»Ich hätte nie gedacht, daß du so zärtlich sein kannst, George«, sagte sie mit schwacher Stimme.
»Werden alle Fremden von dir auf diese Art begrüßt?« fragte er mit leichtem Ärger in der Stimme.
»Nein«, antwortete sie. Er sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Nein. Ich nehme zwar an, daß unsere Sitten freier sind als eure, aber …«
»Es war wie ein Blitzschlag, wie?«
»Du mußt verstehen, George, du mußt! Ich konnte mich nicht zurückhalten. Es ist schon so lange her!«
Er begann zu lachen. »Seit unserem letzten Zusammentreffen, meinst du wohl?«
Mit Mühe versuchte sie, wieder eine ruhige Miene aufzusetzen.
»In einer bestimmten Weise. Ja, Corson«, meinte sie. »Du wirst es nach und nach verstehen.«
»Wenn ich mal groß bin?«
Er erhob sich und hielt ihr die Hand hin. »Nun habe ich einen besonderen Grund, Uria zu verlassen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht.«
»Warum nicht?«
»An jedem Raumhafen auf jedem Planeten wird man dich verhaften und dich einer besonderen Behandlung unterziehen. Oh, sie werden dich nicht töten, aber du wirst nie mehr du selbst sein. Du wirst keine Erinnerungen mehr haben und nur noch äußerst wenige Wünsche. Es ist fast wie der Tod.«
»Schlimm«, sagte er langsam, »und das tun sie mit jedem, der von Planet zu Planet reist?«
»Nein, nur mit Kriegsverbrechern.«
Er war entsetzt. Das ganze Universum schien ihm voller verwirrender Rätsel. Er konnte das Benehmen dieses Mädchens bis zu einem gewissen Grad verstehen, obwohl ihm die Motive unklar blieben. Zumindest war es nicht außergewöhnlicher als diese seltsame Stadt, die mit Verrückten bevölkert war. Aber was Antonella jetzt gesagt hatte, schien ihm gleichzeitig unbegreiflich und bedrohlich.
Kriegsverbrecher? Weil ich an einem Krieg teilgenommen habe, der schon seit mehr als tausend Jahren vorbei ist?
»Das verstehe ich nicht«, sagte er schließlich.
»Versuche es! Es ist doch klar genug. Das Sicherheitsbüro hat keine Befugnisse auf den Planeten selbst. Es greift nur ein, wenn ein Verbrecher von einer Welt zur anderen reist. Wenn du weg willst, sei es nur zu einem benachbarten Mond, dann greifen sie dich. Deine Chance zu entkommen, steht eins zu einer Million.«
»Aber warum sollen sie mir etwas tun?«
Antonellas Gesicht wurde hart.
»Ich habe es dir einmal gesagt, und ich sage es besser nicht noch einmal. Glaubst du es macht mir Spaß, den Mann, den ich liebe, als Kriegsverbrecher zu bezeichnen?«
Er faßte ihre Handgelenke und drückte sie so fest er konnte.
»Antonella, ich bitte dich! Sage mir, um welchen Krieg es sich handelt — welch ein Krieg ist das?«
Sie versuchte sich loszureißen.
»Du Untier! Laß mich los! Wie kannst du erwarten, daß ich dir das sage? Du mußt es doch besser wissen! In der Vergangenheit gab es Tausende von Kriegen — es spielt doch keine Rolle, an welchem Krieg du teilgenommen hast!«
Er ließ sie los. Helle Schwaden tanzten vor seinen Augen. Er rieb sich die Stirn.
»Antonella, du mußt mir helfen. Hast du jemals etwas von einem Krieg zwischen den Solar-Mächten und Uria gehört?«
Sie runzelte die Stirn. »Das muß vor langer Zeit gewesen sein. Der letzte Krieg, in den Uria verstrickt war, fand vor über tausend Jahren statt.«
»Zwischen den Menschen und den Eingeborenen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Menschen und Urianer leben schon seit sechstausend Jahren gemeinsam auf diesem Planeten.«
»Dann«, meinte er erleichtert, »bin ich der letzte Überlebende eines Krieges, der vor mehr als sechstausend Jahren stattgefunden hat. Ich denke, man wird mir Amnestie gewähren.«
Sie hob die Hand und schaute ihn fest an, ihre braunen Augen zeigten Überraschung.
»Es gibt keine Amnestie«, sagte sie mit erhobener Stimme. »Alles was du tun kannst, ist, weit genug in die Zukunft zu springen, um der Vergeltung zu entgehen. Vielleicht, um wieder zu kämpfen. Ich fürchte, du unterschätzt das Sicherheitsbüro.«
Jetzt begriff er plötzlich. Seit Jahrhunderten oder vielleicht Jahrtausenden konnten die Menschen die Zeit überspringen. Geschlagene Generäle und entthronte Tyrannen hatten Schutz in der Vergangenheit oder Zukunft gesucht. So wurden friedliche Generationen und Epochen gezwungen, sich gegen diese Eindringlinge zu schützen. Andernfalls hätten die Kriege für alle Ewigkeit weitergedauert. Dieses Büro, von dem Antonella erzählt hatte, überwachte die Zeit. Kriege auf einzelnen Planeten wurden nicht beachtet, aber es wurde verhindert, daß sie sich auf andere Planeten oder Galaxien ausbreiteten. Das war eine schwierige Aufgabe. Man mußte sich die unerschöpfliche Zukunft erst einmal ausmalen, bevor man das überhaupt begreifen konnte.
George Corson, der aus der Vergangenheit kam, ein Soldat, der in den Jahrhunderten verloren war, wurde plötzlich zum Kriegsverbrecher erklärt. Bilder des Kampfes zwischen den Solar-Mächten und den Prinzen von Uria erschienen plötzlich vor seinem geistigen Auge. Von beiden Seiten war dieser Krieg ohne Gnade und Schonung geführt worden. Damals hätte er keine Sekunde an den Gedanken verschwendet, daß ein Mensch Sympathie für einen Urianer empfinden könnte. Aber jetzt waren sechstausend Jahre vergangen. Er schämte sich nun für seine alten Kameraden, für sich selbst und für beide Rassen. Er dachte an die Befriedigung, die er empfunden hatte, als er wußte, daß das Monster auf Uria sicher abgesetzt war.
»Aber ich bin kein Kriegsverbrecher«, sagte er schließlich. »Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinn. Ich habe zwar an einem längst vergangenen Krieg teilgenommen, aber niemand hat mich nach meiner Meinung gefragt. Ich wurde in eine Welt geboren, in der Kriegszustand herrschte. Als ich alt genug war, wurde ich eingezogen, ausgebildet und in den Kampf geschickt. Ich habe nicht versucht, mich meiner Verantwortung zu entziehen, indem ich durch die Zeit sprang. Ich wurde durch einen Unfall in die Zukunft geschleudert, einfach, weil ein Versuch fehlschlug. Ich würde gerne jedes Verhör auf mich nehmen, solange man mir persönlich nichts tut. Ich glaube, meine Geschichte würde jeden unparteiischen Richter überzeugen.«
In Antonellas Augen standen Tränen.
»Ich würde dir gerne glauben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich gelitten habe, als sie mir sagten, was du bist? Ich habe dich geliebt, seit wir uns das erste Mal begegnet sind. Ich habe geglaubt, ich hätte nie den Mut, diesen Auftrag auszuführen.«
Er faßte sie bei den Schultern und küßte sie.
Über eines war er sich jetzt sicher. Er würde sie in der Zukunft wiedersehen. Er würde sie zu einem Zeitpunkt wiedersehen, wo sie ihm noch nicht begegnet war. Irgendwie konnte er es nicht völlig verstehen, daß ihre Schicksale miteinander verbunden waren. Heute hatte er sie zum ersten Mal gesehen, aber sie hatte ihn bereits gekannt. Genau das Gegenteil würde eines Tages geschehen. Es war zwar etwas kompliziert, aber auch verrückt.