2. Chester Dugan

Ich weiß nicht, was geschah oder wie — ich weiß nur, daß ich plötzlich hier war. Einen Weg zurück scheint es nicht zu geben, aber das ist mir egal, mir geht es hier gut, und ich werde diesen Hohlköpfen schon zeigen, wer der Boss ist.

Das letzte was ich weiß, war, daß ich in die U-Bahn stieg, dann gab es eine Explosion und einen grellen Lichtblitz, und ehe ich sah, was passiert war, verlor ich das Bewußtsein und kam irgendwie hierher.

Ich landete auf einem großen Feld, wo weit und breit nichts zu sehen war. Ich brauchte ein paar Minuten, um den Schock zu überwinden. Ich glaube, ich bin hingefallen, aber das weiß ich nicht bestimmt. Das ist zwar nicht meine Art, aber das war etwas Außergewöhnliches, und es kann durchaus sein, daß ich für kurze Zeit die Besinnung verlor.

Jedenfalls kam ich gleich wieder zu mir und blickte mich um, und da sah ich den jungen Burschen in seinem wallenden Gewand ganz in der Nähe über das Feld gehen.

Als ich merkte, daß er gar keine Anstalten machte, mir zu Hilfe zu kommen, schrie ich ihm nach. Er kam her, half mir beim Aufstehen und wollte dann wieder weitergehen — ganz ruhig, als wäre nichts passiert. Ich mußte ihm noch einmal nachschreien, denn er schien gar keine Lust zu haben, sich um mich zu kümmern.

Ich versuchte aus ihm herauszubringen, wo wir waren, aber er spielte den Dummen. Er wußte nicht, wo wir waren, wußte nicht, wo New York war, nicht einmal was eine Stadt ist — das behauptete er wenigstens. Normalerweise hätte ich ihn für einen Verrückten gehalten, aber ich wußte nicht, was mir selbst zugestoßen war, und so hätte es gut sein können, daß ich der Verrückte war und nicht er.

Jedenfalls kam ich mit ihm auf keinen grünen Zweig, und so gab ich es auf. Er sagte nur immer wieder, daß er zum Singen gehen wollte, und so wie er das sagte, schien das etwas sehr Wichtiges für ihn zu sein. Er sagte, dort wären Männer, die mir helfen könnten.

Aber ich weiß auch heute noch nicht, wie ich hierherkam. Selbst nachdem ich eine Menge Leute gefragt hatte, konnte keiner mir sagen, wie es kam, daß ich im Jahre 1968 in eine U-Bahn stieg und in einem freien Feld irgendwann im 35. Jahrhundert landete. Diese Esel haben sogar die genaue Zeitrechnung verloren.

Aber hier bin ich, und das ist alles, worauf es ankommt. Und alles, was vorher war, ist dahin. Ich muß von vorne wieder anfangen — sozusagen von der Pike auf. Und das ich, Dugan! Aber es wird schon werden.

Nachdem dieser junge Bursche und ich eine Weile über die Felder gestiefelt waren, hörte ich Stimmen. Es begann inzwischen zu dämmern. Ich habe noch gar nicht erwähnt, daß es im Jahre 1968 gerade November wurde, aber hier regierte der Sommer. Die Luft roch frisch und angenehm, ganz anders als dieser Mief, den man in New York einatmet.

Der Gesang wurde immer lauter, je näher wir kamen, aber als wir in Sichtweite waren, hörte er plötzlich auf.

Sie saßen in einem großen Kreis, zwanzig oder dreißig vielleicht, und trugen alle leichte, luftige Kleidung. Sie sahen uns alle an, als wir näher kamen.

Ich hatte das Gefühl, daß sie meine Gedanken lasen.

Das Schweigen hielt ein paar Minuten an, dann begannen sie wieder zu singen. Ein großer dürrer Bursche sang vor, und die anderen antworteten im Chor. Um mich kümmerten sie sich überhaupt nicht. Ich ließ sie eine Weile weitersingen, bis ich einen Plan hatte — ich halte nämlich nichts davon, mich kopfüber in eine Sache zu stürzen, ehe ich nicht genau weiß, was ich tue.

Ich wartete, bis der Gesang etwas leiser wurde und schrie dann: „Halt!“ Ich trat in ihren Kreis.

„Mein Name ist Dugan“, sagte ich laut und deutlich, „Chester Dugan. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin und ich weiß nicht, wo ich bin, aber ich gedenke eine Weile zu bleiben. Wer ist hier der Boss?“

Sie sahen einander verwirrt an, und schließlich trat ein alter Mann mit einem schmalen Gesicht aus dem Kreis. „Mein Name ist Dandrin“, sagte er mit leiser Stimme. „Nachdem ich der Älteste hier bin, werde ich für die anderen sprechen. Woher kommst du?“

„Das ist es ja gerade“, sagte ich. „Ich bin aus New York City, Vereinigte Staaten von Amerika, Planet Erde, Sonnensystem. Sagt Ihnen irgendeiner dieser Namen etwas?“

„Es sind Namen“, erklärte Dandrin. „Aber ich weiß nicht, wofür diese Namen stehen. New York City, Vereinigte Staaten von Amerika. Wir haben keine solchen Begriffe.“

„Nie von New York gehört?“ Jetzt redete der genauso blödes Zeug wie dieser dumme Kennon. „New York ist die größte Stadt der Welt, und die Vereinigten Staaten sind das reichste Land.“

Ich hörte ein unterdrücktes Murmeln im Kreise. Dandrin lächelte.

„Ich glaube, jetzt verstehe ich“, sagte er. „Städte, Länder.“ Er sah mich seltsam an. „Sagen Sie — von wann kommen Sie?“

Ich erschrak. „1968“, sagte ich. Und ich gebe zu, daß ich anfing, mir Sorgen zu machen.

„Wir leben im fünfunddreißigsten Jahrhundert“, sagte er ruhig. „Wenigstens nehmen wir das an. Wir haben während der Bombenjahre die Zeitrechnung verloren. Aber komm, Chester Dugan, wir unterbrechen das Singen mit unserem Gespräch. Gehen wir zur Seite und reden, damit die anderen weitersingen können.“

Er führte mich beiseite und erklärte mir, wie die Dinge standen. Die Zivilisation war während eines furchtbaren Atomkrieges zusammengebrochen. Diese Leute hier waren die Überlebenden. Städte, ja selbst kleine Dörfer gab es nicht mehr — die Leute lebten in Gruppen von zwei und drei und kamen nur selten zusammen. Sie wollten nicht einmal zusammenkommen, außer im Sommer. Dann versammelten sie sich beim Haus irgendeines alten Mannes — gewöhnlich bei Dandrin, sangen eine Weile und gingen wieder nach Hause.

Offensichtlich gab es in ganz Amerika nur mehr ein paar tausendMenschen. Sie lebten weit verstreut, und es gab kein Geschäft, keinen Handel, keine Kultur — gar nichts mehr. Nur kleine Gruppen von Menschen, die ganz auf sich gestellt lebten, ein wenig Ackerbau betrieben und sangen und sonst nicht sehr viel taten.

Wie der Alte mir das erzählte, begann ich mir die Hände zu reiben — im Geiste natürlich. Etliche Pläne begannen Gestalt anzunehmen.

Er hatte keine Ahnung, wie ich hierhergekommen war, und ich auch nicht — übrigens habe ich das auch heute noch nicht. Ich glaube, das war einfach ein ganz unwahrscheinlicher Zufall — eine Raum-Zeitfalte, oder so etwas. Ich trat einfach genau in dem Augenblick, wo die Falte sich bildete, hindurch und lag auf jenem Feld. Aber Chester Dugan macht sich keine Gedanken über Dinge, die er nicht versteht — er nimmt sie einfach hin.

Ich wußte sofort, daß ich hier mit meiner Kenntnis der Geschäftsmethoden des 20. Jahrhunderts große Chancen hatte.

Als erstes würden natürlich wieder Dörfer eingeführt werden müssen. So wie die Dinge jetzt lagen, war das ja überhaupt keine Zivilisation. Und wenn ich damit erst einmal angefangen hatte, würde ich mit der Zeit all die anderen Dinge wieder einführen, die dieses dekadente Volk verloren hatte: Geld, Vergnügungsindustrie, Sport, Geschäft. Und wenn wir dann einmal wieder Maschinen hatten, konnte es weitergehen. Wir würden anfangen, an einer Stadt zu arbeiten und uns auszubreiten.

Ich dankte meinem Schicksal, daß es mich hierher versetzt hatte. Diese Leute würden Wachs in meiner Hand sein …

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