Der Landesteg war weich unter seinen Sandalen. Unruhig schaute er sich um. Er hätte noch länger bei Floria bleiben können, um mehr Informationen zu erhalten, aber seine Hast war ihm, dem alten Soldaten, in Fleisch und Blut übergegangen. Man sollte nie länger als nötig an einem Platz verweilen. Immer in Bewegung bleiben! Das war ihnen schon in der Ausbildung eingetrichtert worden.
So entsprang sein Benehmen einem Krieg, der schon über tausend Jahre zurücklag. Aber sein Benehmen hatte noch einen zweiten Grund. Floria war jung, hübsch und sicher leicht zu haben. Er kam aus einer Zeit des totalen Krieges, in der alles Streben nur auf den Kampf ausgerichtet war. Jetzt war er plötzlich in eine Welt gesetzt, wo das individuelle Glück allein maßgebend war. Der Kontrast war zu groß. Er hatte das Schiff verlassen, weil er glaubte, in der Nähe von Floria nicht mehr klar denken zu können.
Er erreichte das Ende des Landungsstegs und schaute argwöhnisch auf enge Gänge und steile Rampen. Er hatte Angst, daß seine Nervosität die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich ziehen würde, aber bald merkte er, daß ihn niemand beachtete.
Die Bewohner von Dyoto zeigten beachtlichen Mut. Sie sprangen von einer Rampe zur andern, selbst wenn die Entfernung zwanzig bis dreißig Meter betrug. Corson dachte, sie hätten vielleicht kleine Apparate, die Antischwerkraft erzeugten, aber bald merkte er, daß er sich irrte. Bei seinem ersten Versuch sprang er drei Meter hoch und wäre beinahe hingefallen, da er einen heftigeren Aufprall erwartet hatte. Kühner geworden, sprang er fast zwölf Meter weit, wobei er beinahe mit einem kleinen Fahrzeug zusammengestoßen wäre. Der Pilot mußte eine heftige Ausweichbewegung machen und schaute ihn dabei blaß und wütend an. Corson dachte, er hätte eine Verkehrsregel verletzt, und entfernte sich rasch.
Die meisten Leute um ihn herum schienen kein besonderes Ziel zu haben. Sie wirbelten durcheinander wie ein Insektenschwarm, sprangen in obere Stockwerke oder ließen sich von unsichtbaren Luftströmungen treiben. Manchmal redeten sie kurz mit einem Vorbeikommenden und setzten dann ihren sinnlosen Weg fort, wobei einige auch die Gebäude betraten, die das rohe Gerüst der Stadt bildeten.
Corson fühlte sich einsam, nachdem er drei Stunden herumgelaufen war. Er war hungrig und müde. Sein anfängliches Entzücken war in Niedergeschlagenheit umgeschlagen. Er hatte geglaubt, er könne ohne Schwierigkeit ein Restaurant oder Hotel finden, aber er hatte vergeblich gesucht. Er wagte es nicht, einen Passanten zu fragen. Schließlich beschloß er, einfach eines der größeren Gebäude zu betreten. Hinter dem Eingang war eine riesige Halle. Auf gewaltigen Ladentischen waren alle möglichen Dinge ausgelegt. Eine wogende Menge umgab ihn. Jeder bediente sich selbst.
War es Diebstahl, wenn er sich etwas nahm? Diebstahl war unter den Solar-Mächten streng bestraft worden, und Corson hatte immer nur Verachtung für Diebe übrig gehabt. Aber als er zu einem Tisch mit Nahrungsmitteln kam, hörte er auf, sich noch weiter Gedanken zu machen. Er wählte einige Sachen aus, die denen ähnelten, die Floria für ihn zubereitet hatte, und stopfte sich damit die Taschen voll. Ständig in Angst, daß man Alarm schlagen würde, ging er zum Ausgang.
Gerade als er die Schwelle überschreiten wollte, wurde er durch eine tiefe Stimme erschreckt.
»Haben Sie nicht etwas vergessen, Sir?«
Corson schaute sich um, aber er sah keinen Menschen.
»Sir?« sagte die körperlose Stimme wieder. »Mister …?«
»Mein Name ist Corson«, murmelte er, »George Corson.«
Es gab keinen Grund, seinen Namen zu verschweigen. Auf dieser Welt sagte sein Name niemandem etwas.
»Vielleicht habe ich eine kleine Formalität übersehen«, gab er zu. »Wie Sie sehen, bin ich hier fremd. Wer sind Sie?«
Was ihn am meisten verwunderte, war die Tatsache, daß die Leute, die an ihm vorbeigingen, die Stimme offenbar nicht hörten.
»Ich bin der Rechnungsführer dieses Hauses. Möchten Sie mit dem Verwalter sprechen?«
Nun hatte er herausgefunden, wo die Stimme herkam. Es war ein Punkt, der etwa einen Meter von ihm in Schulterhöhe entfernt lag.
»Habe ich etwas falsch gemacht?« fragte Corson. »Nun, ich nehme an, daß Sie mich nun festnehmen lassen.«
»Sir, auf den Namen Corson wurde kein Kreditkonto eröffnet. Wenn ich mich nicht irre, haben Sie heute zum ersten Mal unsere Räumlichkeiten besucht. Darum nahm ich mir die Freiheit, Sie anzusprechen. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse.«
»Ich fürchte, ich habe bei Ihnen keinen Kredit. Natürlich kann ich alles wieder zurück …«
»Aber warum, Mr. Corson? Sie können bar bezahlen, wenn Sie wollen. Wir nehmen Währungen von allen bekannten Planeten an.«
Corson war verblüfft. »Würden Sie das noch einmal wiederholen.«
»Wir nehmen Währungen von allen bekannten Planeten an. Es ist völlig gleichgültig, mit welchem Geld Sie bezahlen.«
Verwirrt antwortete Corson: »Geld? Ich habe kein Geld.«
Das Wort ekelte ihn an. Geld war für ihn ein archaischer Begriff und dazu ein sehr abscheulicher. Er wußte, wie jeder andere, daß Geld vor dem Krieg auf der Erde benutzt worden war. Aber er selbst hatte das Zeug nie gesehen. Die Armee hatte ihn immer mit allem Nötigen versorgt. Es war ihm keinen Augenblick in den Sinn gekommen, daß er Geld brauchen würde, als er Florias Schiff verließ.
»Ich … äh …« Er räusperte sich. »Ich könnte meine Schuld vielleicht abarbeiten.«
»Niemand arbeitet für Geld, Mr. Corson, zumindest nicht auf diesem Planeten.«
»Aber was ist mit Ihnen?« fragte Corson ungläubig.
»Ich bin eine Maschine, Mr. Corson. Ich schlage Ihnen eine andere Lösung vor. Während wir Ihr Kreditkonto einrichten, könnten Sie mir eine Person nennen, die für Sie bürgt.«
»Ich kenne hier nur eine Person«, antwortete Corson, »Floria Van Nelle.«
»Das ist ja wunderbar, Mr. Corson. Verzeihen Sie mir, daß ich Sie belästigt habe. Ich hoffe, Sie beehren uns bald wieder.«
Die Stimme verstummte. Corson zuckte mit den Schultern und ärgerte sich, daß er sich so aus der Fassung bringen ließ. Aber was würde Floria denken, wenn sie merkte, daß er ihren Kredit mißbraucht hatte?
Er zuckte erneut mit den Schultern. Jedenfalls konnte er sich frei bewegen.