9

Als Marcian erwachte, war es bereits wieder finster. Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Noch immer trug er die rußverschmierten Kleider. Er zog sich aus und wusch sich mit dem kühlen Wasser, das wohl einer der Wachposten neben sein Bett gestellt hatte. Dann massierte er mit Öl die schmerzhaften Verbrennungen. Noch immer gingen ihm dieselben Gedanken durch den Kopf, wie vor dem Feuer. Könnte er nur ein letztes Mal mit Irgan Zaberwitz reden und von ihm erfahren, was in der verschwundenen Akte stand oder wer ihn ermordet hatte. Mit Bedacht goß er sich frisches Wasser aus dem Krug in die Waschschüssel, um sein Haar zu spülen. Und da durchzuckte es sein Hirn wie ein Blitz. Die Magier! Es gab vielleicht eine Möglichkeit, mit Zaberwitz zu reden. Der Weg, den er dazu gehen mußte, würde zwar das Mißfallen der Priesterschaft finden, doch es gab ohnehin keine Priester mehr in der Stadt. Marcian mußte mit Eolan reden. Hastig trocknete sich der Inquisitor das Haar und legte frische Kleider an. Dann blickte er über die Burghöfe zum hell erleuchteten Palas. Die Offiziersversammlung war noch nicht aufgelöst. Dort würde er die Magier treffen.


Mit ihren seltsam archaischen Gewändern, den kurzgeschorenen Haaren und asketischen Gesichtern erinnerten die Magier an Priester. Es war Marcian schwergefallen, Eolan zu überreden. Doch schließlich erklärte sich der weißhaarige Anführer bereit, ihm die gewünschte Hilfe zu gewähren. Allerdings forderte er einen hohen Preis. Ihm sollte die letzte Entscheidungsgewalt in allen Dingen zufallen, die direkt oder indirekt die Anwendung von Magie betrafen. Damit hatte Lancorians Wort in der Offiziersrunde kaum noch Gewicht. Eolan hatte auch keinen Hehl daraus gemacht, daß er den Illusionisten und Bordellbesitzer für einen billigen Jahrmarktzauberer hielt.

Der Inquisitor hatte das Offizierstreffen im Palas mit den fünf Magiern schon bald wieder verlassen. Gemeinsam waren sie zu dem Patrizierhaus gegangen, das er den Zauberern am Vortag hatte übereignen lassen. Nun befanden sie sich in einem holzgetäfelten Raum mit steinernem Boden, der einst als Eßzimmer gedient haben mochte. Die Magier hatten den schweren, kostbar geschnitzten Tisch aus der Mitte des Zimmers geschoben und die Teppiche beiseite gerollt. Der Boden war nun mit Zirkeln und arkanen Symbolen bemalt. Marcian war bei der ganzen Sache unwohl. Er wußte, daß der Baron, der Leiter der kaiserlichen Inquisition, ein solches Vorgehen nicht dulden würde. Doch der Inquisitor glaubte, keine Wahl zu haben.

Wieder wandte sich der hagere Eolan an den Stadtkommandanten. »Du bist sicher, daß du wirklich willst, worum du mich gebeten hast?« Der Inquisitor nickte stumm.

»Dann brauche ich jetzt einen Gegenstand aus dem Besitz des Toten.« Marcian reichte dem Magier den Schlüssel zum Stadtarchiv. Irgan Zaberwitz mußte ihn ein halbes Leben lang um den Hals getragen haben. Inzwischen hatte Eolan sich auf den Boden gekniet und zeichnete mit Kreide einen Halbkreis. Obwohl er feingliedrig aussah, bewegte er sich mit der Kraft und Entschlossenheit eines Kriegers. Der Mann war es gewohnt zu befehlen, ging es Marcian durch den Kopf. Er gehörte zum Dekanat der Magierakademie zu Bethana. Viel hatte er darüber hinaus nicht verraten, doch die fast verblaßte Narbe, die sich über Stirn und rechte Augenbraue zog, und eine weitere auf dem rechten Handrücken verrieten, daß er nicht nur Theoretiker und Lehrer war. Wieder erinnerte der Inquisitor sich daran, wie die Magier im Feuer der Orks gestanden hatten. Selbst kaiserliche Gardesoldaten hätten sich nicht kaltblütiger verhalten können.

»Die Vorbereitungen sind abgeschlossen«, schreckte ihn Eolans Stimme auf. »Ich muß von dir nun wissen, welche Fragen du beantwortet haben möchtest. Und sei gleich nicht ungeduldig. Es wird eine Weile dauern, bis sich mein Geist einen Weg in das Reich der Toten gebahnt hat. Es kommt auch vor, daß die Antworten, die wir von Verstorbenen erhalten, uns zunächst wirr, ja verrückt erscheinen. Oft klärt sich ihr Sinn erst im nachhinein. Drei Fragen werde ich für dich stellen. Der Kampf gestern hat meine Kräfte strapaziert, und ich möchte meine Energie nicht unnötig für ein Unternehmen aufwenden, dessen Rechtfertigung mir fragwürdig erscheint.«

Marcian ignorierte die bissige Bemerkung. Noch einmal erläuterte er Eolan, was er wissen wollte. Dann begann der Magier mit feierlicher Stimme die Beschwörung. Seine vier Schüler hatten sich schweigend in die Ecken des Raums gestellt und schlugen Schutzzeichen. Auch Marcian zeichnete mit fahriger Geste ein Symbol zur Abwehr böser Geister in die Luft. Mit monotoner Stimme wiederholte Eolan immer wieder die Formel. Sein Blick war auf den Schlüssel im Halbkreis gerichtet, und doch machte es den Eindruck, als würde er durch den Boden in unendliche Ferne schauen. Sein Geist mußte bereits auf dem Weg zu jenem Ort sein, der allen Lebenden verwehrt war, den dunklen Hallen des Totengottes, jenem Ort der Schwermut und Melancholie, von dem es unter normalen Umständen kein Zurück mehr gab.

Langsam begann der Inquisitor, sich Sorgen zu machen. Allzu lange hatte Eolan schon mit den Beschwörungsformeln geendet und blickte nur noch auf den Schlüssel. Ob er den Unwillen des Totengottes geweckt hatte? Vielleicht war er nun dazu verdammt, als einzig Lebender unter den Geistern der Verstorbenen gefangen zu sein.

Plötzlich durchlief ein leichtes Zittern die Lippen des Magiers. Die Wangen zuckten unter unkontrollierten Reflexen. Dann strich die Zunge des Magiers über seine Lippen. Eolan hatte Marcian erklärt, daß er einem Teil des Bewußtseins des toten Stadtschreibers in seinen Körper Platz gewähren würde, so daß er dem Stadtkommandanten auf die Fragen antworten konnte.

Wieder zitterten die Lippen Eolans. Dann öffnete er seinen Mund und versuchte zu reden. Die Stimme erinnerte ein wenig an die Irgans, doch klang sie dumpf, als käme sie aus unvorstellbarer Ferne.

»...ter Dam... Dämon ... Rot ... wie Blut. ... erschwingen ... Nicht der ... auf den ich gewartet hatte ... Er brachte ein Seil ... Ich wollte nicht ... Sein Blick zwang mich, ... es zu tun ... Er nahm die Akte ... und ... machte die Schlinge ... Ich wollte nicht ... auf den Stuhl ... Ich wollte nicht ... die Schlinge berühren ... Seine Augen waren schrecklich ... Seine Stimme war in meinem Kopf. Ich versuchte, mich zu wehren ... Der rote Dämon ist unbesiegbar. Dann stieß er den Stuhl fort, und ich stürzte in die Finsternis ... Flügelrauschen ... Der große Vogel, der dunkle Mann ...«

Bei den letzten Worten war die Stimme immer leiser geworden. Bis sie zuletzt zu einem Flüstern erstarb. Tränen liefen über Eolans Wangen. Dann begann er von neuem zu sprechen.

»Du mußt meinen Tisch finden. Irgan war nicht dumm! Ich habe dem Schwarzgerüsteten nicht getraut ... Als er die Blätter aus der Akte nahm, hat er nur unnützes Zeug bekommen. Aufzeichnungen über unsere Handelsbeziehungen zu Andergast ... Was du suchst, ist in dem hohlen Bein des Tisches versteckt, den der Schreiner Ulrik für meinen Vater angefertigt hat ... Der Schwarze und der Rote, die nur einer sind, haben es bis heute nicht gefunden.«

Die Stimme erstickte in einem schrillen Lachen. Dann war es für lange Zeit still. Marcian fürchtete schon, keine Antwort mehr auf seine dritte Frage zu erhalten, als noch einmal die Stimme Irgans erklang. Doch nun schien sie gehetzt. Er sprach in großer Eile, und Schweiß perlte von der Stirn Eolans.

»Er weiß, daß wir das Schweigen der Toten gebrochen haben! Er ist zornig und sucht uns. In der Akte findest du alles über den Prozeß, den die Inquisition gegen den Henker von Greifenfurt geführt hat. Seine Gespielin ist damals den Jägern des Praios ins Netz gegangen und hat ihren Meister verraten. Sie haben ihn mit dem Ring des Großinquisitors in den Bann geschlagen und mit sieben silbernen Dolchen auf dem Platz der Sonne gerichtet. Dann wurde sein toter Körper unter dem Allerheiligsten des Praios-Tempels eingemauert, auf daß er nie zurückkehre, denn der Henker war ein Wahhh...« Mit einem schrillen Schrei brach die Stimme mitten im Satz ab. Das war nicht mehr Irgan. Eolan hatte geschrien. Ein kalter Windstoß fuhr durch das Zimmer und löschte einige der Kerzen aus. Wieder schrie der Magier und krümmte sich unter Schmerzen. Marcian war es, als höre er das Schlagen gewaltiger Flügel. Für einen Moment verdunkelte der Schatten eines riesigen Vogels den Raum. Dann stürzte Eolan zu Boden. Der Inquisitor sprang an seine Seite. Blut tropfte von der Brust des Zauberers. Eine große Kralle hatte ihm das Gewand zerfetzt und drei blutige Striemen über die Rippen gezogen.

Benommen schlug der Zauberer die Augen auf. »Er hat mich gesehen«, flüsterte er mit heiserer Stimme.

»Wer?«

»Ich muß einen Fehler gemacht haben. Er ist auf mich aufmerksam geworden und hat seinen Boten geschickt. Ich höre noch immer das Flügelschlagen.« Haßerfüllt blickte der Magier Marcian an. »Ich hätte mich nicht auf dich einlassen sollen. Du bringst Tod und Verderben. Das habe ich schon gespürt, als ich dich zum ersten Mal sah. Ich hätte mich nicht bereden lassen dürfen, einen Zauber zu versuchen, den ich nur unvollkommen beherrsche. Weiche von mir, du Ausgeburt der Niederhöllen. Du sagst, du bringst das Licht, doch in Wirklichkeit stärkt dein Tun ganz andere Mächte.«

Zitternd erhob sich Eolan. Seine Schüler stützten ihn und halfen dem Magier, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Marcian hatte den Eindruck, daß die Falten im sonnengebräunten Gesicht des Mannes tiefer geworden waren. Auch erschien er dürrer und ausgezehrter. »Weiche von mir, Bote der Finsternis!« kreischte Eolan mit der Stimme eines Greisen. »Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Hesinde beschütze mich!« Lauthals begann er ein Gebet, in dem er um die Hilfe der Göttin der Magie flehte.

Aufgeregt murmelten die Adepten untereinander. »Er altert.«

»Nein, er wird wahnsinnig. Etwas greift nach seinem Verstand.« »Wir müssen einen Schutzkreis ziehen. Vielleicht können wir es aufhalten.«

Dann wandte sich ein junger, blonder Mann mit strengem Gesicht an Marcian. »Verlaß dieses Haus. Du kannst uns nicht helfen und hast für heute genug Unheil unter unser Dach getragen.«

Marcian schluckte eine zornige Antwort herunter und ging. War es seine Schuld, wenn Eolan seine Kräfte überschätzte? Er hätte doch nur seine Hilfe zu verweigern brauchen. Nein, der alte Magier war nicht an ihm, sondern an seiner eigenen Überheblichkeit gescheitert! Marcian verließ den Raum, in dem das unheimliche Ritual stattgefunden hatte, und wurde von einem verschüchterten Diener durch einen dunklen Flur zur Haustür geleitet.

Auf der Straße wandte er sich nach Osten und schritt energisch aus. Die kühle Nachtluft ließ ihn wieder klar denken. In dem Viertel hinter der alten Stadtmauer war das Haus des Archivars. Schon zweimal hatte er das bescheidene Fachwerkhaus aufgesucht, das einst Irgan Zaberwitz gehörte. Vergebens. Seine Hoffnungen, dort eine Spur zu finden, waren enttäuscht worden. Doch nun wußte er, wo er suchen mußte!

Für einen Moment hielt Marcian inne. Hatte er das Geräusch von Flügeln gehört? Erschrocken blickte er in den nächtlichen Himmel, aber nichts war zu erkennen. Seine Hand war instinktiv zum Schwertgriff gefahren. Langsam drehte er sich in der schmalen Gasse um seine eigene Achse und musterte das kleine Stück Himmel, das zwischen den hervorragenden Dachfirsten zu erkennen war. Er konnte nichts sehen, und doch fühlte er sich beobachtet. Vielleicht war das auch eine Nachwirkung des unheimlichen Rituals, dem er beigewohnt hatte. Schaudernd erinnerte er sich wieder an den großen Vogelschatten und das Geräusch schlagender Flügel. Ob ein Wächter des Totenreichs auf Eolan aufmerksam geworden war? Der Inquisitor versuchte, den beunruhigenden Gedanken beiseite zu schieben. Vielleicht suchte dieser Todesbote sogar nach ihm? Schließlich war er doch verantwortlich dafür, daß die Beschwörung stattgefunden hatte.

Marcian beschleunigte seine Schritte. Kaum war er in die nächste Gasse eingebogen, hörte er wieder das Geräusch. Er bildete sich allerdings ein, daß das Flügelschlagen ein wenig anders klang. Vielleicht, weil sein Jäger nun endgültig die Welt der Lebenden erreicht hatte?

Der Inquisitor rannte los. Er mußte einen geschützten Ort finden. Für einen Augenblick fragte sich Marcian, ob er begann, verrückt zu werden. Nein! Diese Bedrohung bildete er sich nicht ein. Er mußte das Haus des Schreibers erreichen! Wieder schlug er einen Haken, mied es, einen kleinen Platz zu überqueren, und folgte erneut dem Lauf einer engen Gasse. Was ihm da am nächtlichen Himmel folgte, würde ihm mit Sicherheit die Krallen in den Rücken stoßen, wenn er einen Platz überquerte und die Gelegenheit zu einem Angriff bot.

Marcian erreichte die Gasse der Weber. Eine ärmliche Gegend mit heruntergekommenen eingeschossigen Fachwerkhäusern. Die Mauern standen hier so dicht beisammen, daß er immer wieder mit der Schulter an den Wänden entlangschrammte, während er durch die Gasse auf sein Ziel zurannte. Die Giebel der windschiefen Häuschen ragten so weit nach vorne, daß es fast unmöglich war, den Himmel zu sehen. Marcian blickte dennoch nach oben. Nichts!

Mit wild klopfendem Herzen stand er endlich vor der Tür zum Haus des Schreibers. Seit Irgan zu Boron gegangen war, schloß hier niemand mehr ab. Der Inquisitor drückte die Schulter gegen die Tür, die ohne Widerstand aufsprang. Das ganze Haus bestand aus nur einem Raum. Eine hölzerne Leiter führte unter den Dachfirst. An der gegenüberliegenden Wand, unweit des gemauerten Kamins, stand ein mit Papieren bedeckter Tisch. Er war das einzige etwas besser gearbeitete Möbelstück in dieser bescheidenen Hütte. Hinter ihm durchbrach ein großes Fenster die Mauer, dessen hölzerne Läden von innen verriegelt waren. Marcian durchmaß den Raum, um im Kamin mit Stein und Stahl ein wenig Zunder zu entfachen. Daran entzündete er die Kerzen, die auf dem Sims in einem alten bronzenen Halter standen. Dann bückte er sich neben den Tisch. Er klopfte mit dem Knöchel gegen die schön gedrechselten Beine. Beim dritten hatte er Erfolg. Es klang hohl. Wie hatte er dieses Versteck nur übersehen können! Das Tischbein ließ sich herausschrauben. In seinem Innern war ein Bündel eng zusammengerollter Pergamentseiten versteckt. Marcian überflog die Papiere. Sie trugen allesamt das Siegel der Inquisition.

Vor Aufregung hatte er die Bedrohung am Nachthimmel für einen Augenblick vergessen, als mit lautem Krachen die Fensterläden aufflogen. Marcian rollte sich unter den Tisch und zog sein Schwert. Ein eisiger Luftzug ließ die Kerzen verlöschen. Ein riesiger Schatten huschte über ihn hinweg und landete mitten im Zimmer. Die Gestalt, die sich vor ihm aufbaute, maß mehr als zwei Schritt. Mächtige lederne Flügel wuchsen aus ihren Schultern. Im Dunkeln konnte der Inquisitor sie nur ungenau erkennen, doch entsprach das, was er sah, ziemlich genau seinem Bild von Dämonen. Ein ganz leichtes Glimmern leuchtete noch im Kamin. Es tauchte das Monstrum in ein rötliches Licht. Marcian schluckte. Das Wesen schien keine Haut zu haben. Naß schimmerte blutiges Muskelfleisch. Breite Lederbänder liefen über seine Brust, und es schien etwas auf den Rücken geschnallt zu tragen.

Als die Gestalt sich umdrehte, knirschten die alten Bodendielen bedenklich, als würden sie jeden Augenblick zerbersten. »Komm aus deinem Loch gekrochen!« forderte sie ihn auf. Die Stimme erklang in Marcians Innerem. Das Wesen hatte seine Lippen nicht bewegt und zeigte ein Maul mit dolchartigen Reißzähnen, während es ihn mit bösen gelben Augen argwöhnisch musterte. Die Kreatur war ein Telepath. Er mußte aufpassen, was er dachte, denn seine Gedanken würden wie ein offenes Buch sein.

»So ist es!« ertönte es in seinem Schädel. Obwohl die Stimme ohne gesprochene Worte auskam, schien sie ihm merkwürdig vertraut. »Ich habe etwas für dich, du heimtückischer Mörder.« Die Kreatur schleuderte ihm einen kleinen Beutel herüber. »Los, mach ihn auf!«

Ohne den Blick von der Gestalt im Zimmer zu wenden, fingerte Marcian an dem Lederriemen, der den Beutel verschloß. Aus seinem Inneren klingelte es metallisch. Was mochte dieses Nachtgeschöpf nur beabsichtigen? Warum verfolgte es ihn und griff dann doch nicht an? Obwohl das Wesen diese Gedanken deutlich vernommen haben mußte, erhielt der Inquisitor keine Antwort.

Endlich war der Beutel offen. Marcian schüttete den Inhalt auf die Holzdielen. Es war eine silberne Kette aus Münzen, in die ein kunstfertiger Schmied tränenförmig geschliffene Onyxe eingearbeitet hatte. Daneben lag ein kleiner goldener Ring mit einem Greifensiegel. Sartassa! Das war ihr Schmuck und sicher auch ihr Ring.

»Komm da heraus!« erklang wieder die vertraute Stimme. »Später wirst du noch genug Zeit haben, vor mir zu knien.«

Das Ungeheuer wich einen Schritt in das Zimmer zurück, und Marcian kroch unter dem Tisch hervor. Drohend hob er das Schwert in der Rechten und richtete es auf die Kehle des Monstrums. Er war sich zwar nicht sicher, ob die Waffe gegen diese Ausgeburt des Bösen helfen mochte, doch fühlte er sich mit dem blanken Stahl in der Hand ein wenig wohler. Marcian erinnerte sich an das Abschiedsgeschenk des Großinquisitors. Sollte der Baron recht behalten, konnte ihm die Kreatur nichts anhaben. Mißtrauisch musterte ihn das Geschöpf. Er hatte versucht, nicht konkret an das zu denken, was er um den Hals trug. Dennoch schien es etwas bemerkt zu haben. Es bleckte die Zähne und fauchte ihn an. Marcian faßte neuen Mut. »Was hast DU mit Sartassa gemacht?« Die Stimme des Inquisitors hatte fast ihren gewohnten Befehlston wiedergefunden.

»Die Frage sollte besser lauten, was hast du mit Sartassa gemacht! Sie kam zu mir mit Verrat im Sinn.«

Marcian verharrte. Jetzt wußte er, woher er die Stimme kannte. Die Kreatur imitierte Zerwas!

»Was soll dein Gaukelspiel? Warum sprichst du mit der Stimme des Henkers.«

»Hast du wirklich noch nicht begriffen? Glaubst du, ich wüßte nicht, wer hier der Gaukler ist? Wessen Leute verbergen sich denn hinter Masken? Welchem Herren dienen die drei Magier im Palas wirklich? Wer hat Sartassa und ihre Freundin, die Auelfe, zu mir geschickt, damit ich sie in meine Bürgerwehr aufnehme? Was sind die Jägerin, der Zwerg und der Söldner wirklich? Du siehst, ich kenne alle deine Agenten, INQUISITOR!«

Der Rote und der Schwarze, hatte die Stimme des toten Irgan gesagt. Sie waren ein und dieselbe Person. Langsam fügten sich die Geheimnisse für Marcian zu einem Bild. Der Rote, das war der Dämon, der nun vor ihm stand, und der Schwarze war Zerwas in seiner schwarzen Rüstung. Dieses Monstrum war auch der Henker!

»Du hast lange gebraucht, um mich zu erkennen«, klang es in seinem Kopf.

Was für ein Diener des Namenlosen Gottes mochte sich nur hinter dieser Kreatur verbergen? »Was bist du, Zerwas? Bist du auch der Henker, von dem in dieser Akte die Rede ist? Verbirgst du dich hinter all den Scharfrichtern, die das geflammte schwarze Schwert trugen?« Vor seinem geistigen Auge sah der Inquisitor, wie der böse Geist des Zerwas seit Jahrhunderten die Stadt heimsuchte.

»Bin ich ein Narr, dir meine Geheimnisse zu verraten?« Die Gestalt bleckte ihre tödlichen Reißzähne und hob eine ihrer Klauenhände wie zum Schlag.

Marcian wich einen Schritt zurück. »Was willst du von mir, Zerwas? Was willst du von Greifenfurt?«

»Blut und Leben! Ich will die Stadt leiden sehen, so wie die Stadt mich hat leiden sehen, und du, Marcian, bist schon lange zum Vollstrecker meiner Wünsche geworden. Du hast Greifenfurt in den Kampf mit den Orks geführt, und das wird der Untergang der Stadt sein. Hätten die Bürger gewartet, bis der Prinz kommt, was wäre ihnen schon geschehen? Doch nun wird Greifenfurt zum Grab für seine Bürger werden.« »Weiche von mir, Kreatur der Finsternis, oder du wirst die Macht der Inquisition zu spüren bekommen, so wie es schon einmal geschehen ist!« Marcian machte einen Ausfallschritt und versuchte, der Bestie die Kehle aufzuschlitzen, doch gewandt wie eine Katze wich sie aus. »Mich nennst du Kreatur der Finsternis, doch ich bin aufrichtiger als du. Ich schicke niemandem einen Spion bei Nacht. Ich komme selbst, und ich lebe, was ich bin. Doch was bist du, hochmütiger Inquisitor? Ein Mann, der zu einer Hure von Liebe redet, wenn er einsam ist, der aber nicht den Mut hat, sich öffentlich zu ihr zu bekennen. Und warst du nicht derjenige, der Sartassa in den Tod geschickt hat? Du mußtest wissen, daß ich, wenn ich Finsteres im Schilde führe und sie meine Geheimnisse entdeckt, keine andere Wahl haben würde, als sie zu töten. Hat dich das abgehalten? Du, Marcian, spielst dich hier als Retter der Stadt auf. Dabei bist du nicht einmal ehrlich genug, den Leuten, die du retten willst, zu sagen, was du wirklich bist. Ich verachte dich!« Marcian preßte die Hände gegen die Schläfen. Er versuchte, sich gegen diese verleumderischen Gedanken zu sperren. Er mußte ihnen Widerstand leisten. Sie widerlegen. »Rede du mir nicht von Masken, Bestie! Spielst du nicht den Bürgern genauso ein Spiel vor? Was anderes ist dein Zerwas als ein Sinnentrug?«

»Ich, Marcian, betrüge mich wenigstens nicht selbst. Ich weiß, was ich bin. Ich weiß, was ich will, und ich handle danach. Brauche ich Blut, dann nehme ich es mir und habe deshalb kein schlechtes Gewissen. Doch was tust du? Du verheimlichst deine Gelüste, deine Triebe, deine dunkle Seite. Könnte ein Mann Inquisitor werden, der nichts Böses in sich trägt. - Nein! Denn er könnte keinem unschuldigen Opfer die Daumenschrauben anlegen. Du und ich, Marcian, wir sind uns ähnlicher, als du zugeben magst. Doch ich lebe meine dunkle Seite aus. Ich bekenne mich dazu. Wohingegen du dabei bist, eine ganze Stadt mit dir in den Abgrund zu reißen.«

Mit einem Aufschrei warf sich der Inquisitor auf die Kreatur. Sein Schwert hatte er fallen lassen. Er raste vor Wut und dachte nicht mehr nach. Er wollte dieses widerwärtige Geschöpf mit bloßen Händen töten! Vergebens! Mit unirdischer Kraft entwand sich die Bestie seinem Griff und schleuderte ihn mit spielerischer Leichtigkeit gegen die Wand. Mühsam rappelte er sich auf. Der Dämon griff mit der rechten Hand nach dem, was er zwischen seinen Flügeln festgeschnallt hatte, das geflammte schwarze Richtschwert.

Marcians Kehle wurde trocken. Schlug nun seine letzte Stunde? Ohne die Kreatur aus den Augen zu lassen, bückte er sich nach seiner Waffe. Der Dämon stand wie versteinert in der Mitte des Zimmers. Marcian versuchte, seine Angst zu unterdrücken, doch war ihm klar, daß die Bestie mit ihrem telepathischen Talent auch die kleinste seiner Gefühlsregungen wahrnehmen würde. Trotzig erklärte er: »Ich werde Greifenfurt retten, und ich schleiche nicht bei Nacht durch die Gassen, um ungesühnte Morde zu begehen.«

»Bist du wirklich so blind? Egal, wer letzten Endes gewinnt, die Kaiserlichen oder die Orks, von Greifenfurt wird nicht mehr als ein Haufen rauchender Trümmer bleiben. Und du willst mir sagen, du begehst keine ungesühnten Morde. In meinen Augen ist es Mord, wenn du einen Bürger, der ein paar Tage mit einem Holzschwert geübt hat, in die Schlacht führst. Ich jedenfalls habe in den letzten Tagen nicht annähernd so viele zu Boron geschickt wie du.«

»Ich werde dich vernichten, Zerwas. Du sprichst mit der Zunge des Bösen. Doch in mein Herz wirst du keinen Zweifel säen.« Leere Worte. Zerwas mußte sehen, welchen Erfolg er hatte. Und die Bestie fuhr unbeirrt fort.

»Und wäre es wahr, wäre das dann eine Tugend? Dein Ideal nenne ich blinde Verbohrtheit! Der Zweifel zeichnet den intelligenten Menschen aus. Doch vielleicht erwarte ich wirklich zu viel von dir? Vielleicht habe ich dich überschätzt? Nun denn, wir haben genug geredet. Ich werde dich schon noch dazu bringen, an den Tugenden der Inquisition zu zweifeln.«

Das Monstrum bleckte wieder seine Zähne. Geduckt wich es ein wenig zurück. Seinen Körper durchlief ein Zittern, so als schüttelten es Krämpfe. Der Inquisitor traute seinen Augen kaum. Es veränderte sich. Sein Brustkorb schrumpfte. Haut bedeckte das blutig rote Fleisch. Aus Klauen wurden Hände. Am schrecklichsten anzusehen war die Veränderung des Kopfes. Wie sich der Schädelknochen unter dem Fleisch verformte, so als wäre er nur Lehm in der Hand eines Töpfers. Aus dem flachen Schädel modellierte sich eine hohe Stirn. Platte Nüstern wurden zu einer geraden schönen Nase. Das Ungeheuer stöhnte vor Schmerz. In wenigen Atemzügen sproß ihm langes, schwarzes Haar aus dem Kopf und fiel über seine Schultern. Die Gestalt wurde zu Zerwas. Marcians Rechte krampfte sich um das Schwert. Jetzt war die Gelegenheit, ihn zu töten. Der Inquisitor stieß die Klinge nach der Kehle des Henkers. Vergebens.

Mit zitternder Hand parierte Zerwas den Schlag. Seine Verwandlung war nun fast abgeschlossen, und er wollte sein Spiel spielen. Wollte Angst in Marcians Augen sehen, um ihm zum Schluß seine Zähne in die Kehle zu treiben. Er sollte zum Vampir werden, wie jeder, dessen Blut er trank und den er nicht enthauptete. Ein Inquisitor, hinter dem sich ein Vampir verbarg! Letzte Nacht war ihm die Idee gekommen, und er fand sie von Stunde zu Stunde besser. Vergoß die Inquisition nicht genauso das Blut von Unschuldigen wie er? Inquisitoren töteten für eine Idee, eine Ideologie. Er tötete, um zu leben, weil es seine Natur war. War ein Wolf böse, weil er ein Schaf riß? Doch sie töteten alles, was nicht ihrem Weltbild entsprach. Die Inquisition war nichts anderes als ein tausendarmiges Monstrum, das ein ganzes Reich in seinem festen Griff hielt. Es wäre köstlich, einen Inquisitor zu einem wirklichen Vampir zu machen. Im Grunde hieße das nichts anderes, als ihm zu seiner wahren Gestalt zu verhelfen.

Wieder wich Zerwas geschickt den Hieben Marcians aus. Dann ging der Henker zum Gegenangriff über: Wie Hagelschlag prasselten seine Schwerthiebe auf den Inquisitor nieder, der Schritt um Schritt zurückweichen mußte und schließlich mit dem Rücken zur Wand stand. Zerwas entblößte seine tödlichen Fänge und sagte mit klarer Stimme: »Weißt du, was dein größter Fehler ist, Marcian? Der Irrtum, aus dem all deine anderen Fehler resultieren? Du versuchst immer und um jeden Preis, gerecht zu sein!«

Wie eine schwarze Flamme fuhr das Schwert des Henkers herab. Mit mörderischer Wut traf es die Klinge des Inquisitors, der erst im letzten Augenblick die Waffe hochriß, um den Schlag aufzufangen. Eine Welle von Schmerz durchlief Marcians rechten Arm. Seine Finger fühlten sich taub an und waren wie gelähmt. Ein zweiter Schlag prellte ihm die Waffe aus der Hand. Zerwas setzte den Fuß auf das Schwert.

»Nun, mein Freund, was nutzt dir dein Gerechtigkeitssinn jetzt?« höhnte der Vampir. »Wo ist dein Gott Praios? Du krankst daran, daß du nicht erkennen kannst, daß Gerechtigkeit nicht mehr als eine Idee ist. Auch wenn du dir größte Mühe gibst, wirst du es nie allen recht machen können. Eine gute Tat ist nur deshalb gut, weil du sie so definierst. Gib einem Bettler ein Goldstück, und jeder wird sagen, was für ein großherziger Mensch du bist. Doch was hat der Bettler davon? Für ein paar Tage kann er sich zu essen und zu trinken leisten, was er will, und darf in einem Bett schlafen. Doch sobald der letzte Heller ausgegeben ist, fällt er in die Gosse zurück. Dann bleibt ihm nur die Erinnerung, wie schön das Leben sein könnte, und jetzt ist ihm erst recht bewußt, in welchem Elend er lebt. Aus dieser Warte gesehen, kann man die scheinbar noble Geste auch grausam nennen. Und so ist es mit allem, was du tust. Du wirst niemals gerecht sein. Du jagst nur einem Traum nach, und ich werde dich nun in einen neuen Traum stürzen, werde im Namen aller, deren Tod du verschuldet hast, Gerechtigkeit an dir üben.«

Zerwas schleuderte sein Schwert beiseite und packte den Inquisitor. Verzweifelt versuchte sich Marcian, dem Griff zu entwinden. Doch der Vampir war stärker. Er beugte ihn zurück, wie ein stürmischer Liebhaber, der seine Braut küssen will, und entblößte seine tödlichen Eckzähne.

Marcian spürte den heißen Atem auf seiner Haut. Doch dann fuhr der Vampir plötzlich schreiend zurück. Ein gezacktes Brandmal lief von seiner Oberlippe bis weit auf die linke Wange. Es sah fast aus wie ein Blitz. Wütend rieb sich das Nachtgeschöpf die verbrannte Stelle. Der Inquisitor nutzte die Gelegenheit und bückte sich nach seinem Schwert. Der Vampir hatte mittlerweile beide Hände vors Gesicht geschlagen und stöhnte. Es roch nach verbranntem Fleisch. Vorsichtig umkreiste Marcian ihn, doch Zerwas beachtete ihn nicht. Dann stieß er dem Vampir seine Klinge tief in den Bauch, drehte das Schwert in der Wunde und wich zurück. Langsam ließ Zerwas die Hände vom Gesicht gleiten, starrte ihn mit glasigen Augen an. In Strömen schoß das Blut aus der tödlichen Wunde. Das Mal im Gesicht hatte sich bis auf den Knochen eingebrannt und seine Züge gräßlich entstellt. »Was ist geschehen?« murmelte er mit erstickter Stimme.

»Gerechtigkeit«, entgegnete Marcian kalt. »Du hast meinen Gott gelästert und seine Kraft zu spüren bekommen. Deshalb trägst du nun das Mal des Blitzes in deinem Gesicht. Und nun stirb!«

Für einen Moment überlegte der Inquisitor, ob er das Schwert aus der Wunde ziehen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Die Waffe sollte zurückbleiben, als Beweis dafür, daß er dieses Monstrum getötet hatte. Langsam, den Blick nicht von Zerwas wendend, schritt er zur Tür. Zerwas wimmerte, er bettelte darum, im Augenblick des Todes nicht allein zu sein. Marcian drehte sich um und begann zu laufen, um der Stimme zu entkommen. Er würde ihm keine Gnade gewähren. Er war die Verkörperung des Bösen. Wahrscheinlich ein Geschöpf des Namenlosen Gottes. Ihm durfte keine Gnade widerfahren.


Gierig atmete Marcian die kühle Nachtluft. Er hatte das Haus des Stadtschreibers und den sterbenden Zerwas weit hinter sich gelassen, war durch die Straßen geirrt und hatte über das nachgedacht, was Zerwas über die Gerechtigkeit gesagt hatte. Ketzerische Gedanken und doch gingen sie ihm nicht aus dem Kopf. War es Glück oder Fügung, daß er nicht zum Vampir geworden war? Er wußte fast nichts über die Geschöpfe der Nacht. Der Großinquisitor selbst führte die Jagd auf sie. Erst vor einigen Jahren hatte er bei Winhall den Umtrieben eines Werwolfs ein Ende gesetzt. Doch er, Marcian, hatte sich niemals an einem solchen Fall beteiligt. Es kam selten vor, daß diese Kreaturen auftauchten, und dann waren es fast immer die Leiter der Inquisition, die ihnen ein Ende bereiteten. Allein sie verfügten über das umfassende Wissen, das man benötigte, dieser Übel Herr zu werden, und nur sie besaßen auch die gesegneten Waffen, mit denen man das Böse bannen konnte. Dinge wie die Greifenfeder, die ihm der Baron zum Abschied gegeben hatte. Ein mächtiger Talisman, der vor dem Zugriff des Bösen schützte. Ihr verdankte Marcian wohl sein Leben. Ohne diese Feder wäre er jetzt ein Vampir. Ein Geschöpf wie Zerwas. Der Inquisitor genoß seinen Triumph. Er hatte der Inkarnation des Bösen getrotzt.

Marcian blickte zum Himmel empor, betrachtete das kalte Funkeln der Sterne. Die Nacht war so schön. Wie konnte es sein, daß in ihrem Schutz das Grauen wuchs? Etwas fiel mit dumpfem Schlag vor ihm in den Staub der Straße. Er bückte sich danach, um den länglichen Gegenstand näher zu betrachten, und erschrak bis ins Innerste. Dort lag sein Schwert!

Ein sengender Schmerz bohrte sich in sein Hirn. Vertrieb jeglichen Gedanken. Es war, als griff eine Hand mit kalten Klauen durch seinen Schädel nach seinem Verstand. Er ging in die Knie, preßte sich die Hände auf die Schläfen, versuchte an Praios zu denken, ein Schutzgebet zu murmeln, doch die Schmerzen verließen ihn nicht. Dann hörte er tief in sich die Stimme von Zerwas. »Heute nacht hast du deine Unschuld verloren. Du wolltest gerecht sein. Doch zur Gerechtigkeit gehört auch die Gnade, und hier hast du versagt. Wärst du das, was du gerne sein möchtest, hättest du den Großmut besessen, bei einem sterbenden Feind auszuharren. Doch dein Stolz und dein Hochmut waren stärker. Wärest du geblieben, hättest du gesehen, daß ich so leicht nicht zu töten bin, aber vielleicht hättest du einen anderen Weg gefunden, um mich zu vernichten, so lange ich schwach war. Nun brauche ich Blut, um meine Kräfte wieder zu gewinnen, und für jedes meiner Opfer trägst auch du einen Teil der Schuld. Auch hättest du in deinem voreiligen Triumph die Akte nicht liegen lassen sollen! Dein einziger Beweis für mein wirkliches Wesen ist jetzt Asche. Versuche nicht, gegen Zerwas den Henker vorzugehen, denn für die Greifenfurter bin ich ein Held aus ihren Reihen und du ein tyrannischer Unterdrücker. Klage mich an, und am Ende wirst du gerichtet werden!«

Die Stimme war verschwunden. Marcian lag mit dem Gesicht im Staub der Straße. Die Schmerzen wichen nur langsam von ihm. Der Vampir hatte recht. Sein Hochmut hatte ihn zu Fall gebracht. Doch er würde daraus lernen. Er würde den Rest der Nacht auf dem steinernen Boden seines Gemachs kniend in Demut verbringen. Würde um die Gnade seines Gottes beten und um Hilfe im Kampf gegen die Finsternis.

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