KAPITEL 16

»Sind Sie da draußen immer noch nicht fertig?«, fragte Tis Stimme knisternd über den Kommunikator in Leos Arbeitsanzug.

»Eine letzte Schweißung noch, Ti«, antwortete Leo. »Überprüfe noch mal diese Ausrichtung, Tony.«

Tony winkte bestätigend mit seiner behandschuhten Hand und ließ den optischen Laser prüfend über die Linie laufen, der der Elektronenstrahlschweißbrenner bald folgen würde. »Alles klar, Pramod«, rief er und bewegte sich zur Seite.

Der Schweißbrenner bewegte sich in seinen Spuren über das Werkstück und flickte einen Flansch für die letzte Klampe, die den neuen Vortex-Spiegel in seinem Gehäuse an Ort und Stelle halten sollte. Das Licht an der Spitze des Schweißbrenners wechselte von Rot auf Grün, er schaltete sich selbst ab, und Pramod kam heran, um ihn abzunehmen. Bobbi schwebte unmittelbar hinter ihm her, um die Schweißnaht mit einem Echoscanner zu überprüfen. »Die ist gut, Leo. Die wird halten.« »In Ordnung. Holt das Zeug heraus und bringt den Spiegel herein.«

Seine Quaddies bewegten sich schnell. Binnen Minuten war der Vortex-Spiegel in seine isolierten Klampen eingepaßt und seine Ausrichtung überprüft. »In Ordnung, Leute. Gehen wir zurück und lassen wir Ti den Rauchtest machen.«

»Rauchtest?«, fragte Tis Stimme über den Kommunikator. »Was ist das? Ich dachte, Sie wollten eine Triebwerksleistung von zehn Prozent.«

»Das ist ein alter und ehrbarer Ausdruck für den letzten Schritt bei jedem Ingenieursprojekt«, erklärte Leo. »Einschalten und sehen, ob es Rauch gibt.« »Das hätte ich mir denken sollen«, keuchte Ti. »Wie außerordentlich wissenschaftlich.«

»Der Echteinsatz ist immer der letztgültige Test. Aber geben Sie langsam Gas, ja? Ganz sachte. Wir haben hier ein empfindliches Baby.«

»Das haben Sie jetzt schon acht- oder zehnmal gesagt, Leo. Entspricht denn jetzt das Stück den Spezifikationen oder nicht?« »Schon. Jedenfalls auf der Oberfläche. Aber die innere kristalline Struktur des Titans — na ja, das ist nicht so gut kontrolliert worden, wie es bei normaler Produktion geschehen wäre.«

»Entspricht es den Spezifikationen oder nicht? Ich werde nicht tausend Leute mit einem Sprung in den Tod nehmen, verdammt noch mal. Besonders, wenn ich dabei bin.« »Entspricht, entspricht«, sagte Leo entschlossen. »Aber — machen Sie bloß damit keinen Unfug, ja? Meinem Blutdruck zuliebe, wenn Sie schon sonst nichts schonen.« Ti murmelte etwas, das vielleicht zum Teufel mit Ihrem Blutdruck hätte heißen können, aber Leo war sich nicht sicher. Er bat nicht um Wiederholung. Leo und seine Quaddiemannschaft sammelten ihre Gerätschaften zusammen und düsten in eine sichere Entfernung von dem Necklinstabarm. Sie hingen etwa hundert Meter über dem ›Heim‹. Das Licht von Rodeos Sonne war hier, eine Stunde vom Wurmlochsprungpunkt entfernt, bleich und scharf; mehr als ein heller Stern, aber weit weniger als der Nuklearofen, der das Habitat im Orbit von Rodeo erwärmt hatte.

Leo nutzte den Augenblick, um von diesem seltenen externen Aussichtspunkt aus auf ihr zusammengeschustertes Kolonieschiff zu schauen. Über hundert Module waren schließlich entlang der Achse des Schiffes zusammengebündelt worden; alle erfüllten — mehr oder weniger — ihre früheren Funktionen. Verdammt, wenn die Gestaltung nicht auf eine wahnsinnig funktionale Art und Weise fast absichtlich aussah! Es erinnerte Leo ein bißchen an die entzückende Häßlichkeit der frühen Raumsonden des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Wunderbarerweise hatte es unter der ständigen Beschleunigung und Verlangsamung während zweier Tage zusammengehalten. Unvermeidlicherweise hatte es sich herausgestellt, daß drinnen verschiedene Punkte hier und da übersehen worden waren. Die jüngeren Quaddies waren tapfer herumgekrochen und hatten aufgeräumt; der Abteilung Ernährung war es gelungen, allen etwas zu essen zu geben, wenn auch das Menü ein bißchen willkürlich war; dank der bewundernswerten Bemühungen des jungen Leiters der Abteilung Wartung Luftsysteme, der bei ihnen geblieben war, und seiner Quaddiemannschaft, brauchten sie nicht länger periodisch die Beschleunigung unterbrechen, damit die sanitären Installationen funktionierten. Eine Zeitlang war Leo überzeugt gewesen, daß die verrückten Stopps der Tod für sie alle sein würden, aber er hatte trotzdem selbst die Gelegenheiten für die letzte Verbesserung an ihrem Vortex-Spiegel ergriffen.

»Sehen Sie Rauch?«, fragte Tis Stimme in seinem Ohr.

»Nö.«

»Das ist’s dann also. Schaut jetzt lieber, daß ihr eure Ärsche reinkriegt. Und sobald Sie alles erledigt haben, Leo, hätte ich es gern, daß Sie einmal in den Navigationsraum kommen.«

Etwas im Klang von Tis Stimme ließ Leo frösteln. »So? Was steht an?«

»Es nähert sich ein Sicherheitsshuttle von Rodeo. Ihr alter Kumpel Van Atta ist an Bord und befiehlt uns aufzugeben. Ich glaube, wir haben nicht mehr viel Zeit.«

»Sie behalten immer noch die Funkstille bei, hoffe ich?«

»O ja, sicher. Aber das hält mich ja nicht davon ab zuzuhören, oder? Es gibt eine Menge Geschnatter von der Sprungstation — aber das beunruhigt mich nicht so sehr wie das, was von hinten kommt. Ich … hm … glaube, Van Atta wird nicht gut mit Enttäuschungen fertig.«

»Ist er gereizt?«

»Mehr als gereizt, glaube ich. Diese Sicherheitsshuttles sind bewaffnet, wie Sie wissen. Und im Normalraum viel schneller als dieses Monstrum. Daß ihre Laser bloß als ›leichte Waffen‹ klassifiziert sind, bedeutet nicht, daß es nicht gerade gesund ist, sich in ihrer Nähe zu befinden. Ich würde lieber springen, bevor sie in Schußweite sind.«

»Verstanden.« Leo winkte seine Mannschaft zur Eingangsluke in das Rüstmodul. Jetzt also spitzte es sich endlich zu. Für die langerwartete physische Konfrontation mit Galac-Tech-Leuten, die versuchten, das Habitat wieder in Besitz zu nehmen, hatte sich Leo in seinen Gedanken ein Dutzend Verteidigungsmethoden ausgedacht, fest installierte Strahlenschweißbrenner zum Beispiel, oder Sprengminen. Aber seine ganze Zeit war durch den Vortex-Spiegel in Anspruch genommen worden, und folglich waren jetzt nur die dringendsten Waffen verfügbar, wie die Strahlenschweißbrenner, und selbst die waren bei einem Enterkampf innerhalb des Habitats nutzlos. Er konnte sich direkt vorstellen, wie einer sein Ziel verfehlte und eine Wand zu einem benachbarten Krippenmodul durchschnitt. Im Einzelkampf in der Schwerelosigkeit mochten die Quaddies manche Vorteile haben, aber Waffen machten sie wieder zunichte, weil sie für die Verteidiger gefährlicher waren als für die Angreifer. Es hing alles davon ab, welche Art von Angriff Van Atta startete. Und Leo verabscheute es, von Van Atta abhängig zu sein.


Van Atta fluchte ein letztesmal in den Kommunikator, dann versetzte er der AUS-Taste einen wütenden Hieb.

Schon vor Stunden waren ihm die Schimpfwörter ausgegangen, und er war sich bewußt, daß er sich wiederholte. Er wandte sich von der Kommunikationskonsole ab und blickte finster im Steuerraum des Sicherheitsshuttles umher.

Pilot und Copilot waren vorne mit ihrer Arbeit beschäftigt. Bannerji, der die Truppe befehligte, und Dr. Yei — wie hatte die sich überhaupt in die Expedition eingeschlichen? — saßen an ihre Beschleunigungssessel gegurtet, Yei auf dem Platz des Technikers, Bannerji an der Waffenkonsole auf der anderen Seite des Mittelgangs.

»Das ist’s dann also«, fauchte Van Atta. »Sind wir schon in Schußweite für die Laser?«

Bannerji blickte auf eine Anzeige. »Noch nicht ganz.«

»Bitte«, sagte Dr. Yei, »lassen Sie mich es nur noch einmal versuchen, mit ihnen zu reden …«

»Wenn die den Klang Ihrer Stimme halb so überhaben wie ich, dann werden sie nicht antworten«, knurrte Van Atta. »Sie haben Stunden damit verbracht, mit ihnen zu reden. Akzeptieren Sie es — die hören nicht mehr zu, Yei. Soviel zum Thema Psychologie.«

Fors, der Sergeant von der Sicherheit, streckte den Kopf vom hinteren Abteil herein, wo er mit seinen sechsundzwanzig Kameraden vom Galac-Tech-Sicherheitsdienst saß. »Wie steht’s, Captain Bannerji? Sollen wir schon die Raumanzüge fürs Entern anlegen?«

Bannerji schaute Van Atta fragend an. »Nun, Mr. Van Atta? Welcher Plan soll es sein? Es scheint, daß wir alle Szenarien abhaken können, die davon ausgingen, daß sie sich ergeben.«

»Sie haben das Problem ganz richtig kapiert.« Van Atta brütete vor dem Kommunikator, der auf seinem Vid nur ein graues leeres Zischen von sich gab. »Sobald wir in Schußweite sind, beginnen Sie also auf sie zu feuern. Machen Sie zuerst die Arme mit den Necklinstäben unbrauchbar, dann die normalen Raumtriebwerke. Dann sprengen wir ihnen ein Loch in die Seite, marschieren rein und räumen auf.«

Sergeant Fors räusperte sich. »Sie sagten, da wären tausend von diesen … ah … Mutanten an Bord, nicht wahr, Mr. Van Atta? Wie steht es mit dem Plan, das Entern zu überspringen und einfach das ganze Raumfahrzeug in Schlepptau zu nehmen, zurück dorthin, wo Sie es haben wollen? Sind nicht die Chancen fürs Entern ein bißchen ungleich verteilt?«

»Beschweren Sie sich bei Chalopin. Sie hat sich gesträubt, Hilfe vom eigentlichen Sicherheitdienst draußen anzufordern. Aber die Chancen stehen nicht so, wie es scheint. Die Quaddies sind Waschlappen. Die Hälfte von ihnen sind Kinder unter zwölf, um Himmels willen. Gehen Sie einfach rein und betäuben Sie alles, was sich bewegt. Was meinen Sie, Fors, wie vielen fünfjährigen Mädchen sind Sie gewachsen?« »Ich weiß nicht, Sir«, Fors blinzelte. »Ich habe mir nie vorgestellt, mit fünfjährigen Mädchen kämpfen zu müssen.« Bannerji trommelte mit seinen Fingern auf seiner Waffenkonsole und blickte Yei an. »Ist auch das Mädchen mit dem Baby an Bord, das ich an jenem Tag im Lager fast erschossen habe, Dr. Yei?«

»Ciaire? Ja«, erwiderte sie ruhig.

»Aha.« Bannerji wich ihrem intensiven Blick aus und rutschte auf seinem Sitz herum.

»Hoffen wir, daß Sie diesmal besser zielen, Bannerji«, sagte Van Atta. Bannerji ließ ein Computerschema eines Superjumpers auf seinem Vid rotieren und stellte Berechnungen an. »Sind Sie sich bewußt«, sagte er langsam, »daß bei dem tatsächlichen Geschehen einige unkontrollierbare Faktoren eine Rolle spielen — die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß wir am Ende ein paar Extralöcher in die bewohnten Module schießen, während wir es auf die Necklinstäbe abgesehen haben?«

»Das geht alles in Ordnung«, sagte Van Atta. Bannerji verzog zweifelnd die Lippen. »Hören Sie, Bannerji«, fügte Van Atta ungeduldig hinzu, »die Quaddies sind … äh … haben sich zum Freiwild gemacht, indem sie kriminell wurden. Das sind Kriminelle auf der Flucht.«

Dr. Yei fuhr sich heftig mit den Händen übers Gesicht. »Lord Krishna«, stöhnte sie. Sie zeigte ihm ein eigenartiges, verkniffenes Lächeln. »Ich habe mich gefragt, wann Sie das sagen würden. Ich hätte darauf wetten sollen — hätte einen Wettpool eröffnen sollen …« Van Atta wurde ungehalten. »Wenn Sie Ihre Arbeit richtig gemacht hätten«, erwiderte er nicht weniger verkniffen, »dann wären wir jetzt nicht hier. Ich möchte das später wirklich dem Management darlegen, glauben Sie mir. Aber ich muß mich nicht mehr mit Ihnen streiten. Für alles, was ich zu tun beabsichtige, habe ich eine entsprechende Vollmacht.«

»Die Sie mir nicht gezeigt haben.«

»Chalopin und Captain Bannerji haben sie gesehen. Wenn es nach mir geht, dann werden Sie dafür gekündigt, Yei.« Sie sagte nichts, nahm aber die Drohung mit einer kurzen ironischen Neigung des Kopfes zur Kenntnis. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und verschränkte die Arme, anscheinend endlich zum Schweigen gebracht. Gottseidank, dachte Van Atta bei sich. »Legen Sie Ihre Anzüge an, Fors«, sagte er zu dem Sicherheitssergeanten.


Der Steuerraum auf der D-620 war gerammelt voll. Ti regierte von seinem Pilotensessel aus, wo er unter seinem Kopfaggregat thronte; Silver bediente den Kommunikator; und Leo — hatte die Stelle des Chefingenieurs inne, wie er vermutete. Die Befehlskette wurde zu diesem Zeitpunkt ziemlich verschwommen.

Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und seine Kehle war wie zugeschnürt, als alle Handlungsfäden sich ihrem Schnittpunkt, dem ›Punkt ohne Umkehr‹, näherten.

»Das Sicherheitsshuttle hat aufgehört zu senden«, berichtete Silver.

»Das ist eine Wohltat«, sagte Ti. »Du kannst jetzt den Ton wieder aufdrehen.« »Keine Wohltat«, sagte Leo. »Wenn sie aufgehört haben zu reden, dann bereiten sie sich vielleicht auf einen Beschuß vor.« Und es war zu spät, zu nahe am Sprungpunkt, um eine Mannschaft mit einem Strahlenschweißbrenner nach draußen zu schicken und zurückzufeuern.

Ti verzog verzweifelt den Mund. Er schloß die Augen; die D-620 schien sich schrägzulegen, während sie unter der Beschleunigung dahinrumpelte. »Wir sind fast in der Position zum Sprung«, sagte er.

Leo spähte auf den Monitor. »Sie sind fast in Schußweite.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Sie sind in Schußweite.«

Ti gab ein Quieken von sich und zog sein Kopfaggregat herunter. »Ich bringe das Necklin-Feld hoch …«

Silvers Hand tastete nach Leos. Er war überwältigt von einem Verlangen, um Verzeihung zu bitten, bei Silver, bei den Quaddies, bei Gott … er wußte nicht, bei wem noch. Ich habe euch in diese Lage gebracht … es tut mir so leid … »Wenn du einen Kanal aufmachst, Silver«, sagte Leo verzweifelt, den Kopf voller Panik — alle diese Kinder! — »wir können uns immer noch ergeben …«

»Niemals«, sagte Silver. Ihr Griff um seine Hand wurde fester, und ihre blauen Augen begegneten seinem Blick. »Und ich wähle für alle, nicht nur für mich. Wir springen.«

Leo knirschte mit den Zähnen und nickte knapp. Die Sekunden pulsierten in seinem Hirn, synkopiert vom Hämmern seines Herzens. Das Sicherheitsshuttle auf dem Monitor wurde größer.

»Warum feuern sie nicht?«, fragte Silver.


»Feuer!«, befahl Van Atta. Bannerjis helles Computerschema richtete sich aus, Zahlen leuchteten auf, Lichter konvergierten. Dr. Yei war nicht länger auf ihrem Platz, wie Van Atta bemerkte. Vielleicht versteckte sie sich in der Toilette. Diese Dosis realen Lebens und realer Konsequenzen war zweifellos zu viel für sie. Genau wie einer dieser schlappschwänzigen Politiker, dachte Van Atta sarkastisch, die die Leute in ein Desaster hineinschwatzen und dann verschwinden, wenn das Schießen beginnt … »Feuer!«, wiederholte er zu Bannerji, als der Computer Feuerbereitschaft zeigte und auf sein Ziel fixiert war.

Bannerjis Hand bewegte sich auf den Feuerschalter zu, zögerte dann. »Haben Sie eine Arbeitsanweisung dafür?«, fragte er plötzlich.

»Was soll ich haben?«, sagte Van Atta.

»Eine Arbeitsanweisung. Mir fällt ein, daß dies praktisch als Maßnahme zur Beseitigung von Problemmüll betrachtet werden kann. Dazu ist eine Arbeitsanweisung notwendig, unterschrieben vom Anforderer — das sind Sie —, meiner Vorgesetzten — das ist Administratorin Chalopin — und dem Firmenbeauftragten für Problemmüll.«

»Chalopin hat Sie mir überstellt. Das macht es offiziell, Mister!«

»Aber nicht vollständig. Die Firmenbeauftragte für Problemmüll ist Laurie Gompf, und sie ist drunten auf Rodeo. Sie haben nicht ihre Vollmacht. Die Arbeitsanweisung ist unvollständig. Tut mir leid, Sir.« Bannerji verließ die Waffenkonsole, ließ sich auf den freien Technikersitz plumpsen und verschränkte die Arme. »Ich möchte nicht meinen Job aufs Spiel setzen, indem ich eine Maßnahme zur Beseitigung von Problemmüll ohne ordnungsgemäße Anweisung durchführe. Das Gutachten über die Auswirkungen auf die Umwelt müßte auch beigefügt sein.«

»Das ist Meuterei!«, brüllte Van Atta.

»Nein, ist es nicht«, widersprach Bannerji freundlich. »Wir sind hier nicht beim Militär.«

Van Atta starrte wütend mit rotem Gesicht auf Bannerji, der seine Fingernägel studierte. Mit einem Fluch schwang sich Van Atta auf den Sitz vor der Waffenkonsole und aktivierte sie. Er zögerte, während ihm die technischen Parameter der Superjumper der D-Klasse durch den Kopf rasten. Wo auf dieser komplexen Struktur mochte wohl ein Treffer nicht nur die Stäbe außer Betrieb setzen, sondern auch die Haupttriebwerke hochgehen lassen? Verbrennung, in der Tat! Und der Tod der vier oder fünf Planetarier an Bord konnte, falls nötig, Bannerji in die Schuhe geschoben werden — ich habe mein Bestes getan, gnädige Frau — wenn er seine Aufgabe erfüllt hätte, so wie ich es zuerst von ihm verlangt hatte …

Das Schema drehte sich auf dem Vid-Display. Es mußte einen Punkt in der Struktur geben — ja. Da und da. Wenn er sowohl diesen Steuernexus und diese Kühlerleitungen wegpusten könnte, dann wäre das Ergebnis — wahrscheinlich eine Beförderung, sobald der Staub sich gelegt hatte. Apmad würde ihn abküssen. Wie einen heldenhaften Arzt, der auf sich allein gestellt eine Pest genetischer Scheußlichkeiten davon abhielt, sich über die Galaxis zu verbreiten…

Das Zielschema richtete sich wieder aus. Van Attas schwitzende Hand umfaßte den Feuerknopf. Noch einen Augenblick — bloß noch einen Augenblick…

»Was machen Sie damit, Dr. Yei?«, fragte Bannerjis Stimme verdutzt.

»Ich setze Psychologie ein.«

Van Attas Hinterkopf schien mit einem gräßlichen Knacksen zu explodieren. Er fiel vorwärts, schlug mit dem Kinn auf die Konsole auf und knallte auf die Tastatur, woraufhin sein Zielprogramm auf dem Vid sich in ein konfettibuntes Durcheinander verwandelte. Er sah Sterne innerhalb des Shuttles, verschwommene Purpurflecken und grüne Pünktchen — keuchend richtete er sich wieder auf.

»Dr. Yei«, protestierte Bannerji, »wenn Sie versuchen, einen Mann k.o. zu hauen, dann müssen Sie viel härter zuschlagen.«

Yei zuckte ängstlich zurück, als Van Atta von seinem Sitz hochschoß. »Ich wollte nicht riskieren, ihn zu töten …«

»Warum nicht?«, murmelte Bannerji.

Wütend schlossen sich Van Attas Hände um Yeis Handgelenk. Er entriß ihr den Schraubenschlüssel. »Sie können wirklich nichts richtig machen, oder?«, knurrte er.

Sie keuchte und weinte. Fors, schon in seinem Raumanzug, aber noch ohne Helm, steckte erneut den Kopf vom hinteren Abteil herein. »Was, zum Teufel, ist hier los?«

Van Atta schob ihm Yei zu. Bannerji, der sich voller Unbehagen auf seinem Sitz wand, war offensichtlich nicht zu trauen. »Halten Sie dieses verrückte Miststück fest. Sie hat gerade versucht, mich mit einem Schraubenschlüssel umzubringen.«

Mit einem Zischen ließ sich Van Atta wieder auf den Sitz vor der Waffenkonsole fallen und rief erneut das Zielprogramm auf. Die D-620-Habitat-Konfiguration zeichnete sich deutlich auf dem Vid ab, das kalte und ferne Sonnenlicht ließ ihre Struktur silbern erglänzen. Die Zielfäden des Schemas konvergierten und schlossen die Konfiguration ein.

Die D-620 zitterte, rotierte und verschwand.

Die Laser feuerten, Lanzen von Licht schossen in den leeren Raum.

Van Atta brüllte auf und schlug mit den Fäusten auf die Konsole. Von seinem Kinn rannen Bluttropfen. »Sie sind entkommen. Sie sind entkommen. Sie sind entkommen …«

Yei kicherte.


Leo hing schlaff in seinen Sitzgurten. Aus seiner Kehle stieg ein Gelächter auf. »Wir haben es geschafft!«

Ti schob seinen Steuerhelm hoch und saß nicht weniger schlaff da, sein Gesicht war bleich und von Linien durchzogen — Wurmlochsprünge erschöpften einen Piloten. Leo hatte ein Gefühl, als wäre er soeben von innen nach außen gestülpt worden, er würgte, aber das Ekelgefühl verging schnell.

»Ihr Spiegel hat den Spezifikationen entsprochen, Leo«, sagte Ti schwach.

»Ja. Ich hatte gefürchtet, daß er während der Belastung durch den Sprung explodieren würde.«

Ti guckte ihn ungehalten an. »Das haben Sie aber nicht gesagt. Ich dachte, Sie wären ein As als Testingenieur.«

»Hören Sie, ich hatte sowas nie zuvor gemacht«, protestierte Leo. »Man weiß nie. Man stellt nur die bestmöglichen Vermutungen an.« Er setzte sich auf und versuchte seine zerstreuten Sinne zu sammeln. »Wir sind da. Wir haben es geschafft. Aber was geht draußen vor? Hat das Habitat Schäden abbekommen? — Silver, schau mal, was du über den Kommunikator hereinbekommst.«

Sie war ebenfalls bleich. »Du lieber Himmel!« Sie blinzelte. »Das war also ein Wurmlochsprung. Wie sechs Stunden von Dr. Yeis Wahrheitsserum in eine Sekunde zusammengequetscht. Uff! Werden wir das oft machen?«

»Ich hoffe schon«, sagte Leo. Er löste seine Gurte und schwebte zu ihr hinüber, um ihr zu helfen. Der Raum um das Wurmloch war leer und ruhig — Leos geheimer paranoider Alptraum, daß sie mitten in einen Hinterhalt militärischen Feuers sprangen, würde nicht Realität werden, stellte er erfreut fest. Aber warte mal, da näherte sich ihnen ein Schiff — kein Handelsfahrzeug, sondern etwas, das gefährlich und offiziell aussah …

»Es ist eine Art Polizeischiff von Orient IV«, vermutete Silver. »Bekommen wir Schwierigkeiten?« »Zweifellos«, sagte Dr. Minchenko, der in den Steuerraum geschwebt kam. »Galac-Tech wird das bestimmt nicht hinnehmen. Sie tun uns allen einen Gefallen, Graf, wenn Sie jetzt das Reden einfach mir überlassen.« Er schob Silver und Leo mit den Ellbogen beiseite und übernahm den Kommunikator. »Der Gesundheitsminister von Orient IV ist zufällig ein Berufskollege von mir. Zwar hat er in seiner Stellung keinen großen politischen Einfluß, aber er stellt einen Kommunikationskanal zu den höchsten Regierungsebenen dar. Wenn ich ihn erreichen kann, dann werden wir in einer viel besseren Position sein, als wenn wir mit irgendeinem subalternen Polizeisergeanten verhandeln, oder, noch schlimmer, mit einem Offizier vom Militär.« Minchenkos Augen funkelten. »Im Augenblick haben Galac-Tech und Orient IV nicht viel füreinander übrig. Allen Beschuldigungen von Galac-Tech können wir etwas entgegensetzen — Steuerbetrug — oh, die Möglichkeiten …«

»Was machen wir, während Sie reden?«, fragte Ti.

»Weiter beschleunigen«, riet Minchenko.

»Es ist noch nicht vorbei, nicht wahr?«, sagte Silver leise zu Leo, während sie Minchenko Platz machten. »Irgendwie hatte ich gedacht, unsere Schwierigkeiten würden vorbei sein, wenn wir nur vor Mr. Van Atta davonkämen.«

Leo schüttelte den Kopf. Ein fröhliches Grinsen zog seine Mundwinkel nach oben. Er nahm eine ihrer oberen Hände. »Unsere Schwierigkeiten wären vorbei gewesen, wenn Brucie-Baby einen Treffer gelandet hätte. Oder wenn der Vortex-Spiegel mitten im Sprung explodiert wäre, oder wenn … — hab keine Angst vor Schwierigkeiten, Silver. Sie sind ein Zeichen des Lebens. Wir werden uns ihnen zusammen stellen — morgen.«

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, die Spannung schwand aus ihrem Gesicht, ihrem Leib, ihren Armen. Schließlich leuchteten ihre Augen auf, funkelten wie Sterne. Sie wandte ihm erwartungsvoll das Gesicht zu.

Er ertappte sich dabei, wie er ganz tölpelhaft grinste — und das bei einem Mann, der auf die Vierzig zuging. Er versuchte, mehr Würde in seinem Gesicht zu zeigen. Schweigend blickten sie sich an.

»Leo«, sagte Silver, »sind Sie etwa schüchtern?«

»Wer, ich?«, fragte Leo. Einen Moment lang glitzerten die blauen Sterne ganz beutegierig. Sie küßte ihn. Leo, ungehalten über ihre Beschuldigung, erwiderte den Kuß nachdrücklich. Jetzt war es an ihr, tölpelhaft zu grinsen. Ein Leben lang bei den Quaddies, überlegte Leo, Teufel auch, das könnte ganz interessant werden …

Sie wandten ihre Gesichter der neuen Sonne zu.

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