Es war spätabends, zwei Tage nach dem gescheiterten Staatsstreich des Henrius Sevarius.
Ich wartete darauf, daß für meine Friedensmission nach Cos und Tyros Schiffe bereitgestellt wurden.
Inzwischen hatte ich als Kapitän allerlei Bürgerpflichten zu erfüllen. Bis zur Bildung der Ratswache waren die Kapitäne und ihre Leute für die Aufrechterhaltung der Kontrollen über die Ubars und die Sicherheit in der Stadt verantwortlich.
Eine Nacht stand ich auf einer hohen Wachmauer, einige hundert Meter von der kahlen Außenwand eines Anwesens entfernt, das Sevarius gehörte und angeblich seinen Palast beherbergte, und sah, wie eine winzige Seitenpforte geöffnet wurde. Am Fuß der Mauer erstreckte sich eine etwa zwanzig Meter breite Steinfläche, die an einem Kanal endete. Wir hatten den Kanal blockiert, wo er eine Ausfahrt zur Stadt und zum Meer bot. Nun sahen wir im Licht der drei goreanischen Monde, wie fünf Männer durch das winzige Eisentor kamen. Sie schleppten einen großen, zusammengebundenen Sack.
»Halt, Männer des Sevarius!« rief ich. »Halt, Verräter!«
»Beeilt euch!« rief ein Mann. Ich erkannte die Stimme. Es war Lysius, der Freund des Regenten Claudius. Ich sah auch einen anderen Mann, der erschreckt den Kopf hob – Henrak, der die Rencebauern verraten hatte.
Gefolgt von Thurnock, Clitus und anderen, sprang ich von der Mauer und lief auf den Kanal zu.
Die Gestalten begannen zu rennen, bestrebt, ihre Last ins Wasser zu werfen, ehe wir sie erreichten.
Thurnock blieb stehen, zog seinen Bogen durch. Einer der Männer wirbelte getroffen herum. Die anderen schleuderten den Sack mit mächtiger Bewegung in den Kanal. Dann traten sie im Laufschritt den Rückweg an.
Doch ehe sie das Tor erreichten, hatte Thurnocks Langbogen noch zweimal zugeschlagen, so daß Lysius und Henrak als einzige entkamen.
»Messer!« sagte ich.
Man reichte mir eine Klinge.
»Nicht«, rief Thurnock.
Schon sah ich im Wasser die schmalen Schnauzen von Urts, die auf den Sack zuhielten. Ich steckte das Messer zwischen die Zähne und sprang in den kalten Kanal.
Der Sack begann zu sinken und war bereits unter der Wasseroberfläche, als ich ihn erreichte. Ich schnitt ihn auf und packte den gefesselten Arm des Körpers, der sich darin befand.
Ein Pfeil sirrte neben mir ins Wasser, gefolgt von dem schrillen Schmerzensschrei einer schwimmflossigen Kanalurt, Beißgeräuschen und Platschen – die anderen Urts stürzten sich auf ihren verletzten Artgenossen.
Ich hob den Kopf der Gestalt über Wasser. Es war ein Junge, er starrte mich mit schreckgeweiteten Augen an.
Ich schleppte ihn zum Kanalrand, und einer meiner Männer, der sich am Ufer hingelegt hatte, faßte ihn unter dem Arm.
Im nächsten Augenblick zuckte Clitus’ Netz über mich, gefolgt vom protestierenden Quieken einer weiteren Urt, die den Dreizackhieben des Fischers nicht gewachsen war.
Da spürte ich, wie sich die Zähne einer Urt um mein Bein schlossen, Nadelspitzen, die an meinem Fleisch zerrten. Ich stieß dem Tier die Finger in die Ohren und zerrte den Kopf von meinem Bein fort. Das Maul schnappte weiter nach mir, versuchte an meine Kehle zu kommen. Ich ließ das Tier los, schlug ihm den Kopf hoch und ließ mich auf seinen Rücken gleiten, als es wieder zubeißen wollte, den linken Arm um das nasse glitschige Fell des breiten Halses geschlossen. Ich nahm das Messer und hieb damit heftig auf das Ungeheuer ein.
»Es ist tot!« brüllte Clitus.
Ich ließ die Urt los, die sofort von ihren Artgenossen unter Wasser gezerrt wurde.
Ich spürte Clitus’ Netz hinter mir, klammerte mich daran fest. Blutend und hustend und vor Kälte zitternd wurde ich aus dem Wasser gezogen, Sekunden später wurde ich von zwei Bewaffneten zur Belagerungsmauer geführt. In der Hitze eines Wachfeuers entledigte ich mich meiner nassen Kleidung und wickelte mich in Thurnocks Umhang. Jemand reichte mir eine Lederflasche mit Paga.
Plötzlich lachte ich. »Ich freue mich, daß ich noch lebe«, sagte ich.
Die Männer fielen in mein Lachen ein. Thurnock klopfte mir auf die Schulter.
»Was ist mit deinem Bein?« fragte einer der Bewaffneten.
»Schon gut«, sagte ich.
Ich konnte stehen; die Wunden waren nicht tief. Ich wollte sie zu Hause von einem Arzt versorgen lassen.
»Wo ist unser Fisch aus dem Kanal?« fragte ich.
»Folge mir«, sagte einer der Bewaffneten.
Fünfzig Meter entfernt hockte der Junge an der Mauer, nackt, in einen Umhang gehüllt. Er hatte sichtlich Angst.
»Wer bist du?« fragte Thurnock.
Der Junge schwieg.
»Man müßte ihn vertrimmen«, sagte Thurnock aufgebracht.
»Sind das deine Männer?« fragte mich der Junge.
»Ja.«
»Wer bist du?« wollte er wissen.
»Bosk.«
»Aus dem Rat der Kapitäne?«
Als ich nickte, glaubte ich Angst in seinen Augen zu sehen.
»Wer bist du?« erkundigte ich mich.
»Nur ein Sklave.«
»Zeig mir deine Hände.«
Widerstrebend gehorchte er. Sie waren glatt und makellos.
»Trägt er ein Brandzeichen?« fragte ich die Bewaffneten.
»Nein.«
»Da wir dich aus dem Kanal geholt haben, werden wir dich Fisch nennen. Und da du Sklave bist, erhältst du einen Kragen und wirst in meinem Haus dienen.«
Er starrte mich wütend an.
Der Junge, überlegte ich, konnte mir noch einmal nützlich sein. Fiel er dem Rat in die Hände, wurde er zweifellos gefoltert und aufgespießt oder zum Dienst auf einem Schiff gepreßt. Bei mir würde seine Identität geheimbleiben.
»Wer ist er denn?« fragte Thurnock und blickte hinter dem Jungen her, der von den Männern fortgetragen wurde.
»Natürlich Henrius Sevarius«, sagte ich.