TEIL VIER Eine Narrenlösung

39 Aufbruch

»Die Boote melden keine Spur von den Kadetten, Admiral.« Kapitän Michailov sagte es beinahe entschuldigend; die wenigsten Offiziere meldeten Kutuzov gerne negative Ergebnisse. Der stämmige Admiral saß gleichmütig in seinem Kommandositz auf der Brücke der Lenin. Er nahm die Meldung mit einem kurzen Grunzen zur Kenntnis, hob sein Teeglas und nippte daran.

Schließlich wandte sich Kutuzov der Gruppe von Männern zu, die sich auf den Plätzen seiner Stabsoffiziere um ihn versammelt hatten. Rod Blaine saß immer noch auf dem Platz des Flaggenleutnants; er hatte einen höheren Rang als Commander Borman, und Kutuzov hielt in solchen Dingen sehr auf das Protokoll.

»Acht Wissenschaftler«, sagte Kutuzov. »Acht Wissenschaftler, fünf Offiziere, vierzehn Maate und Soldaten. Alle von den Splits getötet.«

»Den Splits!« Dr. Horvath schwang auf dem Kommandosessel zu Kutuzov herum.

»Admiral, fast alle diese Leute waren noch an Bord der Mac Arthur, als Sie das Schiff zerstörten. Einige waren vielleicht noch am Leben. Und die Kadetten, wenn sie dumm genug waren, eine Atmosphärenlandung mit diesen zerbrechlichen Rettungsbooten zu versuchen …« Er verstummte, als Rod ihn dumpf anschaute. »Es tut mir leid, Kapitän.

Ich habe das nicht so gemeint. Wirklich, ich bedauere es sehr. Ich habe diese Jungen auch gern gehabt. Aber Sie können den Splits doch nicht die Schuld dafür geben, was geschehen ist! Die Splits haben zu helfen versucht, und sie können so viel für uns tun — Admiral, wann werden wir zu ihrem Kontaktschiff zurückkehren können?«

Der Laut, den Kutuzov ausstieß, mochte ein kurzes Auflachen gewesen sein. »Hah!

Doktor, wir gehen auf Heimatkurs, sobald die Boote an Bord sind. Ich dachte, ich hätte das bereits klargemacht.«

Die Miene des Wissenschaftsministers verzerrte sich, so dass man seine breiten Zähne sehen konnte. »Ich hatte gehofft, Sie seien inzwischen wieder zu Vernunft gekommen.«

Seine Stimme war kalt und zornig. »Admiral, Sie machen die größten Hoffnungen der Menschheit zunichte. Die Technologie, die wir ihnen abkaufen könnten — die sie uns überlassen würden! —, ist allem, was wir selbst in den nächsten Jahrhunderten entwickeln würden, um Größenordnungen überlegen. Die Splits haben uns mit größtem Aufwand willkommen geheißen. Wenn Sie uns nicht verboten hätten, ihnen von den entkommenen Minis zu erzählen, hätten sie uns sicher geholfen. Aber Sie mussten ja Ihre verdammten Geheimnisse hüten — und wegen Ihrer idiotischen Xenophobie haben wir das Forschungsschiff und die meisten unserer Instrumente verloren. Und jetzt wollen Sie sie verärgern, indem Sie zurückkehren, obwohl die Splits auf ausführlichere Gespräche hoffen — mein Gott, eine solche Provokation könnten Sie sich nicht erlauben, wenn das eine kriegerische Rasse wäre!«

»Sind Sie fertig?« erkundigte sich Kutuzov verächtlich.

»Für jetzt bin ich fertig. Nach unserer Rückkehr werde ich noch einiges zu sagen haben, dessen können Sie sicher sein!«

Kutuzov berührte einen Schalter auf der Armstütze seines Sessels. »Kapitän Michailov, bitte lassen Sie alles klarmachen für den Aufbruch zum Alderson-Punkt. Eineinhalb Grav, Kapitän.«

»Aye, aye, Sir.«

»Sie sind also fest entschlossen, den Fehler Ihres Lebens zu begehen«, stellte Horvath kopfschüttelnd fest. »Blaine, können Sie ihn nicht zu Vernunft bringen?« »Ich bin entschlossen, mich an meine Befehle zu halten, Doktor«, sagte Kutuzov bedächtig.

Wenn Horvaths Drohungen ihn irgendwie beeindruckten, dann zeigte er das jedenfalls nicht. Der Admiral wandte sich nun an Rod. »Kapitän, Ihr Rat wird mir willkommen sein.

Ich werde jedoch nichts tun, das die Sicherheit meines Schiffes aufs Spiel setzen könnte, und ich kann keine weiteren persönlichen Kontakte mit Splits gestatten. Haben Sie Vorschläge, Kapitän Lord Blaine?«

Rod war dem Gespräch bisher ohne jedes Interesse gefolgt. Seine Gedanken waren ein dumpfes Durcheinander. Was hätte ich tun sollen? fragte er sich immer wieder. Nichts sonst beschäftigte ihn mehr. Der Admiral mochte ihn wohl um Rat fragen, aber das war eine Geste der Höflichkeit. Rod hatte keine Befehlsgewalt und keine Pflichten mehr.

Sein Schiff war verloren, seine Laufbahn schimpflich beendet — aber jetzt in Selbstmitleid zu versinken, half auch nichts. »Ich glaube wirklich, Sir, dass wir versuchen sollten, uns die Freundschaft der Splits zu erhalten. Wir sollten den Entscheidungen der Regierung nicht …«

»Wollen Sie damit sagen, dass ich das tue?« wollte Kutuzov wissen.

»Nein, Sir. Aber es ist wahrscheinlich, dass das Imperium Handelsbeziehungen mit dem System Splitter wünscht. Wie Dr. Horvath sagte, die Splits haben absolut nichts Feindseliges unternommen.«

»Was ist mit Ihren Kadetten?«

Rod schluckte schwer. »Ich weiß nicht, Sir. Es könnte sein, dass Whitbread oder Potter mit den modifizierten Rettungsbooten nicht fertig wurden und dass Staley eine Rettungsaktion versuchte. Es sähe ihm ähnlich …«

Kutuzov zog die Brauen zusammen. »Drei Rettungsboote, Kapitän. Alle drei versuchen den Atmosphäreneintritt, und alle drei verbrennen.« Er warf einen Blick auf die Bildschirme, die seinen Platz umgaben. Im Hangardeck wurde ein Boot festgemacht.

Die Infanteristen würden es dann sofort mit Giftgas füllen. In seinem Flaggschiff würden keine fremden Wesen Fuß fassen. »Was möchten Sie den Splits sagen, Doktor?«

»Ich werde ihnen nicht sagen, was ich möchte, Admiral«, sagte Horvath anzüglich. »Ich werde bei Ihrer Geschichte mit der Seuche bleiben. Stimmt ja auch beinahe, nicht? Eine Seuche von Minis. Aber, Admiral, wir müssen uns auf jeden Fall die Möglichkeit einer neuen Expedition offen lassen.«

»Sie werden wissen, dass Sie sie anlügen«, stellte Kutuzov ruhig fest. »Blaine, was halten Sie davon? Ist es besser, wenn die Splits eine Erklärung erhalten, die sie nicht glauben?«

Verdammt, merkt er denn nicht, dass ich nicht an die Splits denken will? Noch an sonst irgend etwas. Wozu soll mein Rat gut sein. Der Rat eines Mannes, der sein Schiff verloren hat … »Admiral, ich glaube nicht, dass es schaden kann, wenn Sie Minister Horvath mit den Splits sprechen lassen.« Rod betonte das Wort Minister; Horvath war schließlich nicht nur das, sondern auch ein prominentes Kronratsmitglied, und er hatte Einflussreiche Beziehungen zur Humanitätsliga und auch zu der recht mächtigen Händlervereinigung. Das alles zusammen wog fast die Macht der Admiralität auf.

»Irgend jemand sollte wirklich mit ihnen reden, gleichgültig wer. Kein Mensch könnte sein Fjunch(klick) belügen.«

»Also gut. Kapitän Michailov, bitte lassen Sie Verbindung zum Kontaktschiff der Splits aufnehmen. Dr. Horvath wird mit ihnen sprechen.«

Die Bildschirme leuchteten auf und zeigten ein braun-weißes sanft lächelndes Gesicht.

Rods Miene wurde finster, dann blickte er rasch auf, um sich zu überzeugen, dass die Bildübertragung an seinem Platz ausgeschaltet war.

Das Split blickte Horvath an. »Fjunch(klick).«

»Ah. Ich hatte gehofft, mit dir sprechen zu können. Wir brechen jetzt auf. Wir müssen.«

Der Gesichtsausdruck des Splits veränderte sich nicht. »Das war offensichtlich, aber es bekümmert uns sehr, Anthony. Wir haben noch soviel zu besprechen, Handelsabkommen, die Pacht von Stützpunkten in eurem Imperium …«

»Ja, ja, aber wir sind nicht ermächtigt, Verträge oder Handelsabkommen zu schließen«, wehrte Horvath ab. »Wirklich, wir haben doch schon viel erreicht. Leider müssen wir jetzt zurückkehren. Ihr wisst ja, auf der Mac Arthur war eine Seuche ausgebrochen, die für unsere Ärzte neu war, und wir kennen immer noch nicht den Ansteckungsherd oder den Vektor. Da dieses Schiff das einzige Mittel für uns ist, wieder heimzukommen, hat der Ad … halten es unsere Befehlsgeber für das beste, zurückzukehren, solange wir noch eine unverminderte Astrogationsmannschaft haben. Aber wir kommen wieder!«

»Wirst du selbst wiederkommen?« fragte das Split.

»Wenn es irgendwie möglich ist, gerne. Nichts würde ich lieber tun.« Es fiel ihm nicht schwer, das ehrlich klingen zu lassen.

»Du wirst uns willkommen sein. Alle Menschen sind uns willkommen. Wir setzen große Hoffnungen in den Handel zwischen unseren Rassen, Anthony. Es gibt so vieles, das wir voneinander lernen können. Wir haben auch Geschenke für euch — könnt ihr sie in eurem Schiff mitnehmen?«

»Also, das ist … ich danke euch … äh …« Horvath warf Kutuzov einen Blick zu. Der Admiral war am Rande seiner Beherrschung und schüttelte heftig den Kopf.

»Ich fürchte, es wäre unklug«, sagte Horvath betrübt. »Bis wir wissen, was jene Seuche verursacht hat, wäre es besser, wenn wir uns keiner neuen Ansteckungsgefahr aussetzten. Es tut mir sehr leid.«

»Mir auch, Anthony. Wir haben bemerkt, dass eure Techniker — wie soll ich es taktvoll ausdrücken? In vieler Hinsicht nicht ganz so effizient wie die unseren sind. Nicht genügend spezialisiert, vielleicht. Wir hatten beabsichtigt, dem mit unseren Geschenken ein wenig abzuhelfen.« »Ich … entschuldige mich einen Augenblick«, sagte Horvath. Er drehte sich zu Kutuzov um, nachdem er die Tonaufnahme abgeschaltet hatte. »Admiral, Sie können ein solches Angebot nicht zurückweisen! Dies könnte der bedeutungsvollste Augenblick in der Geschichte des Imperiums sein!«

Der Admiral nickte langsam. Seine dunklen Augen verengten sich. Dann sagte er schneidend. »Es ist aber auch zu bedenken, dass Splits, die das Langston-Feld und den Alderson-Antrieb besitzen, die schrecklichste Bedrohung in der Geschichte der Menschheit darstellen können, Minister Horvath.«

»Das weiß ich«, entgegnete Horvath hitzig. Er schaltete den Ton wieder ein. »Es tut mir leid, aber …«

Das Split unterbrach ihn. »Anthony, könnt ihr nicht unsere Geschenke studieren? Ihr könntet jede Art von Aufnahmen davon machen und sie so gut untersuchen, dass ihr sie später nachbauen könntet. Das wäre doch gewiss kein Risiko für Personen, die bereits auf Splitter Alpha gewesen sind?«

Horvaths Gedanken liefen auf Hochtouren. Das mussten sie haben! Wieder schaltete er die Tonübertragung ab und lächelte den Admiral widerwillig an. »Das Split hat recht, wissen Sie. Könnten wir die Sachen nicht in den Kutter bringen lassen?«

Kutuzov schien irgendeinen sauren Geschmack zu verspüren. Schließlich nickte er.

Horvath wandte sich erleichtert wieder dem Split zu. »Vielen Dank. Wenn ihr die Geschenke in den Kutter bringen möchtet, würden wir sie auf dem Flug hinaus studieren, und ihr könntet die Geschenke wie auch den Kutter, unser Geschenk an euch, in zweieinhalb Wochen am Narrenpunkt abholen.«

»Wunderbar«, sagte das Split freundlich. »Aber ihr werdet den Kutter nicht benötigen.

Eines unserer Geschenke ist ein Raumfahrzeug, dessen Instrumente für menschliche Hände und menschliches Denken entworfen wurden. Die anderen Sachen werden an Bord sein.« Kutuzov blickte überrascht auf und nickte rasch. Horvath registrierte es mit einem heimlichen Grinsen. »Das ist ausgezeichnet. Wir werden euch Geschenke mitbringen, wenn wir zurückkehren. Wir möchten uns sehr gerne für eure Gastfreundschaft erkenntlich zeigen …«

Admiral Kutuzov sagte etwas mit gesenkter Stimme. Horvath beugte sich von dem Vidimikrofon zu ihm herüber. »Fragen Sie nach den Kadetten«, befahl der Admiral.

Horvath schluckte und sagte: »Übrigens, habt ihr noch etwas von unseren Kadetten gehört?«

Die Stimme des Splits wurde bekümmert. »Wie wäre das möglich, Anthony? Sie sind bei ihrem Landungsversuch umgekommen, ihre Boote sind in der Atmosphäre verglüht. Wir haben euch doch Aufnahmen geschickt. Habt ihr sie nicht bekommen?«

»Äh … ich habe sie nicht gesehen«, antwortete Horvath. Das entsprach zwar der Wahrheit, machte es ihm aber nicht leichter, davon zu sprechen. Dieser verdammte Admiral glaubte aber auch gar nichts! Was dachte er denn, dass die Burschen irgendwo gefangen gehalten wurden — vielleicht sogar gefoltert wurden, um Informationen preiszugeben? »Es tut mir leid, aber man hat mich angewiesen, noch einmal zu fragen.«

»Das verstehen wir. Die Menschen sind sehr besorgt um ihre jungen Befehlsgeber. Wie die Splits auch. Unseren Rassen ist vieles gemeinsam. Es war schön, noch einmal mit dir zu sprechen, Anthony. Wir hoffen, dass ihr bald wiederkommt.«

Signallichter blitzten an den Instrumentenborden der Brücke auf. Admiral Kutuzov zog die buschigen Brauen hoch und hörte aufmerksam jemandem zu, den Horvath nicht verstehen konnte. Gleichzeitig wiederholte ein Sprecher die Meldung des Steuermannsmaats. »Alle Boote an Bord und festgemacht, Sir, Alles klar zum Start.«

Das hatte das Split offenbar mitbekommen. Es sagte: »Das Geschenkschiff ist durchaus imstande, euch einzuholen, wenn ihr nicht mit mehr als …« — eine kurze Pause trat ein, als das Split jemand anderem zuhörte — »mehr als drei eurer Grav-Einheiten beschleunigt.«

Horvath warf dem Admiral einen fragenden Blick zu. Der Offizier überlegte mit finsterer Miene, wollte schon etwas antworten, nickte jedoch dann nur. »Eineinhalb Grav auf diesem Flug«, informierte Horvath das Split. »Unsere Geschenke werden in fünf Stunden bei euch sein«, sagte das Split.

Abrupt erloschen die Schirme, und Horvaths Tonübertragungseinheit übertrug nichts mehr. Statt dessen vernahm der Minister Admiral Kutuzovs Stimme knapp an seinem Ohr. »Ich habe Meldung erhalten, dass ein Schiff von Splitter Alpha gestartet ist und mit eins komma sieben vier unserer Grav auf den Alderson-Punkt zufliegt. Dann sind das zwei Grav der Splits. Sie werden sie um eine Erklärung ersuchen, was dieses Schiff vorhat.« Die Stimme des Admirals war zwar ruhig, aber ihr Ton gestattete keinen Widerspruch.

Horvath räusperte sich und wandte sich dem wieder aufleuchtenden Schirm zu. Zögernd stellte er die Frage, besorgt, die Splits nun doch noch zu verärgern. »Kannst du mir das sagen?« Schloss er.

»Gewiss«, erwiderte das Split sofort. »Ich habe es übrigens eben selbst erst erfahren.

Die Meister haben unsere Botschafter an das Imperium euch mit diesem Schiff nachgeschickt. Es sind drei, und wir ersuchen euch, sie in die Kaiserliche Hauptstadt zu bringen, wo sie unsere Rasse vertreten sollen. Sie haben jede Vollmacht, für uns zu verhandeln.«

Kutuzov holte tief Luft. Sein Gesicht war rot angelaufen, so sehr bemühte er sich um Beherrschung. Sehr leise, so dass das Split ihn nicht hören konnte, sagte er: »Sagen Sie ihnen, das müssten wir erst besprechen. Kapitän Michailov, wir beschleunigen sobald als möglich.«

»Aye, aye, Sir.«

»Wir brechen jetzt auf«, erklärte Horvath dem Split. »Ich … wir — wir müssen diese Angelegenheit mit den Botschaftern noch besprechen. Es kam so überraschend — ich hatte gehofft, du selbst würdest kommen. Wird eines unserer Fjunch(klick)s unter den Botschaftern sein?« Er sprach hastig, denn hinter ihm ertönten bereits die Beschleunigungswarnungen.

»Ihr werdet Zeit genug haben, alles zu besprechen«, versicherte ihm das Split. »Nein — kein Split-Botschafter dürfte sich mit einem einzelnen Menschen identifizieren; sie müssen unsere Rasse vertreten. Das werdet ihr doch sicher verstehen? Diese drei wurden so ausgewählt, dass sie unsere verschiedenen Standpunkte repräsentieren; bei Übereinstimmung sind sie also qualifiziert, Verpflichtungen für alle Splits einzugehen. In Anbetracht der Seuchengefahr erwarten sie, unter Quarantäne gestellt zu werden, bis ihr sicher seid, dass sie eure Gesundheit nicht gefährden …« Ein lautes Warnsignal schrillte durch die Lenin. »Leb wohl, Anthony. Ihr alle, lebt wohl. Und kommt bald wieder.«

Das letzte Warnsignal ertönte, und die Lenin nahm mit einem sanften Ruck Fahrt auf.

Horvath starrte noch eine Weile auf den leeren Schirm, während die anderen hinter ihm eine aufgeregte Diskussion begannen.

40 Abschied

Seiner Kaiserlichen Majestät Schlachtschiff der Präsidentenklasse, die Lenin, war so voll besetzt wie noch nie. Die Mannschaft der Mac Arthur und die Wissenschaftler der Expedition mussten untergebracht werden. Raummaate benutzten die Hängematten im Turnus ihrer Diensteinteilung. Infanteristen schliefen in den Gängen, und Offiziere mussten sich zu dritt oder mehr in Kabinen teilen, die nur für einen eingerichtet waren.

Im Hangardeck waren Kisten und Behälter voller Split-Produkte verstaut, die man von der Mac Arthur gerettet hatte. Kutuzov bestand darauf, den Hangarraum unter Vakuum zu lassen, rundum die Uhr bewacht von Infanterieposten, die regelmäßige Inspektionen durchzuführen hatten. Es gab keinen Ort mehr auf dem Schiff, an dem sich die gesamte Besatzung hätte versammeln können.

Selbst wenn es noch einen solchen Versammlungsort gegeben hätte, wäre er nicht benutzt worden. Die Lenin würde den Gefechtszustand beibehalten, bis sie das Splitter-System verlassen hatte. Das galt auch für die Totenandacht, die David Hardy und der Kaplan der Lenin, George Alexis, hielten. Beiden war diese Situation nichts Neues; obwohl es Brauch war, dass sich die Besatzung eines Schiffs versammelte, wenn es die Umstände zuließen, wurden die Bestattungsandachten nur zu oft abgehalten, während das Schiff noch im Gefechtszustand war. Als er eine schwarze Stola umlegte und sich dem Messbuch zuwandte, das ihm ein Maat geöffnet hinhielt, überlegte David Hardy, ob er wohl viel öfter ein Requiem in dieser Weise als vor versammelter Besatzung gehalten hatte. Ein Trompetensignal hallte durch die Lenin. »Alle Mann, Achtung«, befahl der Oberbootsmann ruhig.

»Gewähre ihnen die ewige Ruhe, o Herr«, intonierte Hardy.

»Und das ewige Licht leuchte ihnen«, antwortete Alexis. Alle, die lange genug der Flotte angehört hatten, waren mit jedem Satz der Andacht vertraut.

»Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt der Herr. Wer da an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er tot ist: wer da lebt und an mich glaubt; wird niemals sterben.«

Die Andacht nahm ihren Fortgang, und die Leute sprachen an ihren Posten die Responsorien mit — ein leises Murmeln, das durch das ganze Schiff lief.

»Ich hörte eine Stimme vom Himmel, die zu mir sprach: Schreibe. Hinfort sind gesegnet die Toten, die im Herrn sterben: so sprach der Geist; denn sie ruhen von ihren Mühen.«

Ruhen, dachte Rod. Wenigstens das bleibt den Jungen, Ruhe. Es fröstelte ihn. Da hab’ ich schon so viele Schiffe vernichtet gesehen, und so viele Männer hab’ ich befehligt, die Hunderte Parsek von daheim umgekommen sind. Warum hat es mich diesmal so getroffen? Er atmete tief ein, aber der Druck in seiner Brust wich nicht.

Überall in der Lenin wurde nun die Beleuchtung gedämpft, und der Chor der Kaiserlichen Raumflotte sang auf einer Tonaufzeichnung eine Hymne, in die die Männer der Besatzung einstimmten — uralte Worte, Worte, die Jahrtausende überdauert hatten.

Glaube ich das alles eigentlich? fragte sich Rod. Hardy schon, man braucht nur sein Gesicht zu sehen. Und Kelley, der bereitstand, seine Kameraden durch die Torpedorohre in den Weltraum zu schleudern. Warum kann ich nicht so glauben wie sie? Oder tue ich es? Ich habe es immer angenommen. Dieses Universum muss doch irgendeinen Sinn haben. Schaut euch nur Bury an; dies ist nicht einmal seine Religion, und trotzdem berührt es ihn. Ich frage mich, was er denkt.

Horace Bury starrte gebannt die Torpedorohre an. Vier Körper und ein Kopf! Der Kopf eines Soldaten, den die Minis in ihrem Trojanischen-Pferd-Anzug benutzt hatten. Bury hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen, in einer Wolke von Eiskristallen und zappelnden, sterbenden Minis dahinwirbelnd. Er erinnerte sich an ein markantes Kinn, einen breiten, schlaffen Mund, glitzernde tote Augen. Allah sei ihnen gnädig, und mögen Seine Legionen Vernichtung über die Welten des Splitters bringen …

Sally trägt es besser als ich, dachte Rod, und dabei ist sie Zivilist. Wir hatten beide diese Jungen gern … Warum bekümmert mich das Los der anderen nicht so? Fünf Soldaten getötet, beim Versuch, die Zivilisten herauszuholen. Es wäre nicht so schlimm, wenn die Kadetten während der Kampfhandlungen umgekommen wären. Ich habe mit Verlusten gerechnet, als ich den Rettungstrupp mit dem Kutter hinschickte. Ich war gar nicht sicher, dass die Burschen überhaupt je wieder aus der Macherauskommen würden. Aber das haben sie geschafft, sie waren so gut wie in Sicherheit!

»Dem Allmächtigen Gott empfehlen wir die Seelen unserer dahingeschiedenen Brüder, und ihren Leib übergeben wir den Tiefen des Alls, in der gewissen und sicheren Hoffnung auf die Auferstehung und ein ewiges Leben durch unseren Herrn Jesus Christus, der da wiederkehren wird in Glanz und Herrlichkeit, zu richten die Welten; dann werden die Meere ihre Toten ausspeien und die Tiefen ihre Last …«

Kelley drückte die Schalter herunter, und ein leises Wuuusch ertönte, noch einmal — drei, vier, fünf. Nur vier Körper und ein Kopf gefunden, von siebenundzwanzig Toten und Vermissten.

»Alle Mann, Ach-tunnk!«

»Feuer!«

Und was werden die Splits davon halten? überlegte Rod. Drei Breitseiten, in den leeren Raum abgefeuert — bis auf die letzte Salve, die die draußen schwebenden sterblichen Überreste pulverisieren würde. Der Admiral hatte darauf bestanden, und niemand hatte Einwände erhoben.

Dann bliesen die Trompeter der Lenin und der Mac Arthur gemeinsam den Zapfenstreich; die leisen Alttöne verhallten, und einen Augenblick lang war es still im Schiff.

»Alle Mann, wegtreten!«

Die Offiziere verließen schweigend den Torpedoraum. Die Lichter in den Korridoren wurden wieder heller, und überall eilten Männer auf ihre Posten zurück oder in die vollgestopften Freizeiträume. Der Flottenalltag geht weiter, dachte Rod. Auch Bestattungsandachten sind Teil des Reglements. Für alles gibt es Vorschriften: Geburt an Bord eines Schiffs, Registrierung der …; Bestattung, mit oder ohne Leichen; und auch Vorschriften für Kapitäne, die ihr Schiff verlieren. Für sie schreibt das Reglement eine Verhandlung vor dem Kriegsgericht vor.

»Rod. Einen Augenblick, Rod, bitte.« Rod blieb auf Sallys Ruf hin stehen. Mitten auf dem Gang standen sie einander gegenüber, während die anderen Offiziere und Leute der Besatzung an ihnen vorbeiströmten. Rod wollte sich ihnen anschließen, wollte zurück in die Einsamkeit seiner Kabine, wo ihn niemand fragen würde, was auf der Mac Arthur geschehen war. Aber hier stand nun Sally vor ihm, und irgend etwas in seinem Innern wollte mit ihr reden dürfen, oder nur einfach in ihrer Nähe sein …

»Rod, Dr. Horvath sagt, die Splits haben Botschafter geschickt, die uns am Narrenpunkt treffen sollen, aber Admiral Kutuzov will sie nicht an Bord lassen! Ist das richtig?«

Verdammt! dachte er. Schon wieder die Splits, immer die Splits — »Ja, das stimmt.« Er wandte sich ab.

»Rod, warte! Wir müssen etwas tun! Rod, wohin willst du?« Sie starrte seinem davoneilenden Rücken nach. Was hab’ ich nur angestellt? fragte sie sich.


Blaines Tür war geschlossen, aber das Kontrolllicht zeigte an, dass sie nicht versperrt war. Kevin Renner zögerte, klopfte schließlich. Nichts rührte sich. Er wartete einen Augenblick lang und klopfte nochmals.

»Herein.«

Renner öffnete die Tür. Es kam ihm seltsam vor, in Blaines Kabine einfach so hineinspazieren zu können: kein Infanterieposten, der davor Wache hielt, nichts mehr von der eindrucksvollen Atmosphäre der Befehlsgewalt, die den Kommandanten eines Schiffs umgibt. »Hallo Käptn. Darf ich ein bisschen reinkommen?«

»Bitte. Möchten Sie etwas trinken?« Es war deutlich, dass Blaine alles egal war. Er schaute Renner nicht einmal an, und Kevin fragte sich, ob er diese Geste der Höflichkeit vielleicht ernst nehmen sollte. Er konnte um einen Drink bitten …

Nein. Nur immer schön langsam. Renner setzte sich und blickte sich um. Blaines Kabine war nicht groß. Hätte die Lenin Geschütztürme besessen, dann wäre ein Turmabteil etwa so groß gewesen. Es gab nur vier Männer und eine Frau an Bord, denen Einzelkabinen zugebilligt wurden, und Blaine nutzte seine kostbare Ellbogenfreiheit kaum aus. Er schien seit Stunden auf diesem Sessel zu sitzen, wahrscheinlich seit Ende der Trauerfeier. Umgezogen hatte er sich jedenfalls nicht. Er hatte eine von Michailovs Paradeuniformen ausborgen müssen, und sie passte ihm überhaupt nicht.

Schweigend saßen die beiden Männer da, und Blaine starrte in die Tiefen irgendeines inneren Raum-Zeit-Kontinuums, in das ihm sein Besucher nicht zu folgen vermochte.

»Ich hab’ mir Buckmans Arbeit angeschaut«, sagte Renner schließlich auf gut Glück. Mit irgend etwas musste er ja anfangen, und vermutlich besser nicht mit den Splits.

»Oh? Wie sieht sie aus?« fragte Blaine höflich und desinteressiert.

»Das Zeug geht über meinen Horizont. Er behauptet, beweisen zu können, dass sich im Kohlensack ein Protostern bildet. In tausend Jahren soll das Ding eigenes Licht ausstrahlen. Naja, mir kann er das nicht beweisen, weil mir einfach die Mathematik fehlt.«

»Aha.«

»Wie geht’s Ihnen eigentlich?« Renner machte keine Miene, sich durch einsilbige Antworten vertreiben zu lassen. »Muss doch angenehm sein, mal von allen Pflichten ausspannen zu können.«

Endlich schaute Blaine mit gequältem Blick auf. »Kevin, warum haben die Jungen eine Landung versucht?«

»Herrgott, Käptn, das ist einfach Unfug. Sie hätten nie so was versucht.«

Menschenskind, er kann nicht mal mehr gerade denken. Das wird schwieriger werden, als ich mir’s vorgestellt habe.

»Dann sagen Sie mir doch, was geschehen ist.«

Renner schaute betroffen auf, aber Blaine meinte es offensichtlichernst. »Käptn, das Schiff wimmelte von Heinzelmännchen — an allen Plätzen, wo normalerweise keiner hinkam. Sie müssen ziemlich bald in die Rettungsbootkammer gekommen sein. Wenn Sie ein Split wären, wie würden Sie ein Rettungsboot umbauen?«

»Perfekt.« Blaine lächelte tatsächlich. »Das ist eine Fangfrage, die selbst jemand in meinem Zustand nicht mehr übersehen kann.«

»Also einen Augenblick lang war ich mir da nicht so sicher.« Renner grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Nein, was ich sagen wollte, ist das: sie bauen immer entsprechend der neuen Situation um. Mitten im Raum würde das Boot abbremsen und ein automatisches Hilfegebrüll loslassen. In der Nähe eines Gasriesen würde es in Umlaufbahn gehen. Alles automatisch, wohlgemerkt, denn die Insassen könnten verletzt oder bewusstlos sein. In der Nähe einer bewohnbaren Welt würde das Boot landen.«

»Eh?« Blaine zog die Brauen zusammen. In seine Augen kam ein Funke Leben. Renner hielt den Atem an.

»Na gut, aber, Kevin, was ist schiefgegangen? Wenn die Heinzelmännchen die Boote in den Fingern hatten, dann müssen sie sie fehlerlos umgebaut haben. Außerdem musste es Steuerinstrumente geben; das Boot kann einen nicht einfach zur Landung zwingen.«

Renner zuckte die Achseln. »Können Sie die Instrumentenborde der Splits auf einen Blick verstehen? Ich nicht, und ich bezweifle, dass die Kadetten es konnten. Die Heinzels aber hätten es von ihnen erwartet. Kapitän, vielleicht waren die Boote noch nicht fertig, oder sie wurden in einem Feuergefecht beschädigt.«

»Vielleicht …«

»Es gibt noch eine Menge Vielleichts. Vielleicht waren sie für Minis gebaut. Die Jungens hätten sich dann reinzwängen und ein Dutzend fünfzehn-Zentimeter-Minidruckliegen oder so was rausreißen müssen. Und sie hatten nicht viel Zeit, wo doch die Torpedos in drei Minuten hochgehen sollten.«

»Diese verdammten Torpedos! Die Gehäuse waren vermutlich voll Minis samt Rattenzucht, nur hätte jemand nachsehen müssen!«

Renner nickte. »Aber wer hätte auf den Gedanken kommen sollen?«

»Ich.«

»Warum?« Renner fragte es allen Ernstes. »Boss, das ist doch …«

»Ich bin nicht mehr Ihr Boss.«

Aha! dachte Renner. »Jawohl, Sir. Trotzdem, kein Mann in der ganzen Flotte hätte daran gedacht. Niemand. Ich hab genauso wenig Ahnung gehabt. Selbst der Zar war mit Ihrer Ungeziefervernichtungsaktion zufrieden, oder? Alle waren’s. Wozu zum Teufel soll es jetzt gut sein, dass Sie allein sich für einen Fehler die Schuld geben, den wir alle gemacht haben?«

Blaine schaute Renner an und wunderte sich ein wenig. Das Gesicht des Chefnavigators war leicht rot angelaufen. Weshalb regt er sich eigentlich so auf? »Da ist noch etwas«, sagte Rod. »Angenommen, die Rettungsboote waren fehlerfrei konstruiert.

Angenommen, die Jungens haben eine perfekte Landung hingelegt, und die Splits haben gelogen.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Renner zu. »Aber glauben Sie das wirklich?«

»Nein. Aber ich wünschte, ich könnte sicher sein.«

»Das könnten Sie vielleicht, wenn Sie die Splits besser kennenlernen. Studieren Sie die Aufzeichnungen. Wir haben Unmengen davon auf diesem Schiff, und Sie haben genug Zeit. Sie müssen sich mit den Splits befassen. Sie sind der bedeutendste Fachmann der Flotte auf diesem Gebiet.«

»Ich?« Rod lachte. »Kevin, ich bin in keiner Weise ein Fachmann. Das erste, was ich nach unserer Heimkehr werde tun müssen, ist, ein Kriegsgericht davon zu überzeugen, dass …« »Ach, scheiß auf das Kriegsgericht«, sagte Renner unwirsch. »Wirklich, Käptn, zerbrechen Sie sich etwa den Kopf wegen dieser blöden Formalität? Herrgott!«

»Und worüber sollte ich mir Ihrer Ansicht nach den Kopf zerbrechen, Leutnant Renner?«

Kevin grinste. Immer noch besser, Blaine ordentlich auf die Palme zu bringen, als ihn seiner Trübsal zu überlassen. »Oh, zum Beispiel darüber, warum Sally heute Nachmittag so niedergeschlagen ist — ich glaub, sie ist gekränkt, weil Sie böse auf sie sind. Darüber, was Sie sagen wollen, wenn Kutuzov und Horvath sich wegen der Split-Botschafter in die Haare kriegen. Über Unruhen und Aufstände auf den Kolonialwelten, über den Preis von Iridium oder die Kroneninflation …«

»Renner, halten Sie, zum Kuckuck nochmal, den Mund!«

Kevins Grinsen wurde breiter. »… oder wie Sie mich aus Ihrer Kabine rausbringen.

Käptn, sehen Sie die Sache doch mal so an. Angenommen, das Gericht befindet Sie einer Nachlässigkeit schuldig. Bestimmt nicht mehr. Sie haben ja Ihr Schiff nicht dem Feind ausgeliefert oder so was. Aber nehmen wir mal an, sie haben’s wirklich auf Ihren Skalp abgesehen und Sie legen Ihnen das zur Last. Das schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist, dass Sie kein Schiff mehr kriegen. Sie könnten Sie nicht mal rausschmeißen. Also werden Sie an Land gesetzt, na, und dann gehen Sie in Pension und werden der Zwölfte Marquis de Crucis.«

»Schön. Na und?«

»Na und?« Renner wurde plötzlich wütend. Seine Brauen zogen sich zusammen, und er ballte eine Faust. »Na und? Hören Sie, Käptn, ich bin nur ein Handelsschiffer. Alle meine Leute sind das gewesen, und mehr wollte keiner in meiner Familie werden. Ich hab mich für ’ne Zeit zur Flotte verpflichtet, weil das bei uns üblich ist — kann sein, dass wir’s bei uns zu Hause nicht so sehr mit dem Imperialismus haben wie Sie in der Hauptstadt, aber das kommt zum Teil daher, weil wir uns daraufverlassen, dass ihr Aristokraten eure Pflicht tut. Wir tun unsere, und wir erwarten, dass ihr Leute mit den ganzen Vorrechten eure tut!«

»Also …« Blaine war etwas verdattert über Renners Ausbruch. »Was sehen Sie eigentlich als meine Pflichten an?«

»Was schon?! Sie sind der einzige Aristokrat im ganzen Imperium, der eine Ahnung von den Splits hat, und Sie fragen mich, was Sie tun sollen? Käptn, ich finde, Sie sollten endlich mal Ihren Arsch in Bewegung setzen — Sir! Das Imperium muss eine vernünftige Politik in Bezug auf die Splits entwickeln, und der Einfluss der Flotte ist groß — Sie können doch nicht wollen, dass die Admiralität Kutuzovs Standpunkt übernimmt!

Sie könnten zuerst mal über diese Split-Botschafter nachdenken, die der Admiral hier draußen sitzen lassen möchte.«

»Hol mich der Teufel — Sie geraten ja ganz schön in Saft über diese Sache, oder?«

Renner grinste. »Naja, ein bisschen. Schauen Sie, Sie haben doch genug Zeit. Reden Sie mit Sally über die Splits. Sehen Sie nochmal die Berichte durch, die wir von Alpha heraufschickten. Informieren Sie sich, damit Sie, wenn der Admiral Sie um Rat fragt, mit ein paar vernünftigen Argumenten aufwarten können. Wir müssen diese Botschafter mit uns heim nehmen …«

Rod verzog das Gesicht. Splits in ein zweites Schiff lassen! Herrgott …

»Und hören Sie auf, solche Sachen zu denken«, sagte Renner. »Sie werden nicht ausrücken und sich über die ganze Lenin vermehren. Zunächst mal hätten sie keine Zeit dazu. Denken Sie mal darüber nach Sir. Der Admiral wird auf Sie hören. Gegen Horvath hat er was, alles, was der Doktor je vorschlägt, wird der Zar ablehnen, aber Sie wird er anhören …«

Rod schüttelte ungeduldig den Kopf. »Sie tun so, als ob mein Urteil noch etwas wert wäre. Die Umstände sprechen dagegen.«

»Du lieber Himmel. Wie kann man nur so Trübsal blasen? Wissen Sie nicht, was Ihre Offiziere und Männer von Ihnen halten? Können Sie sich das gar nicht vorstellen?

Teufel, Käptn, es sind doch bloß Burschen wie Sie, die mich mit dem Klüngel dieser ganzen Aristokratie versöhnen …« Kevin brach verlegen ab, als er merkte, dass er mehr gesagt hatte, als er vorgehabt hatte. »Schauen Sie, der Zar muss Sie um Ihre Meinung fragen. Er muss nicht nach Ihrem oder Horvaths Rat handeln, aber er muss Sie beide fragen. Das steht in den Expeditionsbefehlen …«

»Woher zum Teufel wissen Sie das?«

»Käptn, meine Abteilung hatte die Aufgabe, die Logbücher und Order-Dokumente aus der Mac Arthur zu retten, haben Sie das vergessen? Naja, und das Zeug ist nicht streng geheim …«

»Und ob es das ist!«

»Nun, vielleicht war das Licht ’n bisschen schlecht, und ich hab die GEHEIM-Stempel nicht bemerkt. Außerdem musste ich mich ja vergewissern, dass wir die richtigen Sachen hatten, nicht? Auf jeden Fall weiß Dr. Horvath alles über diese Bestimmung. Er wird sicher auf einer Konferenz bestehen, bevor Kutuzov die endgültige Entscheidung wegen der Botschafter trifft.«

»Ich verstehe.« Rod massierte sich den Nasenrücken. »Kevin, wer hat Sie eigentlich hergeschickt? Horvath?«

»Natürlich nicht. War mein eigener Einfall.« Renner zögerte. »Na, ein bisschen ermutigt wurde ich schon, Käptn.« Er wartete, ob Blaine dazu etwas zu sagen hatte, erntete jedoch nur einen leeren Blick. Renner schnaubte und schüttelte den Kopf. »Manchmal wundere ich mich, dass die Aristokratie noch nicht ausgestorben ist, wo ihr Leute in gewissen Dingen so schrecklich vernagelt seid. Warum machen Sie nicht Sally einen Besuch? Sie sitzt allein in ihrer Kabine über Aufzeichnungen und Büchern, die sie im Moment überhaupt nicht interessieren, und macht eine trübselige Miene …« Renner stand unvermittelt auf. »Sie könnte ein bisschen Aufheiterung gebrauchen.« »Sally?

Bekümmert um …«

»Ach, du lieber Himmel«, knurrte Renner wieder, drehte sich um und marschierte hinaus.

41 Das geschenkte Schiff

Mit eineinhalb Ge näherte sich die Lenin dem Narrenpunkt, ebenso wie das Geschenkschiff, das längst aufgeholt hatte.

Das Schiff hatte die Form eines abgerundeten Zylinders mit einem leichten Wulst vorne, wo die mit Sichtpaneelen versehene Pilotenkanzel lag. Sally Fowler und Kaplan Hardy amüsierten sich höchlichst über den plumpen Phallizismus, den sonst niemand bemerkt hatte, wie es schien.

Kutuzov Hasste das Geschenkschiff. Das Problem der Split-Botschafter ließ sich erledigen, indem er sich einfach an seine Befehle hielt, während es mit diesem Schiff beileibe nicht so einfach war. Es hatte die Lenin eingeholt, in einem Abstand von drei Kilometern die Geschwindigkeit angeglichen, und der Lenin eine freundliche Nachricht übermittelt, während Kutuzovs Geschützmannschaften es ständig im Visier behielten und sich ziemlich hilflos vorkamen. Kutuzov redete sich ein, dass es nicht groß genug war, um eine Waffe zu enthalten, die das Feld der Lenin zu durchdringen vermochte.

Er hatte noch einen anderen Grund, dieses Schiff zu hassen. Es brachte ihn in Versuchung, seine Befehle zu missachten. Die Freiwilligen aus der Besatzung der Mac Arthur, die an Bord gingen, um es zu untersuchen, waren begeistert über nahezu alles daran. Die Steuerinstrumente ähnelten denen eines Flottenkutters, aber der Antrieb war der übliche Fusionsantrieb der Splits, ein langer, schlanker Stachel, der einen Plasmastrom dirigierte, mit einem Wirkungsgrad, der Kutuzov den Mund wässern machte. Es gab noch andere höchst wertvolle Details — kurz, Admiral Lawrenti Kutuzov hätte dieses Schiff nur zu gerne mitgenommen.

Aber er hatte Angst, es in die Nähe seines eigenen Schiffs kommen zu lassen.


Nachdem die Flottenoffiziere es untersucht hatten, durften die Zivilisten an Bord. All dieses Hin und Her ließ das fadenscheinige Märchen von der Seuche auf der Mac Arthur immer weniger glaubhaft erscheinen, und Kutuzov wusste das recht gut; zumindest würde er keinem Split eine Erklärung abgeben müssen. Er hatte nicht die Absicht, auch nur ein Wort mit ihnen zu reden. Mochte Horvath ihm ruhig die Expeditionsbefehle zitieren und einen Kriegsrat verlangen. Solange Kutuzov lebte, würde es keine Fremden an Bord der Lenin geben. Dieses Schiff allerdings …

Er musterte es, wie es da unschuldig vor ihm auf den Bildschirmen schwebte. Ein Raumtaxi brachte eben Wissenschaftler hinüber. Sie waren für die Trauerandacht zur Lenin zurückgekehrt und eilten jetzt wieder zu ihrem neuen Spielzeug.

Jeder neue Bericht zeigte, dass es voller technischer Wunder steckte, die von ungeheurem Wert für das Imperium waren. Aber konnte er wagen, es an Bord zu nehmen? Es war sinnlos, andere um Rat zu fragen. Kapitän Blaine hätte ihm eine Hilfe sein können, aber er war jetzt ein gebrochener Mann, der im Bewusstsein seines Versagens dahindämmerte, nutzlos, jetzt, da sein Rat vonnöten gewesen wäre. Horvath hegte blindes Vertrauen in die guten Absichten sämtlicher Splits. Und dann war da noch Bury, der von ebenso blindem Hass gegen alles erfüllt war, was mit den Splits zusammenhing, obwohl eigentlich alle Informationen darauf hindeuteten, dass die Splits freundlich und harmlos waren.

»Wahrscheinlich sind sie das« murmelte Kutuzov. Horace Bury blickte fragend auf. Er hatte mit dem Admiral auf der Brücke Tee getrunken und das Geschenkschiff begutachtet. »Wahrscheinlich sind die Splits freundlich und harmlos«, wiederholte Kutuzov.

»Das können Sie doch nicht glauben!« protestierte Bury.

Kutuzov zuckte die Achseln. »Wie ich schon den anderen gesagt habe, ist es nicht von Belang, was ich glaube. Ich habe die Aufgabe, der Regierung ein Maximum an Informationen zu verschaffen. Da wir nur mehr ein Schiff haben, würde ein Verlust den Verlust sämtlicher Informationen bedeuten. Andererseits wäre dieses Raumboot der Splits sehr wertvoll, meinen Sie nicht auch, Exzellenz? Was würden Sie der Admiralität für die Lizenz bezahlen, Schiffe mit einem solchen Antrieb herzustellen?«

»Ich würde sehr viel mehr dafür bezahlen, dass der Split-Gefahr für alle Zeiten ein Ende gemacht wird«, sagte Bury ernst.

»Hmm.« Der Admiral war versucht, ihm zuzustimmen. Im Sektor Trans-Kohlensack gab es schon genug Probleme. Nur der Himmel mochte wissen, wie viele Kolonien jetzt wieder revoltierten, wie viele freie Welten sich gegen das Imperium zusammenschlössen; fremde Intelligenzen waren eine Komplikation, die die Admiralität keineswegs brauchen konnte. »Aber bedenken Sie doch — die Technologie. Die Handelsmöglichkeiten. Ich hätte gedacht, das müsste Sie doch besonders interessieren.«

»Wir können ihnen nicht trauen«, sagte Bury. Er bemühte sich sehr, ruhig zu sprechen.

Der Admiral achtete Männer gering, die ihre Gefühle nicht zu beherrschen vermochten.

Bury verstand ihn sehr gut — sein Vater war auch so gewesen.

»Admiral, sie haben unsere Kadetten getötet. Sie glauben doch sicher nicht an dieses Märchen vom Verglühen während des Wiedereintritts? Und sie haben diese kleinen Bestien in der Mac Arthur losgelassen — beinahe wäre es ihnen gelungen, sie auch auf die Lenin zu bringen.« Der Handelsherr schauderte unmerklich. Kleine, glitzernde Augen — und so knapp war es gewesen … »Sie werden doch sicher nicht diese Wesen in das Imperium lassen. Oder an Bord Ihres Schiffs.« Gedankenlesende Ungeheuer.

Telepathen oder nicht, sie konnten Gedanken lesen. Bury kämpfte seine wachsende Verzweiflung nieder: wenn sogar Admiral Kutuzov begann, den Lügen dieser Wesen zu glauben, welche Hoffnung blieb dann noch dem Imperium? Die neue Technologie würde die Imperial Traders Association, die Händlervereinigung, reizen wie nichts zuvor, und nur die Admiralität hatte genug Macht, um Forderungen der ITA nach Handelsbeziehungen niederzuschlagen. Beim Barte des Propheten, etwas musste unternommen werden! »Ich frage mich, ob nicht Dr. Horvath Sie all zu sehr beeinflusst?« erkundigte sich Bury höflich.

Der Admiral verzog das Gesicht, und Horace Bury lächelte hinter seiner ausdruckslosen Miene. Horvath. Er war der Hebel. Man brauchte nur Horvath gegen den Admiral auszuspielen. Irgend jemand musste ja etwas unternehmen …


Anthony Horvath fühlte sich in diesem Augenblick trotz der Beschleunigung von 1,5 Ge rundherum zufrieden und glücklich. Das Geschenkschiff war geräumig, und es besaß unter seinen zahllosen Wundern auch etliche wohlerwogene Luxusnuancen. Zum Beispiel die Dusche mit einem halben Dutzend drehbarer Brauseköpfen auf allen Seiten und einem Molekularsieb zur Wiederaufbereitung des Wassers. Dann gab es einen Vorrat von tiefgekühlten Split-Gerichten, die nur noch in den Mikrowellenherd geschoben werden mussten. Selbst kulinarische Fehlschläge waren … nun ja, interessant. Es gab Kaffee, der zwar synthetisch, aber gut war, und ein gutbestücktes Weinlager. Zu seiner Zufriedenheit trug auch bei, dass sich die Lenin samt Kutuzov in ausreichender Entfernung befand. An Bord des Kriegsschiffes waren die Menschen zusammengepfercht wie Container im Lagerraum eines Frachtschiffs, mussten sich Kabinen teilen oder in den Gängen schlafen, während Horvath hier jegliche Bewegungsfreiheit und Ruhe hatte. Er zog das Mikrofon näher heran und begann wieder mit dem Diktieren seiner Beobachtungen, nachdem er noch einmal zufrieden geseufzt hatte. So ließ es sich leben …

»Die meisten Produkte der Splits haben mehrfache Anwendungsmöglichkeiten«, sprach er in seinen Taschencomputer. »Dieses Schiff ist per se ein Intelligenztest, beabsichtigt oder nicht: die Splits werden auf jeden Fall viel über unsere Fähigkeiten lernen, indem sie beobachten, wie lange unsere Leute brauchen, um mit dem Antrieb richtig umzugehen. Die Braunen natürlich hätten die Sache in höchstens einer Stunde durchschaut, nehme ich an — aber, um gerecht zu sein, ein Braunes könnte sich auch ohne Schwierigkeiten tagelang auf die Instrumente konzentrieren. Menschen, die intelligent genug sind für solche Aufgaben, würden das unerträglich langweilig finden.

Deshalb hat es sich bei uns zum Beispiel eingebürgert, dass einfache Besatzungsmitglieder Wache stehen, während ihre Offiziere nur irgendwie erreichbar sein müssen, um etwaige auftretende Probleme zu lösen. Das führt dazu, dass wir langsamer reagieren und mehr Leute für Aufgaben benötigen, die einzelnen Splits sehr leicht fallen würden.

Wir haben aber auch viel von den Splits über sie selbst erfahren. So zum Beispiel setzen wir Menschen zur Unterstützung automatischer Systeme ein, obwohl wir manchmal überhaupt auf die Automation verzichten, um den Menschen, die für Notfälle zu Verfügung stehen müssen, ansonsten aber nicht gebraucht werden, einen Dauerposten bieten zu können. Die Splits scheinen uns demnach in Computertechnologie unterlegen zu sein, und sie automatisieren sehr selten etwas.

Statt dessen setzen sie eine oder mehrere Unterarten als biologische Computer ein, von denen sie ja anscheinend eine ausreichende Zahl zur Verfügung haben. Diese Möglichkeit steht uns Menschen nicht offen.« Er brach ab, um nachzudenken, und blickte sich in der Kabine um. »Ah ja. Da wären noch diese Statuetten zu erwähnen.«

Horvath nahm eine in die Hand und lächelte. Er hatte sie wie Spielzeugsoldaten auf dem Tisch vor sich aufgebaut: ein Dutzend Split-Kleinplastiken aus einem durchsichtigen Kunststoff. Die inneren Organe waren in allen Einzelheiten und Farbtönen zu erkennen.

Er musterte die Figürchen noch einmal befriedigt, dann verzog er das Gesicht. Die musste er mitnehmen.

Tatsächlich bestand keine Notwendigkeit dazu, das gestand er sich insgeheim wohl ein.

Der Kunststoff war nichts Besonderes, und die Statuetten hatte man schon in allen Details vermessen und abgebildet. Jeder gute Plastikgussautomat zu Hause konnte darauf programmiert werden, Tausende pro Stunde herzustellen — wahrscheinlich waren diese Exemplare ja auch Massenproduktion. Aber sie waren fremdartig und Geschenke obendrein, und er wollte sie für seinen Schreibtisch haben, oder wenigstens für das Museum von Neuschottland. Sollte sich Sparta doch einmal mit Kopien begnügen!

Die meisten der Gestalten konnte er auf den ersten Blick identifizieren: Techniker, Vermittler, Meister; der mächtige Träger-Typ; ein viel zu muskulöser Techniker-Typ mit breiten, stummelfingrigen Händen und großen Plattfüßen, vermutlich ein Landarbeiter.

Ein kleiner Bastler (diese verdammten Heinzelmännchen! Doch der Admiral, der die Splits nicht bei ihrer Vernichtung helfen lassen wollte, war doppelt zu verdammen). Es gab auch einen kleinköpfigen, schlankfingrigen Arzt. Daneben stand der hagere Läufer, der ganz aus Beinen zu bestehen schien — Horvath zog wieder seinen Computer heran und begann zu sprechen.

»Der Kopf des Läufers ist klein, aber seine Stirn deutlich gewölbt. Ich bin der Ansicht, dass der Läufer nicht intelligent ist, jedoch ein so weit ausgebildetes Sprachzentrum besitzt, dass er sich Botschaften merken und sie wiedergeben kann. Wahrscheinlich kann er einfache Anweisungen ausführen. Der Läufer hat sich vielleicht als spezialisierter Nachrichtenüberbringer entwickelt, bevor die Zivilisation das Stadium des Telefons erreichte, und wird jetzt eher aus traditionellen als praktischen Gründen eingesetzt. Aus der Hirnstruktur ist ziemlich eindeutig zu erkennen, dass der Bastlertyp dagegen niemals imstande ist, sich Botschaften zu merken oder zu überbringen. Die Parietallappen sind nur sehr schwach entwickelt.« Reicht das, Kutuzov?

»Diese Statuetten sind ungeheuer detailliert ausgebildet. Sie lassen sich auseinandernehmen, so dass auch innere Einzelheiten sichtbar werden. Obwohl wir die Funktion der meisten inneren Organe noch nicht kennen, lässt sich wohl mit Sicherheit sagen, dass die Aufgabenverteilung ganz anders aussehen wird als die menschlicher Organe; es wäre sogar möglich, dass sich die bewusste Konstruktionsphilosophie der Splits, nämlich die sich überschneidenden Mehrfachfunktionen jedes Gegenstandes, in ihrer Anatomie wiederholt. Wir haben bis jetzt das Herz und die Lunge identifizieren können; letztere besteht aus zwei verschieden großen, deutlich ausgebildeten Einzellappen.«

Kaplan Hardy stemmte sich in der Tür fest, als die Beschleunigung des Schiffes plötzlich abfiel, dann wieder zunahm. Als die Ingenieure den Antrieb wieder auf konstante Beschleunigung eingespielt hatten, kam er in die Kabine und setzte sich stumm. Horvath winkte ihm zu und setzte sein Diktat fort.

»Die einzige Gegend, wo die Plastiken ungenau und vage ausgebildet sind, ist bei den Fortpflanzungsorganen festzustellen.« Horvath lächelte und blinzelte dem Kaplan zu. Er fühlte sich wirklich wohl hier. »Die Splits sind bei geschlechtlichen Fragen immer recht zurückhaltend gewesen. Diese Statuetten sind vielleicht Lehrmodelle für Kinder; sie wurden jedenfalls sicher in Massenproduktion hergestellt. Wenn das stimmt — wir müssen wirklich die Splits fragen, wenn wir noch einmal Gelegenheit haben —, dann deutet das darauf hin, dass die Split-Kultur mit der menschlichen etliches gemeinsam hat.« Horvath runzelte die Stirn. Sexualerziehung der Jugend trat bei den Menschen nur periodisch auf. Manchmal war sie verbreitet und sehr detailliert, während es in anderen Zeitaltern etwas derartiges überhaupt nicht gab. Gegenwärtig verließ man sich in den zivilisierten Gegenden des Imperiums in diesen Dingen ganz auf Bücher, aber es gab genug rückständige, eben erst wiederentdeckte Welten, wo das Thema für Nicht-Erwachsene überhaupt tabu war.

»Natürlich können auch praktische Erwägungen der Grund sein«, fuhr Horvath fort.

»Hätte man die Geschlechtsorgane differenziert dargestellt, so wären dreimal soviel Figuren notwendig gewesen: ein Set für das männliche, eins für das weibliche, und ein weiteres für das eigentliche reproduktive Stadium. Wie ich sehe, weisen alle Typen eine einzelne, fertig entwickelte Brustdrüse auf, und ich glaube mich zu erinnern, dass man uns sagte, alle Splits könnten Junge säugen.« Er unterbrach das Diktat und tippte ein paar Codebuchstaben in seinen Computer ein. Worte leuchteten auf dem Schirm auf.

»Ja. Und diese einzelne Zitze ist immer auf der rechten Seite, beziehungsweise auf der Seite, die nicht die des einen kräftigen Arms ist. Die Jungen können also mit dem kräftigen Arm gehalten werden, so dass die rechten Arme zum Kosen oder Fellsäubern frei bleiben. Angesichts der sehr empfindlichen und zahlreichen Nervenenden in den rechten Händen ist diese Arbeitsteilung sehr plausibel.« Er räusperte sich und griff nach seinem Brandyglas, nachdem er Hardy bedeutet hatte, sich doch zu bedienen.

»Die einzelne Zitze bei den höheren Nebenarten würde darauf hinweisen, dass Mehrlingsgeburten bei den Splits höherer Kasten äußerst selten sein müssen. In der Bastler-Kaste müssen umfangreiche Würfe dagegen häufiger sein, zumindest nach den ersten paar Geburten. Wir können sicher sein, dass die noch unterentwickelten Zitzen auf der rechten Bauchseite der Miniatur-Splits in irgendeinem Stadium zu funktionierenden Organen werden; andernfalls hätte sich ihre Zahl an Bord der Mac Arthur nicht so rapide vermehren können.« Er schaltete das Gerät ab. »Wie geht’s, David?«

»Recht gut. Dieses Split-Spiel fasziniert mich. Es ist ein Logik erforderndes Spiel, noch dazu ein ausgezeichnetes. Ein Spieler denkt sich irgendeine Regel aus, nach der die verschiedenen Objekte in Kategorien eingeteilt werden, und die anderen Spieler versuchen, die Regel abzuleiten und zu beweisen. Sehr interessant.«

»Aha. Vielleicht möchte Mr. Bury das auf den Markt bringen.«

Hardy zuckte die Achseln. »Vielleicht würde die Kirche ein paar Garnituren kaufen — um ihre Theologen zu schulen. Ich bezweifle, dass die Allgemeinheit viel Interesse daran haben wird. Zu schwierig.« Er musterte die Statuetten und zog die Brauen hoch. »Da scheint mir zumindest eine Form zu fehlen — haben Sie’s auch bemerkt?«

Horvath nickte. »Das nichtintelligente Wesen, das wir im Zoo sahen. Die Splits wollten nicht darüber reden, als wir dort waren.«

»Auch später nicht«, fügte Hardy hinzu. »Ich habe mein Fjunch(klick) danach gefragt, aber es hat immer wieder das Thema gewechselt.«

»Noch ein Geheimnis, das der Untersuchung bedürfte«, sagte Horvath. »Obwohl es vielleicht besser wäre, das Thema in Gegenwart von Splits vorläufig zu vermeiden. Wir sollten zum Beispiel lieber nicht die Botschafter danach fragen.« Er warf Hardy einen herausfordernden Blick zu.

David Hardy lächelte, nahm die Herausforderung jedoch nicht »Nun ja«, sagte Horvath. »Wissen Sie, es gibt ja nicht viele Dinge, über die die Splits nicht sprechen wollten — deshalb wundert mich, dass sie in Bezug auf jene Kaste so zurückhaltend waren. Weshalb? Ich bin ziemlich sicher, dass das Geschöpf kein Vorfahre der anderen Split-Arten ist — nicht das Analogen eines Menschenaffen, wenn ich das so ausdrücken darf.«

Hardy nippte an seinem Brandy. Das Getränk war sehr gut, und er fragte sich, woher die Splits eine Probe bekommen hatten, um danach dieses unzweifelhaft synthetische Produkt herzustellen. Hardy glaubte, einen Unterschied zu echtem Brandy herauszuschmecken, aber es fiel ihm nicht leicht. »Sehr zuvorkommend von ihnen, uns mit so was zu versorgen.« Er nahm wieder einen Schluck.

»Zu schade, dass wir das alles nicht mitnehmen können«, sagte Horvath. »Die Aufzeichnungen gehen jedoch gut voran. Hologramme, Röntgenbilder, Massenspektrogramme, Tadonen-Emission — und alles, was zerlegbar ist, wird zerlegt, und die Einzelteile werden holografiert. Commander Sinclair war sehr hilfsbereit — die Militärs können manchmal sehr hilfsbereit sein. Ich wünschte, sie wären es öfter.«

Hardy zuckte die Achseln. »Haben Sie sich das Problem schon einmal vom Standpunkt der Flotte aus überlegt? Wenn Sie sich irren, gehen Ihnen ein paar Daten verloren.

Wenn die Militärs, die Sie kritisieren, sich irren, bringen sie die Menschheit in Gefahr.«

»Unsinn. Ein Planet voll Splits? Ganz egal, wie hoch entwickelt sie sein mögen, es gibt einfach nicht genug Splits, um das Imperium zu gefährden. Das wissen Sie doch, David.«

»Vermutlich, Anthony. Ich glaube auch nicht, dass die Splits eine Gefahr für uns darstellen. Andererseits kann ich auch nicht glauben, dass sie wirklich so einfach und offen sind, wie Sie anzunehmen scheinen. Natürlich hatte ich etwas mehr Zeit als Sie, über sie nachzudenken …«

»Ja?« drängte Horvath. Er mochte Kaplan Hardy. Der Mann hatte immer interessante Geschichten und Ideen auf Lager. Natürlich war mit ihm leicht zu reden, das verlangte schon sein Beruf, aber er war auch kein typischer Priester — oder so ein Kommissschädel von der Flotte.

Hardy lächelte. »Ich kann keiner meiner eigentlichen Aufgaben nachgehen, wissen Sie.

Linguistische Archäologie? Ich werde niemals auch nur die Split-Sprache erlernen. Was den Auftrag der Kirche angeht, so glaube ich, dass wir nicht genug wissen, um irgend etwas zu entscheiden. Meine Aufgaben als Schiffkaplan erfordern nicht so viel Zeit — was bleibt mir also übrig, als über die Splits nachzudenken?« Er grinste wieder. »Und mir die Probleme zu überlegen, denen sich die Missionare bei der nächsten Expedition gegenübersehen werden …«

»Sie meinen, die Kirche wird Missionare herschicken?«

»Warum nicht? Gewiss nicht wegen irgendwelcher theologischer Einwände, die ich erheben könnte. Würde mir wahrscheinlich auch nichts nützen …« Hardy schmunzelte.

»Das erinnert mich an eine Geschichte über Missionare im Himmel. Sie unterhalten sich über ihre frühere Arbeit, und einer erzählt von den Tausenden, die er bekehrt hat. Ein anderer brüstet sich damit, einen ganzen abgefallenen Planeten wieder in den Schoß der Kirche zurückgebracht zu haben. Endlich bemerken sie einen kleinen alten Burschen am anderen Ende des Tisches und fragen ihn, wie viele Seelen er gerettet habe. ›Eine‹, antwortet der. Nun, diese Geschichte soll natürlich ein moralisches Prinzip verdeutlichen, aber ich habe den starken Verdacht, dass einer Mission auf Splitter Alpha eine solche Erfahrung im … äh … Diesseits beschieden sein könnte …«

»David«, sagte Horvath mit einem Unterton von Dringlichkeit. »Die Kirche wird einen sehr wichtigen Einfluss auf die Regierungspolitik den Splits gegenüber ausüben. Ich bin sicher, dass Sie wissen, eine wie große Bedeutung der Kardinal Ihren Ansichten beimessen wird, wenn er nach Neurom berichtet. Ist Ihnen klar, dass Ihre Ansichten über die Splits genauso viel Gewicht wie — verdammt, mehr Gewicht haben werden als der wissenschaftliche Bericht, vielleicht sogar als der der Flotte.«

»Das weiß ich.« Hardy war ernst geworden. »Es ist ein Einfluss, den ich nicht gesucht habe, Anthony. Aber die Situation ist mir klar.«

»Na gut.« Horvath war nicht der Mann, der andere unnötig unter Druck setzte. Er versuchte es zumindest, obwohl er manchmal die Geduld verlor. Er hatte ja auch lernen müssen, sein Budget auszurichten, seit er in der wissenschaftlichen Administration eine Rolle spielte. Er seufzte tief und änderte seine Taktik. »Ich wäre froh, wenn Sie mir mit etwas viel Naheliegenderem helfen würden. Ich möchte gern diese Statuetten mit heim nehmen.«

»Warum nicht gleich das ganze Boot?« fragte Hardy. »Das möchte ich.« Er nippte wieder von seinem Brandy und räusperte sich. Es war viel angenehmer, über die Splits sprechen zu können, als über die Politik des Imperiums. »Mir ist aufgefallen, dass Sie den undeutlichen Stellen der Figuren ziemlich viel Aufmerksamkeit widmen«, bemerkte er anzüglich.

Horvath runzelte die Stirn. »Tatsächlich? Nun, vielleicht. Vielleicht habe ich das.«

»Sie müssen ziemlich viel darüber nachgedacht haben. Kam es Ihnen nicht seltsam vor, dass die Splits auch auf diesem Gebiet so zurückhaltend sind?«

»Eigentlich nicht.«

»Mir schon. Ich zerbreche mir den Kopf darüber.«

Horvath zuckte die Achseln und beugte sich vor, um ihnen beiden noch Brandy nachzuschenken. Es hatte ja keinen Sinn, sparsam damit zu sein, wenn doch alles zurückgelassen werden musste. »Sie finden vermutlich, dass ihr Sexualleben uns nichts angeht. Wie viel haben wir ihnen denn über uns erzählt?«

»Eine ganze Menge. Ich war lange und glücklich verheiratet«, sagte Kaplan Hardy. »Ich bin vielleicht nicht gerade ein Experte für ein erfülltes Liebesleben, aber ich weiß genug, um den Splits alles zu erklären, was sie zu wissen brauchen. Ich habe ihnen nichts verheimlicht, und ich nehme an, Sally Fowler auch nicht. Schließlich sind sie uns so fremd, wie es nur geht — wir versuchen sie wohl kaum mit unkeuschen Gelüsten.«

Hardy grinste.

Horvath tat es ihm nach. »Sehr richtig, Doktor.« Er nickte nachdenklich. »Sagen Sie mal, David — warum hat der Admiral daraufbestanden, die Leichen nach der Bestattung zu Asche zu schießen?«

»Nun, ich hätte gedacht, dass — ach so. Ja. Und niemand hatte etwas dagegen. Wir wollten nicht, dass Fremde die sterblichen Überreste unserer Kameraden sezieren.«

»Genau. Nicht um etwas zu verbergen, sondern aus Pietät. Zumindest etwas, wobei der Zar und ich uns einig sein können. Nun, David, wäre es nicht möglich, dass die Splits schon bei Reproduktionen so empfinden?« Hardy überlegte eine Weile. »Durchaus denkbar, wie Sie recht gut wissen. Es gab eine Menge menschliche Gemeinschaften, die, nun, zum Beispiel zu Fotografien eine solche Einstellung hatten. Und es gibt immer noch viele Menschen, die so denken.« Er nahm wieder einen Schluck Brandy.

»Anthony, ich kann das einfach nicht glauben. Ich weiß zwar keine bessere Erklärung, aber ich glaube das nicht. Sie sind da auf etwas gestoßen … Darüber müsste man sich einmal ausführlich mit einem Anthropologen unterhalten.«

»Der verdammte Admiral lässt sie ja nicht an Bord«, knurrte Horvath, beruhigte sich jedoch gleich wieder und grinste. »Ich möchte wetten, dass sie noch immer vor Wut kocht.«

42 Ein Häufchen Elend

Sally kochte nicht. Ihr Vokabular von empörten Ausdrücken war längst erschöpft.

Während Hardy und Horvath und die anderen selig die Geschenke der Splits untersuchen durften, musste sie sich mit Holografien und diktierten Berichten zufrieden geben.

Nicht einmal konzentrieren konnte sie sich. Sie merkte, dass sie denselben Absatz zum fünften Mal las, und schleuderte den Bericht quer durch die Kabine. Zur Hölle mit Rod Blaine. Er hatte kein Recht, sie so stehen zulassen. Er hatte auch kein Recht, dermaßen ihre Gedanken zu beanspruchen. Jemand klopfte an ihre Kabinentür. Sie öffnete hastig.

»Ja — Oh. Tag, Mr. Renner.«

»Jemand anderen erwartet?« erkundigte sich Renner spöttisch. »Diese abgrundtiefe Enttäuschung in Ihrem Gesicht, als Sie merkten, dass ich’s war. Nicht sehr schmeichelhaft.«

»Tut mir leid. Nein, ich habe niemand anderen erwartet. Sagten Sie etwas?«

»Nein.«

»Ich dachte — Mr. Renner, ich dachte, Sie hätten etwas wie ›kaputt‹ gesagt.«

»Gerade fleißig gewesen?« fragte Renner. Er schaute sich in der Kabine um. Ihr sonst so ordentlicher Schreibtisch war ein Chaos von Zetteln, Diagrammen und Computerausdrucken. Einer von Horvaths Berichten lag auf dem Deck in der Nähe der Wand. Renner verzog den Mund zu einem zweifelnden Lächeln.

Sally folgte seinem Blick und errötete. »Nicht besonders«, gab sie zu. Renner hatte ihr gesagt, dass er Rod besuchen wollte, und sie wartete jetzt darauf, dass er etwas sagte.

Nach einer Weile gab sie auf. »Na schön. Ich war nicht fleißig, und wie geht’s ihm?«

»Er ist ein Häufchen Elend.«

»Oh.« Sally fand das Bild empörend und beunruhigend.

»Hat sein Schiff verloren. Kein Wunder, dass er da am Boden zerstört ist. Hören Sie, lassen Sie sich bloß von niemandem sagen, der Verlust eines Schiffes sei wie der Verlust der Ehefrau. Das ist es nicht. Es ist eher so, als würden Sie die Vernichtung Ihrer Heimatwelt miterleben.«

»Ist … Meinen Sie, ich kann etwas tun?«

Renner starrte sie an. »Er ist kaputt, sag’ ich Ihnen. Natürlich können Sie etwas tun. Sie können hingehen und seine Hand halten, um Himmels willen! Oder einfach bei ihm sitzen. Wenn er mit Ihnen vor Augen weiter das Schott anstarren kann, dann muss er einen Treffer abbekommen haben.«

»Er wurde doch nicht verletzt …«

»Natürlich nicht. Ich meinte nur, er müsste dann schon — ach, lassen wir das. Passen Sie auf, geh’n Sie einfach hin und klopfen Sie an seine Tür, ja?« Kevin schob sie hinaus auf den Gang, und ohne recht zu wissen, wie ihr geschah, fand sie sich in Marsch gesetzt. Als sie sich verwirrt umsah, zeigte Renner auf eine Tür. »Ich geh’ inzwischen auf einen Drink.«

Na wirklich, dachte sie. Jetzt erklären schon Handelsschiffer den Aristokraten, wie sie nett zueinander sein sollen … Aber es hatte keinen Sinn, im Korridor stehen zubleiben.

Sie klopfte an.

»Herein.«

Sally trat rasch ein und Schloss die Tür. »Hallo«, sagte sie. Oh Mann. Er schaute fürchterlich aus. Und dieser Sack von Uniform — damit musste etwas geschehen.

»Beschäftigt?«

»Nein. Ich dachte nur über etwas nach, was Mr. Renner sagte. Weißt du, dass Kevin Renner im Innersten seiner Seele wirklich an das Imperium glaubt?«

Sie sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Er war offensichtlich nicht in der Verfassung, ihr Platz anzubieten. Sie setzte sich. »Er ist ein Offizier der Flotte, oder?«

»Ja, schon, natürlich setzt er sich für das Imperium ein, sonst hätte er kein Patent angenommen — aber ich wollte sagen, dass er wirklich an unsere Ziele glaubt.

Erstaunlich.«

»Das tun wir doch auch?« fragte sie unsicher. »Denn wenn wir es nicht täten, wäre die gesamte menschliche Rasse in Schwierigkeiten, nicht?«

»Ich erinnere mich, dass ich einmal dachte, ich täte es«, sagte Rod. Also, das war ja einfach lächerlich. Es gab wohl eine ganze Menge Dinge, die er mit dem einzigen Mädchen im Umkreis von zehn Parsek besprechen konnte, ohne sich in weltanschauliche Grübeleien zu verlieren. »Du siehst hübsch aus. Wie machst du das nur? Du musst doch dein ganzes Gepäck verloren haben.«

»Nein, ich hatte meine Reisesachen mit. Alles, was ich auf Alpha mitnahm, weißt du noch?« Dann konnte sie nicht mehr an sich halten und lachte los. »Rod, hast du eine Ahnung, wie komisch du in Kapitän Michailovs Uniform aussieht? Ihr beide habt aber auch wirklich nicht dieselben Maße. He! Aufhören! Du fängst mir jetzt nicht wieder mit Trübsalblasen an, Rod Blaine!« Sie zog eine finstere Miene.

Es dauerte einen Augenblick, aber dann hatte sie gewonnen. Sie wusste es, als Rod unwillkürlich einen Blick auf die breiten Falten warf, die er in den Uniformrock gekniffen hatte, damit das Ding etwas weniger wie ein Zelt aussah. Er begann zu grinsen. »Ich nehme nicht an, dass mich die Times in die Liste der zehn bestgekleideten Männer des Hofes aufnimmt, oder?«

»Bestimmt nicht.« Schweigend saßen sie einander gegenüber, und sie zerbrach sich den Kopf nach etwas, was sie als nächstes sagen konnte. Verdammt, warum ist es nur so schwer, mit ihm zu reden? Onkel Ben behauptet, dass ich immer zuviel rede, und jetzt fällt mir einfach nichts ein. »Was hat denn Mr. Renner gesagt?«

»Er hat mich an meine Pflichten erinnert. Irgendwie hatte ich vergessen, dass ich noch welche habe. Aber ich glaube, er hat recht, das Leben geht weiter, selbst für einen Kapitän, der sein Schiff verloren hat …« Wieder breitete sich Schweigen aus, und die Luft schien stickig und drückend zu werden.

Was soll ich nur sagen? »Du — du bist ziemlich lange auf der Mac Arthur gewesen, nicht?«

»Drei Jahre. Zwei als Erster und ein Jahr als Kommandant. Und jetzt gibt es sie nicht mehr — aber ich fange lieber nicht wieder damit an. Was hast du denn in letzter Zeit unternommen?« »Na, wenn du schon fragst — ich habe die Daten von Splitter Alpha durchgesehen, und die Berichte, die vom Geschenkschiff hereinkommen, und ich hab’ darüber nachgedacht, wie ich den Admiral überzeugen kann, dass wir die Split-Botschafter einfach mitnehmen müssen. Und es ist so wichtig, dass wir ihn überzeugen, Rod, wirklich. Ich wollte, wir könnten über andere Dinge miteinander reden, aber dazu werden wir noch genug Zeit haben, wenn das Splitter-System hinter uns liegt.« Und wir werden auch viel Zeit füreinander haben, jetzt, da es die Mac Arthur nicht mehr gibt. Ich frage mich — ehrlich, bin ich nicht ein bisschen froh, dass meine Rivalin tot ist? Junge, ich darf ihn nie auch nur ahnen lassen, dass ich zu solchen Gedanken fähig bin. »Aber jetzt, Rod, ist nicht mehr viel Zeit, und ich habe überhaupt keine Ideen …«

Rod tastete über den Buckel an seiner Nase. An der Zeit, dass du aufhörst, den Trauerkloß zu spielen, und dich ein bisschen mehr wie der zukünftige Zwölfte Marquis benimmst, nicht. »Also gut, Sally. Wollen wir mal sehen, was uns einfällt. Unter der Bedingung, dass Kelley uns hier das Essen servieren darf.«

Sie lachte übers ganze Gesicht. »Mylord, einverstanden!«

43 Des Händlers Klage

Horace Bury war nicht glücklich.

Schon mit der Besatzung der Mac Arthur war nicht einfach zurechtzukommen gewesen, aber die der Lenin war um Größenordnungen ärger. Die Leute waren Ekaterinas, fanatische Imperialisten, und außerdem handelte es sich um eine ausgesuchte Mannschaft unter einem Admiral und einem Kapitän ihrer Heimatwelt. Selbst Männer der Spartanischen Bruderschaft wären leichter zu beeinflussen gewesen.

Bury wusste das alles seit langem, aber er stand wie immer unter dem Zwang, seine Umgebung unter allen Umständen zu beherrschen und zu kontrollieren; jetzt allerdings hatte er so gut wie gar keine Handhabe.

Seine Stellung an Bord war undurchsichtiger denn je. Kapitän Michailov und der Admiral wussten, dass er weiterhin Blaines persönlicher Aufsicht unterstand, nicht irgendeines Verbrechens angeklagt, aber auch nicht als freier Mann. Michailov löste das Problem, indem er Bury Infanterieordonnanzen zuteilte und Blaines Faktotum Kelley das Kommando über die Infanteristen gab. So wurde Bury immer, wenn er seine Kabine verließ, überallhin eskortiert.

Er versuchte, mit den Männern der Lenin ins Gespräch zu kommen. Die wenigsten wollten ihm zuhören. Vielleicht hatten sie durch Gerüchte gehört, was er zu bieten hatte, und fürchteten, die Soldaten der Mac Arthur könnten sie melden. Vielleicht verdächtigten sie ihn auch des Hochverrats und Hassten ihn.

Ein Händler muss Geduld haben, und Bury besaß mehr davon als die meisten.

Trotzdem fiel es ihm sehr schwer, sich zu beherrschen, wenn er nichts anderes zu beherrschen fand, wenn er nur dasitzen und abwarten konnte — oft ließ ihn dann sein hitziges Temperament in flammende Wut ausbrechen: nie jedoch in der Öffentlichkeit.

Außerhalb seiner Kabine gab sich Bury ruhig, gelassen, als angenehmer Gesprächspartner, der sogar mit — ja, ganz besonders mit — Admiral Kutuzov auskam.

So bekam er Kontakt mit den Offizieren der Lenin, aber die meisten waren sehr förmlich und plötzlich anderweitig beschäftigt, wenn er mit ihnen sprechen wollte. Bury fand bald heraus, dass es nur drei erlaubte Themen gab: Kartenspiele, Splits und Tee. Wenn auf der Mac Arthur alles mit Kaffee gelaufen war, so schien die Lenin nur mit Tee zu funktionieren, und Teetrinker verstehen im allgemeinen mehr von ihrem bevorzugten Getränk als Kaffeetrinker. Burys Schiffe handelten mit Tee, wie sie mit allem handelten, wofür Menschen Geld auszugeben bereit waren, aber er hatte selbst keinen mit und konnte sich auch nicht dafür begeistern. So verbrachte Bury endlose Stunden am Bridgetisch. Zu dreien fanden sich Offiziere der Lenin wie der Mac Arthur auch durchaus bereit, in seine Kabine zu kommen, wo man auf jeden Fall mehr Ruhe und Platz hatte als in einem Aufenthaltsraum. Es war auch leicht, mit den Offizieren der Lenin über die Splits zu sprechen — nie mit einem allein, immer in Gruppen, aber die Leute waren neugierig. Nach zehn Monaten im System der Splits hatten die meisten noch nie eins gesehen. Jeder wollte etwas über die Fremden hören, und Bury war bereit, ihnen alles zu erzählen.

Die Pausen zwischen den Robbers wurden immer länger, denn da berichtete Bury eifrig und anschaulich über die Welt der Splits, von den Vermittlern, die Gedanken lesen konnten, es jedoch ableugneten, vom Zoo, dem Schloss, den Landsitzen mit ihrem befestigten Aussehen, das war Bury durchaus nicht entgangen. Dann lenkte er das Gespräch auf die Gefahren. Die Splits hatten keine Waffen sehen lassen, weil sie einen Angriff planten und die Menschen damit überraschen wollten. Sie hatten die Mac Arthur mit Minis verseucht — das sei nahezu die erste Handlung des ersten Splits gewesen, dem er begegnet war —, und die heimtückisch hilfreichen und sich beliebt machenden Biester hatten das Schiff erobert und waren fast mit sämtlichen militärischen Geheimnissen des Imperiums entkommen. Nur Admiral Kutuzovs Wachsamkeit hätte eine Katastrophe verhindert.

Und die Splits hielten sich für intelligenter als die Menschen. Für sie waren die Menschen nur Kreaturen, die gezähmt werden mussten, mit Güte, wenn möglich, aber gezähmt, um eine weitere untergeordnete Kaste zu werden, die den nahezu unsichtbar bleibenden Meistern diente.

Er sprach von den Splits, und er Hasste sie immer mehr. Bilder flackerten durch seinen Geist, manchmal, wenn er nur an die Splits dachte, und immer des Nachts, wenn er zu schlafen versuchte. Er hatte Alpträume von einem Raumanzug, der von hinten auf ihn zukam. Dreiwinzige Augenpaare glitzerten hinter der Helmplatte. Manchmal löste sich der Traum in einer Wolke von spinnengliedrigen, um sich schlagenden Wesen auf, die im Vakuum erstickten, einen abgetrennten Menschenkopf im Tode umtanzend. Dann konnte Bury endlich schlafen. Manchmal aber versuchte Bury vergeblich, den Wachen der Lenin eine Warnung zuzuschreien, und die Gestalt betrat ungehindert das Kriegsschiff. Dann wachte Bury in kalten Schweiß gebadet auf. Er musste die Ekaterinas warnen.

Sie hörten ihn an, aber sie glaubten ihm nicht. Bury fühlte es. Sie hatten ihn schreien gehört, bevor er an Bord kam, und sie hörten Schreie in der Nacht: sie hielten ihn für ein bisschen verrückt.

Mehr als einmal dankte Bury Allah für Buckman. Der Astrophysiker war gewiss ein Sonderling, aber Bury konnte mit ihm reden. Anfangs hatte die Infanterie-›Ehrenwache‹ vor Burys Tür Buckman etwas verwirrt, aber bald kümmerte sich der Wissenschaftler nicht mehr darum, wie er sich um die meisten unerklärlichen Handlungen seiner Mitmenschen nicht kümmerte. Buckman hatte sich die Forschungsarbeiten der Splits über Murchesons Auge und den Kohlensack angesehen. »Gute Arbeit! Ein paar Dinge werde ich wohl selber noch überprüfen müssen, denn manche ihrer Annahmen kommen mir etwas zweifelhaft vor … Dass dieser verdammte Kutuzov mich nicht die Teleskope der Lenin benutzen lässt!«

»Buckman, ist es möglich, dass die Splits intelligenter sind als wir?«

»Nun, die, mit denen ich zu tun hatte, sind gewiss heller als die meisten Leute, die ich kenne. Zum Beispiel mein Schwager … Aber Sie meinten, im Durchschnitt, nicht wahr?«

Buckman kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Sie könnten gescheiter sein als ich. In mancher Hinsicht haben sie verdammt gute Arbeit geleistet. Aber sie haben einen engeren Horizont, als ihnen klar ist. In Millionen Jahren haben sie es nur dazu gebracht, zwei Sterne aus geringerer Entfernung zu untersuchen.«

Buckmans Definition von Intelligenz war ziemlich subjektiv. Bury gab es sehr bald auf, Buckman vor einer Bedrohung durch die Splits zu warnen. Buckman hielt Bury ebenfalls für verrückt — aber Buckman hielt eigentlich jedermann für verrückt.

Allah sei Dank für Buckman.

Die anderen zivilen Wissenschaftler waren zwar recht freundlich, aber mit Ausnahme von Buckman wollten sie nur eins von Bury: eine Analyse der Handelsmöglichkeiten mit den Splits. Bury konnte ihnen eine solche in sechs Worten liefern: Vernichtet sie, bevor sie uns vernichten! Sogar Kutuzov fand diesen Standpunkt voreilig.

Der Admiral hörte ihn höflich genug an, und Bury glaubte, ihn überzeugt zu haben, dass die Split-Botschafter zurückgelassen werden mussten, dass nur leichtsinnige Narren wie Horvath den Feind an Bord des einzigen Schiffes lassen würden, das das Imperium vor der Gefahr warnen konnte. Sicher war er sich dessen nicht.

Das alles gab Bury mehr als genug Gelegenheit, sich in Geduld zu üben. Wenn er je die Beherrschung verlor, dann wusste nur Nabil davon, und Nabil war durch nichts mehr zu überraschen.

44 Kriegsrat

In der Hauptmesse der Lenin hing ein Bild des Kaisers. Leonidas IX. blickte den langen Stahltisch entlang; rechts und links seines Bildes waren kaiserliche Fahnen und Schlachtbanner angeordnet. Gemälde von Flottengefechten aus der Geschichte des Ersten und Zweiten Imperiums schmückten die anderen Wände, und in einer Ecke brannte eine Kerze vor einer Ikone der heiligen Katharina. Sie war sogar mit einem eigenen Ventilationssystem versehen, um auch bei Schwerelosigkeit zu brennen.

David Hardy musste immer über diese Ikone lächeln. Ein solches Heiligenbild in einem Schiff dieses Namens war eine amüsante Kombination; er vermutete, dass Kutuzov entweder nichts über die Geschichte des Kommunismus wusste — schließlich war das ja ziemlich lange her — oder dass seine Begeisterung für alles Russische sich darüber hinwegsetzte. Vermutlich traf ersteres zu, denn für die meisten Bürger des Imperiums war Lenin der Name eines Helden der Vergangenheit, eines nahezu legendären Mannes, über den man nichts Genaueres wusste. Es gab eine ganze Reihe solcher Namen: Cäsar, Iwan der Schreckliche, Napoleon, Churchill, Stalin, Washington, Jefferson, Trotzki — Männer, die mehr oder weniger als Zeitgenossen betrachtet wurden (außer von gut ausgebildeten Historikern). Die Geschichte des präatomaren Zeitalters scheint zusammenzuschrumpfen, wenn man sie aus genügender zeitlicher Entfernung betrachtet.

Nach und nach füllte sich der Messeraum, als Wissenschaftler und Offiziere eintrafen und ihre Plätze einnahmen. Die Infanterieposten hielten zwei Sitze frei, den am oberen Ende des Tisches und den Platz unmittelbar rechts davon, auf den sich Horvath niederlassen wollte. Der Wissenschaftsminister zuckte die Achseln, als der Posten mit einem Schwall Russisch protestierte, und ging zum anderen Ende, wo er sich den Platz eines Biologen aneignete und dann noch einen Wissenschaftler von dem Platz zu seiner Rechten verscheuchte, um David Hardy diesen Sitz anzubieten. Wenn der Admiral sich mit Prestigespielchen abgeben wollte, mochte er das ruhig tun, aber Anthony Horvath verstand auch einiges davon.

Er beobachtete die anderen beim Hereinkommen. Cargill, Sinclair und Renner trafen zugleich ein. Dann kamen Sally Fowler und Kapitän Blaine — seltsam, fand Horvath, dass Blaine jetzt einen Raum ohne jedes Zeremoniell betreten konnte. Ein Infanterist wies ihnen die Sitze links vom Ehrenplatz an, aber Rod und Sally setzten sich an die Mitte des Tisches. Er kann es sich leisten, dachte Horvath. Er hat seine Stellung geerbt.

Nun, das wird mein Sohn auch. Meine Arbeit bei dieser Expedition sollte ausreichen, dass mein Name auf die nächste Ehrungsliste gesetzt wird …

»Achtung!«

Die Offiziere erhoben sich, die meisten Wissenschaftler ebenfalls. Horvath überlegte es sich kurz und stand dann auch auf. Er blickte zur Tür und erwartete den Admiral zu sehen, aber Kapitän Michailov trat allein ein. Also müssen wir diesen Zirkus zweimal mitmachen, dachte Horvath.

Der Admiral spielte jedoch allen einen Streich. Er kam herein, als Michailov eben seinen Sitz erreichte, und murmelte: »Weitermachen, meine Herren«, was der Infanterieordonnanz keine Zeit ließ, ihn anzukündigen. Wenn jemand die Absicht hatte, Kutuzov zu brüskieren, dann musste er sich dazu eine andere Gelegenheit suchen.

»Commander Borman wird einen Abschnitt der Expeditionsbefehle verlesen«, verkündete Kutuzov eisig.

»›Abschnitt Zwölf. Kriegsrat. Absatz Eins. Der kommandierende Vizeadmiral wird die Ratschläge des wissenschaftlichen Stabes und der höheren Offiziere der Mac Arthur einziehen, außer wenn eine solche Verzögerung nach Ansicht des Admirals, und zwar allein seiner Ansicht, die Sicherheit des Schlachtschiffes Lenin gefährden könnte.

Absatz Zwei. Wenn der ranghöchste Wissenschaftler der Expedition nicht mit dem kommandierenden Vizeadmiral übereinstimmt, hat er das Recht, einen formellen Kriegsrat zu verlangen, um dem Admiral eine Entscheidungshilfe zu bieten. Der ranghöchste Wissenschaftler kann …‹«

»Das genügt, Commander Borman«, sagte Kutuzov. »In Übereinstimmung mit diesem Befehl und auf formelles Ansuchen von Wissenschaftsminister Horvath ist dieser Kriegsrat zusammengetreten, um in Bezug auf die fremden Intelligenzen, die um Transport in das Imperium ersuchen, seine Ratschläge zu formulieren, die als Entscheidungshilfe herangezogen werden. Die Verhandlung wird aufgezeichnet.

Minister Horvath, Sie können beginnen.«

Auweh, dachte Sally. Das ist eine Atmosphäre hier wie während des Hochamts in der Kapelle von St. Peter in Neurom. Diese Förmlichkeit muss ja jeden, der nicht Kutuzovs Meinung ist, einschüchtern.

»Danke, Admiral«, sagte Horvath höflich. »Angesichts dessen, dass dies eine lange Sitzung werden kann — schließlich, Sir, wollen wir über die vielleicht wichtigste Entscheidung beraten, die wir je treffen werden —, möchte ich vorschlagen, Erfrischungen bereitzustellen. Könnten Ihre Leute uns wohl Kaffee bringen, Kapitän Michailov?«

Kutuzov runzelte die Stirn, fand jedoch keinen Grund, die Bitte abzulehnen.

Die frostige Atmosphäre in der Messe wurde dadurch merklich gemildert. Als Stewards hin und her eilten, und sich der Duft von Kaffee und Tee auszubreiten begann, schmolz ein Gutteil der kalten Förmlichkeit dahin, wie Horvath vorausgesehen hatte.

»Ich danke Ihnen«, sagte Horvath mit strahlendem Lächeln. »Also. Wie Sie wissen, haben die Splits uns ersucht, drei Botschafter in das Imperium zu bringen. Die Botschafter werden, so sagte man mir, jede Vollmacht haben, die Zivilisation des Splitters zu vertreten, Freundschaftsverträge und Handelsabkommen zu unterzeichnen, wissenschaftliche Zusammenarbeit einzuleiten — ich brauche wohl nicht mehr aufzuzählen. Die Vorteile, die sich für uns ergeben, wenn wir sie dem Vizekönig präsentieren, sind offensichtlich. Darin sind wir wohl einer Meinung?«

Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Kutuzov saß steif da, seine dunklen Augen unter den buschigen Brauen verrieten nichts, und sein Gesicht wirkte wie eine Maske aus rötlichem Ton.

»Nun«, fuhr Horvath fort, »halte ich es für ebenso offensichtlich, dass es in unserem Interesse liegt, die Split-Botschafter mit größtmöglicher Höflichkeit zu behandeln.

Würden Sie dem nicht zustimmen, Admiral Kutuzov?«

In der eigenen Falle gefangen, dachte Sally. Das wird aufgezeichnet — er wird also mit vernünftigen Argumenten aufwarten müssen.

»Wir haben die Mac Arthur verloren«, sagte Kutuzov unwillig. »Wir haben nur noch dieses eine Schiff. Dr. Horvath, Sie haben doch an der Konferenz teilgenommen, bei der Vizekönig Merrill den Plan für diese Expedition fasste?«

»Ja …«

»Ich nicht, aber mir wurde davon berichtet. Ist nicht immer wieder betont worden, dass keine Fremden dieses Schiff zu betreten hätten? Ich spreche jetzt von persönlichen Anordnungen des Vizekönigs.«

»Nun — ja, Sir. Aber aus dem Zusammenhang ging deutlich hervor, wie er das meinte.

Er wollte keine Fremden an Bord der Lenin lassen, weil sich herausstellen könnte, dass sie uns feindlich gesinnt sind; so würde die Lenin, gleichgültig was sie unternähmen, auf jeden Fall sicher sein. Wir wissen aber jetzt, dass die Splits keine Feinde sind. In den endgültigen Expeditionsbefehlen hat Seine Hoheit die Entscheidung Ihnen überlassen; ein derartiges Verbot gibt es nicht in den Order-Dokumenten.«

»Aber er hat es mir überlassen«, sagte Kutuzov triumphierend. »Und ich sehe keinen Grund, meine Anweisungen widersprechend zu mündlichen Befehlen auszulegen.

Kapitän Blaine, Sie waren anwesend: Ist mein Eindruck falsch, dass Seine Hoheit sagte:

»unter keinen Umständen‹ dürften fremde Wesen an Bord der Lenin

Rod schluckte. »Nein, Sir, aber …«

»Ich glaube, damit ist diese Angelegenheit geklärt«, sagte der Admiral.

»Oh, nein«, entgegnete Horvath glatt. »Kapitän Blaine, Sie wollten noch etwas sagen.

Bitte tun Sie das jetzt.«

In der Messe wurde es still. Wird er es wagen? fragte sich Sally. Was kann der Zar ihm schon tun? Gewiss, er kann ihm das Leben in der Flotte ziemlich sauer machen, aber .

..

»Ich wollte nur sagen, Admiral, dass Seine Hoheit weniger Befehle erteilt als Richtlinien festgelegt hat. Ich glaube, wenn er Sie daran hätte binden wollen, hätte er Ihnen nicht die Entscheidung überlassen, Sir. Er hätte es in den offiziellen Befehlen angeführt.«

Sehr gut, applaudierte Sally stumm.

Kutuzovs Augen verengten sich. Er winkte einem Steward und ließ sich Tee bringen.

»Ich finde, Sie unterschätzen das Vertrauen, das Seine Hoheit in Ihre Urteilsfähigkeit setzt«, sagte Horvath. Es klang unecht, und er merkte es sofort. Jemand anderer hätte das zur Sprache bringen sollen — Hardy, oder Blaine — aber Horvath hatte nicht gewagt, sie für diese Konferenz zu präparieren. Beide waren viel zu unabhängig und kaum beeinflussbar.

Der Admiral lächelte. »Danke. Vielleicht hat er mehr Vertrauen zu mir als zu Ihnen, Doktor. Sie haben mir also bewiesen, dass ich gegen die ausdrücklichen Wünsche des Vizekönigs handeln könnte. Etwas derartiges werde ich gewiss nicht leichtfertig tun, und Sie haben mich noch nicht von der Notwendigkeit überzeugt. Die nächste Expedition könnte Botschafter mitnehmen.«

»Werden sie uns je wieder welche schicken nach einer solchen Beleidigung?« platzte Sally heraus. Alle Blicke richteten sich auf sie. »Die Splits haben um so wenig gebeten, Admiral. Und ihre Forderung ist so verständlich.«

»Sie glauben, sie würden es als Beleidigung empfinden, wenn wir ablehnen?«

»Ich … Admiral, ich weiß es nicht. Aber es könnte sein. Sehr gekränkt könnten sie sein.«

Kutuzov nickte, als komme ihm das verständlich vor. »Aber vielleicht bedeutet es eine geringere Gefahr, sie zurückzulassen, Mylady. Commander Cargill. Haben Sie die Untersuchung durchgeführt, um die ich Sie ersuchte?«

»Ja, Sir.« Jack Cargill stürzte sich mit Begeisterung in seinen Vortrag. »Der Admiral wies mich an, das militärische Potential der Splits unter der Annahme abzuschätzen, dass sie das Geheimnis des Feldes und des Antriebs kennen. Ich habe hier ein Diagramm der Flottenstärke …« Er gab einem Unteroffizier einen Wink, und die Darstellung leuchtete auf dem Bildschirm des Messe-Vidifons auf.

Köpfe wandten sich zu der Darstellung um, und einen Augenblick lang herrschte erschrockenes Schweigen. Irgend jemand schnappte hörbar nach Luft. »So viele?« — »Du lieber Himmel!« — »Aber das ist ja mehr als die Sektorflotte …«

Die Kurven stiegen zuerst steil an — das Stadium, in dem die Splits Passagier- und Frachtschiffe in Kriegsschiffe umwandeln würden — flachten sich dann ab, begannen aber bald wieder anzusteigen.

»Sie können sehen, dass die Bedrohung ziemlich hoch zu veranschlagen ist«, fuhr Cargill eifrig fort. »Binnen zwei Jahren könnten die Splits eine Flotte aufstellen, die eine beträchtliche Herausforderung für die gesamte Kaiserliche Raumflotte sein könnte.«

»Das ist lächerlich«, protestierte Horvath. »Durchaus nicht, Sir«, antwortete Cargill. »Ich war sehr zurückhaltend bei der Abschätzung ihrer Industriekapazität. Wir haben Neutrinomessungen und eine recht gute Näherung ihrer Gesamtenergieproduktion — Anzahl der Fusionsreaktoren, thermische Energieerzeugung — und ich habe jeweils den Wirkungsgrad unserer Einrichtungen verwendet, obwohl ich stark vermute, dass ihre Leistungen beträchtlich höher liegen. Zumindest haben sie, weiß Gott, keinen Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften.«

»Woher bekommen sie die nötigen Metalle?« wollte de Vandalia wissen. Der Geologe schien ernste Zweifel zu hegen. »Schließlich haben sie jedes Fleckchen ihres Planeten, und, wenn wir ihren Angaben glauben können, auch die Asteroiden gründlich ausgebeutet.«

»Aber sie können bereits verwendetes Metall neu aufarbeiten. Luxusgegenstände.

Überflüssige Transportfahrzeuge. Zur Zeit besitzt jeder Meister einen Wagenpark, der eingeschränkt werden könnte. Sie würden auf manche Dinge verzichten müssen, aber bedenken Sie — die Splits haben alles auf ihrem Planeten vorhandene Metall bereits gewonnen.« Cargill schien mit solchen Einwänden gerechnet zu haben; er wusste auf alles eine Antwort. »Gewiss, für eine Flotte ist ziemlich viel Metall erforderlich, aber so viel ist das auch wieder nicht, verglichen mit dem Gesamtvorrat einer industriellen Zivilisation.«

»Oh, schon gut!« fauchte Horvath. »Die Abschätzungen ihrer Fähigkeiten mögen ja stimmen. Aber wieso, zum Teufel, reden Sie von einer Bedrohungsabschätzung? Die Splits sind keine Bedrohung für uns.«

Cargill blickte ärgerlich auf. »Das ist ein Fachausdruck. ›Bedrohung‹ drückt immer die Fähigkeiten eines potentiellen Gegners aus …«

»Und bezieht sich nicht auf seine Absichten. Das haben Sie mir schon erklärt. Admiral, das alles zeigt, dass wir lieber höflich zu ihren Botschaftern sein sollten, damit sie nicht alles daran setzen. Kriegsschiffe zu bauen.«

»So würde ich das nicht auslegen«, sagte Kutuzov. Er benahm sich jetzt weniger förmlich und sprach auch etwas sanfter — ob er nur die anderen überzeugen wollte, oder ob er sich jetzt in seinem Standpunkt bestärkt sah und deshalb etwas konzilianter vorging, war nicht zu entscheiden. »Ich glaube, es heißt, dass wir alle nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen, damit die Splits nicht das Geheimnis des Langston-Feldes in ihren Besitz bringen.«

Wieder setzte Schweigen ein. Cargills Diagramm war erschreckend in seiner Einfachheit und Deutlichkeit. Die Split-Flotte würde größer sein als die Schiffsverbande aller unabhängigen und abtrünnigen Welten dieses Sektors zusammengenommen.

»Rod — stimmt das alles?« fragte Sally leise.

»Die Zahlen sind korrekt«, murmelte Blaine grimmig. »Aber — na gut. Halt mir die Daumen.« Er hob die Stimme. »Admiral, ich bin nicht sicher, ob wir das Geheimnis des Feldes überhaupt noch für uns behalten können.«

Kutuzov wandte sich schweigend um und blickte ihn erwartungsvoll an.

»Zunächst, Sir«, sagte Rod zögernd, »besteht die Möglichkeit, dass die Splits dieses Geheimnis bereits erfahren haben. Von den Minis.« Ein schmerzlicher Ausdruck zuckte über sein Gesicht, und er musste sich zusammennehmen, um nicht mit dem Finger über den Nasenrücken zu fahren. »Ich glaube es zwar nicht, aber es ist möglich. Zweitens könnten sie es von den vermissten Kadetten erfahren haben. Sowohl Whitbread als auch Staley wussten genug, um ihnen zumindest eine Ausgangsbasis zu liefern …«

»Aye. Aber Mr. Potter wusste mehr«, mischte sich Sinclair ein. »Er war ’n äußerst interessierter Bursche, Sir.«

»Oder Potter«, sagte Rod. »Ich halte es für unwahrscheinlich, aber es hätte doch so gewesen sein können.«

»Lächerlich« — »Genauso misstrauisch wie der Zar« — »Sie sind doch tot.« Mehrere Zivilisten platzten zugleich mit ihrer Meinung heraus. Sally fragte sich, was Rod beabsichtigte, sagte jedoch nichts.

»Und drittens wissen die Splits, dass es das Feld gibt. Wir haben alle gesehen, wozu sie imstande sind — reibungsfreie Oberflächen, selektive Permeabilität, Umbau von Molekularstrukturen. Denken wir doch daran, was die Minis mit dem Generator der Mac fertig brachten! Offen gesagt, Admiral, es kann nur eine Frage der Zeit sein, wann sie das Feld haben, wenn sie erst wissen, dass es möglich ist. Wenn also der Schutz unserer technologischen Geheimnisse von größter Wichtigkeit ist, so darf das doch nicht der einzige Gesichtspunkt unseres Handelns bleiben.«

Das wurde wiederum von allen Seiten aufgeregt kommentiert, aber der Admiral achtete nicht darauf. Er schien über das nachzudenken, was Rod gesagt hatte. Horvath holte Atem, um selbst etwas zu sagen, hielt sich aber dann doch zurück. Blaine hatte es zum ersten Mal fertiggebracht, Eindruck auf den Admiral zu machen, und Horvath war Realist genug, um zu wissen, dass ihm das schwerlich gelingen würde. Er stieß Hardy an.

»David, können Sie nicht mal was sagen?« drängte er.

»Wir können alle beliebigen Vorsichtsmaßnahmen treffen«, stellte Sally fest. »Sie akzeptieren diese Seuchengeschichte, ob sie sie nun glauben oder nicht. Sie sagten, ihre Botschafter würden erwarten, unter Quarantäne gestellt zu werden — und Ihren Sicherheitswachen können sie doch wohl kaum entkommen, Admiral. Außerdem werden sie ja nicht sehr lange bei uns sein, Sie können den Sprung sofort ansetzen, sobald sie an Bord sind.«

»Das stimmt«, sagte Hardy nachdenklich. »Natürlich könnte es sein, dass wir die Splits noch mehr verärgern, wenn wir ihre Botschafter mitnehmen — und nie wieder zurückbringen.«

»Das würden wir doch nicht tun!« protestierte Horvath.

»Wir müssten es vielleicht, Anthony. Seien Sie doch realistisch. Wenn Seine Majestät entscheidet, dass die Splits eine Gefahr darstellen, und die Admiralität entscheidet, dass sie zuviel wissen, wird man ihnen niemals gestatten heimzukehren.«

»Dann gehen wir überhaupt kein Risiko ein«, sagte Sally rasch. »Keine Gefahr für die Lenin, wenn die Splits in Quarantäne gehalten werden. Admiral, ich finde, sie mitzunehmen ist das kleinere Risiko. Wir riskieren dann wenigstens nicht, sie zu kränken, bevor Prinz Merrill — oder Seine Majestät — Entscheidungen für die Zukunft treffen kann.«

»Hmm.« Kutuzov nahm einen tiefen Zug von seinem Tee. Sein Blick verriet erwachendes Interesse. »Sie sind sehr überzeugend, Mylady. Wie auch Sie, Kapitän Blaine.« Er überlegte. »Mr. Bury wurde zu dieser Konferenz nicht eingeladen. Ich glaube, es wäre an der Zeit, auch seine Meinung anzuhören. Bootsmann, bringen Sie Seine Exzellenz hierher in die Messe.«

»Da, Admiral!«

Man wartete. Ein Dutzend leise Gespräche rund um den Tisch ließen das Schweigen noch merklicher werden.

»Rod, du warst großartig«, strahlte Sally. Sie griff unter dem Tisch nach seiner Hand und drückte sie. »Danke.«

Bury trat ein, gefolgt von den unvermeidlichen Infanteriewachen. Kutuzov entließ sie mit einem Wink. Der Handelsmagnat war etwas betroffen am einen Ende des Raums stehen geblieben. Cargill erhob sich und bot ihm seinen Platz am Tisch an.

Bury hörte aufmerksam zu, als Commander Borman die bisher vorgebrachten Argumente zusammen fasste. Wenn Bury erstaunt war über das, was er hörte, so zeigte er es nicht. Seine Miene blieb höflich und interessiert.

»Ich möchte Sie um Ihren Rat ersuchen, Exzellenz«, sagte Kutuzov, als Borman geendet hatte. »Ich gebe zu, dass ich diese Wesen nicht an Bord meines Schiffes haben möchte. Andererseits — solange sie nicht die Sicherheit der Lenin gefährden, habe ich meiner Ansicht nach nicht das Recht, Minister Horvaths Ersuchen abzulehnen.«

»Ah.« Bury strich sich über den Bart und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. »Ist Ihnen bewusst, dass die Splits meiner Ansicht nach Gedanken lesen können?«

»Lächerlich«, fauchte Horvath.

»Lächerlich wohl kaum, Doktor«, sagte Bury. Seine Stimme blieb ruhig und sachlich.

»Unwahrscheinlich vielleicht, obwohl schon hier und da Beweise, für eine ähnliche Fähigkeit bei Menschen erbracht wurden.« Horvath wollte etwas einwenden, aber Bury ließ sich nicht unterbrechen. »Keine schlüssigen Beweise, natürlich, aber Beweise.

Unter Gedankenlesen verstehe ich nicht notwendigerweise Telepathie. Bedenken Sie doch die Fähigkeit der Splits, einen einzelnen Menschen so genau zu studieren und sich in ihn hineinzufühlen, dass sie praktisch seine Rolle spielen können — und zwar so gut, dass nicht einmal seine Freunde den Unterschied bemerken. Nur ihr Äußeres unterscheidet sie noch von den betreffenden Personen. Wie oft haben Sie erlebt, dass Leute von der Besatzung oder Soldaten automatisch die Befehle eines Splits befolgen, das einen Offizier nachahmt?«

»Kommen Sie zur Sache«, sagte Horvath. Gegen Burys Feststellung konnte er kaum Einwände erheben — das war allgemein bekannt.

»Also: sie lesen Gedanken — ob sie das nun durch Telepathie fertig bringen oder durch perfekte Identifikation mit einem Menschen! Sie sind dadurch die überzeugendsten Geschöpfe, denen wir je begegnen werden. Sie wissen immer genau, was uns motiviert und mit welchen Argumenten sie uns kommen müssen.«

»Herrgott noch mal!« brach Horvath los. »Wollen Sie damit sagen, sie könnten uns überreden, ihnen freiwillig die Lenin zu überlassen?«

»Sind Sie sicher, dass sie das nicht können? — Sicher, Doktor?«

David Hardy räusperte sich. Alle wandten sich zu dem Kaplan um, und Hardy schien erst ein wenig verlegen zu sein. Dann lächelte er. »Ich wusste immer, dass das Studium der antiken Klassiker noch einmal von praktischem Nutzen sein würde. Ist jemand von Ihnen vielleicht mit Platos Staat vertraut? Nein, natürlich nicht. Nun, gleich zu Beginn wird Sokrates, dem zugebilligt wird, der überzeugendste Mensch gewesen zu sein, der je gelebt hat, von seinen Freunden herausgefordert. Sie sagen, Sokrates würde entweder freiwillig bei ihnen übernachten, oder sie würden ihn dazu zwingen. Sokrates fragt sie natürlich, ob es nicht noch eine dritte Möglichkeit gebe — er könnte sie doch überreden, ihn heimgehen zu lassen. Darauf wenden die Freunde ein, dass er dazu nicht imstande sein würde, weil sie ihm gar nicht zuhören würden.«

Einige Augenblicke lang herrschte Stille.

»Oh«, sagte Sally unvermittelt. »Natürlich. Wenn die Splits niemals mit Admiral Kutuzov zusammenkommen, oder mit Kapitän Michailov oder sonst jemandem von der Besatzung der Lenin — wie können sie sie dann zu irgend etwas überreden? Sie nehmen doch gewiss nicht an, Mr. Bury, dass sie die Leute der Mac Arthur zur offenen Meuterei bringen könnten?«

Bury zuckte die Achseln. »Bei allem Respekt, Mylady, haben Sie bedacht, was die Splits zu bieten haben? Größeren Reichtum, als das ganze Imperium aufzubringen vermag.

Es sind schon Männer um einen geringeren Preis gekauft worden …«

Ja, zum Beispiel von dir, dachte Sally.

»Wenn sie so gerissen sind, warum haben Sie das nicht schon längst getan?« Kevin Renner fragte das in ziemlich spöttischem Ton, der schon fast einer Respektlosigkeit gleichkam. Da seine Entlassung bei der Rückkehr nach Neuschottland fällig wurde, konnte sich Renner alles erlauben, was ihm nicht gerade eine formelle Anklage einbrachte.

»Wahrscheinlich haben sie es bisher nicht für nötig gehalten«, entgegnete Bury.

»Wahrscheinlich können sie es nicht«, gab Renner zurück. »Und wenn sie wirklich Gedanken lesen können, dann kennen sie unsere sämtlichen Geheimnisse längst. Sie haben sich mit Sinclair unterhalten, der so gut wie alles in der Flotte reparieren kann, und sie hatten ein Fjunch(klick) auf Lord Blaine angesetzt, der wohl sämtliche politischen Geheimnisse kennt …«

»Sie hatten nie direkten Kontakt zu Kapitän Blaine«, erinnerte ihn Bury.

»Aber zu Miss Fowler, so lange sie nur wollten.« Renner kicherte über irgendeinen verborgenen Witz. »Sie weiß sicher mehr über die Politik des Imperiums als irgendeiner von uns. Mr. Bury, die Splits sind tüchtig, aber so tüchtig sind sie nun auch wieder nicht, weder in ihren Überredungskünsten noch beim Gedankenlesen.«

»Ich bin geneigt, Mr. Renner zuzustimmen«, meinte Hardy. »Allerdings wären die von Miss Fowler vorgeschlagenen Sicherheitsmaßnahmen in Erwägung zu ziehen.

Beschränken wir doch den Kontakt mit den Splits auf einige wenige Personen: mich selbst, zum Beispiel. Ich bezweifle, dass sie mich bestechen oder überreden können, und selbst wenn sie es können, habe ich keinerlei Befehlsbefugnisse. Mr. Bury, wenn er möchte. Nicht, möchte ich vorschlagen, Dr. Horvath oder sonst ein Wissenschaftler, der Zugang zu komplizierteren Apparaten hat, und keine Maate oder Soldaten, außer unter Überwachung sowohl direkt als auch über Vidi. Für die Splits mag das alles recht unangenehm sein, aber damit wäre die Gefahr für die Lenin wohl minimal.«

»Hm. Nun, Mr. Bury?« fragte Kutuzov.

»Aber — ich sage Ihnen doch, sie sind gefährlich! Ihre technischen Fähigkeiten sind einfach unglaublich. Allah sei uns gnädig, wer kann wissen, was sie aus völlig harmlosen Gegenständen zusammenbauen? Waffen, Kommunikationsgeräte, Fluchthilfen …« Burys ruhige Gelassenheit bröckelte zusehends ab, und er musste sehr um Beherrschung kämpfen.

»Ich ziehe meinen Vorschlag zurück, dass Mr. Bury Zutritt zu den Splits erhält«, sagte Hardy bedächtig. »Ich bezweifle, dass sie die Begegnung überleben würden. Sie entschuldigen schon, Exzellenz.«

Bury knurrte etwas auf Arabisch. Zu spät fiel ihm ein, dass Hardy Linguist war.

»Oh, gewiss nicht«, sagte Hardy lächelnd. »Dafür kenne ich meine Vorfahren doch zu gut.«

»Wie ich sehe, Admiral«, sagte Bury, »war ich nicht überzeugend genug. Ich bedauere das, denn diesmal habe ich wirklich nichts als die Sicherheit des Imperiums im Sinn. Ich könnte ja auch auf den Profit aus sein — mir sind die Möglichkeiten durchaus bewusst, aus Handelsbeziehungen mit den Splits ungeheuren Gewinn zu schlagen. Aber ich weiß, dass sie die größte Gefahr für die menschliche Rasse darstellen, die es je gegeben hat.«

»Da.« Kutuzov schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. »In diesem Punkt könnte ich Ihnen zustimmen, wenn wir ein Wort einfügen: Die größte potentielle Gefahr, Exzellenz. Hier müssen wir entscheiden, wo das geringste Risiko liegt, und solange die Lenin nicht gefährdet wird, ist es offensichtlich ratsamer, die Botschafter mitzunehmen, und zwar unter den von Kaplan Hardy vorgeschlagenen Bedingungen. Dr. Horvath, stimmen Sie zu?«

»Wenn wir sie nur auf diese Art mitnehmen können, ja. Ich finde es allerdings schändlich, Botschafter so …«

»Pah! — Kapitän Blaine. Stimmen Sie zu?«

Blaine rieb sich den Nasenrücken. »Ja, Sir. Sie mitzunehmen ist das kleinere Risiko — wenn die Splits eine Gefahr darstellen, können wir das jetzt doch nicht beweisen, und wir könnten von den Botschaftern auf jeden Fall eine Menge lernen.«

»Mylady?«

»Ich schließe mich Dr. Horvath an …«

»Ich danke Ihnen.« Kutuzov zog ein Gesicht, als hätte er eine Zitrone zerbissen.

»Kapitän Michailov. Sie werden alle Vorkehrungen für eine Internierung der Splits treffen. Unter dem Vorwand der drohenden Seuche — aber Sie werden dafür sorgen, dass sie nicht entkommen können. Kapitän Blaine. Sie werden die Splits informieren, dass wir ihre Botschafter an Bord nehmen; es ist jedoch möglich, dass sie gar nicht mehr mitkommen wollen, wenn sie die Bedingungen erfahren, die wir stellen müssen. Keine Werkzeuge oder Geräte. Keine Waffen. Das Gepäck wird untersucht und versiegelt und steht ihnen während des Fluges nicht zur Verfügung. Keine Miniatur-Exemplare oder andere dienende Kasten, nur die Botschafter persönlich. Was Sie ihnen an Gründen nennen wollen, liegt ganz bei Ihnen, diese Bedingungen sind jedenfalls unabänderlich.«

Er stand abrupt auf.

»Admiral, was ist mit dem Geschenkschiff?« fragte Horvath eilig. »Können wir es nicht auch …« Er brach ab, denn Kutuzov hatte, um auf ein derartiges Ansinnen nicht antworten zu müssen, schon die Messe verlassen.

45 Der Narrensprung

Kutuzov nannte ihn den Alderson-Punkt. Die Überlebenden der Mac Arthur hatten sich angewöhnt, vom »Narrenpunkt« zu sprechen, und mit der Zeit übernahmen auch Leute der Lenin die Angewohnheit. Der Punkt lag oberhalb der Ebene des Systems Splitter und war meist nur schwer aufzuspüren. Diesmal würde das jedoch kein Problem sein.

»Sie brauchen nur die Bahn des Split-Schiffes zu extrapolieren, bis sie die Verbindungslinie zwischen Splitter und Murchesons Auge schneidet«, teilte Renner Kapitän Michailov mit. »Damit kommen Sie ziemlich genau hin, Sir.«

»Die Astrogation der Splits ist dermaßen’ exakt?« fragte Michailov ungläubig.

»Mhm. Es ist zum Verrücktwerden, aber sie schaffen so was. Nehmen Sie konstante Beschleunigung an.«

»Ein zweites Schiff hält vom Split-Planeten auf diesen Punkt zu«, sagte Kutuzov. Er langte an Kapitän Michailov vorbei, um einige Daten für die Brückenbildschirme einzugeben. Eine Vektordarstellung leuchtete auf. »Es wird erst eintreffen, wenn wir schon eine Weile fort sind.«

»Ein Tankschiff«, sagte Renner überzeugt. »Und ich gehe jede Wette ein, dass das Schiff der Botschafter ein leichtes, durchsichtiges und so augenscheinlich harmloses Ding ist, dass niemand es irgendwelcher feindlicher Absichten verdächtigen könnte, Sir.«

»Nicht einmal ich, meinen Sie«, sagte Kutuzov ohne die Spur eines Lächelns. »Danke, Mr. Renner. Sie werden weiterhin Kapitän Michailov zur Seite stehen.«

Die Trojanerasteroiden hatten sie bereits passiert. Jeder Wissenschaftler an Bord wollte natürlich an die Teleskope der Lenin, um diese Kleinstwelten zu studieren, und der Admiral hatte nicht einmal Einwände erhoben. Niemand wusste, ob er nun einen Angriff in letzter Minute von den Asteroiden erwartete, oder ob er nur den Wunsch der Zivilisten teilte, soviel wie möglich über die Splits zu erfahren — jedenfalls bekamen Buckman und die anderen ihre Chance.

Buckman verlor jedoch bald das Interesse. Die Asteroiden waren besiedelt und allesamt in künstliche Bahnen gebracht worden, wodurch sie für den Astrophysiker wertlos wurden. Die anderen teilten seine Ansicht allerdings nicht. Sie beobachteten das Licht von Fusionsantrieben der Splits, maßen die Neutrinostrahlen von Reaktoren, entdeckten hellbeleuchtete Flächen, die bei der Analyse das für Chlorophyll charakteristische Spektrum aufwiesen — und begannen sich zu wundern. Der einzig mögliche Schluss war, dass sich dort unter Kuppeln riesige Pflanzungen befanden. Und jeder auch gerade nur noch erkennbare Felsbrocken wies den typischen großen Einzelkrater auf, der eindeutig bewies, dass der Asteroid bewegt worden war.

Nur einmal flackerte Buckmans Interesse wieder auf. Er hatte auf Horvaths Ersuchen die Bahnen der Asteroiden studiert. Plötzlich wurde sein Blick glasig. In fieberhafter Eile tippte er Codebezeichnungen und Daten in den Computer und starrte das Ergebnis an.

»Unglaublich.«

»Was ist unglaublich?« fragte Horvath geduldig.

»Der Wabenasteroid wies keinerlei Strahlung mehr auf.« »Ja.« Horvath hatte einige Erfahrung darin, Buckman Informationen herauszuziehen.

»Nehmen wir das auch für die anderen Asteroiden an. Ich bin überzeugt davon. Diese Bahnen sind perfekt — so weit man sie auch zeitlich vor oder zurück berechnet, es gibt nie Kollisionen. Diese Steinbrocken können schon sehr lange so herumschweben.«

Horvath ging, in Selbstgespräche versunken. Wie alt war diese Asteroidenkultur wirklich? Buckman dachte in Maßstäben, die die Lebensdauer von Sternen betrafen!

Kein Wunder, dass der Wabenasteroid nicht mehr strahlungsverseucht war: die Splits machten nie Bahnkorrekturen. Sie schössen diese Felsbrocken genau dorthin, wo sie sie haben wollten …

Nun, dachte er, Zeit, wieder in das Geschenkschiff zurückzukehren. Wir werden es nur zu bald verlassen müssen — ich frage mich, ob Blaine irgendwelche Fortschritte macht?

Rod und Sally konferierten eben gerade mit dem Admiral — auf der Brücke. Soweit Rod wusste, hatte niemand außer dem Admiral und seinem Steward je das Innere seiner Kabine zu sehen bekommen. Vielleicht auch der Admiral selber nicht, denn er schien die Brücke niemals zu verlassen. Unermüdlich beobachtete er die Schirme, nach den geringsten Anzeichen feindseliger Handlungen der Splits Ausschau haltend.

»Es ist schade«, sagte er eben. »Dieses Schiff wäre wertvoll. Aber wir können nicht riskieren, es an Bord zu nehmen. Sonderbare Mechanismen — wer weiß, wozu sie dienen mögen? Und könnten unsere Split-Passagiere sie sich nicht zu Nutzen machen?« Kutuzov schauderte.

»Ja, Sir«, meinte Rod zuvorkommend. Er bezweifelte zwar, dass das Geschenkschiff irgendeine Gefahr darstellte, aber es enthielt wirklich Apparate, die nicht einmal Sinclair durchschaute. »Ich dachte an andere Produkte. Kleinere Gegenstände. Diese Statuetten, die Kaplan Hardy so gefallen. Wir könnten alles in Plastik einsiegeln und in Stahlbehälter verstauen, die zugeschweißt werden und außen am Rumpf innerhalb des Feldes befestigt werden könnten. Wenn die Splits etwas besitzen, das uns trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen noch zu schaden vermag, dann ist es vielleicht besser, wir kehren nicht nach Hause zurück.«

»Hm.« Der Admiral strich sich durch den Bart. »Sie halten diese Artefakte für wertvoll?«

»Ja, Sir.« Wertvoll bedeutete für Kutuzov etwas anderes als für Sally oder Horvath. »Je mehr wir über die Technologie der Splits lernen, um so bessere Bedrohungsabschätzungen werden Cargill und ich liefern können, Sir.«

»Da. Kapitän, ich möchte, dass Sie mir offen Ihre Meinung sagen. Was halten Sie von den Splits?«

Sally hielt ihre Zunge nur mühsam im Zaum. Sie überlegte, was Rod jetzt sagen würde.

Es hatte sich gezeigt, dass er den Admiral ganz unerwartet geschickt zu manipulieren verstand.

Rod zuckte die Achseln. »Ich stimme sowohl mit Dr. Horvath als auch mit Ihnen selbst überein, Sir.« Als Kutuzov ihn erstaunt anblickte, fügte Rod eilig hinzu: »Sie könnten die größte potentielle Gefahr darstellen, der wir je begegnet sind, oder auch unsere größte Chance. Vielleicht beides. Was auch zutrifft — je mehr wir über sie wissen, um so besser — solange wir Vorkehrungen treffen, um jedes denkbare Risiko auszuschalten.«

»Ah. Kapitän, ich schätze Ihre Meinung. Wenn ich es gestatte, werden Sie die persönliche Verantwortung dafür übernehmen, dass jegliche Gefährdung durch Split-Artefakte, die von diesem Schiff herübergebracht werden, eliminiert wird? Ich erwarte mehr als Gehorsam. Ich verlange Ihren persönlichen Einsatz und Ihr Wort, dass Sie kein Risiko eingehen.«

Damit werde ich mich bei Horvath nicht gerade beliebt machen, überlegte Rod. Anfangs wird der Wissenschaftsminister froh sein, überhaupt etwas mitnehmen zu dürfen; aber über kurz oder lang wird er etwas haben wollen, dem ich nicht traue. »Jawohl, Sir. Ich gehe hinüber und kümmere mich selbst darum. Äh … ich würde Miss Fowler brauchen.«

Kutuzovs Augen verengten sich, »Bah. Sie wären für ihre Sicherheit verantwortlich.«

»Natürlich.«

»Also gut. Sie können gehen.« Als Rod und Sally die Brücke verlassen hatten, musterte Commander Borman seinen Admiral neugierig. Er fragte sich, ob er wirklich die Spur eines Grinsens entdeckte. Nein, natürlich nicht. Das war einfach nicht denkbar.

Wäre ein Offizier von höherem Rang als Blaine anwesend gewesen, hätte Kutuzov vielleicht irgendeinen Kommentar abgegeben, aber er dachte nicht daran, über einen Kapitän — und zukünftigen Marquis — mit Borman zu diskutieren. Er hätte jedoch vielleicht etwas gesagt wie: »Blaine zu beschäftigen ist eine Gefährdung von Miss Fowler wert. Wenn er nicht vor sich hin brütet, ist er ein guter Offizier.« Kutuzov mochte vielleicht niemals die Brücke verlassen, aber er hielt es für seine Pflicht, seine Offiziere auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit zu halten. Wie alle seine Pflichten nahm er das sehr ernst.


Natürlich gab es sofort Zwistigkeiten. Horvath wollte alles mitnehmen und gab sich der Täuschung hin, dass Rod den Admiral eingewickelt hätte. Als er herausfand, dass Blaine sein Versprechen ernst nahm, war es mit dem Tauwetter zwischen den beiden Männern vorbei. Zornig und fast den Tränen nahe sah er zu, wie Blaines Leute das Geschenkschiff zu zerlegen begannen, empfindliche Apparaturen in Stücke schnitten — manchmal ganz willkürlich, um die Möglichkeit zu eliminieren, dass die Splits bestimmte Demontagemaßnahmen vorausgesehen und irgendeinen Hinterhalt darauf aufgebaut hatten.

Zumindest hatte Rod jetzt endlich wieder eine nützliche Beschäftigung, und er konnte dabei mit Sally Zusammensein. Wenn sie nicht arbeiteten, führten sie oft stundenlange Gespräche, genossen den Weinbrand der Splits und luden manchmal Kaplan Hardy dazu ein. Rod begann einiges über Anthropologie zu lernen, wenn er Sally und Hardy bei Debatten über theoretische Spitzfindigkeiten der kulturellen Entwicklung zuhörte.

Als der Narrenpunkt immer näher rückte, geriet Horvath fast völlig aus der Fassung.

»Sie sind genauso arg wie der Admiral, Blaine«, warf er Rod vor, als er mit ansehen musste, wie ein Flotteningenieur mit einem Schneidlaser auf eine Apparatur losging, die das komplexe Feld schuf, welches die Molekularstrukturen in einer der wunderbaren Kaffeemaschinen änderte. »Wir haben bereits so ein Ding auf der Lenin. Was kann ein zweites schon schaden?«

»Die Maschine, die wir haben, wurde nicht von Splits gebaut, die wussten, dass sie auf ein Kriegsschiff kommen würde«, antwortete Sally. »Außerdem ist die hier anders …«

»Jeder Gegenstand, den die Splits herstellen, ist anders als der vorhergehende«, fauchte Horvath. »Sie sind noch am schlimmsten von der Bande — noch misstrauischer als Blaine, bei Gott. Ich hätte gedacht, Sie wüssten es besser.«

Sie lächelte ergeben und warf eine Münze hoch. »Schneiden Sie’s hier noch mal durch«, wies sie dann den Ingenieur an.

»Gut, Miss.« Der Mann drehte den Schneidapparat und ließ den Strahl noch einmal über das Metall streichen.

»Ach, zum Teufel.« Horvath marschierte hinaus, um David Hardy zu suchen. Der Kaplan hatte die Rolle des Friedensstifters übernommen, was sehr nötig war. Ohne ihn hätte binnen Stunden niemand im Kutter mehr ein Wort mit den anderen gesprochen.

Der Ingenieur hatte den Apparat jetzt fertig zerschnitten und packte die Teile in die bereitstehende Kiste. Dann goss er alles mit einer rasch erstarrenden Plastikmasse zu und verschloss den Deckel. »Hab’ eine Stahlkiste draußen, Sir. Ich werd’ das mal schnell einschweißen geh’n.«

»In Ordnung«, sagte Blaine. »Ich schau’ mir’s dann später an.« Als der Mann die Kabine verlassen hatte, drehte er sich zu Sally um. »Weißt du, es ist mir nie aufgefallen, aber Horvath hat recht. Du bist wirklich vorsichtiger als ich. Warum?«

Sie zuckte die Achseln. »Mach dir deswegen doch keine Gedanken.«

»Wenn du meinst.«

»Da draußen ist Buckmans Protostern«, sagte sie. Sie schaltete die Kabinenbeleuchtung aus, nahm seine Hand und führte ihn zur Aussichtsluke. »Ich werde nie müde, mir das anzuschauen.«

Es dauerte eine Weile, bis ihre Augen sich adaptierten und der Kohlensack nicht mehr nur tiefschwarz war. Langsam begannen die Rottöne sichtbar zu werden, und bald konnten sie auch einen kleinen rötlichen Spiralnebel vor dem Schwarz ausmachen.

Sie standen ganz nahe beisammen. In letzter Zeit war das oft der Fall, und Rod hatte durchaus nichts dagegen. Er strich mit den Fingern sanft über ihren Rücken hoch, bis er sie schließlich zart’ unter dem rechten Ohr kraulen konnte.

»Du wirst bald mit den Split-Botschaftern sprechen müssen«, sagte sie. »Hast du dir schon überlegt, was du sagen willst?«

»Mehr oder weniger. Es wäre vielleicht besser gewesen, sie ein bisschen vorzuwarnen, aber — sicherer ist’s wohl so, wie der Admiral es haben will.«

»Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied ausmacht. Jedenfalls wird es schön sein, wieder in eine Gegend mit mehr Sternen zu kommen. Ich frage mich — Rod, was glaubst du, wie werden diese Botschafter sein?«

»Keine Ahnung. Aber ich denke, wir werden’s bald genug erfahren. Du redest zuviel.«

»Das wirft mir Onkel Ben auch immer vor.«

Dann sagten sie beide lange Zeit nichts mehr.


»Bereithalten. Sie kommen an Bord.«

»Hangardeckklappen öffnen. Leinenträger los.«

»Winden klar!«

Langsam wurde das Boot in den Schlund der Lenin gezogen. Ein zweites Raumtaxi mit dem Gepäck der Splits schwebte noch draußen. Alles, selbst die Druckanzüge, in denen die Splits auf das Boot umgestiegen waren, war in einem separaten Boot zur Lenin gebracht worden. Das Passagierboot setzte mit einem lauten Klunk auf dem Stahldeck auf.

»Alle Mann, Achtung!«

»Infanterie, Waffen präsentiertttt!«

Die Luftschleuse öffnete sich, und die Bootsmannskapelle spielte etwas Hymnenähnliches auf dem Dudelsack. Ein braunweißes Gesicht erschien. Dann ein zweites. Als die beiden Vermittler das Boot verlassen hatten, tauchte das dritte Split auf.

Es war reinweiß, mit seidigen Pelzbüscheln unter den Armen. Leichtes Grau fleckte sein Fell im Gesicht und am Rumpf.

»Ein älterer Meister«, flüsterte Blaine Sally zu. Sie nickte. Wenn Haarfollikel von kosmischen Strahlen getroffen wurden, hatte das mit der Zeit bei Menschen wie bei Splits die gleichen Auswirkungen.

Horvath ging den Botschaftern bis zum Ende des Infanterie-Ehrenspaliers entgegen.

»Willkommen an Bord«, sagte er. »Ich freue mich, euch begrüßen zu dürfen — dies ist ein historischer Augenblick.«

»Für beide Rassen, wie wir hoffen«, sagte der erste Vermittler.

»Im Namen der Flotte, willkommen an Bord«, sagte Rod. »Ich muss nochmals um Entschuldigung bitten wegen der Notwendigkeit einer Quarantäne, aber …«

»Macht euch deshalb keine Gedanken«, sagte ein Split. »Ich heiße Jock. Das hier ist Charlie.« Es zeigte auf den zweiten Vermittler. »Die Namen sind nur zur Bequemlichkeit, denn unsere könntet ihr nicht aussprechen.« Es wandte sich an den weißen Meister und begann zu zwitschern. Es endete mit »Kapitän Roderick Blaine und Minister Anthony Horvath«, und wandte sich wieder den Menschen zu. »Herr Minister Horvath, darf ich den Botschafter vorstellen. Er ersucht, Ivan genannt zu werden.«

Rod verneigte sich. Er war noch nie zuvor einem Split persönlich begegnet, und es reizte ihn irgendwie, diesen weichen Pelz zu streicheln. Ein männliches Weißes.

»Die Ehrenwache wird euch in euer Quartier bringen«, sagte Rod. »Ich hoffe, es ist groß genug; es besteht aus zwei angrenzenden Kabinen.« Und vier fluchenden Offizieren, die ausquartiert worden waren; die Folgen dieser Maßnahme pflanzten sich wie eine Druckwelle die gesamte Hackordnung der Flotte hinunter fort, bis zum Schluss ein jüngerer Leutnant im Geschützraum bei den Kadetten der Lenin landete.

»Eine Kabine würde ausreichen«, sagte Charlie ruhig. »Wir benötigen keine Intimsphäre. Das ist etwas, worauf unsere Spezies verzichten kann.« Irgend etwas in Charlies Stimme klang vertraut, Rod wusste nicht recht was, und es störte ihn.

Die Splits verbeugten sich zugleich in perfekter Nachahmung höfischer Manieren; Rod fragte sich, woher sie das gelernt hatten. Er erwiderte die Verbeugung, ebenso Horvath und die anderen im Hangarraum. Dann führten die Infanteriewachen die drei Splits weiter; ein zweiter Trupp Schloss sich der Prozession an. Kaplan Hardy würde sie in ihren Kabinen erwarten.

»Ein männlicher Meister«, überlegte Sally laut.

»Interessant. Die Vermittler haben ihn als Botschafter bezeichnet, obwohl uns früher gesagt wurde, alle drei hätten die gleichen Vollmachten. Die Splits sagten, sie müssten einstimmig handeln, um Verträge abschließen …«

»Vielleicht sind die Vermittler nicht seine Vermittler«, warf Sally ein. Ich werde fragen — ich finde bestimmt eine Gelegenheit. Rod, bist du sicher, dass ich jetzt nicht mitgehen darf? Gleich?«

Er grinste. »Du kommst schon noch dran. Lass doch jetzt mal Hardy sein Sprüchlein aufsagen.« Das Hangardeck leerte sich jetzt rasch. Von der Besatzung der Lenin war nicht ein Mann dabei gewesen, auch nicht in den Booten, die die Splits von ihrem Schiff abgeholt hatten. Nun wurde noch das Gepäckboot an seinen Platz gezogen und versiegelt.

»Achtung. Sprungstationen bemannen, alles klar für Alderson-Antrieb. Sprungstationen bemannen!«

»Er verschwendet keine Zeit, was?« sagte Sally.

»Nein. Wir beeilen uns besser.« Er nahm sie bei der Hand und half ihr bis in seine Kabine, während die Rotation der Lenin sich immer mehr verminderte, bis Schwerelosigkeit herrschte. »Ich vermute, dass die Splits die Rotation gar nicht brauchten«, meinte Rod, als sie die Kabine erreichten. »Aber so ist der Admiral. Was er tut, tut er korrekt.«

»Alles klar für Alderson-Antrieb. Alles auf Sprungstation!«

»Komm schon«, drängte Rod. »Wir haben gerade noch Zeit, die Split-Kabinen auf dem Vidi einzustellen.« Er hantierte an den Schaltern herum, bis das Quartier der Splits auf dem Bildschirm sichtbar wurde.

Kaplan Hardy sagte eben: »Wenn ihr etwas braucht — vor eurer Tür wird immer eine Ordonnanz bereitstehen, und dieser Schalter hier verbindet euch direkt mit meiner Kabine. Ich bin auf dieser Reise euer offizieller Gastgeber.«

Warnsignale schrillten durch das Schiff. Hardy runzelte die Stirn. »Ich muss jetzt wohl in meine Kabine — ihr werdet auch während des Alderson-Übergangs wahrscheinlich lieber allein sein. Ich würde vorschlagen, dass ihr euch auf den Liegen festschnallt und dort bleibt, bis der Übergang vorbei ist.« Er musste sich zurückhalten, um nicht zuviel zu sagen. Seine Anweisungen waren klar: die Splits durften nichts erfahren, bis sie ihr Heimatsystem verlassen hatten. »Wird es lange dauern?« fragte Jock. Hardy lächelte dünn. »Nein. Alles Gute.«

»Auf Wiedersehn«, sagte Jock.

»Auf Wiedersehen.« David Hardy ging mit etwas verwirrter Miene. Wer hatte den Splits bloß diesen etwas altmodischen Gruß beigebracht?


Die Liegen waren falsch proportioniert und zu hart und auch nicht auf individuelle Unterschiede angepasst. Jock verdrehte den Rumpf und wedelte mit dem unteren rechten Arm, um ihr Missfallen, aber auch ihre Überraschung auszudrücken, dass die Dinge nicht schlimmer lagen. »Offenbar nach einem Möbelstück für ein Braunes kopiert.« Die Tonlage zeigte positives Wissen an, das aus einer Schlussfolgerung, nicht aus direkten Beobachtungen stammte. Dann ging ihre Stimme in den Gesprächsmodus über. »Ich wünschte, wir hätten uns ein eigenes Braunes mitnehmen können.«

Charlie: »Ich auch. Aber mit einem Braunen hätte man uns nicht getraut. Ich weiß es.«

Sie setzte zu einem neuen Gedanken an, aber jetzt sprach der ’Meister.

Ivan: »War der menschliche Meister bei jenen, die uns erwarteten?«

Jock: »Nein. Verflucht! So lange habe ich versucht, ihn zu studieren, und immer noch habe ich ihn nicht getroffen, nicht einmal seine Stimme gehört. Was weiß ich — er könnte eine Gruppe sein, oder ein einzelner Meister, der den anderen Menschen untersteht. Ich würde jedoch einen Großteil meines Körpers verwetten, dass er ein Mensch ist.« j Ivan sprach im offiziellen Ton des Meisters. »Du wirst keinen Versuch machen, den Meister der Lenin zu treffen. Sollten wir ihn kennenlernen, so wirst du nicht sein Fjunch(klick) werden. Wir wissen, was mit den Fjunch(klick)s von Menschen geschieht.«

Eine Antwort war nicht erforderlich. Der Meister wusste, dass er gehört worden war, und man ihm daher gehorchen würde. Er ging zu seiner Liege und begutachtete sie mit Abscheu.

Alarmsignale ertönten, und aus den Lautsprechern drang Menschensprache.

»Vorbereiten auf Narren-Antrieb. Letzte Warnung«, übersetzte einer der Vermittler. Sie legten sich in die Kojen. Ein sehr lauter Ton hallte durch das ganze Schiff.

Dann geschah irgend etwas Entsetzliches.

46 Persönlich und Dringend

»Rod! Rod, schau nur, die Splits!«

»Ha?« Blaine focht mit seinem verräterischen Körper einen zunächst noch aussichtslosen Kampf aus. Sein Verstand hatte sich irgendwohin verdrückt, und es war sehr schwer, sich auf die primitivsten Dinge zu konzentrieren. Er schaute zu Sally hinüber und folgte dann ihrem Blick zum Bildschirm.

Die Splits zappelten wild herum. Sie waren von ihren Kojen weggetrieben, und der Botschafter schwebte völlig desorientiert in der Kabine umher. Er prallte gegen ein Schott und trieb auf die andere Seite hinüber. Die beiden Vermittler waren selbst in Schwierigkeiten und sahen hilflos zu. Einer griff vorsichtig nach dem Meister, bekam aber keinen Halt an seinem glatten Pelz. Alle drei trieben verwirrt durch den Raum.

Jock fand als erstes eine Verankerung. Sie pfiff und schnaubte, und Charlie ruderte auf den Meister zu, erwischte ihn mit der linken Hand am Fell, während Jock sich mit den beiden rechten Armen festhielt und den linken ausstreckte, bis Charlie ihn erreichen konnte. Mühsam zogen sie sich zu den Kojen zurück und Jock schnallte Ivan an.

Endlich lagen sie wieder alle drei da, verwirrt zwitschernd und kluckend.

»Sollten wir ihnen nicht helfen?« fragte Sally.

Rod streckte sich und versuchte in Gedanken eine Quadratwurzel zuziehen. Dann nahm er sich zwei Integrale vor und löste sie richtig. Sein Verstand hatte sich offenbar genügend erholt, um sich wieder mit Sally und den Splits zu beschäftigen. »Nein. Wir könnten ohnehin nichts mehr tun — und bleibenden Effekt hat man noch nie beobachtet, außer bei ein paar wenigen Leuten, die einfach den Verstand verlieren und nicht mehr in die Realität zurückfinden.«

»Das ist bei den Splits sicher nicht der Fall«, stellte Sally überzeugt fest. »Sie haben sich ganz zweckmäßig verhalten, nur hatten sie noch Schwierigkeiten. Wir haben uns aber viel schneller erholt als sie.«

»Ein Trost, dass wir wenigstens bei irgend etwas besser sind als die Splits. Hardy müsste bald wieder auftauchen — aber ein wenig länger als bei uns wird es schon dauern. Er ist älter.« »Beschleunigungswarnung! Alles klar für ein Grav.

Beschleunigungswarnung.« Ein Vermittler zwitscherte etwas, der Meister antwortete kurz.

Sally beobachtete sie noch eine Weile. »Ich glaube, du hast recht. Es scheint ihnen ganz gut zu gehen, nur der Meister ist noch ein bisschen zappelig.«

Ein Signal ertönte. Die Lenin kam mit einem weichen Ruck in Fahrt, und die Schwere kehrte zurück. Sie waren nach Hause unterwegs. Rod und Sally schauten einander an und lächelten. Es ging heim!

»Was hättest du eigentlich für den Meister tun wollen?« erkundigte sich Rod.

Sie zuckte hilflos die Achseln. »Ich weiß nicht. Sie sind so anders. Und — Rod, was würdest du tun, wenn du kaiserlicher Botschafter für eine andere Rasse wärst, und sie sperrten dich in eine kleine Kabine mit nicht nur einer, sondern zwei versteckten Kameras in jeder Ecke?«

»Ich hab’ schon darauf gewartet, dass sie die verdammten Dinger zerschlagen. Sie haben sie natürlich entdeckt. Wir haben ja nicht versucht, sie unauffindbar anzubringen.

Aber wenn sie deswegen etwas zu Hardy gesagt haben, müssen wir es versäumt haben.« »Ich glaube nicht, dass sie was sagten. Sie benehmen sich nicht, als ob sie sich dadurch gestört fühlten. ›Unsere Spezies kann auf Intimsphäre verzichten hat Charlie gesagt.« Sally schauderte. »Darin sind sie wirklich anders.«

Ein Summer ertönte, und Rod)drehte sich automatisch zu seiner Kabinentür um, bevor ihm klar wurde, dass das Geräusch vom Vidi gekommen war. Eines der Splits ging vorsichtig zur Tür und öffnete sie. Hardy kam herein.

»Alles in Ordnung?« fragte er zögernd.

»Ihr hättet uns vorwarnen können«, sagte Jock. Es lag kein Vorwurf in ihrem Ton; es war einfach eine sachliche Feststellung. »Hat der Große-Narren-Antrieb auch auf Menschen eine solche Wirkung?«

»Was für eine Wirkung?« fragte Hardy unschuldig.

»Desorientierung. Schwindel. Aussetzen der Konzentrationsfähigkeit. Unkontrollierbare Muskelzuckungen. Übelkeit. Todeswunsch.«

Hardy blickte überrascht drein. Vermutlich war er es tatsächlich, dachte Rod. Der Kaplan würde die Splits nicht beobachten, ohne es ihnen zu sagen, obwohl bestimmt ein Dutzend Augen pro Wachturnus sie über die Bildschirme anstarren würde. »Die Menschen zeigen auch eine Wirkung«, sagte Hardy nun. »Allerdings nicht eine so heftige, wie ihr sie beschreibt. Der Antrieb verursacht Desorientierung und allgemein mangelnde Konzentrationsfähigkeit, doch der Effekt geht rasch vorüber. Wir wussten nicht, wie sich der Übergang auf euch auswirken würde, aber wir hatten bis jetzt nur sehr wenig Fälle mit irreversiblen Folgen, und die waren zur Gänze … äh … psychisch.«

»Ich verstehe«, sagte Charlie. »Dr. Hardy, wenn Sie uns jetzt entschuldigen wollen — wir fühlen uns noch nicht imstande, Konversation zu machen. Vielleicht in ein paar Stunden. Und das nächste Mal werden wir Ihren Ratschlag befolgen und uns in den Kojen anschnallen und schlafen, wenn Sie diese Narren-Maschine einschalten.« »Dann werde ich euch jetzt allein lassen«, sagte Hardy. »Können wir — braucht ihr vielleicht irgend etwas? Geht es dem Botschafter gut?«

»Nun, es geht ihm schon besser. Danke für Ihre Besorgnis.«

Hardy ging, und die Splits legten sich wieder in ihre Kojen. Sie zwitscherten und pfiffen miteinander.

»Und das war’s«, sagte Rod. »Ich weiß mir eine Menge interessanterer Dinge, als Splits zu beobachten, die einfach nur daliegen und sich in einer Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe.«

Wir werden noch viel Zeit haben, die Splits zu studieren, überlegte Sally. Und erstaunlicherweise hat keiner von uns im Augenblick irgendwelche Pflichten — und wir sind allein. »Ich auch«, sagte sie sanft.


Trotz der Kubikkilometer gelbglühender Gase, die sie umgaben, war die Lenin ein glückliches Schiff. Kutuzov lockerte die strengen Bestimmungen und ließ seine Mannschaft zum ersten Mal seit der Vernichtung der Mac Arthur wieder die normale Wacheinteilung aufnehmen. Das Schiff befand sich zwar mitten in einer ›Sonne‹, aber es hatte mehr als genug Treibstoff, und alle Probleme waren Routinesachen, die sich den Vorschriften gemäß erledigen ließen. Selbst die Wissenschaftler vergaßen ihre Enttäuschung darüber, dass sie das fremde System mit einer Menge unbeantworteter Fragen verlassen mussten: sie waren auf dem Heimweg.

Die einzige Frau im Umkreis von zehn Parsek wäre auf jeden Fall die Zielscheibe der verschiedensten Spekulationen geworden. An jeder von zwei Fragen hätten sich Streitigkeiten entzünden können: Wie stehen meine/deine Chancen bei ihr? und Will sie denn eine alte Jungfer werden? Sally hatte jedoch ganz offensichtlich bereits ihre Wahl getroffen. Das erleichterte jenen das Leben, die sich über solche Fragen den Kopf zerbrechen, und auch jenen, deren Aufgabe es ist, Raufhändel unter den Männern zu verhindern.

Am ersten Abend nach dem Sprung gab Kutuzov ein Abendessen. Es war eine sehr förmliche Angelegenheit, und die meisten Gäste unterhielten sich nicht besonders gut; die Tischgespräche des Admirals beschränkten sich auf professionelle Themen. Er ging jedoch ziemlich früh, und danach wurde die Gesellschaft noch recht munter.

Rod und Sally blieben drei Stunden. Alle wollten über die Splits sprechen, und Rod stellte überrascht fest, dass er sich über die Fremden unterhalten konnte, ohne noch viel von der dumpfen Bitterkeit zu verspüren, die ihn früher überkommen hatte, wenn er nur an sie dachte. Sallys Begeisterung war eine Hilfe — und außerdem schien sie um ihn genauso besorgt zu sein wie um die Splits. Sie hatte sich sogar Stunden damit geplagt, Michailovs Reserve-Galauniform zu ändern, so dass sie ihm jetzt beinahe passte.

Als sie sich von der Gesellschaft zurückgezogen hatten, wurden in den Stunden, die sie noch miteinander verbrachten, bevor sie in ihre Kabinen zurückkehrte, weder die Splits noch der Splitter erwähnt.

Das Schiff strebte aus dem Zentrum des Riesensterns nach außen. Endlich färbte sich das wabernde Gelb außerhalb seines Schutzfeldes orange, dann ziegelrot, und schließlich zeigten die Sonden der Lenin an, dass ihr Feld heißer war als die umgebende Photosphäre. Wissenschaftler und Besatzung beobachteten gleichermaßen eifrig die Bildschirme, und als endlich vor einem rötlich-schwarzen Hintergrund wieder Sterne sichtbar wurden, feierten das alle mit Drinks und Begeisterung. Sogar der Admiral Schloss sich an, ein breites Lächeln auf den groben Zügen.

Kurz danach bekam der Funkoffizier Kontakt mit einem wartenden Tanker. In der Nähe lag eine kleine Nachrichtenschaluppe, ein schnelles Boot mit einer jungen Besatzung, die in ausgezeichneter körperlicher Verfassung war. Kutuzov diktierte seinen Bericht und schickte ihn mit zwei seiner Kadetten hinüber; gleich darauf beschleunigte die Schaluppe mit drei Grav und jagte zum Alderson-Punkt, wo sie ins System Neukaledonien springen und die Nachricht vom ersten Kontakt der Menschheit mit einer fremden Zivilisation überbringen würde.

Der Tanker brachte Post mit und die Neuigkeiten von nahezu einem Jahr. Es hatte noch ein paar Aufstände im Sektor gegeben. Eine frühere Kolonie hatte sich mit einem gut gerüsteten Unabhängigen-System verbündet und war gegen das Imperium aufgestanden. New Chicago war von der Armee besetzt, und obwohl die Wirtschaft wieder zu funktionieren begann, lehnte ein Großteil der Bevölkerung die imperiale Bevormundung ab. Die Inflation der Krone war unter Kontrolle gebracht worden. Ihre Kaiserliche Majestät hatte einem Sohn, Alexander, das Leben geschenkt, und Kronprinz Lysander war nicht mehr die einzige Garantie für das Fortbestehen des kaiserlichen Hauses. Diese Nachricht musste auf der Lenin natürlich auch gebührend gefeiert werden — und das wurde sie, denn die Feier nahm derartige Ausmaße an, dass Michailov Leute von der Mannschaft der Mac Arthur ausborgen musste, um die notwendigsten Posten in Seinem Schiff bemannen zu können.

Die Schaluppe kehrte mit neuen Nachrichten zurück, die per Maser übermittelt wurden, noch ehe das Kurierboot bei der Lenin anlegte. Die Sektorhauptstadt war in einen Begeisterungstaumel ausgebrochen, und der Vizekönig plante einen Galaempfang für die Split-Botschafter. Kriegsminister Armstrong sandte ein Telegramm mit gedämpftem Lob und tausend Fragen.

Es war auch eine Nachricht für Rod Blaine dabei. Er erfuhr davon, als er von der Infanterieordonnanz des Admirals in Kutuzovs Kabine gebracht wurde.

»Wahrscheinlich geht’s jetzt los«, meinte Rod zu Sally. »Stellt Blaine unter Arrest, bis er vors Kriegsgericht gebracht werden kann.«

»Red’ keinen Unsinn.« Sie lächelte ihn aufmunternd an. »Ich werde hier auf dich warten.«

»Wenn sie mich jemals wieder in meine Kabine lassen.« Er wandte sich an den Infanteristen. »Gehen wir, Ivanov.« Als er die Kabine des Admirals betrat, erlebte er die Überraschung seines Lebens. Rod hatte einen kahlen, funktionellen und ungemütlichen Raum erwartet; statt dessen sah er sich einer verwirrenden Farbenvielfalt gegenüber, Orientteppichen, Wandbehängen, der unvermeidlichen Ikone, dem Bild des Kaisers und noch vielem anderen. In einer Stellage oberhalb von Kutuzovs Schreibtisch standen sogar einige ledergebundene Bücher. Der Admiral wies auf einen Sessel aus spartanischem Rosenteak. »Möchten Sie Tee?« fragte er.

»Nun — ja, danke, Sir.«

»Zwei Gläser, Keemun.« Der Steward schenkte aus einer silbernen Thermosflasche ein, die wie ein alter russischer Samowar geformt war, und servierte den Tee in geschliffenen Gläsern.

»Sie können gehen. — Kapitän Blaine, ich habe in Bezug auf Sie Befehle erhalten.«

»Ja, Sir«, sagte Rod. Er hätte wenigstens damit warten können, bis ich den Tee getrunken habe.

»Sie werden dieses Schiff verlassen. Sobald die Schaluppe längsseits geht, werden Sie sich an Bord begeben und mit der höchsten Beschleunigung nach Neukaledonien zurückkehren, die der Flugsanitäter genehmigt.«

»Jawohl, Sir — ist man so begierig, mich vors Kriegsgericht zu zerren?«

Kutuzov zog erstaunt die buschigen Brauen hoch. »Kriegsgericht? Das glaube ich nicht, Kapitän. Es muss natürlich eine formelle Untersuchung geben. Das schreibt das Reglement vor. Es würde mich jedoch überraschen, wenn das Untersuchungsgericht irgendeine Anklage gegen Sie erhöbe.«

Kutuzov wandte sich seinem kostbar geschnitzten Schreibtisch zu. Auf der seidenglatt polierten Platte lag ein Nachrichtenband. »Das ist für Sie. Es trägt den Vermerk ›Persönlich und Dringend‹ und wird Ihnen wohl die gesuchte Erklärung liefern.« Rod nahm das Band und musterte es neugierig.

»Es ist natürlich im Code für kommandierende Offiziere gehalten«, sagte der Admiral.

»Mein Flaggensekretär wird Ihnen behilflich sein, wenn Sie es wünschen.«

»Ich danke Ihnen.«

Der Admiral rief über die Bordsprechanlage einen Leutnant in die Kabine, der das Band durch die Decodiermaschine laufen ließ, nachdem er einige Daten eingetippt hatte. Der Apparat spuckte schnatternd ein dünnes Blatt mit dem Klartext aus.

»Ist das alles, Admiral?« fragte der Leutnant.

»Ja. Kapitän, ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie Ihre Nachricht lesen können. Guten Morgen.« Der Admiral und der Leutnant verließen die Kabine.

Rod riss den Papierstreifen ab und begann in wachsender Verwunderung zu lesen.


Auf dem Rückweg in seine Kabine las er die Nachricht noch einmal. Sally sprang auf, als er eintrat. »Rod, was machst du nur für ein Gesicht?«

»Hab’ einen Brief bekommen«, sagte er.

»Oh — Neuigkeiten von zu Hause?«

»Sozusagen.«

Sie lächelte, aber in ihrer Stimme machte sich Unsicherheit bemerkbar. »Wie geht es allen? Ist dein Vater gesund?« Rod kam ihr nervös und aufgeregt vor, aber er war viel zu munter, um schlechte Nachrichten erhalten zu haben. Was brachte ihn also so aus dem Häuschen? Es war fast so, als hätte er irgendeine Aufgabe erhalten, etwas, was er gern tun wollte, vor dem er aber ein bisschen Angst hatte.

»Meiner Familie geht’s gut. Deiner auch — aber das wirst du bald genug selber hören.

Senator Fowler ist in Neuschottland.«

Sie schaute ihn ungläubig an. »Onkel Ben ist hier draußen? Aber warum?« »Er sagt, er begann sich Sorgen um dich zu machen. Niemand da, der sich um dich kümmert, also musste er …«

Sie streckte ihm die Zunge heraus und versuchte das Nachrichtenblatt zu erwischen.

Rod wich ihr trotz der eineinhalb Ge geschickt aus.

»Na schön«, sagte er. Er lachte, aber es klang gepresst. »Der Kaiser hat ihn geschickt.

Als seinen persönlichen Vertreter und als Vorsitzenden einer Kaiserlichen Kommission, die mit den Splits verhandeln soll.« Rod schwieg einen Augenblick lang. »Wir wurden beide in die Kommission berufen.«

Sie schaute ihn betroffen an. Langsam kam Verstehen in ihre Augen. Dies war eine berufliche Anerkennung, wie sie sich sie nie erträumt hätte.

»Meinen Glückwunsch, Miss Kommissionsrat«, lachte Rod. Er nahm sie bei den Händen und hielt sie mit ausgestreckten Armen fest. »Der Lordvorsitzende Seiner Majestät Sonderkommission fragt mich außerdem, wann wir heiraten werden. Ich halte diese Frage für einigermaßen berechtigt.«

»Aber … ich … Rod … wir …« Es verschlug ihr den Atem.

»Bei Gott, hab’ ich’s doch tatsächlich fertiggebracht, dass es dir die Sprache verschlägt.

Einmal hältst du den Mund …« Er benützte die günstige Gelegenheit, um sie zu küssen.

Dann noch einmal. Das dauerte langer.

»Ich glaube, ich sollte lieber diesen Brief lesen«, sagte sie, als er sie freigab. »Wenn du erlaubst.«

»Du hast noch immer nicht die Frage deines Onkels beantwortet, und ich lasse dich das nicht lesen, bevor du’s tust.«

»Seine Frage!« Ihre Augen blitzten gefährlich. »Rod Blaine, wenn ich jemanden heirate — wenn, hörst du —, dann wird er mich gefälligst selbst fragen!«

»Also gut. Lady Sandra Liddell Leonovna Bright Fowler, wollen Sie mich heiraten?«

Jede Spur von Neckerei war aus seiner Stimme verschwunden, und obwohl er sein Grinsen zu halten versuchte, gelang es ihm irgendwie nicht mehr. Er machte ein Gesicht wie ein Vierjähriger, der zum ersten Male vor einem lichterglänzenden Weihnachtsbaum steht. »Wenn wir wieder in Neuschottland sind …«

»Ja natürlich will ich dich heiraten — aber Neuschottland? Rod, dein Vater wird erwarten, dass wir bei Hof heiraten. Alle unsere Freunde sind auf Sparta …«

»Ich glaube, du solltest vielleicht doch lieber die Nachricht lesen, Liebste. Wir kommen wahrscheinlich noch längere Zeit nicht nach Sparta zurück.« Er gab ihr das Formular und setzte sich auf die Armlehne des Stuhls, in den sie sich fallen ließ. »Hier, dieser Teil.« Er zeigte es ihr.

ERSTE REAKTION HIER ZWIESPALT OB SIE ALS HELD ODER VERBRECHER ANZUSEHEN SIND STOP VERLUST VON MAC ARTHUR VON ADMIRALITÄT NICHT BEGEISTERT BEGRÜSST STOP CRANSTON EXPLODIERTE STOP ARMSTRONG SAGTE ZITIERE WIE ZUR HÖLLE KANN JEMAND EINEN SCHLACHTKREUZER VERLIEREN ENDE ZITAT STOP

ABSATZ KUTUZOVS BERICHT ZU IHREN GUNSTEN STOP KUTUZOV ÜBERNIMMT VOLLE VERANTWORTUNG FÜR VERLUST STOP KUTUZOV MELDET

OBERKASTEN-SPLITS HÄTTEN MÖGLICHERWEISE MAC ARTHUR VON UNGEZIEFER SÄUBERN KÖNNEN ABER NACH SEINER ENTSCHEIDUNG RISIKO

DER PREISGABE TECHNOLOGISCHER GEHEIMNISSE ZU GROSS STOP KUTUZOV NOCH UNSICHER ÜBER AUSMASS VON SPLITGEFAHR EMPFIEHLT

JEDOCH ADMIRALITÄT GROSSE KRIEGSFLOTTE ZU SAMMELN STOP HORVATHS BERICHT BESAGT SPLITS FREUNDLICH KEINE FLOTTE NÖTIG UND SPLITS ZITIERE GRÖSSTE CHANCE DER MENSCHLICHEN GESCHICHTE ZITAT ENDE STOP PROBLEM BEI MIR GELANDET STOP

»Bei uns auch«, bemerkte Rod. »Aber lies weiter.«

ABSATZ DURCH ERNENNUNG DES SOUVERÄNS BIN ICH NUN LORDVORSITZENDER DER KAISERLICHEN SONDERKOMMISSION FÜR DIE VERHANDLUNG MIT FREMDEN INTELLIGENZEN STOP AUF PERSÖNLICHE ANWEISUNG SEINER MAJESTÄT WERDEN RODERICK LORD BLAINE KLAMMER DAS SIND SIE ABER SIE HABEN SICHS BEINAHE VERPATZT ALS SIE IHR SCHIFF VERLOREN STOP MACHEN SIE SICH DAS NICHT ZUR GEWOHNHEIT KLAMMER ZU UND LADY SANDRA BRIGHT ZU KOMMISSIONSRÄTEN ERNANNT STOP KOMMISSION HAT VOLLMACHT IM NAMEN DES SOUVERÄNS ZU HANDELN STOP KOMMISSIONSMITGLIEDER WERDEN IN NEUSCHOTTLAND BLEIBEN FALLS NICHT RATSAM FREMDE BEVOLLMÄCHTIGTE SOFORT NACH SPARTA ZU BRINGEN STOP

ABSATZ WENN KOMMISSION BEFINDET DASS FREMDE GEFAHR ODER POTENTIELLE GEFAHR FÜR IMPERIUM DANN HAT KOMMISSION IN ÜBEREINSTIMMUNG MIT VIZEKÖNIG TRANSKOHLENSACK SOFORT ALLE MASS-NAHMEN ZU TREFFEN DIE RATSAM ERSCHEINEN STOP IRGENDWELCHE ANREGUNGEN FRAGE

ABSATZ ROD WENN DIESE SPLITS NICHT EINFACHE BAUERN SIND UND IHRE SONDE ÜBERZEUGT MICH DASS SIES NICHT SIND DANN WERDEN SIE UND SALLY NOCH LÄNGER HIER DRAUSSEN BLEIBEN MÜSSEN STOP NEHME AN SIE SIND WIEDER ZU VERSTAND GEKOMMEN UND DEMNACH MIT SALLY VERLOBT STOP WANN IST HOCHZEIT FRAGE IHR VATER SCHICKT SEINEN SEGEN STOP ICH EBENFALLS STOP MARQUIS ERWARTET DASS IHR BEIDEN VERHEIRATET SEID WENN ER EUCH WIEDERSIEHT STOP WENN SIE MEINEN MARQUIS UND ICH HABEN DAS ARRANGIERT DANN HABEN SIE KEINEN BLASSENDUNST STOP SEINE MAJESTÄT BILLIGT SOFORTIGE HEIRAT STOP IHRE MUTTER UND KAISERIN SCHIK-KEN GLÜCKWÜNSCHE UND SEGEN STOP

»Was ist, wenn ich nein sage?« wollte Sally empört wissen. »Das ist doch das stärkste Stück, das mir je untergekommen ist!«

»Aber du hast nicht nein gesagt. Du hast ja gesagt.« Er beugte sich hinunter und küsste ihre Hand.

Sie riss sich los, und er merkte, dass sie wirklich böse war.

»Verdammt.« Sie sprach sehr leise und deutlich. »Verdammt nochmal. ›Seine Majestät billigt sofortige Heirat‹ — Herrgott! Wenn ich dir einen Korb gäbe, war’s vermutlich Hochverrat!«

»Ich habe dich vorher gefragt«, stellte er fest. »Und du hast mir geantwortet. Vorher!«

»Das war sehr gerissen. Ach, hör auf, wie ein kleiner Junge dreinzuschauen. Ja, ich will dich heiraten. Es passt mir nur nicht, dass mir etwas befohlen wird, was ich ohnehin getan hätte.«

Er musterte sie. »Du hast lange Ferien gehabt. Ich nie.«

»Was?«

»Ferien von den Verpflichtungen, die ein Titel mit sich bringt. Erst warst du unterwegs, um primitive Kulturen zu studieren — aus eigenem Wunsch. Ich wurde für ein Jahr in die Akademie gesteckt. Dann warst du in diesem Gefangenenlager, aber selbst in diesem Dreckloch warst du frei — es gab keine Autorität, die du achten konntest.« Er wählte seine Worte sehr vorsichtig. Sally war rot vor Zorn.

»Dann auf der Mac Arthur. Als Gast. Nun unter meiner Autorität, wenn du dich erinnerst.

Und du hast diese Tatsache so sehr respektiert, dass du …«

»Schon gut l Ich bin heimlich mitgekommen, als wir die Narrensonde einfingen. Du weißt warum.«

»Sehr richtig. Und dann auf Neuschottland, wo du praktisch die ranghöchste Person weit und breit warst. Das hat dir gefallen, nicht? Die wenigen Leute, die über dir standen, hatten kein Interesse, dir irgend etwas zu befehlen. Und schließlich auf Splitter Alpha, wo du genau das tun konntest, was du dein Leben lang wolltest. Du hattest sehr lange Ferien. Jetzt sind sie zu Ende.«

»So kommt es mir vor.« Rod schnippte mit dem Finger gegen das Papier in ihrer Hand.

»Ein starkes Stück, würde ich auch sagen. Aber mich stört’s nicht so sehr wie dich. Ich hab mein ganzes Leben Befehlen gehorchen müssen.«

»Das ist aber das erste Mal, dass dir befohlen wurde, jemanden zu heiraten, möchte ich annehmen.«

»Hmja. Aber wir haben beide doch etwas Ähnliches erwartet, nicht? Vom politischen Standpunkt, aus der Sicht des Imperiums ist unsere Heirat eine zu wichtige Verbindung, als dass man darauf verzichten könnte. Wir haben all die Privilegien, die Güter, die Titel mitbekommen, und jetzt wird uns die Rechnung präsentiert. Pures Glück, dass wir einander lieben, denn es wäre auf jeden Fall unsere Pflicht gegenüber …«

»Gegenüber wem?« wollte sie wissen.

Rod grinste hilflos. Der Gedanke war einfach unwiderstehlich komisch. »Kevin Renner.

Das Imperium besteht zu dem Zweck, es Leuten wie Renner einfacher zu machen, das Universum kennenzulernen. Wir schulden es Renner sozusagen, für den Fortbestand des Imperiums zu sorgen.«

Sie war betroffen. »Denkt er wirklich so? Mein Gott, ja! Er hat mich in deine Kabine beordert!«

»Was? Er hat was?«

Sie kicherte. »Ist doch verrückt. Sollen wir ihn um Erlaubnis fragen? Ich wüsste zu gerne, was für ein Gesicht er macht. Aber lass mich das erst mal zu Ende lesen, Rod.«

ABSATZ HABE VOLLMACHT ÜBRIGE MITGLIEDER DERKOMMISSION ZU ERNENNEN STOP ERWARTE EURE HILFE STOP JEDER IM UMKREIS VON FÜNFZIG PARSEK MÖCHTE IN DIE KOMMISSION STOP KANNS IHNEN NICHT VERDENKEN ANGESICHTS AUTORITÄT DIE SEINE MAJESTÄT UNS ZUGEBILLIGT HAT STOP EURE ERSTE AUFGABE IST MIR BEI KOMPLETTIERUNG VON KOMMISSION ZU HELFEN STOP ZWEITE WIRD SEIN INFORMATIONSMATERIAL UND LISTE VON ZEUGEN VORZUBEREITEN STOP

ABSATZ ADMIRAL KUTUZOV HAT ORDER SIE AN BORD VON NACHRICHTENBOOT ZU BRINGEN ZWECKS SCHNELLSTMÖGLICHER RÜCKKEHR NACH NEUSCHOTTLAND STOP BRINGEN SIE SALLY MIT WENN SIE UND ARZT ES FÜR RICHTIG HALTEN STOP ADMIRAL WIRD VERANTWORTUNG FÜR HORACE BURY ÜBERNEHMEN STOP HOFFE AUF BALDIGES WIEDERSEHEN STOP GEBEN SIE SALLY EINEN KUSS VON MIR STOP GRÜSSE BENJAMIN BRICHT FOWLER KOMMA SENATOR KLAMMER LORDVORSITZENDER DER KAISERLICHEN SONDERKOMMISSION UND BEVOLLMÄCHTIGTER SEINER MAJESTÄT LEO-NIDASIX KLAMMER ZU ENDE NACHRICHT ENDEXX

»Kann ich mit der Kurierschaluppe mit?« fragte sie. »Das liegt bei dir. Du bist in guter Verfassung. Möchtest du?« »Ja — es gibt eine Unmenge zu erledigen, bevor die Splits eintreffen — Mein Gott, wir müssen für die Splits alles vorbereiten, und dann die Hochzeit — Rod, ist dir klar, eine wie große Sache die Verbindung von Crucis Court und der Fowler-Erbin für eine Provinzhauptstadt sein wird?

Ich werde drei Sekretärinnen brauchen, denn Onkel Ben ist bei so was keine große Hilfe, und wir müssen den Empfang für die Splits arrangieren und — Ach je. Wo waren wir stehen geblieben?«

47 Auf dem Heimweg

Kutuzov und Michailov gaben sich jede erdenkliche Mühe bei der Vorbereitung von Rods und Sallys Abschiedsgesellschaft. Die Köche der Lenin mühten sich den ganzen Tag, ein traditionelles Ekaterina-Bankett fertig zustellen: Dutzende von Gängen, Suppen, Pasteten, Braten, gefüllte Weinblätter aus der Hydroponikabteilung, Hirtenspieße — ein endloser Strom von Gerichten; zwischen den Gängen wurde Wodka in fingerhutgroßen Gläsern serviert. Es war unmöglich, sich während des Essens zu unterhalten, denn kaum war man mit einem Gang fertig, brachten die Stewards der Mac Arthur den nächsten, oder die Infanteristen der Lenin gaben, um dem Magen eine Ruhepause zu gönnen, Tänze zum besten, die von den russischen Steppen in die Hügellandschaften von St. Ekaterina gebracht und über neunhundert Jahre lang von Folklorefanatikern wie Kutuzov am Leben erhalten worden waren.

Schließlich empfahl sich der Tanztrupp, die Stewards räumten ab und brachten Tee und noch mehr Wodka. Der jüngste Kadett der Lenin brachte den Trinkspruch auf den Kaiser aus, und Kapitän Michailov trank auf die Gesundheit des Zarewitsch Alexander, während der Admiral seine sonnigste Miene zur Schau stellte.

»Er kann ganz gemütlich sein, wenn er nicht gerade vor irgend etwas eine Heidenangst hat«, flüsterte Renner Cargill zu. »Hätte nie gedacht, dass ich mal so was sagen würde — Da, jetzt kommt’s. Der Zar will selber einen Trinkspruch ausbringen. Wer fehlt denn noch?«

Der Admiral erhob sich und sein Wodkaglas. »Ich möchte meinen Toast noch ein wenig aufschieben«, sagte er etwas unbeholfen. Es war möglich, dass die zahllosen Gläser Wodka ihm zu schaffen machten, aber sicher konnte das niemand wissen. »Kapitän Blaine, wenn wir uns das nächste Mal sehen, sind unsere Rollen vertauscht. Dann werden Sie mir sagen müssen, was wegen der Splits geschehen soll. Ich beneide Sie nicht um diese Aufgabe.« »Weshalb zieht denn Horvath so ein saures Gesicht?« flüsterte Cargill. »Als hart’ ihm jemand ’nen Frosch in die Koje gesteckt.«

»Och, is’ es vielleicht so, dass er gern in diese Kommission käme?« meinte Sinclair.

»Möchte wetten, dass es das ist«, warf Renner ein. »Ich hätte selber auch nichts dagegen …«

»Wer nicht?« meinte Cargill. »Aber gebt jetzt Ruhe und hört zu.«

»Es gibt noch einen Anlass, zu dem wir Lord Blaine gratulieren müssen«, sagte Kutuzov, »deshalb hebe ich meinen Trinkspruch noch auf. Kaplan Hardy hat etwas zu verkünden.«

David Hardy erhob sich mit einem breiten, zufriedenen Lächeln. »Lady Sandra hat mir die Ehre erwiesen, formell ihre Verlobung mit Lord Kommissionsrat Blaine ankündigen zu dürfen«, sagte Hardy. »Ich habe den beiden bereits privat meine Glückwünsche ausgesprochen — ich freue mich, nun dies als erster öffentlich zu tun.«

Alle redeten zugleich los, doch der Admiral besaß eine Stimme, die sich mühelos durchsetzte. »Jetzt mein Toast«, sagte Kutuzov. »Auf die zukünftige Marquise de Crucis.«

Sally errötete, als die anderen alle aufstanden und ihre Gläser erhoben. Also, jetzt ist es ganz offiziell, dachte sie. Keine Möglichkeit mehr, mich zu drücken, wenn ich das wollte — nicht, dass ich es will, aber jetzt ist alles so unausweichlich geworden …

»Und auf Mylady Kommissionsrat«, ergänzte Kutuzov. Alle tranken nochmals. »Und auf Mylord Kommissionsrat natürlich. Ein langes Leben und viele Kinder. Mögen Sie unser Imperium schützen, wenn Sie mit den Splits verhandeln.«

»Vielen Dank«, sagte Rod. »Wir werden unser Bestes tun, und ich gestehe, dass ich noch nie so glücklich war wie heute.«

»Vielleicht möchte Mylady etwas sagen«, schlug Kutuzov vor.

Sie stand auf, aber ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte. »Ich danke Ihnen allen«, platzte sie heraus und setzte sich wieder.

»Schon wieder um Worte verlegen?« fragte Rod boshaft. »Und das unter so vielen Leuten — mir entgeht eine seltene Gelegenheit!«

Danach war der förmliche Teil des Abends vorüber. Alle drängten sich um die beiden.

»Alles Glück dieser Welt«, rief Cargill und schüttelte Rod heftig die Hand. »Das mein’ ich wirklich, Sir. Und das Imperium hätte für die Kommission keine bessere Wahl treffen können.«

»Sie werden doch nicht heiraten, bevor wir ankommen?« fragte Sinclair. »War’ nicht recht, ohne mich in meiner Heimatstadt Hochzeit zu halten.«

»Wir wissen noch nicht genau, wann es sein wird«, beruhigte ihn Sally. »Aber ganz bestimmt nicht, bevor die Lenin eintrifft. Sie sind natürlich alle zur Hochzeit eingeladen.«

Die Splits auch, fügte sie bei sich hinzu. Ich frage mich, was sie von dem Zirkus halten werden?

Die Gesellschaft löste sich in kleine Gruppen auf, deren Mittelpunkt jedoch Rod und Sally blieben. Der große Messetisch wurde ganz abgeräumt und ins Deck hinuntergelassen, um den Stewards mehr Platz zu geben, die mit Kaffee und Tee zwischen den Gästen herumeilten.

»Gestatten Sie mir, auch meine Glückwünsche auszusprechen«, sagte Bury salbungsvoll. »Und ich hoffe, Sie werden nicht annehmen, dass ich Sie zu bestechen versuche, wenn ich Ihnen ein Hochzeitsgeschenk sende.«

»Warum sollte jemand so etwas denken?« fragte Sally unschuldig. »Vielen Dank, Mr.

Bury.« Wenn ihre Bemerkung auch etwas zweischneidig gewesen war, so ließ ihr warmes Lächeln das vergessen. Sally hatte für Leute von Burys Ruf nichts übrig, aber solange sie ihn kannte, war er immer höflich und zuvorkommend gewesen; wenn er nur über seine verrückte Furcht vor den Splits hinwegkommen würde!

Endlich war es Rod möglich, sich aus dem Mittelpunkt des Geschehens zu entfernen. Er fand Dr. Horvath in einer Ecke des Raums. »Sie sind mir den ganzen Abend ausgewichen, Doktor«, sagte Rod freundlich. »Ich wüsste gerne, weshalb.«

Horvath versuchte ein Lächeln, merkte allerdings gleich, dass es ihm ziemlich dünn geriet. Er runzelte kurz die Stirn und kam dann zu einem Entschluss. »Etwas anderes als Offenheit hat keinen Sinn. Hören Sie, Blaine, ich wollte Sie bei dieser Expedition nicht dabeihaben. Sie wissen, warum. Schön, Ihr Mr. Renner hat mich überzeugt, dass Sie im Fall dieser Sonde nicht anders hätten handeln können. Wir hatten unsere Differenzen, aber alles in allem billige ich die Art, wie Sie Ihr Kommando gehandhabt haben. Bei Ihrem Rang und Ihrer Erfahrung war es unvermeidlich, dass Sie in die Kommission berufen würden.«

»Ich hatte es nicht erwartet«, antwortete Rod. »Jetzt, und wenn ich mir den Standpunkt von Sparta überlege, muss ich zugeben, dass Sie recht haben. Sind Sie deshalb verstimmt?«

»Nein«, sagte Horvath ehrlich. »Wie gesagt, es war unvermeidlich, und ich pflege mich nicht durch Naturgesetze verstimmen zu lassen. Aber ich habe erwartet, selbst in die Kommission zu kommen, Blaine. Ich war der ranghöchste Wissenschaftler dieser Expedition. Ich musste um jedes Fetzchen Information kämpfen, das wir haben. Bei Gott, wenn sie zwei Plätze an Expeditionsmitglieder vergeben, dann habe ich einen verdient!«

»Und Sally nicht«, sagte Rod kühl.

»Sie war uns eine große Hilfe«, sagte Horvath. »Und sie ist charmant und intelligent, und ich erwarte gar nicht, dass Sie in Bezug auf sie objektiv sind — aber ehrlich, Blaine, Sie wollen doch nicht behaupten, dass sie gleichermaßen kompetent ist wie ich?«

Rods gerunzelte Stirn glättete sich. Er lächelte, grinste beinahe. Horvaths berufliche Eifersucht war weder komisch noch traurig, einfach unvermeidlich; ebenso unvermeidlich wie seine Überzeugung, dass seine Fähigkeiten als Wissenschaftler angezweifelt worden waren. »Beruhigen Sie sich, Doktor«, sagte Rod. »Sally ist nicht um ihrer wissenschaftlichen Kompetenz willen in die Kommission berufen worden, ebenso wenig wie ich. Dem Kaiser kommt es nicht auf Kompetenz an, sondern auf — die Wahrung von Interessen.« Er hätte beinahe ›Loyalität‹ gesagt, was natürlich alles verdorben hätte. »In gewisser Weise ist die Tatsache, dass Sie nicht sofort« — Rod betonte dieses Wort mit Absicht — »ernannt wurden, ein Kompliment.« Horvaths Brauen fuhren hoch. »Wie bitte?«

»Sie sind Wissenschaftler, Doktor. Ihre gesamte Ausbildung, ja Ihre ganze Weltanschauung ist auf Objektivität ausgerichtet, nicht wahr?«

»Mehr oder weniger, ja«, räumte Horvath ein. »Obwohl ich, seit ich die Laborarbeit aufgegeben habe …«

»Da mussten Sie um Ihr Budget kämpfen. Trotzdem gaben Sie sich doch nur mit der Politik ab, um Ihren Kollegen zu helfen, die Dinge zu tun, die Sie selbst getan hätten, wären Sie frei von administrativen Pflichten gewesen.«

»Nun — ja. Danke. Nur wenige Leute scheinen das so zu begreifen.«

»Ihr Verhalten den Splits gegenüber wäre demnach ebenso — streng objektiv.

Unpolitisch. Für das Imperium mag das aber vielleicht nicht der beste Weg sein. Nicht, dass Sie es an Loyalität fehlen ließen, Doktor, aber Seine Majestät weiß, dass für mich und Sally immer das Imperium an erster Stelle kommt. Wir wurden von Geburt an auf diese Einstellung gedrillt. Wenn die Interessen des Imperiums auf dem Spiel stehen, können wir nicht einmal vorgeben, objektiv zu handeln.« Und wenn das nicht reicht, um ihn zu besänftigen, dann soll er doch zum Teufel geh’n.

Es reichte jedoch. Horvath war zwar immer noch nicht glücklich, und er würde ganz offensichtlich weiterhin versuchen, einen Platz in der Kommission zu erringen; er lächelte jedoch etwas freundlicher und wünschte Rod und Sally eine glückliche Ehe.

Rod entschuldigte sich und kehrte mit dem Gefühl, etwas für seine Privilegien geleistet zu haben, zu Sally zurück. »Aber dürfen wir uns nicht einmal von den Splits verabschieden?« beklagte sie sich eben. »Rod, kannst du ihn nicht überreden?«

Rod warf dem Admiral einen hilflosen Blick zu.

»Mylady«, sagte Kutuzov gewichtig. »Ich enttäusche Sie nicht gerne. Wenn die Splits in Neuschottland eingetroffen sind, fallen sie in Ihren Verantwortungsbereich, nicht mehr in meinen. Dann werden Sie mir sagen, wie ich mit ihnen umzugehen habe. Bis dahin aber bin ich für die Splits verantwortlich, und ich habe nicht die Absicht, die Bedingungen umzustoßen, die beschlossen wurden, bevor sie an Bord kamen. Dr. Hardy kann ihnen Ihre Grüße überbringen.«

Was würde er tun, wenn Rod und ich ihm den Befehl gäben, uns zu ihnen zu lassen? überlegte sie. Als Kommissionsräte. Aber das wurde zu einer überflüssigen Auseinandersetzung führen, und Rod scheint den Admiral für einen tüchtigen und nützlichen Mann zu halten. Sie könnten nie wieder zusammenarbeiten, wenn wir etwas Derartiges taten. Außerdem würde Rod es vielleicht gar nicht tun, auch wenn ich ihn darum bäte. Nie Druck ausüben, wenn’s nicht nötig ist.

»Es ist ja nicht so, dass diese Splits unsere besonderen Freunde wären«, gab Hardy zu bedenken. »Sie haben so wenig Kontakt mit Menschen gehabt, dass nicht einmal ich sie richtig kennengelernt habe. Ich bin sicher, das wird sich ändern, sobald wir in Neuschottland sind.« Hardy lächelte und wechselte das Thema. »Ich hoffe, dass Sie Ihr Versprechen halten und auf die Lenin warten, bevor Sie heiraten.«

»Aber ich bestehe darauf, dass Sie uns trauen«, sagte Sally rasch. »Wir werden also auf Sie warten müssen

»Danke.« Hardy wollte noch etwas sagen, aber da kam Kelley quer durch die Messe auf sie zu und salutierte.

»Käptn, ich hab’ Ihre Sachen schon zu Hermes schicken lassen, und die von Lady Sally auch, und in dieser Order hieß es ›schnellstmöglich‹.«

»Mein Gewissen«, lachte Rod. »Aber er hat recht. Sally, wir machen uns besser fertig.«

Er stöhnte. »Nach diesem Essen werden uns drei Grav ganz schön zu schaffen machen …«

»Ich muss auch aufbrechen«, sagte Kutuzov. »Ich muss noch Depeschen für die Hermes fertig stellen.« Er lächelte unbeholfen. »Leben Sie wohl, Mylady. Und Sie auch, Kapitän. Sie waren ein guter Offizier.«

»Also — ich danke Ihnen, Sir.« Rod schaute sich um und entdeckte Bury auf der anderen Seite der Messe. »Kelly, der Admiral übernimmt die Verantwortung für Seine Exzellenz …«

»Mit Ihrer Erlaubnis überlasse ich Schützen Kelley weiterhin das Kommando über die Infanteriewachen«, sagte Kutuzov.

»Selbstverständlich, Sir. Kelley, Sie müssen verdammt vorsichtig sein, wenn ihr in Neuschottland seid. Durchaus denkbar, dass er zu entkommen versucht. Ich habe keine Ahnung, was er zu erwarten hat, wenn wir dort sind, aber die Befehle sind klar, er muss unter Aufsicht gehalten werden. Er versucht vielleicht, einen Ihrer Männer zu bestechen …«

Kelley schnaufte entrüstet. »Das soll er lieber nicht tun.« »Ist klar. Nun, bis später also, Kelley. Sehen Sie zu, dass Ihnen Nabil nicht einen Dolch zwischen die Rippen schiebt.

Ich werde Sie auf Neuschottland brauchen.«

»Ja, Sir. Passen Sie nur auf sich auf, Kapitän. Der Marquis bringt mich um, wenn Ihnen was zustößt. Hat er mir gesagt, als wir Crucis Court verließen.«

Kutuzov räusperte sich laut. »Unsere Ehrengäste müssen sofort aufbrechen. Nochmals unsere herzlichsten Glückwünsche.«

Als Rod und Sally die Messe verließen, folgte ihnen ein Chor von Abschiedsrufen, manche davon besonders laut und überschwänglich. Die Party würde offenbar nicht so schnell zu Ende gehen.


Die Kurierschaluppe Hermes war genaugenommen ein winziges Boot, das nicht viel mehr Kabinenraum besaß als der Kutter der Mac Arthur. Im ganzen war er natürlich viel größer, doch achtern der diversen Lebenserhaltungssysteme gab es nichts mehr außer Tanks und Maschinen und schmalen Wartungstunnels. Rod und Sally waren kaum an Bord, als sie auch schon unterwegs waren.

Es gab wenig anzufangen in dem winzigen Kabinenraum, und die hohe Beschleunigung machte richtige Arbeit ohnehin unmöglich. Der Sanitätsmaat untersuchte seine Passagiere in Abständen von acht Stunden, um sich zu vergewissern, dass sie die drei Ge der Hermes vertrugen. Schließlich gab er Rods Ersuchen statt, die Unannehmlichkeiten abzukürzen und auf 3,5 Ge hinaufzugehen. Bei einer solchen Belastung war es am besten, soviel wie möglich zu ruhen und die geistige Aktivität auf kurze Gespräche zu beschranken.

Murchesons Auge war ein gewaltiger, leuchtender Fleck hinter ihnen, als sie den Alderson-Punkt erreichten. Einen unmessbaren Augenblick später war das Auge nur ein heller roter Stern vor dem Hintergrund des Kohlensacks. Ein winziger gelber Splitter hing an seinem Rand.

48 Zivilstatus

Die Hermes war kaum in eine Bahn um Neuschottland eingeschwenkt, als sie auch schon auf ein Landeboot übergesetzt wurden. Sally hatte gerade noch Zeit, sich von der Besatzung der Schaluppe zu verabschieden, dann wurden sie schon wieder angeschnallt.

»Besucher bitte Landeboot verlassen. Passagiere auf Wiedereintritt vorbereiten.«

Mit einem dumpfen Ton schlössen sich die Luftschleusen. »Fertig, Sir?« rief der Pilot.

»Ja …«

Die Bremsdüsen begannen zu feuern. Die Landung war durchaus nicht sanft, der Pilot hatte es viel zu eilig. Sie schössen hinunter, über Neuschottlands schroffe Felsen und Dampfwolken speiende Geysire hinweg. Als sie über der Stadt waren, hatten sie immer noch eine zu hohe Geschwindigkeit, und der Pilot musste zwei weite Kreise ziehen.

Dann glitt das Boot langsam hinunter, schwebte einen Augenblick bewegungslos und setzte auf dem Dachlandeplatz des Admiralitätsgebäudes auf.

»Da ist Onkel Ben!« rief Sally. Sie rannte davon und stürzte sich in seine Arme.

Benjamin Bright Fowler war achtzig Standardjahre alt und sah auch so aus. Vor der Verbreitung der Regenerationstherapie hätte ihn jeder Mensch für fünfzig gehalten — ein Mann in den besten Jahren, am geistigen Höhepunkt. Vor allem letzteres hatte gestimmt.

Er war einen Meter vierundsiebzig groß und neunzig Kilogramm schwer: ein untersetzter, kleiner Mann, beinahe kahl, mit einem dunklen, grau melierten Haarrändchen um den glänzenden Schädel. Er trug niemals einen Hut, außer bei sehr kaltem Wetter, und selbst dann vergaß er ihn meistens.

Senator Fowler war etwas unorthodox in ausgebeulte Hosen gekleidet, die über weiche, polierte Lederstiefel fielen. Ein knielanger und ziemlich ausgedienter Kamelhaarmantel hüllte die oberen zwei Drittel seines Körpers ein. Seine Kleider waren von bester Qualität, aber nie gepflegt. Seine träumerischen Augen, die manchmal etwas wässrig wirkten, und sein zerknitterter Habitus machten ihn nicht gerade zu einer eindrucksvollen Gestalt, und oft hatten politische Gegner den Fehler begangen, sein Äußeres mit seinen Fähigkeiten gleichzusetzen. Manchmal, wenn die Gelegenheit wichtig genug war, erlaubte er seinem Kammerdiener, ihm die Kleidung auszusuchen und ihn richtig auszustaffieren; dann sah er zumindest ein paar Stunden lang standesgemäß aus. Schließlich war er einer der mächtigsten Männer des Imperiums.

Meistens jedoch zog er das erste an, was ihm von seiner Garderobe in die Finger kam, und da er seiner Dienerschaft niemals gestattete, etwas wegzugeben, das er gern hatte, trug er ziemlich oft alte Sachen.

Er empfing Sally mit einer bärenhaften Umarmung, während sie ihn auf die Stirn küsste.

Sally war größer als ihr Onkel und fühlte sich versucht, ihm einen Kuss auf die Glatze zu drücken, aber sie tat es dann doch lieber nicht. Benjamin Fowler vernachlässigte sein Äußeres und wurde böse, wenn man ihm das vorwarf, aber er war doch ein bisschen empfindlich wegen seiner Glatze. Er weigerte sich allerdings auch strikt, Kosmetikärzte etwas dagegen tun zu lassen.

»Onkel Ben, ich bin froh, dich wiederzuseh’n!« Sally entwand sich seinen Armen, bevor er ihr eine Rippe zerdrückte. Dann funkelte sie ihn gespielt ärgerlich an: »Du hast versucht, mein Leben umzukrempeln! Wusstest du, dass diese Nachricht Rod dazu bringen würde, mir einen Antrag zu machen?«

Senator Fowler setzte eine verblüffte Miene auf. »Du meinst, er hatte das nicht schon längst getan?« Er musterte Rod sehr eingehend und misstrauisch. »Er sieht mir aber ganz normal aus. Muss etwas Inneres sein. — Wie geht’s, Rod? Sie seh’n gut aus, mein Junge.« Er packte Rods Hand mit einem Griff, der schon beinahe wehtat. Mit der Linken fischte Fowler seinen Taschencomputer aus den unansehnlichen Weiten seines dicken Mantels. »Tut mir leid, Kinder, aber wir sind schon spät dran. Kommt schon, los …« Er machte kehrt und marschierte zum Lift, und den beiden blieb nichts übrig, als ihm nachzueilen.

Sie fuhren zwölf Stockwerke tiefer, und Fowler führte sie durch ein Labyrinth von Korridoren. Vor einer Tür standen Infanterieposten. »Hinein, hinein«, drängte der Senator. »Wir können diese vielen Admirale und Kapitäne doch nicht warten lassen.

Kommen sie, Rod!«

Die Infanteristen salutierten, und Rod erwiderte geistesabwesend den Gruß. Verwirrt trat er ein. Er kam in einen großen, dunkel getäfelten Raum, dessen Längsrichtung ein ungeheurer Marmortisch einnahm. Fünf Kapitäne und zwei Admirale saßen an diesem Tisch. Ein Flottenjurist saß an einem kleineren Pult, und weitere Plätze nahmen Schreiber mit Aufnahmegeräten ein. Als Rod eintrat, verkündete jemand förmlich:

»Dieses Untersuchungsgericht beginnt nun mit der Verhandlung. Treten Sie zur Vereidigung vor und nennen Sie Ihren Namen.«

»Wie meinen Sie …? fragte Rod verdattert.

»Ihr Name, Kapitän«, sagte der Admiral auf dem Platz in der Mitte schroff. Rod kannte ihn nicht, kaum die Hälfte der anwesenden Offiziere waren ihm schon begegnet. »Sie wissen doch Ihren Namen, oder?«

»Ja, Sir — Admiral, man hat mir nicht gesagt, dass ich sofort vor ein Untersuchungsgericht käme.«

»Dann wissen Sie es jetzt. Bitte nennen Sie Ihren Namen

»Roderick Harold Lord Blaine, Kapitän der Kaiserlichen Raumflotte, ehemaliger Kommandant des Flottenkreuzers Mac Arthur

»Danke.«

Sie bombardierten ihn mit Fragen. »Kapitän, wann haben Sie erstmals erfahren, dass die Miniatur-Fremden fähig sind, Werkzeuge zu gebrauchen und sinnvolle Arbeiten auszuführen?« »Kapitän, bitte beschreiben Sie die Säuberungsmaßnahmen, die Sie anwendeten.« »Kapitän, haben die Fremden außerhalb Ihres Schiffes Ihrer Ansicht nach je erfahren, dass an Bord Miniaturexemplare freigekommen waren?«

Er antwortete, so gut er konnte. Manchmal stellte ein Offizier eine Frage, nur um von einem anderen belehrt zu werden: »Verdammt, das steht doch im Bericht. Haben Sie die Bänder nicht angehört?«

Die Untersuchung lief verwirrend rasch ab. Plötzlich war sie zu Ende. »Sie können sich für den Augenblick zurückziehen, Kapitän«, sagte der versitzende Admiral.

Sally und Senator Fowler erwarteten ihn im Vorraum. Eine junge Frau in Schottentracht stand bei ihnen; sie trug ein sehr geschäftsmäßiges Aktenköfferchen. »Miss Mc Pherson.

Meine neue Gesellschaftssekretärin«, stellte Sally sie vor.

»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mylord. Mylady, ich sollte jetzt wohl lieber …«

»Natürlich. Ich danke Ihnen.« Mc Pherson eilte mit klappernden Absätzen über den Marmorboden davon. Sie hatte einen hübschen Gang. »Rod«, sagte Sally. »Rod, weißt du, wie viele Partys wir besuchen müssen1?«

»Partys! Mein Gott, Weib, da drinnen entscheiden sie über mein Schicksal und du …«

»Unsinn«, knurrte Senator Fowler. »Das wurde bereits vor Wochen entschieden. Als Merrill, Cranston, Armstrong und ich Kutuzovs Bericht anhörten. Da saß ich, Ihre Ernennung von Seiner Majestät in der Tasche, und Sie wussten nichts Besseres, als Ihr Schiff zu verlieren! Ist nur gut, dass Ihr Admiral ein ehrlicher Mann ist, mein Junge.

Verdammt gut, wirklich.«

Die Tür ging auf. »Kapitän Blaine?« rief ein Sekretär. Er ging wieder hinein und trat vor den Tisch. Der Admiral hielt ein Blatt Papier in der Hand und räusperte sich.

»Einstimmiger Beschluss des Sonderuntersuchungsgerichts zur Überprüfung der Umstände, die zum Verlust des Schlachtkreuzers Mac Arthur Seiner Kaiserlichen Majestät führten. Punkt eins: Dieses Gericht stellt fest, dass das Schiff infolge zufälliger Verseuchung durch eine fremde Lebensform verloren ging, da es vernichtet werden musste, um die Verseuchung anderer Schiffe zu verhindern. Punkt zwei: Dieses Gericht spricht den Kommandanten, Kapitän Roderick Blaine, Kaiserliche Weltraumflotte, von jeder Nachlässigkeit frei. Punkt drei: Dieses Gericht weist die überlebenden Offiziere der Mac Arthur an, eine detaillierte Studie von Maßnahmen zu verfassen, durch die ein derartiger Verlust in Zukunft vermieden werden kann. Punkt vier: Dieses Gericht stellt fest, dass die Such- und Säuberungsmaßnahmen auf der Mac Arthur durch die Anwesenheit zahlreicher ziviler Wissenschaftler und ihrer Ausrüstung behindert wurden und dass ferner Minister Anthony Horvath, ranghöchster Wissenschaftler, gegen sie Säuberungsaktion protestierte und jede Störung der zivilen Forschungsarbeiten rügte. Punkt fünf: Dieses Gericht stellt fest, dass Kapitän Blaine bei der Säuberung seines Schiffes ohne die in Punkt vier genannten Schwierigkeiten sorgfältiger hatte vorgehen können. Das Gericht spricht jedoch keinen Tadel für den Kommandanten aus.

Dieses Urteil ist einstimmig. Das Gericht vertagt sich. Kapitän, Sie können gehen.«

»Danke, Sir.« »Also, Blaine, das war eine üble Schlamperei. Das wissen Sie ja wohl, oder?«

»Jawohl, Sir.« Mein Gott, wie oft habe ich mir darüber den Kopf zerbrochen?

»Aber ich glaube nicht, dass irgend jemand in der Flotte sich besser aus der Affäre hatte ziehen können. Mit all diesen Zivilisten an Bord muss das Schiff ja ein Irrenhaus gewesen sein. So, Senator, jetzt gehört er Ihnen. Sie werden in Zimmer 675 schon erwartet.«

»Gut. Ich danke Ihnen, Admiral.« Fowler schob Blaine aus dem Verhandlungsraum und durch den Gang zum Lift. Ein Unteroffizier hielt ihnen die Tür auf.

»Wohin wollen wir denn jetzt?« erkundigte sich Rod. »Sechs-sieben-fünf? Das ist doch die Pensionierung!«

»Natürlich«, sagte der Senator. Sie betraten den Lift. »Sie glauben doch nicht, Sie könnten bei der Flotte bleiben, wenn Sie in dieser Kommission sind, oder? Deshalb mussten wir diese Untersuchung rasch durchdrucken. Bevor das geklärt war, konnte man Sie nicht pensionieren.«

»Aber, Senator …«

»Ben. Sagen Sie Ben zu mir. Ja?«

»Ja, Sir. Ben, ich will aber nicht! Meine Karriere ist die Flotte …«

»Jetzt nicht mehr.« Der Lift hielt an, und Fowler schob Rod hinaus. »Sie hatten ja sowieso früher oder später gehen müssen. Die Familie ist zu wichtig. Geht ja nicht an, dass unsere jungen Edelleute ihre Regierungspflichten vernachlässigen und im Weltraum herumzigeunern. Das wussten Sie doch.«

»Ja, Sir. Nachdem meine Bruder umgekommen waren, blieb mir keine andere Möglichkeit. Aber es muss doch nicht schon jetzt sein! Kann man mich nicht beurlauben7«

»Reden Sie keinen Unsinn. Das Split-Problem wird uns noch verdammt lange beschäftigen. Und Sparta ist dafür zu weit weg. So, da wären wir.« Fowler zog ihn in das Zimmer.

Seine Pensionierungsdokumente waren bereits vorbereitet. Roderick Harold Lord Blaine, auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät zum Konteradmiral ernannt und auf die Ruhestandsliste gesetzt. »Wohin sollen die Ruhebezüge geschickt werden, Sir?«

»Wie bitte?«

»Sie erhalten eine Pension. Wohin soll sie überwiesen werden, Mylord?« Für den Flottenschreiber war Rod bereits ein Zivilist.

»Kann ich sie dem Flottenhilfsfonds stiften?«

»Ja, Sir.«

»Veranlassen Sie’s.«

Der Beamte füllte rasch ein Formular aus. Er stellte noch einige nebensachliche Fragen, dann war alles erledigt, und der Schreiber schob Rod die Dokumente hin. »Bitte unterschreiben Sie hier, Mylord.« Er reichte ihm eine Feder.

Die Feder lag kalt in Rods Hand. Er hatte sie am liebsten gleich wieder losgelassen.

»So machen Sie schon, ein gutes Dutzend Verpflichtungen wartet auf Sie und Sally«, drängte der Senator. »Unterschreiben Sie doch, mein Junge!«

»Ja, Sir.« Es hat keinen Sinn, das noch hinauszuschieben. Tun kann ich ohnedies nichts dagegen. Wenn der Kaiser selbst mich in diese Kommission berufen hat … Er kritzelte rasch seinen Namen und setzte dann seinen Daumenabdruck auf die Dokumente.


Ein Taxi schleuste sie durch Neuschottlands enge Straßen. Es herrschte dichter Verkehr, und das Taxi hatte keine offizielle Kennzeichnung, die ihnen den Weg schneller freigemacht hatte. Es war ein neuartiges Erlebnis für Rod, auf diese Art unterwegs zu sein; normalerweise waren ihm Flugwagen der Flotte zu Verfügung gestanden, die ihn von einem Dachlandeplatz zum nächsten brachten, und als er das letzte mal in Neuschottland gewesen war, hatte er sein eigenes Kommandantenboot mit zugehöriger Besatzung gehabt. Damit war es jetzt vorbei.

»Ich werde mir einen Flugwagen kaufen und einen Chauffeur anstellen müssen«, sagte Rod. »Ich nehme an, Kommissionsmitglieder bekommen eine Luftverkehrslizenz?«

»Gewiss. Sie bekommen alles, was Sie wollen«, sagte Senator Fowler. »Tatsächlich ist die Ernennung sogar mit einem Barontitel verbunden — nicht, dass Sie das brauchten, aber es erklärt unter anderem, warum man sich um die Position so reißt.«

»Wie viele Kommissionsmitglieder soll es geben?«

»Auch diese Entscheidung liegt bei mir. Zu viele wollen wir jedenfalls nicht.« Das Taxi schwankte heftig, als der Fahrer knapp einem Fußgänger auswich. Fowler holte seinen Taschencomputer hervor. »Schon wieder zu spät. Verabredungen im Palast. Sie werden natürlich dort wohnen. Die Dienstbotenquartiere werden überfüllt sein, aber wir werden Ihren Mann schon irgendwo unterbringen. Haben Sie jemanden, oder soll sich mein Sekretär darum kümmern?«

»Kelley ist noch auf der Lenin. Ich nehme an, er wird bei mir bleiben wollen.« Wieder ein guter Mann für die Flotte verloren.

»Kelley! Wie geht’s denn dem alten Burschen?«

»Oh, recht gut.«

»Freut mich zu hören. Ihr Vater bat mich, nach ihm zu fragen, fallt mir eben ein. Wissen Sie, dass der Mann so alt ist wie ich? Ich erinnere mich, ihn in Uniform gesehen zu haben, als Ihr Vater noch Leutnant war, und das ist wahrlich lange her.«

»Wo ist eigentlich Sally?« Als Rod aus Zimmer 675 kam, war sie verschwunden gewesen. Er hatte es kaum bemerkt — mit seinen Pensionierungspapieren in der Rocktasche war ihm ohnedies nicht nach einem Gespräch zumute gewesen.

»Was tut wohl eine Frau als erstes? Kleider einkaufen natürlich. Das bleibt Ihnen erspart. Einer von meinen Leuten hat Ihre Maße aus den Flottenlisten besorgt und Ihnen ein paar Anzüge beschafft. Das Zeug ist im Palast.«

»Also — Sie versäumen keine Zeit, Ben«, sagte Rod zögernd.

»Geht nicht anders. Bis die Lenin in die Umlaufbahn geht, werden wir bereits eine Reihe von Problemen gelöst haben müssen. Sie müssen sich die politische Situation hier draußen klarmachen. Es hängt alles zusammen. Die ITA will Handelsbeziehungen, am liebsten vorgestern. Die Humanitätsliga will Kulturaustausch. Armstrong möchte seine Flotte einsetzen, um die Rebellen im Zaum zu halten, aber gleichzeitig hat er Angst vor den Splits. Diese Frage — ob die Splits eine Gefahr sind — muss geklärt werden, bevor Merrill mit der Einigung des Sektors weitermachen kann. Die Börsen von hier bis Sparta geben sich nervös — welche Auswirkung wird die Split-Technologie auf unsere Wirtschaft haben? Welche florierenden Industriezweige werden dem Ruin ausgeliefert?

Wer wird reich? Und das alles liegt mehr oder weniger in unserer Hand, mein Junge. Wir müssen die Entscheidungen treffen.«

»Puh!« Die volle Bedeutung seiner neuen Aufgabe wurde ihm erst jetzt bewusst. »Was ist mit Sally? Und den übrigen Kommissionsmitgliedern?« »Blödsinn. Sie und ich, wir sind die Kommission. Sally wird tun, was nötig ist.«

»Sie meinen, was Sie von ihr verlangen. Ich würde nicht zu sehr damit rechnen — sie ist eine ziemlich eigenwillige Person.«

»Glauben Sie, ich weiß das nicht? Ich habe schließlich lange genug mit ihr zusammengelebt. Na, und Sie sind genauso eigenwillig, würde ich meinen. Ich erwarte nicht, Sie herumschieben zu können.«

Also bis jetzt hast du das ganz gut geschafft, dachte Rod.

»Sie werden sich ja denken können, wie’s zu der Kommission kam, nicht?« fragte Ben etwas sarkastisch. »Das Parlament ist ein bisschen eifersüchtig auf die kaiserlichen Vorrechte. Eins davon ist unbezweifelbar die Verteidigung des Imperiums. Vor allem gegen fremde Intelligenzen. Wenn diese Wesen jedoch friedlich sind, will das Parlament zumindest bei den Handelsabkommen mitreden. Der Kaiser wird aber kaum die Split-Frage der Regierung überlassen, bevor wir wissen, woran wir mit ihnen sind. Von Sparta aus kann er sich natürlich nicht darum kümmern. Und selbst herkommen — Junge, das würde Probleme in der Hauptstadt geben! Das Parlament könnte ihn nicht hindern, die Angelegenheit Kronprinz Lysander zu übergeben, aber der ist noch ein Kind. Damit haben wir ein Patt. Die Macht, die Seine Majestät ausübt, ist eine Sache — eine ganz andere dagegen, irgendeinen Vertreter mit solchen Machtbefugnissen auszustatten.

Verdammt, nicht einmal ich würde es gerne sehen, wenn ein anderer als ein Angehöriger des kaiserlichen Hauses so viel Autorität bekäme. Ein Mann, eine Familie kann persönlich gar nicht zu viel Macht ausüben, auch wenn sie theoretisch sehr groß ist. Sobald aber zugelassen wird, dass er Macht an Vertreter delegiert, sieht die Sache ganz anders aus.«

»Was ist mit Merrill? Das ist sein Sektor.«

»Na und? Für ihn gelten die gleichen Einwände wie für alle anderen. Vielleicht noch mehr. Die Aufgaben eines Vizekönigs sind ziemlich klar umrissen. Sich um fremde Intelligenzen zu kümmern, gehört nicht dazu. Nicht, dass Merrill übermütig werden und sein privates Imperium hier draußen einrichten würde, aber die Geschichte zeigt, dass man jedenfalls vor so etwas verdammt auf der Hut sein muss. Deshalb musste es eine Kommission sein. Das Parlament wollte nicht einem einzelnen Mann soviel Macht zubilligen, nicht einmal mir. Man macht mich zum Vorsitzenden, weil ich die Wählerstimmen habe. Meine Nichte kam auf ähnliche Weise hinein — mein Bruder war populärer als ich’s bin, wir brauchten auf jeden Fall eine Frau, na, und Sally war gerade im Splitter-System gewesen. Alles in Butter. Aber ich kann nicht allzu lange hier draußen bleiben, Rod. Das muss jemand anderer. Sie nämlich.«

»Das habe ich kommen sehen. Warum ich?«

»Sie sind ideal. Wir brauchten ohnehin die Unterstützung Ihres alten Herrn, um die Kommission in dieser Form durchzudrücken. Der Marquis ist zur Zeit ziemlich beliebt.

Hat gute Arbeit bei der Befriedung seines Sektors geleistet. Hat sich im Krieg gut gehalten. Außerdem gehören Sie beinahe zum Kaiserhaus. Sie sind ein möglicher Thronfolger …«

»Ja, ungefähr an achtundzwanzigster Stelle oder so. Der Sohn meiner Schwester hat mehr Anspruch als ich.«

»Schon, aber damit würden diese Machtbefugnisse wenigstens nicht in völlig fremde Hände geraten. Ihre Standesgenossen vertrauen Ihnen. Adel wie Bürgertum mag Ihren Vater. Und niemand wird annehmen, dass Sie hier draußen König werden wollten — Sie würden dabei Crucis Court verlieren. Das Problem ist jetzt nur noch, ein paar hiesige Strohmänner zu finden, die sich mit ihrem Barontitel zufrieden geben und Ihnen keine Schwierigkeiten machen, wenn ich fort bin. Sie werden sich einen Nachfolger suchen müssen, bevor Sie nach Hause können, aber das werden Sie schon schaffen. Hab’ ich ja auch eben.« Fowler lächelte befriedigt.

Der Palast kam in Sicht. Posten in schottischer Uniform mit Kilt standen vor den Außentoren Wache, der Offizier jedoch, der ihre Papiere überprüfte, bevor er sie durchließ, gehörte zur Flotteninfanterie.

»Wir werden uns beeilen müssen«, sagte Senator Fowler, als sie die kreisrunde Auffahrt entlang bis zu den glänzenden, rötlich-gelben Steinstufen der Freitreppe fuhren. »Rod, wenn diese Splits eine Gefahr darstellen, könnten Sie Kutuzov mit einer Kriegsflotte hinschicken?«

»Sir?«

»Sie haben mich ganz gut verstanden. Worüber lächeln Sie?«

»Weil ich draußen vor Splitter Alpha ein sehr ähnliches Gespräch mit einem meiner Offiziere hatte. Nur war ich an Ihrer Stelle. Ja, Sir. Ich würde es nicht gerne tun, aber ich könnte es. Und ich kann Ihnen diese Antwort so schnell geben, weil ich auf dem Heimflug intensiv darüber nachgedacht habe. Wenn es anders wäre, müsste ich Sie mit Ihrer Kommission im Stich lassen.« Er überlegte einen Augenblick lang. »Aber Sally könnte es nicht.«

»Habe ich auch nicht erwartet. Sie würde aber auch eine solche Entscheidung nicht bekämpfen. Jede Information, die geeignet ist, Sie oder mich zu einem solchen Befehl zu veranlassen, würde Sally zum Rücktritt bewegen. Hören Sie, ich hab’ diese Berichte studiert, bis mir Augen und Ohren wehtaten, aber ich kann nichts Verdächtiges finden.

Ein paar Dinge kamen mir allerdings schon faul vor. Wie das mit Ihren Kadetten. Es fällt mir schwer, all diese Unwahrscheinlichkeiten zu schlucken.«

»Mir auch«, nickte Rod.

Das Taxi fuhr an der Palasttreppe vor, und der Fahrer hielt ihnen die Türen auf. Rod angelte nach Banknoten, um den Fahrpreis zu bezahlen, und gab viel zuviel Trinkgeld, weil er überhaupt nicht daran gewöhnt war, mit Taxis zu fahren.

»Haben Sie noch einen Wunsch, Mylord?« erkundigte sich der Kellner, Rod warf einen Blick auf seinen Taschencomputer. »Nein, danke. Wir werden zu spät kommen, Sally.« Er machte keine Anstalten aufzustehen. »Angus — wir hätten doch noch gerne Kaffee. Mit Brandy.«

»Sehr wohl, Mylord.« »Rod, wir kommen wirklich zu spät.« Sally stand auch nicht auf.

Sie schauten einander an und lachten. »Wann haben wir das letzte Mal miteinander gegessen?« fragte sie.

»Vor einer Woche? Oder zwei? Ich weiß es nicht mehr. Sally, ich hatte mein ganzes Leben lang noch nie so viel um die Ohren. Im Moment käme mir ein Hauptflottenmanöver wie eine Erholung vor.« Er zog eine Grimasse. »Schon wieder eine Gesellschaft heute Abend. Lady Riordan. Müssen wir da hin?«

»Onkel Ben sagt, Baron Riordan hat in Neuirland sehr viel Einfluss, und wir können vielleicht Unterstützung von dort gebrauchen.«

»Dann müssen wir wohl.« Angus kam mit dem Kaffee. Rod kostete und seufzte zufrieden. »Angus, das ist der beste Kaffee mit Brandy, den ich je bekommen habe. Seit voriger Woche ist er jedenfalls erstaunlich viel besser geworden.« »Gewiss, Mylord. Der Vorrat ist speziell für Sie reserviert.«

»Für mich? Sally, ist das dein …?«

»Nein.« Sie war ebenso verblüfft wie er. »Woher haben Sie ihn bekommen, Angus?«

»Ein Handelskapitän brachte ihn persönlich zum Regierungsgebäude, Mylady. Er sagte, dieser Kaffee und Brandy sei für Lord Blaine. Der Küchenchef versuchte beides und fand die Qualität annehmbar.«

»Das kann man wohl sagen«, stimmte Rod entschieden zu. »Wer war der Kapitän?«

»Ich werde mich erkundigen, Mylord.«

»Irgendein Postenjäger«, sagte Rod nachdenklich, als der Kellner gegangen war.

»Allerdings verstehe ich nicht, warum er mir sein Anliegen nicht vorgetragen hat …« Er blickte wieder auf seinen Computer. »Wir müssen jetzt wirklich gleich gehen. Wir können den Vizekönig nicht den ganzen Nachmittag warten lassen.« »Wäre vielleicht das beste. Du und Onkel Ben, ihr stimmt meinem Vorschlag sowieso nicht zu, und …«

»Heben wir uns das für die Konferenz auf, Liebste.« Der Vizekönig verlangte eine sofortige Entscheidung der Kommission, was wegen der Splits unternommen werden sollte. Er war damit nur einer von vielen. Kriegsminister Armstrong wollte wissen, wie groß eine Kriegsflotte sein müsste, um die Splits zu entwaffnen — nur als Vorsichtsmaßnahme, sagte er, damit Admiral Cranstons Planungsabteilung mit der Arbeit beginnen könne.

Die Imperial Traders’ Association forderte, dass alle Informationen, die Bury über Handelsmöglichkeiten besaß, sofort den Mitgliedern der Vereinigung zugänglich gemacht würden. Der Großdiakon der Kirche von Ihm wollte Beweise, dass die Splits Engel seien. Eine Splittergruppe der Ihmisten war überzeugt, dass sie Teufel seien und dass das Imperium diese Information unterdrücke. Kardinal Randolph von der Kirche des Imperiums wollte Videobänder vom Leben der Splits über 3-D ausstrahlen lassen, um die Ihmisten ein für allemal zu erledigen.

Und jedermann im Umkreis von zweihundert Parsek wollte einen Platz in der Kommission.

»Wenigstens nehmen wir diesmal an derselben Konferenz teil«, sagte Sally.

»Hm.« Ihre Unterkünfte im Palast waren wohl im selben Stockwerk, aber sie sahen einander praktisch nur noch auf Gesellschaften. Während der letzten hektischen Wochen hatten sie oft nicht einmal an denselben Besprechungen teilgenommen.

Angus kehrte zurück und verbeugte sich. »Kapitän Andersen von der Ragnarock, Mylord.«

»Aha. Danke, Angus. Das ist ein Schiff der Imperial Autonetics, Sally.«

»Dann hat uns Mr. Bury den Kaffee und den Brandy geschickt! Das war sehr freundlich von ihm …« »Ja.« Rod seufzte. »Jetzt müssen wir aber wirklich gehen.« Sie verließen den Speisesaal für Regierungsbeamte und begaben sich ein Stockwerk höher in die Arbeitsraume von Vizekönig Merrill. Senator Fowler, Kriegsminister Armstrong und Flottenadmiral Cranston erwarteten sie ungeduldig.

»Unser erstes gemeinsames Mittagessen seit zwei Wochen«, erklärte Rod. »Ich bitte um Entschuldigung.« Es klang nicht sehr zerknirscht.

»Ihr werdet es leichter haben, wenn die Lenin eintrifft«, sagte Senator Fowler. »Horvaths Wissenschaftler können sich dann um die ganzen öffentlichen Auftritte kümmern. Es wird ihnen ein Genuss sein.«

»Vorausgesetzt, Sie erlauben Ihnen, den Mund aufzumachen«, brummte Prinz Merrill.

»Ihre beiden Schützlinge haben Sie nicht viel sagen lassen, auch wenn sie eine Menge reden mussten.«

»Verzeihen Sie, Hoheit«, sagte Admiral Cranston. »Ich bin in Eile. Was soll ich wegen der Ankunft der Lenin verfügen? Das Schiff geht in sechzig Stunden in Umlaufbahn, und ich muss Kutuzov seine Befehle schicken.«

»Das wäre schon geklärt, wenn du meinem Vorschlag zustimmen würdest, Onkel Ben«, warf Sally ein. »Bringen wir sie im Palast unter, mit Dienern und Wachen, und lassen wir die Splits entscheiden, wen sie sehen wollen.«

»Da ist was dran, Ben«, stellte Merrill fest. »Schließlich sind sie die Vertreter einer souveränen Macht. Wir haben eigentlich nicht das Recht, sie einzusperren, hm? Gäbe einen dicken Skandal, und wofür?«

»Admiral Kutuzov ist überzeugt, dass die Splits eine Gefahr darstellen«, sagte der Kriegsminister. »Er behauptet, dass sie sehr überzeugend sein können. Wenn wir ihnen Gelegenheit geben, mit den Leuten zu sprechen, die sie sich aussuchen, dann ist gar nicht abzusehen, was sie anrichten könnten. Sie könnten uns politisch ganz schon Schwierigkeiten machen, Hoheit, und darauf können wir wahrhaftig verzichten.«

»Aber Sie müssen doch eingehen, dass drei Splits keine militärische Gefahr darstellen können«, protestierte Sally.

Benjamin Fowler seufzte tief. »Das haben wir doch schon besprochen! Nicht die militärische Bedrohung macht mir Sorgen! Wenn wir die Splits frei herumlaufen lassen, werden sie bestimmt Abkommen schließen. Burys Bericht hat mich davon überzeugt.

Die Splits können Interessensgruppen dazu bringen, sie zu unterstützen. Sie können Handelsverträge durchdrücken.«

»Die Kommission kann gegen jegliches Abkommen ein Veto einlegen, Onkel Ben.«

»Es ist erheblich viel schwerer, ein Übereinkommen wieder abzuwürgen, als es von vornherein zu verhindern. Schau, selbst wenn die Splits genauso sind, wie Horvath glaubt: friedlich, begierig, uns neue Technologien zu schenken oder zu verkaufen, keine Konkurrenz in puncto Lebensraum — und woher zum Teufel will er das wissen? —, keine militärische Gefahr, niemals willens, sich mit den Unabhängigen zu verbünden …«

Admiral Cranston gab ein gefährliches Knurren von sich.

»Und so weiter, selbst wenn sie so sind, wird es immer noch Probleme geben. Zunächst einmal würde ihre Technologie das gesamte Imperium in den Grundfesten erschüttern.

Wir dürfen das nicht zulassen, solange wir noch keine Pläne für eine Umorganisierung haben.«

»Die Arbeitervertretungen kommen auch damit«, stellte Merrill trocken fest. »Der Präsident der Gewerkschaftsvereinigung war vor knapp einer Stunde hier und verlangte, dass wir die Splits zurückhalten, bis sein Stab eventuelle Arbeitslosenprobleme, die durch neuartige Techniken entstehen könnten, studiert hat. Sie sind nicht gegen neue Technologien, aber er will doch, dass wir vorsichtig vorgehen. Kann ich ihm eigentlich nicht verdenken.« »Die ITA ist sich auch nicht mehr einig«, fügte Rod hinzu. »Gestern Abend, bei Lady Malcolm, haben mir einige Handelsmagnaten anvertraut, dass sie in Bezug auf die Splits ihre Zweifel hatten.« Rod strich über die Aufschläge seiner ziemlich grellfarbigen Strickjacke. Zivilkleidung war besser geschnitten und sollte angenehmer zu tragen sein als eine Flottenuniform, aber irgendwie fühlte er sich nicht behaglicher.

»Verdammt, ich weiß nicht, was ich sagen soll! Ich habe soviel Zeit mit sinnlosen Reden und Konferenzen und diesen lästigen Partys verschwenden müssen, dass ich kaum zum Nachdenken gekommen bin.«

»Natürlich, ich verstehe«, beruhigte ihn Merrill. »Trotzdem, Mylord, sind meine Befehle von Seiner Majestät eindeutig. Ich muss die Entscheidung Ihrer Kommission akzeptieren. Und ich warte immer noch auf eine solche. Lady Sandra …«

»Sally. Bitte.« Sie hatte ihren Taufnamen nie gemocht, ohne recht sagen zu können, weshalb.

»Lady Sally hat uns wenigstens eine mögliche Vorgangsweise vorgeschlagen. Senator, Sie und Blaine werden mehr tun müssen als nur beteuern, dass Sie noch nicht genug wüssten!«

»Schließlich ist da noch das kleine Problem mit meiner Flotte«, warf Armstrong ein. »Ich muss wissen, ob Cranstons Kriegsschiffe wieder auf Rebellenjagd gehen können, oder ob ich sie in diesem Teil des Sektors bereithalten muss! Wir kriegen wieder Aufstände, wenn wir uns in den entfernteren Provinzen nicht öfters sehen lassen!«

»Immer dieselben Forderungen?« fragte Rod.

»Aye. Sie wollen eigene Schiffe. Mehr Mitsprache in der Politik, das auch, aber vor allem die Schiffe. Die machen mich noch verrückt! Sie können ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln. Sie zahlen nicht mehr Steuern als wir. Wenn die Unabhängigen ihnen auf die Zehen steigen, schreien sie nach der Flotte, und wir kommen. Aber darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen, Mylord. Wenn wir wirklich Schiffe brauchen, um die Menschheit vor fremden Ungeheuern zu beschützen, werd’ ich sie zusammenbekommen, und wenn ich selber in Mac Phersons Werft arbeiten müsste.«

»Ware vielleicht ganz interessant, wenn die Splits gefährlich wären«, meinte Merrill nachdenklich. »Eine echte Bedrohung des Imperiums würde die Provinzen konsolidieren — Ich frage mich, ob wir den Baronen der Kolonialwelten diese Geschichte andrehen könnten?«

»Aber Hoheit!« protestierte Sally. »War nur eine Idee, nur eine Idee.«

»Wir müssten sie nur ordentlich beeindrucken«, brummte Fowler. Alle wandten sich um und starrten ihn an. »Ist doch klar. Ziehen wir eine schöne Schau für die Presse ab.

Wenn die Lenin eintrifft, veranstalten wir ein Spektakel, wie es Neuschottland noch nicht erlebt hat. Großartiger Empfang für die Splits. Mit allem Zeremoniell. Gesellschaften, Paraden, Umzüge, Besichtigungstouren. Besprechungen mit Diplomaten des Außenamts. Niemand kann etwas dagegen einwenden, dass wir den Splits alle Ehren erweisen. Dadurch schirmen wir sie ab und gewinnen Zeit. Hoheit, wir werden Ihnen sobald als möglich unsere Entscheidung mitteilen, aber Leoni … Seine Majestät hat mich nicht hergeschickt, damit ich übereilte Entschlüsse fasse. Bis ich mehr weiß, müssen wir eben die Leute hinhalten.«

49 Paraden

Das Landeboot setzte auf dem Dach des Palastes auf, und das schrille Düsenkreischen dämpfte sich zu einem tiefen Grollen, dann herrschte einen Augenblick Stille. Draußen setzte ein Trommelwirbel ein. Das martialische Geräusch drang nur abgeschwächt bis in die Kabine, brauste dann aber donnernd auf, als die Ausstiegsluke geöffnet wurde.

David Hardy blinzelte in die Morgensonne hinaus, die das bunte Gestein des Palastes mit ihrem Licht überflutete. Er roch frische Luft, nicht den abgestandenen Gestank von Maschinen und Menschen und Filtern, und er spürte die Wärme der Sonne Cal. Er hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Er war daheim!

»Ehrenwache, Achtunnnk

Ach Gott, dachte David. Sie ziehen die Sache doch tatsächlich ganz groß auf. Er richtete sich auf und schritt die Rampe hinunter, und die zahllosen Kameraleute stellten ihre Zoom-Linsen ein. Weitere Flottenoffiziere und Zivilisten folgten. Dr. Horvath war der letzte, und als er auf die Rampe trat, nickte David dem kommandierenden Offizier zu.

»Waffen präsentierttt!« Schnapp! Klack! Fünfzig Paar weiße Handschuhe führten dieselbe Bewegung aus, schlugen in demselben Moment gegen die Waffen. Fünfzig scharlachrote Ärmel mit schweren Goldschnüren bildeten ein präzises Muster. Der Trommelwirbel schwoll an.

Jetzt kamen die Splits die Rampe herunter. Unbehaglich blinzelten sie in das grelle Sonnenlicht. Trompeten schmetterten einen Salut und verstummten zugleich mit dem Trommelwirbel. In der Stille war das leise Rauschen des Verkehrs von den Straßen weiter weg besonders deutlich. Selbst die Presseleute auf ihrer erhöhten Plattform schwiegen. Die Splits schauten sich mit raschen Rumpfdrehungen um.

Neugier’ Endlich eine Menschenwelt, endlich Menschen, die herrschten; aber was taten sie jetzt? Da standen zwei Reihen von Soldaten, erstarrt in einer bestimmt nicht bequemen Haltung, die Waffen alle in derselben Stellung angehoben, aber offensichtlich niemanden bedrohend; Ivan blickte sich trotzdem automatisch nach seinen Kriegern um Rechts von ihnen waren noch mehr solche Soldaten, aber sie hielten Lärmmacher, nicht Waffen, und etliche trugen gesenkte Banner; drei andere hatten wieder Waffen, und ein vierter hielt ein großes Bannerhoch, das nicht gesenkt war: Symbole, die sie schon gesehen hatten. Krone und Raumschiff, Adler, Hammer und Sichel.

Weiter vorne, hinter der Gruppe von Leuten von der Lenin und Mac Arthur drängte sich eine Menschenmenge in kunterbunter Kleidung. Die Leute warteten offenbar darauf, mit den Splits sprechen zu können, aber sie sagten jetzt nichts »Kapitän Blaine und Miss Fowler«, zwitscherte Jock. »Ihre Haltung deutet an, dass die beiden vor ihnen von höherem Rang sind.«

David Hardy führte die Splits weiter. Sie hatten immer noch die Gesichter verzogen und schnatterten miteinander in ihrer vogelhaften Sprache. »Wenn euch die Luft nicht behagt«, sagte David, »so können wir Filter bauen. Ich habe nicht bemerkt, dass euch die Luft im Schiff gestört hatte.« Er holte noch einmal tief und genießerisch Atem.

»Nein, nein, sie ist nur ein bisschen schal und geschmacklos«, sagte ein Vermittler. Es war kaum möglich, die beiden auseinander zuhalten. »Aber sie enthalt mehr Sauerstoff.

Ich glaube, den werden wir brauchen können.«

»Die höhere Schwere?«

»Genau.« Das Split blinzelte zur Sonne hin. »Wir werden auch dunkle Brillen benötigen.«

»Gewiss.« Sie erreichten das Ende des Ehrenspaliers. Hardy verneigte sich vor Merrill.

Die beiden Vermittler machten es ihm ganz genau nach. Das Weiße blieb einen Augenblick lang aufrecht stehen, dann verneigte es sich auch, doch nicht so tief wie die anderen.

Dr. Horvath wartete schon auf den großen Augenblick. »Prinz Stefan Merrill, Vizekönig Seiner Kaiserlichen Majestät für den Sektor Trans-Kohlensack«, verkündete er. »Hoheit, der Botschafter von Splitter Alpha. Er wird Ivan genannt.« Merrill verbeugte sich förmlich und wies dann auf Benjamin Fowler. »Senator Benjamin Bright Fowler, Lordvorsitzender der Kaiserlichen Sonderkommission. Senator Fowler ist bevollmächtigt, mit euch im Namen des Kaisers zu sprechen. Er hat eine Botschaft von Seiner Majestät für euch.«

Die Splits verneigten sich wieder.

Senator Fowler hatte diesmal seinem Kammerdiener gestattet, ihn standesgemäß anzuziehen; all die vielen Milliarden der Menschheit würden schließlich Aufzeichnungen dieses Ereignisses zu sehen bekommen. Er trug einen schwarzen Rock, den als einziger Orden eine kleine, goldene Sonnenkorona auf der linken Brustseite schmückte.

Seine Schärpe war neu, seine Hosen saßen perfekt und steckten in handschuhweichen, schimmernden Stiefeln. Er klemmte ein schwarzes Malakka-Stöckchen mit ziseliertem Goldknauf unter den linken Arm, als Rod ihm ein Pergament reichte.

Fowler las mit seiner Stimme für offizielle Ansprachen. Als Debattenredner besaß er mitreißenden Stil, seine formellen Reden klangen jedoch immer ziemlich gestelzt. Diese war keine Ausnahme.

»Leonidas IX., durch Gottes Gnaden Kaiser der Menschheit, übersendet den Vertretern der Zivilisation des Splitters seine Willkommensgrüße. Seit Tausenden von Jahren sucht die Menschheit nach Brüdern im Universum. Immer war es der Traum des Menschen .

..« Die Botschaft ging in diesem Stil weiter, langatmig und förmlich, und die Splits hörten sie sich schweigend an. Links von ihnen drängte sich eine Gruppe von Menschen, die flüsterten und tuschelten und sie hatten Gerate bei sich, die die Splits als plumpe 3-D-Fernsehkameras erkannten. Ein Wald von Kameras und viel zu viele Leute — warum brauchten die Menschen so viele für eine einfache Aufgabe?

Fowler kam zum Schluss der formellen Ansprache. Er folgte den Blicken der Splits, ohne den Kopf zu wenden. »Die Herrschaften von der Presse«, murmelte er. »Wir werden dafür sorgen, dass sie euch möglichst wenig belästigen« Dann hielt er das Pergament hoch, um alle das kaiserliche Siegel sehen zu lassen, und übergab es den Splits.

»Sie erwarten offensichtlich eine Antwort. Dies ist einer der ›formellen‹ Anlässe, vor denen Hardy uns gewarnt hat. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Du vielleicht?« Jock: »Nein. Aber wir müssen etwas sagen.« Der Meister sprach. »Was haben sie zu uns gesagt?« »Ich könnte es übersetzen, aber es ist bedeutungslos. Sie haben uns im Namen ihres Kaisers willkommen geheißen, der eine Art Ober-Meister zu sein scheint. Der kleine Rundliche ist Vermittler dieses Kaisers.«

»Ah. So haben wir wenigstens jemanden gefunden, mit dem man sich verständigen kann. Sprich mit ihr.« »Aber er hat nichts gesagt!« »Dann antworte mit nichts.«

»Wir danken für den Willkommensgruß eures Kaisers. Wir sind überzeugt, dass dieses erste Treffen zwischen zwei intelligenten Rassen ein Ereignis von historischer Bedeutung ist, vielleicht das wichtigste überhaupt in unser beider Geschichte. Wir freuen uns darauf, zum Wohle von Menschen und Splits Handelsbeziehungen anknüpfen und einen gegenseitigen Gedankenaustausch beginnen zu können.«

»Du redest wie Horvath.«

»Natürlich. Das sind seine Worte. Er sagte das oft, bevor die Menschen ihr kleineres Schiff zerstörten. Wir müssen erfahren, warum sie das getan haben.«

»Du wirst nicht fragen, bis wir mehr von den Menschen wissen.«

Blinzelnd standen die Splits da. Das Schweigen zog sich in die Länge. Sie hatten offensichtlich nichts mehr zu sagen.

»Zweifellos seid ihr von der Reise ermüdet«, stellte Merrill fest. »Ihr werdet euch in euren Räumen ausruhen wollen, bevor die Parade beginnt.« Als die Splits nicht antworteten, gab Merrill einen Wink, und die Kapelle stimmte einen Marsch an. Die Splits wurden zu einem Lift geleitet.

»Wir müssen euch die gottverdammte Presse vom Leibe halten«, knurrte Fowler. »In einem Goldfischglas lässt sich nicht vernünftig arbeiten.« Er wandte sich um und lächelte in die Kameras. Die anderen taten dasselbe, und sie lächelten immer noch, als sich die Lifttüren vor den Nasen der Reporter schlössen, die vorwärtsgestürzt waren, als sie merkten, dass die Splits sich entfernten.


Es gab keine allzu offensichtlichen Beobachtungskameras in den Räumen, und die Türen waren von innen versperrbar. Die Unterkunft bestand aus zahlreichen, sehr hohen Zimmern. In drei Räumen stand etwas, das die Menschen wohl für Split-Betten hielten, und an jeden dieser Räume Schloss sich ein kleinerer mit Anlagen zum Waschen und zur Abfallbeseitigung an. In einem weiteren Raum waren ein Kühlschrank, ein Kochherd, ein Mikrowellenherd, umfangreiche Lebensmittelvorräte einschließlich des Proviants, den die Splits mitgebracht hatten, Essgeräte und andere Apparate, deren Zweck sie nicht kannten. Der letzte und bei weitem größte Raum enthielt einen langen Tisch aus poliertem Holz und Stühle für Splits und Menschen.

Sie wanderten durch die weitläufigen Zimmer, die ihnen wie Säle vorkamen.

»Ein 3-D-Bildschirm«, rief Jock aus. Sie drehte an den Knöpfen, und auf einmal leuchtete ein Bild auf. Es war eine Bandaufnahme von ihnen selbst, wie sie die Botschaft des Kaisers anhörten. Auf anderen Kanälen wurde dasselbe gezeigt, oder Menschen, die über die Ankunft der Splits debattierten, oder …

Ein hochgewachsener Mann in loser Kleidung brüllte abgehackte Sätze heraus. Seine Stimme und seine Gesten verrieten Zorn. »Teufel! Sie müssen vernichtet werden! Die Legionen von Ihm werden gegen die Legionen der Hölle aufstehen!«

Der brüllende Mann verschwand, und an seiner Stelle erschien ein anderer Mann, auch in lockere Gewänder gekleidet, aber dieser brüllte nicht. Er sprach ruhig und vernünftig. »Sie haben eben den Mann gehört, der sich die Stimme von Ihm nennt. Ich brauche das eigentlich gar nicht zu betonen, aber ich kann Ihnen im Namen der Kirche versichern, dass die Splits weder Engel noch Teufel sind, sondern vielmehr Intelligenzwesen fast wie wir. Wenn der Menschheit von ihnen eine Gefahr drohen sollte, dann ist sie gewiss nicht geistiger Art, und die Diener Seiner Majestät werden sicher bestens damit fertig werden.«

»Kardinal Randolph, ist die Kirche sich schon schlüssig geworden über … äh … die Stellung der Splits? Ich meine, ihren Platz in der Theologie der …«

»Natürlich nicht. Ich kann nur so viel sagen, dass sie kaum übernatürliche Wesen sind.« Kardinal Randolph lachte, und der Kommentator auch. Der zornig brüllende Mann wurde nicht mehr gezeigt.

»Kommt«, sagte der Meister, »für das werdet ihr später Zeit haben.« Sie gingen in den großen Raum und setzten sich an den Tisch. Charlie brachte Korn aus ihren Vorräten.

»Ihr habt die Luft gerochen«, meinte Jock. »Keine nennenswerte Industrie. Dieser Planet muss nahezu leer sein! Platz für eine Milliarde Meister und alle ihre Untertanen.«

»Zuviel von diesem Sonnenlicht würde uns erblinden lassen. Die Schwerkraft würde unser Leben verkürzen.« Charlie holte tief Luft. »Aber es gibt Platz und Nahrung und Metalle. Kümmern wir uns nicht um Schwere und Sonnenlicht. Nehmen wir uns die Welt!«

»Ich muss das Angebot überhört haben.« Jock drückte durch ihre Gesten Belustigung aus. »Ich glaube nicht, dass wir drei sie uns gegen den Willen der Menschen nehmen könnten.«

»Diese Menschen — sie bringen mich auf Groß-Narren-Gedanken!Hast du es gesehen?

Hast du es gehört? Der Vermittler des Kaisers verabscheut die Leute mit den Fernsehkameras, trotzdem zeigt er ihnen eine Miene des Erfreutseins und deutet an, dass er vielleicht nicht die Macht hat, uns vor ihrer Belästigung zu schützen.«

»Sie haben uns ein Fernsehgerät gegeben«, sagte der Meister. »Und was gezeigt wird, wird offensichtlich für die Menschen gezeigt. Es sind Sprecher vieler Meister aufgetreten. Du hast es gesehen.« Jock mimte Freude. »Ich werde viel Gelegenheit haben herauszufinden, wie die Menschen leben und regiert werden.«

»Sie haben uns eine Informationsquelle zur Verfügung gestellt, über die sie keine Kontrolle haben«, sagte der Meister. »Was hat das zu bedeuten?«

Die Vermittler schwiegen.

»Ja«, sagte Ivan. »Wenn wir mit unserer Mission keinen Erfolg haben, werden wir nicht mehr zurückkehren dürfen.« Er deutete Gleichmütigkeit an. »Wir wussten das, bevor wir aufbrachen letzt ist es mehr denn je lebenswichtig, dass wir so schnell wie möglich Handelsbeziehungen zu den Menschen herstellen — oder entscheiden, dass Beziehungen zu den Menschen nicht wünschenswert sind, und einen Weg finden, sie zu verhindern. Ihr müsst rasch handeln.« Das wussten sie. Die Vermittler, die ihre Mission vorgeschlagen und die Meister, die sie gebilligt hatten, waren sich von Anfang an über die begrenzten Zeitspannen einig, die ihnen zur Verfügung standen. Zwei Fristen gab es: die Lebenspanne eines Vermittlers war nicht lang, und der Meister würde ungefähr zur selben Zeit sterben müssen. Die schwere Hormonstörung, die ihn unfruchtbar und auf die Dauer männlich machte, würde ihn töten. Aber nur sterile Mischlinge und ein unfruchtbarer Bewahrer konnten mit einer solchen Aufgabe betraut werden — nur ein Bewahrer konnte längere Zeit ohne Fortpflanzung überleben. Die zweite Frist, die ihnen gesetzt war, war nicht so genau vorher zu berechnen, aber ebenso unvermeidlich: wieder stand die Zivilisation der Split-Welt vor einem Zusammenbruch. Ein neuer Zyklus brach an, und trotz des Auftretens verschiedener Großer Narren würde er nicht aufzuhalten sein. Nach dem Zusammenbruch würden die Menschen die Splits in Barbarei wiederfinden. Sie würden hilflos sein — und was würden die Menschen dann tun?

Niemand wusste es, und kein Meister wollte diese Situation riskieren.

»Die Menschen haben uns Handelsgespräche zugesagt. Ich nehme an, dieser Vermittler wird sie führen. Vielleicht auch Mr. Bury oder jemand wie er.« Jock stand auf und musterte die getäfelten Wände. In einem Schnitzmuster waren Knöpfe verborgen; sie drückte auf einen, und ein Paneel glitt zur Seite, ein weiteres 3-D-Fernsehgerät wurde sichtbar, Jock schaltete es ein.

»Worüber müsste denn lange gesprochen werden?« wollte der Meister wissen »Wir brauchen Nahrung und Land, oder sie müssen uns mit den Zyklen allem lassen. Wir müssen die Dringlichkeit unserer Bedürfnisse und die Ursache dafür verschweigen.

Außer Ideen haben wir nichts zu bieten. Es gibt keine Rohstoffquellen mehr, die wir ausbeuten konnten. Wenn die Menschen Fertigwaren wünschen, müssen sie uns das Material dafür liefern.«

Jede Ausfuhr von Rohstoffen würde den nächsten Zusammenbruch verschlimmern, den Wiederaufstieg verlangsamen, und das durfte nicht sein.

»Die Admiralität tut natürlich noch sehr geheimnisvoll, aber ich kann Ihnen verraten, dass sie eine Technologie besitzen, die der des Ersten Imperiums weit überlegen ist«, sagte ein Sprecher auf dem Bildschirm. Er schien sehr beeindruckt zu sein.

»Die Menschen haben auch vieles verloren, was sie einst besaßen«, erklärte Jock. »In der Ära, die sie das ›Erste Imperium‹ nennen, hatten sie eine fantastische, Nahrung erschaffende Maschine. Sie brauchte dazu nur Energie und irgendwelche organischen Stoffe, Abfälle, Unkraut, selbst tote Tiere und Menschen. Gifte wurden ausgefiltert oder umgewandelt.«

»Kennst du das Prinzip! Weißt du, wie verbreitet diese Maschine war? Oder warum sie sie nicht mehr haben?« fragte der Meister.

»Nein. Der Mensch wollte nicht davon sprechen.«

»Ich habe das auch gehört«, fügte Charlie hinzu. »Er war ein Maat namens Dubcek, und er wollte die ganz offensichtliche Tatsache verhehlen, dass auch die Menschen Zyklen haben. Das versuchen sie alle.«

»Wir wissen von ihren Zyklen«, sagte Ivan. »Ihren sonderbar unregelmäßigen Zyklen.«

»Wir wissen, was die Kadetten uns in ihren letzten Stunden erzählt haben. Wir wissen, was die anderen angedeutet haben. Wir wissen, dass sie große Ehrfurcht vor den Errungenschaften des Ersten Imperiums haben, die vorangegangenen Zivilisationen jedoch geringschätzen. Mehr nicht. Vielleicht kann ich mit dem 3-D mehr erfahren.«

»Diese Nahrungsmaschine. Wissen andere auch davon?«

»Sicher. Wenn wir ein Braunes hätten, und mit dem, was die Menschen über das Prinzip wissen, wäre es durchaus möglich …«

»Du sprichst von Freuden, von denen ich kaum mehr träume«, sagte Charlie. »Hör auf zu wünschen, wir hätten ein Braunes.«

»Uh kann nichts dafür. Ich brauche nur auf diesen Betten zu liegen oder auf diesem Stuhl zu sitzen, und irgendwie wenden sich meine Gedanken …«

»Ein Braunes würde einen verdächtigen Tod sterben. Zwei Braune würden sich vermehren und vermehren und vermehren, und wenn man sie daran hinderte, würden sie einen verdächtigen Tod sterben. Hör bloß auf mit Braunen.« »Schon gut. Aber allein diese Nahrungsmaschine würde den nächsten Zyklus für eine halbe 144-Jahr-Einheit aufhalten.«

»Ihr werdet soviel als möglich über diese Maschine zu erfahren versuchen«, befahl Ivan.

»Und ihr werdet aufhören, von Braunen zu sprechen. Mein Bett ist ebenso unbequem gebaut wie eure.«


Die Tribüne war vor den Palasttoren errichtet worden. Langsam füllte sie sich mit Menschen. Weniger eindrucksvolle Beobachtungsplattformen säumten beide Straßenseiten, so weit die Splits von ihrem Platz in der ersten Reihe sehen konnten.

Menschenmengen drängten sich um sie und auf ihnen.

Ivan saß ruhig da. Verstehen konnte man das alles ohnehin nicht, aber die Menschen bemühten sich wenigstens, die formen zu wahren. Als sie ihre Unterkunft verließen, folgten ihnen Menschen mit Waffen — und die Männer beobachteten nicht die Splits, sie behielten wachsam ihre Umgebung im Auge. Diese Soldaten waren zwar nicht sehr eindrucksvoll und wären in den Händen von Kriegern wie Fleischtiere gewesen, aber wenigstens hatten die menschlichen Meister ihm eine Leibwache gestellt. Sie bemühten sich, höflich zu sein.

Die Vermittler schnatterten miteinander, wie es Vermittler immer taten, und Ivan hörte ihnen aufmerksam zu. Aus den Gesprächen von Vermittlern ließ sich viel lernen.

Jock: »Das sind Ober-Meister dieser Welt, von zwanzig Welten und mehr. Trotzdem sagten sie, sie müssten das hier tun. Weshalb?«

Charlie: »Ich habe eine Theorie. Beachte das Schema der wechselseitigen Ehrenbezeigungen, wenn sie zu ihren Platzen gehen. Vizekönig Merrill hilft Sally die Stufen hinauf. Titel werden von manchen weggelassen, von anderen wiederum immer verwendet und über die Lautsprecher in vollem Umfang erwähnt. Die Herrschaften von der Presse‹ besitzen einerseits anscheinend gar keinen Status, andererseits stellen sie sich jedem in den Weg, wie es ihnen passt; und obwohl andere sie hindern, überall hinzugehen, werden sie doch für den Versuch nicht bestraft.«

»Welches Schema meinst du? Ich kann keines erkennen«, sagte Jock.

Ivan: »Seid ihr zu konkreten Feststellungen gekommen?«

»Nur zu interessanten Fragen«, antwortete Charlie.

Ivan: »Dann lasst mich meine eigenen Beobachtungen machen.«

Jock wechselte in die Neuere Trojanermundart über. »Welches Schema hast du festgestellt?«

Charlie antwortete in derselben Sprache. »Ich erkenne ein komplexes Muster von Verpflichtungen, das einer — einer Machtpyramide Überlagert ist. Niemand ist wirklich unabhängig, aber gegen die Spitze der Pyramide hin nimmt die Macht ungeheuerlich zu.

Sie wird jedoch sehr selten voll ausgeübt Die faden der Verpflichtung ziehen sich in alle Richtungen, nach oben, nach unten, auf gleicher Ebene, in einer Weise, die uns völlig fremd ist. Kein Meister arbeitet zwar direkt für irgendeinen anderen, doch diese Menschen arbeiten gewissermaßen alle füreinander, Vizekönig Merrill handelt nach Befehlen von oben und Verpflichtungen von unten. Die Braunen und Landarbeiter und Krieger und Arbeiter fordern und erhalten regelmäßig Rechenschaft über die Handlungen ihrer Meister.«

Jock (in verblüffter Haltung): »Das ist zu kompliziert. Aber wir müssen doch versuchen, es zu durchschauen, sonst werden wir nie voraussagen können, was die Menschen tun werden.«

Charlie: »Das Schema ändert sich ständig. Und es wird noch weiter kompliziert durch diese Einstellung, die sie Förmlichkeit nennen — dal« (Geste des Erschreckens.) Jock: »la, ich habe es gesehen. Das weibliche Junge, das vor das Auto rannte Schau, die Männer im Auto sind sehr erschrocken, vielleicht verletzt. Das Auto blieb zu schnell stehen. Welche Privilegien dieses Junge wohl hat?« Charlie: »Wenn das ein Elternteil ist, der es wegträgt, dann ist es ein Proto-Techniker. Nur ist es ein weibliches Junges, und sie haben sehr wenig weibliche Techniker. Und dann hat der Wagen dieses Meisters gestoppt, um es nicht zu überfahren, zum Nachteil des Meisters, letzt verstehe ich, warum ihre Fjunch(klick)s verrückt werden.«

Die Tribüne war jetzt beinahe voll besetzt, und Hardy kehrte zu seinem Platz neben ihnen zurück. Charlie fragte: »Kannst du uns bitte noch einmal erklären, was hier geschehen wird? Wir haben es nicht verstanden, und du warst in Eile.«

Hardy dachte darüber nach. Jedes Kind wusste, was eine Parade war, obwohl man es Kindern niemals erklärte, man nahm sie einfach zu einer mit. Kinder fanden sie herrlich, weil es viel Interessantes und Aufregendes zu sehen gab. Erwachsene — nun, Erwachsene hatten andere Gründe.

Er sagte- »Eine Menge Leute werden in regelmäßigen Gruppen an uns vorbeigehen.

Manche werden Musikinstrumente spielen. Dann werden Fahrzeuge kommen, auf denen Musterstücke aus Handwerk, Landwirtschaft und Kunst gezeigt werden. Dann werden wieder Männer vorbeigehen, und die Gruppen werden jeweils die gleiche Kleidung tragen.«

»Und der Sinn?«

Hardy lachte. »Um euch Ehren zu erweisen, um einander und sich selbst zu ehren. Um ihre Fertigkeiten vorzuführen.« Und vielleicht auch, um ihre Macht zu zeigen … »Wir haben seit Urzeiten solche Umzüge veranstaltet, und es sieht nicht so aus, als würden wir es jemals aufgeben.«

»Ist das einer der ›formellen‹ Anlasse, von denen du sprachst?«

»Ja, aber es soll auch eine Unterhaltung sein.« Hardy lächelte auf seine Schutzbefohlenen hinunter. Sie sahen wirklich komisch aus mit ihrem braun-weißen Pelz und den gewölbten schwarzen Schutzbrillen, die von Gummibändern gehalten wurden, weil sie keine Nasen hatten, auf denen Brillen Halt gefunden hätten. Die Brillen verliehen ihnen ein unnatürlich ernsthaftes Aussehen.

Hardy blickte sich um, als er Bewegung hinter sich vernahm. Der Admiralsstab war eingetroffen. Hardy entdeckte Admiral Kutuzov und Flottenadmiral Cranston.

Die Splits aber unterhielten sich auf einmal aufgeregt, zwitschernd und die Tonleiter hinauf und hinunter trillernd, begleitet von blitzschnellen Armbewegungen …

»Er ist es! Der Meister der Lenin! Jock sprang auf und starrte nach hinten. Ihre Arme drückten Überraschung, Freude, Verwunderung aus …

Charlie studierte das Verhalten der Menschen, als sie zu ihren Plätzen auf der Tribüne gingen. Wer war wem untergeordnet? In welcher Weisel Die ähnlich Gekleideten reagierten vorhersehbar, und Zeichen auf ihrer Kleidung gaben ihren genauen Status an. Blaine hatte früher auch solche Kleidung getragen und bis dahin auch die Stellung eingenommen, die ihm nach der Theorie zukam, letzt trug er sie nicht mehr, und das Schema hatte sich verändert. Selbst der angebliche Meister der Lenin hatte sich vor ihm verbeugt. Doch dann verfolgte Charlie die Handlungen von anderen, registrierte ihren Gesichtsausdruck und sagte: »Du hast recht. Sei vorsichtig.«

»Bist du sicher?« fragte der weiße Meister.

»Ja! Er muss derjenige sein, den ich so lange studiert habe, aus so großer Entfernung, nur aus dem Verhalten jener, die seinen Befehlen gehorchten. Seht doch — der breite Streifen an seinen Ärmeln, das Abzeichen mit dem Planeten im Ring auf seiner Brust, die Unterwürfigkeit der Infanterieposten von der Lenin — ganz gewiss ist er es. Ich hatte von Anfang an recht, ein Wesen, ein menschliches Wesen!« »Du wirst aufhören, ihn zu studieren. Wende deine Augen nach vorne.«

»Nein! Wir müssen mehr über diesen Typ von Menschen erfahren! Das ist die Kaste, die ihre Kriegsschiffe kommandiert!«

»Dreh dich um.«

»Du bist ein Meister, aber du bist nicht mein Meister.«

»Gehorche«, sagte Ivan. Ivan konnte nicht gut argumentieren.

Charlie schon. Während Jock in innerem Widerstreit zappelte und stammelte, redete Charlie ihr zu, in einer alten, halb vergessenen Sprache, weniger um der Geheimhaltung willen, als um Jock daran zu erinnern, wie viel sie geheim zu halten hatten. »Wenn wir viele Vermittler hätten, wäre das Risiko tragbar; wenn aber du jetzt verrückt wirst, werden die Entscheidungen nur mehr von Ivan und mir getroffen. Dein Meister wäre nicht mehr vertreten.«

»Aber die Gefahren, die unsere Welt bedrohen …«

»Denke an das Schicksal deiner Schwestern. Sally Fowlers Vermittler zieht nun umher und sagt den Meistern, dass die Welt vollkommen werden könnte, wenn sie sich in ihrer Fortpflanzung einschränkten. Horace Burys Vermittler …«

»Wenn wir bloß erfahren könnten …«

»… ist nicht auffindbar. Er schickt Briefe an die mächtigsten Meister und fragt was sie ihm bieten würden, wenn er in ihre Dienste träte; er behauptet, als einziger äußerst wichtige Informationen zu besitzen. Jonathon Whitbreads Vermittler hat ihren Meister verraten und ihr Fjunch(klick) getötet.« Charlies Blick streifte Ivan. Der Meister beobachtete sie, konnte aber nichts verstehen.

Charlie wechselte wieder in die allgemeine Sprache über. »Kapitän Lord Roderick Blaines Vermittler wurde zum Großen Narren. Du warst selbst dabei. Gavin Potters Vermittler ist ein Großer Narr. Sinclairs Vermittler ist zwar für die Gesellschaft noch von Nutzen, aber völlig verrückt.«

»Das stimmt«, sagte der Weiße. »Wir haben ihr die Leitung eines Projekts übertragen, das ein Energieschild entwickeln soll, wie es die Menschen besitzen. Sie arbeitet verblüffend gut mit den Braunen zusammen und verwendet sogar selbst Werkzeuge.

Aber mit ihrem Meister und ihren Vermittler-Schwestern redet sie, als hätte sie einen Gehirnschaden.«

Jack setzte sich abrupt, die Augen nach vorne gewandt.

»Denke an das alles«, fuhr Charlie fort. »Nur Horst Staleys Vermittler ist noch einigermaßen bei Verstand. Du darfst dich mit keinem Menschen identifizieren. Das kann doch gewiss nicht so schwer sein. Wir können gar nicht irgendeinen Trieb entwickelt haben, uns mit Menschen zu identifizieren!«

Jock wechselte wieder in die Neuere Trojanersprache über. »Aber wir sind hier ganz allein. Für wen soll ich denn Fjunch-(klick) sein, für Ivan vielleicht?«

»Du wirst nicht Fjunch(klick) eines Menschen werden«, stellte Ivan fest Er hatte nichts verstanden, außer, dass er etwas nicht hatte verstehen sollen. Charlie antwortete nicht.

Gut, dass es vorbei ist, worum immer es da ging, dachte Hardy. Die Unterhaltung der Splits hatte nur vielleicht dreißig Sekunden gedauert, aber sie musste sehr inhaltsreich gewesen sein — und sehr emotionsgeladen. David glaubte, sich dessen sicher sein zu können, obwohl er bis jetzt nur ein paar Redewendungen von den verschiedenen Split-Sprachen wiederzuerkennen vermochte. Erst vor kurzem war ihm klargeworden, dass viele davon noch immer in Gebrauch standen.

»Hier kommen der Vizekönig und die Kommissionsräte«, sagte Hardy. »Und die Musikkapellen fangen zu spielen an. Jetzt werdet ihr gleich sehen, was eine Parade ist.«


Rod kam es vor, als ob das Gestein des Palastes selbst unter dem Chaos von Tönen erzitterte. Eine Hundertschaft Trommler marschierte mit Gedonner vorüber, und nach ihnen schmetterte eine Blasinstrumentengruppe einen Marsch, der schon zu Zeiten des Condominiums alt gewesen war. Der Kapellmeister hob seinen Stab, und die Gruppe trat vor der Tribüne auf der Stelle. Es gab höflichen Applaus, als Tambourmajoretten ihre Stöckchen hoch in die Luft wirbeln ließen.

»Der Botschafter fragt ob das Krieger sind«, schrie Charlie.

Rod lachte beinahe, hielt aber seine Stimme streng unter Kontrolle. »Nein. Das ist die Kapelle der John-Muir-Oberschule, eine Jugendgruppe. Einige von ihnen werden vielleicht Krieger, wenn sie älter sind, andere wieder Bauern oder Techniker oder …«

»Danke.« Das Split zwitscherte los. Nicht, dass nicht auch Krieger zu sehen sein werden, dachte Rod. Nachdem dieser Empfang höchstwahrscheinlich die größte Anzahl von 3D-Zuschauern in der Geschichte des Imperiums erreichen würde, wollte Merrill bestimmt nicht die Gelegenheit versäumen, auch ein wenig die gepanzerte Faust sehen zu lassen. Potentielle Rebellen würden es sich dann vielleicht noch einmal überlegen. Im großen und ganzen war jedoch wenig Kriegsgerät vorgeführt worden, und es hatte mehr hübsche Mädchen und Blumen als Soldaten zu sehen gegeben.

Die Parade war endlos. Jeder Provinzbaron wollte bei einem solchen Anlass Ehre einlegen, jede Zunft, jede Vereinigung, Stadt, Schule, Loge — alle, alle wollten sie mitmachen, und Fowler hatte gesagt, je mehr, desto besser.

Der Kapelle der John-Muir-Oberschule folgte ein halbes Bataillon Covenanter Hochländertruppen mit Kilts, noch mehr Trommeln und winselnden Dudelsäcken. Die bizarre Musik zerrte an Rods Nerven, aber er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen; obwohl Covenant auf der anderen Seite des Kohlensacks lag, waren die Hochländer auf Neuschottland naturgemäß beliebt, und alle Neuschotten begeisterten sich für den Dudelsack — oder gaben es wenigstens vor.

Die Hochländer trugen Schwerter und Lanzen und nahezu einen Meter hohe Bärenfellmützen. Bunte Plaidumhänge flatterten um ihre Schultern. Sie wirkten mehr theatralisch als irgendwie bedrohlich, doch der Ruf der Covenanter verhieß Gefahr genug. Die Armee keiner bekannten Welt ließ sich gerne mit ihnen ein, wenn sie ihre zeremoniellen Kostüme ablegten und Gefechtsanzüge anlegten. Covenant war eine Welt fanatischer Loyalisten.

»Das sind Krieger?« fragte Charlie.

»Ja. Sie gehören zur Ehrengarde von Vizekönig Merrill«, brüllte Rod. Er nahm Haltung an, als ein Trupp mit Fahnen vorbeimarschierte, und hätte beinahe salutiert. So nahm er statt dessen den Hut ab.

Die Parade ging weiter: eine blumenbedeckte Wagenplattform von irgendeiner neuirischen Baronie; Schaustucke von Handwerkerzünften, wiederum Truppen, Friedländer diesmal, die ohne viel Elan marschierten, weil sie Artilleristen und Panzerfahrer waren und sich ohne ihre Fahrzeuge nicht recht wohl fühlten. Wieder eine Erinnerung für die Provinzen, womit Seine Majestät gegen die Feinde des Imperiums vorgehen konnte. »Was halten die Splits eigentlich von alldem?« fragte Merrill unauffällig und grüßte das Banner auf einem weiteren Baronie-Wagen.

»Schwer zu sagen«, antwortete Senator Fowler.

»Wichtiger ist, was die Provinzen davon halten werden«, bemerkte Armstrong. »An vielen Orten wird diese Schau ebenso wirksam sein wie der Besuch eines Schlachtkreuzers. Und viel billiger.«

»Billiger für die Regierung«, sagte Merrill, »ich darf gar nicht daran denken, was dafür alles ausgegeben wurde. Glücklicherweise musste ich’s nicht bezahlen.«

»Rod, Sie können jetzt verschwinden«, sagte Senator Fowler. »Hardy wird Sie bei den Splits schon entschuldigen.«

»Gut. Danke.« Rod schob sich durch die Sitzreihen. Die gedämpfte Unterhaltung seiner Freunde und der Lärm der Parade im Hintergrund begleiteten ihn.

»Ich hab’ mein ganzes Leben noch nie so viele Trommeln gehört«, sagte Sally.

»Bah. Ist doch an jedem Geburtstag ein solcher Zirkus«, erinnerte sie Senator Fowler.

»Nun, an den Geburtstagen musst’ ich mir nicht das Ganze anschauen und anhören.«

»Geburtstag?« fragte Jock.

Rod verließ die Tribüne, als Sally über Festtage des Imperiums zu dozieren begann und wieder eine Hundertschaft schwellbackiger Dudelsackbläser in gälischer Pracht vorbeimarschierte.

50 Die Kunst der Verhandlung

Die kleine Gruppe verharrte in ärgerlichem Schweigen. Horowitz’ Feindseligkeit war fast greifbar, als er sie tiefer in die unterirdischen Gewölbe führte. Ich bin der beste Xenologe von Trans-Kohlensack, dachte er. Sie müssten sich schon in Sparta umsehen, um jemand Tüchtigeren zu finden. Und dieser verdammte Adelssprössling mit seiner halbgebildeten Lady zweifelt meine berufliche Qualifikation an.

Und ich muss es mir gefallen lassen. Darüber bestand kaum viel Zweifel, überlegte Horowitz. Der Rektor der Universität hatte es ihm höchstpersönlich klargemacht. »Um Himmels willen, Ziggy, tun Sie, was die Leute wollen! Diese Kommission ist eine dicke Sache. Unser ganzes Budget, gar nicht zu reden das Ihres Instituts, wird von ihren Berichten abhängen. Was machen wir, wenn sie sagen, dass wir nicht zur Zusammenarbeit bereit sind, und sie eine Forschergruppe von Sparta anfordern?«

Nun, zumindest wussten diese jungen Aristokraten jetzt, dass seine Zeit kostbar war. Er hatte es ihnen auf dem Weg zu den Labors ein Dutzend mal erklärt.

Sie waren tief unter der Alten Universität und schritten über verwitterten Felsboden, der in einer anderen Ära ausgemeißelt worden war. Murcheson selbst war durch diese Korridore gewandert, bevor die Terraformung von Neuschottland abgeschlossen war, und die Legende behauptete, dass noch immer sein Geist in den Felstunnels umherstreifte: eine Gestalt mit Kapuze und einem glimmenden roten Auge.

Und warum eigentlich ist das so furchtbar wichtig? Bei Bileams Esel, warum macht das Mädchen so ein Theater daraus?

Auch das Labor war ein aus dem gewachsenen Fels ausgehauener Raum. Horowitz winkte gebieterisch, worauf zwei Assistenten einen Tiefkühlbehälter öffneten. Eine lange Platte rollte heraus.

Der Pilot der Narrensonde beziehungsweise seine Einzelteile lagen auf der glatten, weißen Plastikoberflache. Die Organe waren analog zu ihrer früheren Stellung angeordnet. Schwarze Linien führten über die abgezogene Haut zu den betreffenden Punkten im auseinandergenommenen Skelett. Hellrot und dunkelrot und graugrün, in den unwahrscheinlichsten Formen: die Innereien eines Split-Vermittlers erinnerten in Form und Beschaffenheit sehr an einen Menschen, den eine Granate zerrissen hat. Rod fühlte, wie sein Magen revoltierte, und musste an eine scheußliche Bodenkampfaktion denken.

Es schauderte ihn, als Sally sich ungeduldig vorbeugte, um besser zu sehen. Ihre Miene war starr und entschlossen — wie schon zuvor in Horowitz’ Büro.

»Also!« platzte Horowitz triumphierend heraus. Sein knochiger Finger stieß gegen erdnussgroße, grünliche Knoten im Unterleib. »Hier. Und hier. Das müssten die Testikel sein. Die anderen Split-Abarten haben auch innenliegende Testikel.«

»Ja …«, stimmte Sally zu.

»So klein?« fragte Horowitz verächtlich.

»Das wissen wir nicht.« Sallys Stimme war sehr ernst und sachlich. »Die Statuetten enthielten keine Fortpflanzungsorgane, und die einzigen Splits, die die Expedition sezieren konnte, waren ein Braunes und ein paar Minis. Das Braune war weiblich.«

»Ich habe die Miniatur-Exemplare gesehen«, erklärte Horowitz überheblich.

»Nun — ja«, räumte Sally ein. »Die Testikel der männlichen Minis waren groß genug, dass man sie sehen …«

»Aber im Verhältnis viel größer als diese. Egal. Diese Keimdrüsen hatten kein Sperma produzieren können. Ich habe den Beweis dafür. Dieser Pilot war steril!« Horowitz klatschte mit einer Faust gegen die Handfläche. »Ein unfruchtbarer Bastard! Irgendeine Kreuzung!«

Sally musterte das zerlegte Split. Sie ist wirklich durcheinander, dachte Rod.

»Die Splits haben zuerst ein männliches Stadium, dann werden sie weiblich«, murmelte Sally kaum vernehmbar. »Hätte dieses da nicht einfach unreif gewesen sein können?«

»Ein Pilot?«

»Ja, natürlich …« Sie seufzte. »Sie haben wohl recht. Es war so groß wie ein erwachsener Vermittler. Ob es eine Missgeburt war?«

»Hah! Sie haben mich ausgelacht, weil ich vermutete, dass es eine Mutation sein könnte!

Nun, es ist keine. Während sie Ihren Ausflug machten, haben wir hier etliche Arbeit geleistet. Ich habe die Chromosomen und die Gencodierung identifiziert, die für die geschlechtliche Entwicklung verantwortlich sind. Dieses Wesen war einsteriler Mischling zweier anderer Formen, die selbst fruchtbar sind.« Sein Triumph.

»Das passt«, sagte Rod. »Die Splits erzählten Renner, die Vermittler seien eine Kreuzung …«

»Passen Sie auf«, befahl Horowitz. Er aktivierte einen Wandbildschirm und tippte Codebezeichnungen ein. Seltsame Formen wurden sichtbar. Split-Chromosomen sahen aus wie dicht nebeneinander liegende Scheibchen, die von dünnen Streben zusammengehalten wurden. Auf den Scheiben waren Bänder und Streifen zu erkennen — und Sally und Horowitz begannen eine Unterhaltung in einer Sprache, die Rod nicht verstand. Geistesabwesend hörte er eine Weile zu, dann entdeckte er eine Laborgehilfin, die Kaffee machte. Das Mädchen bot ihm mitfühlend eine Tasse an, ein zweiter Assistent kam dazu, und Rod wurde bald um Informationen über die Splits bestürmt. Wieder einmal.

Eine halbe Stunde später verließen sie die Universität. Was immer Horowitz gesagt hatte, Sally war überzeugt.

»Warum bist du so verstört, Liebste?« fragte er. »Horowitz hat recht. Es ist ganz sinnvoll, wenn Vermittler steril sind.« Rod verzog bei dem Gedanken das Gesicht.

Horowitz hatte anzüglich festgestellt, dass die Vermittler unter diesen Umständen sich nicht von Nepotismus beeinflussen lassen würden.

»Aber mein Fjunch(klick) hätte mir das gesagt. Ich bin sicher, dass sie’s getan hätte. Wir haben über Sex und Fortpflanzung gesprochen, und sie sagte …«

»Was?«

»Ich weiß es nicht mehr genau.« Sally holte ihren Taschencomputer hervor und kritzelte Symbole zum Abruf von Informationen auf den Schirm. Das Gerät summte, wechselte dann die Tonhöhe, um anzuzeigen, dass es das Funksystem des Flugwagens benutzte, um Verbindung mit den Datenbanken des Palastes aufzunehmen. »Und ich erinnere mich nicht mehr, wann genau sie es sagte …« Sie schrieb noch etwas. »Ich hätte wirklich ein besseres System von Querverweisen anwenden sollen, als ich das Band eingab.«

»Du wirst es schon finden. Da ist der Palast — nach dem Mittagessen haben wir eine Besprechung mit den Splits. Warum fragst du sie nicht danach?«

Sie grinste.

»Du wirst ja rot.«

Sally kicherte. »Erinnerst du dich, als die kleinen Splits sich damals paarten? Das war der erste Hinweis auf Geschlechtsänderungen in erwachsenen Splits, und ich bin in die Messe gesaust — Dr. Horvath hält mich wohl immer noch für ein sexbesessenes Weib.«

»Soll ich fragen?«

»Wenn ich’s nicht wage. Aber, Rod, mein Fjunch(klick) hätte mich nie angelogen. Nein, bestimmt nicht.«


Sie aßen wieder im Speisesaal für Regierungsbeamte, und Rod bestellte auch diesmal Kaffee mit Brandy. Als er an seiner Tasse nippte, sagte er nachdenklich: »Das hier war von einer Nachricht begleitet …«

»Oh? Hast du mit Mr. Bury gesprochen?«

»Nur, um ihm zu danken. Er ist noch immer … äh … Gast der Admiralität. Nein, die Botschaft war das Geschenk selbst. Er sagte mir, dass er die Möglichkeit hatte, Nachrichten abzuschicken, noch bevor die Lenin in der Umlaufbahn war.«

Sie blickte erschrocken auf. »Du hast recht — warum haben wir das nicht …«

»Zu viel zu tun. Als es mir endlich einfiel, fand ich es nicht wichtig genug für eine Meldung, deshalb habe ich nichts unternommen. Die Frage ist aber, Sally: welche anderen Botschaften hat er abgeschickt, und warum wollte er, dass ich erfahre, dass er es konnte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber die Beweggründe fremder Wesen zu ergründen versuchen als die von Mr. Bury. Er ist ein sehr seltsamer Mann.«

»Stimmt. Aber kein dummer.« Er erhob sich und half Sally auf. »Zeit für die Konferenz.«

Man traf sich in der Splitunterkunft im Palast. Es sollte eine Arbeitsbesprechung werden, und Senator Fowler ging anderweitig seinen politischen Geschäften nach, so dass Rod und Sally nach Belieben Fragen stellen konnten.

»Ich bin froh, dass du Mr. Renner für den beratenden Stab vorgeschlagen hast«, meinte Sally zu Rod, als sie den Lift verließen. »Er hat eine … nun, eine so ganz andere Anschauung über die Splits.«

»Anders dürfte das richtige Wort sein.« Rod hatte noch weitere Teilnehmer der Expedition ernannt: Kaplan Hardy, Sinclair und etliche Wissenschaftler. Bis Senator Fowler über Dr. Horvaths Ansuchen um Aufnahme in die Kommission entschieden hatte, konnte man ihn nicht hinzuziehen; der Wissenschaftsminister weigerte sich vielleicht, sich den Kommissionsräten unterzuordnen.

Die Infanterieposten vor den Räumen der Splits nahmen Haltung an und salutierten, als Rod und Sally erschienen. »Siehst du, du machst dir zuviel Sorgen«, sagte Rod und grüßte zurück. »Die Splits haben sich über die Wachen nicht beschwert.«

»Beschwert? Jock sagte mir, der Botschafter freut sich, Wachen bekommen zu haben«, sagte Sally. »Ich glaube, er fürchtet sich ein wenig vor uns.«

Rod zuckte die Achseln. »Sie sehen sich ziemlich viel 3-D an. Weiß Gott, was sie jetzt von der menschlichen Rasse halten.« Sie traten ein und gerieten in eine angeregte Unterhaltung.

»Natürlich habe ich keine direkten Beweise erwartet«, betonte Kaplan Hardy. »Aber obwohl ich keine erwartete, wäre es doch eine angenehme Überraschung gewesen, irgend etwas Konkretes zu finden: heilige Schriften, eine Religion ähnlich wie die unsere, derartige Dinge. Aber erwartet — nein, erwartet habe ich es nicht.«

»Ich frage mich immer noch, was du eigentlich zu finden hofftest«, sagte Charlie. »Ware es meine Aufgabe zu beweisen, dass die Menschen Seelen haben, so wüsste ich nicht, wo beginnen.«

Hardy zuckte die Achseln. »Ich weiß es auch nicht. Aber beginnen wir mit euren religiösen Anschauungen — ihr glaubt, ihr besitzt etwas wie eine unsterbliche Seele.«

»Manche glauben es, manche nicht«, sagte Charlie. »Der Großteil der Meister glaubt es. Wie die Menschen mochten auch die Splits nicht glauben müssen, ihr Leben sei sinnlos. Oder dass sie für alle Ewigkeit ausgelöscht werden könnten. Hallo, Sally, Rod.

Bitte setzt euch doch.«

»Danke.« Rod nickte Jock und Ivan grüßend zu. Der Botschafter erinnerte an eine surrealistische Darstellung einer großen, weißen Angorakatze, wie er da ausgestreckt auf einer Couch ruhte. Der Meister winkte mit der unteren rechten Hand, eine Geste, die, wie Rod gelernt hatte, etwas wie ›ich sehe dich‹ bedeutete. Es gab offensichtlich noch andere Grußformen, aber die waren für Meister, für Ebenbürtige reserviert, nicht für Wesen, die mit Vermittlern Besprechungen abhielten.

Rod schaltete seinen Taschencomputer ein, um die Notizen für die heutige Besprechung abzurufen. Die Information war so codiert, dass er an die offiziellen Punkte der Tagesordnung ebenso erinnert würde wie an die Fragen, die Senator Fowler beantwortet haben wollte, ohne dass die Splits merkten, dass sie überhaupt gestellt worden waren; Fragen wie zum Beispiel die, warum sich die Splits nie nach dem Schicksal der Narren-Sonde erkundigt hatten. Daran brauchte Rod nicht erinnert zu werden; es war ihm genauso rätselhaft wie dem Senator. Andererseits hätte er das Thema nur ungern zur Sprache gebracht, da er dann wohl berichten musste, was er der Sonde angetan hatte.

»Bevor wir beginnen«, sagte Rod. »Das Außenamt ersucht euch, heute Abend an einem Empfang teilzunehmen. Für den Provinzadel und einige Parlamentsabgeordnete.«

Die Splits begannen zu zwitschern. Ivan antwortete. »Es wird uns eine Ehre sein«, sagte Jock förmlich. Ihre Stimme war völlig ausdruckslos.

»Gut. Nun stehen wir wieder vor denselben Problemen, über die wir schon gesprochen haben. Ob ihr eine Gefahr für das Imperium darstellt und welche Auswirkungen eure Technologie auf unsere Wirtschaft haben würde.«

»Sonderbarerweise«, sagte Jock, »beschäftigen uns dieselben Probleme. In umgekehrter Richtung natürlich.«

»Aber wir kommen nie zu etwas«, beklagte sich Sally.

»Wie sollten wir?« fragte Hardy ruhig. »Lassen wir einmal zunächst das mit der Gefahr außer acht. Bis wir erfahren, was unsere Freunde verkaufen wollen, können die Ökonomen nicht vorhersagen, welche Auswirkungen es haben wird — und die Splits stehen vor der gleichen Schwierigkeit.«

»Sie machen sich deshalb aber nicht soviel Gedanken wie wir«, sagte Renner ungeduldig. »Ich bin Sallys Ansicht. Wir reden viel, erreichen jedoch nichts.«

»Wir werden überhaupt nichts erreichen, wenn wir nicht endlich anfangen.« Rod blickte auf die Daten auf seinem Computer. »Der erste Punkt wären die Supraleiter. Die Physiker sind begeistert, aber die Wirtschaftsabteilung hätte gerne eine bessere Kostenabschätzung. Ich soll euch folgendes fragen …« Er berührte eine Taste, um die Fragen über den winzigen Schirm ablaufen zu lassen.

»Seid ihr unfruchtbar?« platzte Sally heraus.

Schweigen. Hardys Augen verengten sich ein wenig, ansonsten zeigte er keine Reaktion. Renner hob die linke Augenbraue. Alle starrten erst Sally, dann die Splits an.

»Du meinst, die Vermittler«, sagte Jock zögernd. »Ja. Natürlich.«

Wieder herrschte einige Augenblicke lang Stille. »Alle von euch?« fragte Renner.

»Gewiss. Wir sind eine Kreuzung. Die Antwort scheint euch zu missfallen. Sally, was hast du? Die Vermittler sind erst ziemlich spät in der Evolution aufgetreten, und Evolution ist nicht eine Sache des Individuums, sondern betrifft Stämme oder Rassen — das gilt doch auch für Menschen, nicht?«

Hardy nickte. »Nicht nur für uns. Für die meisten fremden Lebensformen, die wir gefunden haben, ebenso«

»Danke. Wir müssen annehmen, dass Stämme mit Vermittlern besser überlebten als solche ohne. Wir haben nie von einem fruchtbaren Vermittler gehört, aber wenn es je einen gab, dann muss sie mehr im Interesse ihrer Kinder gehandelt haben als in dem des Stammes.« Das Split machte eine bedauernde Geste. »Das ist natürlich nur Theorie. So weit reicht unsere Geschichtsschreibung nicht zurück. Was mich angeht, so würde ich gerne Kinder haben, aber ich wusste immer, dass das nicht möglich ist …«

Wieder dieselbe Geste. »Aber es ist schade. Der Geschlechtsakt ist die höchste Erfüllung. Wir wissen das recht gut. Wir empfinden zu sehr wie Meister.«

Wieder setzte Schweigen ein. Hardy räusperte sich, sagte jedoch nichts. »Sally, da wir schon von Problemen der Splits sprechen, sollst du noch etwas anderes über uns erfahren.«

Woher kommt nur diese plötzliche bedrückte Stimmung? wunderte sich Rod. Was ist denn so deprimierend daran, wenn …

»Verglichen mit eurer Spezies ist die unsere sehr kurzlebig. Wir drei wurden aufgrund von Erfahrung und Intelligenz gewählt, nicht um unserer Jugend willen. Wir haben keine zehn. Jahre mehr zu leben.« »Aber … Nein!« Sally war sichtlich erschüttert. »Ihr alle?«

»Ja. Ich würde ein so trauriges Thema nicht zur Sprache bringen, aber wir halten es für wichtig, euch zu informieren. Eure Paraden, eure formellen Empfänge, all diese Dinge finden wir interessant und verwirrend. Es wird uns viel Vergnügen machen, herauszufinden, warum ihr das tut. Wir müssen aber auch diplomatische Beziehungen anknüpfen und Handelsmöglichkeiten ausarbeiten, und unsere Zeit ist beschränkt …«

»Ja«, sagte Sally. »Ja, natürlich. Nicht einmal zehn Jahre!«

Jock zuckte die Achseln. »Vermittler leben insgesamt etwa fünfundzwanzig Jahre. Mehr oder weniger. Aber ihr habt wohl auch eure Probleme.« Eine Spur von grimmiger Belustigung schwang in der fremden Stimme mit. »Etwa die Kriege, die ihr durchmachen müsst, weil ihr keine Vermittler habt!«

Die Splits schauten sich im Konferenzraum um. Die Menschen schwiegen und starrten vor sich hin. »Ich habe euch alle erschreckt. Das tut mir leid, aber es musste gesagt werden. — Wir wollen unser Gespräch morgen fortsetzen, wenn ihr Zeit gehabt habt, über das alles nachzudenken.« Sie stieß einen hohen, klaren Ton aus, und Charlie und Ivan folgten ihr in die Privaträume der Splits. Die Tür Schloss sich lautlos hinter ihnen.


Während sie in Ivans Zimmer gingen, zwitscherte Charlie mit dem Meister. Sie schlössen die Tür hinter sich, und obwohl sie überzeugt waren, dass die Räume keine Abhörgeräte enthielten, sprachen sie in einem komplexen, anspielungsreichen Stil, den die Menschen niemals würden entschlüsseln können.

Die Haltung des Meisters forderte eine Erklärung.

»Es war keine Zeit für eine Beratung«, rief Jock. »Ich musste sofort antworten, bevor sie merkten, wie viel Bedeutung der Frage zukommt.«

»Du hast ja gesagt«, stellte Ivan fest. »Du hättest nein sagen können. Oder vielleicht.

Oder, einige ja, andere nicht …« Charlie sagte: »Du hättest ihnen erklären können, dass wir über solche Dinge nicht sprechen. Du weißt, dass die Menschen nicht gerne offen von sexuellen Dingen reden.«

»Wenn es nötig ist, sind sie sehr wohl dazu imstande«, wehrte Jock ab. »Und ihr nächstes Ansinnen wäre dann gewesen, dass wir uns von ihren Xenologen untersuchen lassen. Wir haben das ihren Ärzten schon erlaubt — wie könnten wir jetzt ablehnen?«

Ivan: »Ihre Xenologen würden nichts finden. Bei jemand im männlichen Stadium würde die Samenzahlung null ergeben, aber ihr seid weiblich.«

Charlie mimte rituelles Bedauern: die Umstände zwingen mich, dir zu widersprechen, Meister. »Ihre ersten Untersuchungen waren nur ganz allgemein. Glaubst du wirklich, dass sie nun nicht sehr viel genauer sein würden? Dass sie nicht herausfinden würden, dass wir alle drei an Hormonstörungen leiden?« Charlies Arme bewegten sich in Gesten, die eine Entschuldigung dafür ausdrückten, dass der Meister an seine Unfruchtbarkeit erinnert wurde; gestikulierten wieder, um dringliche Notwendigkeit auszudrücken. »Die gleichen Störungen, die sie bei dem braunen Asteroidenprospektor feststellten, Störungen, die nicht aufschienen, als sie den Prospektor fanden, sondern die sich erst entwickelten, bevor die Technikerin auf der Max Arthur starb.« Jetzt schwiegen die anderen. Charlie fuhr unerbittlich fort. »Sie sind nicht dumm. Sie können sehr wohl diese Störungen auf sexuelle Enthaltsamkeit zurückgeführt haben. Und was haben sie über die Bastler in Erfahrung gebracht? Sie hatten bestimmt Bastler für eine Untersuchung zur Verfügung; der Prospektor hat ganz bestimmt welche an Bord mitgenommen.«

»Verflucht!« Ivan nahm eine nachdenkliche Haltung an. »Würden sie die Bastler einzeln in Käfige sperren?«

Beide Vermittler machten Gesten des Nichtwissens. »Jock hatte recht, so zu antworten«, sagte Charlie. »Sie haben schließlich einen Leichnam aus der Narren-Sonde geholt. Es muss jemand darin gewesen sein, und es muss ein Vermittler gewesen sein, ein junger mit einer noch langen Lebensspanne, damit er verhandeln konnte, wenn die Sonde hier auf Leben stieß.«

»Aber unsere Aufzeichnungen lassen erkennen, dass der Vermittler tot gewesen sein muss«, sagte Jock. »Und das war er bestimmt, die Menschen haben nichts von ihm erfahren. Verflucht! Wenn nur die Aufzeichnungen vollständig wären …«

»Wenn nur die Aufzeichnungen vollständig wären. Wenn wir nur ein Braunes hätten.

Wenn die Menschen uns nur sagen würden, was sie mit der Sonde gemacht haben.

Wenn die Menschen uns nur sagen würden, warum sie die Mac Arthur zerstört haben.

Hör auf mit diesen sinnlosen Phrasen. Du musst das von den Menschen gelernt haben.« Ivan sprach einen definitiven Befehl aus: »Sprich über das, was die Menschen über den Piloten der Sonde gelernt haben.«

Charlie: »Sie würden den Piloten natürlich sezieren. Ihre biologischen Wissenschaften sind so fortgeschritten wie unsere. Fortgeschrittener wahrscheinlich. Sie sprechen von genetischen Manipulationstechniken, die in keinem Museum aufgezeichnet sind und ganz gewiss nicht während dieses Zyklus entwickelt worden sind. Wir müssen also annehmen, dass ihre Xenobiologen feststellen können, dass der Pilot steril war. Und Renners Fjunch(klick) sagte ihm, dass Vermittler eine Kreuzung seien.«

»Großer Narr. Schon damals«, stellte Ivan fest. »Jetzt streitet sie unaufhörlich mit ihrem Meister herum.« Er verstummte, dachte nach, durch Gesten Schweigen gebietend. »Du hast richtig gehandelt«, sagte er endlich zu Jock. »Sie hätten auf jeden Fall erfahren, dass ihr unfruchtbar seid. Es ist entscheidend, dass sie nicht erfahren, wie wichtig das ist.

Würde das den Menschen zeigen, dass Fjunch(klick)s ihre Menschen anlügen können und es auch tun?«

Stille. Endlich sprach Jock. »Das wissen wir nicht. Sallys Fjunch(klick) hat mit ihr über Sex geredet, aber das Gespräch fand an Bord des menschlichen Schiffs statt. Wir haben keine Aufzeichnungen davon, nur das, was uns berichtet wurde.«

»Berichtet von einem Großen Narren«, sagte Ivan.

Jock sagte: »Ich habe mein Bestes getan, sie abzulenken.«

»Aber ist es dir gelungen?«

»Ja, das war aus ihren Mienen klar zu erkennen.«

Ivan konnte eine menschliche Miene nicht deuten, aber er verstand, worum es ging: bestimmte Muskeln um Augen und Mund der Menschen wurden eingesetzt, um Emotionen auszudrücken, ähnlich wie die Gesten der Splits. Vermittler wussten diese Muskelbewegungen zu deuten. »Fahre fort.«

»Die direkte Erwähnung des Geschlechtsakts macht ihr Denken langsamer. Dann die Tatsache unserer kurzen Lebensspanne — so zur Sprache gebracht, als gebe man zu, eine tödliche Krankheit zu haben. Jetzt werden diese langlebigen Wesen uns bedauern.«

»Dazu haben sie allen Grund«, sagte Charlie.

»Sie werden uns um dieser Behinderung willen bemitleiden. Sie könnten sogar versuchen, etwas dagegen zu tun.«

Ivan drehte sich schnell zu Jock um. »Glaubst du, dass sie das können?«

»Meister, nein! Bin ich ein Großer Narr?«

Ivan entspannte sich. »Ihr werdet diese Angelegenheit sorgfältig durchdenken. Ihr werdet die Informationen abwägen, die den Menschen zur Verfügung stehen, und überlegen, was sie daraus schließen können. Waren nicht außer deinem Meister auch noch zwei Techniker an Bord des Kontaktschiffs, das die Mac Arthur empfing?«

Jock: »Richtig.« »Verflucht. Und wie viele Vermittler-Junge, als sie zurückkehrten l«

»Ich hatte vier Schwestern.«

»Verflucht!« Ivan wollte noch mehr sagen, aber wenn er das Offensichtliche aussprach, würde er Jocks Loyalität für immer verlieren; vielleicht hätte es sogar Charlie so schockiert, dass sie den Verstand verlor. Verflucht! Vermittler identifizierten sich mit den Meistern. Kindern gegenüber hegten sie die gleichen Empfindungen wie Meister.

Obwohl von jungen Jahren an steril, war Ivan doch nicht gegen diese Empfindungen gefeit. Er wusste jedoch — diese Kinder hätte es nie geben dürfen.

51 Wenn die Feste zu Ende sind

»Hat keinen Sinn, noch hier rumzusitzen«, stellte Renner fest.

»Nein.« Rod ging voran in die Amtsraume der Kommission. Sally folgte stumm.

»Kelley, bringen Sie uns doch noch eine Runde Drinks«, sagte Rod, als sie sich um den Konferenztisch niedergelassen hatten. »Für mich einen doppelten.«

»Aye, aye, Mylord.« Kelley streifte Rod mit einem besorgten Blick. Machte ihm Lady Sally schon Kummer? Wo sie noch nicht einmal verheiratet waren?

»Fünfundzwanzig Jahre!« brach Sally los. Bitterer Zorn lag in ihrer Stimme. Sie sagte es noch einmal, zu Kaplan Hardy: »Fünfundzwanzig Jahre?« Sie erwartete von ihm eine Erklärung, wie es soviel Ungerechtigkeit im Universum geben könne. »Vielleicht ist das der Preis, den sie für ihre den Menschen überlegene Intelligenz bezahlen«, meinte Renner. »Ein hoher Preis.«

»Es gibt Entschädigungen dafür«, sagte Hardy nachdenklich. »Ihre Intelligenz. Ihre Liebe zum Leben. Sie sprechen so schnell, vermutlich denken sie ebenso schnell. Ich glaube, dass die Splits ihre wenigen Jahre gut ausfüllen.«

Wieder setzte Schweigen ein. Kelley kam mit einem Tablett zurück. Er stellte die Glaser ab und ging, mit verwirrter und etwas missbilligender Miene.

Renner warf Rod einen Blick zu, der die klassische Denker-Position eingenommen hatte: Ellbogen aufgestützt, Kinn auf der geschlossenen Faust, versonnener Gesichtsausdruck. Kevin hob sein Glas. »Auf die Lebensfreude also.«

Niemand beachtete seinen Trinkspruch. Rod ließ seinen Drink unberührt stehen. Ein Mensch konnte in einem Vierteljahrhundert ein gutes, nützliches Leben gehabt haben, dachte er. Hatten nicht die Leute in den präatomaren Zeitaltern ungefähr so lange gelebt? Aber erfüllt konnte es nicht sein. Ich bin jetzt fünfundzwanzig, und ich habe noch keine Familie gegründet, nicht mit einer Frau zusammengelebt, die ich liebe, meine politische Karriere noch nicht einmal begonnen … Er sah, wie Sally aufstand und unruhig umherwanderte. Was will sie nur? Denkt sie, sie könnte den Splits irgendwie helfen? Wenn sie selber mit dem Problem nicht fertig werden, wie könnten wir es?

»Das führt zu nichts«, sagte Renner. Er hob wieder sein Glas. »Schaut, wenn es die Vermittler nicht bekümmert, dass sie kurzlebig und unfruchtbar sind, warum sollte es uns dann …« Er verstummte mitten im Satz. »Unfruchtbar? Moment mal! Dann müssen die jungen Vermittler auf dem Kontaktschiff — das müssen die Sprösslinge von den zwei Braunen und dem nicht in Erscheinung getretenen Weißen gewesen sein.«

Alle schauten ihn an. Sally gab ihr Herumwandern auf und setzte sich. Es waren vier Junge da, als wir nach Alpha zurückkehrten«, sagte sie. »Nicht wahr?«

»Tatsächlich«, sagte Hardy. Er ließ den Brandy in seinem Glas kreisen. »Das ist eine recht hohe Geburtenrate.«

»Aber sie haben doch nur so wenig Zeit«, protestierte Sally.

»Eins wäre eine hohe Geburtenrate in so einem Schiff. Bei so einem Auftrag.« Renner sprach mit Überzeugung. »Wie beurteilen Sie die ethische Seite der Situation, Kaplan?

Sie wollen Kontakt aufnehmen zu einer fremden und wehrfähigen Rasse. Sie sitzen in einem zerbrechlichen Spielzeug von unbewaffnetem Schiff. Also setzen Sie als erstes eine Menge Kinder in die Welt …«

»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte David Hardy. »Aber darüber muss ich noch nachdenken. Vielleicht …«

Er wurde durch zwei Fäuste unterbrochen, die auf den Tisch knallten. Sallys Fäuste.

»Herrgott!« Sie griff nach dem Lichtstift und kritzelte Symbole auf den Schirm ihres Computers. Das Gerät begann zu summen und zu blinken. »Wir warteten auf das Transferschiff. Ich wusste, dass ich sie nicht missverstanden hatte. Ich konnte sie nicht missverstehen.«

Hardy warf einen verwirrten Blick auf Sally. Renner sah Rod fragend an. Rod zuckte die Achseln und beobachtete seine Verlobte. »Ihr Split hat ihr nie gesagt, dass sie unfruchtbar sind«, erklärte er den anderen.

Der Computer summte wieder. Sally nickte und tippte einige Anweisungen ein. Ein Bildschirm an der Rückwand des Raumes leuchtete auf und zeigte eine acht Monate jüngere Sally Fowler, die sich mit einem braun-weißen Fremden unterhielt. Die Stimmen glichen sich erstaunlich.

Split: Ihr heiratet also, um Kinder auf zuziehen. Wer zieht Kinder auf, die außerhalb einer Ehe geboren werden?

Sally: Dafür gibt es wohltätige Institutionen.

Split: Ich nehme an, dass du nie …

Sally: Nein, natürlich nicht.

Die wirkliche Sally wurde ein bisschen rot, doch ihre Miene blieb grimmig entschlossen.

Split: Wie machst du das? Ich meine nicht, warum, sondern wie?

Sally: Nun — du weißt, dass Männer und Frauen Geschlechtsverkehr haben müssen, damit ein Kind entstehen kann, so wie ihr auch — ich hab’ euch ziemlich genau untersucht …

»Vielleicht nicht genau genug«, kommentierte Hardy.

»Anscheinend nicht«, sagte Sally. »Pscht.«

Split: Pillen? Wie wirken die? Hormone, ja?

Sally: Richtig.

Split: Aber eine anständige Frau nimmt sie nicht?

Sally: Ja.

Split: Wann wirst du heiraten?

Sally: Wenn ich den richtigen Mann finde … Vielleicht habe ich ihn schon gefunden.

Irgend jemand kicherte. Sally schaute sich um und stellte fest, dass Rod geradezu penetrant unbeteiligt dreinsah, dass Hardy sanft lächelte, und dass Renner lachte. Sie warf dem Navigator einen mörderischen Blick zu, aber er weigerte sich leider, zu einem Häufchen Asche zu zerfallen.

Split: Warum heiratest du ihn dann nicht?

Sally: Das ist nicht etwas, in das man sich Hals über Kopf hineinstürzt. ›Jung gefreit, bald bereut.‹ Ich kann heiraten, wann immer ich will. Na ja, innerhalb der nächsten fünf Jahre jedenfalls. Wenn ich bis dahin nicht verheiratet bin, würde man mich als alte Jungfer betrachten.

Split: Was bedeutet das?

Sally: Nun, die Leute würden es sonderbar finden. Was ist, wenn ein Split keine Kinder haben will?

Split: Dann haben wir keinen Geschlechtsverkehr.

Nach ein paar dumpfen Geräuschen erlosch der Bildschirm.


»Die buchstäbliche Wahrheit«, überlegte sie. »›Dann haben wir keinen Geschlechtsverkehrs Haben sie wirklich nicht, aber nicht aus freier Entscheidung.«

»Wirklich?« David Hardy schien unschlüssig zu sein. »Diese Aussage ist im Zusammenhang mit der Frage höchst irreführend …«

»Sie wollte nicht mehr darüber sprechen«, beharrte Sally. »Ganz verständlich. Nur ich habe sie nicht richtig verstanden, das ist alles.«

»Ich habe mein Split nie missverstanden«, sagte Renner. »Manchmal hat es mich nur allzu gut verstanden …«

»Lassen wir das doch.«

»An diesem Tag flogen wir nach Alpha hinunter. Ihr kanntet euch also schon seit Monaten«, überlegte Renner. »Kaplan, was halten Sie davon?«

»Wenn ich Sie recht verstehe, dasselbe wie Sie.«

»Was versuchen Sie eigentlich anzudeuten, Mister Renner? Ich sagte, lassen wir das.«

Mylady Sandra war erzürnt. Rod wappnete sich für das, was jetzt kommen musste: Eis oder Feuer. Oder beides.

»Ich deute es nicht nur an, Sally«, sagte Renner plötzlich entschlossen. »Ich sage es.

Ihr Split hat Sie belogen. Bewusst und vorsätzlich.«

»Unsinn. Sie war verlegen …«

Hardy schüttelte leicht den Kopf. Es war eine kaum wahrnehmbare Bewegung, aber sie brachte Sally zum Verstummen. Sie sah den Priester an. »Ich glaube«, sagte David, »dass ich mich nur an eine Gelegenheit erinnern kann, wo ein Split verlegen war. Es war in diesem Museum. Und alle verhielten sich gleich — nicht wie Ihr Fjunch(klick) jetzt eben, Sally. Es tut mir leid, aber Kevin hat sehr wahrscheinlich recht.«

»Aber aus welchem Grund?« beharrte Sally. »Warum sollte mein — beinahe meine Schwester — warum sollte sie mich anlügen wollen? Darüber?«

Niemand sagte etwas. Sally nickte befriedigt. Sie konnte Kaplan Hardy nicht anfauchen; nicht, dass sie so viel Achtung vor seinem Amt gehabt hätte — sie hatte Achtung vor ihm.

Renner dagegen war etwas anderes. »Sie werden es mir mitteilen, wenn Sie eine Antwort auf diese Frage finden, Mister Renner!«

»Klar. Sicher.« Renners Gesichtsausdruck erinnerte sonderbar an Buckman- Bury hätte ihn sofort erkannt. Renner hatte kaum gehört, was sie gesagt hatte.


Sie verließen den prunkvoll geschmückten Festsaal, sobald es ihnen möglich war.

Hinter ihnen spielte ein Orchester in Fantasieuniformen alte Walzer, während die Splits einer scheinbar endlosen Reihe von Menschen vorgestellt wurden. Provinzbarone waren da, Parlamentsmitglieder, Handelsherren, Leute mit Beziehungen im Protokollamt und diverse ungeladene Gäste. Jeder wollte die Splits sehen.

Rod ergriff Sallys Hand, als sie miteinander durch die verlassenen Palastkorridore wanderten. Hinter ihnen verklang ein uralter Walzer.

»Sie haben nur so kurz zu leben, und wir vergeuden ihre Zeit mit — mit so was«, murmelte Sally. »Rod, das ist nicht anständig!«

»Das gehört mit zu ihrer Aufgabe, Liebste. Was hätten sie davon, wenn wir ihnen alle möglichen Abkommen zusagten, aber den Provinzadel nicht bei der Stange halten könnten? Trotz der Unterstützung der Krone ist es besser, das ganze diplomatische Theater mitzuspielen. Für sie wie für uns.«

»Wird wohl so sein.« Sie hielt ihn vor einem Fenster an und lehnte sich gegen seine Schulter. Der Kapuzenmann war jetzt ganz aufgegangen, ein schwarzer Schatten vor den Sternen, und beobachtete sie durch das hohe Bogenfenster. Im Hof unten tanzte ein Springbrunnen. Lange Zeit standen sie so in dem verlassenen Korridor.

»Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Wie kannst du es nur mit mir aushalten?« »Das ist nicht schwer.« Er beugte sich hinunter, um sie zu küssen, ließ sie jedoch frei, als sie nicht reagierte.

»Rod, ich schäme mich … wie kann ich mich je bei Kevin entschuldigen?«

»Bei Kevin? Du machst Witze. Hast du je erlebt, dass Renner sich bei jemandem entschuldigt hätte? Vergiss das. Benimm dich so, als wäre nie etwas gewesen, wenn du ihn das nächste mal triffst.«

»Aber er hatte recht — du wusstest es, nicht? Du hast es schon damals gewusst!«

Er zog sie weiter. Ihre Schritte hallten dumpf durch die Gänge. Selbst bei der schwachen Beleuchtung glommen irisierende Farben im Stein der Wände auf, wenn sie sich bewegten. Dann war die Fensterfront zu Ende, der glutrote Blick des Kapuzenmanns fiel nicht mehr herein, und sie hatten die Treppe erreicht.

»Ich habe es vermutet. Nur nach den Berichten und der kurzen Beziehung, die ich zu meinem Split hatte. Als du heute Nachmittag gingst, habe ich noch einiges nachgeprüft.

Sie haben dich tatsächlich angelogen.«

»Aber warum, Rod? Ich verstehe das einfach nicht …« Schweigend stiegen sie noch eine Treppe höher.

»Die Antwort wird dir nicht gefallen«, sagte Rod schließlich, als sie ihr Stockwerk erreichten. »Sie war ein Vermittler. Vermittler vertreten Meister. Er hat ihr befohlen, dich anzulügen.«

»Aber weshalb? Was für einen erdenklichen Grund können sie haben, ihre Unfruchtbarkeit zu verschweigen?«

»Ich wünschte, ich wüsste es.« Besser, ich wüsste es nicht, dachte er. Aber es hatte keinen Sinn, mit Sally darüber zu sprechen, bis er nicht sicher war. »Nimm es nicht so schwer, Liebste. Wir haben sie auch angelogen.« Sie erreichten seine Tür, und er legte seine Hand auf die Ident-Platte. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf Kelley frei, der mit geöffnetem Rock in einem Polstersessel hing. Der Infanterist sprang sofort auf, als er sie bemerkte.

»Himmel noch mal, Kelley. Ich hab’ Ihnen doch gesagt, Sie sollten nicht auf mich warten. Geh’n Sie ins Bett.«

»Wichtige Nachricht, Mylord. Senator Fowler will später noch herkommen. Er ersucht Sie, auf ihn zu warten. Wollte sichergehen, dass Sie die Nachricht erhalten, Mylord.«

»Hm.« Rod zog ein saures Gesicht. »In Ordnung, ich hab’ verstanden. Danke.«

»Ich bleibe hier, um Sie zu bedienen.«

»Nein, das tun Sie nicht. Ist doch Unsinn, dass alle die ganze Nacht aufbleiben. Schauen Sie, dass Sie ins Bett kommen.« Rod sah dem alten Soldaten nach. Als er fort war, kicherte Sally los. »Ich wüsste nicht, was da so verdammt komisch war«, knurrte Rod.

»Er wollte meinen Ruf schützen«, lachte Sally. »Wenn du diese Nachricht nicht erhalten hättest, und Onkel Ben wäre hier hereingestürmt und wir beide …«

»Hm. Möchtest du noch was zu trinken?«

»Wo Onkel Ben jede Minute kommen kann? Wäre eine Verschwendung. Ich geh schlafen.« Sie lächelte ihn sanft an. »Bleib nicht zu lange auf.«

»Biest!« Er nahm sie bei den Schultern und küsste sie. Und noch einmal. »Ich könnte die Tür so einstellen, dass er nicht herein kann …«

»Gute Nacht, Rod.«

Er sah ihr nach, bis sie in ihrer eigenen Suite gegenüber der seinen verschwunden war.

Dann ging er wieder hinein und trat an die Bar. Es war ein sehr eintöniger Abend gewesen, und nur die Aussicht, bald gehen zu können, hatte ihm die Gesellschaft erträglich gemacht. »Verdammt!« sagte er laut. Er goss ein volles Glas New Aberdeen Highland Cream hinunter. »Gottverdammt noch mal!«

Senator Fowler und ein in Gedanken versunkener Kevin Renner trafen ein, als Rod sich den zweiten Drink einschenkte. »Tut mir leid, dass es so spät wurde, Rod«, sagte Fowler nicht ein bisschen zerknirscht. »Kevin sagte mir, dass sich heute etwas Interessantes ergeben hat …«

»Ach, hat er das? Und er hat diese nächtliche Konferenz vorgeschlagen, was?« Als Benjamin Fowler nickte, drehte sich Rod zu seinem ehemaligen Chefnavigator um.

»Das werden Sie bereuen, Sie …«

»Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn«, sagte Fowler.

»Gibt’s noch was von diesem Scotch?«.

»Ja.« Rod schenkte für beide ein, goss den Rest seines Drinks hinunter und nahm sich noch einen. »Setzen Sie sich, Ben. Sie auch, Mr. Renner. Ich werde mich nicht entschuldigen, dass ich die Dienstboten zu Bett geschickt habe …«

»Ach, das macht nichts«, sagte Renner. Er zog sich wieder in seine Gedankenwelt zurück und ließ sich in einen Sessel sinken. Einen Augenblick später grinste er erstaunt.

Er hatte noch nie in einem Massagesessel gesessen, und es gefiel ihm augenscheinlich sehr gut.

»Also«, sagte Senator Fowler. »Erzählen Sie mir mal, was Ihrer Meinung nach heute Nachmittag passiert ist.« »Ich werde es Ihnen zeigen.« Rod aktivierte seinen Taschencomputer und schaltete den Wandschirm ein. Die Bildqualität war nicht besonders — die Aufzeichnung stammte von einer winzigen Kamera, die in eine Schmuckschnalle an Rods Rock eingebaut war. Der Blickwinkel war recht beschränkt, doch der Ton ausgezeichnet.

Fowler sah sich den Film schweigend an. »Lassen Sie mich das noch einmal anschauen«, sagte er. Rod ließ bereitwillig noch einmal die Aufzeichnung der kurzen Besprechung ablaufen. Während Fowler und Renner zuschauten, ging er zur Bar, entschied sich gegen einen weiteren Whisky und schenkte sich aus einer Thermoskanne Kaffee ein.

»Und was finden Sie da eigentlich so verflixt wichtig?« erkundigte sich Fowler.

Kevin Renner zuckte die Achseln. »Das ist der erste Beweis dafür, dass sie uns anlügen.

Was haben sie uns sonst noch verschwiegen?«

»Verdammt, sehr viel haben sie uns ohnehin nie gesagt«, meinte Fowler. »Und war das überhaupt eine Lüge?«

»Ja«, sagte Rod ruhig. »Zumindest eine bewusste Täuschung. Es war kein Missverständnis. Ich habe das überprüft. Wir haben zu viele Aufzeichnungen von Gesprächen, bei denen die Splits etwas behaupteten, dann aus unseren Reaktionen sahen, dass wir sie falsch verstanden hatten, und sich korrigierten. Nein. Dieses Split hat Sally absichtlich etwas glauben lassen, das nicht stimmt.«

»Aber was zum Teufel hat das für uns zu bedeuten, dass wir nun wissen, Vermittler können keine Kinder haben?« wollte Fowler wissen.

»Es sagt uns, dass zwei Braune und ein Weißes vier Kinder bekommen haben müssen«, sagte Renner bedächtig. »In einem winzigen Schiff. Im Weltraum. Unter gefährlichen Bedingungen. Und sehr beschränkten Platzverhältnissen.«

»Hmja.« Ben Fowler stand auf und legte seinen Galarock ab. Darunter trug er ein altes, sehr weiches und an drei Stellen sorgfältig gestopftes Hemd. »Rod, wie stehen die Splits eigentlich zu ihren Kindern?« fragte Fowler. »Vielleicht halten sie nicht viel von ihnen, bis sie reden können, oder so. Kein großer Verlust.«

»Falsch«, sagte Renner.

»Die taktvolle Art«, meinte Rod ruhig, »die höfliche Art, dem Senator mitzuteilen, dass er unrecht hat, wäre etwa, ›Leider trifft dies nicht ganz zu‹.«

Renner grinste. »He, das gefallt mir. Na, jedenfalls hat der Senator unrecht. Die Splits halten ungeheuer viel von ihren Kindern. Die einzige Religion, von der ich je hörte, lehrt, dass ihre Seele sich auf ihre Kinder aufteilt und in ihnen weiterlebt. Sie beten ihre Sprösslinge förmlich an.«

»Ah.« Fowler hielt sein Glas zum Nachschenken hoch. Er runzelte ungeduldig die Stirn.

»Aber es könnte doch sein, dass sie Kinder so gern haben, dass sie bei jeder möglichen Gelegenheit welche bekommen?«

»Möglich«, sagte Rod. »Das wäre dann eindeutig eine Gefahr für uns. Aber …«

»Aber das ist es!« sagte Fowler. »Dann müsste ihr Planet wirklich übervölkert sein. Und das war er offensichtlich. Was wiederum heißt, dass die Splits Probleme mit dem Bevölkerungsdruck haben, wie wir sie nie kennengelernt haben …«

»Anscheinend können sie damit fertig werden«, sagte Rod zögernd. »Denn wenn sie’s nicht könnten — sie sitzen schon so lange in diesem System fest.«

»Mit welchen Konsequenzen?« wollte Fowler wissen. »Was wissen wir denn schon über die Geschichte der Splits?«

»Nicht viel«, sagte Renner. »Ihre Zivilisation ist alt. Sehr alt. Sie haben vor mindestens zehntausend Jahren schon Asteroiden zuhauf bewegt. Es macht mir fast Angst, wenn ich daran denke, wie lange ihre Geschichte sein muss.« Kevin drückte sich in den Sessel, um den Massageeffekt voll auszukosten. »Sie hatten also lange genug Zeit, eine Lösung für ihre Bevölkerungsprobleme zu finden. Allein von damals, als sie die Narren-Sonde starteten, bis. heute hätten sie jeden Quadratmeter ihrer Welt bevölkern können. Sie haben es nicht getan, also können sie die Bevölkerungszunahme kontrollieren …«

»Aber sie wollen es nicht«, stellte Ben fest. »Und was heißt das für uns? Wenn sie sich ins Imperium ausbreiten, wie lange wird es dauern, bis sie uns erdrücken?« Senator Fowler spielte nachdenklich mit einer fadenscheinigen Stelle seines Hemds. »Vielleicht ist es das, was sie zu verbergen suchen. Eine sehr hohe Geburtenrate und keinerlei Absicht, etwas dagegen zu unternehmen.« Plötzlich entschlossen stand er auf. Er wirkte nicht mehr nachdenklich. »Rod, setzen Sie Ihre Leute auf diese Sache an. Ich brauche alles, was wir über die Geschichte der Splits wissen.«

»Ja, Sir«, sagte Rod unglücklich. »Und was wird das Ergebnis für eine Wirkung auf Sally haben? Sie hat doch …«

»Sie reden wie der Staatsanwalt in einem Mordprozess«, sagte Renner. »Herrgott, Senator, sie haben eine wirklich lange Geschichte hinter sich. Natürlich haben sie ihr Bevölkerungsproblem gelöst.«

»Schön. Wie?« sagte Fowler spöttisch.

»Ich weiß es nicht. Fragen Sie sie.«

»Das habe ich auch vor. Da wir aber wissen, dass sie uns belügen können und es auch tun — warum erstaunt das bloß einen alten Politiker wie mich?« fragte sich Ben. »Na ja, da wir das nun wissen, möchte ich erst alle Fakten auf dem Präsentierteller haben, bevor ich hingehe und sie den Splits unter die nicht vorhandenen Nasen reibe.«


»Die Handelsaussichten sind einfach fantastisch«, verkündete Jock. Ihre Arme verrieten Aufregung. »Diese Menschen sind bei der Ausnutzung ihrer Rohstoffe ganz unbeschreiblich großzügig. Sie haben kein Gefühl für vielseitige Geräte.«

»Keines?«

»Soweit ich sehen konnte, nicht.« Jock wies auf das 3-D. »Sie müssen ihre Jungen in vielen Berufen ausbilden. Viele der gesendeten Programme dienen diesem Zweck.«

»Sie haben Zeit genug zum Lernen«, gab Charlie zu bedenken. »Sie leben sehr lang.

Langer als jeder Meister.«

»Ja — aber welche Verschwendung. Sie haben keine Braunen und keine Bastler …«

Ivan unterbrach. »Seid ihr sicher, dass sie keine Bastler haben?«

»Ja. Wir haben auf den Schiffen keine Anzeichen dafür gefunden, im 3D wurden niemals welche gezeigt, und es gibt auch keine typischen Bastler-Produkte. Es gibt keine individuell angepassten Geräte …«

»Ich habe welche gesehen. Die Wachen, die uns auf der Lenin zugeteilt waren, trugen so bearbeitete Waffen und viele auch solche Fußbekleidung.«

»Die von unseren eigenen Bastlern angefertigt wurden …«

»Genau«, sagte Ivan. »Jetzt wissen wir, warum sie die Mac Arthur vernichtet haben.

Und warum sie Angst vor uns haben.«

Die Vermittler schnatterten aufgeregt, bis Ivan sie wieder zum Schweigen brachte. »Ihr stimmt zu?« Er fragte in dem Ton, der eine Forderung nach Bestätigung von Informationen ausdrückte.

»Ja‹« sagten sie gleichzeitig. Charlie redete so hastig los, dass Jock erst nicht zu Wort kam. »Der braune Prospektor, den sie an Bord nahmen, muss ein Zuchtpaar Bastler mitgehabt haben. Die Menschen wissen nichts von Bastlern und haben sie offensichtlich entkommen lassen. Als sie sich erst einmal frei im Schiff bewegen konnten und genug Zeit hatten, sich daran zu gewöhnen …«

»Aber sie sagten uns doch, sie hatten Bastler«, wandte Ivan ein.

Jock nahm eine Haltung an, die Vergegenwärtigung von Erinnerungen ausdrückte. Nach einigen Augenblicken sagte sie: »Nein. Sally deutete an, dass sie welche hätten Als ihr Fjunch-(klick) vermutete, dass menschliche Bastler groß seien, stimmte Sally zu.«

»Und die Kadetten wirkten erschrocken, als wir angesichts der Konstruktion der Rettungsboote die Bastler erwähnten«, sagte Charlie tonlos. »Ja. Du hast bestimmt recht.«

Eine Weile blieb es still. Ivan dachte nach. Dann sagte er: »Sie wissen jetzt, dass wir eine sehr fruchtbare Unterart haben. Überlegt das.«

»Sie fürchten, dass wir die Zerstörung der Mac Arthur absichtlich verursacht haben«, sagte Charlie. »Verflucht! Wenn sie es uns nur gesagt hätten. Wir hätten sie vor den Gefahren gewarnt, und die Menschen hätten nichts zu befürchten gehabt. Verflucht’

Warum musste das erste Split, auf das sie stießen, ein Braunes sein?«

»Sie sagten, auf der Mac Arthur sei eine Seuche ausgebrochen«, überlegte Jock. »Und so war es, obwohl wir ihnen nicht glaubten. Eine Seuche von Bastlern. Trotzdem — wenn sie wirklich glauben, dass wir ihr Schiff absichtlich zerstörten oder seine Zerstörung zuließen, warum haben sie denn nichts davon gesagt? Warum haben sie uns nicht gefragt?«

»Sie verstecken ihre Schwächen«, sagte Charlie. »Und sie gestehen nie eine Niederlage ein. Noch in ihren letzten Minuten weigerten sich die Kadetten aufzugeben.«

Wieder Schweigen. Dann sprach Ivan. »Die Menschen wollten nicht, dass wir erfuhren, dass Bastler an Bord waren, bis sie sie getötet hatten. Sie waren überzeugt, dass sie dazu imstande wären. Nachher wollten sie nicht, dass wir erfuhren, dass Bastler ihre Schiffe zerstören könnten.« »Dummköpfe!« rief Charlie. »Wenn man ihnen genug Zeit zur Anpassung lässt, können Bastler jedes Schiff zerstören. Sie tragen ja auch sehr zu unseren Zusammenbrüchen bei. Wenn sie nicht so nützlich wären, würden wir sie ausrotten«

»Das wurde schon versucht«, sagte Jock. Ihre Gesten drückten trockenen Humor aus.

»Mit dem üblichen Ergebnis. Irgendein Meister hat welche behalten und …«

»Ruhe«, befahl Ivan »Sie fürchten uns. Sprecht darüber.«

»Kennt ihr den menschlichen Begriff ›Fiktion‹?« fragte Charlie. »Bewusst konstruierte Erzählungen. Sowohl diejenigen, die sie anhören, wie die, die sie erzählen, wissen, dass sie nicht der Wirklichkeit entsprechen.«

Ivan und Jock zeigten durch Gesten, dass ihnen der Begriff bekannt war.

»Gestern Abend gab es einen Film im 3-D. Wie bei vielen Sendungen handelte es sich um eine Fiktion. Diese hieß ›Istvan stirbt‹. Als der Film zu Ende war, sprach der Kommentator jedoch so, als wäre die wesentliche Handlung der Geschichte wahr.«

»Das habe ich nicht gesehen«, sagte Jock. »Vizekönig Merrill wollte, dass ich vor dem Empfang für die Barone einige Handelsleute kennen lernte. Verflucht! Diese endlosen Formalitäten vergeuden unsere Zeit, und wir lernen nichts aus ihnen.«

»Ich habe dir von diesem Film nichts erzählt«, sagte Charlie. »Der Hauptakteur stellte einen Mann dar, der offensichtlich Admiral Kutuzov sein sollte.«

Jock mimte Erstaunen und Bedauern über eine versäumte Gelegenheit.

»Du willst auf etwas Bestimmtes hinaus!« wollte Ivan wissen.

»Ja. Die Geschichte handelte von einem Gewissenskonflikt. Der Kommandierende Admiral wollte nicht tun, was er tun musste. Es herrschte Krieg zwischen den Menschen: zwischen dem Imperium und jenen Unabhängigen, die ihnen soviel Sorge machen«

»Könnten wir nicht mit den Unabhängigen einig werden?« erkundigte sich Jock.

»Wie?« fragte Ivan. »Sie kontrollieren sämtliche unserer Kontakte. Wenn sie je auf die Idee kämen, dass wir so etwas tun würden, würden sie es mit allen Mitteln verhindern.

An solche Dinge dürft ihr nicht einmal denken. Erzähle weiter von dem Film.«

»In diesem Krieg gab es einen Aufstand auf einem Planeten. Andere Welten würden bald dem Beispiel folgen. Was noch ein kleiner Krieg war, konnte ein sehr großer werden, von dem viele Welten betroffen worden wären. Der Admiral fand einen Weg, das zu verhindern, und entschied, dass es seine Pflicht war. Mit fünf Schiffen wie der Lenin vernichtete er alles Leben auf einem Planeten, der von zehn Millionen Menschen bewohnt war.«

Langes Schweigen. »Dazu sind sie imstande’?« fragte Ivan.

»Ich glaube es«, antwortete Charlie. »Ich bin kein Braunes, um die technischen Möglichkeiten genauer abschätzen zu können, aber …«

»Ihr werdet das überdenken. Denkt daran, dass sie uns fürchten. Denkt daran, dass sie jetzt wissen, dass wir eine fruchtbare Unterart haben. Denkt auch daran, dass sie nach einer Untersuchung der Sonde jenem Mann die Führung der Expedition in unser System übertrugen, fürchtet um eure Meister und eure Schwestern.« Ivan zog sich in sein Zimmer zurück. Nach langer Zeit erst begannen die Vermittler rasch, aber sehr leise zu sprechen.

52 Möglichkeiten

Schwere Wolken jagten über den Himmel Neuschottlands. Schließlich rissen sie auf und ließen Cals Strahlen wärmend in den getäfelten Konferenzsaal fallen. Helle Gegenstände blitzten kurz auf, bevor die Fenster zu einem Polarisationsfilter wurden.

Draußen streiften noch düstere Schatten über das Palastgelände, doch in den engen Straßen erhellte die tief stehende Sonne die Gesichter der aus den Büros strömenden Menschen. Scharen in Schottentracht drängten sich zu den Massentransportmitteln; die Beamten des Sektors eilten heim zu ihren Familien, einem Drink und 3-D.

Rod Blaine starrte verdrossen durch ein Fenster hinaus. Unten eilte eine hübsche Sekretärin so hastig aus dem Palast, dass sie beinahe einen älteren Sekretär umrannte.

Ein wichtiges Rendezvous, dachte Rod. Und dieser Sekretär hat eine Familie … all diese Leute — auf einmal bin ich für sie verantwortlich, und das ist unter Umständen für die Splits ein verdammtes Pech. Hinter ihm wurden eifrig Vorbereitungen getroffen. »Alles hergerichtet zum Abfüttern der Splits?« erkundigte sich Kelley.

»Jawohl, Sir«, antwortete ein Steward. »Der Küchenchef würde allerdings gern mit dem Matsch, den sie essen, noch was anfangen — bisschen würzen oder so. Es kommt ihm einfach nicht richtig vor, nur Fleisch und Korn in einem Topf zu kochen.«

»Er kann seine Künste ein andermal beweisen. Die Kommissionsräte wollen heute Abend nichts Ausgeklügeltes. Nur für alle was zu essen, falls sie hungrig werden.«

Kelley warf einen Blick auf die verrückte Espressomaschine, um sich zu vergewissern, dass sie voll war, und nahm dann den leeren Platz daneben finster in Augenschein. »Wo ist die verdammte Schokolade?« wollte er wissen.

»Schon unterwegs, Mr. Kelley«, sagte der Steward verteidigend.

»Gut. Sorgen Sie bloß dafür, dass das Zeug auch wirklich hier ist, bis die Splits kommen.

Das wird in einer Stunde sein.« Kelley warf einen Blick auf die Wanduhr. »Schön, ich glaube, wir haben alles. Aber kümmern Sie sich, um diese Schokolade.«

Seit sie das Getränk auf der Lenin entdeckt hatten, begeisterten sich die Splits für heiße Schokolade. Es war eines der wenigen Menschengetränke, die sie mochten — nur wie sie es mochten! Kelley schüttelte sich. Butter konnte er noch verstehen. Auf manchen Welten taten sie Butter in die heiße Schokolade. Aber einen Tropfen Maschinenöl in jede Tasse?

»Alles bereit, Kelley?« fragte Rod.

»Ja, Mylord«, versicherte ihm Kelley. Er nahm seinen Platz hinter der Bar ein und drückte auf einen Knopf, um zu signalisieren, dass die Konferenz beginnen konnte.

Irgend etwas bedrückt den Chef, überlegte er. Nicht sein Mädchen. Bin froh, dass ich nicht seine Probleme hab’.

Eine Tür ging auf, und der Kommissionsstab strömte herein, gefolgt von etlichen von Horvaths Wissenschaftlern. Sie setzten sich an die eine Längsseite des mit Einlegearbeiten verzierten Tisches und legten ihre Taschencomputer vor sich bereit.

Leises Summen ertönte da und dort, als sie die Verbindung mit dem Computersystem des Palastes überprüften. Horvath und Senator Fowler kamen herein, in eine heftige Diskussion verwickelt. »Doktor, es braucht einfach Zeit, solche Dinge zu erledigen …«

»Wieso?« wollte Horvath wissen. »Ich weiß, dass Sie nicht in Sparta um Erlaubnis fragen müssen.«

»Na schon. Ich brauche Zeit, um mich zu entschließen«, sagte Fowler ärgerlich. »Hören Sie, ich will sehen, was ich für Sie zum nächsten Geburtstag erreichen kann. Schon vor der Splitter-Expedition wäre Ihnen bald mal eine Auszeichnung sicher gewesen. Aber, verdammt nochmal, Doktor, ich bin nicht überzeugt, dass Sie mit Ihrem Temperament geeignet sind für einen Platz in …« Er brach ab, als sich Köpfe nach ihnen umwandten.

»Wir reden später darüber.«

»Mir recht.« Horvath schaute sich um und ging zu einem Platz direkt gegenüber von Ben. Hastig wurden einige Platze getauscht, als der Wissenschaftsminister seine Leute auf seiner Seite des Tisches so unterbrachte, wie er es wünschte.

Noch mehr Leute kamen nach — Kevin Renner, Kaplan Hardy, beide noch in Flottenuniform. Ein Sekretär. Mehrere Stewards, die Kelley sofort mit Kaffee herumschickte, was das Durcheinander noch vermehrte.

Rod zog die Brauen zusammen, als er seinen Platz einnahm, lächelte aber gleich erleichtert, als Sally außer Atem hereingeeilt kam. »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, keuchte sie. »Aber es gab …«

»Wir haben noch nicht begonnen«, beruhigte sie Rod und wies auf den Platz neben sich.

»Was geht denn eigentlich vor?« fragte sie leise. Irgend etwas in Rods Verhalten gefiel ihr nicht, und sie musterte ihn besorgt. »Warum interessiert sich Onkel Ben auf einmal so für Split-Geschichte? Was ist gestern Abend passiert?«

»Du wirst es gleich erfahren. Der Senator scheint beginnen zu wollen.« Ich hoffe, dass sich noch alles zum Besten wendet, mein Liebling, aber ich bezweifle es. Wie wird sich das alles auf uns auswirken? Rodversuchte grimmig, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Ich frage mich, was mein Fjunch(klick) jetzt macht? Es wäre schön, irgendeinen Vertreter zu diesen Verhandlungen schicken zu können und selbst …

»Fangen wir an«, sagte Senator Fowler schroff. »Diese Sitzung der Lords Sonderkommissionsräte und Vertreter Seiner Kaiserlichen Majestät gegenüber den Einwohnern des Systems Splitter ist hiermit eröffnet. Bitte geben Sie Ihre Namen und die Organisationen zu Protokoll, die Sie vertreten.« Das sekundenlange Schweigen wurde nur durch das vielfache Summen der Computerverbindungen gestört.

»Wir haben viel zu besprechen«, fuhr der Senator fort. »Gestern Abend wurde uns klar, dass die Splits uns in Bezug auf bestimmte wichtige Dinge belügen …«

»Nicht mehr, als wir sie belegen haben«, warf Dr. Horvath ein. Verdammt! Ich muss mich besser beherrschen. Sicher, das musste gesagt werden, aber wenn der Senator ernstlich wütend wurde …

»Es geht uns weniger um die Tatsache, dass sie lügen, sondern worüber sie lügen, Doktor«, sagte Fowler unbeeindruckt. Er schwieg einen Moment lang, und auf einmal schien ihn eine Aura der Macht zu umgeben. Der dickliche alte Mann in den ausgebeulten Kleidern war verschwunden. Jetzt sprach der Premierminister. »Hören Sie, ich möchte die Sache lieber formlos halten. Wenn jemand was zu sagen hat, dann raus damit. Aber lassen Sie mich zuvor meine Satze beenden.« Er bedachte die Anwesenden mit einem dünnen, kühlen Lächeln. »Alle anderen können Sie unterbrechen, wenn Sie weit genug oben sitzen. — Nun, Dr. Horvath, was verschweigen uns die Splits?«

Anthony Horvath strich sich mit den schlanken Fingern durch sein schütter werdendes Haar. »Ich brauche mehr Zeit, Senator. Bis heute morgen war mir gar nicht bewusst, dass die Splits uns überhaupt etwas verbergen.« Er warf Kaplan Hardy einen unruhigen Blick zu, doch der Priester sagte nichts.

»Es hat uns alle überrascht«, versicherte Fowler. »Wir haben jedoch Beweise dafür, dass die Splits sich ganz fantastisch schnell vermehren. Die Frage ist nun, können wir sie dazu zwingen, ihre Zahl in Grenzen zu halten, wenn sie es nicht wollen? Rod, können die Splits Waffen vor uns versteckt haben?«

Rod zuckte die Achseln. »In einem ganzen System? Ben, sie hätten alles verstecken können, was ihnen einfiel.«

»Aber sie sind in keiner Weise kriegerisch«, protestierte Horvath. »Senator, ich bin um die Sicherheit des Imperiums genauso besorgt wie jeder andere in diesem Raum. Ich versichere Ihnen, dass ich meine Pflichten als Sektorminister sehr ernst nehme.«

Das versicherst du nicht uns, sondern fürs Protokoll, dachte Kelley. Käptn Blaine merkt das auch. Was hat der Chef nur? Er sieht drein wie vor einer Schlacht.

»… keinerlei Beweise für kriegerische Aktivitäten bei den Splits gefunden«, Schloss Horvath. »Leider trifft dies nicht ganz zu«, warf Renner ein. »Doktor, ich mag die Splits genauso wie Sie, aber die Vermittler müssen sich ja aus irgendeinem Grund entwickelt haben.«

»Oh, nun ja«, sagte Horvath leichthin. »In ihrer Frühgeschichte müssen sie wie Löwen gekämpft haben. Der Vergleich ist übrigens durchaus zutreffend. Ihr Territorialinstinkt tritt noch immer zutage — in ihrer Architektur und in ihrer Gesellschaftsstruktur zum Beispiel. Aber die Kampfe waren vor langer Zeit.«

»Wie lange genau?« fragte Senator Fowler.

Horvath zog eine unbehagliche Miene. »Möglicherweise eine Million Jahre.«

Stille. Sally schüttelte traurig den Kopf. In einem winzigen System eine Million Jahre lang eingesperrt zu sein — eine Million Jahre der Zivilisation! Welche Geduld mussten sie gelernt haben!

»Keine Kriege seitdem?« fragte Fowler. »Wirklich?«

»Verdammt, ja, sie hatten Kriege«, antwortete Horvath. »Zumindest zwei der Art, die die Erde gegen Ende der Condominium-Ära durchmachte. Aber auch das ist lange her!« Er musste die Stimme heben, um Sallys überraschten Ausruf und das Gemurmel der anderen zu übertönen.

»Einer davon reichte aus, um die Erde nahezu unbewohnbar zu machen«, sagte Ben Fowler langsam. »Und wie lange soll das her sein? Auch Millionen Jahre?«

»Mindestens hunderttausend«, sagte Horvath.

»Einige tausend, wahrscheinlich«, sagte Kaplan Hardy vorsichtig. »Oder weniger. Sally, haben Sie Ihre Abschätzung des Alters jener primitiven Kultur überprüft, die Sie ausgegraben haben?«

Sally antwortete nicht. Das Schweigen begann unangenehm zu werden.

»Nur fürs Protokoll, Pater Hardy«, fragte Senator Fowler, »sind Sie hier als Kommissionsmitglied?«

»Nein, Sir. Kardinal Randolph bat mich, die Kirche bei der Kommission zu vertreten.«

»Danke.«

Wieder setzte Schweigen ein.

»Sie konnten ja nirgends hin«, sagte Anthony Horvath schließlich mit einer nervösen Geste. »Es ist offensichtlich, dass ihre ersten Kriege vor sehr langer Zeit stattfanden, vor Millionen Jahren. Das lässt sich aus ihrer Entwicklung schließen. Dr. Horowitz hat die biologischen Erkenntnisse der Expedition studiert und — ach, sagen Sie’s ihnen, Sigmund.«

Horowitz lächelte triumphierend. »Als ich den Piloten der Sonde das erste Mal untersuchte, hielt ich ihn für eine Mutation. Ich hatte recht. Sie sind Mutationen, nur geschah das alles vor sehr langer Zeit. Die ursprüngliche Fauna von Splitter Alpha ist bilateral symmetrisch, wie auf der Erde und praktisch sonst überall. Das erste asymmetrische Split muss eine ziemlich drastische Mutation gewesen sein. Es zeigte diese Eigenschaft wohl auch nicht so ausgeprägt wie die heutigen Splits. Warum ist diese Form aber nicht ausgestorben? Ich glaube, weil bewusste Anstrengungen unternommen wurden, die unsymmetrische Form zu erhalten. Und auch, weil alle anderen ebenfalls mutierten. Dadurch gab es kaum eine Auslese mehr.«

»Aber das würde bedeuten, dass sie bereits eine Zivilisation besaßen, als sich die heutigen Formen entwickelten«, sagte Sally. »Ist das möglich?«

Horowitz lächelte wieder.

»Vielleicht das Auge?« fragte Sally. »Es muss das Splitter-System mit harter Strahlung überflutet haben, als es zum Superriesen wurde.«

»Das ist zu lange her«, sagte Horvath. »Wir haben es nachgeprüft. Wir haben schließlich die Beobachtungsdaten von unseren Forschungsschiffen über ungefähr fünfhundert Jahre, und sie stimmen überein mit den Informationen über das Auge, die die Splits Kadett Potter gaben. Das Auge ist seit sechs Millionen Jahren oder mehr ein Superriese, und die Splits haben ihre jetzige Gestalt noch nicht annähernd so lange.«

»Oh«, sagte Sally. »Was hat aber dann die Mutation …«

»Kriege«, verkündete Horvath. »Ein weltweites Ansteigen der Radioaktivität. Verbunden mit einer bewussten genetischen Auslese.«

Sally nickte widerstrebend. »Nun gut — sie hatten also Atomkriege. Wir auch. Wenn im Condominium nicht der Alderson-Antrieb entwickelt worden wäre, hätte sich die Menschheit auf der Erde selbst ausgelöscht.« Es war offensichtlich, dass ihr diese Antwort wenig gefiel. »Hätte es nicht damals eine andere dominante Spezies gegeben haben können, die sich selbst vernichtet hat — und die Splits hätten sich erst später entwickelt?« »Nein«, sagte Horvath vorsichtig. »Ihre eigene Arbeit, Lady Sally: Sie haben nachgewiesen, dass die Gestalt der Splits äußerst gut für den Gebrauch von Werkzeugen angepasst ist. Die ersten Mutationen müssen bereits Werkzeuge verwendet haben.«

»Das wäre ein Krieg«, sagte Senator Fowler. »Der, der die Splits so werden ließ, wie wir sie kennengelernt haben. Sie sprachen aber von zwei.«

Horvath nickte bedauernd. »Ja, Sir. Die Hauptform der Splits hat atomare Waffen verwendet. Später aber muss es nochmals eine Periode erhöhter Radioaktivität gegeben haben, durch die die Art in die verschiedenen Kasten aufgespalten wurde — sowohl die intelligenten Formen wie die Tiere. Plus Zwischenformen wie die Bastler.«

Horvath warf Blaine einen entschuldigenden Blick zu, bemerkte aber keine Spur von Gefühlsregung in seinem Gesicht.

Sigmund Horowitz räusperte sich laut. Er genoss seinen Auftritt eindeutig. »Ich nehme an, dass die Braunen die ursprüngliche Form waren. Als die Weißen dominant wurden, züchteten sie die anderen Unterarten ihrem Bedarf entsprechend. Wieder gesteuerte Evolution, wissen Sie. Aber manche Formen sind auch von selbst entstanden.«

»Dann sind also die unsymmetrischen Tiere nicht die Vorfahren der Splits?« fragte Senator Fowler neugierig.

»Nein.« Horowitz rieb sich die Hände und griff erwartungsvoll nach seinem Taschencomputer. »Sie sind degenerierte Formen — ich kann Ihnen den Genmechanismus vorführen.«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Senator Fowler hastig. »Wir sind also jetzt bei zwei Kriegen angelangt. Vermutlich entwickelten sich die Vermittler während des zweiten …«

»Sagen wir lieber drei Kriege«, warf Renner ein. »Selbst wenn wir annehmen müssen, dass ihnen im zweiten die radioaktiven Stoffe ausgingen.« »Weshalb?«

»Sie haben den Planeten gesehen. Und dann wäre noch ihre Anpassung an den Weltraum zu erwähnen«, sagte Renner. Er warf Horvath und Horowitz erwartungsvolle Bücke zu.

Horowitz’ triumphierendes Grinsen verstärkte sich noch. »Wieder Ihre Arbeit, Mylady.

Die Splits sind so gut für den Weltraum angepasst, dass Sie überlegten, ob sie sich nicht dort entwickelt hätten. Das haben sie.« Der Xenobiologe nickte nachdrücklich. »Aber erst, nachdem sie bereits eine lange Evolutionsperiode auf dem Planeten selbst durchgemacht hatten. Soll ich die Indizien noch einmal aufzählen? Physiologische Mechanismen zur Anpassung an niedrigen Druck und Schwerelosigkeit, intuitive Astrogation …«

»Ich glaube Ihnen«, sagte Sally leise.

»Der Mars!« rief Rod Blaine. Alle schauten ihn betroffen an. »Der Mars. Haben Sie daran gedacht, Kevin?«

Renner nickte. Er befand sich offensichtlich in einem Konflikt — seine Gedanken eilten voraus und lieferten ihm Dinge, die ihm gar nicht gefielen. »Natürlich«, sagte er. »Sie haben zumindest einen Krieg mit Asteroiden ausgefochten. Man braucht sich nur die Oberfläche von Splitter Alpha anzuschauen, bedeckt mit riesigen ringförmigen Kratern.

Damals muss fast die ganze Bevölkerung des Planeten umgekommen sein. Und die Überlebenden hat es so in Furcht versetzt, dass sie sämtliche Asteroiden so weit hinaus brachten, dass sie nie wieder zu diesen Zweck eingesetzt werden konnten …«

»Der Krieg hat jedenfalls einen Großteil des höheren Lebens auf dem Planeten ausgelöscht«, Schloss Horowitz. »Nach langer Zeit wurde die Welt wieder von Splits neu besiedelt, die sich an den Weltraum angepasst hatten.«

»Aber auch das ist sehr lange her«, wehrte Dr. Horvath ab. »Die Antriebskrater an den Asteroiden weisen keine Strahlung mehr auf, und ihre Bahnen sind stabil. All das geschah vor sehr langer Zeit.«

Horvath schien sich mit seinen Schlussfolgerungen nicht recht wohl zu fühlen, und Rod machte eine Notiz. Das alles war nicht sehr befriedigend, dachte er. Aber es musste doch irgendeine Erklärung geben …

»Sie könnten allerdings immer noch mit Asteroiden kämpfen«, fuhr Horvath fort. »Wenn sie es wollten. Es wäre jetzt mehr Energie erforderlich, aber solange die Asteroiden sich innerhalb des Systems befinden, können sie bewegt werden. Wir haben aber keine Hinweise auf Kriege in jüngster Vergangenheit gefunden. Außerdem, was hat das alles mit uns zu tun? Gut, sie haben gekämpft, haben die Vermittler gezüchtet, um dem ein Ende zu machen, und es hat funktioniert. Jetzt kämpfen sie nicht mehr.«

»Vielleicht«, knurrte Senator Fowler. »Und vielleicht nicht.«

»Sie haben uns nicht bekämpft«, wandte Horvath ein.

»Ein Schlachtkreuzer wurde zerstört«, sagte Fowler. »Aber lassen wir das. Dann ist da noch die Sache mit den Kadetten — jawohl, ich habe all die Geschichten gehört, die darüber erzählt werden. Tatsache ist jedoch, Dr. Horvath — und das wissen Sie ganz genau — wenn die Splits sich noch immer untereinander bekämpfen, dann wird eine Partei sich Verbündete bei den Unabhängigen und Rebellen suchen. Verdammt, sie könnten sogar Auf Stande anheizen, und das können wir bei Gott nicht brauchen! Noch etwas anderes macht mir Sorgen — haben sie eine planetare Regierung?«

Alle schwiegen.

»Nun, Sally?« drängte der Senator. »Das ist dein Gebiet.«

»Sie … Nun, sie haben eine Art planetare Regierung in der Verwaltung. Ein Meister oder eine Gruppe von Meistern erhält ein Gebiet als Kompetenzbereich zugesprochen, und die anderen halten sich an seine Entscheidungen in diesem Bereich.«

Ben Fowler musterte seine Nichte stirnrunzelnd. »Verdammt, wir lassen nicht einmal Menschen im Universum frei herumschippern, solange sie es nicht zu einer planetaren Regierung gebracht haben. Stell dir bloß vor, wenn irgendeine Split-Kolonie beschließt, eine bestimmte Interessengruppe daheim auf Alpha zu unterstützen!« Er warf einen Blick in die Runde und zog wieder die Brauen zusammen. »Verdammt, schaut mich nicht alle so an. Ihr tut ja, wie wenn ich den Weihnachtsmann erschießen wollte! Ich möchte auch Handelsbeziehungen mit den Splits haben, aber wir wollen dabei den wichtigsten Grundsatz des Imperiums nicht außer acht lassen.«

»Wir brauchen mehr Zeit«, protestierte Horvath. »Sie können doch nicht jetzt schon etwas entscheiden.«

»Wir haben nicht mehr Zeit«, sagte Rod ruhig. »Sie müssen sich doch darüber klar sein, welchem Druck wir von allen Seiten ausgesetzt sind, Doktor. Zum Teil sind Sie daran nicht unschuldig. Jede Interessengruppe dieses Sektors fordert sofortige Entscheidungen.« Rod hatte tagtäglich Anrufe von der Humanitätsliga erhalten und war sicher, dass Minister Horvath die Gesellschaft mit Informationen versorgte.

»Was Ihnen Sorgen macht, ist die potentielle Geburtenrate«, sagte Horvath. »Es muss Ihnen aber doch klar sein, dass die Splits zu einer wirksamen Bevölkerungskontrolle imstande sein müssen. Sonst hätten sie als Rasse nicht so lange überlebt.«

»Aber sie wollen es vielleicht nicht«, sagte Fowler. »Können wir sie dazu zwingen? Rod, hat Ihr Commander Cargill noch an dieser Bedrohungsabschätzung weitergearbeitet?«

»Nur Ergänzungen, Senator. Seine ursprünglichen Berechnungen haben sich als recht zutreffend erwiesen.«

»Es wäre also eine größere Flottenaktion nötig, um die Splits zu irgendetwas zu zwingen — und das bei ihren gegenwärtigen Mitteln. Mit welchen Problemen belasten wir unsere Enkel, wenn wir ihnen jetzt zu Kolonien verhelfen?«

»Sie können sie aber jetzt nicht mehr hindern, ihr System zu verlassen«, wandte Horvath ein. »Kapi … Lord Blaines Analyse hat das aufgezeigt. Sie werden bestimmt über kurz oder lang das Langston-Feld entwickeln, und dann können sie heraus. Wir müssen freundschaftliche Beziehungen zu ihnen herstellen, bevor das geschieht. Ich bin dafür, dass wir jetzt beginnen, Handel mit ihnen zu treiben, und die Probleme erledigen, wenn sie sich stellen. Wir können nicht alles im voraus bereinigen.«

»Das ist Ihr Vorschlag?« fragte Fowler.

»Ja, Sir. Meiner, der der Humanitätsliga, der Händlervereinigung …«

»Das stimmt nicht ganz«, unterbrach Rod. »Der hiesige Rat der ITA ist sich nicht einig.

Eine beträchtliche Minderheit will mit den Splits nichts zu tun haben.«

»Die sind an Industriezweigen beteiligt, die von der Split-Technologie Schaden zu befürchten haben«, sagte Horvath mit einem Achselzucken. »Damit werden wir schon fertig. Senator, es ist unvermeidlich, dass die Splits früher oder später irgend etwas entwickeln, das ihnen aus ihrem System heraushilft. Wir sollten sie also so an das Imperium binden, dass ihre Interessen auch die unseren sind, bevor das geschieht.«

»Oder sie ins Imperium aufnehmen und die Sache ein für allemal erledigen«, brummte Fowler. »Daran habe ich gestern Abend schon gedacht. Wenn sie ihre Bevölkerung nicht einschränken können, könnten wir es für sie tun …«

»Aber wir wissen, dass sie es können«, protestierte Horvath. »Wir haben bewiesen, dass sie in einem einzigen System sehr lange Zeit eine Zivilisation aufrechterhalten haben.

Sie haben gelernt …« Er unterbrach sich und fuhr aufgeregt fort: »Ist Ihnen schon die Idee gekommen, dass sie eine Art Geburtenrationierung haben könnten? Die Splits in diesem Kontaktschiff mussten vielleicht ihre Kinder damals bekommen oder gar nicht.

Deshalb bekamen sie sie unter diesen Umständen.«

»Hmm«, sagte Fowler. Seine Stirn glättete sich. »Vielleicht ist da etwas dran. Wir — ich werde die Splits fragen, wenn sie hereinkommen. Dr. Hardy, Sie sitzen da wie ein Mann, der bei geringer Schwere gehängt werden soll. Was macht Ihnen Sorgen?«

»Die Ratten«, sagte der Kaplan zögernd.

, Horvath blickte sich hastig um und nickte dann ergeben. »Die haben Ihnen also auch zu schaffen gemacht, David?«

»Natürlich. Können Sie die Aufzeichnung finden, oder soll ich?«

»Ich hab’s«, seufzte Horvath. Er kritzelte Zahlen auf den Schirm seines Taschencomputers. Das Gerät summte und die Bildschirme an den Wanden leuchteten auf und zeigten … eine Split-Stadt, die von irgendeiner Katastrophe getroffen worden war. Umgestürzte Autos, die in schmutzigen, rissigen Straßen dahinrosteten. Die Trümmer von Flugzeugen in den Ruinen ausgebrannter Gebäude. Unkraut wuchs aus Sprüngen im Straßenbelag. In der Mitte des Bildes war ein großer Schutthügel zu sehen, und etwa hundert kleine, schwarze Wesen huschten darüber hinweg.

»Es ist nicht das, was man glaubt. Das ist ein Stockwerk in dem Zoo der Splits«, erklärte Horvath. Er berührte einige Tasten auf seinem Computer, so dass ein Bildausschnitt vergrößert wurde — ein einzelnes, jetzt still stehendes schwarzes Wesen, das auf dem Schirm wuchs, bis seine Umrisse unscharf zu werden begannen: ein spitzes, rattenähnliches Gesicht mit bösartigen Zähnen. Aber es war keine Ratte.

Es besaß ein dünnes, großes Ohr und fünf Gliedmaßen. Das vorderste Glied auf der rechten Seite war jedoch keine fünfte Pfote, sondern ein langer und geschmeidiger Arm mit Klauen wie Krummdolche.

»Ah«, rief Horowitz. Er warf Horvath einen anklagenden Blick zu. »Das hier haben Sie mir nicht gezeigt … noch mehr Kriege, was? Einer der Kriege muss soviel Leben vernichtet haben, dass ökologische Nischen frei wurden. Aber das — haben Sie ein Musterexemplar mitgebracht?« »Leider nein.«

»Wovon ist das degeneriert?« fragte Horvath verwundert. »Ein ziemlich großer Schritt von dem intelligenten Split zu — zu dem da. Gibt es eine Split-Kaste, die Sie mir nicht gezeigt haben? Eine, die dem Wesen hier ähnlich wäre?«

»Nein, natürlich nicht«, sagte Sally.

»Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass solche Wesen selektiv gezüchtet würden«, überlegte Horowitz. »Es muss durch natürliche Auslese entstanden sein …« Er lächelte befriedigt. »Wieder ein Beweis, falls wir noch welche brauchen. Einer ihrer Kriege hat den Planeten praktisch entvölkert. Und das für ziemlich lange Zeit.«

»Klar«, sagte Renner rasch. »Während diese Viecher sich auf Alpha ausbreiteten, lebten die intelligenten Splits draußen auf den Asteroiden. Sie müssen viele Generationen dort geblieben sein und haben Weiße und Braune und Bastler entwickelt und vielleicht noch ein paar Formen, die wir nicht zu sehen bekamen, weil wir die Asteroidenkultur nicht kennenlernten.«

»Aber auch das muss sehr lange her sein«, sagte Horvath. »Wirklich lange — Dr.

Buckmans Arbeit über die Asteroidenbahnen — nun ja. Vielleicht wurden die Vermittler im Weltraum gezüchtet, bevor sie den Planeten wieder besiedelten. Sie brauchten sie offensichtlich.«

»Das würde heißen, dass die Weißen heute noch genauso kriegerisch sind wie damals«, stellte Senator Fowler fest.

»Bloß, weil sie noch Vermittler haben? Das heißt das keineswegs, Onkel Ben«, protestierte Sally.

»Hmja. Und ihre Bevölkerungsprobleme sollen sie auch gelöst haben … Doktor, tun Sie endlich das verdammte Biest vom Bildschirm! Ich kriege ja eine Gänsehaut. Warum zum Teufel errichtet überhaupt jemand eine zerstörte Stadt in einem Zoo?«

Das bestialische Wesen verschwand, und alle schienen erleichtert zu sein. »Das haben sie uns erklärt.« Horvath wirkte jetzt fast wieder zuversichtlich. »Einige Unterarten entwickelten sich für das Leben in Städten. Ein umfassender Zoo muss wohl auch diese Wesen enthalten.«

»In zerstörten Städten?«

»Vielleicht soll sie das daran erinnern, was geschieht, wenn sie nicht auf ihre Vermittler hören«, sagte Sally leise. »Als abschreckendes Beispiel, um sie vor Kriegen zu warnen.«

»Also wirksam wäre es«, sagte Renner mit einem leichten Schauder.

»Fassen wir einmal zusammen. In ein paar Minuten kommen die Splits«, sagte Senator Fowler. »Erstens: Ihre potentielle Vermehrungsrate ist fantastisch, und die Splits sind bereit, Kinder unter Umstanden in die Welt zu setzen, die das für uns undenkbar machen würden.

Zweitens: Die Splits haben gelogen, um ihre hohe Vermehrungsrate vor uns geheim zu halten.

Drittens: Die Splits hatten Kriege. Zumindest drei größere. Vielleicht mehr.

Viertens: Sie sind eine alte Rasse. Eine sehr alte Rasse. Das sollte bedeuten, dass sie gelernt haben, ihre Bevölkerungszahl zu begrenzen. Wir wissen nicht, wie sie es machen, aber es könnte damit zusammenhängen, dass sie wahrend einer gefährlichen Mission Kinder bekommen. Wir müssen sie fragen. Alles einverstanden soweit?«

Zustimmendes Gemurmel wurde laut. »Nun zu den Möglichkeiten, die uns offen stehen.

Erstens, wir könnten Dr. Horvaths Rat befolgen und Handelsbeziehungen mit ihnen aufnehmen. Die Splits haben um Dauerniederlassungen gebeten und um das Recht, nach unbesiedelten Welten innerhalb und außerhalb des Imperiums zu suchen und sie zu kolonisieren. Sie bestehen nicht auf zentral gelegenen Gebieten und wurden auch mit Sachen zufrieden sein, die wir nicht ausnützen, wie Asteroiden und terraformbare Felsbrocken. Als Gegenleistung haben sie uns viel zu bieten.«

Er machte eine Pause, um den anderen Gelegenheit zum Kommentar zu geben, aber niemand meldete sich. Alle waren froh, dass der Senator die Zusammenfassung fürs Protokoll übernommen hatte.

»Eine solche Entscheidung würde bedeuten, dass die Splits auf die Galaxis losgelassen werden. Sobald sie einmal Stützpunkte errichtet haben, zu denen wir den Zugang nicht mehr kontrollieren, werden Unabhängige und Rebellen bestimmt bald anfangen, mit den Splits zu feilschen. Wir mussten dann besser feilschen, und es ist möglich, dass wir uns jetzt durch Großzügigkeit ihre spätere Dankbarkeit sichern. Diese Entscheidung wird von Kommissionsrat Sandra Bright Fowler unterstützt. Immer noch alles klar?«

Die Menschen um den Tisch nickten und murmelten ihre Zustimmung. Einige der Wissenschaftler warfen Sally neugierige Blicke zu. Dr. Horvath lächelte ermutigend zu ihr hinüber.

»Zweite Möglichkeit. Wir nehmen die Splits ins Imperium auf. Setzen einen Generalgouverneur ein, zumindest auf jeder Split-Kolonie, unter Umstanden auch auf Splitter Alpha selbst. Das wäre auf jeden Fall teuer, und wir wissen nicht, was passiert, wenn die Splits Widerstand zu leisten versuchen. Ihr militärisches Potential ist verdammt hoch.«

»Das würde ich für sehr unklug halten«, sagte Anthony Horvath. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Splits sich einfach so fügen, und …«

»Schon gut. Ich versuche ja nur, die Möglichkeiten darzulegen. Doktor. Da Sie nun schon Ihren Einwand vorgebracht haben, möchte ich auch erwähnen, dass dieser Plan die provisorische Zustimmung des Kriegsministeriums und eines Großteils der Leute vom Kolonialamt hat. Von der Kommission hat sich noch niemand dazu geäußert, aber ich möchte den Splits jedenfalls diese Möglichkeit unterbreiten. Verdammt, vielleicht wollen sie.«

»Nun, wenn sie freiwillig ins Imperium eintreten möchten, dann würde ich den Plan unterstützen«, sagte Horvath.

»Ich auch«, fügte Sally hinzu.

Ben Fowler verzog sein rundliches Gesicht zu einer Maske der Meditation. »Also ich glaube nicht, dass es funktionieren würde«, sagte er bedächtig. »Wir lassen im allgemeinen Einheimische für uns regieren. Und welchen Preis könnten wir schon bieten als Belohnung für Loyalität uns gegenüber, wenn sich einmal die gesamte Rasse gegen das Imperium verschwören sollte? Aber wir werden sie fragen.«

Fowler richtete sich in seinem Sitz auf. Das belustigte, nachdenkliche Lächeln verschwand. »Möglichkeit drei. Das Maul- und Klauenseuche-Mittel.«

Erschrockene Ausrufe wurden laut. Horvath presste die Lippen zusammen und holte tief Atem. »Meinen Sie damit, was ich glaube, Senator?«

»Ja. Wenn es keine Maul- und Klauenseuche mehr gibt, gibt es auch keine Probleme damit. Wenn es keine Splits mehr gibt, gibt es kein Split-Problem.«

David Hardys Stimme war leise, aber sehr eindringlich. »Die Kirche würde sehr intensiv dagegen auftreten. Mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.«

»Dessen bin ich mir bewusst, Pater. Ich bin mir auch der Ansichten der Humanitätsliga bewusst. Übrigens wäre unprovozierte Vernichtung keine echte Alternative. Nicht, dass wir technisch nicht dazu imstande wären, aber politisch könnten wir es uns nicht leisten.

Solange die Splits nicht zu einer direkten und unmittelbaren Bedrohung für das Imperium werden.«

»Das sind sie auf keinen Fall«, sagte Horvath überzeugt. »Sie sind eine große Chance für uns. Ich wünschte, ich könnte Ihnen das klarmachen.«

»Doktor, vielleicht sehe ich die Dinge ganz ähnlich wie Sie. Haben Sie das je bedacht?

Das waren also die Möglichkeiten. Sind wir jetzt bereit für die Splits, oder möchte jemand noch etwas anderes zur Sprache bringen?«

Rod holte tief Luft und warf einen Blick zu Sally. Das wird ihr gar nicht gefallen — »Senator, haben wir auf Sallys Ausgrabung vergessen? Bei der sie auf eine primitive Kultur stieß, die nicht mehr als tausend Jahre alt sein konnte? Wie ist es möglich, dass die Split vor so kurzer Zeit noch primitiv waren?«

Niemand sagte etwas. »Das müssen doch wieder Kriege gewesen sein, nicht?« fragte Rod.

»Nein«, sagte Sally. »Ich habe darüber nachgedacht — die Splits haben doch Zoos.

Könnte ich nicht — nun, ein Reservat für Wilde gefunden haben? Überall im Imperium gibt es solche Orte — kulturelle Reservate für Menschen, die nicht einer technischen Zivilisation angehören wollen …«

»Nach einer Million Jahren der Zivilisation?« fragte Renner. »Lady Sally, das glauben Sie doch nicht wirklich?« Sie zuckte die Achseln. »Sie sind fremd.«

»Das hatte ich nicht vergessen«, sagte Ben Fowler. »Na schön, reden wir darüber.

Sally, deine Erklärung ist unsinnig. Du weißt, was geschehen ist — sie haben die Asteroiden vor so langer Zeit bewegt, dass die Krater strahlungsfrei sind. Und dann, etwa zur Zeit des Condominiums, haben sie sich durch einen Krieg selbst in eine neue Steinzeit gestürzt. Das spricht nicht sehr dafür, dass sie sich das Kämpfen abgewöhnt haben, oder?«

»Wir haben damals das gleiche getan«, sagte Sally. »Oder hätten es getan, wären wir in einem einzigen System gefangen gewesen.«

»Jawohl«, entgegnete Fowler. »Und wäre ich Kommissionsrat für ein Split-Imperium, würde ich die Menschen auch nicht ohne Aufsicht in der Galaxis herumstreifen lassen. — Sonst noch etwas?«

»Ja, Sir«, meldete sich Rod. »Sally, es tut mir leid, aber …« »Raus damit«, knurrte Fowler.

»Ja, Sir.« Werde ich sie wegen der Splits verlieren? Aber ich kann das einfach nicht wieder vergessen. »Dr. Horvath, Sie schienen sich sehr unbehaglich zu fühlen, als wir zu dem Schluss gekommen waren, dass die Splits seit vielen Jahrtausenden zivilisiert gewesen sein müssen. Weshalb?«

»Nun — aus keinem besonderen Grund — außer — nun ja, ich fand, das müsste noch genauer überprüft werden, das ist alles.«

»Als Wissenschaftsminister sind Sie für technologische Prognosen zuständig, nicht?« fragte Rod.

»Ja«, gab Horvath widerwillig zu.

»Wo stehen wir jetzt im Vergleich zum Ersten Imperium?«

»Wir haben noch nicht aufgeholt. Vermutlich in einem Jahrhundert werden wir wieder soweit sein.«

»Und wo wären wir heute, wenn es die Sezessionskriege nicht gegeben hätte? Wenn das alte Imperium sich ohne Unterbrechung weiterentwickelt hätte?«

Horvath zuckte die Achseln. »Sie haben vermutlich recht, Mylord. Ja. Das hat mich auch gestört. Senator, Kommissionsrat Blaine will damit andeuten, dass die Splits nicht fortgeschritten genug sind, um seit einer Million Jahre eine Zivilisation besessen zu haben. Oder auch nur zehntausend. Möglicherweise nicht einmal seit tausend.«

»Und doch wissen wir, dass sie diese Asteroiden vor zumindest zehntausend Jahren bewegt haben«, rief Renner. Seine Stimme verriet Aufregung und Zweifel. »Sie müssen Alpha etwa zu der Zeit neu besiedelt haben, als auf der Erde der Alderson-Antrieb entwickelt wurde! Die Splits sind also gar nicht älter als wir!« »Es gibt eine andere Erklärung«, stellte Pater Hardy fest. »Die Wiederbesiedlung hat viel früher stattgefunden — aber sie hatten alle tausend Jahre oder so einen neuen Krieg.«

»Oder noch öfter«, fügte Senator Fowler ruhig hinzu. »Und wenn das stimmt, dann wissen wir jetzt, wie sie ihre Bevölkerungszunahme in Grenzen halten, nicht? Also, Dr.

Horvath? Wie lautet Ihre Empfehlung jetzt?«

»Ich — ich weiß nicht«, stotterte der Wissenschaftsminister bedrückt. Er biss an seinen Fingernägeln herum, merkte, was er tat, und legte die Hände auf den Tisch, wo sie unruhig zuckten wie verwundete kleine Tiere. »Ich finde, wir müssen erst sicher sein.«

»Ich auch«, sagte der Senator. »Es kann auf keinen Fall schaden. Rod, Sie werden morgen in der Admiralität zu tun haben.«

»Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, Senator, dass die Kirche jedem ihrer Mitglieder verbieten wird, an der Vernichtung der Splits mitzuwirken«, sagte Hardy drohend.

»Das grenzt ziemlich an Hochverrat, Pater.«

»Vielleicht. Aber es ist wahr.«

»Nun, ich hatte das ja gar nicht im Sinn. Kann sein, dass wir die Splits ins Imperium aufnehmen müssen. Ob sie wollen oder nicht. Vielleicht fügen sie sich ohne Kampf, wenn wir mit einer genügend großen Flotte anrücken.«

»Und wenn nicht?« fragte Hardy.

Senator Fowler gab keine Antwort.

Rod sah Sally an, dann die anderen am Tisch, dann die getäfelten Wände.

Das ist so ein gewöhnlicher Raum, dachte er. Und an den Menschen darin ist auch nichts Ungewöhnliches. Trotzdem wird hier, in diesem ganz normalen kleinen Konferenzraum auf einem kaum bewohnbaren Planeten, das Schicksal einer Rasse entschieden, die vielleicht eine Million Jahre älter ist als wir.

Die Splits werden sich nicht unterwerfen. Wenn sie so sind, wie wir jetzt vermuten, werden wir sie auch nicht schlagen können. Aber es gibt nur diesen einen Planeten und ein paar Asteroiden, wo Splits leben. Wenn sie vernichtet sind …

»Kelley, Sie können jetzt die Splits holen«, sagte Senator Fowler.

Die letzten erlöschenden Strahlen der Sonne Cal fielen in den Raum. Das Palastgebäude draußen versank in purpurnem Schatten.

53 Der Dämon in der Flasche

Sie folgten ihren Führern durch die Gänge des Palastes. Unterwegs sprach Jock mit dem Botschafter.

»Etwas hat sich geändert. Dieser Soldat, der uns abholte, schaut uns anders an als sonst. So wie ein Krieger andere Krieger anschauen würde.« Sie betraten den Konferenzraum. Ein Meer von Menschengesichtern — »Ja«, sagte Jock. »Vieles ist anders. Wir müssen auf der Hut sein.«

»Was können sie erfahren haben?« fragte Ivan scharf.

Jock machte eine Geste des Nichtwissens. »Einige fürchten uns. Andere bedauern uns.

Alle versuchen, ihre veränderten Gefühle zu verbergen.«

Der Infanterist brachte sie zu unbequem gebauten Liegen an einem Ende des großen Konferenztisches. »Die Menschen hangen an solchen Tischen«, zwitscherte Charlie.

»Manchmal ist ihre form von großer Bedeutung, aus Gründen, die ich nicht feststellen konnte.«

Nun kamen die bedeutungslosen Begrüßungen, die die Menschen »Formalitäten nannten: gleichgültige Fragen nach dem Gesundheitszustand, undurchsichtige Segensspruche und Wünsche für ein bisheriges Wohlbefinden; all das diente den Menschen als Ersatz für eigene Vermittler. Charlie widmete sich diesen ’Formalitäten, wahrend, Jock weiter mit dem Meister sprach.

»Der Mensch am gegenüberliegenden Ende des Tisches ist ein unwichtiger Schreiber.

Auf unserer Zweihandseite in der Mitte befindet sich die Macht. Der Vermittler des Kaisers ist zu einem Entschluss gekommen. Lord Blaine teilt ihn widerstrebend. Sally stimmt nicht zu, ganz und gar nicht, aber sie ist nicht imstande, Einwände zu erheben Sie wünscht, sie fände Gründe zum Einspruch. Wir werden vielleicht welche für sie suchen müssen. Gegenüber vom Vermittler des Kaisers sitzen die Wissenschaftler, und sie teilen Sallys Gefühle. Sie fühlen sich von der Entscheidung aber nicht so betroffen wie sie. Die anderen sind nicht wichtig, außer der Priester. Ich bin nicht imstande, seine Bedeutung zu erklären, aber sie hat zugenommen, seit wir ihn das letzten mal sahen. Er könnte für uns gefährlicher sein als die übrigen …«

»Kann er unsere Sprache verstehen?« fragte Ivan.

»Nicht, wenn wir schnell und in formellem Stil sprechen. Er kann den grundlegenden Gefühlsinhalt erraten und weiß, dass wir in kurzer Zeit viele Informationen auszutauschen imstande sind.«

»Findet heraus, was die Menschen beunruhigt« Ivan rollte sich auf seiner Couch ein und musterte die Anwesenden mit Abscheu. Bewahrer mussten manchmal direkt mit Vermittlern vieler Meister sprechen, aber das war nie eine angenehme Erfahrung. Alle Verhandlungen mit den Menschen waren so schrecklich langsam. Ihre Gedanken krochen dahin wie flüssiges Helium, und oft hatten sie keine Ahnung von ihren eigenen Interessen.

Aber er konnte den Vermittlern nicht einfach eine Anweisung geben. Sie wurden immer instabiler, immer unzuverlässiger. Sie mussten direkt kontrolliert werden. Und die Rasse musste gerettet werden …

»Dieses Treffen ist vielleicht erfreulicher als die früheren«, sagte Charlie. Senator Fowler sah verblüfft auf. »Warum sagst du das?«

»Aus euren Mienen ist zu ersehen, dass ihr entschlossen seid, bei diesem Treffen zu Entscheidungen zu kommen«, antwortete Charlie. »Ihr habt uns gesagt, dass es lange dauern wird, bis über das Abendessen hinaus. Euer 3-D verrät uns, dass ihr sehr unter Druck steht, zu einer Einigung mit uns zu gelangen. Wir gewöhnen uns langsam an eure Methoden und finden sie auch interessant und unterhaltsam; unsere gesamte Ausbildung jedoch, ja unsere Existenzberechtigung besteht dann, Einigung zu erreichen. Bis jetzt habt ihr das sorgfaltig vermieden.«

»Das nenn ich offen gesprochen«, brummte Fowler. Und aus dem Gleichgewicht bringen sollte es uns, nicht, mein Freund? Du bist wahrlich gerissen. »Zuerst benötigen wir einige Informationen. Über eure Geschichte.«

»Ah.« Charlie zögerte nur eine Sekunde, aber sie sah die Gesten Jocks und die Fingersignale des Meisters. »Unsere Kriege beunruhigen euch?«

»Stimmt genau«, sagte Senator Fowler heftig. »Ihr habt uns nahezu eure gesamte Geschichte verschwiegen. Und gelogen bei dem, was ihr uns gesagt habt.«

Missbilligendes Gemurmel erhob sich. Dr. Horvath streifte Fowler mit einem empörten Blick. Hatte der Mann denn keine Ahnung von Verhandlungstaktik? Doch, natürlich — aber das machte solche Grobheit noch unverständlicher …

Charlie imitierte ein menschliches Achselzucken. »Wie Sie uns belogen haben, Senator.

Unsere Geschichte: gut also. Wie ihr Menschen haben wir Zeiten gehabt, in denen es Krieg gab. Meist wegen Religionen. Unsere letzten großen Kriege liegen mehrere von euren Jahrhunderten zurück — seitdem haben wir den Frieden zu bewahren vermocht.

Von Zeit zu Zeit gibt es allerdings Aufstände. Meister wie eure Unabhängigen, die ihre Selbständigkeit vor das Wohl ihrer Rasse setzen. Die müssen natürlich bekämpft werden …« »Warum habt ihr das nicht gleich zugegeben?« wollte Rod wissen.

Das Split zuckte wieder die Achseln. »Was wussten wir schon von euch? Bis ihr uns das 3-D gegeben habt und uns ermöglicht habt, euch so zu sehen, wie ihr wirklich seid, was konnten wir da wissen? Und wir schämen uns auch unserer Konflikte, so wie viele von euch. Ihr müsst verstehen, fast alle Vermittler dienen Meistern, die nichts mit Kriegen zu tun haben. Wir wurden angewiesen, euch unserer friedlichen Absichten eurer Rasse gegenüber zu versichern. Unsere inneren Konflikte, fanden wir, gingen euch nichts an.«

»Also habt ihr eure Waffen versteckt?« fragte Rod.

Charlie sah Jock an. Der andere Vermittler antwortete. »Die, die wir haben. Wir sind Bewohner eines einzelnen Sternsystems, Mylord. Unsere Art hat keine Feinde, und wir können auch wenig Rohstoffe auf Kriegsschiffe verschwenden — unser Militär, soweit man von einem solchen überhaupt sprechen kann, gleicht mehr eurer Polizei als eurer Flotte und Infanterie.« Das sanfte Lächeln des Splits verriet nichts, deutete jedoch irgendwie noch einen anderen Gedanken an: Sie waren ja dumm, die Menschen wissen zu lassen, wie viel oder wie wenig Waffen sie besaßen.

Sally lächelte glücklich: »Ich hab’s dir ja gesagt, Onkel Ben …«

Senator Fowler nickte. »Nur noch eine Kleinigkeit, Charlie. Wie oft vermehren sich eigentlich eure fruchtbaren Kasten?«

Es war Jock, die antwortete. Als Charlie zögerte, beobachtete sie David Hardy interessiert — fand eine Verständigung durch Gesten statt? »Wenn es ihnen erlaubt wird«, sagte das Split ruhig. »Gilt das nicht auch für euch?«

»Was?«

»Ihr haltet eure Bevölkerung in Grenzen durch wirtschaftliche Anreize und erzwungene Auswanderung. Keine dieser Möglichkeiten steht uns offen, und doch ist unser Fortpflanzungstrieb nicht weniger stark ausgeprägt als bei euch. Unsere Meister vermehren sich, wann es ihnen möglich ist.«

»Du meinst, ihr schränkt die Bevölkerung durch gesetzliche Maßnahmen ein?« fragte Horvath.

»Im wesentlichen ja.« »Und warum habt ihr das nicht früher gesagt?« wollte Senator Fowler wissen.

»Ihr habt nicht gefragt.«

Dr. Horvath grinste jetzt erleichtert. Sally nicht weniger. Alle schienen wie erlost zu sein.

Außer …

»Ihr habt Lady Sally absichtlich irregeführt«, sagte Kaplan Hardy bedächtig. »Bitte erklärt mir, warum.«

»Dieser Vermittler hat Jocks Meister gedient«, antwortete Charlie. »Sie wird euch das besser erklären. Und bitte, entschuldigt uns, ich muss dem Botschafter sagen, was gesprochen wurde.« Charlie begann zu zwitschern und zu trillern.

»Jock, du musst sehr vorsichtig sein. Wir haben jetzt ihre Sympathie gewonnen. Sie möchten nichts lieber als uns glauben können Diese Menschen haben, wenn sie in der richtigen Stimmung sind, fast so viel Einfühlungsvermögen wie ein Vermittler, aber das kann sich in einem Augenblick ändern.«

»Ich habe zugehört«, sagte Ivan. »Tu, was du kannst, um diese Menschen zu beruhigen Wenn wir uns erst einmal ihrer Kontrolle entzogen haben, werden wir für sie alle nützlich sein, und für mächtige Gruppen von Menschen eine wirtschaftliche Notwendigkeit.«

»Sie fühlte, dass euch die Wahrheit beunruhigen würde«, antwortete Jock. »Ich weiß nicht, was eigentlich gesagt wurde. Ich wurde davon nicht informiert. Wir sprechen nicht oft über Sex und Fortpflanzung innerhalb unserer Familiengruppe und fast nie außerhalb von ihr. Das Thema ist für uns — Ihr kennt diese Emotion nicht. Sie ist ähnlich wie Verlegenheit, aber nicht dasselbe. Und dann musst ihr auch bedenken, wie sehr sich ein Vermittler mit seinem Fjunch(klick) identifiziert. Lady Sally spricht weder ungehemmt noch gerne über sexuelle Dinge, und ihre Fjunch(klick)-Schwester musste ähnlich empfinden. Sie würde auch wissen, dass die Unfruchtbarkeit der Vermittler Sally bekümmern würde, wenn sie davon erfuhr — und so war es ja auch, als wir es euch sagten. Das alles ist allerdings nur meine Vermutung, sicher weiß ich es nicht: wir haben die Angelegenheit nie für wichtig gehalten.«

»Soviel Misstrauen«, sagte Sally. »Alles nur, weil sie auf mich Rücksicht nehmen wollten. Ich bin froh, dass das jetzt aufgeklart ist.«

Das Split zuckte die Achseln. »Trotz all unserer Fähigkeiten sind Missverständnisse zwischen fremden Rassen unvermeidlich. Erinnerst du dich an die Toilettentüren?«

»Ja.« Sally konnte sich denken, was Ben Fowler jetzt sofort fragen würde. Sie sprach rasch weiter, damit er nichts sagen konnte. »Nachdem wir uns da jetzt richtig verstehen — was tun eure Meister nun wirklich, wenn sie noch keine Kinder haben wollen?« Sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg und fürchtete, wieder einmal ganz unnötigerweise rot geworden zu sein. Dr. Horvath musterte sie so komisch. Dieser lüsterne alte Kerl, dachte sie. Aber das ist natürlich ungerecht.

Die Splits unterhielten sich mit kurzem Gezwitscher. »Enthaltsamkeit ist üblich«, sagte Jock. »Wir haben aber auch chemische und hormonelle Verhütungsmethoden wie ihr.

Möchtet ihr Einzelheiten hören?«

»Mich interessiert mehr die Motivation«, sagte Senator Fowler mit Nachdruck. »Was geschieht mit Meistern oder Braunen oder sonst wem, wenn sie anfangen, alle sechs Monate Kinder zu kriegen?«

»Würdet ihr das nicht als eine Handlung bezeichnen, die das eigene Interesse vor das der Rasse setzt?« fragte Jock.

»Sicher.«

»Nun, das tun wir auch.«

»Und damit können Kriege beginnen«, Schloss Dr. Horvath. »Senator, bei allem Respekt, ich glaube, wir haben jetzt die Antworten auf alle unsere Fragen erhalten. Die Splits halten ihre Bevölkerungszahl unter Kontrolle. Wenn einzelne Individuen nicht mitmachen, gibt es Konflikte. Manchmal führen sie zu Krieg. Was ist da anders als bei den Menschen?«

Benjamin Fowler lachte. »Doktor, Sie versuchen immer wieder, mich zu ihrem Standpunkt zu bekehren, der auf ethischen Grundsätzen basiert. Sie sehen niemals meinen, für den das nicht zutrifft. Ich habe niemals behauptet, die menschliche Rasse sei den Splits überlegen — in Bezug auf Ethik, Intelligenz oder sonst etwas. Ich sage nur, dass es meine Rasse ist, und dass ich die Aufgabe habe, die menschlichen Interessen zu schützen.«

Er wandte sich wieder an die Splits. »Nachdem ihr jetzt gesehen habt, wie es bei uns zugeht«, fuhr Fowler fort, »was haltet ihr da von unserem Imperium?«

Jock gab ein glucksendes Lachen von sich. »Senator, was erwarten Sie jetzt für eine Antwort von mir? Wir sind in Ihrer Macht — wir drei gegen alle Menschen. Eure Kriegsschiffe bewachen den Narren-Punkt, der in unser System führt. Ihr könntet uns vermutlich vernichten, und ich habe im 3-D mehrere Redner gehört, die genau das fordern …«

»Niemand von Bedeutung«, protestierte Anthony Horvath. »Nur Fanatiker und Verrückte …«

»Gewiss. Aber gesagt wurde es. Was immer ich dem Senator also auf seine Frage antworte, es wird etwas sein, von dem ich glaube, dass er es hören möchte. Wie könnte es anders sein? Ich habe schließlich die Aufgabe, unsere Interessen zu schützen.«

»Gut gesagt«, zwitscherte Ivan. »Die Menschen scheinen es zu respektieren, wenn trotz gegenteiliger Interessen die Wahrheit zugegeben wird. In diesem fall hätten sie es ohnehin gewusst. Aber sei vorsichtig.«

»Vertraue meinen Fähigkeiten, Meister. Du siehst, dass die meisten beruhigt sind. Nur der Priester und der Flottenoffizier namens Renner sind nicht zufrieden. Der Vermittler des Kaisers ist jetzt unentschlossen, und als wir in diesen Raum kamen, hatte er sich gegen uns entschieden.«

Charlie: »Ich habe Angst. Wäre es nicht am besten, ihnen alles zu sagen, jetzt, da sie so viel wissen? Wie lange können wir noch die Zyklen und unser Fortpflanzungsschema geheim halten? Mein Meister wünschte, dass wir ihnen alles sagen …«

»Du wirst schweigen und Jock allein mit den Menschen sprechen lassen. Wende dich mit Fragen, die dich beunruhigen, an sie.«

»Ich werde es tun, Meister. Ich wurde angewiesen, dir zu gehorchen. Aber ich bin noch immer der Meinung, dass mein Meister recht hatte.«

»Und wenn er die Menschen falsch eingeschätzt hat?« fragte Jock. »Wenn sie uns als Bedrohung für ihre Nachkommen ansehen! Würden sie uns dann nicht jetzt alle vernichten, solange sie noch dazu imstande sind?«

»Ruhig. Sprich mit den Menschen.«

»Der Botschafter hat darauf hingewiesen, dass es ungeachtet eurer Ansichten nur in unserem Interesse liegt, eurem Imperium verbunden zu sein, da es die mächtigste Vereinigung der Menschen ist und sein Gebiet unserer Heimat am nächsten. Wir sind eingekreist von Welten des Imperiums.«

»Das stimmt«, sagte Sally. »Onkel Ben, wie lange soll das noch so weitergehen? Wir haben Vertragsentwürfe von den Wirtschaftswissenschaftlern ausarbeiten lassen.

Können wir nicht beginnen, die Einzelheiten davon zu besprechen?«

Fowler war nicht zufrieden. Die Haltung seiner Schultern, eine Linie seines gut gepolsterten Kinns verrieten es. Auch ohne die Splits gab es im Imperium genug Schwierigkeiten. Wenn man an Split-Technologien in den Händen von Unabhängigen und Aufständischen dachte — das konnte das Ende bedeuten. »Es gibt einen Vertragsentwurf«, sagte Senator Fowler zögernd. »Aber bevor wir euch den vorlegen, hätte ich noch einen anderen Vorschlag. Hättet ihr Interesse, in das Imperium einzutreten? Als Mitgliedssystem Erster Klasse, zum Beispiel? Dann würdet ihr eine autonome Regierung haben, eine Vertretung auf Sparta und Zugang zu den meisten Handelsgebieten des Imperiums.«

»Wir haben es überlegt. Es würde natürlich einige Zeit dauern, alle Einzelheiten auszuarbeiten …«

»Nein«, sagte Senator Fowler entschieden. »Das würde es nicht. Es tut mir leid, aber wir haben nicht die Absicht, erst eure Techniker das Feld erfinden und eine Kriegsflotte bauen zu lassen. Die erste Bedingung würde die sofortige Zulassung von Beobachtern des Imperiums zu jedem Punkt eures Systems sein.«

»Abrüstung. Vertrauen in eure guten Absichten«, sagte Jock. »Würden Sie solchen Bedingungen zustimmen?«

»Ich wurde nicht gefragt«, sagte Ben. »Sondern ihr.«

»Ich habe ja gesagt, dass sie dieses Angebot machen würden«, trillerte Charlie.

»Wir können nicht annehmen«, antwortete Ivan entschieden. »Wir wären hilflos.

Nehmen wir an, die Menschen meinen es ehrlich. Nehmen wir an, das Imperium würde uns nicht vernichten, wenn unsere wahre Natur bekannt wird. Dürfen wir glauben, dass auch noch viele Generationen später die Machthaber des Imperiums so denken? Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen. Das Überleben unserer Rasse muss garantiert sein!«

»Es gibt keine solche Garantie!«

»Wir müssen aus unserem System herauskommen und in den Weltraum hinaus. Wenn wir uns erst in vielen Systemen festgesetzt haben, werden die Menschen nicht mehr wagen, eines davon anzugreifen«, sagte Jock. Ihre Gesten deuteten Ungeduld an. »Du bist überzeugt, dass wir dieses Angebot nicht annehmen dürfen?« fragte Charlie.

Jock: »Wir haben das schon früher besprochen. Die Menschen würden sehr gründlich sein. Sie würden die Krieger entwaffnen wollen. Ehe sie das zulassen, würden die Meister kämpfen. Es würde Krieg geben, genau, wie die Menschen es erwarten. Sie sind keine Narren, und ihre Flottenoffiziere haben Angst vor uns. Diese Beobachter würden durch eine gewaltige Streitmacht gedeckt sein. Wenn wir nur Einwilligung vortäuschen, werden sie sich berechtigt fühlen, uns zu vernichten: denkt an das Schicksal der rebellierenden Menschenwelten. Durch dieses Angebot können wir nicht einmal Zeit gewinnen.«

»Dann antworte so, wie wir besprochen haben«, befahl Ivan.

»Der Botschafter bedauert, aber jede derartige Zustimmung würde seine Befugnisse überschreiten. Wir können für alle Splits sprechen, aber innerhalb bestimmter Grenzen; unsere gesamte Rasse in eure Hand zu geben, geht über diese Grenzen hinaus.«

»Das können Sie ihnen nicht übel nehmen«, sagte Dr. Horvath. »Seien Sie doch vernünftig, Senator.«

»Ich versuche, vernünftig zu sein, und ich habe es ihnen nicht übelgenommen. Ich habe ihnen ein Angebot gemacht, das ist alles.« Er wandte sich wieder an die Fremden. »Es sind auch schon Planeten gegen ihren Willen ins Imperium aufgenommen worden. Sie erhalten nicht annähernd die Privilegien zugebilligt, die ich euch angeboten habe.«

Jock zuckte die Achseln. »Ich kann nicht sagen, was die Meister tun würden, wenn ihr versucht, unser System zu erobern. Ich vermute, dass sie kämpfen würden.«

»Ihr würdet verlieren«, sagte Senator Fowler ruhig.

»Das wäre traurig.«

»Und euch zu besiegen würde einen so großen Teil unserer Kräfte beanspruchen, dass wir diesen Sektor praktisch verlieren würden. Würde die Einigungsbestrebungen vielleicht um ein Jahrhundert zurückwerfen. Eroberungen sind teuer.« Senator Fowler fügte nicht hinzu, dass die Sterilisation von Planeten das nicht war, aber der Gedanke hing unausgesprochen im Raum.

»Können wir vielleicht ein Gegenangebot machen?« sagte Jock. »Erlaubt uns, auf unbewohnbaren Welten Produktionszentren einzurichten. Wir würden sie für euch terraformen: für jede Welt, die ihr uns gebt, würden wir eine andere terraformen. Was die ökonomischen Auswirkungen betrifft, so könntet ihr Gesellschaften gründen, die für den Handel mit uns das alleinige Monopol besitzen. Ein Teil der Aktien könnte frei verkauft werden. Der Rest könnte zur Entschädigung jener Firmen und Arbeiter hinterlegt werden, die durch unsere Konkurrenz betroffen sind. Ich glaube, damit würden die Nachteile, die sich aus der Einführung unserer neuen Technologien ergeben, minimal sein, ohne dass ihr auf die Vorteile verzichten musstet.«

»Brillant«, rief Horvath aus. »Genau das, was meine Leute gerade ausarbeiten. Ihr würdet dem also zustimmen? Kein Handel, außer mit lizenzierten Gesellschaften und der Regierung des Imperiums?«

»Gewiss. Wir würden auch das Imperium für den Schutz unserer Kolonieweiten bezahlen — wir haben nicht den Wunsch, in eurem Gebiet des Weltraums eine Kriegsflotte zu halten. Ihr könntet die Werften der Kolonien inspizieren, um sicherzugehen.«

»Und die Heimatwelt?« fragte Fowler.

»Der Kontakt zwischen Splitter Alpha und dem Imperium wäre wahrscheinlich minimal.

Eure Vertreter waren uns willkommen, aber wir würden nicht gerne eure Kriegsschiffe in der Nahe unserer Heimat sehen — ich kann euch ja jetzt sagen, dass uns schon dieses eine Schlachtschiff in der Umlaufbahn um unseren Planeten sehr beunruhigt hat. Es war klar, dass es Waffen besaß, die Splitter Alpha praktisch unbewohnbar hätten machen können. Wir haben uns gefugt, haben euch sogar noch näher herangelassen, gerade um euch zu beweisen, dass wir wenig zu verbergen haben. Wir sind keine Gefahr für euer Imperium, Mylords. Ihr seid für uns eine Bedrohung, wie ihr sehr wohl wisst. Trotzdem glaube ich, dass wir zu einer Einigung gelangen können, die für beide Seiten Vorteile — und Sicherheit — bringt, ohne dass das Vertrauen der einen Rasse in den guten Willen der anderen zu sehr beansprucht würde.«

»Und ihr würdet einen Planeten für uns terraformen, für jeden, den ihr übernehmt?« fragte Horvath. Er dachte an die Vorteile: einfach unbezahlbar. Die wenigsten Sonnensysteme wiesen mehr als eine bewohnbare Welt auf. Der interstellare Handel war verglichen mit interplanetaren Flügen furchtbar teuer, aber Terraformung kam noch viel teurer.

»Ist das nicht genug?« fragte Jock. »Ihr seid euch doch wohl über unsere Lage im klaren. Wir besitzen jetzt nur einen Planeten, einige Asteroiden und einen Gasriesen, den bewohnbar zu machen selbst unsere Fähigkeiten übersteigt. Nur das zu verdoppeln, was wir jetzt haben, würde gewaltige Investitionen rechtfertigen. Ich sage das, weil es offensichtlich ist, obwohl ich gelernt habe, dass es bei euch nicht üblich ist, in Handelsgesprächen seine schwächere Position zuzugeben. Eure unbewohnbaren Planeten in brauchbaren Umlaufbahnen können andererseits für euch nicht von großem Wert sein, sonst hättet ihr sie selbst terrageformt. Ihr bekommt also sozusagen etwas für nichts, während wir für einen großen Aufwand sehr viel bekommen. Wie sagt ihr … eine Hand wäscht die andere?« Das Split schaute etwas betroffen seine drei Hände an.

Die Menschen sahen ebenfalls hin und einige lachten. Welches war die andere Hand bei einem Split? »Das wäre doch ein gerechter Handel, oder?«

»Für die Flotte war’s sehr von Vorteil«, sagte Rod. »Die Splits würden praktisch für eine neue Flotte zahlen …«

»Moment mal«, sagte Senator Fowler. »Wir feilschen schon um den Preis, obwohl wir noch nichts entschieden haben.«

Jock zuckte die Achseln. »Wir haben euch ein Angebot gemacht, das ist alles.« Sie ahmte Stimme und Gebärden des Senators so treffend nach, dass alles in Gelachter ausbrach. Ben Fowler runzelte einen Augenblick die Stirn, dann lachte er mit.

»Nun«, sagte Fowler. »Ich weiß zwar nicht recht, was wir bis jetzt erreicht haben, aber ich weiß genau, dass ich langsam hungrig werde. Kelley, bringen sie unseren Gästen von dieser Schokolade und läuten Sie nach dem Abendessen. Wir können unsere Diskussion dann mit gefülltem Magen fortsetzen.«

54 Heraus aus der Flasche

»Es ist sehr knapp«, berichtete Jock. »Der Senator ist beinahe einverstanden. Sally ist es längst.«

»Und Blaine?« erkundigte sich Ivan.

»Er wird tun, was der Senator wünscht, obwohl er lieber Sally zustimmen würde. Er mag uns, und er sieht einen Vorteil für die flotte. Es ist schade, dass sein Fjunch(klick) den Verstand verloren hat. Sie wäre uns hier sehr nützlich gewesen.«

»Kann es funktionieren?« fragte Charlie. »Jock, wie kann es funktionieren? Bevor die neuen Kolonien noch bestehen, wird das Imperium uns so kennenlernen, wie wir sind.

Die Menschen werden unser System besuchen und alles erfahren. Und dann?«

»Sie werden es nie erfahren«, sagte Jock. »Ihre eigene Flotte wird es verhindern.

Unbewaffnete Schiffe werden uns besuchen, aber Kriegsschiffe werden sie keine mehr aufs Spiel setzen. Können wir nicht ein paar Schiffe voll Menschen täuschen? Sie werden nie unsere Sprache sprechen. Wir werden Zeit haben, uns auf sie vorzubereiten. Wir werden sie niemals Krieger sehen lassen. Wie sollen sie da etwas erfahren? Inzwischen aber werden die Kolonien entstanden sein Die Menschen haben keine Ahnung, wie rasch wir neue Kolonien schaffen können und wie rasch die dann Schiffe bauen können. Damit werden wir in einer viel besseren Verhandlungsposition sein und Kontakt zu vielen Menschen haben. Wir können ihnen alles bieten, was sie nur wollen. Wir werden Verbündete gewinnen und uns so weit ausbreiten, dass nicht einmal das Imperium uns noch vernichten könnte. Wenn sie nicht sicher sind, dass sie es auch fertig bringen, werden sie es gar nicht versuchen. Die Menschen denken nun einmal so.«

Der Infanteriesoldat brachte ihnen das Getränk, das die Menschen Schokolade nannten, und sie tranken mit Genuss. Menschen wie Splits konnten pflanzliche und tierische Nahrung verwerten, aber die von den Menschen bevorzugten Geschmacksrichtungen waren für die Splits im allgemeinen ohne jedes Aroma. Schokolade dagegen war ausgezeichnet, und mit ein paar zusätzlichen Kohlenwasserstoffen, die den Geschmack des heimatlichen Wassers heraufbeschworen, war sie einfach unvergleichlich.

»Welche anderen Möglichkeiten bleiben uns denn!« wollte Jock wissen. »Was würden sie tun, wenn wir ihnen alles erzählten? Würden sie nicht ihre flotte ausschicken und uns alle vernichten, um ihren Nachkommen eine Bedrohung durch uns zu ersparen!«

»Ich billige dieses Abkommen«, sagte Ivan. »Dein Meister wird es auch tun.«

»Vielleicht«, sagte Charlie. Sie überlegte, eine Haltung einnehmend, die die Welt um sie herum ausschloss. Jetzt war sie der Meister — »Ich kann zustimmen«, sagte sie. »Es ist günstiger, als ich gehofft hatte. Aber die Gefahren’«

»Seit die Menschen in das System Splitter kamen, hat es Gefahren für uns gegeben«, sagte Jock. »Jetzt aber sind sie geringer geworden.« Ivan beobachtete sie genau. Die Vermittler waren aufgeregt. Die Anspannung war fast zuviel für sie geworden, und trotz ihrer äußeren Beherrschung näherten sie sich der gefährlichen Grenze. Es gehörte nicht zu seinem Wesen, etwas zu wünschen, was nicht sein konnte, aber er hoffte doch, dass die Versuche, psychisch weniger labile Vermittler zu züchten, Erfolg haben würden. Es war schwierig, mit Geschöpfen zu arbeiten, die plötzlich in eine ganz irreale Betrachtungsweise des Universums verfallen konnten und ihre Beschlüsse danach richteten. Der Verlauf war immer derselbe. Erst wünschten sie das Unmögliche. Dann arbeiteten sie darauf hin, obwohl sie noch wussten, dass es unmöglich war. Schließlich handelten sie so, als ob das Unmögliche möglich wäre, und ließen ihr gesamtes Verhalten dadurch bestimmen. Bei Vermittlern geschah das häufiger als in irgendeiner anderen Kaste, aber auch bei Meistern trat das Syndrom auf.

Diese Vermittler waren nahe der Grenze, aber sie würden es schaffen. Die Rasse würde überleben. Sie musste um jeden Preis bewahrt werden.


»Tausend Kronen für deine Gedanken«, sagte Sally. Ihre Augen blitzten vor Erleichterung und Glück.

Rod wandte sich vom Fenster um und lächelte ihr zu. Der Raum war groß, und die anderen hatten sich um die Bar versammelt, mit Ausnahme Hardys, der in der Nähe der Splits saß und ihrem Geschnatter zuhörte, als ob er hier und da ein Wort verstünde.

Rod und Sally waren so gut wie allein. »Du bist sehr großzügig«, sagte er.

»Ich kann’s mir leisten. Ich zahle gleich nach der Hochzeit …« »Mit dem Einkommen von Crucis Court. Aber noch hab ich’s nicht, also spekuliere nicht darauf, meinen Vater so schnell unter die Erde zu bringen,. Wir werden vielleicht noch jahrelang von seiner Großzügigkeit zehren.«

»Woran hast du gedacht? Du siehst so ernst drein.« »Wie ich in dies« er Sache abstimmen würde, wenn der Senator nicht dafür ist.«

Sie nickte ernst. »Das dachte ich mir …« »Ich könnte dich deswegen verlieren, oder nicht?« »Ich weiß es nicht, Rod. Ich glaube, es würde davon abhängen, warum du ihr Angebot ablehnst. Und welchem Vorschlag du statt dessen zustimmst. Aber du wirst es nicht ablehnen, oder? Was ist denn schlecht an ihrem Vorschlag?«

Rod starrte das Glas in seiner Hand an. Es enthielt irgendein alkoholfreies Gesöff, das Kelley besorgt hatte — die Konferenz war zu wichtig für Scotch. Nichts ist schlecht daran — vielleicht. Es ist das Vielleicht, das mir Sorgen macht, Sally. Schau hier hinaus.« Erzeigte in die Straßen Neuschottlands.

Zu dieser Stunde waren nur wenige Menschen unterwegs. Theaterbesucher, Restaurantgaste. Touristen, die den Palast am Abend sehen wollten. Raumschiffer mit ihren Mädchen. Covenanter Wachposten mit Kilts und Bärenfellmützen, die steif vor ihren Schilderhäuschen standen. »Wenn wir falsch entscheiden, sind ihre Kinder tot.«

»Wenn wir falsch entscheiden, muss es die Flotte ausbaden«, sagte Sally langsam.

»Rod, was ist, wenn die Splits aus ihrem System herauskommen und in zwanzig Jahren ein Dutzend Planeten besiedelt haben — und Schiffe bauen, und das Imperium bedrohen? Die Flotte kann immer noch mit ihnen fertig werden … es wird nicht nötig sein, doch schaffen würden wir es.«

»Bist du sicher? Ich nicht. Ich bin nicht einmal sicher, ob wir sie heute besiegen könnten.

Sie auslöschen ja, aber sie schlagen? Und in zwanzig Jahren? Was würde der Preis sein? Neuschottland bestimmt. Es liegt ihnen im Wege. Welche Welten würden noch fallen?«

»Was bleibt uns denn sonst übrig?« fragte sie. »Ich — Rod, ich mache mir auch Sorgen um unsere Kinder. Aber was können wir tun? Ihr könnt nicht den Splits den Krieg erklären, weil sie vielleicht einmal eine Bedrohung für uns werden könnten!«

»Nein, natürlich nicht. Da kommt unser Essen. Es tut mir leid, dass ich dir die Stimmung verdorben habe.« Aber noch bevor das Dinner zu Ende war, lachten alle. Die Splits gaben Imitationen der bekanntesten 3-D-Persönlichkeiten Neuschottlands zum besten.

Binnen Minuten hatten sie es geschafft, dass die Menschen um den Tisch hilflos um Luft rangen.

»Wie macht ihr das nur?« fragte David Hardy zwischen Ausbrüchen von Gelächter.

»Wir haben euren Humor studiert«, antwortete Charlie. »Bestimmte Züge übertreiben wir ein klein wenig. Die Gesamtwirkung sollte komisch sein, wenn unsere Theorie stimmte. Offenbar tut sie das.«

»Ihr könntet ein Vermögen in der Unterhaltungsbranche machen, ganz egal, was ihr sonst noch anzubieten habt«, sagte Horvath.

»Das zumindest hatte kaum eine Auswirkung auf eure Wirtschaft. Wir werden jedoch eure Hilfe bei der Planung bezüglich der Freigabe unserer Technologien benötigen …«

Horvath nickte, jetzt wieder ernst. »Ich freue mich, dass euch das Problem bewusst ist.

Wenn wir einfach alles, was ihr habt, auf den Markt werfen, gäbe es ein Chaos …«

»Glauben Sie uns, Doktor, wir haben nicht den Wunsch, Ihnen Schwierigkeiten zu machen! Wenn Sie uns als eine Chance sehen, dann bedenken Sie doch einmal, wie wir die Menschheit sehen müssen! Nach unzähligen Jahrhunderten endlich aus dem eigenen System herauszukommen! Unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen.«

»Wie alt seid ihr eigentlich?« fragte David Hardy unvermittelt.

Das Split zuckte die Achseln. »Wir besitzen Bruchstücke von Aufzeichnungen, die von Zeiten vor hunderttausend Jahren berichten, Dr. Hardy. Die Asteroiden waren damals bereits, wo sie heute sind. Andere sind vielleicht noch älter, aber wir können sie nicht mehr entziffern. Unsere wirkliche Geschichte setzt vielleicht vor zehntausend Jahren ein.«

»Und ihr habt seit damals Zusammenbrüche der Zivilisation erlebt?« fragte Hardy.

»Gewiss. Als Gefangene eines einzigen Systems! Wie wäre etwas anderes möglich?«

»Habt ihr Aufzeichnungen von dem Asteroidenkrieg?« fragte Renner.

Jock verzog das Gesicht. Es war für menschliche Mimik eigentlich nicht gebaut, doch die Miene drückte deutlich Abscheu aus. »Nur Legenden. Wir haben — nun diese Sagen sind euren Liedern oder Epen ähnlich. Mit linguistischen Mitteln zur besseren Merkbarkeit gestaltet. Ich glaube nicht, dass sie zu übersetzen sind, aber …« Das Split schwieg einen Augenblick lang. Es schien in der Haltung erstarrt zu sein, die es zu Beginn des Nachdenkens gerade eingenommen hatte. Dann sprach es:

»Es ist kalt. Die Nahrung ist zu Ende,

und die Dämonen streifen durchs Land.

Unsre Schwester sterben, die Gewässer kochen,

denn die Dämonen stürzen die Himmel herab.«

Das Split stockte bedrückt. »Ich fürchte, das ist nicht besonders gut, aber mehr kann ich nicht tun.«

»Es ist gut genug«, sagte Hardy. »Wir haben auch solche Dichtungen. Geschichten von untergegangenen Zivilisationen, von Katastrophen in der Frühgeschichte. Wir können die meisten auf einen schweren Vulkanausbruch vor etwa viereinhalbtausend Jahren zurückführen. Im übrigen scheinen die Menschen damals auch auf den Gedanken gekommen zu sein, dass Gott in ihre Angelegenheiten eingreifen könnte. Direkt, nicht nur durch die Erschaffung von Jahreszeiten und Klimazonen und so weiter.«

»Eine interessante Theorie — aber widerspricht das nicht euren religiösen Anschauungen?«

»Nein, warum sollte es das? Kann Gott nicht genauso leicht irgendein Naturereignis verursachen, wie die Naturgesetze umstoßen, um etwas Bestimmtes zu erreichen?

Wirklich, was ist das größere Wunder — eine Flutwelle genau dann, wenn sie erforderlich ist, oder ein einmaliges, übernatürliches Ereignis? Aber ich glaube nicht, dass ihr Zeit habt, jetzt mit mir über Theologie zu diskutieren. Wie ich sehe, scheint Senator Fowler mit dem Essen fertig zu sein. Wenn ihr mich ein paar Minuten entschuldigt, ich glaube, wir können dann bald weitermachen …«

Ben Fowler winkte Rod und Sally in ein kleines Büro neben dem Konferenzraum.

»Nun?« erkundigte er sich.

»Ich hab’ meine Ansicht schon zu Protokoll gegeben«, sagte Sally.

»Hmja. Rod?«

»Wir müssen etwas tun, Senator. Sonst werden sie uns so zusetzen, dass wir die Kontrolle verlieren.«

»Hmja«, sagte Ben nochmals. »Verdammt, ich hab’ einen Drink nötig. Rod?«

»Danke, ich nicht.«

»Also, wenn ich nach einem ordentlichen Schluck Scotch nicht mehr gerade denken kann, dann wäre das Imperium bereits zusammengebrochen.« Er kramte im Schreibtisch herum, bis er eine Flasche fand, zog angesichts der Marke eine Grimasse und schenkte sich eine ordentliche Dosis in eine benützte Kaffeetasse ein. »Etwas macht mir Kopfzerbrechen. Warum rührt sich die ITA nicht mehr? Ich hatte erwartet, dass sie uns am meisten Schwierigkeiten machen würde, aber die Leute verhalten sich abwartend. Na, danken wir Gott für diesen kleinen Lichtblick.« Er kippte die halbe Tasse hinunter und seufzte.

»Was kann es schaden, wenn wir jetzt zustimmen?« fragte Sally. »Wir können immer noch unsere Meinung ändern, wenn wir etwas Neues erfahren.«

»Verdammt, nein, Mädchen«, sagte Ben. »Sobald irgend etwas Definitives im Gange ist, werden die gerissenen Burschen herauskriegen, wie sie dabei verdienen können. Und wenn sie einmal Geld investiert haben — ich hätte gedacht, dass du ein bisschen mehr über die Grundlagen der Politik gelernt hast. Was bringen sie euch nur heutzutage auf den Universitäten bei? Rod, ich warte immer noch darauf, dass Sie was von sich geben.«

Rod strich sich über die gebrochene Stelle seiner Nase. »Ben, wir können die Öffentlichkeit nicht mehr länger hinhalten. Die Splits müssen das wissen — sie könnten vielleicht sogar ihr Angebot heruntersetzen, wenn sie merken, wie sehr wir im Druck sind. Ich würde sagen, stimmen wir zu.«

»Würden Sie sagen, hm. Na, zumindest Ihre Frau machen Sie damit glücklich.«

»Er tut das nicht für mich!« rief Sally empört. »Hör auf, ihn zu verspotten.«

»Hm.« Der Senator kratzte sich kurz die Glatze. Dann leerte er seine Tasse und stellte sie weg. »Wir müssen noch ein oder zwei Sachen überprüfen. Wahrscheinlich ohnehin alles in Ordnung. Wenn ja, nun — ich glaube, dann kriegen die Splits, was sie wollen.

Gehen wir hinein.«


Jock mimte Freude und Aufregung. »Sie sind bereit zuzustimmen! Wir sind gerettet!«

Ivan musterte den Vermittler kalt. »Du wirst dich beherrschen. Es ist noch viel zu tun.«

»Ich weiß Aber wir sind gerettet Charlie, ist es nicht so?«

Charlie studierte die Menschen. Die Gesichter, die Haltungen — »Ja. Aber der Senator ist immer noch nicht ganz überzeugt, und Blaine hat Angst, und — Jock, sieh dir Renner an!«

»Du bist so gleichgültig! Kannst du dich nicht mit mir freuen? Wir sind gerettet!«

»Sieh dir Renner an!«

»Ja … ich kenne diesen Ausdruck. So sieht er beim Pokerspielen aus, wenn er eine unerwartete Karte aufdeckt. Er wird uns nicht helfen. Aber er hat doch keine Macht, Charlie! Ein Weltraumvagabund ohne Verantwortungsgefühl!«

»Vielleicht. Doch wir — wir jonglieren mit unbezahlbaren Eiern bei wechselnder Schwere. Ich habe Angst. Ich werde furcht schmecken, solange ich lebe.«

55 Renners Trumpfkarte

Senator Fowler setzte sich schwerfällig und warf einen Blick in die Runde. Das reichte aus, um das Geplauder verstummen zu lassen, und ihm die Aufmerksamkeit aller zu verschaffen. »Ich glaube, wir wissen jetzt alle, was wir wollen«, sagte er. »Jetzt kommt die Feilscherei um den Preis. Aber legen wir zuerst einmal die Grundsätze fest, ja? Als erstes und wichtigstes: Ihr stimmt zu, eure Kolonien nicht zu bewaffnen und uns überprüfen zu lassen, dass sie nicht bewaffnet sind?«

»Ja«, sagte Jock entschieden. Sie zwitscherte dem Meister etwas zu. »Der Botschafter ist einverstanden. Vorausgesetzt, das Imperium übernimmt für einen gewissen Preis den Schutz unserer Kolonien gegen eure Feinde.«

»Dafür werden wir ganz sicher sorgen. Nächster Punkt. Ihr seid einverstanden, den Handel auf die vom Imperium lizenzierten Gesellschaften zu beschränken?«

»Ja.«

»Also, das waren die Hauptpunkte«, stellte Fowler fest. »Wir können jetzt zu den Einzelheiten übergehen. Wer fängt an?«

»Darf ich fragen, welche Art von Kolonien sie schaffen wollen?« meldete sich Renner.

»Was? Natürlich.«

»Danke. Wollt ihr Vertreter aller eurer Kasten mitbringen?«

»Ja …« Jock zögerte. »Alle, die bei den vorherrschenden Bedingungen wichtig sind, Mr.

Renner. Wir werden kaum Landarbeiter auf einen nicht terrageformten Felsbrocken holen, bevor die Techniker eine Kuppel gebaut haben.«

»Klar. Nun, ich hab’ mich nur gefragt — wegen folgender Sache.« Er hantierte an seinem Taschencomputer herum, und die Bildschirme leuchteten auf. Sie zeigten eine seltsam verzerrte Sonne Cal, einen grellen Lichtblitz, dann Dunkelheit. »Au — falsche Stelle erwischt. Das war, als die Sonde auf Kapitän Blaines Schiff feuerte.«

»Ah?« sagte Jock. Sie zwitscherte mit den anderen, die ebenso antworteten. »Wir haben uns schon gefragt, was aus der Sonde geworden ist. Offen gesagt, wir glaubten, ihr hattet sie zerstört, und wollten deshalb nicht fragen …«

»Ist nicht weit gefehlt«, sagte Renner. Bilder zuckten über den Schirm. Das Lichtsegel begann sich zu wellen. »Das ist kurz bevor sie auf uns schössen.«

»Aber die Sonde kann nicht auf euch geschossen haben«, protestierte Jock.

»Sie hat aber. Man hielt uns wohl für einen Meteoriten, nehme ich an«, antwortete Rod.

»Jedenfalls …«

Schwarze Silhouetten bewegten sich über den Schirm. Das Lichtsegel wellte sich, blitzte auf, und die Umrisse waren verschwunden. Renner ließ den Film zurücklaufen, bis die Gestalten sich deutlich gegen das Licht abhoben, und hielt ihn dann an.

»Ich muss euch warnen«, sagte Jock. »Wir wissen sehr wenig über diese Sonde. Das gehört nicht zu unserer Aufgabe, und wir hatten keine Zeit, die Aufzeichnungen zu studieren, bevor wir Splitter Alpha verließen.«

Senator Fowler zog die Brauen zusammen. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Mr.

Renner?«

»Also, Sir, ich hab’ mir wegen dieser Bilder den Kopf zerbrochen.« Renner nahm einen Lichtzeiger aus einem Fach im Tisch. »Das sind doch verschiedene Split-Kasten, nicht?«

Jock wirkte unsicher. »Es scheint so.«

»Natürlich sind sie das. Das ist ein Braunes, oder? Und ein Arzt.«

»Richtig.« Der Lichtpfeil bewegte sich über das Bild, »Läufer«, sagte Jock. »Und ein Meister …«

»Da ist ein Bastler.« Rod knurrte es fast. Er konnte seine Abscheu nicht verbergen.

»Das nächste sieht aus wie ein Landarbeiter. Kaum von einem Braunen zu unterscheiden, aber …« Seine Stimme wurde plötzlich sehr unsicher. »Renner, dieses nächste da kann ich nicht identifizieren.«

Niemand sagte etwas. Der Lichtpfeil schwebte über einem verzerrten Schatten, länger und hagerer als ein Braunes, mit etwas wie Dornen an Knien, Fersen und Ellbogen.

»Die Sorte haben wir noch einmal gesehen«, sagte Renner. Seine Stimme klang jetzt tonlos und mechanisch. Er wirkte wie ein Mann, der um einer Wette willen nachts über einen Friedhof geht. Oder ein Soldat, der den anderen voran in feindliches Gebiet vordringt. Kalt, entschlossen, sehr beherrscht. Gar nicht so, wie man Renner kannte.

Der Bildschirm teilte sich und zeigte auf der anderen Hälfte die Zeitmaschinenplastik aus dem Museum in der Schloss-Stadt. Das Ding, das wie ein Kunstwerk aus elektronischem Schrott wirkte, war umringt von Wesen, die Waffen trugen.

Beim ersten Anblick von Ivan hatte Rod den starken Drang verspürt, den seidigen Pelz des Botschafters zu streicheln. Der Impuls, den er jetzt fühlte, war nicht weniger heftig: Er wollte die Karate-Verteidigungsposition entnehmen, vorzugsweise mit einer Waffe in jeder Hand. Diese Skulpturen waren erschreckend in jeder Einzelheit. Überall hatten sie dolchartige Dornen, schienen hart wie Stahl zu sein und standen da wie gespannte Federn. Selbst ein Infanteriekommando-Ausbilder hatte nach einer Begegnung mit einem solchen Wesen ausgeschaut, als wäre er in einen Rasenmäher geraten. Und was war das für ein Ding unter dem kräftigen rechten Arm, etwas wie ein breites Schwert?

»Ah«, sagte Jock, »ein Dämon. Ich nehme an, das müssen Puppen gewesen sein, die unsere Rassen darstellen sollten. Wie die Statuetten, damit der Vermittler es leichter hätte, von uns zu erzählen.«

»Die alle?« Rods Stimme verriet krasse Verwunderung. »Eine Schiffsladung voll lebensgroße Modelle?«

»Wir wissen nicht, ob sie lebensgroß waren, oder?« fragte Jock.

»Schön. Nehmen wir an, es waren Modelle«, sagte Renner. Er verfolgte seinen Weg jetzt unbarmherzig. »Dann sind es immer noch Modelle von existierenden Split-Kasten.

Mit Ausnahme dieses einen. Warum sollte so etwas in der Modellsammlung dabei sein?

Warum sollte eine Dämonenfigur mitgenommen werden?«

Er erhielt keine Antwort.

»Danke, Kevin«, sagte Rod langsam. Er wagte nicht, Sally anzusehen. »Jock, ist das eine Split-Kaste oder nicht?«

»Da gibt’s noch was, Kapitän«, sagte Renner. »Schauen Sie sich mal den Landarbeiter genau an. Wir wissen ja jetzt, wonach wir Ausschau halten müssen.«

Das Bild war nicht sehr deutlich, eigentlich nur ein verschwommener Umriss, aber da das Wesen im Profil festgehalten war, war die Schwellung deutlich zu erkennen.

»Sie ist schwanger«, rief Sally. »Warum ist mir das nicht aufgefallen? Eine schwangere Modellfigur? Aber — Jock, was hat das zu bedeuten?«

»Ja, genau das möchte ich auch wissen«, sagte Rod kalt.

Aber Jock beachtete sie gar nicht.

»Halt! Sag nichts mehr!« befahl Ivan.

»Was sollte ich sagen?« jammerte Jock. »Diese Idioten haben einen Krieger mitgenommen! Wir sind erledigt, erledigt, und noch vor wenigen Augenblicken schien uns das Universum offenzustehen1« Die kräftige Linke des Splits Schloss sich erbittert um nichts.

»Ruhe. Beherrsche dich. So. Charlie, berichte mir, was du von der Sonde weißt. Wie war sie gebaut?«

Charlies Gesten druckten Verachtung aus, gemischt mit Respekt. »Das ist offensichtlich Ihre Erbauer wussten, dass eine fremde Rasse das System dieses Sterns bewohnte Mehr wussten sie nicht. Sie müssen also angenommen haben, dass diese Rasse der unseren ähnlich war, vielleicht nicht in Äußerlichkeiten, aber bestimmt in den wesentlichen Zügen«

»Zyklen. Sie müssen mit Zyklen gerechnet haben«, überlegte Ivan. »Wir mussten erst lernen, dass nicht alle Rassen zu Zyklen verdammt sind.«

»Genau«, sagte Charlie. »Diese hypothetische Spezies hatte bis zur Entwicklung von Intelligenz überlebt Sie konnte ihre Vermehrung nicht mehr unter Kontrolle haben als wir, da eine solche Kontrolle kein positiver Überlebensfaktor wäre. Deshalb wurde die Sonde in der Annahme gestartet, dass die Wesen dieses Sterns gerade einen Zusammenbruch durchmachten, wenn die Sonde ankam«

»So.« Ivan überlegte einen Moment. »Diese Großen Narren haben also schwangere Weibchen jeder Kaste mitgenommen. Idioten!«

»Du musst ihnen zugute halten, dass sie ihr Bestes getan haben«, sagte Charlie. »Die Sonde war offenbar mit einem Mechanismus versehen, der die Insassen in dem Augenblick in die Sonne schleuderte, da sie Kontakt mit einer raumfahrenden Zivilisation bekam. Wenn die hypothetischen fremden so fortgeschritten waren, würden sie nur einen Vermittler mit einem friedlichen Auftrag vorfinden, und keine Spur von dem Versuch, ihren Planeten mit dem Lichtsegel als Waffe zu erobern« Charlie schwieg für einen Augenblick nachdenklich. »Einen zufällig umgekommenen Vermittler. Die Sonde muss darauf eingerichtet gewesen sein, ihn zu töten, damit die fremden so wenig wie möglich über uns erfuhren. Du bist ein Meister: hattest du es nicht so gemacht?«

»Bin ich ein Großer Narr, dass ich die Sonde überhaupt losgeschickt hätte? Jedenfalls hat dieser Trick nicht funktioniert. Jetzt müssen wir es diesen Menschen irgendwie erklären.«

»Ich bin dafür, dass wir ihnen alles sagen«, stellte Charlie fest. »Was können wir sonst tun? Wir sind in unseren eigenen Lügen gefangen.«

»Warte«, befahl Ivan. Nur wenige Sekunden waren verstrichen, aber Jock hatte sich wieder beruhigt. Die Menschen starrten sie neugierig an. »Wir müssen etwas Bedeutsames sagen. Hardy weiß, dass wir aufgeregt sind, nicht?«

»Ja«, antwortete Charlie mit einer Geste.

»Welche Feststellung hätte uns so erregen können!«

»Vertraue mir«, sagte Jock rasch. »Vielleicht weiß ich eine Rettung.«

»Dämonenanbeter! Wir haben euch erzählt, dass unsere Rasse keine Feinde hat, und das stimmt; es gibt jedoch eine religiöse Sekte, eine geheime, welche die Zeitdämonen als Götter ansieht. Diese Personen sind böse und gefährlich. Sie müssen die Sonde in ihre Gewalt bekommen haben, bevor sie den Asteroidengürtel verließ. Heimlich haben sie vielleicht …«

»Dann waren die Insassen der Sonde am Leben?« fragte Rod.

Charlie zuckte die Achseln. »Ich nehme es an. Sie haben wohl Selbstmord begangen.

Wer kann wissen, weshalb7 Vielleicht dachten sie, wir hätten einen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb entwickelt und wollten sie jetzt abfangen. Was habt ihr getan, als ihr der Sonde näher kamt?«

»Botschaften in den meisten menschlichen Sprachen ausgesendet«, antwortete Rod.

»Bist du sicher, dass sie noch am Leben waren?«

»Wie sollen wir das wissen?« fragte Jock. »Macht euch keine Vorwürfe wegen denen.«

Ihre Stimme war voll Verachtung. »Sie waren keine richtigen Vertreter unserer Rasse. Zu ihren Ritualen gehört die Opferung von intelligenten Kasten.«

»Wie viele von diesen Dämonenanbetern gibt es eigentlich?« fragte Hardy. »Man hat mir nie von ihnen erzählt.« »Wir sind nicht stolz auf sie«, antwortete Jock. »Habt ihr uns von den Rebellen erzählt? Oder von den Exzessen des sauronischen Systems? Ist es euch angenehm, dass wir wissen, dass Menschen zu solchen Dingen fähig sind?«

Verlegenes Gemurmel entstand.

»Verdammt«, sagte Rod leise. »Sie waren noch am Leben — nach dieser Strecke.« Der Gedanke war bitter für ihn.

»Ihr seid bekümmert«, sagte Jock. »Aber wir sind froh, dass ihr nicht mit jenen gesprochen habt, bevor ihr uns getroffen habt. Eure Expedition hätte dann mit Sicherheit einen ganz anderen Charakter gehabt …«

Sie verstummte und beobachtete neugierig, wie Dr. Sigmund Horowitz von seinem Platz aufstand und sich nahe zum Schirm beugte, um das Zeitmaschinenbild genau zu studieren. Er hantierte an der Bildschirmsteuerung herum, bis eine der Dämonenfiguren vergrößert erschien. Die Silhouette aus der Sonde verblasste, so dass die eine Schirmhälfte leer wurde. Dann aber leuchtete ein anderes Bild auf, und die Gestalt wuchs und wuchs — ein scharfzahniges, rattengesichtiges Wesen, das auf einem Schutthaufen kauerte.

»Aha!« rief Horowitz befriedigt. »Ich hatte mich gefragt, wer die Vorfahren dieser Rattenwesen sein könnten! Sie sind degenerierte Formen davon …« Er wandte sich an die Splits. Sein Verhalten drückte nichts als Neugierde aus, so als hatte er das vorangegangene Gespräch gar nicht mitbekommen. »Wofür setzt ihr diese Kaste ein?« fragte er. »Sind doch Soldaten, oder? Müssen es sein. Wozu wären sie sonst gut?«

»Nein. Es sind nur Mythengestalten.«

»Quatsch! Dämonen mit Waffen? Pater Hardy, können Sie sich Teufel mit Strahlergewehren vorstellen?« Horowitz beschäftigte sich wieder mit den Steuertasten, und die Gestalt aus der Sonde erschien nochmals. »Bei Abrahams Bart! Das ist keine Statue. Raus damit, das ist eine Split-Unterart. Warum versteckt ihr sie? Faszinierend — ich habe noch nie ein Wesen gesehen, das so sehr geeignet für …« Seine Stimme verlor sich in aufgeregtem Gemurmel.

»Eine Kriegerkaste«, sagte Ben Fowler langsam. »Es wundert mich nicht, dass ihr sie vor uns versteckt habt. Dr. Horowitz, würden Sie annehmen, dass dieses — Wesen — genauso fruchtbar ist, wie die anderen Splits es sein können?« »Warum nicht?«

»Aber ich sage euch doch, diese Dämonen sind Sagengestalten«, protestierte Jock.

»Das Gedicht. Dr. Hardy, Sie erinnern sich an das Gedicht? Das sind die Wesen, die die Himmel herabstürzen ließen …«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte Hardy. »Aber ich bezweifle sehr, dass sie ausgestorben sind. Ihr haltet ihre wilden Abkömmlinge in Zoos. Anthony, ich möchte Ihnen eine hypothetische Frage vorlegen: Wenn die Splits eine sehr fruchtbare, auf Kriegführung spezialisierte Kaste haben; wenn ihre Meister ihre Unabhängigkeit wie terranische Löwen zu verteidigen bereit sind; wenn sie zahlreiche katastrophale Kriege gehabt haben; und wenn sie hoffnungslos in einem einzigen Planetensystem eingeschlossen sind: Wie sieht dann die wahrscheinlichste Projektion ihrer Geschichte aus?«

Horvath schauderte. Auch die anderen überlief es kalt. »Wie — wie auf der Mac Arthur«, antwortete Horvath traurig. »Die Zusammenarbeit zwischen den Meistern muss enden, wenn der Bevölkerungsdruck zu groß wird — wenn das wirklich eine existierende Kaste ist, David.«

»Aber ich versichere euch nochmals, das sind legendäre Dämonen«, protestierte Jock.

»Ich fürchte, dass wir nicht alles glauben können, was ihr uns erzählt«, sagte Hardy. In seiner Stimme schwang etwas wie Trauer mit. »Nicht, dass ich je alles akzeptiert hätte, was ihr gesagt habt. Priester bekommen eine Menge Lügen zu hören. Aber ich habe mich immer gefragt, was ihr verbergt. Es wäre besser gewesen, wenn ihr uns eine Art Militär oder Polizei gezeigt hattet. Aber das konntet ihr nicht, oder? Denn sie sahen …« — er deutete auf den Schirm — »so aus.«

»Rod«, sagte Senator Fowler. »Sie sehen verdammt ernst drein.«

»Ja, Sir. Ich habe daran gedacht, wie es sein muss, eine Rasse zu bekämpfen, die seit zehntausend Jahren Krieger züchtet. Diese Kreaturen müssen auch für die Weltraumkriegführung angepasst sein. Wenn die Splits nun noch das Feld erfinden — Ben, ich glaube nicht, dass wir sie schlagen konnten! Es wäre, als müssten wir Millionen sauronische Cyborgs bekämpfen! Verdammt, die paar tausend, die es gab, reichten aus, um den Krieg über Jahre hinauszuziehen!« Sally hörte hilflos zu. »Aber was ist, wenn Jock die Wahrheit sagt? Könnte es nicht so sein? Dass es einmal eine Kriegerkaste gegeben hat, dass sie jetzt ausgestorben ist, und dass eine Split-Sekte sie wieder hervorbringen möchte …«

»Das ist leicht genug festzustellen«, knurrte Fowler. »Und am besten tun wir’s schnell, bevor die Split-Braunen eine Flotte bauen, die uns daran hindern könnte.«

»Wenn sie das nicht schon getan haben«, murmelte Rod. »Sie arbeiten so verdammt schnell. Sie haben das Kontaktschiff während des Flugs zur Mac Arthur umgebaut. Eine völlige Umkonstruktion, mit zwei Braunen und ein paar Bastlern. Ich glaube, dass Commander Cargills Bedrohungsabschätzung ein wenig zu konservativ ist, Senator.«

»Und selbst wenn sie das nicht ist«, sagte Renner, »müssen wir uns immer noch vorstellen, dass jedes Schiff von Wesen bemannt und geführt wird, gegen die Admiral Kutuzov ein netter Onkel ist.«

»Ja. Also, Jock — ihr begreift unsere Situation«, sagte der Senator.

»Nicht ganz.« Das Split hatte sich zusammengeduckt und wirkte plötzlich sehr fremd.

»Ich werde sie euch erklären. Wir haben nicht die Mittel, eine Million Wesen zu bekämpfen, die nur auf die Kriegführung spezialisiert sind. Vielleicht würden wir gewinnen, vielleicht nicht. Wenn ihr diese Wesen noch herumlaufen lasst, dann nur, weil ihr sie braucht; euer System ist viel zu dicht besiedelt, um unnütze Mäuler zu stopfen.

Wenn ihr sie braucht, dann führt ihr jetzt noch Kriege.«

»Ich verstehe«, sagte Jock vorsichtig.

»Ich glaube nicht«, knurrte der Senator. »Du weißt ein wenig über das Sauronische System, aber nicht genug. Jock, wenn ihr Splits Kriegerkasten züchtet, werden unsere Leute euch mit den Sauroniern vergleichen, und ich glaube nicht, dass ihr auch nur ahnt, wie das Imperium sie und ihre Übermenschen-Ideen gehasst hat.«

»Was werdet ihr tun?« fragte Jock.

»Uns euer System anschauen. Diesmal genau.«

»Und wenn ihr Krieger findet?«

»Wir brauchten gar nicht nachzusehen, nicht?« erkundigte sich Senator Fowler. »Ihr wisst, dass wir welche finden werden.« Er seufzte tief und dachte nach — kurz nur, nicht länger als eine Sekunde. Dann stand er auf und ging zu dem großen Vidischirm, schwerfällig und langsam …

»Was wird er tun? Können wir ihn nicht aufhalten?« jammerte Jock.

Ivan blieb ruhig. »Es würde uns nichts nützen, und ihr könntet es auch gar nicht. Dieser Soldat ist kein Krieger, aber er ist bewaffnet, und seine Hand berührt die Waffe. Er fürchtet uns.«

»Aber …«

»Höre zu!«

»Ein Konferenzgespräch«, befahl Fowler der Beamtin in der Vidizentrale des Palastes.

»Ich brauche Prinz Merrill und Kriegsminister Armstrong. Persönlich, und ich schere mich nicht den Teufel darum, wo sie gerade sind. Ich brauche sie sofort.«

»Jawohl, Senator.« Das Madchen war jung, und der Ton des Senators schüchterte es ein. Es wurde still im Raum, wahrend sie an ihrer Schalttafel herumhantierte.

Minister Armstrong war in seinem Büro. Er hatte den Rock ausgezogen und das Hemd aufgeknöpft. Sein Schreibtisch war bedeckt mit Papieren. Er blickte ärgerlich auf, sah, wer der Anrufer war, und knurrte: »Ja?«

»Einen Moment«, sagte Fowler schroff. »Wir bekommen den Vizekönig in eine Konferenzschaltung.« Wieder mussten sie eine Weile warten.

Dann erschien Seine Hoheit; der Bildschirm zeigte nur sein Gesicht. Er schien etwas außer Atem zu sein. »Ja, Senator?«

»Hoheit, Sie haben meine Ernennung vom Kaiser gesehen?«

»Ja.«

»Sie akzeptieren meine Autorität in allen Angelegenheiten, die die Fremden betreffen?«

»Selbstverständlich.«

»Als Bevollmächtigter Seiner Kaiserlichen Majestät befehle ich Ihnen hiermit, die Kriegsflotte des Sektors so rasch wie möglich zu versammeln. Sie werden Admiral Kutuzov den Oberbefehl erteilen und ihn anweisen, meine Befehle zu erwarten.«

Stille auf den Bildschirmen. Im Konferenzraum’ erhob sich jedoch ein erschrockenes, störendes Gemurmel. Ben gebot mit einer herrischen Geste Schweigen, und alle verstummten.

»Nur der Form halber, Senator«, sagte Merrill vorsichtig. »Ich brauche eine Bestätigung dieses Befehls von einem zweiten Mitglieder der Kommission.«

»Ja. — Rod?«

Das ist jetzt der Augenblick, dachte Rod. Er wagte nicht, Sally anzusehen. Eine Kaste von Kriegern? Unabhängigkeitsliebende Meister? Wir dürfen Sie nicht in unseren Weltraum lassen. Wir würden kaum ein Jahrhundert überleben.

Die Splits sind wie versteinert. Sie wissen, was wir finden würden. Uneingeschränkte Vermehrung und Dämonen. Alpträume, wie sie unsere Kinder nicht kennen und niemals kennenlernen dürfen. Aber … ich mag die Splits. Nein. Ich mag die Vermittler. Mit den anderen hatte ich nie etwas zu tun. Und die Vermittler kontrollieren ihre Zivilisation nicht. Zögernd warf er einen Blick auf Sally. Sie war so reglos wie die Splits. Rod holte tief Atem.

»Hoheit, ich stimme zu.«

56 Letzte Hoffnung

Trotz der hohen Räume kam ihnen ihr Quartier jetzt eng vor. Nichts hatte sich verändert.

In ihrer Küche waren alle Delikatessen, die das Imperium für sie nur aufzutreiben vermochte. Ein einziger Knopfdruck genügte, um ein Dutzend, ja hundert Diener zu rufen. Die Soldaten auf dem Gang draußen waren höflich und respektvoll.

Doch sie saßen in der Falle. Irgendwo am Rande des neukaledonischen Systems, bei einem Stützpunkt namens Dagda, versammelten sich die Kriegsschiffe des Imperiums; und dann …«

»Sie werden nicht alle töten«, schnatterte Charlie.

»Doch, sie werden«, Jocks Stimme war ein einziger Jammerlaut.

»Die Krieger werden kämpfen. Die Flotte wird Schiffe verlieren. Und Kutuzov hat den Oberbefehl. Wird er seine Schiffe aufs Spiel setzen, um irgend jemanden zu verschonen? Oder wird er unseren Planeten in einen glimmenden Schlackebrocken verwandeln?«

»Die Asteroiden auch?« wimmerte Charlie. »Ja! Noch nie gab es einen Zyklus, in dem beides verloren war. Meister, wir müssen etwas tun! Wir dürfen das nicht zulassen!

Wenn wir ihnen gleich die Wahrheit gesagt hätten …«

»So waren ihre Kriegsschiffe jetzt schon unterwegs, anstatt sich erst zu sammeln«, sagte Jock verächtlich. »Es war so knapp! Ich hatte sie schon herumgekriegt!« Drei kräftige Wurstfinger schlössen sich um nichts. »Sie waren bereit zuzustimmen, und dann — und dann …« Wimmernd näherte sie sich dem Wahnsinn, doch dann schrak sie vor dem Abgrund zurück »Es muss etwas geben, was wir tun können.« »Sagen wir ihnen alles«, flehte Charlie. »Was kann es jetzt noch schaden, jetzt sehen sie uns als böse an Wir könnten ihnen wenigstens erklären, warum wir sie belogen haben.«

»Überlegt, was wir ihnen anbieten können«, befahl Ivan. »Denkt über ihre Interessen nach und über die Möglichkeiten, sie zu schützen, ohne dass unsere Rasse vernichtet wird.«

»Ihnen helfen?« fragte Jock.

»Natürlich Ihnen helfen, sicher vor uns zu sein.«

»Es sind die Krieger, die sie fürchten. Wurden die Meister einverstanden sein, alle Krieger zu schlachten? Dann könnten wir dem Imperium beitreten.«

»Großer Narr!« kreischte Charlie. »Und wie viele Meister würden Zuchtexemplare von Kriegern zurückbehalten?«

»Das wurde schon versucht«, sagte Ivan brüsk. »Denkt euch etwas anderes aus.«

»Können wir ihnen einreden, dass wir das Feld niemals bauen können?« fragte Charlie.

»Wozu? Sie würden es bald genug erfahren. Nein. Sie werden nicht wieder in unser System kommen, bis ihre Flotte bereit ist; und dann werden sie mit all ihrer Macht über uns herfallen. Ein Dutzend Kriegsschiffe. Wenn diese Flotte in unser System eindringt, werden die Krieger kämpfen und unsere Rasse wird vernichtet. Sie dürfen diese Flotte nicht ausschicken. sie dürfen nicht!«

Jock benutzte eine halbvergessene Sprache, die die Meister nicht verstanden. »Er ist beinahe verrückt.«

»So wie wir.« Charlie wand sich in bitterem, tonlosen Split-Lachen. »Bedauere den Meister. Seine Furcht ist die unsere, aber er muss noch zusätzlich befürchten, dass wir verrückt werden. Ohne uns wäre er hilflos, müsste zusehen, wie die Flotte sich versammelt und könnte kein Wort dagegen sagen.« »denkt!« befahl Ivan. »Sie schicken Kutuzov. Er hat einen Menschenplaneten vernichtet — wie viel Erbarmen wird er mit Fremden haben? DENKT! DENKT — oder die Rasse ist verloren!«


Als Sally Rods Büro betrat, hörte sie, dass er ins Vidifon sprach. Er bemerkte sie nicht.

Einen Augenblick lang zögerte sie, dann blieb sie reglos stehen und hörte zu.

»Da bin ich Ihrer Meinung, Lavrenti. Die Asteroidenzivilisation muss mit dem ersten Schlag verteidigungsunfähig gemacht werden. Ihr Hauptflottenstützpunkt könnte sich dort befinden.«

»Es gefällt mir nicht, die Flotte zu teilen«, sagte eine Stimme mit einem schweren Akzent. »Sie erteilen mir zwei unvereinbare Aufträge, Lord Blaine. Die Splits zu überraschen und verteidigungsunfähig zu machen — ja, das ist möglich. Aber erst ihren Angriff abzuwarten, bevor wir zuschlagen, das wird Menschenleben und Schiffe kosten, die wir nicht entbehren können.«

»Sie werden die Aktion trotzdem so planen.«, »Ja, Mylord. Meine Offiziere werden Ihnen morgen früh die provisorischen Pläne vorlegen. Sie werden Ihnen auch Verlustabschätzungen vorlegen. Welchem Offizier soll ich das Kommando über das Schiff geben, das den Angriff herausfordern soll? Einem Ihrer Kameraden von der Akademie? Oder einem Unbekannten? Ich erwarte Ihre Vorschläge.«

»Verdammt nochmal!«

»Verzeihen Sie meine Impertinenz, Mylord. Ihre Anweisungen werden befolgt.«

Der Schirm wurde dunkel. Rod saß da und starrte die leere Fläche an, bis Sally hereinkam und sich vor ihn hinsetzte. Er hatte immer noch das Bild der Krieger-Figuren vor Augen.

»Du hast zugehört?«

»Ein wenig — ist es wirklich so ernst?«

Rod zuckte die Achseln. »Kommt darauf an, was uns erwartet. Es wäre einfach, die Flotte aus allen Rohren feuernd hineinzuschicken und den Planeten und die Asteroiden mit Fusionsbomben einzudecken. Aber die Flotte hinschicken, die Splits vorwarnen, und abwarten, bis sie uns angreifen? Ihr erster feindlicher Akt könnte der Einsatz jener Laserkanone sein, die die Sonde angetrieben hat!«

Sie sah ihn bedrückt an. »Warum müssen wir es überhaupt tun? Warum können wir sie nicht einfach in Ruhe lassen?« »Damit sie eines Tages hier herauskommen und unsere Enkel abschlachten?«

»Warum müssen gerade wir das entscheiden?«

»Weil es uns getroffen hat. Sage mir, Sally, gibt es noch irgendwelche Zweifel? Dass die Splits wirklich so sind?«

»Sie sind keine Ungeheuer!«

»Nein. Nur unsere Feinde.«

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Was wird nun geschehen?«

»Die Flotte dringt in ihr System ein. Dann verlangen wir, dass sie sich dem Imperium unterwerfen. Vielleicht tun sie es, vielleicht nicht. Wenn sie es tun, werden Selbstmordkommandos landen und die Entwaffnung beaufsichtigen. Wenn sie sich wehren, greift die Flotte an.«

»Wer — wer wird auf Alpha landen? Wer wird die Kommandos fuhren? Nein! Rod, das darfst du nicht tun!«

»Wer sollte es sonst tun? Ich, Cargill, Sandy Sinclair — die alte Mannschaft der Mac Arthur wird landen. Vielleicht kapitulieren sie wirklich. Jemand muss ihnen diese letzte Chance geben.«

»Rod, ich …«

»Könnten wir bald heiraten? Keine unserer Familien hat einen Erben.«


»Sinnlos«, sagte Charlie, »welche Ironie Für Millionen Jahre waren wir wie in einer Flasche eingesperrt. Ihre Form hat die Form unserer Rasse zu unserem Nachteil beeinflusst. Jetzt haben wir endlich die Öffnung gefunden, da strömt durch diese Öffnung eine fremde Flotte, um unsere Welten zu verbrennen.« Jock höhnte: »Wie lebendig und anschaulich deine Darstellung ist!«

»Wie glücklich können wir sein, deiner hilfreichen Bemerkungen teilhaftig zu werden! Du …« Charlie verstummte abrupt. Jocks Gang war plötzlich ganz — anders, seltsam. Sie schritt hin und her, die Hände unbequem hinter sich verschränkt, mit vorgebeugtem Kopf, die Füße eng beisammen, so dass ihre Schritte sehr denen eines Menschen glichen.

Charlie erkannte Kutuzov. Mit einer gebietenden Geste hinderte sie Ivan, eine Bemerkung zu machen.

»Ich brauche ein Menschenwort«, sagte Jock. »Wir haben es nie gehört, aber sie müssen es haben. Rufe einen Diener«, sagte sie gebieterisch mit Kutuzovs Stimme, und Charlie gehorchte.


Senator Fowler saß hinter dem kleinen Schreibtisch im Büro neben dem Konferenzraum. Eine große Flasche New Aberdeen Highland Cream stand auf der ansonsten leeren Eichenplatte. Die Tür öffnete sich, und Dr. Horvath trat ein. Er blieb erwartungsvoll stehen.

»Einen Drink?« fragte Fowler.

»Nein, danke.«

»Möchten gleich zur Sache kommen, was? Gut! Ihr Ansuchen um Mitgliedschaft in dieser Kommission ist hiermit abgelehnt.«

Horvath erstarrte. »Ich verstehe.«

»Das bezweifle ich. Setzen Sie sich.« Fowler holte ein Glas aus der Schreibtischschublade und schenkte ein. »Hier, nehmen Sie das. Sie können wenigstens so tun, als ob Sie mit mir trinken. Tony, ich tue Ihnen damit einen Gefallen.«

»So sehe ich das nicht.«

»Nein? Passen Sie auf. Die Kommission trägt die Verantwortung für die Ausrottung der Splits. Was würde das für Sie bedeuten? Möchten Sie unbedingt an dieser Entscheidung beteiligt sein?«

»Ausrottung? Aber ich dachte, die Befehle lauteten, sie ms Imperium zu holen.« »Sicher.

Geht nicht anders. Politische Rücksichten verhindern, dass wir einfach hingehen und sie vernichten. Deshalb muss ich den Splits die Möglichkeit geben, zuerst loszuschlagen.

Zu den wahrscheinlichen Opfern wird der Vater des einzigen Erben gehören, den ich je haben werde.« Fowler presste die Lippen zusammen. »Sie werden kämpfen, Doktor. Ich hoffe nur, dass sie nicht erst eine Kapitulation vortäuschen, damit Rod noch eine Chance hat. Wollen Sie wirklich mit all dem zu tun haben?«

»Ich verstehe … ich glaube, jetzt verstehe ich wirklich. Ich danke Ihnen.«

»Gern geschehen.« Fowler griff in die Rocktasche und holte eine kleine Kassette hervor.

Er öffnete sie kurz und schaute hinein, Schloss sie wieder und schob sie Horvath über den Tisch zu. »Da. Das gehört Ihnen.«

Dr. Horvath öffnete die Schachtel und fand einen Ring mit einem großen, glatten grünen Stein.

»Zum nächsten Geburtstag des Souveräns können Sie sich da das Wappen eines Barons eingravieren lassen«, sagte Fowler. »Man soll dem Ochsen, der da drischt, und so weiter. Zufrieden?« »Ja. Sehr. Danke, Senator.«

»Nichts zu danken. Sie sind ein guter Mann, Tony. Schön, dann wollen wir mal reingehen und schauen, was die Splits wollen.«

Der Konferenzraum war fast voll besetzt. Die Kommissionsrate, der beratende Stab, Horvaths Wissenschaftler, Hardy, Renner — und Admiral Kutuzov.

Senator Fowler nahm seinen Platz ein. »Die Lords Kommissionsrate und Vertreter Seiner Kaiserlichen Majestät sind vollzählig zusammengetreten. Die Sitzung ist eröffnet.

Geben Sie Ihre Namen und Organisationen zu Protokoll.« Er machte eine kurze Pause, wahrend alle auf ihren Computern schrieben. »Die Splits haben um diese Konferenz ersucht. Sie haben keinen Grund genannt. Möchte noch jemand etwas sagen, bevor sie kommen? Nein? Gut, Kelley, bitten Sie sie herein.«

Die Splits nahmen schweigend ihre Plätze am einen Ende des Tisches ein. Sie wirkten sehr fremdartig; alle menschlichen Züge, die sie sich angewöhnt hatten, waren verschwunden. Ihre Gesichter waren ausdruckslos bis auf das ewige, leichte Lächeln.

Ihr Pelz war glatt und glänzend gebürstet.

»Jetzt seid ihr am Ball«, stellte der Senator fest. »Ich sage euch wohl lieber gleich, dass wir euch kaum viel glauben werden.«

»Es wird keine Lügen mehr geben«, sagte Charlie. Selbst die Stimme klang jetzt anders: der Vermittler sprach wie ein Fremder, nicht mehr wie eine Mischung der verschiedenen Menschen, die die Splits reden gehört hatten. Irgend etwas seltsames war daran.

Rod konnte es nicht identifizieren. Es war kein Akzent. Eher die Perfektion, die vollkommene Akzentfreiheit des Anglic.

»Die Zeit für Lügen ist vorbei. Mein Meister war von Anfang an dieser Meinung, aber Jocks Meister erhielt die Verantwortung für die Verhandlung mit den Menschen. Wie sie euch euer Kaiser für die Verhandlungen mit uns übertragen hat.«

»Kompetenzstreitigkeiten, ja?« sagte Fowler. »Schade, dass wir deinen Chef nicht kennengelernt haben. Jetzt ist es ein bisschen spät, nicht?«

»Vielleicht. Aber jetzt werde ich ihn vertreten. Ihr könnt ihn König Peter nennen — wie es die Kadetten getan haben.«

»Was?« Rod fuhr hoch, sein Stuhl krachte zu Boden. »Wann?«

»Kurz bevor sie von Kriegern getötet wurden«, sagte Charlie. »Mich anzugreifen hat keinen Sinn, Mylord; es waren auch nicht die Krieger meines Meisters, die sie töteten.

Jene, die es taten, hatten den Befehl, sie lebend gefangen zunehmen, aber die Kadetten wollten sich nicht ergeben.«

Rod hob langsam seinen Stuhl auf und nahm wieder Platz. »Nein. Horst hätte das nie getan«, murmelte er. »Auch Whitbread nicht. Oder Potter. Sie können stolz auf ihre Männer sein, Lord Blaine. Ihre letzten Augenblicke gemahnten an die ehrenvollsten Traditionen des kaiserlichen Militärs.« Die fremde Stimme war frei von jeder Ironie.

»Und warum habt ihr diese Jungen umgebracht?« fragte Sally entsetzt. »Rod, es tut mir leid. Ich — es tut mir so leid, mehr kann ich nicht sagen.«

»Du kannst nichts dafür. Mylady hat dir eine Frage gestellt, Charlie.«

»Sie hatten die Wahrheit über uns entdeckt. Ihre Rettungsboote brachten sie zu einem Museum. Nicht zu einem Ort der Unterhaltung, wie wir euch einen sehen ließen. Dieses Museum hat einen viel wichtigeren Zweck.« Mit gesenkter Stimme sprach Charlie weiter. Sie beschrieb das Museum und den Kampf im Tunnel, die Flucht über Land und durch die Luft, den Beginn des Krieges zwischen verschiedenen Parteien, und die Landung auf der Straße vor dem Schloss. Sie berichtete von dem abschließenden Gefecht.

»Unsere Krieger verloren«, Schloss sie. »Hätten sie gesiegt, dann hatte König Peter die Kadetten zu euch zurückgebracht. Als sie jedoch tot waren, schien es — besser, euch zu täuschen.«

»Guter Gott«, flüsterte Rod. »Das also ist euer Geheimnis. Und wir hatten alle nötigen Informationen, aber …«

Jemand auf der anderen Seite des Raums begann laut zu murmeln. Kaplan Hardy. »Requiem aeternam donum est, Domine, et lux perpetuae …«

»Wozu zum Kuckuck soll es gut sein, dass ihr uns das jetzt erzählt?« fragte Senator Fowler.

Charlie machte eine seltsame Geste. »Wenn ihr uns vernichtet, sollt ihr wenigstens wissen, weshalb. Ich versuche euch zu erklären, dass die Meister sich nicht ergeben werden. König Peter würde es vielleicht tun, aber er hat keine Macht über Splitter Alpha, und noch viel weniger über die Asteroidenzivilisation. Irgendwer wird bestimmt Widerstand leisten.« »Wie ich es vorausgesagt habe, Mylords«, sagte Kutuzov bedächtig. »Männer und Schiffe, die die Kapitulation entgegennehmen sollen, sind verloren. Vielleicht die gesamte Flotte. Wenn wir in das System Splitter eindringen, so muss es in voller Attacke sein.«

»Oh, verdammt«, knurrte Senator Fowler. »Ja. Ich erkenne euren Plan. Ihr glaubt, wir können einen unprovozierten Angriff nicht anordnen und würden unter diesen Umstanden vielleicht kein Selbstmordkommando losschicken. Nun, ihr habt euch geirrt, Charlie. Es kostet mich vielleicht den Kopf, aber ihr habt mich nur überzeugt, dass wir dem Admiral freie Hand lassen müssen. Es tut mir leid, Pater, aber jetzt kann ich nicht mehr anders handeln.«

Seine Stimme hob sich. »Admiral Kutuzov. Sie werden Ihre Flotte in Bereitschaft halten und alle Schiffe anweisen, keinerlei Nachrichten von irgendeiner Quelle ohne meine vorherige Genehmigung entgegenzunehmen. Und ich meine damit, von niemandem. Ist das klar?«

»Jawohl, Senator.« Kutuzov beugte sich über ein kleines Sendegerät. »Michailov! Da!«.

Er sprach rasch einige russische Sätze in das Mikrofon. »Ist erledigt, Senator.«

»Ich bin noch nicht fertig«, sagte Charlie. »Ihr habt eine Alternative.«

»Und die wäre?« fragte Fowler stirnrunzelnd.

»Blockade.«

57 Die nützliche Kunst des Hochverrats

Sie standen schon längere Zeit auf dem Balkon vor Rods Suite. Gedämpft drangen die Geräusche der nächtlichen Stadt zu ihnen herauf. Der Kapuzenmann stieg den Himmel empor, und sein düsteres rotes Auge beobachtete sie gleichgültig: zwei Liebende, die Schwadronen von Schiffen in das Auge schicken würden — Schiffe, die in der roten Sonne Wache halten würden, bis diese beiden Menschen längst tot waren … »Er sieht gar nicht groß aus«, murmelte Sally. Sie legte ihren Kopf gegen seine Schulter und spürte, wie sein Arm sie fester umfasste. »Nur ein kleiner, gelber Fleck in Murchesons Auge. Rod, wird es funktionieren?«

»Die Blockade? Sicher. Wir haben alles in der Gefechtszentrale der Flotte genau ausgearbeitet. Jack Cargill hat es geplant: eine Schwadron im Auge selbst, um den Sprung-Schock auszunützen. Die Splits wissen nichts davon, und ihre Schiffe werden zumindest minutenlang manövrierunfähig sein. Wenn sie versuchen, mit automatischer Steuerung durchzukommen, wird es nur noch schlimmer.«

Sie fröstelte ein wenig. »Das war es eigentlich nicht, was ich meinte. Der ganze Plan — wird er funktionieren?«

»Können wir denn etwas anderes tun?«

»Nein. Und ich bin froh, dass du so denkst. Ich könnte nicht mit dir leben, wenn … Ich könnte es einfach nicht.«

»Hm.« Deshalb bin ich den Splits auch dankbar, dass sie sich diese Lösung ausgedacht haben, denn herauslassen können wir sie nicht. Eine galaktische Seuche — und gegen eine solche Seuche helfen nur zwei Maßnahmen. Quarantäne oder Auslöschung.

Wenigstens konnten wir noch wählen.

»Sie sind …« Sie unterbrach sich und blickte ernst zu ihm auf. »Ich habe Angst, mit dir darüber zu sprechen. Rod, ich könnte nicht mehr mit mir selber leben, wenn wir … wenn die Blockade nicht funktionierte.«

Er sagte nichts. Irgendwo jenseits des Palastgeländes klang Lachen auf. Es schienen Kinder zu sein.

»Sie werden an dieser Schwadron im Stern vorbeikommen«, sagte Sally. Ihre Stimme war sehr beherrscht.

»Sicher. Und auch an den Raumminen, die Sandy Sinclair baut. Aber wohin sollen sie dann, Sally? Es gibt nur einen Ausgang aus dem Auge, sie wissen nicht, wo der ist, und wenn sie ihn finden, erwartet sie dort ein Gefechtsverband. Die ganze Zeit aber sind sie im Inneren eines Sterns. Sie können nirgendwohin Energie abstrahlen. Ihre Schiffe sind vielleicht beschädigt. Wir haben wirklich an alles gedacht. Diese Blockade ist sicher.

Sonst hätte ich nicht zustimmen können.«

Sie entspannte sich und lehnte sich an seine Brust. Er umfing sie mit beiden Armen.

Gemeinsam schauten sie zum Kapuzenmann mit seinem fleckigen Auge hinauf.

»Sie werden nicht herauskommen«, sagte Rod.

»Sie sind immer noch gefangen. Nach einer Million Jahren … Wie werden wir in einer Million Jahre sein?« fragte sie sich. »So wie sie? Aber die Splits haben etwas an sich, das wir nie begreifen werden. Einen fatalistischen Zug, der mir unverständlich ist.

Vielleicht werden sie nach ein paar Fehlschlägen einfach aufgeben.« Er zuckte die Achseln. »Wir halten die Blockade auf jeden Fall aufrecht. Dann, in vielleicht fünfzig Jahren, schauen wir nach, wie sich die Dinge entwickelt haben. Wenn ein so umfassender Zusammenbruch stattgefunden hat, wie Charlie voraussagt, können wir sie ins Imperium aufnehmen.«

»Und was dann?«

»Ich weiß es nicht. Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen.«

»Ja.« Sie löste sich von ihm und drehte sich aufgeregt um. »Ich weiß, was zu tun ist!

Rod, wir müssen das Problem nur richtig anpacken. Für die Splits. Wir können ihnen helfen.«

Er musterte sie verblüfft. »Ich würde meinen, dass sich die besten Gehirne des Imperiums damit befassen werden.«

»Ja, aber fürs Imperium. Nicht für die Splits. Wir brauchen — eine Stiftung. Ein Forschungsinstitut. Etwas, das von Leuten kontrolliert wird, die die Splits kennen. Etwas außerhalb aller Politik. Und wir können so was einrichten. Wir sind reich genug …«

»He?«

»Wir können in unserem ganzen Leben nicht mal die Hälfte dessen ausgeben, was wir beide besitzen.« Sie schoss an ihm vorbei, durch seine Suite und über den Gang in ihre eigene. Rod folgte und fand sie im Vorraum, wo sie zwischen den Bergen von Hochzeitsgeschenken herumkramte, die den Rosen-Teak-Tisch bedeckten. Sie seufzte erleichtert, als sie ihren Taschencomputer fand.

Sollte ich jetzt ärgerlich werden? überlegte Rod. Aber es ist wohl besser, ich lerne glücklich zu sein, wenn sie in so einer Stimmung ist. Ich glaube, ich werde viel Gelegenheit dazu haben. »Die Splits haben aber ziemlich lange selbst an ihren Problemen gearbeitet«, erinnerte er sie.

Sie blickte leicht irritiert auf. »Pah! Sie sehen die Dinge einfach nicht wie wir. Fatalisten alle miteinander. Und es gab bis jetzt niemand, der ihnen eine Lösung aufgezwungen hätte, wenn sie eine gefunden haben.« Sie kritzelte weiter Notizen auf den Computerschirm. »Wir brauchen natürlich Horowitz. Und er sagte, es gibt auf Sparta einen tüchtigen Mann. Den holen wir uns. Dr. Hardy. Den brauchen wir auch.«

Er musterte sie betroffen und beinahe ehrfürchtig. »Wenn du was anfängst, dann gehst du aber aufs Ganze.« Und ich werde wohl lieber mitmachen, wenn ich dich mein ganzes Leben um mich haben will. Ich frage mich, wie es sich mit einem Wirbelwind lebt?

»Pater Hardy bekommst du, wenn du ihn brauchst. Der Kardinal hat ihm das Split-Problem übertragen — aber ich glaube, Seine Eminenz hatte etwas Größeres im Sinn.

Hardy hatte schon langst Bischof werden können, aber er leidet nicht unter der üblichen Mitra-Sucht des Klerus. Jetzt wird ihm wahrscheinlich nichts übrigbleiben. Erster Apostolischer Legat für eine fremde Rasse, oder so was.«

»Dann wird der Institutsvorstand also aus dir und mir bestehen, aus Dr. Horvath, Pater Hardy — und Ivan.«

»Ivan?« Aber warum nicht? Wenn wir so etwas anfangen, dann können wir es auch gleich richtig machen. Wir werden einen guten Verwaltungsdirektor brauchen. Sally ist verwaltungstechnisch eine Niete, und ich werde keine Zeit haben. Horvath vielleicht.

»Sally, weißt du, wie viel wir uns da vornehmen? Allein das biologische Problem: wie kann das weibliche Stadium ohne Schwangerschaft oder folgende Unfruchtbarkeit ins männliche übergeführt werden? Aber selbst wenn es dafür eine Losung gibt, wie bringen wir die Splits dazu, sie auch anzuwenden?«

Sie hörte ihm kaum zu. »Wird uns schon was einfallen. Unsere Regierungsbeamten sind tüchtig …«

»Unsere Regierungsbeamten können mit knapper Not ein menschliches Imperium zusammenhalten!«

»Aber es klappt, oder nicht7 Irgendwie.« Sie schob einen Stoß bunt verpackter Pakete weg, um mehr Platz zu bekommen. Eine große Schachtel rutschte beinahe vom Tisch, und Rod musste sie auffangen, während Sally selbstversunken fortfuhr, ihrem Computer Notizen einzugeben. »Wie war nur der Code für die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften?« fragte sie. »Es gibt auf Meiji einen Mann, der in der Genmanipulation wirklich gute Arbeit geleistet hat, aber ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern …«

Rod seufzte tief. »Ich werde ihn für dich heraussuchen. Unter einer Bedingung.«

»Nämlich?« Sie blickte neugierig und etwas misstrauisch auf.

»Dass du diese Sache bis nächste Woche geregelt hast, denn, Sally, wenn du diesen Taschencomputer in die Flitterwochen mitnimmst, stopfe ich das verdammte Ding in den Konverter!«

Sie lachte, aber Rod hatte nicht den Eindruck, dass sie sich seine Drohung zu Herzen nahm. Nun ja. Die Kleincomputer waren nicht teuer. Er konnte ihr einen neuen kaufen, wenn sie zurückkamen. Vielleicht war es sogar ratsam, mit Bury einen Handel abzuschließen: unter Umständen würde er die Dinger in Schiffsladungen brauchen, wenn sie erst einmal eine Familie hatten …


Horace Bury folgte den Infanteriewachen durch den Palast und übersah geflissentlich die übrigen Infanteristen, die sich angeschlossen hatten. Seine Miene war ausdruckslos und ruhig, und man hatte schon seine Augen beobachten müssen, um die Verzweiflung zu erkennen, die ihn durchloderte.

Allahs Wille geschehe, seufzte er und war über sich selbst erstaunt, dass ihm der Gedanke nicht mehr zuwider war. Endlich aufzugeben mochte vielleicht tröstlich sein … sonst gab es nicht mehr viel, worauf er hoffen konnte. Die Flotteninfanterie hatte seinen Diener und sein ganzes Gepäck im Landeboot heruntergebracht. Dann, auf dem Palastdach, war er von Nabil getrennt worden. Aber vorher hatte ihm Nabil noch eine Nachricht zuflüstern können: Jonas Stones Geständnis hatte den Palast erreicht.

Stone war noch auf New Chicago, aber was immer er dem Sicherheitsdienst der Flotte erzählt hatte, war wichtig genug, um mit einem Kurierboot überbracht zu werden. Nabils Informant wusste nicht, was der Rebellenführer gesagt hatte, aber Bury wusste es, so genau, als hätte er die Geheimcode-Bänder gelesen. Die Nachricht würde kurz sein und den Tod am Galgen für Horace Bury zufolge haben.

Das ist also das Ende. Das Imperium schreitet bei Hochverrat sehr rasch ein: ein paar Tage, ein paar Wochen noch. Mehr nicht. Eine Gelegenheit zu entkommen gibt es nicht.

Die Wachen sind höflich, aber sehr vorsichtig. Sie sind gewarnt worden, und es sind viele. Einer würde vielleicht eine Bestechung annehmen, aber nicht, wenn immer Kameraden dabei sind.

Wie Allah will. Aber es ist schade. Hätte ich mich nicht so sehr um die Fremden gekümmert, hatte ich nicht unter den Handelsleuten getan, was Aufgabe des Imperiums gewesen wäre, dann hatte ich langst fliehen können. Levant ist groß. Aber ich hatte Neuschottland verlassen müssen, und hier werden die Entscheidungen fallen — welchen Sinn hat es zu fliehen, wenn die Fremden uns vielleicht alle vernichten? Der Infanteriesergeant brachte ihn zu einem prachtvoll ausgestatteten Konferenzraum und hielt ihm die Tür auf. Als Bury eingetreten war, zogen sich die Wachen zurück — es war unglaublich. Nur zwei Männer waren noch in dem Zimmer.

»Guten Morgen, Mylord«, sagte Bury zu Rod Blaine. Seine Stimme klang ruhig und sicher, aber sein Mund war trocken, und er verspürte einen scharfen Geschmack in der Kehle, als er sich vor dem zweiten Mann verbeugte. »Ich wurde Senator Fowler noch nicht vorgestellt, aber sein Gesicht ist natürlich jedermann im Imperium bekannt. Guten Morgen, Senator.«

Fowler nickte grüßend, ohne von seinem Platz an dem großen Konferenztisch aufzustehen. »Guten Morgen, Exzellenz. Freundlich von Ihnen zu kommen. Setzen Sie sich doch.« Er deutete auf einen Platz gegenüber von seinem.

»Danke.« Bury ließ sich auf den angewiesenen Stuhl sinken. Sein Erstaunen wuchs, als Blaine ihm Kaffee brachte. Bury schnupperte vorsichtig und erkannte die Mischung, die er für Blaine an den Küchenchef des Palastes geschickt hatte.

Im Namen Allahs. Sie spielen mit mir, aber zu welchem Zweck? Er verspürte Wut und Angst zugleich, aber Hoffnung keine mehr. Ein wildes, raues Lachen lauerte in seiner Kehle.

»Nur damit wir wissen, wo wir stehen, Exzellenz«, sagte Fowler. Er winkte, und Blaine schaltete einen Wandschirm ein. Die schwammigen Züge von Jonas Stone erschienen, ein riesiges Gesicht, das den kostbar getafelten Raum beherrschte. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn, auf den Wangen, und seine Stimme dröhnte und flehte und redete.

Bury hörte reglos zu, die Lippen verächtlich verzogen angesichts von Stones Schwäche.

Es gab keinen Zweifel mehr: die Admiralität besaß mehr als genug Beweise, um ihn als Hochverräter hinzurichten. Trotzdem verschwand das Lächeln nicht von Burys Lippen.

Er würde ihnen nicht die Genugtuung geben, zu jammern und zu flehen.

Schließlich war das Band zu Ende. Fowler gab einen Wink, und das Bild des Rebellenführers erlosch. »Das hat bis jetzt niemand außer uns dreien gesehen, Exzellenz«, sagte Fowler gedehnt.

Aber nein. Was wollen Sie nur? Gibt es vielleicht doch noch Hoffnung?

»Ich glaube, darüber brauchen wir nicht mehr zu sprechen«, fuhr der Senator fort. »Ich würde mich lieber über die Splits unterhalten.«

»Ah«, sagte Bury. Der kurze Laut blieb ihm fast in der Kehle stecken. Wollt ihr handeln, oder wollt ihr mich in meiner Lage noch verhöhnen? Er nahm einen Schluck Kaffee, um seine trockene Zunge zu befeuchten, bevor er sprach, »Ich bin sicher, dass dem Senator meine Ansicht bekannt ist. Ich halte die Splits für die größte Gefahr, der sich die Menschheit je gegenübersah.« Er beobachtete die beiden Männer, aber in ihren Mienen war nichts zu lesen.

»Wir sind derselben Ansicht« erklärte Blaine.

Während etwas wie Hoffnung in Burys Augen trat, fuhr Fowler rasch fort: »Es ist ziemlich offensichtlich. Sie machen gezwungenermaßen eine permanente Bevölkerungsexplosion durch, auf die unausweichlich Krieg und totaler Zusammenbruch folgen. Wenn sie je aus ihrem System herauskämen — Bury, sie haben eine Soldaten-Unterart, die die Sauronier harmlos wirken lässt. Aber verdammt, Sie haben sie ja gesehen.«

Blaine tippte einige Daten in seinen Taschencomputer ein, und ein anderes Bild erschien auf dem Wandschirm: die Zeitmaschinen-Plastik.

»Die? Aber mein Split sagte, das seien …« Bury unterbrach sich, als er begriff. Dann lachte er: das Lachen eines Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat. »Mein Split.«

»Genau.« Der Senator lächelte schwach. »Ich kann nicht behaupten, dass wir Ihrem Split besonders trauen. Bury, selbst wenn nur die Minis durchkamen und sich ausbreiten, könnten wir ganze Welten verlieren. Sie vermehren sich wie die Bakterien. Der Weltraum ist nicht groß genug, um einer solchen Rasse Platz zu bieten. Aber Sie wissen das alles.«

»Ja.« Bury riss sich zusammen. Seine Miene war ruhig, aber er sah immer noch viele kleine glitzernde Augen vor sich. Bei der Herrlichkeit Allahs! Beinahe hatte ich sie selbst herausgebracht! Ehre und Ruhm dem Einen, der Gnade übt …

»Verdammt, hören Sie auf zu zittern«, befahl Fowler.

»Ich bitte um Entschuldigung. Sie werden zweifellos von meiner Begegnung mit den Minis erfahren haben.« Er warf einen Blick auf Blaine und beneidete ihn um seine Ruhe.

Für den Kommandanten der Mac Arthur konnten die Minis kaum weniger schrecklich sein. »Es freut mich zu hören, dass das Imperium die Gefahren erkennt.«

»Ja. Wir werden die Splits durch eine Blockade in ihrem System einsperren.« »Wäre es nicht besser, sie zu vernichten, solange wir noch dazu imstande sind?« fragte Bury leise. Seine Stimme war ruhig, aber in seinen dunklen Augen flammte der Hass.

»Wie?«

Bury nickte. »Es gäbe natürlich politische Schwierigkeiten. Aber ich könnte Männer finden, die eine Expedition nach Splitter Alpha unternehmen, und mit den geeigneten Anweisungen …«

Fowler verzog abwehrend das Gesicht. »Ich habe meine eigenen Provokateure, wenn ich sie brauche.«

»Aber die meinen wären wesentlich weniger wertvoll.« Bury blickte vielsagend zu Blaine hin.

»Ja.« Fowler sagte einen Moment lang nichts weiter, und Blaine versteifte sich unübersehbar. Dann fuhr der Senator fort: »Wie dem auch sei, Bury, wir haben uns für die Blockade entschieden. Die Regierung hat genug Sorgen, ohne noch des Völkermords beschuldigt zu werden. Außerdem gefallt mir der Gedanke nicht, ohne Anlass über intelligente Wesen herzufallen. Wir werden die Angelegenheit ohne Gewalt erledigen.«

»Aber die Gefahr!« Bury beugte sich vor und vergaß, das fanatische Glühen in seinen Augen zu unterdrücken. Er wusste wohl, dass in dieser Richtung nur Hysterie und Wahnsinn lagen, aber jetzt kümmerte es ihn nicht mehr. »Glauben Sie wirklich, dass der Dschinn nicht mehr gefährlich ist, weil der Korken wieder in der Flasche steckt? Was ist, wenn eine andere Generation die Splits mit anderen Augen sieht als wir? Wenn sie den Dschinn wieder frei lässt? Bei der Herrlichkeit Allahs! Stellen Sie sich die Schwärme ihrer Schiffe vor, die in das Imperium einfallen, voller Bestien, die wie das da aussehen und wie Admiral Kutuzov denken! Spezialisierte Krieger, die den sauronischen Totenkopftruppen überlegen, mehr als überlegen sind! Und Sie wollen sie am Leben lassen? Sie müssen vernichtet werden, sehen Sie das doch endlich ein …«

Nein! Man kann Menschen niemals überzeugen, indem man ihnen sagt, dass sie etwas glauben müssen. Sie hören einem gar nicht zu … Er rang um Fassung. »Ich sehe, dass Sie sich schon entschieden haben. Wie kann ich Ihnen helfen?« Oder wollt ihr gar nichts von mir? Ist das wirklich nur ein Spiel?

»Ich glaube, das haben Sie bereits getan«, sagte Blaine. Er hob seine Kaffeetasse und trank. »Übrigens, vielen Dank für das Geschenk.« »Eine Blockade ist ungefähr die teuerste Flottenaktion, die es gibt«, bemerkte Fowler leichthin. »Und auch nie besonders populär.«

»Ah.« Bury fühlte, wie die Anspannung in ihm erlosch. Sie hatten sein Leben in der Hand, aber sie brauchten ihn — vielleicht konnte er weit mehr als nur sein Leben retten.

»Sie machen sich Gedanken wegen der Händlervereinigung.«

»Genau.« Fowlers Miene war undurchschaubar.

Das ist die Rettung! Dafür werde ich eine Moschee bauen. Es würde meinen Vater sehr glücklich machen, und wer weiß? Vielleicht gibt es Allah doch. Das wilde Gelächter saß ihm immer noch in der Kehle, aber er wusste, wenn er ihm freien Lauf ließ, würde es nicht mehr aufhören. »Ich habe meine Kollegen bereits auf die Nachteile eines uneingeschränkten Handels mit den Splits hingewiesen. Ich hatte teilweise Erfolg, obwohl viele von ihnen wie der Nachbar sind, der Aladin in die Höhle des Zauberers folgte. Unermesslicher Reichtum überstrahlt alle Gefahren.«

»Hmja. Aber könnten Sie sie zurückhalten? Können Sie herausfinden, wer die Blockade sabotieren will, und solche Plane niederschlagen?«

Bury zuckte die Achseln. »Mit etwas Unterstützung. So etwas ist sehr teuer. Ich nehme an, dass ich Mittel aus einem Geheimfonds erhalten würde …«

Fowler grinste boshaft. »Rod, was sagte doch Stone noch? Etwas über …«

»Es ist nicht nötig, auf das hysterische Geschwätz dieses Mannes zurückzukommen« wehrte Bury ab. »Ich nehme an, meine eigenen Mittel werden ausreichen.« Er schauderte bei dem Gedanken. Was würde er noch besitzen, wenn das erledigt war?

Fowler war es egal, wenn er Bury auspresste wie eine Zitrone. »Falls sich etwas ergibt, das meine Verhältnisse übersteigt …«

»Dann können wir darüber reden«, sagte Fowler. »Im übrigen ist da noch etwas. Diese Blockade wird einen Großteil der Kräfte beanspruchen, die Merrill für die Einigung von Trans-Kohlensack einzusetzen gedachte. Ich stelle mir nun vor, dass ein weiser Handelsmagnat sicher auch einige Kontakte zu den Rebellen besitzt. Einem solchen Mann könnte es vielleicht sogar gelingen, sie zu unserem Standpunkt zu bekehren. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie das zu bewerkstelligen wäre.«

»Ich verstehe.« Fowler nickte. »Das dachte ich mir. Rod, sorgen Sie auf jeden Fall dafür, dass dieses Band an einem sicheren Ort verwahrt wird, ja? Ich glaube und hoffe nicht, dass wir es noch einmal brauchen werden.«

»Ja, Sir.« Rod gab über seinen Computer Anweisungen ein. Das Gerät summte: ein leiser, hoher Ton, der den Beginn eines neuen Lebens für Horace Bury signalisierte.

Es wird kein Entkommen für mich geben, dachte Bury. Fowler wird nur Ergebnisse akzeptieren, keine Ausflüchte. Und mein Leben ist der Einsatz in diesem Spiel. Es wird nicht einfach sein, den politischen Agenten dieses Mannes zu spielen. Aber welche Alternative habe ich denn? Auf Levante könnte ich nur voller Angst warten, dass sie mich finden. Zumindest werde ich so immer wissen, was sie wegen der Splits unternehmen … und vielleicht kann ich dabei doch noch meinen Einfluss da und dort geltend machen.

»Nur noch eine Kleinigkeit«, sagte der Senator. Er gab Rod einen Wink, der daraufhin zur Tür des Konferenzraums ging und Kevin Renner einließ.

Es war dies das erste Mal, dass irgendeiner von ihnen den Chefnavigator in Zivilkleidung zu Gesicht bekam. Renner hatte sich Hosen aus einem bunten Schottenstoff zugelegt, und sein Rock war noch ein wenig bunter. Seine Schärpe bestand aus einem seidenartigen Material, das echt aussah, aber vermutlich synthetisch war. Weiche Stiefel und auffälliger Schmuck vervollständigten das Bild eines erfolgreichen Handelsschiffers, ein Typ, den Bury sehr gut kannte. Handelsmann und Kapitän musterten einander neugierig.

»Ja, Sir?« sagte Renner schließlich.

»Sie sind ein bisschen voreilig, Kevin, nicht?« fragte Rod. »Ihre Entlassung ist doch erst heute Nachmittag fällig.«

Renner grinste. »Na, ich denk’, dem Profos wird’s nichts ausmachen. Und ’s ist so viel gemütlicher. Morgen, Exzellenz.« »Sie kennen also Mr. Bury«, stellte Fowler fest. »Das ist günstig, da Sie in Zukunft ziemlich viel miteinander zu tun haben werden.«

»Was?« Renners Miene wurde misstrauisch.

»Der Senator will damit sagen«, erklärte Rod, »dass er Sie gern um einen Gefallen bitten würde. Kevin, erinnern Sie sich an die Einzelheiten Ihrer Dienstverpflichtung?«

»Sicher.«

»Vier Jahre, oder für die Dauer eines Klasse-Eins-Notstandes, oder für die Dauer eines offiziellen Krieges«, stellte Rod fest. »Oh, übrigens hat der Senator eben angesichts der Split-Gefahr den Klasse-Eins-Notstand erklärt.«

»Also, Moment mal!« rief Renner. »Das können Sie nicht mit mir machen!«

»Doch, das kann ich«, sagte Fowler.

Renner sank auf einen Stuhl. »Oh Gott. Sie müssen’s ja wissen.«

»Wir haben das noch nicht publik gemacht«, sagte Senator Fowler. »Wir möchten ja niemanden erschrecken. Aber Sie sind jetzt formell in Kenntnis gesetzt worden.« Fowler gab ihm einen Augenblick Zeit, das zu verdauen. »Natürlich haben wir vielleicht einen Ausweg anzubieten.«

»Bin ungeheuer dankbar.«

»Wer wird denn so verbittert sein?« fragte Rod genüsslich. Er hatte es Renner wenigstens dieses eine Mal ordentlich besorgt.

»Sie haben gute Arbeit geleistet, Renner«, sagte Fowler ernst. »Das Imperium hat Ihnen zu danken. Ich bin Ihnen dankbar. Wissen Sie, ich habe ein ganzes Paket Blanko-Adelspatente mitgebracht, als ich herkam … Wie wurde es Ihnen gefallen, zum nächsten Geburtstag ein Baron zu werden?«

»Oh nein! Ich nicht! Ich hab’ meine Zeit abgedient!«

»Aber Sie würden doch sicher die Privilegien zu schätzen wissen«, sagte Rod sanft.

»Verdammt! Ich hätte also bis zum nächsten Morgen warten sollen, als ich den Senator zu Ihnen brachte. Ich wusste, ich hätte warten sollen. Nein, meine Herren, Sie werden aus Kevin Renner keinen Aristokraten machen! Ich will das Universum kennenlernen.

Ich habe keine Zeit für all die Pflichten …«

»Ja, es konnte Ihnen Ihr ungebundenes Leben versalzen«, sagte Senator Fowler. »Auf jeden Fall wäre es gar nicht so einfach, damit durchzukommen. Missgunst und so weiter. Aber Sie sind zu nützlich, Mr. Renner, und schließlich haben wir einen Klasse-Eins-Notstand.«

»Aber — aber …«

»Ein ziviler Schiffskapitän«, sagte Fowler bedächtig. »Und die Erhebung in den Ritterstand. Ganz abgesehen von dem umfassenden Verständnis für das Split-Problem.

Hmja, Sie sind genau der Mann, den wir brauchen.«

»Aber ich bin kein Ritter.«

»Das lässt sich regeln. Sie können das nicht auch ablehnen. Mr. Bury wird darauf bestehen, dass sein persönlicher Pilot zumindest den St.-Michaels- und St.-Georgs-Orden erhalt. Nicht wahr, Exzellenz?«

Bury schauderte. Es war unvermeidlich, dass das Imperium Männer zu seiner Beobachtung einsetzen würde. Dafür brauchte man natürlich jemanden, der mit den Handelsschiffern zurechtkam. Aber dieser — dieser Clown? Beim Barte des Propheten, der Mann würde unerträglich sein! Horace seufzte und fügte sich in das Unumgängliche.

Zumindest war es ein intelligenter Clown. Vielleicht würde er sogar nützlich sein. »Ich glaube, Sir Kevin würde sich als Kommandant meines Privatschiffes bestens bewähren«, sagte Bury glatt. Nur ein Hauch von Widerwillen machte sich in seiner Stimme bemerkbar. »Willkommen bei Imperial Autonetics, Sir Kevin.«

»Aber …« Renner sah sich nach Hilfe um, aber es gab keine. Rod Blaine hielt etwas in der Hand — was war das? Renners Entlassungspapiere! Vor Kevins Augen zerriss Blaine das Dokument in kleine Stücke. »Also gut, verdammt nochmal!« Renner sah, dass er keine Gnade zu erwarten hatte. »Aber dann als Zivilist!«

»Aber gewiss«, stimmte Fowler zu. »Nun, Sie werden zwar einen Posten im Flottensicherheitsdienst bekleiden, aber das ist nur eine Formsache.«

»Bei Gottes Nabel — eine Formsache!« Die Redewendung ließ Bury zusammenzucken.

Renner grinste. »Was ist los, Exzellenz? Hat Gott keinen Nabel?«

»Ich sehe interessante Zeiten voraus«, sagte Bury langsam. »Für uns beide.«

58 Und vielleicht lernt das Pferd singen

Das Palastdach war in glitzerndes Sonnenlicht getaucht. Flauschige, unglaublich weiße Wölkchen zogen rasch über den Himmel, aber über den Landeplatz fächelte nur eine sanfte Brise. Die Sonne war warm und angenehm.

Ein Admiral und zwei Kapitäne standen an der Eingangsluke eines Landebootes. Eine kleine Gruppe Zivilisten, drei Fremde mit dunklen Brillen, und vier bewaffnete Infanteriewachen hatten sich ebenfalls bei dem Boot versammelt. Der Admiral übersah die Splits und ihre Begleitung geflissentlich, als er sich vor den Zivilisten verneigte. »Ich bedaure es sehr, Mylady, Mylord. Es ergibt sich, dass ich doch nicht an Ihrer Hochzeit teilnehmen kann. Nicht, dass ich glaube, vermisst zu werden, aber es tut mir leid, dass ich Ihnen so bald Ihre Freunde wegnehmen muss.« Er wies auf die beiden Kapitäne und verbeugte sich nochmals. »Ich verabschiede mich jetzt, damit Sie sie noch ein wenig für sich haben.«

»Alles Gute, Admiral«, sagte Rod leise. »Gott mit Ihnen.«

»Danke, Mylord«, sagte Kutuzov. Er drehte sich um und verschwand im Boot. »Diesen Mann werde ich nie verstehen«, sagte Sally.

»Das stimmt.« Jocks Ton drückte eine sachliche Feststellung aus.

Sally warf dem Split einen überraschten Blick zu, bevor sie sich an die beiden Offiziere wandte. Sie reichte ihnen die Hand. »Alles Gute, Jack. Sandy.«

»Ihnen auch, Sally.« Cargill beäugte die Goldschnur an seinen Ärmeln. Die vier Streifen eines Kapitäns glänzten neu. Nun, sie waren es auch. »Danke, dass Sie mir zu einem Schiff verhelfen haben, Rod. Ich dachte schon, ich säße für immer in der Gefechtszentrale fest.«

»Danken Sie dem Admiral«, antwortete Rod. »Ich hab’ Sie vorgeschlagen, aber er hat entschieden. Sandy aber wird für seinen Rang ganz schön zu schwitzen haben. Er wird im Flaggschiff fahren.«

Sinclair zuckte die Achseln. »Als Cheftechniker des Flottenverbandes werd’ ich wohl auch auf anderen Schiffen zu tun haben«, sagte er. »Der beste Beobachtungsort für neue Tricks der anderen Seite wird mitten im Auge sein. Das heißt, ich werd’ diesem Burschen hier auf die Finger schauen können, und ’s wird nötig sein. Geht doch nicht, dass ihm sein Schiff gar unterm Hintern auseinander fällt.«

Cargill ignorierte ihn. »Tut mir leid, dass ich die Hochzeit versäume, Sally. Ich möchte jedoch das Vorrecht eines Gastes beanspruchen.« Er beugte sich vor und streifte Sallys Wange mit den Lippen. »Wenn Sie ihn satt kriegen, es gibt noch andere Kapitäne in der Flotte.«

»Aye«, stimmte Sinclair zu. »Und mein Patent wurde zwei Minuten vor Cargills unterzeichnet. Das laß’ ich Sie nicht vergessen, Jack.«

»Kann ich mir vorstellen. Vergessen Sie nur nicht, dass die Patton mein Schiff ist. Aber jetzt müssen wir los, Chef. Das Rendezvous wird auch so schon eine heikle Sache. Lebt wohl, Jock, Charlie.« Cargill zögerte, dann salutierte er unsicher.

»Lebt wohl«, antwortete Charlie. Ivan zwitscherte etwas, und Jock fügte hinzu: »Der Botschafter wünscht euch alles Gute und den Segen eures Gottes.«

»Ich wäre gerne sicher, dass ihr das auch meint«, sagte Cargill. »Natürlich meinen wir es«, gab Charlie zurück. »Wir wünschen nichts mehr, als dass ihr euch sicher fühlt.«

Nachdenklich wandte sich Cargill ab. Er stieg ins Boot, und Sinclair folgte. Ein Mann der Besatzung Schloss die Luke. Triebwerke heulten auf, und Menschen wie Splits zogen sich in eine Schutzkabine zurück. Schweigend beobachteten sie, wie das Boot vom Dach abhob und in den hellen Himmel schoss. »Es wird funktionieren«, sagte Jock.

»Ihr könnt Gedanken lesen, ja?« fragte Rod. Er starrte in den Himmel hinauf, aber außer Wolken war nichts mehr zu sehen.

»Natürlich wird es funktionieren«, sagte Sally aus tiefster Überzeugung.

»Ich glaube, ich verstehe euch Menschen nun endlich«, sagte Charlie. »Habt ihr je eure alten Geschichtsaufzeichnungen gelesen?«

Rod und Sally starrten das Split betroffen an. »Nein.« »Dr. Hardy hat uns eine sehr aufschlussreiche Stelle gezeigt«, sagte Charlie. Sie wartete, bis der Lift eintraf. Zwei Infanterieposten betraten die Kabine als erstes, und als die Menschen und die Splits drinnen waren, folgten die anderen. Charlie erzählte weiter, als wären die bewaffneten Posten nicht vorhanden gewesen. »Einer eurer ältesten Geschichtsschreiber, ein Mann namens Herodot, berichtet von einem Dieb, der hingerichtet werden sollte. Bevor man ihn wegbrachte, Schloss er jedoch eine Wette mit dem König ab: binnen eines Jahres würde er dem Lieblingspferd des Königs das Singen beibringen.« »Ja?« Sally war verwirrt und musterte Charlie besorgt. Das Split schien ganz in Ordnung zu sein, aber Dr. Horvath hatte gesagt, dass er sich um das psychische Wohlbefinden der Fremden.

Sorgen mache …

»Die anderen Gefangenen sahen zu, wie der Dieb dem Pferd immer wieder vorsang, und sie lachten ihn aus. ›Es wird dir nicht gelingen‹, sagten sie zu ihm. ›Niemand kann das.‹ Der Dieb aber antwortete ihnen: ›Ich habe ein Jahr Zeit, und wer weiß, was da alles geschehen kann. Der König könnte sterben. Das Pferd könnte sterben. Ich könnte sterben. Und vielleicht lernt das Pferd doch singen.‹«

Die Menschen lachten höflich. »Ich habe die Geschichte nicht gut erzählt«, sagte Charlie. »Aber sie sollte gar nicht komisch klingen. Diese Geschichte erst hat mich gelehrt, wie fremd ihr uns seid.«

Verlegenes Schweigen entstand. Als der Lift hielt, fragte Jock: »Wie geht es mit eurem Institut voran?«

»Bestens. Wir haben schon einige der wichtigsten Leute herkommen lassen, beziehungsweise ihre Mitarbeit zugesagt bekommen.« Sally lachte verlegen. »Ich muss das alles rasch organisieren : Rod will mich nach der Hochzeit nicht an das Institut denken lassen. Ihr kommt doch, nicht?«

Die Vermittler zuckten die Achseln. Einer warf einen Blick auf die Wachposten. »Wir würden uns freuen, wenn man uns teilzunehmen gestattet«, antwortete Jock. »Aber wir haben keine Geschenke für euch. Es ist kein Braunes da, das welche anfertigen könnte.«

»Wir werden wohl ohne auskommen«, sagte Rod. Die Lifttür war bereits offen, aber sie warteten, bis zwei der Infanteristen den Korridor überprüft hatten.

»Ich bin euch dankbar, dass ihr mir erlaubt habt, Admiral Kutuzov zu sprechen«, sagte Jock. »Ich habe darauf gewartet, seit unser Kontaktschiff bei der Mac Arthur eintraf.«

Rod warf den Splits einen verwunderten Blick zu. Jocks Gespräch mit Kutuzov war kurz gewesen, und eine der wichtigsten Fragen, die das Split gestellt hatte, lautete: »Mögen Sie Tee mit Zitrone?«

Sie sind so kultiviert und freundlich, und deshalb werden sie die paar Jahre, die ihnen noch bleiben, unter Bewachung verbringen müssen, während das Informationsministerium sie und ihre Rasse anschwärzt. Wir haben sogar einen Schriftsteller angeheuert, der ein Drama über die letzten Stunden meiner Kadetten schreiben soll.

»Es war wenig genug«, sagte Rod. »Wir …«

»Ja. Ihr könnt uns nicht nach Hause lassen.« Charlies Stimme verwandelte sich in die eines jungen neuschottischen Burschen. »Wir wissen ’n bisschen zu viel über die Menschen, als für uns gut is’.« Sie gab den Infanteriewachen mit einer Geste zu verstehen, dass sie gehen wollte. Zwei Soldaten traten in den Gang hinaus, und die Splits folgten. Die übrigen Wachen schlössen auf, und so marschierte die Gruppe den Gang entlang bis zum Quartier der Splits.

Die Lifttür schloss sich lautlos.

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