatte: ein Spielzeug von Wägelchen wie die kleinen Autos. Es sauste an ihm vorbei, und der Fahrtwind strich ihm ins Gesicht. Der Wagen hielt mit einem Ruck, während Staley ihn mit seiner Waffe bestrich, von einem Ende zum anderen. Stieg da jemand aus auf der anderen Seite? Nein, die Waffe funktionierte anscheinend bestens. Der Strahl war unsichtbar, aber Streifen rotglühenden Metalls zogen sich über den Wagen. Staley ließ den Strahl über die Fenster streichen, wo sich keine Wirkung zeigte, und noch einmal über das Dach, dann trat er schnell in den Tunnel hinaus und feuerte die Schienen entlang.
Ein zweiter Wagen sauste heran. Er sprang zurück in Deckung aber nur so weit, dass er noch auf den nahenden Wagen schießen konnte. Wie zur Hölle sollte er feststellen, wann die Batterie — oder woher immer die Energie stammte — erschöpft war? Das Ding war ein Museumsstück! Der zweite Wagen pfiff vorbei, und auch er hatte kirschrote Streifen abbekommen. Staley gab noch einen Feuerstoß darauf ab, dann sprang er wieder vor, um in den Tunnel zu feuern. Es war jedoch nichts mehr zu sehen.
Kein dritter Wagen. Gut. Systematisch bestrich er den zweiten mit dem Laserstrahl.
Irgend etwas hatte ihn knapp hinter dem ersten zum Stehen gebracht — irgendein automatischer Auffahrschutz? Staley hatte keine Ahnung. Er lief auf die beiden Wagen zu. Whitbread und Potter kamen hervor und rannten zu ihm. »Ich hab’ gesagt, ihr sollt draußen bleiben!« »Tut mir leid, Horst«, sagte Whitbread.
»Dies ist eine militärische Situation, Mr. Whitbread. Sie können mich Horst nennen, wenn gerade niemand auf uns schießt.«
»Jawohl, Sir. Ich möchte darauf hinweisen, dass außer Ihnen niemand geschossen hat.«
Gestank sickerte aus den Wagen: verbranntes Fleisch. Die Splits kamen aus dem Versteck hervor. Staley trat vorsichtig zu den Wagen und spähte hinein. »Dämonen«, sagte er.
Fasziniert musterten sie die Leichen. Außer in Plastiken waren sie dem Typus noch nicht begegnet. Verglichen mit den Vermittlern und Technikern, waren die Krieger drahtige, sehnige Gestalten. Die rechten Arme waren lang, hatten kurze, dicke Finger und nur einen Daumen; die andere Kante der rechten Hände war mit glattem, harten Hornmaterial überzogen. Der linke Arm war noch länger, die Finger glichen Würsten.
Unter dem linken Arm war noch etwas, das nicht recht zu erkennen war.
Die Dämonen hatte lange, spitze Zähne wie richtige Ungeheuer aus Märchenbüchern oder halbvergessenen Sagen.
Charlie zwitscherte Whitbreads Split etwas zu. Als sie keine Antwort erhielt, zwitscherte sie nochmals, schriller als zuvor, und winkte dem Braunen. Die Technikerin näherte sich der Tür des ersten Wagens und begann sie vorsichtig zu untersuchen. Whitbreads Split stand versteinert da und starrte die toten Krieger an.
»Hütet euch vor Fallen!« schrie Staley. Das Braune beachtete ihn nicht und begann vorsichtig an der Tür herumzutasten. »Pass auf!«
»Gewiss sind Fallen daran, aber das Braune wird sie erkennen«, sagte Charlie langsam.
»Ich werde ihr sagen, sie soll vorsichtig sein.« Sie sprach vollkommen akzentfrei und beinahe mechanisch exakt.
»Du kannst ja reden«, sagte Staley.
»Nicht gut. Es ist schwer, in eurer Sprache zu denken.«
»Was hat mein Fjunch(klick)?« wollte Whitbread wissen.
Statt zu antworten, zwitscherte Charlie wieder etwas in immer höheren Tönen.
Whitbreads Split zuckte zusammen und wandte sich um.
»Tut mir leid«, sagte es. »Das sind Krieger meines — meines Meisters. Oh verdammt, was tue ich nur?«
»Sehen wir zu, dass wir in die Wagen kommen«, sagte Staley unruhig. Er hob seine Waffe, um die Seitenwand des Wagens aufzuschneiden. Das Braune studierte immer noch die Tür, sehr vorsichtig, als hätte es Angst davor.
»Lassen Sie mich, Sir.« Whitbread meinte es ernst, obwohl er nur eine Art Kurzschwert mit dickem Griff in der Hand hatte. Horst sah fasziniert zu, wie er in das Metall des Wagens eine rechteckige Öffnung schnitt — mit einer glatten, mühelosen Bewegung.
»Das Ding vibriert«, sagte er. »Zumindest nehm ich das an.«
Der Gestank’’ drang nun auch durch ihre Luftfilter. Für die Splits musste es wesentlich schlimmer sein, aber anscheinend machte ihnen der Geruch nichts aus. Sie kletterten in den zweiten Wagen.
»Schaut sie euch lieber genau an«, sagte Whitbreads Split. Es schien sich wieder beruhigt zu haben. »Man soll seinen Gegner kennen.« Es zwitscherte dem Braunen einen Befehl zu, worauf dieses die Steuerinstrumente des Wagens genau zu untersuchen begann. Schließlich setzte es sich in den Fahrersitz, nachdem es erst einen Krieger davon weggezerrt hatte.
»Seht mal unter den linken Arm«, sagte Whitbreads Split. »Das hier ist ein zweiter linker Arm, rudimentär wie bei den meisten unserer Unterarten. Aber er besteht ganz aus Hörn, wie ein …« Es überlegte einen Augenblick. »Wie ein Huf. Es ist ein Bauchaufschlitzer. Mit einem verdammt kräftigen Muskelansatz.«
Whitbread und Potter verzogen das Gesicht. Auf Staleys Anweisung begannen sie, Dämonen durch das Loch in der Seitenwand hinauszuschaffen. Die Krieger glichen einander wie Zwillinge — mit Ausnahme der verbrannten Stellen, wo der Gammastrahllaser ihr Fleisch gebraten hatte. Die Füße waren an Fersen wie an Vorderkante mit scharfen Hornleisten überzogen. Ein Tritt mit so einem Fuß — nach vorne oder hinten — war wohl tödlich. Der Kopf der Krieger war auffallend klein.
»Sind sie intelligent?« fragte Whitbread.
»Nach unserem Maßstab ja, aber sie sind nicht sehr erfinderisch«, sagte Whitbreads Split. Seine Stimme klang wie die Whitbreads, wenn er dem Ersten Offizier irgendwelche Vorschriften zitieren musste — emotionslos und knapp. »Sie können jede Waffe reparieren, die es je gegeben hat, aber sie werden selbst keine neuen erfinden.
Ach ja, es gibt auch noch eine Arzt-Variante, eine Kreuzung zwischen dem richtigen Arzt-Typ und Kriegern. Halbintelligent. Ihr könnt euch wohl vorstellen, wie sie aussehen.
Und jetzt solltet ihr unser Braunes besser die Waffen überprüfen lassen, die ihr behalten wollt …«
Der Wagen setzte sich ohne Vorwarnung in Bewegung. »Wohin fahren wir?« fragte Staley.
Whitbreads Split trillerte. Es klang ein bisschen wie der Pfiff einer Spottdrossel. »So heißt die nächste Stadt an der Strecke …«
»Sie werden die Schienen verbarrikadieren. Oder ein bewaffneter Trupp wird auf uns warten«, sagte Staley. »Wie weit ist es?«
»Oh — fünfzig Kilometer.« »Haltet nach der halben Strecke«, befahl Staley.
»Ja, Sir.« Die Stimme des Splits klang jetzt mehr denn je wie die Whitbreads. »Sie haben euch unterschätzt, Horst. Nur so kann ich mir das erklären. Ich habe noch nie gehört, dass ein Krieger von jemand anderem als wieder einem Krieger getötet wurde.
Manchmal vielleicht von einem Meister, aber das ist selten. Wir lassen die Krieger gegeneinander kämpfen. Dadurch halten wir ihre Zahl in Grenzen.«
»Scheußlich«, murmelte Whitbread. »Warum — warum hindert ihr sie nicht einfach an der Vermehrung?« Das Split lachte. Es war ein seltsam bitteres Lachen, sehr menschlich und darum beunruhigend. »Hat sich keiner von euch je gefragt, woran die Technikerin in eurem Schiff gestorben ist?«
»Klar.« »Natürlich.« »Ja, sicher.« Alle drei antworteten zugleich. Charlie trillerte kurz.
»Sie sollen es ruhig wissen«, sagte Whitbreads Split. »Sie starb, weil sie keinen Partner hatte, durch den sie schwanger werden konnte.« Darauf wusste eine Weile keiner mehr etwas zu sagen. »Das ist das ganze Geheimnis. Versteht ihr immer noch nicht? Jedes Individuum aller unserer Unterarten muss schwanger werden, nachdem es das weibliche Stadium erreicht hat. Kind, männliches Stadium, weibliches Stadium, Schwangerschaft, männliches Stadium, weibliches Stadium, Schwangerschaft, ein Teufelskreis. Wenn man im weiblichen Stadium nicht rechtzeitig schwanger wird, stirbt man. Selbst wir. Und wir Vermittler können nicht schwanger werden. Wir sind leider unfruchtbare Mischlinge.«
»Aber …« Whitbread schaute drein wie ein kleiner Junge, der die Wahrheit über den Weihnachtsmann erfahren hat. »Wie lange lebt ihr?«
»Etwa fünfundzwanzig von euren Jahren. Nach der Geschlechtsreife fünfzehn Jahre.
Aber Techniker und Landarbeiter und Meister — vor allem Meister! — müssen binnen ein paar von unseren Jahren schwanger sein. Diese Technikerin, die ihr mitgenommen habt, muss bereits ziemlich am Ende ihrer Frist gewesen sein.«
Schweigend fuhren sie durch den Tunnel dahin. »Aber — Herrgott«, sagte Potter nach einer Weile zögernd, »das ist ja schrecklich.«
›»Schrecklich‹. Du Hundesohn. Natürlich ist es schrecklich. Sally und ihre …«
»Was ärgert dich so?« fragte Whitbread.
»Empfängnisverhütungsmittel. Wir haben Sally Fowler gefragt, was eine Menschenfrau tut, wenn sie noch keine Kinder haben will. Sie nimmt Antibabypillen. Aber anständige Mädchen nehmen so was nicht. Sie haben ganz einfach keinen Geschlechtsverkehr«, sagte das Split zornig.
Der Wagen summte die Schienen entlang. Horst saß im rückwärtigen Teil, der jetzt vorne war, und starrte mit schussbereiter Waffe hinaus. Jetzt drehte er sich halb zu den anderen um. Beide Splits funkelten die Menschen an, die Lippen leicht von den Zähnen zurückgezogen, so dass ihr gewohntes Lächeln noch breiter wirkte. Die Bitterkeit in ihren Worten allerdings strafte das freundliche Aussehen Lügen. »Sie haben einfach keinen Geschlechtsverkehr!« wiederholte Whitbreads Split. (Zorniger Pfiff). »Jetzt wisst ihr, warum wir so viele Kriege haben. Immer wieder Kriege …«
»Bevölkerungsexplosion«, sagte Potter.
»Jawohl! Immer wenn eine neue Zivilisation sich aus der Barbarei hocharbeitet, sterben die Splits nicht mehr an Hunger oder Krankheiten! Ihr Menschen wisst gar nicht, was Bevölkerungsdruck wirklich ist! Wir können die tief erstehenden Arten zahlenmäßig beschränken, aber was sollen die Befehlsgeber tun, um ihre eigene Zahl einzuschränken? Unsere einzige Möglichkeit der Geburtenkontrolle wäre Kindermord!«
»Und dazu seid ihr nicht imstande«, sagte Potter. »Ein solcher Instinkt würde ja automatisch eliminiert werden, nicht? Das führt dazu, dass schließlich alle um die noch vorhandene Nahrung kämpfen.« »Natürlich.« Whitbreads Split hatte sich jetzt ein wenig beruhigt. »Je höher eine Zivilisation entwickelt war, um so länger dauert die Periode der Barbarei. Und immer tritt irgendwo der Große Narr auf und versucht, das Schema der Zyklen zu durchbrechen, und kompliziert die Dinge noch mehr. Falls ihr es nicht bemerkt habt — wir stehen jetzt gerade kurz vor einem Zusammenbruch. Als ihr kamt, gab es einen schrecklichen Kampf um die Verfügungsgewalt in Menschenangelegenheiten.
Mein Meister siegte …«
Charlie pfiff und summte sekundenlang.
»Ja, König Peter hat sich auch darum bemüht, aber er kriegte nicht genug Unterstützung. Er war nicht sicher, ob er einen Kampf mit meinem Meister gewinnen könnte. Was wir jetzt tun, wird wahrscheinlich sowieso zum Krieg führen. Ist ja egal. Es wäre auf jeden Fall bald dazu gekommen.«
»Ihr habt so wenig Platz, dass ihr auf den Dächern Nahrungspflanzen anbaut«, stellte Whitbread fest.
»Ach, das geschieht eher aus praktischen Gründen. Wie wir ja auch Anbaustreifen durch die Städte legen. Einige überleben immer, und ein neuer Zyklus beginnt.«
»Es muss verdammt hart sein, eine neue Zivilisation aufzubauen ohne fossile Brennstoffe, ohne radioaktive Stoffe«, sagte Whitbread. »Ihr müsst also jedes mal gleich zur Wasserstoff-Fusion gelangen?«
»Gewiss. Du beginnst zu verstehen.«
»Ich weiß nicht recht …«
»Nun, es war immer so, seit wir geschichtliche Aufzeichnungen haben — nach euren Begriffen eine sehr lange Zeit. Mit Ausnahme von einer Periode. Damals wurden auf den Trojanerasteroiden radioaktive Stoffe gefunden. Einige Leute waren dort oben noch am Leben, und sie brachten die Zivilisation auf die Heimatwelt herunter. Die radioaktiven Stoffe waren schon von einer älteren Zivilisation abgebaut worden, aber es waren noch Reste vorhanden.«
»Herrgott«, sagte Whitbread. »Aber …«
»Stoppt den Wagen, bitte«, sagte Staley entschlossen. Whitbreads Split zwitscherte etwas, und der Wagen kam sachte zum Stillstand. »Ich mach’ mir Sorgen, was uns da vorne erwartet«, erklärte Staley. »Sie werden sicher auf der Lauer liegen. Diese Soldaten, die wir getötet haben, haben sich nicht mehr gemeldet — und wenn das die Leute deines Meisters waren, wo bleiben dann die des Bewahrers? Außerdem möchte ich die Waffen der Krieger ausprobieren.«
»Lass unser Braunes sie erst ansehen«, riet Whitbreads Split. »Sie könnten mit gefährlichen Fallen versehen sein.«
Die Waffen wirkten auch so gefährlich. Nicht zwei Stück waren gleich. Der häufigste Typ war eine einfache Projektilwaffe, aber es gab auch Handlaser und Granaten. Der Griff jeder Waffe war individuell geformt. Einige konnten nur an der rechten oberen Schulter angesetzt werden, andere passten an beide. Die Visiereinrichtungen waren ziemlich verschieden. Zwei Modelle waren für Linkshänder gebaut. Staley erinnerte sich dunkel, eine seitenverkehrte Leiche hinausgeschafft zu haben.
Es war auch noch ein Raketenwerfer mit einem Kaliber von fünfzehn Zentimetern da, »Lass das überprüfen«, sagte Staley.
Whitbreads Split übergab die Waffe dem Braunen und bekam dafür eine der Projektilwaffen, die es unter einen Sitz schob. »Die war manipuliert.« Das Braune inspizierte den Raketenwerfer und zwitscherte etwas. »In Ordnung«, sagte Whitbreads Split.
»Was ist mit den Geschossen?« Staley reichte sie hinüber. Es gab mehrere verschiedene Sorten, und die Stücke eines Typs waren auch nicht genau gleich. Das Braune begann wieder zu zwitschern.
»Die größte Rakete würde explodieren, wenn ihr versuchtet, sie in den Lauf zu schieben«, erklärte Whitbreads Split. »In der Beziehung haben sie euch vielleicht richtig eingeschätzt. Jedenfalls haben sie eine Menge Fallen vorbereitet. Ich hatte angenommen, die Meister würden euch für eine Art unfähige Vermittler halten. Das dachten ja wir anfangs. Aber diese Fallen deuten darauf hin, dass sie euch für fähig halten, Krieger zu töten.«
»Prächtig. Nur war mir lieber, sie hielten uns für dumm. Ohne diese Museumswaffen wären wir ja auch tot. Übrigens, wieso bewahrt ihr geladene Waffen in einem. Museum auf?«
»Du hast den Zweck eines Museums noch nicht begriffen, Horst. Sie sind für den nächsten Aufstieg im Lauf der Zyklen eingerichtet. Wilde kommen zusammen, um die nächste Zivilisation aufzubauen. Je schneller sie das schaffen, um so länger dauert es bis zum nächsten Zusammenbruch, weil sie dann schneller Fortschritte machen, als die Bevölkerungszunahme diese Errungenschaften zunichte machen kann. Verstehst du?
Deshalb stellen wir den Primitiven des nächsten Zyklus eine Auswahl der Errungenschaften zur Verfügung, und auch die Waffen, um eine neue Zivilisation durchzusetzen. Hast du das Schloss bemerkt?«
»Nein.«
»Aber ich. Man braucht einige astronomische Kenntnisse, um es aufzubekommen. Ich nehme an, damit sollen die Wilden von den Sachen abgehalten werden, solange sie noch nicht reif dafür sind.«
»Stimmt.« Das Braune reichte mit einem Zwitschern ein dickes Raketengeschoss herüber. »Sie hat das in Ordnung gebracht. Es ist jetzt sicher. Was willst du damit tun, Horst?«
»Sucht mir noch ein paar heraus. Potter, du nimmst diesen Gammastrahllaser. Wie nahe an der Oberfläche sind wir?«
»Oh. Hm. Die …« — Vogelpfiff — »Station liegt nur eine Treppe unter der Oberfläche.
Das Gelände ist in dieser Gegend ziemlich eben. Ich würde sagen, dass wir drei bis zehn Meter tief sind.« »Wie weit ist es bis zu anderen Transportmitteln?«
»Eine Wegstunde nach …« Vogelpfiff. »Horst, willst du den Tunnel beschädigen? Weißt du, wie lange diese Untergrundbahn schon in Betrieb ist?« »Nein.« Horst schob sich durch die provisorische Wagentür hinaus. Er ging etliche Meter in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, hielt inne und verdoppelte dann den Abstand. Die Waffe konnte immer noch irgendeinen tödlichen Trick auf Lager haben.
Der Tunnel erstreckte sich vollkommen gerade ins Dunkel hinein. Er war wohl mit einem Laser ausgerichtet und dann mit einem Schmelzkopfbohrer gebohrt worden.
Die Stimme von Whitbreads Split hallte durch den Tunnel. »Elftausend Jahre!«
Staley drückte ab.
Das Projektil traf die Tunneldecke in einiger Entfernung. Horst warf sich auf den Boden.
Als die Druckwelle vorbei war und er wieder den Kopf hob, war die Luft stauberfüllt, und ein Haufen Schutt lag unter der getroffenen Stelle.
Er holte sich ein zweites Geschoss und feuerte es ab.
Diesmal drang rötliches Tageslicht durch die Tunneldecke. Er ging hin, um sich das Loch zu besehen. Ja, es war schräg genug, so dass sie hinausklettern konnten.
Elftausend Jahre.
»Lass den Wagen ohne uns weiterfahren«, sagte Horst. Whitbreads Split trillerte kurz, worauf das Braune die Deckplatte der Instrumentenkonsole abnahm und mit fantastischer Geschwindigkeit darin herumzubasteln begann. Whitbread musste an ein anderes Braunes denken, an eine Asteroidenprospektorin, die vor so langer Zeit gestorben war, damals, als die Mac Arthur noch ihr Zuhause war, und die Splits freundliche, faszinierende Unbekannte waren.
Das Braune sprang ab. Der Wagen überlegte es sich noch eine Sekunde und rollte dann langsam an. Die kleine Gruppe ging zurück zu dem schrägen Loch, das Horst geschaffen hatte, und kletterte schweigend hinauf.
Als sie an die Oberfläche kamen, war der Himmel bereits in unzählige Rottöne getaucht.
Die Pflanzen in den endlosen Reihen schlössen ihre Blattbüschel für die Nacht. Rund um das Loch zog sich eine unregelmäßige Zone, in der die Pflanzen niedergebrochen waren wie von einem Hagelschauer.
Ein paar Reihen weiter bewegte sich etwas zwischen den Pflanzen. Drei Waffen fuhren hoch. Das Wesen schlurfte näher … und Staley flüsterte: »In Ordnung. Ist nur ein Landarbeiter.«
Whitbreads Split trat zu den drei Kadetten. Mit sämtlichen Händen bürstete es sich die Erde aus dem Fell. »Es werden bald mehr von denen unterwegs sein. Vielleicht versuchen sie sogar, das Loch aufzufüllen. Landarbeiter sind nicht besonders gescheit.
Sie brauchen es nicht zu sein. Was machen wir jetzt, Horst?«
»Wir gehen, bis wir etwas zum Fahren finden. Wenn ihr Flugzeuge seht — oh.«
»Ja. Infrarot-Detektoren.«
»Habt ihr vielleicht Traktoren auf diesen Feldern? Könnten wir uns einen … äh … ausborgen?«
»Sie werden jetzt schon im Maschinenschuppen sein. Nachts wird normalerweise nicht gearbeitet … aber die Landarbeiter holen vielleicht einen heraus, um das Loch zuzuschütten.«
Staley überlegte kurz. »In diesem Fall können wir keinen brauchen. Wäre zu auffällig.
Hoffen wir, dass wir auf dem Infrarot-Schirm wie Landarbeiter aussehen.« Sie marschierten los. Hinter ihnen begann der Landarbeiter Pflanzen aufzurichten und die Erde um die Wurzeln festzudrücken. Das Wesen zwitscherte vor sich hin, aber Whitbreads Split übersetzte nicht. Staley überlegte müßig, ob Landarbeiter wohl jemals etwas sagten, oder ob das einfach unartikuliertes Schimpfen war, aber er wollte jetzt nicht danach fragen. Er musste nachdenken.
Der Himmel wurde zusehends dunkler. Ein roter Fleck glomm auf: Murchesons Auge.
Weit voraus lag der gelbliche Lichtschimmer der Stadt ›Vogelpfiff‹. Eine Weile wanderten sie schweigend dahin, die Kadetten wachsam, mit schussbereiten Waffen, während die nachfolgenden Splits sich hin und wieder mit erstaunlichen Rumpfdrehungen umschauten.
Später sagte Staley zu dem einen Split: »Ich habe darüber nachgedacht, was ihr davon habt, dass ihr uns helft.« »Kummer. Anstrengungen. Demütigung. Tod.« »Eben. Deshalb frage ich mich, warum du uns hilfst.« »Nein, das tust du nicht, Horst. Du fragst dich, warum dein eigenes Fjunch(klick) nicht gekommen ist.«
Horst schaute das pelzige Wesen neben sich betroffen an. Er hatte sich das gefragt.
Was tat sein Seelenfreund, während Dämonen seinen Fjunch(klick)-Partner durch ein fremdes Land jagten? Irgendwie schmerzte der Gedanke.
»Wir erfüllen beide unsere Pflicht, Horst, dein Fjunch (klick) so wie ich. Aber dein Fjunch(klick) sieht seine Pflicht im Gehorsam seinem — sagen wir, seinem vorgesetzten Offizier gegenüber. Gavin …«
»Ja, was ist?«
»Ich habe versucht, dein Fjunch(klick) zum Mitkommen zu überreden, aber es ist ganz von dieser Große-Narren-Idee erfüllt, dass wir die Zyklen beenden können, indem wir unseren Bevölkerungsüberschuss in andere Sonnensysteme schicken. Zumindest wird keins von beiden den anderen helfen, uns zu finden.«
»Könnten sie das?« »Horst, nachdem ich euch gefunden habe, muss dein Split genauso wissen, wo ihr seid — ganz sicher jedenfalls, wenn es von den toten Kriegern erfährt.«
»Dann knobeln wir lieber das nächste mal, wenn wir die Wahl zwischen mehreren Auswegen haben. Das kann man nicht vorhersehen.«
»Dein Fjunch(klick) wird niemanden helfen, dich zu jagen. Keiner würde von einem Vermittler etwas erwarten, das seinem Fjunch(klick) schadet.«
»Aber müsst ihr nicht den Befehlen eurer Meister gehorchen?« fragte Staley.
Das Split verdrehte seinen Körper blitzschnell zur Seite. Eine derartige Bewegung hatten sie noch nicht beobachtet — es war eindeutig keine von Menschen kopierte Geste. Das Split sagte nach einigen Augenblicken: »Hör zu. Vermittler wurden zum Verhüten von Kriegen gezüchtet. Wir vertreten die Befehlsgeber. Wir sprechen für sie.
Um unsere Aufgabe zu erfüllen, müssen wir ein Minimum an Entscheidungsfreiheit haben. Deshalb suchen die Genetiker einen Mittelweg. Zu viel Urteilsfreiheit, und wir können die Meister nicht mehr richtig vertreten. Wir werden nicht als Vermittler anerkannt, und Kriege brechen aus.«
»Klar«, mischte sich Potter ein. »Und mit zu wenig Entscheidungsfreiheit würden zu unannehmbare Bedingungen gestellt, und weil keiner nachgibt, habt ihr wieder Krieg …«
Kurze Zeit marschierte Potter schweigend weiter. Dann meinte er: »Wenn also Gehorsam bei euch ein rassenspezifischer Zug ist, dann ist es euch gar nicht möglich, nur uns zu helfen. Ihr würdet uns zu einem anderen Meister bringen, weil euch gar nichts anderes übrigbleibt.«
Staley umklammerte seinen Raketenwerfer fester. »Ist das wahr?«
»Zum Teil«, gab Whitbreads Split zu. »Nicht so weitgehend, wie ihr annehmt. Aber es fällt uns wirklich leichter, unter mehreren Befehlen zu wählen, als ganz ohne Befehle zu handeln.«
»Und was hat König Peter nun eigentlich mit uns vor?« wollte Staley wissen. »In was geraten wir da hinein?«
Das andere Split zwitscherte etwas. Whitbreads Split antwortete. Das Gespräch dauerte mehrere Minuten, was für Splits ungewöhnlich lang war. Die Glut des Sonnenuntergangs erlosch, und Murchesons Auge schimmerte hundertmal heller am Nachthimmel als der Vollmond der Erde. Es gab sonst keine anderen Sterne im Kohlensack. Die Pflanzen rundum waren tief dunkelrot und hatten scharf umrissene, sehr dunkle Schatten.
»Ehrlichkeit«, sagte endlich Charlie zögernd. »Mein Meister findet, dass wir ehrlich mit euch sein müssen. Es ist besser, nach dem uralten — Teufelskreis der Zyklen zu leben, als die völlige Vernichtung aller unserer Nachkommen zu riskieren.«
»Aber …«, stammelte Potter verwirrt. »Aber warum sollte es nicht möglich sein, andere Sternsysteme zu kolonisieren? Die Galaxis ist groß genug für alle. Ihr würdet doch nicht das Imperium angreifen?«
»Nein, nein«, wehrte Whitbreads Split ab. »Mein eigener Meister möchte nur Land für Stützpunkte auf Imperiumswelten kaufen und dann das Imperium verlassen. Wir würden Welten außerhalb des Imperiums besiedeln. Es könnten Handelsbeziehungen zwischen uns entstehen. Ich glaube nicht, dass wir dieselben Planeten würden haben wollen wie ihr.«
»Warum also …«, begann Potter.
»Ich glaube nicht, dass ihr so viele Raumschiffe bauen könntet«, unterbrach Whitbread.
»Wir würden sie auf den Kolonialwelten bauen und zurückschicken um Leute«, antwortete das Split. »Oder Schiffe anheuern von Männern wie Bury. Wir könnten mehr als jeder andere bezahlen. Aber, versteht ihr nicht — es hätte keine Dauer. Die Kolonien würden selbständig werden. Wir müssten dann noch weiter draußen mit neuen Kolonien von vorne anfangen. Und auf jeder Welt, die wir besiedeln, würde es Bevölkerungsprobleme geben. Könnt ihr euch vorstellen, wie die Situation in nur dreihundert Jahren aussehen würde?«
Whitbread versuchte es. Schiffe wie fliegende Städte, Millionen davon. Und Unabhängigkeitskriege zwischen Kolonien und Heimatwelt — wie jene, die das Erste Imperium zugrundegerichtet hatten. Und immer mehr und mehr Splits …
»Hunderte von Splitwelten, und jede würde versuchen, ihren Bevölkerungsüberschuss auf neue Welten abzuschieben! Milliarden von Befehlsgebern, mit ihren Territorialkämpfen und Kompetenzstreitigkeiten! Es braucht Zeit, mit eurem Narrenantrieb neue Welten zu finden. Zeit und Treibstoff, um in jedem neuen System nach dem nächsten Narrenpunkt zu suchen. Schließlich würde die Expansion nach außen nicht mehr genügen. Wir müssten nach innen, in das Imperium der Menschheit vordringen.«
»Hm«, sagte Whitbread. Die anderen schauten nur das Split an und marschierten weiter auf die ferne Stadt zu. Staley hielt den großen Raketenwerfer in den Armen, als suche er Trost in der schweren Waffe. Hin und wieder legte er auch eine Hand auf den vertrauten Griff seiner Pistole.
»Eine solche Entscheidung würde man nur zu leicht treffen«, sagte Whitbreads Split.
»Aus Neid.«
»Uns beneiden? Worum denn? Um Geburtenkontrolle?«
»Ja.«
Staley schnaubte ungläubig.
»Aber auch damit wäre noch nicht das Ende erreicht. Es würde eine riesige Sphäre von Split-besiedelten Welten entstehen. Die zentralen Systeme würden die Außenwelten gar nicht mehr erreichen können. Die Welten würden sich gegenseitig bekriegen. Nicht endender Krieg, endlos Zusammenbrüche von Zivilisationen. Ich könnte mir vorstellen, dass man einfach dazu übergeht, einen Asteroiden in eine gegnerische Sonne stürzen zu lassen und ihre Welten neu zu besiedeln, wenn die Sonneneruption vorüber ist. Und die Sphäre würde immer weiter anschwellen, immer mehr Systeme umfassen.«
»Ich bin nicht so sicher, dass ihr das Imperium besiegen könntet«, sagte Staley. »Bei der Vermehrungsrate unserer Krieger? Ach, lass nur. Vielleicht würdet ihr uns ausrotten.
Vielleicht würdet ihr auch ein paar von uns für Zoos oder so verschonen. Ihr brauchtet euch jedenfalls keine Sorgen zu machen, dass wir uns in der Gefangenschaft nicht vermehren würden. Im Grunde ist mir das alles gleichgültig. Es ist im übrigen ziemlich wahrscheinlich, dass wir einen Zusammenbruch einfach dadurch auslösen würden, dass wir einen zu großen Teil unserer Industriekapazität dem Bau von Raumschiffen widmen müssten.«
»Wenn ihr keinen Krieg mit dem Imperium plant«, sagte Staley, »warum sind dann wir drei zum Tode verurteilt?«
»Vier. Mein Meister fordert meinen Kopf genauso wie euren … nun, vielleicht nicht genauso. Euch will man zum Sezieren haben.«
Niemand zeigte sich überrascht.
»Ihr seid zum Tode verurteilt, weil ihr jetzt genug Informationen besitzt, um alles, was ich euch eben erzählt habe, durch eigene Überlegung herauszufinden. Wenn nicht ihr, dann eure Biologen. Deswegen will man euch nicht heimkehren lassen. Viele andere Meister billigen die Entscheidung, euch zu töten. Sie befürchten, dass eure Regierung — wenn ihr lebend entkommt — uns als eine Seuche betrachten wird, die sich blitzschnell durch die ganze Galaxis ausbreiten und schließlich das Imperium vernichten würde.«
»Und König Peter? Er will nicht, dass wir getötet werden?« fragte Staley. »Warum nicht?«
Die Splits unterhielten sich wiederum in ihrer vogelhaften Sprache. Whitbreads Split antwortete für das andere. »Er könnte beschließen, euch zu töten. Ich muss euch das ehrlich sagen. Er möchte jedoch vor allem … den Dämon wieder in die Flasche zurückschicken — falls es irgendeine Möglichkeit gibt, zwischen Menschen und Splits wieder das Verhältnis herzustellen, das vor dem Einfangen unserer Narrensonde herrschte — gegenseitige Isolierung —, dann wird er sich dafür entscheiden. Die Zyklen sind besser als … als eine ganze Galaxis voller Zyklen!«
»Und du?« fragte Whitbread. »Wie siehst du die Situation?«
»So wie ihr«, sagte das Split zögernd. »Ich habe das Recht, meine Spezies unvoreingenommen zu beurteilen. Ich bin kein Verräter.« Ein bittender Unterton lag in der Stimme des fremden Wesens, das Jonathon in so vielem ähnlich war. »Aufgrund meines freien Urteilsvermögens muss ich feststellen, dass eine Beziehung zwischen unseren Arten nur zu gegenseitigem Neid führen würde: wir euch um die Möglichkeit der Geburtenbeschränkung, ihr uns um unserer höheren Intelligenz willen. Wolltest du etwas sagen?«
»Nein.«
»Ich komme zu dem Urteil, dass eine Ausbreitung meiner Rasse in den Weltraum hinaus riskant wäre und das Schema der Zyklen nicht durchbrechen würde. Jeder Zusammenbruch würde dadurch nur um vieles schrecklicher. Wir würden uns schneller vermehren, als wir uns ausbreiten könnten, bis der Zusammenbruch jedes mal für Hunderte Planeten zugleich eintreten würde, regelmäßig …«
»Aber«, wandte Potter ein, »du bist doch zu diesem unvoreingenommenen Urteil gelangt, indem du unseren Standpunkt übernommen hast — oder eigentlich Whitbreads.
Du verhältst dich so sehr wie Jonathon, dass wir immer mal wieder Arme zählen müssen.
Was ist aber, wenn du den menschlichen Standpunkt wieder aufgibst? Würde das nicht dein Urteil — ufff!«
Der linke Arm des Splits verkrallte sich in Potters Uniformhemd und zog ihn daran hinunter, bis seine Nase nur mehr Zentimeter von dem Karikatur-Gesicht des Fremden entfernt war. »Sag so was nie. Denk so was nie. Das Überleben unserer Zivilisation, jeder Zivilisation hängt völlig von dem gerechten Urteil meiner Kaste ab. Wir verstehen alle Standpunkte und wählen zwischen ihnen. Wenn andere Vermittler zu einem anderen Schluss kommen als ich, dann ist das ihre Sache. Vielleicht sind sie nicht umfassend informiert, oder sie verfolgen andere Ziele. Ich urteile nach den Informationen, die mir zur Verfügung stehen.«
Das Split ließ ihn los. Potter stolperte zurück. Das Split entfernte mit den Fingern der einen rechten Hand die Mündung von Staleys Waffe aus seinem Ohr.
»Das war nich’ nötig gewesen«, schnaufte Potter. »Du hast mir zugehört, oder? Kommt weiter, wir verschwenden unsere Zeit.«
»Einen Moment.« Staley sprach leise, aber in der nächtlichen Stille verstanden ihn alle sehr gut. »Wir wollen also diesen König Peter suchen, der uns hilft oder auch nicht, eine Nachricht zur Lenin zu senden. Das genügt mir nicht. Wir müssen dem Kapitän berichten, was wir wissen.«
»Und wie willst du das machen?« fragte Whitbreads Split. »Ich hab’ dir schon gesagt, wir helfen dir nicht, und ohne uns kannst du es nicht. Ich hoffe, du hast nicht irgendeinen Blödsinn vor, wie uns mit Erschießen zu bedrohen? Wenn ich davor Angst hätte, glaubst du, ich wäre dann hier?«
»Aber …«
»Horst, es müsste auch deinem Kommissschädel irgendwann endlich mal eingehen, dass das einzige, was die Lenin vor der Vernichtung bewahrt, die Übereinkunft von meinem Meister und König Peter ist, sie nicht zu zerstören! Mein Meister will, dass die Lenin mit Dr. Horvath und Mr. Bury heimkehrt. Vor allem diese beiden werden sich sehr überzeugend für uns einsetzen, wenn wir euch richtig analysiert haben. Sie werden für freien Handel und friedliche Beziehungen mit uns plädieren …«
»Mmja«, meinte Potter nachdenklich. »Und ohne unsere Nachricht gab’s keinerlei Opposition … warum verständigt dieser König Peter die Lenin nicht selber?«
Charlie und Whitbreads Split zwitscherten miteinander. Charlie antwortete: »Weil er nicht sicher ist, ob das Imperium nicht alle seine Macht dahinter setzen wird, die Split-Welten zu zerstören, sobald man die Wahrheit über uns weiß. Und solange er nicht sicher ist …«
»Wie um Himmels willen kann er aus einem Gespräch mit uns etwas derartiges entscheiden?« wollte Staley wissen. »Ich bin mir ja selber nicht sicher. Wenn mich Seine Majestät in diesem Augenblick fragte, wozu ich raten würde — Herrgott, wir sind doch nur ein paar Kadetten von einem kleinen Raumkreuzer. Wir können nicht für das Imperium sprechen.«
»Wären wir dazu imstande?« fragte Whitbread. »Ich beginne daran zu zweifeln, dass das Imperium euch vernichten könnte …«
»Verdammt, Whitbread«, protestierte Staley.
»Ich meine das ernst. Bis die Lenin heimgekehrt ist und nach Sparta berichtet hat, werden sie das Feld haben. Oder?«
Beide Splits zuckten die Achseln. Trotz der physischen Unterschiede erinnerte die Bewegung bei beiden sehr an Whitbread. »Die Techniker werden sich damit befassen, jetzt, da sie wissen, dass es so was gibt«, sagte Whitbreads Split. »Selbst ohne das Feld haben wir etliche Erfahrung im Weltraumkrieg. Jetzt kommt schon weiter. Herrgott, ihr wisst ja gar nicht, wie knapp wir schon jetzt vor dem Krieg stehen! Wenn mein Meister glaubt, ihr habt die Lenin informiert, wird er einen Angriff auf das Schiff anordnen. Wenn König Peter nicht überzeugt ist, dass es eine Möglichkeit gibt, euch von uns fernzuhalten, könnte er es befehlen.«
»Und wenn wir uns nicht beeilen, ist der Admiral mit der Lenin bereits nach Neukaledonien zurückgekehrt«, ergänzte Potter. »Mr. Staley, wir haben keine andere Wahl. Wir müssen Charlies Meister erreichen, bevor die anderen Meister uns erwischen.
Ganz einfach.«
»Jonathon?« fragte Staley. »Sie fragen Ihre Untergebenen um Rat, Sir?« Whitbreads Split tat sehr erstaunt. Jonathon Whitbread warf ihm einen zornigen Blick zu, dann musste er doch grinsen. »Ja, Sir. Ich finde, Gavin hat recht. Was können wir sonst tun?
Wir können nicht eine ganze Welt bekämpfen, und wir werden aus eigenen Mitteln auch keine sichere Nachrichtenverbindung zusammenbasteln können.«
Staley ließ seine Waffe sinken. »Gut. Also weiter.« Er musterte seinen kleinen Trupp.
»Als Vertreter der Menschheit machen wir nicht viel her, fürchte ich.«
Und sie marschierten weiter über die dunklen Felder auf die hell erleuchtete Stadt zu.
Die (Vogelpfiff-) Stadt war von einer drei Meter hohen Mauer umgeben. Ob sie aus Stein war oder aus einem harten Kunststoff, war in dem düster-rötlichen Licht von Murchesons Auge nicht zu erkennen. Jenseits der Mauer konnten sie große, längliche Gebäude sehen. Noch hoch über ihren Köpfen leuchteten erhellte Fensterreihen.
»Die Tore werden bewacht sein«, sagte Whitbreads Split.
»Ist mir auch klar«, knurrte Staley. »Wohnt der Bewahrer hier?«
»Ja. Beim Untergrundbahnhof. Bewahrer dürfen kein eigenes Anbauland besitzen. Eine solche wirtschaftliche Unabhängigkeit auszunutzen, wäre vielleicht sogar für einen sterilen, männlichen Meister eine zu große Versuchung.«
»Aber wie wird einer zum Bewahrer?« fragte Whitbread. »Du sprichst immer vom Konkurrenzkampf unter den Meistern, aber wie sieht der aus?«
»Herrgott, Whitbread!« fluchte Staley. »Überleg dir lieber, was wir wegen dieser Mauer unternehmen!« »Wir werden durch müssen«, erklärte Whitbreads Split und trillerte Charlie etwas zu. »Es gibt ein Alarmsystem, und sicher bewachen Krieger alle wichtigen Stellen.«
»Könnten wir nicht über die Mauer?«
»Da gerätst du in einen Gammastrahllaser, Horst.«
»Verdammt. Wovor haben sie nur solche Angst?«
»Vor Lebensmittelräubern.«
»Also müssen wir durch. Ist irgendeine Stelle besonders geeignet?«
Das Split zuckte die Achseln. »Vielleicht einen halben Kilometer weiter. Dort ist eine Schnellstraße.«
Sie gingen die Mauer entlang. »Also, wie konkurrieren die Meister miteinander?« fragte Whitbread nochmals. »Wir haben jetzt ohnehin kein besseres Gesprächsthema.«
Staley knurrte etwas, hielt sich aber in Hörweite.
»Nun, wie konkurriert ihr?« fragte Whitbreads Split. »Durch Leistung. Es gibt ein Handelssystem bei uns, wisst ihr, das darauf beruht. Mr. Bury wäre vielleicht erstaunt, wie tüchtig manche unserer Handelsleute sind. Zum Teil kaufen Meister Verantwortung — das heißt, sie zeigen, dass sie eine bestimmte Aufgabe erfüllen können. Sie suchen von anderen mächtigen Befehlsgebern Unterstützung zu erlangen. Vermittler handeln solche Übereinkünfte aus. Verträge — das Versprechen, bestimmte Dienstleistungen zu liefern und so weiter — werden aufgesetzt und veröffentlicht. Manche Befehlsgeber arbeiten auch für andere. Niemals direkt. Aber sie haben zum Beispiel eine Aufgabe zu erfüllen und ersuchen dazu einen mächtigeren Meister um Rat. Ein Meister gewinnt an Ansehen und Autorität, wenn andere Befehlsgeber beginnen, ihn oder sie um Rat zu fragen. Und die Töchter eines Meisters unterstützen ihn natürlich bei seinen Aufgaben.«
»Klingt recht kompliziert«, stellte Potter fest. »Aus der menschlichen Geschichte kenn’ ich kein solches System.« »Es ist auch kompliziert«, sagte Whitbreads Split. »Aber wie könnte es anders sein? Ein Befehlsgeber muss unabhängig sein. Das ist es, was Kapitän Blaines Fjunch(klick) um den Verstand gebracht hat, versteht ihr. Da war euer Kapitän — der absolute Herr über sein Schiff — nur jedes mal, wenn irgendeiner auf der Lenin pfiff, tanzte Kapitän Blaine los.«
»Sprichst du wirklich so über den Kapitän?« erkundigte sich Staley bei Whitbread.
»Ich verweigere die Aussage mit der Begründung, dass sie mir einen Anpfiff einbringen könnte«, sagte Whitbread. »Im übrigen macht die Mauer hier eine Biegung …«
»Etwa hier, Mr. Staley«, sagte Whitbreads Split eingedenk der Anweisungen für militärische Situationen. »Auf der anderen Seite ist eine Straße.«
»Tretet zurück.« Horst hob den Raketenwerfer und drückte ab. Zwei Detonationen — als es wieder ruhig wurde, drang Licht durch eine Lücke in der Mauer. Scheinwerfer huschten die Mauerkrone entlang, und in ihrem Schein war zu sehen, dass auch hier Pflanzen bis dicht an die Mauer standen. »Los, schnell durch«, befahl Staley.
Sie kletterten durch das Loch und auf die Schnellstraße hinaus. Autos und größere Fahrzeuge pfiffen mit wenigen Zentimetern Abstand vorbei. Die Menschen drückten sich gegen die Mauer, während die Splits ungerührt auf die Straße traten.
Whitbread schrie auf und versuchte sein Fjunch(klick) zurückzureißen. Es schüttelte seine Hand ungeduldig ab und marschierte gleichmütig über die Straße. Wagen verfehlten es mehrmals nur um Haaresbreite. Sie schwenkten blitzschnell um die Splits herum, ohne auch nur langsamer zu werden.
Von der anderen Seite aus winkten die beiden Braun-Weißen heftig mit dem linken Arm.
Die Geste war unmissverständlich:
Kommt schon!
Ein greller Lichtstrahl fiel durch die Mauerlücke. Irgend etwas ging vor draußen auf den Feldern, wo sie noch vor einer Minute gewesen waren. Staley bedeutete den beiden anderen, sofort loszumarschieren, und feuerte durch die Bresche hinaus. Die Rakete detonierte etwa hundert Meter entfernt, und der Lichtschein erlosch.
Whitbreads und Potter wanderten zaghaft über die Straße. Staley lud das letzte Projektil in den Raketenwerfer, hob es sich aber noch auf. Bis jetzt war niemand durch das Mauerloch gekommen. Jetzt ging auch er los. Der Verkehr brauste an ihm vorbei. Der Drang, zu rennen, auszuweichen, zurückzuspringen, war beinahe überwältigend, aber er zwang sich, langsam und in gleichmäßigern Tempo zu gehen. Ein Lastwagen sauste wie eine Sturmbö vorbei. Dann noch einer. Nach einer Ewigkeit erreichte er die andere Seite — und mit heilen Knochen.
Gehsteig gab es keinen. Immer noch standen sie im Verkehrsstrom, die Menschen dicht an eine graue, betonartige Mauer gedrückt.
Whitbreads Split trat mitten auf die Straße und machte mit allen drei Armen eine eigenartige Bewegung. Ein langer, eckiger Lastwagen hielt mit kreischenden Bremsen.
Das Split zwitscherte den Fahrern etwas zu, und die beiden Braunen stiegen augenblicklich aus, gingen zur Rückseite des Wagens und begannen, Kisten aus dem Laderaum zu ziehen. Der Verkehr teilte sich, strömte vorbei, ohne auch nur im geringsten langsamer zu werden.
»Das müsste genügen«, sagte Whitbreads Split munter. »Die Krieger werden bald kommen, um das Loch in der Mauer zu untersuchen …«
Die Menschen kletterten rasch in den Laderaum. Das Braune, das ihnen seit dem Museum geduldig gefolgt war, nahm auf dem rechten Fahrersitz Platz. Whitebreads Split wollte schon daneben einsteigen, da trillerte Charlie ihm etwas zu. Die beiden Braun-Weißen pfiffen und zwitscherten hin und her, und Charlie gestikulierte aufgeregt.
Endlich kletterte Whitbreads Split in den Laderaum und zog die Tür zu. Dabei sahen die Menschen, wie die beiden ursprünglichen Fahrer langsam davon wanderten.
»Wohin gehen sie?« fragte Staley.
»Was mich eher interessiert, worum ging der Streit?« wollte Whitbread wissen.
»Eins nach dem anderen«, meinte Whitbreads Split. Der Lastwagen fuhr mit einem harten Ruck an. Das Summen der Motoren und Reifen war hier sehr laut. Das Geräusch Tausender anderer Fahrzeuge drang gedämpft in den Laderaum.
Whitbread lag zwischen harten Plastikkisten eingezwängt und hatte ungefähr soviel Platz wie in einem Sarg. Seine Lage erinnerte ihn jedenfalls unangenehm daran. Die anderen hatten ebenso wenig Ellbogenfreiheit, und Jonathon fragte sich, ob ihnen derselbe Vergleich eingefallen war. Das Wagendach befand sich nur ein paar Zentimeter über seiner Nase.
»Die Braunen werden zum nächsten Frachthof gehen und melden, dass ihr Fahrzeug von einem Vermittler requiriert wurde«, sagte Whitbreads Split. »Und der Streit ging darum, wer vorne beim Fahrer sitzen sollte. Ich habe verloren.«
»Warum habt ihr euch deshalb gestritten?« erkundigte sich Staley. »Traut ihr einander nicht?«
»Ich traue Charlie. Sie traut mir nicht ganz — irgendwie verständlich. Schließlich habe ich meinen eigenen Meister im Stich gelassen. Ihrer Ansicht nach bin ich ein Großer Narr geworden. Deshalb will sie sich lieber selbst um die Dinge kümmern.«
»Aber wohin fahren wir?« fragte Staley.
»Zu Königs Peter Domäne. Das ist der einzige brauchbare Ausweg.«
»Wir können nicht lange in diesem Wagen bleiben«, wandte Staley ein. »Sobald diese Braunen einmal Meldung gemacht haben, wird man danach suchen — ihr müsst doch eine Polizei haben. Eine Möglichkeit, einen gestohlenen Lastwagen wiederzufinden. Ihr habt doch Verbrechen, oder?«
»Nicht in der Weise, wie ihr es euch vorstellt. Wir haben eigentlich keine Gesetze — aber es gibt Befehlsgeber, in deren Kompetenz vermisstes Eigentum fällt. Sie werden den Lastwagen für einen bestimmten Preis suchen. Es wird einige Zeit dauern, bis mein Meister sich mit ihnen geeinigt hat. Erst wird sie nachweisen müssen, dass ich den Verstand verloren habe.«
»Ich nehme nicht an, dass hier irgendwo ein Raumhafen ist?« fragte Whitbread.
»Wir könnten ihn ohnehin nicht benutzen«, sagte Staley tonlos.
Eine Weile lauschten sie dem Dröhnen des Verkehrs. Dann sagte Potter, »Ich hab’ mir das auch schon überlegt. Ein Raumfahrzeug ist zu auffällig. Wenn bereits ein Funkspruch einen Angriff auf die Lenin provozieren könnte, wird man uns wohl kaum erlauben, selber zum Schiff zurückzukehren.«
»Und wie sollen wir je wieder heimkommen?« fragte Whitbread. Gleich darauf wünschte er, er hätte den Mund gehalten.
»’s is’ die alte Sache«, sagte Potter trübsinnig. »Wir wissen mehr, als wir dürften. Und war wir wissen, das ist wichtiger als unser Leben. Ist es nicht so, Mr. Staley?«
»Ja.«
»Ihr wisst nie, wann man aufgeben muss, nicht wahr?« sagte Whitbreads Stimme aus dem Dunkel. Sie begriffen erst nach einigen Augenblicken, dass das Split sprach. »König Peter kann beschließen, euch am Leben zu lassen. Er könnte euch helfen, zur Lenin zurückzukehren. Wenn er überzeugt ist, dass das für uns das beste ist, kann er es arrangieren. Ihr werdet aber keine Gelegenheit erhalten, eine Nachricht zu diesem Kriegsschiff zu senden ohne unsere Hilfe.«
»Quatsch«, rief Staley. »Jetzt spitz mal dein großes Ohr. Du bist ehrlich mit uns gewesen — glaube ich. Jetzt werd’ ich offen mir dir sein. Wenn ich eine Möglichkeit sehe, eine Nachricht zu senden, werde ich das tun.«
»Und danach … danach geschehe Gottes Wille«, sagte Potter ernst.
Wieder hörten sie eine Weile dem Summen des Verkehrs zu. »Du wirst keine Möglichkeit finden, Horst«, sagte schließlich Whitbreads Stimme. »Es gibt keine Drohung, mit der du Charlie oder mich zwingen könntest, ein Braunes anzuweisen, so ein Gerät zu bauen, wie ihr es braucht. Mit unseren Sendern könntet ihr nicht umgehen, selbst wenn ihr einen fändet — nicht einmal ich kann ohne die Hilfe eines Braunen unbekannte Apparate bedienen. Es könnte auch sein, dass es auf dem ganzen Planeten kein geeignetes Gerät gibt.«
»Ach, hör auf«, sagte Staley. »Ihr müsst doch Raumfunk haben, und das elektromagnetische Spektrum hat nun mal nur eine bestimmte Anzahl brauchbarer Frequenzbereiche.«
»Sicher. Aber bei uns bleibt nichts unbenutzt. Wenn wir etwas brauchen, bauen es die Braunen. Wenn wir es nicht mehr brauchen, bauen sie aus den Teilen etwas anderes.
Und ihr braucht etwas, womit ihr die Lenin erreichen könnt, ohne dass jemand davon erfährt.«
»Das würde ich riskieren. Wenn wir eine Warnung an den Admiral senden können, wird er sein Schiff sofort heimbringen.« Horst war fest dazu entschlossen. Die Lenin war vielleicht nur ein Schiff, aber Schlachtschiffe der Präsidentenklasse hatten schon ganze Flotten vernichtet. Gegen Splits ohne Feld würde sie unüberwindlich sein. Er fragte sich, wie er je etwas anderes geglaubt haben konnte. In dem Museum hätte es elektronische Bauteile gegeben, und sie hätten sich eine Art Sender zusammenbasteln können. Jetzt war es zu spät; warum hatte er nur auf das Split gehört.
Sie waren noch etwa eine Stunde unterwegs. Die Kadetten lagen unbequem eingezwängt zwischen harten Kisten im Dunkeln. Staley spürte, wie ihm etwas die Kehle verengte und traute sich nichts mehr zusagen. Vielleicht würde man den Kloß in seinem Hals heraushören, die anderen würden merken, dass er Angst hatte, und das durfte nicht sein. Er wünschte, irgend etwas möge geschehen, ein Kampf, irgend etwas …
Sie hielten mehrmals und fuhren wieder an. Schließlich bog der Lastwagen um eine Kurve und kam mit einem Ruck zum Stehen. Sie warteten atemlos. Die Tür wurde aufgeschoben, und Charlie stand im Scheinwerferlicht vor ihnen.
»Rührt euch nicht«, sagte sie. Hinter ihr standen Krieger, die Waffen im Anschlag.
Mindestens vier.
Horst Staley knurrte erbittert: »Verraten!« Er griff nach seiner Pistole, konnte sie aber wegen seiner beengten Lage nicht ziehen.
»Nicht, Horst!« rief Whitbreads Split. Es zwitscherte und pfiff. Charlie antwortete mit ein paar Summ- und Klicktönen. »Unternehmt jetzt gar nichts«, warnte Whitbreads Split.
»Charlie hat ein Flugzeug requiriert. Die Krieger gehören seinem Besitzer. Sie werden uns nichts tun, wen wir von hier direkt zum Flugzeug gehen.«
»Aber weshalb sind sie hier?« wollte Staley wissen. Er umklammerte immer noch seine Waffe. Die Chancen standen allerdings ganz gegen ihn — die Krieger waren wachsam und kampfbereit, und sie wirkten äußerst gefährlich.
»Hab ich euch doch gesagt«, antwortete Whitbreads Split. »Es sind Leibwächter. Alle Meister haben welche. Beinahe alle jedenfalls. Steigt jetzt aus, langsam, und lasst die Hände von den Waffen. Gebt ihnen keinen Anlass, zu denken, ihr könntet einen Angriff auf ihren Meister versuchen wollen. Wenn sie das glauben, sind wir alle tot.«
Staley schätzte die Lage ab. Nicht gerade gut. Wenn er nur Kelley und einen zweiten Infanteristen bei sich gehabt hätte statt Whitbread und Potter — »In Ordnung«, sagte er.
»Tut, was sie sagt.« Langsam rutschte er aus dem Wagen.
Sie befanden sich in der Gepäckabfertigungsregion des Flughafens. Die Krieger umstanden sie im lockeren Halbkreis, leicht vorgebeugt auf den Ballen ihrer breiten, hornigen Füße. Die Haltung wirkte, fand Staley, irgendwie wie eine Karate-Position. Er gewahrte eine flüchtige Bewegung in der Nähe der Wand. Zumindest zwei weitere Krieger waren dort versteckt. Gut, dass er es nicht auf einen Kampf hatte ankommen lassen.
Die Krieger ließen sie nicht aus den Augen. Wachsam begleiteten sie den seltsamen Zug von einem Vermittler, drei Menschen, einem zweiten Vermittler und einem Braunen.
Sie hielten ihre Waffen schussbereit, ohne direkt auf jemanden zu zielen, und achteten immer darauf, genügend Abstand voneinander zu halten.
»Wird nicht dieser Befehlsgeber deinen Meister verständigen, sobald wir weg sind?« fragte Potter.
Die Splits zwitscherten miteinander. Die Krieger kümmerten sich offenbar überhaupt nicht um das Gespräch. »Charlie sagt, ja. Der Befehlsgeber wird sowohl meinen Meister als auch König Peter benachrichtigen. Aber wir sind wenigstens zu einem Flugzeug gekommen, oder?«
Das Privatflugzeug des Befehlsgebers war ein stromlinienförmiger Keil. Eine Anzahl Brauner wartete es. Charlie trillerte ihnen zu, und sie begannen sofort, Sitze auszubauen, Metallteile umzuformen, alles mit nahezu unglaublicher Geschwindigkeit.
Etliche Mini-Exemplare huschten durch die Kabine. Staley sah sie und fluchte, leise allerdings und in der Hoffnung, die Splits würden nicht wissen, weshalb. Die Gruppe wartete neben dem Flugzeug, die ganze Zeit aufmerksam von den Kriegern bewacht.
»Mir kommt das einfach unglaublich vor«, sagte Whitbread. »Weiß der Besitzer nicht, dass wir Flüchtlinge sind?«
Whitbreads Split nickte. »Aber nicht seine Flüchtlinge. Er ist nur für die Gepäckabteilung des (Vogelpfiff-) Flughafens verantwortlich. Er würde sich nicht die Vorrechte meines Meisters anmaßen. Er hat auch mit dem Manager dieses Flughafens verhandelt, und beide sind sich einig, dass sie einen Kampf von König Peter und meinem Meister hier vermeiden wollen. Deshalb wollen sie uns so schnell wie möglich loswerden.«
»Ihr seid doch die sonderbarsten Geschöpfe, die ich mir vorstellen könnte«, stellte Potter fest. »Ich versteh’ nicht, warum ein solches Durcheinander nicht in einem kompletten …« Verlegen brach er ab.
»Aber genau das ist der Fall«, sagte Whitbreads Split. »Infolge unserer spezifischen Eigenschaften führt jedes System zum Chaos. Aber industrieller Feudalismus funktioniert besser als einige andere Systeme, die wir ausprobiert haben.«
Die Braunen winkten ihnen. Als sie das Flugzeug bestiegen, sahen sie, dass jetzt rechts hinten nur mehr ein einzelner splitförmiger Sitz war, zu dem Charlies Braunes ging.
Davor standen zwei Sitze für Menschen, dann kam ein Menschensitz neben einem Splitsitz. Charlie und ein zweites Braunes gingen durch das Gepäckabteil nach vorne in die Pilotenkanzel. Potter und Staley setzten sich wortlos nebeneinander, so dass Whitbread und sein Split zusammensitzen konnten. Jonathon musste an einen ähnlichen, aber sehr viel angenehmeren Flug denken, der noch gar nicht lange zurücklag.
Nun schoben sich auf einmal unglaublich große Tragflächen aus dem Flugzeugrumpf.
Sekunden später startete die Maschine langsam senkrecht nach oben. Weite Stadtteile versanken, Quadratkilometer große Lichtermeere schoben sich über den Horizont. Sie überflogen eine sich endlos dahinziehende, hell erleuchtete Stadt, und das weite Dunkel der Anbaugebiete blieb rasch zurück. Staley spähte durch ein Fenster und glaubte, links in der Ferne den Rand der Stadt sehen zu können: jenseits davon war das Land wieder dunkel. Noch mehr Felder.
»Du hast gesagt, jeder Meister hätte Krieger«, meinte Whitbread. »Warum haben wir vorher nie welche zu sehen bekommen?« »In der Schloss-Stadt gibt es keine Krieger«, sagte das Split mit sichtlichem Stolz.
»Keine?«
»Nicht einen. Überall sonst umgibt sich jeder Landbesitzer oder wichtige … Manager mit Leibwächtern. Selbst ein noch nicht erwachsener Befehlsgeber wird von den Soldaten seiner Mutter beschützt. Aber den Kriegern ist ihr Beruf nur zu deutlich anzusehen.
Deshalb haben mein Meister und die anderen Befehlsgeber, die mit euch und dieser Narren-Idee zu tun haben, ein Abkommen mit den übrigen Meistern der Schloss-Stadt getroffen, damit ihr nicht merkt, wie kriegerisch wir sind.«
Whitbread lachte. »Das erinnert mich an Dr. Horvath.«
Sein Split kicherte. »Er hatte dieselbe Idee, nicht? Eure paar armseligen Kriege vor den friedliebenden Splits geheim zu halten, weil sie das schockieren könnte. Hab ich euch schon erzählt, dass die Narren-Sonde einen eigenen Krieg ausgelöst hat?«
»Nein. Du hast uns noch von keinem eurer Kriege erzählt …«
»Eigentlich war es noch viel schlimmer. Vielleicht könnt ihr euch das Problem vorstellen: Wer erhält die Verantwortung für die Antriebslaser? Jeder Meister oder jede Koalition von Meistern würde früher oder später die Laser dazu benutzen, mehr Land für den eigenen Clan zu erobern. Wenn Vermittler die Anlage verwalten, würde sie ihnen bald irgendein Befehlsgeber wegnehmen.«
»Ihr würdet sie dem erstbesten Meister überlassen, der euch den Befehl dazu gibt?« fragte Whitbread ungläubig.
»Ach Gott, Jonathon! Natürlich nicht. Erstens hätten wir von Anfang an Befehl gehabt, das nicht zu tun. Aber Vermittler sind nicht besonders tüchtig in militärischen Dingen.
Wir könnten uns nie gegen ein Heer von Kriegern behaupten.«
»Trotzdem regiert ihr diesen Planeten …« »Für die Meister. Das müssen wir. Wenn die Meister selbst zu Verhandlungen zusammentreffen, führt das immer zu einem Kampf.
Nun ja, schließlich geschah also folgendes: Eine Gruppe von Weißen erhielt die Verantwortung für die Laser zugesprochen, aber ihre Kinder wurden hier auf Alpha als Geiseln festgehalten. Sie waren alle schon ziemlich alt und hatten genügend Kinder. Die Vermittler belegen sie darüber, wie viel Energie die Narren-Sonde benötigte. Nach Ansicht der Meister haben die Vermittler die Laserbatterien fünf Jahre zu früh gesprengt.
Gescheit, nicht? Trotzdem …«
»Was trotzdem?«
»Es gelang dieser Koalition, ein paar Laser zu retten. Sie hatten natürlich ein Kontingent Braune bei sich. Anders war es nicht möglich. Potter, du stammst doch aus dem System, das das Ziel der Sonde war? Deine Vorfahren müssen Berichte hinterlassen haben, wie stark das Licht dieser Antriebslaser war.«
»Stark genug, um Murchesons Auge zu überstrahlen. Das Licht hat sogar eine neue Religion entstehen lassen. Wir hatten damals gerade selber Krieg …«
»Die Laser waren auch stark genug, einen Machtkampf auszulösen, dem die damalige Zivilisation zum Opfer fiel. Das führte dazu, dass der Zusammenbruch verfrüht eintrat, und wir diesmal nicht bis auf das Niveau von Wilden zurückgeworfen wurden. Die Vermittler müssen das von allem Anfang an so geplant haben.«
»Herrgott«, murmelte Whitbread. »Das sind Methoden. Macht ihr das immer so?«
»Wie, Jonathon?«
»Dass ihr jeden Augenblick damit rechnet, dass alles zusammenkracht. Dass ihr diese Möglichkeit benutzt.«
»Es wäre blind, das nicht zu tun. Nur die Großen Narren begreifen das nie. Ich glaube, der klassische Fall des Große-Narren-Syndroms war das mit der Zeitmaschine. Ihr habt eine Plastik davon gesehen.«
»Ja, richtig.«
»Ein Historiker kam zu dem Schluss, dass zweihundert Jahre zuvor ein großer Wendepunkt in der Geschichte aufgetreten sei. Wenn er nur dieses Ereignis beeinflussen könnte, würde die Geschichte der Splits in Hinkunft eine friedliche Idylle sein. Könnt ihr euch das vorstellen? Und er konnte seine Theorie auch beweisen. Er hatte Aufzeichnungen, alte Dokumente, Geheimverträge …«
»Wann war dieses Ereignis?«
»Es gab einmal einen — einen Kaiser, einen sehr mächtigen Befehlsgeber. Alle seine Nachkommen waren getötet worden, und er hatte die Herrschaft über ein riesiges Gebiet geerbt. Die Mutter dieses Meisters hatte ihre Ärzte und Vermittler überredet, ein Hormon zu schaffen, das etwas ähnliches wie eure Antibabypillen gewesen sein muss.
Es täuschte im weiblichen Stadium dem Körper des Meisters eine Schwangerschaft vor.
Eine massive Dosis führte den Übergang ins männliche Stadium herbei. Und Sterilität.
Als die Mutter starb, ließen die Vermittler den Kaiser mit dem Hormon behandeln.«
»Aber dann habt ihr ja Empfängnisverhütungsmittel!« rief Whitbread. »Damit könnt ihr das Bevölkerungswachstum einschränken …«
»Das glaubte auch dieser Große Narr. Nun, jedenfalls wurde das Hormon ungefähr drei Generationen lang in diesem Kaiserreich angewandt. Die Bevölkerung blieb stabil, das schon. Es gab nicht zu viele Meister. Alles war friedlich. Inzwischen natürlich hatte auf den übrigen Kontinenten die Bevölkerungsexplosion ihren Lauf genommen.(Die übrigen Meister vereinigten sich und fielen in die Domäne des Kaisers ein. Sie hatten jede Menge Krie-8er — und genügend Meister, um sie zu führen. Das war das Ende des Kaiserreichs. Dieser Zeitmaschinenkonstrukteur glaubte, er könnte es so einrichten, dass das Kaiserreich den ganzen Planeten umfasste.« Whitbreads Split schnaufte ärgerlich.
»Es hätte nie funktioniert. Wie bringt man sämtliche Meister dazu, sich freiwillig unfruchtbar machen zu lassen? Irgendwann geschieht das sowieso, aber wer möchte das schon, bevor er Kinder gehabt hat? Und nur dann wirkt das Hormon.« »Oh.«
»Ja. Selbst wenn also der Kaiser den ganzen Planeten in seine Macht bekommen und das Bevölkerungswachstum eingeschränkt hätte — und bedenke, Jonathon, das wäre nur möglich, wenn alle Machthaber ganz darauf verzichtet hätten, jemals Kinder zu bekommen, wodurch die Führung nur auf andere Unterarten übergegangen wäre — selbst wenn sie dazu bereit gewesen wären, hätten die Asteroidenzivilisationen sie eines Tages überrannt.«
»Aber Mensch, es ist wenigstens ein Beginn!« rief Whitbread. »Es muss doch eine Möglichkeiten geben …«
»Ich bin kein Mensch, und es muss nicht eine Möglichkeit geben. Das ist ein weiterer Grund, warum ich keine Beziehung zwischen deiner und meiner Spezies erleben möchte. Ihr seid alle Große Narren. Ihr seid überzeugt, dass jedes Problem eine Lösung hat.«
»Alle menschlichen Probleme haben letzten Endes eine Lösung«, sagte Gavin Potter leise vom Sitz hinter ihnen.
»Menschliche vielleicht«, sagte das Split. »Aber haben Splits eine Seele?«
»Wie könnt’ ich das sagen?« antwortete Potter. Er rutschte ein wenig verlegen auf seinem Sitz hin und her. »Der Herrgott hat mich nicht ins Vertrauen gezogen.«
»Euer Kaplan kann das genauso wenig sagen. Wie könnt ihr erwarten, das herauszufinden? Dazu wäre wohl eine, — eine göttliche Erleuchtung oder so was erforderlich, oder? Ich bezweifle, dass ihr eine bekommt.«
»Habt ihr denn gar keine Religion?« fragte Potter ungläubig.
»Wir haben schon Tausende gehabt, Gavin. Die der Braunen und anderer halbintelligenter Kasten ändert sich kaum, aber jede neue Zivilisation von Meistern schafft sich eine eigene. Meistens ist es eine Art Seelenwanderungsglaube, der das Weiterleben in den Nachkommen betont. Ihr werdet verstehen, weshalb.«
»Du hast Vermittler nicht erwähnt«, sagte Whitbread.
»Ich hab’ euch doch gesagt — wir haben keine Kinder. Es gibt Vermittler, die die Seelenwanderungsidee akzeptieren. Wiedergeburt als Meister zum Beispiel. Was von den menschlichen Religionen noch am ehesten den unseren entspricht, ist der Buddhismus des Kleinen Fahrzeugs. Ich habe mit Kaplan Hardy darüber gesprochen. Er sagt, die Buddhisten glauben, sie könnten sich einst von etwas befreien, das sie Rad des Lebens nennen. Das klingt ziemlich nach den Zyklen. Aber — ich weiß nicht, Jonathon. Ich dachte immer, ich glaubte an Wiedergeburt, doch — wissen können wir so etwas nie, oder?«
»Und ihr habt nichts, das dem Christentum gleicht?« erkundigte sich Potter.
»Nein. Es hat Prophezeiungen von einem Erlöser gegeben, der die Zyklen beenden würde. Aber — alles hat es in unserer Geschichte schon gegeben, nur keinen Erlöser.
Das ist verdammt sicher, Gavin.«
Unten glitt das uferlose Lichtermeer der Stadt vorbei. Nach einer Weile sank Potter in seinem Sitz zurück und begann leise zu schnarchen. Whitbread warf ihm einen staunenden Blick zu.
»Du solltest auch schlafen«, sagte sein Split. »Du bist schon sehr lange auf den Beinen.«
»Ich hab’ zu viel Angst. Aber ihr werdet rascher müde als wir — du solltest schlafen.«
»Ich hab auch zu viel Angst.«
»Oh Bruder, jetzt krieg ich aber wirklich kalte Füße.« Hab ich es eben Bruder genannt?
Nein, ich hab sie Bruder genannt. Ach, zum Teufel damit. »In eurem Kunstmuseum gab es viele Dinge, die wir nicht verstanden haben, richtig?« »Mhm. Dinge, die wir euch lieber nicht erklären wollten. Etwa das Ärztemassaker. Ein Ereignis, das vor sehr langer Zeit stattfand und fast nur mehr eine Legende ist. So eine Art Kaiser hatte beschlossen, auf der ganzen Welt die gesamte Ärztekaste auszurotten. Ist ihm auch fast gelungen.«
Das Split reckte sich müde. »Es tut gut, mit dir reden zu können, ohne lügen zu müssen.
Wir sind nicht zum Lügen geschaffen, Jonathon.«
»Warum sollten die Ärzte vernichtet werden?«
»Um die Bevölkerungszunahme zu vermindern, Dummkopf! Natürlich hat es nicht funktioniert. Einige Meister haben eine geheime Zucht retten können, und nach dem nächsten Zusammenbruch waren diese Ärzte …«
»… ihr Gewicht in Iridium wert.«
»Man glaubt, dass sie tatsächlich die erste Grundlage für ein Handelssystem wurden.
Wie Rinder auf Tabletop.«
Jetzt blieben endlich die Lichter der riesigen Stadt zurück, und das Flugzeug zog über den dunklen Ozean hinaus. Der düsterrötliche Lichtfleck von Murchesons Auge näherte sich dem Horizont, während im Osten unter dem schwarzen Rand des Kohlensacks andere Sterne aufgingen.
»Wenn sie uns abschießen wollen, wäre es hier am günstigsten«, sagte Staley. »Wo die Trümmer nichts treffen. Weißt du wirklich, wohin wir fliegen?«
Whitbreads Split zuckte die Achseln. »In König Peters Machtbereich. Wenn wir es schaffen.« Das Split warf einen Blick nach hinten auf Potter. Der Kadett hatte sich in seinem Sitz zusammengerollt und schnarchte mit leicht offenem Mund. Die Beleuchtung in der Kabine war gedämpft, alles war ruhig und friedlich — die einzige Dissonanz war der Raketenwerfer, den Staley im Schoß hielt. »Du solltest auch etwas schlafen.«
»Ja, vielleicht.« Horst lehnte sich in dem Sitz zurück und schloss die Augen. Seine Finger umklammerten die Waffe so fest wie zuvor. »Er schläft sogar in Habtacht-Haltung«, sagte Whitbread. »Oder versucht’s wenigstens. Ich glaube, Horst hat genauso viel Angst wie wir.«
»Ich frag’ mich die ganze Zeit, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hat«, murmelte das Split. »Wir stehen sowieso verdammt knapp vor einem Zusammenbruch. Ihr habt auch in diesem Zoo einiges übersehen, weißt du. Zum Beispiel das Fleischtier. Eine Split-Abart, fast ohne Arme, unfähig, sich gegen uns zu verteidigen, aber mit einem beträchtlichen Überlebensvermögen. Auch eins unserer Verwandten, in einem schändlichen Zeitalter als Fleischlieferant! gezüchtet, vor langer Zeit …«
»Mein Gott.« Whitbread holte tief Atem. »Aber ihr würdet so etwas heute nicht tun.«
»Oh nein.«
»Warum hast du dann davon gesprochen?«
»Weil es einen seltsamen statistischen Zusammenhang gibt, den du vielleicht interessant findest. Es gibt keinen Zoo auf dieser Welt, der nicht eine Zucht von Fleischtieren hätte. Und die Herden nehmen jetzt rascher zu …«
»Herrgott! Müsst ihr denn immer an den nächsten Zusammenbruch denken?«
»Ja.«
Murchesons Auge war seit langem untergegangen. Jetzt färbte sich der Osten blutrot und kündete einen Sonnenaufgang an, der Whitbread noch immer faszinierte. Rote Sonnenaufgänge sind auf bewohnbaren Welten ziemlich selten.
Sie überflogen jetzt eine Kette von Inseln. Voraus im Westen wo noch Dunkelheit herrschte, glommen Millionen Lichter. Wieder begann eine Stadt, riesig wie tausend Spartas nebeneinander, ein funkelnder Lichterteppich, Tausende von Quadratkilometern, durchzogen von dunklen Streifen bebauten Landes. Auf einer Menschenwelt wären das Parks gewesen. Hier waren es verbotene Zonen, von tödlichen Dämonen bewacht.
Whitbread gähnte und schaute das fremde Wesen neben sich an. »Ich glaub’, ich hab’ dich irgendwann gestern Abend Bruder genannt.«
»Ich weiß. Du hast vielleicht Schwester gemeint. Das Geschlecht ist für uns sehr wichtig. Es entscheidet über Leben und Tod.«
»Ich glaube nicht, dass ich das gemeint hab’. Ich habe Freund gemeint«, sagte Whitbread verlegen.
»Fjunch (klick) bezeichnet eine engere Beziehung. Aber ich bin glücklich, dein Freund zu sein«, sagte das Split. »Ich würde die Erfahrung, dich kennengelernt zu haben, nicht missen wollen.«
Das Schweigen wurde Whitbread ungemütlich. »Ich werde wohl lieber die anderen aufwecken«, sagte er leise.
Das Flugzeug legte sich scharf auf die Seite und bog nach Norden ab. Whitbreads Split schaute zu der Stadt hinunter, schaute auf die andere Seite, um sich über den Sonnenstand zu vergewissern, und dann wieder nach unten. Schließlich stand es auf, ging nach vorne in die Pilotenkanzel und begann aufgeregt zu zwitschern. Charlie antwortete, und eine offensichtlich heftige Diskussion brach los.
»Horst«, sagte Whitbread. »Mr. Staley. Aufwachen.«
Horst Staley hatte sich mit Mühe zum Schlafen gezwungen. Er umklammerte immer noch den Raketenwerfer auf seinen Knien. »Ja?«
»Ich weiß nicht, was los ist. Wir haben den Kurs geändert, und jetzt — hör doch«, sagte Whitbread. Die Splits schnatterten immer noch aufeinander los. Ihre Stimmen wurden lauter und schriller.
Whitbreads Split kehrte zu seinem Sitz zurück. »Es ist losgegangen«, sagte es. Jetzt sprach es nicht mehr mit Whitbreads Stimme. Seine Stimme war auf einmal sehr fremd.
»Krieg.«
»Zwischen wem?« wollte Staley wissen.
»Zwischen meinem Meister und König Peter. Noch ist kein anderer beteiligt, aber das wird kommen.«
»Krieg wegen uns?« fragte Whitbread ungläubig. Er hätte weinen mögen. Die Verwandlung seines Fjunch(klick)s war etwas, das ihn schmerzte, als hätte er einen Freund verloren.
»Krieg um das Verfügungsrecht über euch«, verbesserte das Split. Es schüttelte sich, gewann die Fassung zurück, und dann ertönte wieder Whitbreads Stimme von den fremden, halb lächelnden Lippen. »Vorläufig ist’s noch nicht so schlimm. Nur ein paar Scharmützel zwischen Kriegern. Beide Seiten wollen der anderen zeigen, was sie tun könnten, ohne noch etwas wirklich Wertvolles zu zerstören. Die anderen Befehlsgeber werden die beiden vermutlich unter Druck setzen, damit es so bleibt. Sie möchten nicht unversehens in einen Zusammenbruch hineingerissen werden.«
»Du lieber Himmel«, sagte Whitbread und schluckte. »Aber — ich freu mich, dass du wieder der alte bist, Freund.«
»Was bedeutet das für uns?« fragte Staley scharf. »Wohin sollen wir jetzt?«
»An einen neutralen Ort. Ins Schloss.«
»Ins Schloss?« schrie Horst. »Das ist Territorium deines Meisters!« Seine Hand rutschte wieder in die Nähe seiner Pistole.
»Nein. Glaubst du wirklich, die anderen würden meinem Meister soviel Macht über euch lassen? Die Vermittler, die ihr kennengelernt habt, gehörten alle zu meinem Clan, das Schloss selbst jedoch ist Besitz eines sterilen männlichen Befehlsgebers. Eines Bewahrers.«
Staleys Miene war noch recht misstrauisch. »Was tun wir, wenn wir dort sind?«
Das Split zuckte die Achseln. »Abwarten, wer gewinnt. Wenn König Peter siegt, wird er euch wohl zur Lenin zurückschicken. Vielleicht wird dieser Krieg das Imperium davon überzeugen, dass es besser ist, uns in Ruhe zu lassen. Vielleicht könnt ihr uns sogar helfen.« Das Split machte eine hoffnungslose, zornige Geste. »Uns helfen? Die Idee eines Großen Narren! Die Zyklen werden niemals enden!«
»Abwarten?« knurrte Staley. »Ich nicht, verdammt noch mal. Wo sitzt dieser Meister von dir?«
»Nein!« rief das Split. »Horst, mit so etwas kann ich euch nicht helfen. Außerdem würdet ihr niemals durch die Krieger kommen. Sie sind gut, Horst, besser als euere Flotteninfanterie — und was seid ihr schon? Drei Offiziersanwärter mit verdammt wenig Erfahrung und Waffen, die ihr aus einem alten Museum geholt habt.«
Staley blickte nach unten. Die Schloss-Stadt lag nicht mehr weit voraus. Er entdeckte den Raumhafen, das einzige unverbaute Gelände, das grau und nicht grün war.
Dahinter stand das Schloss mit seinen Türmchen und Erkern und dem Hauptturm, der mit seinem Ringbalkon an ein Minarett erinnerte. So klein das Schloss eigentlich war, seine bizarren Umrisse fielen unter den eintönigen, hässlichen Monsterbauten dieser uferlosen Stadtlandschaft auf.
Unter den zurückgelassenen Sachen im Schloss waren auch Funkgeräte. Als Renner und, die anderen aufbrachen, hatte der Chefnavigator bestimmt, dass alles bis auf Notizen und Aufzeichnungen im Schloss zurückblieb. Er hatte keinen Grund angegeben, aber jetzt wussten sie, weshalb: Die Splits sollten denken, dass die Menschen bald zurückkämen.
Vielleicht reichte die Ausrüstung für den Bau eines guten Senders. Vielleicht konnten sie etwas zusammenbasteln, mit dem man die Leninerreichen konnte. »Ist es möglich, auf der Straße zu landen?« fragte Staley.
»Auf der Straße?« Das Split blinzelte überrascht. »Warum nicht? Wenn Charlie einverstanden ist. Es ist ihr Flugzeug.« Whitbreads Split trillerte laut. Aus dem Cockpit kamen einige Antwortpfiffe.
»Bist du sicher, dass das Schloss ein guter Zufluchtsort ist?« fragte Staley. »Whitbread, trauen Sie den Splits?«
»Ich trau dem hier. Kann sein, dass ich voreingenommen bin, Hör … äh … Mr. Staley.
Jeder muss das für sich entscheiden.«
»Charlie sagt, das Schloss steht leer, und das Verbot von Kriegern in der Stadt gilt immer noch«, sagte Whitbreads Split. »Sie behauptet auch, dass König Peter die Oberhand gewinnt, aber sie hört natürlich nur Meldungen von ihrer Seite.« »Wird sie beim Schloss landen?« fragte Staley.
»Warum nicht? Wir müssen nur erst im Tiefflug die Straße entlang, damit die Braunen gewarnt sind.« Das Split trillerte wieder etwas.
Das Dröhnen der Motoren sank zu einem Flüstern herab. Die Tragflächen glitten wieder hervor, und das Flugzeug kippte im Sturzflug hinunter. In geringer Höhe fegte es am Schloss vorbei, so dass sie seine Erker und Balkone aus nächster Nähe zu sehen bekamen. Nur ein paar Meter unter ihnen strömte der Verkehr dahin; Staley entdeckte ein Weißes auf dem Fußgängerniveau gegenüber vom Schloss. Der Meister zog sich hastig in ein Gebäude zurück.
»Keine Dämonen«, bemerkte Staley. »Oder hat jemand Krieger gesehen?«
»Nein.« »Nich’ einen.« »Ich auch nicht.«
Das Flugzeug wurde langsamer und glitt zwei Meter über dem Boden auf das Schloss zu, wie eine Möwe, die über die Wellen streicht. Staley hielt sich krampfhaft fest und starrte hinaus. Unzählige Autos schössen auf sie zu und schwenkten zur Seite. Sie mussten gegen das Schloss prallen, erkannte Staley. Wollte der Pilot durch die Mauer stoßen, so wie der Kutter sich in die Mac Arthur gebohrt hatte? Das Flugzeug setzte mit einigen Stößen auf und wurde von Bremsen und Gegenschub der Düsen aufgefangen — einen knappen Meter vor der Schlossmauer.
»Hier, Potter, wir tauschen lieber.« Staley übernahm den Gammastrahllaser. »Und jetzt nichts wie raus!« Er konnte den Türmechanismus nicht betätigen und winkte ungeduldig dem Split.
Mühelos zog es die Tür auf und sprang auf die Straße hinaus. Die Menschen folgten hastig. Whitbread hatte das Vibrationsschwert in der Linken. Wenn das Tor verschlossen war, würde es dieser Waffe sicher nicht standhalten.
Das Tor war versperrt. Whitbread schwang das Schwert, um eine Öffnung zu schneiden, aber sein Split winkte ihn zurück. Es studierte kurz zwei in die Torfläche eingelassene Zahlenscheiben, legte auf jede Scheibe eine rechte Hand und drehte sie, während es gleichzeitig mit dem linken Arm einen Hebel betätigte. Die Tür öffnete sich augenblicklich. »Damit sollten Menschen ferngehalten werden«, erklärte es.
Die Eingangshalle war leer. »Kann man dieses verdammte Tor irgendwie verbarrikadieren?« fragte Staley. Seine Stimme hatte einen ungewohnten Nachhall; er erkannte, dass sämtliche Einrichtungsgegenstände aus dem Raum verschwunden waren. Als er keine Antwort bekam, gab er Potter wieder den Gammastrahllaser.
»Halten Sie hier Wache. Die Splits sollen bei Ihnen bleiben und Ihnen sagen, ob’s ein Feind ist, wenn wer rein will. Kommen Sie, Whitbread.« Er rannte zur Treppe.
Whitbread folgte ihm mit wenig Begeisterung. Horst sprang die Stufen hoch, so dass Whitbread ziemlich atemlos war, als sie das Stockwerk mit den Wohnräumen erreichten.
»Haben Sie was gegen den Lift?« keuchte Whitbread. »Sir?«
Staley antwortete nicht. Die Tür zu Renners Zimmer stand offen, und Horst stürzte hinein. »Gottverdammt!«
»Was ist los?« fragte Whitbread schnaufend und kam ebenfalls herein.
Das Zimmer war leer. Selbst die Schlafkojen waren entfernt worden. Keine Spur von den Ausrüstungsgegenständen, die Renner zurückgelassen hatte. »Ich hab’ gehofft, wir finden etwas, womit wir die Lenin benachrichtigen könnten«, knurrte Staley. »Helfen Sie mir suchen. Vielleicht haben sie unsere Sachen irgendwo weggeräumt.«
Die Suche blieb erfolglos. In jedem Stockwerk war es dasselbe: Geräte, Möbel, Betten, alles war fort. Das Schloss war nur mehr ein leeres Mauerwerk. Schließlich kehrten sie in die Eingangshalle zurück.
»Sind wir allein?« fragte Gavin Potter.
»Ja«, antwortete Staley. »Und wir werden verdammt bald verhungern, wenn uns nichts Schlimmeres zustößt. Der Bau ist ausgeräumt bis auf die Mauern.«
Beide Splits zuckten die Achseln. »Das überrascht mich etwas«, sagte Whitbreads Split.
Die beiden zwitscherten kurz miteinander. »Sie weiß auch nicht, warum. Sieht so aus, als sollte das Gebäude nicht mehr benötigt werden …«
»Na, sie wissen aber verdammt gut, dass wir hier sind«, brummte Staley. Er nahm seinen Helm vom Gürtel und Schloss sein Funkgerät an. Dann setzte er den Helm auf.
»Lenin, hier ist Staley. Ich rufe Lenin. Kadett Staley ruft Lenin. Lenin!«
»Mr. Staley, wo zum Teufel sind Sie?« Es war Kapitän Blaine!
»Kapitän! Gott sei Dank! Kapitän, wir haben uns in — Einen Augenblick, Sir.« Die Splits unterhielten sich trillernd. Whitbreads Split wollte etwas zu ihm sagen, aber Staley verstand es nicht. Er hörte nur ein Split mit Whitbreads Stimme sprechen —, »Kapitän Blaine, Sir. Woher bekommen Sie Ihren Irischen Nebel?«
»Staley, lassen Sie den verdammten Blödsinn und berichten Sie!«
»Tut mir leid, Sir. Ich muss das wirklich wissen. Sie werden verstehen, warum ich frage.
Woher bekommen Sie Ihren Irischen Nebel?«
»Staley! Ich habe Ihre blöden Witze satt!«
Horst nahm den Helm ab. »Das ist nicht der Kapitän«, sagte er. »Es ist ein Split mit der Stimme des Kapitäns. Eins von euch?« fragte er Whitbreads Split.
»Wahrscheinlich. Es war ein dummer Trick. Dein Fjunch(klick) hätte das gewusst.
Offenbar arbeitet es nicht gerade bereitwillig mit meinem Meister zusammen.«
»Dieses Gebäude ist praktisch nicht zu verteidigen«, sagte Staley. Er schaute sich in der Eingangshalle um. Sie war etwa zehn Meter breit und dreißig Meter lang, und nicht der kleinste Einrichtungsgegenstand war darin zurückgeblieben. Die Wandteppiche und Bilder, die die Mauern geschmückt hatten, waren ebenfalls weg. »Nach oben«, sagte Horst. »Da haben wir bessere Chancen.« Er führte sie hinauf in das Stockwerk mit den ehemaligen Wohnräumen, wo sie sich am Ende des Korridors postierten, von wo sie gleichzeitig die Treppe und den Lift im Auge behalten konnten.
»Und was jetzt?« erkundigte sich Whitbread.
»Jetzt warten wir«, sagten beide Splits zugleich. Eine lange Stunde verging.
Die Verkehrsgeräusche verstummten. Es dauerte vielleicht eine Minute, bis sie es begriffen. Dann war kein Zweifel mehr möglich. Draußen war es totenstill geworden.
»Ich schau mal nach«, sagte Staley. Er ging in ein Zimmer und spähte vorsichtig zum Fenster hinaus, ohne sich mehr als unbedingt nötig aus der Deckung zu wagen. Dämonen hatten von der Straße unten Besitz ergriffen. Sie kamen mit blitzschnellen, eigenartigen Zickzacksprüngen vorwärtsgestürmt, hoben dann plötzlich die Waffen und feuerten die Straße entlang. Horst konnte eine zweite Gruppe erkennen, die sich hastig zurückzog. Etwa ein Drittel davon blieb tot liegen. Kampfgeräusche drangen gedämpft durch die dicken Fenster. »Was ist los, Horst?« rief Whitbread vom Korridor. »Das klingt nach Schüssen.«
»Sind auch Schüsse. Zwei Gruppen Krieger kämpfen miteinander. Unseretwegen?«
»Natürlich«, antwortete Whitbreads Split. »Ihr wisst, was das heißt, nicht wahr?« Seine Stimme klang sehr resigniert. Als keine Antwort kam, sagte es: »Das heißt, dass die Menschen nicht mehr herkommen. Sie sind fort.«
Staley schrie: »Das glaube ich nicht! Der Admiral würde uns nicht im Stich lassen! Er würde den verdammten Planeten …«
»Das würde er nicht, Horst«, sagte Whitbread. »Du kennst doch seine Befehle.«
Horst schüttelte den Kopf, aber er wusste, dass Whitbread recht hatte. Er rief:
»Whitbreads Split! Komm her und sag mir, welche Seite welche ist.«
»Nein.«
Horst drehte sich um. »Was soll das heißen, nein? Ich muss wissen, auf wen ich schießen soll!«
»Ich will nicht erschossen werden.«
Whitbreads Split war ein Feigling! »Ich bin auch nicht erschossen worden, oder? Bleib halt in Deckung.«
Whitbreads Stimme erklärte: »Horst, wenn du auch nur ein Auge riskiert hast, hätte es dir jeder Krieger ausschießen können. Keiner hat jetzt Interesse daran, dass du umkommst. Sie haben ja auch keine Artillerie eingesetzt, oder? Aber sie würden auf mich schießen.«
»Schon gut! Charlie! Komm her und …« »Ich komme nicht.«
Horst fluchte nicht einmal. Keine Feiglinge, sondern Braun-Weiße. Die unmilitärischen Vermittler. Ob sein eigenes Split gekommen wäre?
Die Dämonen hatten jetzt alle irgendwo Deckung gefunden: hinter geparkten oder verlassenen Wagen, zwischen Gebäudevorsprüngen. Sie huschten von einer Deckung zur anderen, so schnell, dass Horst kaum ihren Bewegungen zu folgen vermochte.
Trotzdem starb jedes mal ein Krieger, wenn ein anderer schoss. Es waren noch gar nicht so viele Schüsse gefallen, und doch waren zwei Drittel der Krieger, die er sehen konnte, tot. Whitbreads Split hatte ihre Schießkünste nicht übertrieben. Sie trafen mit unglaublicher Sicherheit. Fast genau unterhalb von Horsts Fenster lag ein gefallener Krieger; beide rechten Arme waren weggerissen. Ein lebender wartete auf eine Feuerpause und sprang aus seinem Versteck hervor, näher heran — und da wurde der Gefallene plötzlich lebendig. Dann war es sehr schnell passiert: eine Waffe wurde fortgeschleudert, die beiden Krieger prallten gegeneinander, taumelten zurück, zuckende, aufgeschlitzte Leiber, aus denen das Blut quoll.
Dann krachte es unten heftig. Im Stiegenhaus wurden Schritte, Stimmen hörbar, Hufe klapperten über Marmorstufen. Die Splits zwitscherten miteinander. Charlie pfiff einmal laut, dann noch einmal. Ein Antwortruf kam von unten, dann ertönte die Stimme David Hardys in perfektem Anglic.
»Man wird euch nichts tun. Ergebt euch sofort.«
»Wir haben verloren«, sagte Charlie.
»Die Truppen meines Meisters. Was wirst du tun, Horst?«
Anstelle einer Antwort duckte sich Staley in eine Ecke und richtete den Gammastrahllaser auf die Treppe. Er winkte den anderen Kadetten heftig zu, sie sollten in Deckung gehen.
Ein braun-weißes Split tauchte auf dem Treppenabsatz auf und blieb stehen. Es sprach mit Kaplan Hardys Stimme, hatte aber nichts von seinem Verhalten, seinen Bewegungen an sich. Nur das exakte Anglic und die tragende, geschulte Stimme. Der Vermittler war unbewaffnet. »Kommt, seid doch vernünftig. Euer Schiff ist fort. Eure Offiziere halten euch für tot. Wir haben keinen Grund, euch etwas zu tun. Warum wollt ihr wegen nichts getötet werden? Kommt hervor und nehmt unsere Freundschaft entgegen.«
»Geh zum Teufel!«
»Was glaubt ihr damit zu gewinnen?« fragte das Split. »Wir wollen nur euer Bestes …«
Wieder krachten unten Schüsse. Der Lärm hallte durch die leeren Räume und Gänge des Schlosses. Der Vermittler mit Hardys Stimme pfiff und trillerte den anderen Splits zu.
»Was sagt es?« wollte Staley wissen. Er blickte sich hastig um: Whitbreads Split kauerte wie versteinert in einer Ecke. »Herrgott, was soll das?«
»Lass sie in Ruhe!« schrie Whitbread. Er rannte von seinem Platz hinüber zu dem Split und legte ihm einen Arm um die Schulter. »Was sollen wir jetzt tun?«
Die Kampfgeräusche kamen näher, und plötzlich standen zwei Dämonen im Gang.
Staley zielte und schoss mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung. Der eine Krieger fiel. Als er den Laser auf den zweiten richten wollte, feuerte der, und Staley wurde an die gegenüberliegende Wand geschleudert. Noch mehr Krieger stürmten herauf in den Gang, und ein heftiger Feuerstoß warf den bereits umkippenden Staley noch einmal zurück, hielt ihn eine Sekunde fest. Dann rutschte sein zerfetzter Körper zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Potter feuerte den Raketenwerfer ab. Das Projektil detonierte am anderen Ende des Gangs. Ein Stück Mauer brach zusammen und begrub den Vermittler und einige Krieger. »Mir scheint, wer auch diesen Kampf gewinnt, wir beide wissen mehr über das Langston-Feld, als wir sollten«, sagte Potter bedächtig. »Was glauben Sie, Mr.
Whitbread? Jetzt haben Sie das Kommando hier.«
Whitbread riss sich mühsam aus seiner Erstarrung. Sein Split rührte sich immer noch nicht …
Potter zog seine Pistole und wartete. Die Kampfgeräusche entfernten sich. Weiter unten im Gang raschelte noch etwas und verstummte.
»Dein Freund hat recht, Bruder«, sagte Whitbreads Split. Es warf einen Blick hinüber zu dem Schutthaufen, unter dem Hardys Fjunch(klick) lag. »Auch das war ein Bruder …«
Potter schrie auf. Whitbread fuhr herum.
Potter stand fassungslos da, seine Pistole war weg, sein Arm bis zum Ellbogen zerschmettert. Jetzt erst wurde ihm der Schmerz bewusst, sein Blick wurde stumpf, als er Whitbread anschaute und sagte: »Einer von den Toten hat einen Stein geworfen.«
Dann waren auf einmal neue Krieger im Gang, und ein zweiter Vermittler. Sie kamen langsam näher.
Whitbread hob das seltsame Schwert, das Stein und Stahl schneiden konnte. In weitem Bogen schwang er es gegen Potters Nacken, tötete seinen Freund, dessen Religion wie Whitbreads den Selbstmord verbot. Schüsse krachten, als er die Klinge gegen seinen eigenen Hals richtete, und zwei heftige Schläge trafen ihn zwischen den Schultern.
Jonathon Whitbread stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Zunächst berührte ihn niemand, nur die Waffen wurden aus seinem Gürtel genommen.
Sie warteten auf einen Arzt, während die übrigen König Peters Angriffstruppen aufhielten. Ein Vermittler sprach mit Charlie und bot einen Unterhändler an — es gab nichts mehr, um das es sich zu kämpfen lohnte. Whitbreads Split blieb bei seinem Fjunch(klick).
Der Arzt war eine Ärztin und untersuchte als erstes Whitbreads Schultern. Obwohl sie niemals einen Menschen seziert hatte, wusste sie alles über menschliche Physiologie, was ein Split nur wissen konnte. Ihre Hände waren vollkommene Werkzeuge, um Tausende Zyklen des Instinkts zu verwerten. Die Finger strichen vorsichtig über die zerschmetterten Schultergelenke, ihre Augen registrierten, dass irgendwo Blut austrat.
Eine Hand tastete nach dem Rückgrat, diesem seltsamen Organ, das sie bisher nur aus Modellen kannte.
Die Halswirbel waren gebrochen. »Wohl Hochgeschwindigkeitsgeschosse«, summte sie dem wartenden Vermittler zu. »Der Aufprall hat den Nervenstrang zerrissen. Dieses Wesen ist tot.«
Der Arzt und zwei Braune bemühten sich in verzweifelter Eile, eine Blutpumpe zur Versorgung des Gehirns zu bauen. Es war umsonst. Die Verständigung zwischen Techniker und Arzt war zu langsam, der Körper zu fremd, und sie hatten im Augenblick zu wenig Ausrüstung. Dann war es zu spät.
Sie brachten den Leichnam und Whitbreads Split zu dem Raumhafen, den ihr Meister kontrollierte. Charlie würde zu König Peter zurückgebracht werden, jetzt, da der Krieg zu Ende war. Wiedergutmachungen mussten bezahlt, das Schlachtfeld geräumt, jeder betroffene Meister versöhnt werden. Wenn die Menschen das nächste Mal kamen, musste Einigkeit unter den Splits sein.
Der Meister erfuhr es nie, und auch ihre weißen Töchter ahnten nichts davon. Unter ihren anderen Töchtern jedoch, den braunweißen Vermittlern, die ihr dienten, ging das Gerücht um, dass eine der Schwestern etwas getan hatte, was kein Vermittler während all der vergangenen Zyklen jemals getan hatte. Als die Krieger auf dieses seltsame Menschenwesen zurannten, hatte Whitbreads Split es berührt: nicht mit den sanften rechten Händen, sondern mit der starken Linken.
Sie wurde wegen Ungehorsams hingerichtet, und sie starb allein. Ihre Schwestern Hassten sie nicht, aber sie brachten es nicht über sich, mit einer noch zu sprechen, die ihr eigenes Fjunch-(klick) getötet hatte.