»Malt meine Schiffe grün an«, hatte ich gesagt.
Wir schrieben die Fünfte Wartende Hand, vier Monate nach dem mißglückten Staatsstreich des Henrius Sevarius in Port Kar. Inzwischen war die Flagge Bosks, des Piraten, auf dem Thassa weithin gefürchtet.
Wie es dazu kam, möchte ich berichten.
Vor etwa drei Monaten fuhr ich mit meinem schnellsten Rammschiff, begleitet von meinen anderen beiden Rammschiffen und von fünf Kriegsschiffen des Arsenals, in den riesigen, befestigten Hafen von Telnus ein, der Hauptstadt des Ubarats Cos. Ich ließ mich an Land rudern und schickte das Boot zurück. Ich wollte allein vor die Ubars von Cos und Tyros treten – dies war mein Wunsch und gehörte zu meinem Plan.
Ich erinnere mich, wie ich vor den Thronsesseln stand, im riesigen Thronsaal von Cos.
Ich trug den Ubars der beiden Inselreiche nach bestem Vermögen die Vorschläge des Kapitänsrats von Port Kar vor, die Vorstellung von Frieden und vermehrtem Handel zwischen den beiden Ubaraten und der bösen Stadt im Voskdelta, Port Kar.
Der Ubar von Cos, Lurius aus Jad, und der Ubar von Tyros, Chenbar aus Kasra, der gerade einen Staatsbesuch in Cos absolvierte, hörten mich schweigend an, ohne Fragen zu stellen. Neben ihnen saß kostbar gekleidet und juwelengeschmückt Vivina, das Mündel von Chenbar. Es war kein Zufall, daß sie sich auch in Cos aufhielt. Sie sollte Lurius vorgestellt werden, damit der entscheide, ob er sie zur Gefährtin nehme. Ihr Körper sollte die beiden Insel-Ubarate verbinden. Ihr Schleier war durchsichtig, und ich sah, daß sie sehr schön war, wenn auch noch sehr jung. Mein Blick wanderte von ihr zu dem dicken Lurius aus Jad, Ubar von Cos, der wie ein Fleischberg auf seinem Thron ruhte. Chenbar aus Kasra dagegen, Ubar von Tyros, war ein hagerer Mann mit großen Augen und nervösen Händen. Ich bezweifelte nicht, daß er ein intelligenter Mann war, der mit Waffen umzugehen verstand.
Als, ich meinen Vortrag beendet hatte, stand Chenbar auf und sagte mit einem Blick auf Lurius: »Beschlagnahmt seine Schiffe!«
»Du wirst feststellen«, sagte ich, »daß meine Einheiten den Hafen von Telnus bereits verlassen haben.«
Der dicke Lurius sprang mit wabbelndem Bauch auf und schüttelte drohend die Faust.
»Soll das heißen, daß unser Friedensangebot abgelehnt ist.«
»Richtig«, sagte Chenbar, während Lurius noch um Worte rang.
»Dann gehe ich jetzt«, sagte ich.
»Ich glaube nicht«, sagte Chenbar lächelnd.
»Legt ihn in Ketten!« kreischte Lurius.
»Ich beanspruche die Immunität des Heralds.«
»Die wird dir verweigert!« schrie Lurius mit zornrotem Gesicht.
Ich streckte die Arme aus, und Stahlbänder schnappten um meine Handgelenke zu. »Wir haben euch den Frieden angeboten«, sagte ich.
»Und wir haben ihn ausgeschlagen!«
Ich hörte das Gelächter Vivinas; andere stimmten in das Lachen ein.
»Legt ihn an die Marktkette«, sagte Lurius schweratmend, »und verkauft ihn am Sklavenkai. Wenn du erst auf der Ruderbank eines Rundschiffes sitzt, hältst du dich vielleicht nicht mehr für so mutig und schlau, mein lieber Kapitän aus Port Kar.«
»Das werden wir sehen«, sagte ich, »Ubar.«
»Warte«, hörte ich Chenbars Stimme. »Ich möchte dir noch die noble Vivina vorstellen.« Und er deutete auf das verschleierte Mädchen.
»Ich möchte nicht einem Tarsk aus Port Kar vorgestellt werden«, fauchte das Mädchen.
»Wir wollen doch unsere guten Manieren nicht vergessen«, sagte Chenbar lächelnd.
Das Mädchen erhob sich und nickte kurz in meine Richtung.
»Welche Ehre für mich«, sagte ich.
»Tharlarion!« zischte sie.
»Eure berückende Schönheit, hohe Dame, ist eines Ubars aus Cos in der Tat würdig …«
Lurius grinste, während das Mädchen kaum eine Miene verzog. »… oder einem Kragen in Port Kar«, fügte ich hinzu.
Lurius sprang mit geballten Fäusten auf.
»Tötet ihn!« kreischte Vivina.
»Still«, sagte Chenbar. »Die noble Vivina ist, wie du zweifellos weißt, dem Ubar von Cos, Lurius, versprochen.«
»Das wußte ich nicht«, sagte ich.
»Ja«, bemerkte Chenbar. »Ich habe heute morgen mein Wort gegeben.«
Das Mädchen starrte mich wütend an, während Lurius grinste.
Chenbar lächelte und hob einen Arm. »Diese Gefährtenschaft wird unsere beiden Ubarate verbinden. Nach der Zeremonie werden sich unsere Flotten zusammentun, damit wir Port Kar einen Staatsbesuch abstatten können. Unsere Schiffe werden bereits ausgerüstet.«
»Und wann soll die Begegnung stattfinden?« fragte ich.
»Etwa um die sechste Wartende Hand«, erwiderte er.
»Du bist sehr freizügig mit deinen Informationen«, sagte ich.
»Naja«, sagte Chenbar, »wir sind ja hier unter Freunden.«
»Und unter Sklaven«, sagte das Mädchen mit vielsagendem Blick auf meine Fesseln.
»Ihr habt Geschäfte mit Ubar Henrius Sevarius aus Port Kar?«
Chenbar lächelte. »Wir haben mit seinem Regenten Claudius gesprochen.«
»Und was ist mit Henrius Sevarius selbst?«
»Der ist doch nur ein Kind ohne Macht.«
»Wem folgen seine Männer?«
»Natürlich Claudius«, sagte Chenbar. »Merk dir diesen Namen. Claudius soll Ubar von Port Kar werden.«
»Als Agent von Tyros und Cos.«
»Aber natürlich«, lachte Chenbar.
»Du weißt vielleicht nicht, daß Claudius’ und Henrius Sevarius’ Streitkräfte nicht das Kommando über die Stadt haben.«
»Unsere Informationen sind besser als du glaubst«, erwiderte Chenbar lächelnd. »Du kannst versichert sein, daß wir Claudius aus seiner jetzigen Lage befreien werden.«
»Du scheinst über die Ereignisse in Port Kar bestens informiert zu sein.«
»O ja«, sagte Chenbar. »Vielleicht möchtest du unseren wichtigsten Kurier kennenlernen – den Mann, der zu gegebener Zeit unsere Flotten in den Hafen von Port Kar führen soll?«
»Ja, das möchte ich gern.«
Aus einer Gruppe von Würdenträgern löste sich ein Mann. Er hatte langes schwarzes Haar, das mit einer roten Schnur im Nacken zusammengebunden war. Er trug in der Armbeuge einen Helm mit dem Büschel Sleenhaar, das ihn als Kapitän Port Kars auswies. Der Helm wies auch zwei goldene Streifen auf.
Ich hatte Samos erwartet.
»Lysius ist mein Name«, sagte der Mann. »Du kennst mich, Bosk.«
Ich lächelte. Er hatte mit einer Handvoll Männer aus der Festung des Henrius Sevarius fliehen können, einen Tag nachdem wir den Jungen aus dem Kanal gefischt hatten. Darauf waren die Wachen verstärkt worden.
»Ja«, sagte ich. »Ich erinnere mich vielleicht besser an dich, als du denkst.«
»Was soll das heißen?« fragte er.
»Bist du nicht im Voskdelta von einem Haufen Rencebauern überwältigt worden und mußtest deine Barken und eine wertvolle Ladung Rencepapier und Sklaven zurücklassen?«
»Dieser Mann ist gefährlich«, sagte Lysius zu Chenbar. »Ich empfehle, daß er getötet wird.«
»Nein, nein«, sagte Chenbar. »Wir verkaufen ihn und verwenden das Geld für die Ausstattung unserer Flotte. So dient er noch einem guten Zweck.«
Ich schwieg.
»Ich meine auch«, fuhr Chenbar fort, »daß du nicht der letzte Kapitän aus Port Kar bist, der auf den Rundschiffen von Cos oder Tyros rudern muß.«
»Offensichtlich wartet Arbeit auf mich«, sagte ich. »Ich möchte mich also jetzt zurückziehen.«
»Hast du nicht vergessen, dich von der noblen Vivina zu verabschieden?« fragte Chenbar. »Du wirst sie bestimmt nicht wiedersehen.«
»Ich besuche keine Ruderbänke auf Rundschiffen«, sagte sie und löste damit allgemeines Gelächter aus.
»Vielleicht hast du eines Tages dazu Gelegenheit, hohe Dame«, sagte ich.
»Was soll denn das heißen?« fragte sie.
»Ein Witz«, sagte Chenbar.
»Wann soll denn der Wein der Freien Gefährtenschaft mit Lurius, dem würdigen Ubar von Cos getrunken werden?«
»Ich fahre erst nach Tyros zurück«, sagte sie, »wo ich mich vorbereite. Dann reisen wir mit Schatzschiffen und in prunkvoller Aufmachung in den Hafen von Telnus zurück, wo ich Lurius’ Arm nehme und mit ihm den Wein der Gefährtenschaft trinke.«
»Dann möchte ich dir eine sichere und angenehme Reise und für die Zukunft viel Glück wünschen«, sagte ich.
Sie nickte und lächelte.
»Du hast von Schatzschiffen gesprochen«, fuhr ich fort. »Wie mir scheinen will, genügt dein Körper allein dem noblen Lurius nicht.«
»Tarsk!« entfuhr es ihr.
Chenbar lachte nur.
»Schafft ihn fort!« kreischte Lurius.
»Lebe wohl, Vivina«, sagte ich.
Ich wurde herumgerissen und aus dem riesigen Thronsaal von Cos gezerrt.
Als ich früh am nächsten Morgen angekettet aus dem Palast des Lurius geführt wurde, waren die Straßen verlassen. In der Nacht hatte es geregnet, und Pfützen standen hier und dort auf dem Pflaster. Die Verkaufsstände waren noch mit Holzläden verschlossen, die feucht schimmerten. Nur wenige Lichter brannten in den Fenstern. Nahe dem Hinterausgang des Palastes sah ich eine verhüllte Gestalt an der Wand lehnen. Der Mann war törichterweise viel zu früh in die Stadt gekommen, um sein Gemüse zu verkaufen. Er schien zu schlafen – ein großer Mann in der groben Tunika eines Bauern. Neben ihm stand ein ledernes Bündel, in dem nur ein Langbogen versteckt sein konnte. Er hatte struppiges gelbes Haar. Ich lächelte, als wir an ihm vorbeigingen.
Auf dem Sklavenkai wurde ich ohne Umstände an die Marktkette angeschlossen.
Um die achte Stunde trafen bereits verschiedene Kapitäne von Rundschiffen ein und begannen mit dem Sklavenmeister um Preise zu feilschen. Der Händler verlangte meiner Meinung nach zuviel für seine Ware, zumal wir nur als Ruderer arbeiten sollten. Offenbar ging es darum, möglichst viel für die Staatskasse zu erzielen, die durch die Ausrüstung der Flotten erheblich belastet war.
Etwas abseits von mir hockte ein Fischer. Er lehnte an einem schweren Pfosten, der den Sklavenkai stützte, und arbeitete mit langsamen Bewegungen an einem Netz, das über seinen Knien lag. Neben ihm lag ein Dreizack. Er hatte langes schwarzes Haar und graue Augen.
»Ich will sehen, wie stark du bist«, sagte einer der Kapitäne. »Ich kann nur kräftige Männer auf meinen Schiffen gebrauchen.«
Er streckte mir die Hand hin.
Sekunden später brüllte er schmerzerfüllt um Gnade.
»Halt, Sklave!« sagte der Sklavenmeister und schlug mich mit dem Peitschengriff.
Ich ließ die Hand des Mannes los, ohne sie gebrochen zu haben. Der Kapitän richtete sich langsam auf und starrte mich ungläubig an, die schmerzende Hand in die linke Achselhöhle gepreßt.
»Verzeih mir, Herr«, sagte ich besorgt.
Unsicher ging er weiter, untersuchte andere Sklaven weiter unten am Kai.
»Machst du das noch einmal, schneide ich dir die Kehle durch«, zischte der Sklavenmeister.
»Aber das würde Chenbar und Lurius nicht gefallen«, erwiderte ich.
»Vielleicht nicht«, sagte der Mann grinsend.
»Was forderst du für den Sklaven?« fragte ein Kapitän, ein großer Mann mit kleinem, sorgfältig gestutztem Backenbart.
»Fünfzig kupferne Tarnmünzen.«
»Das ist zuviel.«
Ich stimmte ihm insgeheim zu, hielt es aber nicht für angebracht, mich in die Diskussion einzuschalten.
»Das ist nun mal der Preis«, sagte der Sklavenmeister.
»Also gut«, erwiderte der Kapitän und deutete auf einen Schriftgelehrten neben sich, der einen Beutel mit Münzen über der Schulter trug.
»Darf ich den Namen meines Herrn und den seines Schiffes erfragen?« sagte ich.
»Ich heiße Tenrik«, erwiderte er. »Tenrik aus Temos. Dein Schiff ist die Rena aus Temos.«
»Und wann laufen wir aus?«
Er lachte. »Sklave, du redest ja wie ein Passagier!«
Ich lächelte.
»Mit der Abendflut«, sagte er.
Ich neigte den Kopf. »Vielen Dank, Herr.«
Tenrik, gefolgt von seinem Schriftgelehrten, wandte sich zum Gehen. Da sah ich, daß auch der Fischer mit seinem Netz fertig war. Er faltete es zusammen und warf es sich über die Schulter. Dann nahm er seinen Dreizack und wanderte davon.
Ich blickte den Sklavenmeister kopfschüttelnd an. »Zuviel«, sagte ich.
Er zuckte die Achseln und grinste. »Wie’s der Markt eben aufnimmt«, meinte er.
Ich war ganz zufrieden, als ich zur Rena aus Temos geführt wurde, einem Rundschiff. Befriedigt registrierte ich Breite und Tiefgang. Ein solches Schiff war sehr langsam.
Die Brotkrumen und Zwiebeln und Erbsen, aus denen unser Essen bestand, gefielen mir schon weniger, aber ich glaubte nicht, daß ich lange darauf angewiesen war.
»Du wirst feststellen, daß dieses Schiff nicht leicht zu rudern ist«, sagte der Rudermeister, als er meine Fußgelenke an der schweren Fußstange festkettete.
»Das Schicksal eines Sklaven ist nicht leicht«, versicherte ich ihm.
»Außerdem bin ich kein einfacher Herr«, sagte er lachend.
»Schwer ist das Schicksal eines Sklaven, in der Tat«, klagte ich.
Lachend kehrte er zum Heck zurück. Da es sich um ein großes Schiff handelte, saß ein Keleustes vor ihm, ein starker Mann, der den Rhythmus angeben sollte – mit zwei lederbespannten Hämmern, mit denen er auf ein großes Kupferbecken schlug.
»Ruder aus!« rief der Rudermeister.
Im Gleichtakt mit den anderen Sklaven ließ ich mein Ruder nach draußen gleiten.
Auf dem Oberdeck über uns hörte ich die Rufe der Seeleute, die die Leinen losmachten und das Schiff mit langen Stangen vom Kai fortstießen. Segel wurden erst gesetzt, wenn wir den Hafen verlassen hatten.
Ich vernahm das Knirschen des großen Seitenruders und spürte die schwerfällige, süße, lebendige Bewegung des Schiffskörpers.
Wir waren unterwegs.
Die Augen des Schiffs, die zu beiden Seiten des Bugs aufgemalt waren, hatten sich jetzt bestimmt schon der Hafenausfahrt von Telnus zugewandt. Goreanische Schiffe tragen stets ein Paar Augen, entweder in einem Kopf am Bugspriet – wie bei den Tarnschiffen – oder beidseits des Bugs der Rundschiffe. In den Augen spiegelt sich der goreanische Seemannsglaube wieder, jedes Schiff sei ein lebendiges Wesen.
»Ruder fertig!« rief der Rudermeister. »Zieht durch!«
Der Keleustes schlug auf das große Kupferbecken.
Gleichmäßig tauchten die Ruderblätter ins Wasser, zogen durch. Ich stemmte die Füße gegen das Stützbrett und machte die Bewegung mit.
Langsam wie ein schwerfälliger Vogel begann sich das Schiff auf die Öffnung zwischen den beiden großen runden Türmen zuzubewegen, die den Hafen von Telnus bewachten, den Hafen der Hauptstadt des Insel-Ubarats Cos.
Wir waren nun schon zwei Tage auf See.
Wir aßen eine unserer vier täglichen Rationen aus Brot, Zwiebeln und Erbsen. Wasserhäute wurden weitergereicht.
Die Ruder waren innenbords.
Wir hatten nicht soviel gerudert wie üblich, da uns in den ersten beiden Tagen ein lebhafter Wind begleitet hatte, der allerdings am Abend zuvor schwächer geworden war.
Die Rena hatte im Gegensatz zu den beweglichen Masten der Kriegsschiffe zwei feste Masten. Der Hauptmast stand etwas vor der Mitte, während der Vormast etwa anderthalb Meter achtern vom Ruderjoch aufragte. Beide trugen dreieckige Segel, wobei der Baum des Vorsegels etwa halb so lang war wie der Baum des Hauptsegels.
Am Morgen jenes Tages hatten wir mehrere Ahn lang gerudert, und es war jetzt etwa eine Ahn nach Mittag.
»Wie ich gehört habe«, sagte der Rudermeister zu mir, »warst du Kapitän in Port Kar.«
»Ja, ich bin Kapitän«, sagte ich.
»Aber in Port Kar«, sagte er. »Und hier ist nicht Port Kar.«
Ich blickte ihn an. »Port Kar ist dort, wo seine Macht hinreicht.«
Er starrte mich wortlos an.
»Wie ich sehe, hat der Wind nachgelassen.«
Er wurde bleich.
In diesem Augenblick ertönte die Stimme des Ausgucks vom Hauptmast. »Zwei Schiffe backbord!«
»Ruder aus!« brüllte der Rudermeister und lief zu seinem Sitz.
Ich stellte die Schüssel mit Essen unter meine Bank. Vielleicht brauchte ich sie noch. Dann schob ich das Ruder hinaus.
Von oben drang das Getrappel hastiger Schritte herab. »Hart steuerbord!« erklang die Stimme Kapitän Tenriks.
Das große Schiff schwang langsam herum.
Doch dann tönte vom Hauptmast ein neuer Ruf. »Zwei weitere Schiffe! Steuerbord!«
»Ruder geradeaus!« brüllte Tenrik. »Volle Segel! Höchste Schlagzahl!«
Kaum hatte die Rena ihren ursprünglichen Kurs wieder aufgenommen, als der Rudermeister den Ruderbefehl gab und der Keleustes sein Kupferbecken zu bearbeiten begann. Zwei Seeleute kamen von oben und nahmen Peitschen von Gestellen hinter dem Rudermeister.
Ich lächelte. Ob die Ruderer nun geschlagen wurden oder nicht eine bestimmte Geschwindigkeit war nicht zu überschreiten – und diese Geschwindigkeit würde nicht ausreichen.
Wieder erstattete der Ausguck Meldung: »Zwei weitere Schiffe achteraus!«
Die schweren lederbespannten Hämmer dröhnten schneller auf dem Kupferbecken.
Etwa eine halbe Stunde später hörte ich, wie Tenrik dem Ausguck zurief: »Kannst du die Flagge ausmachen?«
»Sie ist weiß!« rief der Mann. »Mit grünen Streifen. Darauf der Kopf eines Bosk!«
Einer der Sklaven, der vor mir angekettet war, flüsterte über die Schulter: »Wie heißt du, Kapitän?«
»Bosk«, sagte ich und zog mein Ruder durch.
»Aii!« rief er.
»Rudert!« brüllte der Rudermeister.
Die Seeleute eilten mit ihren Peitschen zwischen den Bänken hin und her, doch die Sklaven gaben bereits ihr Bestes.
»Sie kommen näher!« rief jemand oben.
»Schneller!« ertönte der Befehl.
Aber der Keleustes hämmerte längst den schnellsten Rhythmus, eine Schlagzahl, die sich bestimmt nicht lange halten ließ.
Eine Viertel-Ahn später hörte ich den Ruf, auf den ich gewartet hatte.
»Noch zwei Schiffe!« brüllte der Ausguck.
»Wo?« wollte Tenrik wissen.
»Voraus!«
»Halb Steuerbord!« rief der Kapitän.
»Ruder auf!« brüllte der Rudermeister. »Backbordruder! Durchziehen!«
Wir hoben unsere Ruder aus dem Wasser, während die Sklaven auf der Backbordseite weiterruderten und das Schiff nach dem goreanischen Kompaß um acht Grad nach Steuerbord herumzogen.
»Alle Ruder!« rief der Rudermeister. »Durchziehen!«
»Was sollen wir tun?« fragte der Sklave vor mir.
»Rudern!« sagte ich.
»Ruhe!« brüllte einer der Seeleute und versetzte uns einen Peitschenhieb. Törichterweise begann er dann auf die Rücken anderer Sklaven einzuschlagen. Zwei Männer ließen darauf ihre Ruder los, was den Rhythmus der anderen durcheinanderbrachte.
Der Rudermeister hastete zwischen die Bänke, entriß den Seeleuten die Peitschen, schickte sie wieder nach oben. Er war ein guter Rudermeister.
»Auf die Ruder!« brüllte er. »Fertigmachen! Durchziehen!«
Wir fanden unseren Rhythmus wieder, und die Rena pflügte erneut durch das Wasser.
»Schneller!« rief ein Mann vom Oberdeck herab.
Der Rudermeister sah sich um. »Den Rhythmus zehn Schläge zurücknehmen«, befahl er.
»Bist du verrückt geworden?« brüllte ein Offizier und kam die Treppe herabgepoltert. Er versetzte dem Rudermeister einen Faustschlag ins Gesicht. »Höchste Schlagzahl!« schrie er.
Wieder beschleunigte der Keleustes seinen Rhythmus.
Aber in weniger als einer Ehn kam ein Mann nicht mehr mit, und dann waren es zwei, und die Ruder kamen durcheinander. Unbarmherzig folgte der Keleustes seinem Befehl, unbarmherzig prasselten die Schläge auf die Trommel.
Doch dann stimmte der Rhythmus nicht mehr mit der Bewegung der Ruder überein. Viele Männer vermochten nicht mehr mitzuhalten und hatten keinen Anhaltspunkt mehr für ihre Bewegungen.
Der Rudermeister, dem Blut übers Gesicht strömte, rief: »Ruder auf!« Dann sagte er müde zu dem Keleustes: »Zehn Schläge nachlassen.«
Die Rena wurde wieder angetrieben.
»Schneller!« brüllte der Offizier von oben. »Schneller!«
»Die Rena ist kein Tarnschiff!« rief der Rudermeister.
»Du wirst sterben!« kreischte der Offizier durch die Luke.
Mit zitternden Lippen und blutendem Mund schritt der Rudermeister zwischen den Sklaven hindurch. Er kam auf mich zu.
»Ich führe hier das Kommando«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte er.
In diesem Augenblick kam der Offizier wieder die Treppe herab. Seine Augen waren angstgeweitet. Er hielt ein Schwert in der Hand.
»Wer ist hier der Kapitän aus Port Kar, der Bosk genannt wird?« fragte er.
»Ich«, sagte ich.
»Ich werde dich töten.«
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.«
Er erstarrte.
»Sollte mir etwas passieren«, sagte ich, »lassen meine Leute dich über die Klinge springen.«
Er ließ sein Schwert sinken.
»Kette mich los«, sagte ich.
»Wo ist der Schlüssel?« wandte sich der Mann an den Rudermeister.
Als ich losgekettet war, ließ ich mein Ruder fahren. Die anderen Sklaven waren verblüfft, ruderten jedoch weiter.
»Wer für mich ist«, sagte ich, »wird freigelassen.«
Die Sklaven begannen zu jubeln.
»Ich führe hier das Kommando«, sagte ich. »Ihr tut, was ich sage.«
Ich streckte die Hand aus, und der Offizier überreichte mir, den Griff voraus, sein Schwert.
Ich bedeutete ihm, er solle meinen Platz am Ruder einnehmen, was er mit wütender Bewegung tat.
»Sie wollen unsere Ruder abscheren!« ertönte ein Schrei von oben.
»Ruder einziehen!« brüllte der Rudermeister instinktiv.
»Ruder bleiben draußen!« befahl ich, und die Sklaven gehorchten. Auf der Steuerbordseite begann es plötzlich zu knirschen, und die Ruderer brüllten auf. Holz knackte und splitterte, die Geräusche wurden im Innern des Schiffs zu einem ohrenbetäubenden Donnern verstärkt. Einige Ruder wurden aus den Dollen gerissen, andere glatt durchtrennt, wobei die inneren Enden in einem zum Heck gerichteten Bogen zurückschnappten und die Sklaven von ihren Bänken fegten, ihnen Arme oder Rippen brachen. Ich hörte Männer schreien. Einen langen Moment neigte sich die Rena nach Steuerbord, nahm sogar Wasser durch die Ruderluken auf, doch dann war das andere Schiff vorbei, und wir richteten uns auf, hilflos, geschlagen.
Ich wandte mich an den Offizier. »Nimm den Schlüssel und laß die anderen Sklaven frei.«
Dann sagte ich zu dem Rudermeister: »Du bist ein guter Rudermeister – aber du solltest dich jetzt um deine Verwundeten kümmern.«
Ich griff unter meine Bank. Dort schwamm mein Teller, das Essen halb verschüttet, im Wasser. Ich fischte ihn heraus und setzte meine Mahlzeit fort.
Von Zeit zu Zeit blickte ich aus der Dollenluke. Die Rena war nun von den acht Schiffen umringt. Zwei große Galeeren aus dem Arsenal begannen aufzuschließen.
Ich hörte, wie Kapitän Tenrik oben den Befehl gab, keinen Widerstand zu leisten. Gleich darauf sprangen mehrere Männer auf die Rena über.
Ich setzte meinen Teller ab, den ich leergegessen hatte, stand auf und stieg die Treppe hinauf, das Schwert des Offiziers in der Hand.
»Kapitän!« rief Thurnock.
Dicht hinter ihm grinsten Clitus und Tab.
Jubel erklang auf den Schiffen aus Port Kar. Ich hob salutierend die Klinge. Dann wandte ich mich an Kapitän Tenrik. »Meinen Dank, Kapitän. Du hast mich als ausgezeichneter Seemann beeindruckt.«
Er starrte mich an.
»Du hast eine gute Mannschaft, und das Schiff ist in guter Verfassung.«
»Was hast du mit uns vor?«
»Die Rena muß repariert werden. Zweifellos kannst du das in Cos oder Tyros erledigen lassen.«
»Wir sind frei?« fragte er ungläubig.
»Es hieße die Gastfreundschaft eines Kapitäns schlecht belohnen, wollte ein Passagier ihm grollend sein Schiff vorenthalten.«
»Meinen Dank an Bosk, Kapitän aus Port Kar«, sagte er.
»Die Sklaven sind natürlich frei«, fuhr ich fort. »Sie begleiten uns. Deine Mannschaft dürfte ausreichen, um die Segel zu bedienen oder das Schiff in den Hafen zu rudern. Bringt die Ruderer an Bord unserer Schiffe! In einer Ahn möchte ich Kurs auf Port Kar nehmen!«
Clitus bellte seine Befehle.
»Kapitän«, sagte da jemand hinter mir.
Ich drehte mich um und erblickte den Rudermeister.
»Du könntest gut auf einem Rammschiff dienen«, bemerkte ich.
»Ich war dein Feind«, gab er zu bedenken.
»Wenn du möchtest, diene mir.«
»Ja, ich diene dir gern.«
Ich wandte mich an Thurnock und Tab.
»Ich habe den Frieden nach Cos und Tyros getragen«, sagte ich, »dafür erhielt ich die Ketten eines Galeerensklaven.«
»Wann segeln wir gegen die Schiffe aus Cos und Tyros?«
Ich lachte. »Ja, der Bosk fühlt sich angegriffen!«
»Dann sollen sich Cos und Tyros in acht nehmen!« dröhnte Thurnock.
»Zurück nach Port Kar!« sagte ich. »Wenn ich mich recht erinnere, wartet dort eine schwere Galeere auf mich – als Lohn für meine Arbeit in Cos!«
»Richtig!« rief Thurnock. »Und was dann?«
Ich starrte ihn an. »Dann streiche ich meine Schiffe grün!«
Auf dem Thassa ist grün die Farbe der Piraten. Grüne Schiffswandungen, Segel, Ruder und sogar Seile. Im Licht der grellen Sonne ist grün die Farbe, die auf dem Meer am wenigsten auffällt.
Die Männer jubelten. Ich sprang auf das Deck der schweren Arsenalgaleere.
»Nach Port Kar!« rief ich.
»Nach Port Kar!« jubelten meine Männer.
Und so kam es, daß die Schiffe Bosks aus Port Kar grün gestrichen wurden.
Innerhalb eines Monats machten Bosks Rammschiffe – eine leichte, zwei mittlere und eine schwere Galeere – ihre ersten Beutezüge.
Gegen Ende des zweiten Monats war die Flagge Bosks von Ianda bis Torwaldsland, vom Delta des Vosk bis zu den Thronsälen von Cos und Tyros bekannt und gefürchtet.
Mein Vermögen vermehrte sich schnell, und auch meine Flotte nahm durch die Prisen ungemein zu – sogar in einem Maße, daß ich die Schiffe nicht mehr in dem kleinen Becken innerhalb meines Anwesens unterbringen konnte, sondern zusätzliche Lagerhäuser und Kaianlagen am Westende der Stadt erwerben mußte. Trotzdem war ich gezwungen, eine große Anzahl von erbeuteten Rundschiffen und auch einige der weniger guten Langschiffe zu verkaufen. Meine Rundschiffe nutzte ich bis zur Grenze ihrer Belastung für meine Handelsgeschäfte aus, wobei ich den Ratschlägen der Sklavin Luma folgte; die Rammschiffe setzte ich gegen Cos und Tyros ein, gewöhnlich zu zweit oder dritt; ich selbst befehligte eine Flotte aus fünf Rammschiffen und verbrachte viel Zeit auf See.
Trotz allem hatte ich nicht die Schatzflotte vergessen, die von Tyros nach Cos segeln und die schöne Vivina zu ihrem zukünftigen Gemahl bringen sollte.
Ich schickte Spione nach Tyros und Cos, die mir allerlei nützliche Informationen brachten, so daß es schließlich kein Zufall war, daß ich, Bosk aus den Sümpfen, in der Fünften Wartenden Hand des Jahres 10.120 seit der Gründung Ars, vier Monate nach dem erfolglosen Staatsstreich in Port Kar, als Admiral auf dem Ruderdeck meines Flaggschiffs stand, der Dorna aus Tharna, Kommandant über meine Flotte, achtzehn eigene Schiffe und zwölf aus dem Arsenal, und an einer bestimmten Position wartete.
»Flotte Backbord!« ertönte ein Ruf aus dem Ausguck.
Ich wandte mich an Tab.
»Mast umlegen und festzurren. Segel unter Deck. Wir rudern in den Kampf.«