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»Wo finden wir den Mann, der sich Cuwignaka nennt?« übersetzte der junge hellhäutige, muskulöse Mann.

Der Krieger, von dem diese Frage ausging, war ein Flieger, der sein Haar in einer hohen, zurückgekämmten Frisur trug. Er war Mitglied der Blauen Himmelsreiter. Grunt und ich hatten ihn vor langer Zeit schon einmal gesehen, in der Nähe der Stelle, wo sich das Wagenzug-Massaker ereignet hatte.

»Ich bin Cuwignaka«, sagte mein Freund und trat vor. Er trug inzwischen einen Lendenschurz, hatte aber noch immer die weißen Fetzen des Kleides um den Oberkörper geschlungen. Auch seine Worte wurden von dem hellhäutigen Jüngling übersetzt.

»Ich hatte geglaubt, tot zu sein«, hatte Grunt mir gestern anvertraut. »Jetzt aber habe ich das Gegenteil entdeckt. Ich habe bei den Staubfüßen einen Sohn!«

Grunt hatte den Jungen beim Besuch des Staubfuß-Stammes nach dem Massaker im Sommerlager gefunden. Vorwiegend wegen Grunts Fürsprache hatten die Staubfüße den langen Ritt zum Ratsfelsen unternommen, um den Kaiila zu helfen. Die Mutter des Jungen hatte Grunt vor langer Zeit geliebt. Angeblich lebte sie noch. Der Junge besaß Grunts Sprachtalent und Geschäftssinn. Er gehörte zu den wenigen Staubfüßen, die in Flieger-Lagern willkommen waren, und hatte ihre Sprache erlernt.

Grunt und sein Junge hatten beschlossen, künftig als Partner zu arbeiten – sicher würden sie im Ödland bald Berühmtheit erlangen. Diesen Winter, so hatte Grunt mir gesagt, wollte er nicht in die Ihanke zurückkehren, sondern bei den Staubfuß-Kriegern bleiben. Es gebe dort eine Frau, die ihm einmal viel bedeutet habe. Er wollte sie wiedersehen.

Der Flieger-Krieger musterte Cuwignaka. »Ich habe von dir gehört«, ließ er übersetzen. »Auf den Ebenen ist allgemein bekannt, daß bei den Kaiila ein Mann lebt, der Cuwignaka, Frauenkleid, genannt wird und der keinen Händel mit den Fliegern hat.«

Cuwignaka musterte sein Gegenüber wortlos.

»Deinetwegen«, fuhr der Flieger, »nur deinetwegen sind wir zum Ratsfelsen gekommen.«

Cuwignaka schaute den anderen verwirrt an.

»Weißt du, warum wir zum Ratsfelsen gekommen sind?« fragte der Flieger, »und warum, unseretwegen, die Sleen mitgekommen sind?«

»Nein«, antwortete Cuwignaka. Die Flieger und Sleen sind Verbündete.

»Weil wir keinen Händel mit Cuwignaka haben«, sagte der Flieger lachend.

Dann wendete er seine Kaiila und ritt davon.

»Du bist jetzt ein großer Krieger, mein Freund«, sagte Hci zu Cuwignaka. »Welchen Namen willst du annehmen? Hast du dir schon einen ausgesucht?«

»Willst du deinen alten Namen Petuste wieder annehmen?« In der Kaiilasprache bedeutet dieses Wort ›Feuerscheit‹.

»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Ich behalte meinen Namen Cuwignaka.«

Hci lächelte. »Du hast diesen Namen zu einem Kriegernamen gemacht«, sagte er.

»Und was ist mit dir, mein Freund?« wandte sich Cuwignaka an Hci. »Vor langer Zeit warst du als Ihdazicaka bekannt.« In der Übersetzung bedeutete dieser Name ›Mann-der-sich-reich-schätzt‹.

»Nein«, antwortete Hci lächelnd. »Obwohl ich mich nun wirklich reich schätzen kann, werde ich den Namen Hci behalten. Es ist ein Name, auf den ich stolz bin. In der Zeit, in der ich diesen Namen trug, habe ich die höchsten Coups erringen können. Und zum erstenmal in meinem Leben Freunde gefunden.«

Wir gaben uns die Hände.

Die Niederlage der Gelbmesser lag zehn Tage zurück.

Wir befanden uns in einem großen Siegeslager, an einem Flußlauf gelegen, sieben oder acht Pasangs vom Ratsfelsen entfernt. In diesem Lager lebten Flieger, Sleen, Staubfüße und Kaiila einträchtig nebeneinander. Feiern und Tänze hatten stattgefunden. Die Beute aus den Gelbmesser-Lagern war aufgeteilt worden, und es war zu einem lebhaften Austausch von Geschenken gekommen, sogar zwischen Erbfeinden wie den Fliegern und den Kaiila.

Doch so selten solche Friedensfeste auch waren – das Braunwerden des Grases und der kühle Wind kündeten nur zu klar vom Fortschreiten der Jahreszeiten. Schon verließen erste kleine Gruppen das große Lager.

Auch ich mußte mich bald auf den Weg machen. Ich mußte das Ödland verlassen und die lange Reise zur Ihanke und von dort zu den Thentis-Bergen und dem Vosk antreten, von wo ich den Tamber-Golf und Port Kar erreichen würde.

Ich machte mich auf den Rückweg zu dem Zelt, das ich mit Cuwignaka teilte. Bei uns wohnten seine Sklavin Cespu, die ehemalige Bloketu, und Mira, die inzwischen rechtmäßig mein Mädchen war. Cuwignaka wollte sie mir schenken, doch ich hatte darauf bestanden, vier Felle für sie zu bezahlen.

Ein wenig abseits knieten vier Sklavinnen, die einmal Grunt gehört hatten und ihm von Gelbmessern genommen worden waren: Lois, Inez, Corinne und Priscilla. Nach der Niederlage waren sie Grunt als Beuteanteil zurückgegeben worden. Zwei Mädchen hatte er bereits mit gutem Gewinn weiterverkauft; sie waren nur noch nicht abgeholt worden. Zwei andere Mädchen wollte er als Lastenträgerinnen bei sich behalten.

Ich blieb vor Lois stehen und zog ihren Kopf am Haar herum. »Du hast Alarm geschlagen, als ich mit zwei Freunden in einem Gelbmesserlager Kinyanpi-Tarns stehlen wollte.«

Sie erschauderte.

»Wußtest du, daß ich zu den Angreifern gehörte?« fragte ich. »Hattest du mich erkannt?«

»Ja, Herr«, flüsterte sie zitternd.

»Gut gemacht«, sagte ich.

Erstaunt blickte sie mich an.

»Sieh zu, daß du deinem neuen Herrn womöglich noch besser dienst«, sagte ich.

»Ja, Herr«, antwortete sie leise.

Es befanden sich viele andere im Lager, von deren Schicksal ich nun im nachhinein erfuhr. Zum Beispiel Max und Kyle Hobart und die beiden ehemaligen Erdenmädchen Ginger und Evelyn, die zusammen mit den Männern beim Stamm der Sleen versklavt gewesen waren. Grunt hatte den beiden Hobarts die Freiheit erkauft und die Mädchen gleich mit übernommen, die den Hobarts als wahre Sklavinnen zugetan waren. Einen befreundeten Jäger sah ich ins Lager zurückkehren, Cotanka von den Wismahi; quer vor ihm auf seiner Kaiila lag ein erlegter Tabuk, und ich mußte daran denken, daß die Gelbmesser noch viel Fleisch zusammentragen mußten, um über den Winter zu kommen. Zur Begrüßung lief dem jungen Jäger ein blondes Sklavenmädchen entgegen; sie war während des Kampfes um das Sommerlager als Lockmädchen losgeschickt worden.

»Wasnapohdi!« rief ich einer vorbeigehenden Sklavin zu, die ein zusammengerolltes Kailiaukfell auf der Schulter trug.

Entzückt lief sie zu mir und kniete nieder.

»Bist du froh über deinen neuen Herrn?« fragte ich.

»Oh!« rief sie atemlos. »Er ist wirklich mein Herr! Tief in meinem Herzen wußte ich seit Jahren, daß ich nur ihm gehörte! Jetzt endlich bin ich voll und ganz seine Sklavin! Ich bin so glücklich!«

Ihr neuer Herr war ein junger Mann aus der Napoktanbande, Waiyeyeca, ›Mann-der-viel-findet‹, der sie vor langer Zeit, als beide noch Kinder waren, schon einmal besessen hatte. Inzwischen war er ein vielversprechender junger Krieger und sie eine ausgereifte, liebesbedürftige Sklavin. Wer Wasnapohdi im Arm halten durfte, überlegte ich, war in der Tat ein Mann, der viel gefunden hatte.

»Ich hatte große Angst, daß er mich nicht kaufen würde«, fuhr sie fort. »Mein ehemaliger Herr Grunt hatte den Preis wirklich hoch angesetzt.«

»Was hast du ihm denn gebracht?« fragte ich, obwohl ich die Antwort wußte.

»Vier Häute des gelben Kailiauk«, antwortete sie.

Ich tat erstaunt und pfiff durch die Zähne.

»Mein Herr war nicht gerade froh, soviel bezahlen zu müssen, aber nun ist alles in Ordnung.«

»Ich verstehe«, sagte ich. Zweifellos hatte Grunt den Preis so hoch angesetzt, um den jungen Mann vor der Versuchung zu bewahren, seinen Besitz leichtfertig weiterzuveräußern. Dies war aber eine Vorsicht, die ich für überflüssig hielt. Ich nahm nicht an, daß Waiyeyeca seine Kindheitssklavin jemals fortschicken würde.

Ganz in der Nähe stieß ein Mädchen einen Schmerzensschrei aus. Es war die weißhäutige rothaarige Sklavin, die von Mahpiyasapas Frau mit einer Peitsche beim Wassertragen beaufsichtigt wurde. Die schwerbrüstige Rothaarige, die von ihrem Herrn Mahpiyasapa den Namen Natusa erhalten hatte, schaute mich an. Mein Gesicht blieb ausdruckslos. Es war kein Zufall, daß dieses rothaarige Mädchen zu Mahpiyasapa gekommen war. Als Beuteanteil hatte Canka fünf gelbe Kailiaukhäute aus dem Besitz der Gelbmesser erhalten. Diese hatte er Mahpiyasapa überlassen, in einerseits als Geschenk, doch gewissermaßen auch als Ausgleichszahlung für sein Beharren, Winyela zu behalten, die Grunt ursprünglich für Mahpiyasapa in das Ödland gebracht hatte. Indem er die fünf Häute annahm, hatte Mahpiyasapa Canka die Ausübung seines Kriegerrechts verziehen, die Winyelas hübschen Hals in Cankas Kragen gebracht hatte.

Rein zufällig hatte ich unter Gelbmessersklaven das Mädchen entdeckt, das nun den Namen Natusa trug. Ich hatte dafür gesorgt, daß sie meinem Beuteanteil zugeschlagen wurde, und sie dann Grunt geschenkt. Grunt verkaufte sie erfreut an Mahpiyasapa weiter und erhielt dafür die fünf gelben Kailiauk-Häute, die Mahpiyasapa ursprünglich von Canka in Empfang genommen hatte. Auf diesem Wege hatte Canka sozusagen mit seinem Häuptling reinen Tisch gemacht und dabei gleichzeitig einen einwandfreien Besitztitel an Winyela erworben. Grunt bekam seine fünf Häute, und Mahpiyasapa besaß eine Sklavin mit der im Ödland seltenen roten Haarfarbe, wie er sie letztes Jahr bei Grunt bestellt hatte. Mahpiyasapa war sichtlich zufrieden mit diesem Arrangement. Es war im Lager kein Geheimnis gewesen, daß er Winyelas Brüste als zu klein empfunden hatte.

Vor meinem Zelt erwartete mich Mira. Sie kniete vor mir nieder. »Aus dem Zelt des schwarzen Gasts ist eine Nachricht eingetroffen«, sagte sie. »Akihoka hat ausgerichtet, der schwarze Gast habe auf das Übersetzungsgerät gedeutet.«

»Ich verstehe«, antwortete ich. Das Übersetzungsgerät vermittelte zwischen der kurischen und der goreanischen Sprache.

»Ich glaube, der schwarze Gast möchte dich sprechen«, sagte Mira.

»Ja«, antwortete ich.

»Aber warum, Herr?« fragte sie. »Was hast du mit dem schwarzen Gast zu schaffen? Und warum befand sich ein Übersetzungsgerät in deinem Gepäck?«

Ich lächelte.

»Wem gehöre ich?« fragte sie.

»Neugier steht einer Sklavin nicht zu«, sagte ich.

»Verzeih mir, Herr!«

»Ich gehe zum Zelt des schwarzen Gasts«, sagte ich. »Wir werden uns unterhalten.«

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