Zwei Tage waren verstrichen, und Gendibal war weniger bedrückt vom Geschehen als wirklich hochgradig wütend. Es gab keinen Grund, warum die Verhandlung nicht ohne jeden Verzug stattfinden sollte. Wäre er unvorbereitet gewesen, hätte er Zeit gebraucht, sie hätten ihm, da war er sicher, eine unverzügliche Verhandlung aufgezwungen.
Aber zur gleichen Zeit, da die Zweite Foundation sich nichts mehr oder weniger gegenübersah als der größten Krise seit dem Fuchs, verschwendeten sie Zeit, und zu keinem anderen Zweck, als ihn zu ärgern.
Und sie ärgerten ihn, und deshalb sollte sein Gegenzug um so härter ausfallen. Das war für ihn beschlossene Sache.
Gendibal blickte sich um. Das Vorzimmer war leer. So ging es schon seit zwei Tagen. Er war gebrandmarkt; ein Sprecher, den alle kannten, und durch Aktionen, die in der fünfhundertjährigen Geschichte der Zweiten Foundation ohne Beispiel waren, sollte er bald seine Position aufgeben müssen.
Er würde in der Masse aufgehen, wenn man ihn verurteilte, zu einem gewöhnlichen, einfachen Zweitfoundationisten herabgestuft werden.
Es war eines — und durchaus sehr ehrenvoll —, ein aktiver Zweitfoundationist zu sein, vor allem, wenn man einen respektablen Posten einnahm, wie Gendibal es sicherlich auch nach einer etwaigen Aburteilung noch konnte. Doch es war etwas ganz anderes, einmal Sprecher gewesen und dann abgesetzt worden zu sein.
Aber dahin wird es nicht kommen, dachte Gendibal erbittert, auch wenn man mich zwei Tage lang gemieden hat.
Nur Sura Novi begegnete ihm genauso wie vorher, aber sie war zu naiv, um die Situation zu verstehen. Für sie war Gendibal noch immer der Meisten.
Es irritierte Gendibal, daß er darin einen gewissen Trost fand. Er schämte sich, als er zu merken anfing, daß er wieder neuen Mut faßte, sobald er spürte, wie sie ihn regelrecht verehrungsvoll anschaute. Mußte er schon froh um so kleine Zuwendungen sein?
Ein Bediensteter kam aus dem Sitzungssaal, um ihm mitzuteilen, daß die Tafel der Sprecher ihn erwarte; er stapfte hinein. Gendibal kannte den Mann gut, und zwar als jemanden, der jederzeit genau wußte, welchen Grad von Höflichkeit — bis hin zu den winzigsten Schattierungen — jeder der Sprecher gerade verdiente. Gegenwärtig war Gendibals Ansehen offensichtlich auf einem Tiefststand angelangt. Selbst dieser papierene Bürokrat hielt ihn bereits für so gut wie abgeurteilt.
Sie saßen alle rings um die Tafel, die schwarzen Roben des Gerichts übergezogen, feierlich ernst. Erster Sprecher Shandess wirkte leicht unbehaglich, ließ aber nicht zu, daß sein Gesicht nur den geringsten Ausdruck einer freundlichen Begrüßung annahm. Die Delarmi, einer der drei weiblichen Sprecher, sah Gendibal nicht einmal an.
»Sprecher Stor Gendibal«, sagte der Erste Sprecher, »Sie stehen unter der Anschuldigung, ein Verhalten an den Tag gelegt zu haben, wie es eines Sprechers unwürdig und unvereinbar mit seiner verantwortungsvollen Position ist. Vor uns allen haben Sie die Tafel der Sprecher mit vagen Äußerungen und ohne jeden Beweis des Verrats und Mordversuchs verdächtigt. Sie haben behauptet, alle Angehörigen der Zweiten Foundation, auch die Sprecher sowie der Erste Sprecher, müßten aus Sicherheitsgründen einer Mentalanalyse unterzogen werden, um herauszufinden, welchen von ihnen man nicht länger trauen dürfe. Ein derartiges Verhalten zerbricht das Band der Gemeinsamkeit, ohne das die Zweite Foundation gegen eine in schwierigen Entwicklungsprozessen befindliche, potentiell feindselige Galaxis nicht bestehen kann, ohne das sie nicht dazu imstande wäre, zielbewußt ein lebensfähiges Zweites Imperium aufzubauen. Da wir alle Zeugen des erwähnten herausfordernden Betragens geworden sind, verzichten wir auf die Unterbreitung einer formellen Anklage. Deshalb kommen wir sofort zum nachfolgenden Punkt. Sprecher Stor Gendibal, wünschen Sie etwas zu Ihrer Verteidigung vorzutragen?«
Nun erlaubte sich die Delarmi, noch immer, ohne ihn anzusehen, ein andeutungsweises, katzenhaftes Lächeln.
»Wenn die Wahrheit als Verteidigung gilt, dann habe ich eine vorzutragen«, antwortete Gendibal. »Es gibt Gründe, aus denen eine Verletzung unserer Sicherheit angenommen werden muß. Dabei kann die Möglichkeit einer mentalen Kontrolle über einen oder mehrere Zweitfoundationisten, Anwesende nicht ausgeschlossen, keineswegs verneint werden, und das Ergebnis ist eine fatale Krise für die ganze Zweite Foundation. Falls Sie den Verhandlungsablauf beschleunigen, um keine Zeit zu verlieren, könnte es sein, daß Sie alle hier den Ernst der kritischen Lage unbestimmt erkannt haben, aber in dem Fall frage ich mich, warum sie vorher erst zwei Tage vergeuden mußten, nachdem ich formell um eine sofortige Verhandlung ersucht habe. Ich erkläre, daß diese verhängnisvolle Krise es ist, die mich gezwungen hat, zu äußern, was ich von mir gegeben habe. Ich bin der Meinung, ich hätte mich verhalten, wie man es von einem Sprecher nicht erwarten dürfte, hätte ich in so einer Situation geschwiegen.«
»Er macht nichts anderes, als seine provozierenden Reden zu wiederholen, Erster Sprecher«, sagte die Delarmi gedämpft.
Gendibals Sessel stand weiter von der Tafel entfernt als die Sitze der anderen Sprecher; schon das war nahezu ein Urteilsspruch. Gendibal schob ihn noch weiter zurück, als schere er sich nicht darum, und stand auf.
»Wollen Sie mich sofort und im Widerspruch zum Gesetz verurteilen«, fragte er, »oder darf ich meine Verteidigung in allen Einzelheiten auseinandersetzen?«
»Dies ist keine gesetzlose Zusammenrottung, Sprecher«, erwiderte der Erste Sprecher. »Es liegt kaum irgendeine Präjudiz vor, an die wir uns halten könnten, und wir werden Ihnen jedes Wohlwollen entgegenbringen, weil wir uns darüber im klaren sind, daß die Tatsache unserer Allgemeinmenschlichkeit uns an absoluter Gerechtigkeit hindert, und daß es deshalb besser ist, einen Schuldigen frei ausgehen zu lassen, als einen Unschuldigen zu verurteilen. Obwohl die zu behandelnde Angelegenheit so ernst ist, daß wir eine Schuld ungerne leichtfertig durchgehen lassen würden, wollen wir Ihnen also erlauben, zu Ihrer Verteidigung zu sprechen, wie und so lange Sie möchten und es erforderlich ist, bis Sie nach einstimmiger Auffassung — auch meiner — « (hier hob er seine Stimme) »hinlänglich angehört worden sind.«
»Dann lassen Sie mich damit beginnen«, sagte Gendibal, »daß ich folgendes bekanntgebe: Golan Trevize, der Erstfoundationist, der von Terminus exiliert worden ist, und den der Erste Sprecher und ich für den Stoßkeil der uns bedrohenden Krise halten, hat eine unerwartete Kursänderung vorgenommen.«
»Zu unserer Information«, sagte die Delarmi leise. »Woher hat der Sprecher« (ihr Tonfall verriet eindeutig, daß sie die Bezeichnung nicht als Titel verstanden wissen wollte) »diese Kenntnis?«
»Der Erste Sprecher persönlich hat mich darüber informiert«, sagte Gendibal, »aber ich kann diese Information aus eigener Kenntnis bestätigen. Unter den gegebenen Umständen — ich verweise auf mein Mißtrauen gegen den Geheimhaltungsgrad der Tafel — muß mir jedoch gestattet werden, meine Informationsquelle zu verschweigen.«
»Ich möchte darüber vorerst nicht befinden«, sagte der Erste Sprecher. »Wir wollen ohne Preisgabe Ihrer Informationsquelle weitermachen, aber sollte die Versammlung zu der Ansicht gelangen, daß sie genannt werden muß, wird Sprecher Gendibal sie aufdecken müssen.«
»Wenn der Sprecher uns nicht jetzt diesbezügliche Klarheit gibt«, sagte die Delarmi, »darf man wohl annehmen, daß er seine Nachrichten von einem Agenten bezieht — einem Agenten, den er selbst beschäftigt und der nicht der Tafel der Sprecher insgesamt verantwortlich ist. Wir können nicht sicher sein, ob so ein Agent die Verhaltensmaßregeln befolgt, wie es im allgemeinen von Mitarbeitern der Zweiten Foundation verlangt wird.«
»Ich bin mir der Implikationen vollauf bewußt, Sprecherin Delarmi«, sagte der Erste Sprecher leicht ungnädig. »Es erübrigt sich, daß Sie mir derlei Dinge vorkauen.«
»Ich erwähne es lediglich fürs Protokoll, Erster Sprecher, denn eine solche Tatsache verschlimmert die begangenen Provokationen, und sie ist nicht in der Anklage enthalten, die hier, wie ich klarstellen muß, nicht in vollem Umfang dargelegt worden ist, die ich aber auf jeden Fall um diesen Punkt erweitert wissen möchte.«
»Die Protokollführung wird den erwähnten Punkt so oder so vermerken, und der genaue Wortlaut der Anklage wird zu gegebener Zeit entsprechend berichtigt«, versicherte der Erste Sprecher. »Sprecher Gendibal« (wenigstens er gebrauchte den Titel mit angemessenem Respekt), »Ihre Verteidigung bleibt in der Tat ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Bitte sprechen Sie weiter!«
»Dieser Trevize hat nicht nur eine unvorhergesehene Kursänderung vollzogen«, sagte Gendibal, »sondern er hat es auch mit noch nie dagewesener Geschwindigkeit getan. Nach meinen Informationen — die übrigens dem Ersten Sprecher noch nicht vorliegen — hat er fast zehntausend Parsek innerhalb einer knappen Stunde zurückgelegt.«
»Mit einem Hypersprung?« fragte ein Sprecher ungläubig nach.
»Mit über zwei Dutzend Sprüngen, die er, einen nach dem anderen, buchstäblich ohne zwischenzeitliche Verzögerung durchgeführt hat«, antwortete Gendibal. »Selbst wenn wir seine gegenwärtige Position lokalisieren können, wird es Zeit kosten, ihm zu folgen, und sollte er die Verfolgung bemerken und sich ihr ernsthaft entziehen wollen, wird’s unmöglich sein, ihn je einzuholen. Und Sie verplempern hier kostbare Zeit mit Spielereien wie Anklagen zwecks Amtsenthebung, lassen zwei volle Tage verstreichen, damit Sie mehr Spaß daran finden. Das grenzt doch an Destruktivismus!«
Einige der Anwesenden reagierten mit Empörung. Es gelang dem Ersten Sprecher, seine Beunruhigung zu verbergen. »Bitte verraten Sie uns, Sprecher Gendibal, welche Bedeutung Sie hinter dieser unvermuteten Entwicklung sehen.«
»Ich sehe darin einen Beweis der technischen Fortschritte, die von der Ersten Foundation gemacht werden. Die Erste Foundation ist heute viel mächtiger als zur Zeit Preem Palvers. Wir könnten ihr, würde sie uns finden und besäße sie volle Handlungsfreiheit, nicht standhalten.«
Sprecherin Delarmi erhob sich ebenfalls. »Erster Sprecher«, sagte sie, »wir verschwenden hier Zeit mit irrelevanten Dingen. Wir sind doch keine Kinder, denen man mit abenteuerlichen Geschichten aus der Hexenküche von Großmutter Raumfalte Angst einjagen kann. Es spielt doch überhaupt keine Rolle, wie eindrucksvoll fortgeschritten die Technik der Ersten Foundation sein mag, solange wir im Falle jeder Krise den Geist ihrer führenden Persönlichkeiten unter Kontrolle haben können.«
»Was sagen Sie dazu, Sprecher Gendibal?« meinte der Erste Sprecher.
»Nur daß wir uns den Fragen geistiger Beeinflussung früh genug zuwenden werden. Im Augenblick möchte ich lediglich die überlegene und in weiterem Anwachsen begriffene technisch-technologische Macht der Ersten Foundation hervorheben.«
»Dann widmen Sie sich dem nächsten Punkt, Sprecher Gendibal«, sagte der Erste Sprecher. »Der erste Punkt Ihrer Ausführungen, muß ich leider bemerken, macht mir nicht den Eindruck, als wäre er in der Sache der gegen Sie vorliegenden Anklage sehr wesentlich.«
Man konnte den übrigen Anwesenden allgemeine, unmißverständliche Zustimmung anmerken.
»Ich fahre mit meinen Darlegungen fort«, sagte Gendibal. »Trevize hat auf seinem gegenwärtigen Flug einen Begleiter namens…« Er unterbrach sich für einen Augenblick, um sich auf die richtige Aussprache zu besinnen, ehe er den Namen nannte. »…Janov Pelorat, einen ziemlich unbedeutenden Historiker, der sein Leben der Aufgabe verschrieben hat, alten Mythen und Sagen nachzuspüren, die die Erde betreffen.«
»Das alles wissen Sie?« meinte die Delarmi. »Aus Ihrer geheimen Informationsquelle, darf ich wohl unterstellen?« Sie hatte die Rolle einer Anklägerin mit unverkennbarem Behagen übernommen.
»Ja, das alles weiß ich«, bestätigte Gendibal ungerührt. »Vor ein paar Monaten hat Terminus’ Bürgermeisterin, eine energische und fähige Frau, aus keinem ersichtlichen Grund an diesem Historiker Interesse zu entwickeln begonnen, und deshalb habe ich natürlich auch angefangen, mich für ihn zu interessieren. Das habe ich keineswegs für mich behalten. Alle erlangten Informationen habe ich dem Ersten Sprecher zugänglich gemacht.«
»Das kann ich bestätigen«, sagte der Erste Sprecher mit gedämpfter Stimme.
»Was ist das — Erde?« erkundigte sich ein älterer Sprecher. »Handelt’s sich um diese legendäre Welt des Ursprungs, auf die wir immer wieder in Fabeln stoßen? Um die man in den Zeiten des alten Imperiums so einen Wirbel veranstaltet hat?«
Gendibal nickte. »In den abenteuerlichen Geschichten aus der Hexenküche von Großmutter Raumfalte, wie Sprecherin Delarmi sagen würde. Ich nehme an, es war Pelorats Wunsch, Trantor aufzusuchen und die Galaktische Bibliothek zu Rate zu ziehen, um Informationen zu finden, die sich über den Interstellaren Bibliotheksservice auf Terminus nicht erhalten ließen. Als er mit Trevize von Terminus startete, hatte er wohl den Eindruck, nun ginge sein alter Traum in Erfüllung. Wir unsererseits haben die beiden hier erwartet und uns auf die Gelegenheit verlassen, von ihnen zu unserem Nutzen gewisse Aufschlüsse zu erlangen. Aber nun, wie Sie alle jetzt wissen, kommen sie nicht. Statt dessen fliegen sie irgendein anderes Ziel an, von dem wir noch keine klare Vorstellung haben, und sie tun’s aus einem Grund, den wir bislang nicht kennen.«
»Und warum soll das so beunruhigend sein?« Das Gesicht der Delarmi sah regelrecht engelhaft unschuldig aus, als sie diese Frage stellte. »Ihr Ausbleiben kann doch keinen größeren Nachteil für uns bedeuten. Vielmehr dürfen wir, da sie uns so leichthin außer acht lassen, sehr wohl schlußfolgern, daß Sie sich über die wahre Wichtigkeit Trantors nicht im klaren sind, und das ist nichts als ein weiterer Anlaß, das Werk Preem Palvers zu loben.«
»Wären wir tatsächlich dazu außerstande, weitergehende Überlegungen anzustellen«, antwortete Gendibal, »könnten wir zu so simplen, beruhigenden Lösungen gelangen. Aber ist es nicht möglich, daß die Kursänderung nicht durch Uneinsichtigkeit in die wahre Bedeutung Trantors erklärbar ist? Ist es nicht vielmehr denkbar, daß sie auf die Sorge zurückgeht, auf Trantor könne man durch diese beiden Männer etwas über die Wichtigkeit der Erde erfahren?«
Rund um die Tafel war Bewegung zu bemerken.
»Jeder kann Spekulationen erfinden, die gescheit klingen, und sie in wohlgesetzte Redensarten kleiden«, sagte die Delarmi frostig. »Aber hält so was einer näheren Begutachtung stand? Warum sollte jemand etwas darum geben, was die Zweite Foundation von der Erde denkt?
Ob sie nun wirklich der Planet des Ursprungs ist, oder nur ein Mythos, oder ob sowieso nie eine Welt des Ursprungs existiert hat, das ist doch wohl etwas, wofür sich allenfalls ein paar Historiker, Anthropologen und Folkloreforscher interessieren, jemand wie dieser Pelorat. Weshalb sollte uns das was angehen?«
»Tja, weshalb?« entgegnete Gendibal. »Wie kommt’s dann, daß die Bibliothek keine Angaben über die Erde enthält?«
Zum erstenmal ließ sich an der Tafel etwas anderes als pure Feindseligkeit in der Stimmung der Anwesenden verspüren.
»Enthält sie keine?« fragte die Delarmi zurück.
»Als ich erstmals erfuhr«, sagte Gendibal ziemlich gelassen, »daß Trevize und Pelorat nach Trantor kommen könnten, um hier nach Informationen, die die Erde betreffen, zu suchen, habe ich selbstverständlich sofort vom Bibliothekscomputer eine Liste der Dokumente angefordert, die solche Informationen enthalten. Es hat gewisses Interesse in mir ausgelöst, als dabei überhaupt nichts zum Vorschein kam. Nicht etwa nur wenig. Keineswegs bloß so gut wie nichts. Nein, buchstäblich gar nichts! Dann haben Sie darauf bestanden, daß zwei Tage ungenutzt verstreichen, bevor diese Verhandlung stattfinden konnte, und zur gleichen Zeit ist meine Neugier dadurch verstärkt worden, daß sich ergeben hat, die Erstfoundationisten kommen nun doch nicht nach Trantor. In diesen zwei Tagen mußte ich mir irgendwie die Zeit vertreiben. Als der Rest von Ihnen, wie das Sprichwort sagt, auf der faulen Haut lag und sich offensichtlich außerstande sah, irgendwelche Schlüsse aus der Situation zu ziehen, habe ich einige Geschichtsbücher durchgearbeitet, die sich in meinem Privatbesitz befinden. Dabei bin ich auf mehrere Passagen gestoßen, die sich besonders mit einigen Untersuchungen über das ›Problem des Ursprungs‹ in der Ära des alten Imperiums befassen. Gewisse Dokumente, sowohl Filme wie auch Druckwerke, werden darin genannt, und es wird daraus zitiert. Daraufhin habe ich die Bibliothek persönlich aufgesucht und nach diesen Dokumenten geforscht. Ich versichere Ihnen, es ist nichts zu finden. Absolut nichts! Haben Sie dafür eine Erklärung?«
»Selbst wenn das stimmt«, sagte die Delarmi, »muß das nicht unbedingt überraschend sein. Falls die Erde tatsächlich nichts als ein Mythos ist…«
»Aber das ist doch naiv! Dann müßte ich etwas unter dem Stichwort Mythologie finden. Wäre sie nur in Geschichten von Großmutter Raumfalte enthalten, müßte ich etwas über sie in den Gesammelten Märchen von Großmutter Raumfalte finden können. Wäre sie bloß eine Idee, die einem kranken Hirn entsprungen ist, hätte ich unter Psychopathologie etwas entdecken müssen. Tatsache ist doch, daß irgend etwas über die Erde existieren muß, andernfalls wüßten wir ja nichts von ihr, und niemand hier hätte, als ich sie erwähnt habe, sofort erkannt, daß die Rede von der mutmaßlichen Ursprungswelt der Menschheit ist. Wie kommt es also, daß sich nirgends in der Bibliothek etwas über die Erde finden läßt?«
Die Delarmi schwieg erstmals, und da meldete sich ein anderer Sprecher zu Wort. Es war Leonis Cheng, ein ziemlich kleinwüchsiger Mann mit enzyklopädischem Wissen um den Seldon-Plan — bis in die geringfügigsten Details —, aber reichlich kurzsichtiger Haltung in bezug auf die Realitäten in der Galaxis. Er neigte dazu, beim Reden hektisch zu zwinkern.
»Es ist wohlbekannt«, sagte er, »daß das Imperium in seiner Endzeit versucht hat, eine imperiale Mystik in die Welt zu setzen, indem man sich bemühte, jedes Interesse an vorimperialen Zeiten zu dämpfen.«
Gendibal nickte. ›»Dämpfen‹ ist genau das richtige Wort, Sprecher Cheng. Das ist keineswegs das gleiche wie eine Vernichtung von Dokumenten. Wie Sie besser als jeder andere wissen dürften, zählte zu den Eigentümlichkeiten, die beim Niedergang des Imperiums auftraten, ein plötzliches Interesse an vergangenen, angeblich schöneren Zeiten. Ich habe vorhin vom Interesse am ›Problem des Ursprungs‹ zu Lebzeiten Hari Seldons gesprochen.«
Cheng unterbrach ihn mit einem hörbaren Räuspern. »Das weiß ich sehr wohl, junger Mann, und ich kenne mich mit den sozialen Phänomenen während der Zerrüttungsphase des Imperiums viel genauer aus, als Sie meinen. Der Prozeß der ›Imperialisierung‹ hat allen diesen dilettantischen Spekulationen bezüglich der Erde ein Ende bereitet. Unter Cleon II. als das Imperium seine letzte Blüte hatte, zwei Jahrhunderte nach Seldon, erreicht diese ›Imperiumstümelei‹ ihren Höhepunkt, und die Frage der Erde war glattweg verpönt. Zu Cleons Zeit kam dazu sogar eine Direktive heraus, die dem Interesse an solchen Dingen galt und in der — und ich glaube, ich kann korrekt zitieren — es heißt, derartige ›abgeschmackte und sinnlose Spekulationen begünstigen tendenziell eine Unterminierung der Liebe zum Thron des Imperiums‹.«
Gendibal lächelte. »Dann würden Sie die Vernichtung aller die Erde betreffenden Dokumente in die Epoche Cleons II. datieren, Sprecher Cheng?«
»Ich ziehe keine Schlußfolgerungen. Ich habe nur ausgesprochen, was es zu diesem Thema festzuhalten gilt.«
»Es ist klug von Ihnen, keine Schlußfolgerungen zu ziehen. Mag sein, daß das Imperium sich zur Zeit Cleons II. in einer letzten Blüteperiode befand, aber die Universität Trantors und die Galaktische Universität waren bereits in unserer Hand, oder jedenfalls der unserer Vorgänger. Es wäre schon damals unmöglich gewesen, ohne Kenntnis des Ersten Sprechers der Zweiten Foundation irgendwelches Material aus der Bibliothek zu entfernen. In der Tat wäre es die Aufgabe des Ersten Sprechers persönlich gewesen, so etwas zu veranlassen, obwohl man davon im heruntergekommenen Imperium natürlich nichts wissen konnte.«
Gendibal legte eine Pause ein, aber Cheng blickte über ihn hinweg und schwieg.
»Daraus ergibt sich«, erläuterte Gendibal weiter, »daß man das Material über die Erde nicht zu Lebzeiten Hari Seldons aus der Bibliothek entfernt haben kann, denn damals hat man sich mit dem ›Problem des Ursprungs‹ eifrig beschäftigt, aber es kann auch nicht später weggekommen sein, weil da bereits die Zweite Foundation die Bibliothek unter ihrer Obhut hatte. Trotzdem ist heute nichts davon mehr in der Bibliothek auffindbar. Wie ist das möglich?«
»Sie können endlich damit aufhören, Gendibal, auf dem Dilemma herumzuhacken«, sagte die Delarmi. »Wir sehen, was Sie meinen. Was schlagen Sie als Lösung vor? Daß Sie selbst die Dokumente entfernt haben?«
»Wie üblich, Sprecherin Delarmi, bleiben Sie voll beim Kern der Sache.« In sardonischem Respekt neigte Gendibal den Kopf, und sie verzog daraufhin ein wenig die Lippen. »Eine mögliche Lösung lautet, daß ein Sprecher der Zweiten Foundation diese Ausmerzung vorgenommen hat, jemand der sich darauf versteht, sich Kuratoren gefügig zu machen, ohne irgendeine Erinnerung zu hinterlassen, Computer zu mißbrauchen, ohne daß es sich nachträglich feststellen läßt.«
Erster Sprecher Shandess errötete. »Lächerlich, Sprecher Gendibal. Ich kann mir keinen Sprecher vorstellen, der so etwas treibt. Aus welchem Motiv könnte er handeln? Selbst wenn ein Sprecher das Material über die Erde aus irgendeinem Grund aus der Bibliothek entfernt haben sollte, warum hätte er Veranlassung sehen sollen, es vor dem Rest der Tafel zu verheimlichen? Weshalb sollte jemand durch solche Unregelmäßigkeiten im Umgang mit der Bibliothek seine gesamte Laufbahn gefährden, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, ertappt zu werden? Außerdem bezweifle ich, daß auch der geschickteste Sprecher zu dem fähig ist, was Sie eben beschrieben haben, ohne eine Spur zu hinterlassen.«
»Dann weisen Sie also Sprecherin Delarmis Verdacht zurück, ich könne es getan haben, Erster Sprecher?«
»Ganz sicher«, antwortete der Erste Sprecher. »Manchmal habe ich meine Zweifel an Ihren Standpunkten, aber es fehlt noch einiges, bis ich Sie rundheraus für verrückt erklären kann.«
»Dann kann’s doch eigentlich nie geschehen sein, Erster Sprecher. Das Material über die Erde muß noch in der Bibliothek sein, denn allem Anschein nach haben wir nun alle Möglichkeiten, wie es entfernt worden sein könnte, als undurchführbar eliminiert — und doch ist das Material nicht mehr vorhanden.«
»Na schön, na schön«, sagte die Delarmi mit spürbarem Überdruß. »Lassen Sie uns zu einem Ende kommen! Nochmals, was schlagen Sie als Lösung vor? Ich bin sicher, Sie haben sich eine ausgedacht.«
»Wenn Sie da so sicher sind, Sprecherin, sollen sich auch alle anderen Anwesenden darin sicher sein dürfen. Meine Annahme ist, daß ein Angehöriger der Zweiten Foundation das Material aus der Bibliothek entfernt hat, der unter dem Einfluß einer subtilen Macht außerhalb der Zweiten Foundation steht. Das Verschwinden des Materials ist unbemerkt geblieben, weil eben diese Macht dafür gesorgt hat, daß es unbemerkt bleibt.«
Die Delarmi lachte. »Bis Sie es festgestellt haben. Sie, der Unkontrollierte und Unkontrollierbare. Würde diese mysteriöse Macht existieren, wie hätten denn Sie das Fehlen des Materials bemerken können? Warum hat man Sie nicht unter Kontrolle genommen?«
»Das ist keine Angelegenheit, über die man lachen könnte, Sprecherin«, entgegnete Gendibal ernst. »Diese Macht kann recht gut in dieser Beziehung die gleiche Einstellung wie wir haben, daß nämlich mentale Eingriffe auf ein Minimum beschränkt werden müssen. Als vor wenigen Tagen mein Leben in Gefahr schwebte, habe ich mich mehr damit befaßt, eine unangemessene Einwirkung auf den hamischen Geist zu vermeiden, als mit meinem Schutz. Ebenso kann’s sich mit den Vertretern jener anderen Macht verhalten — sobald sie sich ihrer Sache sicher glaubten, haben sie die Beeinflussung beendet. Darin sehe ich die Gefahr, die tödliche Bedrohung. Die Tatsache, daß ich herausfinden konnte, was geschehen ist, kann bedeuten, daß es ihnen inzwischen egal ist. Die Tatsache wiederum, daß es ihnen egal ist, könnte heißen, sie sind der Überzeugung, bereits gewonnen zu haben. Und wir spielen hier munter unsere Verfahrens- und Verhandlungsspielchen!«
»Aber was für ein Ziel sollte diese Macht verfolgen? Welches Ziel wäre bei all dem vorstellbar?« Die Delarmi scharrte mit den Füßen und nagte auf ihrer Lippe. Sie spürte an der Tafel immer stärkeres Interesse, wachsende Sorge…
»Überlegen Sie einmal«, sagte Gendibal. »Die Erste Foundation — mit ihrem enormen Arsenal materieller Macht — sucht nach der Erde. Sie täuscht vor, lediglich einen Verbannten und einen verträumten Professor auf die Suche zu schicken, in der Hoffnung, uns vormachen zu können, das seien ihre ganzen Anstrengungen, aber sie gibt den beiden ein Raumschiff von unerhörter Leistungsfähigkeit — einen Raumer, der zehntausend Parsek in weniger als einer Stunde zurücklegen kann. Und das muß noch nicht alles sein. Was uns, die Zweite Foundation angeht, wir haben nicht nach der Erde gesucht, und eindeutig sind ohne unser Wissen Schritte unternommen worden, um zu gewährleisten, daß uns über die Erde keine Informationen zugänglich sind. Die Erste Foundation ist nun so nahe daran, die Erde zu finden, wir dagegen soweit davon entfernt, daß…«
Er verstummte. »Daß was?« meinte sofort die Delarmi. »Beenden Sie Ihre kindische Geschichte. Wissen Sie nun alles, oder nicht?«
»Ich weiß nicht alles, Sprecherin. Noch habe ich nicht das gesamte Ausmaß des Netzes durchschaut, das man um uns gelegt hat, aber ich habe erkannt, daß das Netz vorhanden ist. Ich habe keine Ahnung, weshalb es von derartiger Wichtigkeit sein kann, die Erde zu finden, aber ich bin der festen Überzeugung, daß die Zweite Foundation in gewaltiger Gefahr schwebt, und mit ihr der Seldon-Plan und die Zukunft der ganzen Menschheit.«
Die Delarmi stand auf. Sie lächelte nicht und sprach mit gepreßter, aber energisch beherrschter Stimme. »Was für ein Unsinn! Erster Sprecher, sorgen Sie dafür, daß mit diesem Quatsch Schluß gemacht wird! Die Angelegenheit, die hier zur Verhandlung steht, ist das würdelose Verhalten des Beschuldigten. Was er uns hier erzählt, ist nicht nur durch und durch kindisch, sondern auch völlig bedeutungslos. Er kann sein Benehmen nicht dadurch entschuldigen dürfen, daß er ein Hirngespinst von Theorien konstruiert, das nur in seinem eigenen Denken irgendeinen Sinn ergibt. Ich beantrage eine Abstimmung über die erhobene Anklage und rufe zur einmütigen Zustimmung zu seiner Amtsenthebung auf.«
»Halt!« sagte Gendibal in scharfem Ton. »Ich habe die Zusicherung erhalten, ich hätte hier die Gelegenheit, mich zu verteidigen, und ich habe noch einen Punkt, noch einen letzten Punkt vorzutragen. Lassen Sie mich das tun, und Sie können ohne weitere Einwände meinerseits zur Abstimmung übergehen.«
Der Erste Sprecher rieb sich müde die Augen. »Sie dürfen Ihre Verteidigung fortsetzen, Sprecher Gendibal. Ich möchte die Versammlung darauf aufmerksam machen, daß die Amtsenthebung eines angeklagten Sprechers eine so schwerwiegende Angelegenheit und bisher ohne konkretes Beispiel ist, daß wir nicht einmal den Anschein aufkommen lassen dürfen, es sei dem Beschuldigten keine ausreichende Möglichkeit zu seiner Verteidigung gewährt worden. Bedenken Sie auch, daß unsere letztendliche Entscheidung, selbst wenn Sie für unsere Begriffe zufriedenstellend ausfallen mag, nicht zwangsläufig auch unsere späteren Nachfolger befriedigen muß, und ich kann keinesfalls glauben, daß ein Zweitfoundationist, egal welchen Rang er einnimmt, sich nicht vollauf über die Bedeutung im klaren ist, die der Rechtmäßigkeit unseres Handelns aus historischer Perspektive beizumessen ist. Wir wollen so handeln, daß wir der Billigung der Sprecher sicher sein können, die uns in den kommenden Jahrhunderten nachfolgen werden.«
»Wir gehen das Risiko ein, Erster Sprecher«, sagte die Delarmi voller Bitterkeit, »von der Nachwelt dafür ausgelacht zu werden, uns langwierig mit offensichtlichen Spinnereien herumgeschlagen zu haben. Die Verteidigung fortsetzen zu lassen, ist Ihre Entscheidung.«
Gendibal holte tief Atem. »Dann möchte ich auf der Grundlage Ihrer Entscheidung, Erster Sprecher, eine Zeugin aufrufen — eine junge Frau, die ich vor drei Tagen kennengelernt habe und ohne deren Eingreifen ich der vergangenen Sitzung vielleicht hätte gar nicht beiwohnen können, statt mich nur zu verspäten.«
»Ist die Frau, von der Sie reden, an dieser Tafel bekannt?« erkundigte sich der Erste Sprecher.
»Nein, Erster Sprecher. Sie ist eine Eingeborene dieses Planeten.«
Die Delarmi riß die Augen auf. »Eine Hamerin?«
»Jawohl! Genau das.«
»Was haben wir mit so einer denn zu schaffen?!« meinte die Delarmi. »Was diese Leute daherreden, kann für uns doch nicht von Belang sein. Sie existieren einfach nicht.«
Gendibal verzog die Lippen und zeigte die Zähne auf eine Weise, die unmöglich als Lächeln mißverstanden werden konnte. »Physisch existieren alle diese Hamer sehr wohl«, sagte er in scharfem Tonfall. »Sie sind Menschen und spielen im Seldon-Plan ihre Rolle. Durch den indirekten Schutz, den sie der Zweiten Foundation bieten, ist ihre Rolle sogar von entscheidender Bedeutung. Ich distanziere mich ausdrücklich von der Menschenfeindlichkeit Sprecherin Delarmis und hoffe, daß ihre Äußerung sich im Protokoll wiederfindet, so daß sie später als Beweis ihrer etwaigen Untauglichkeit für die Position eines Sprechers dienen kann. Will der Rest der Tafel sich der unerhörten Bemerkung der Sprecherin anschließen und meine Zeugin von der Verhandlung ausschließen?«
»Rufen Sie Ihre Zeugin herein, Sprecher!« sagte der Erste Sprecher.
Gendibals Lippen entkrampften sich, und sein Gesicht nahm die übliche Ausdruckslosigkeit eines Sprechers an, der unter Druck stand. Sein innerstes Bewußtsein war bestens behütet und abgekapselt, aber hinter seiner Schutzbarriere hatte er das Gefühl, die Phase der höchsten Gefahr überwunden und gewonnen zu haben.
Sura Novi wirkte gestreßt. Ihre Augen waren geweitet, ihre Unterlippe zitterte ein wenig. Sie schloß und öffnete unaufhörlich langsam die Hände, und ihr Busen wogte.
Ihr Haar war nach hinten gekämmt und zu einem Knoten geschlungen; in ihrem von der Sonne gebräunten Gesicht zuckte es ab und zu. Ihre Hände fummelten am Saum ihres langen Rocks. Hastig glitt ihr Blick von der einen zur anderen der Personen, die an der Tafel saßen.
Sie musterten sie mit unterschiedlichen Graden von Geringschätzung und Unbehagen. Die Delarmi hielt ihren Blick deutlich über Sura Novis Kopf hinweg gerichtet; sie ignorierte ihre Gegenwart ganz einfach.
Sehr behutsam ertastete Gendibal auf mentaler Ebene das äußere Gewebe ihres Geistes, besänftigte und beruhigte ihr Gemüt. Er hätte das gleiche erreichen können, indem er ihre Hand tätschelte oder ihre Wange streichelte, aber unter den gegebenen Umständen war so etwas natürlich nicht möglich.
»Erster Sprecher«, sagte er, »ich übe auf das Bewußtsein dieser Frau einen beruhigenden Einfluß aus, damit ihre Aussage nicht durch Furcht verfälscht wird. Würden Sie bitte beobachten… würden bitte alle Anwesenden meine Maßnahmen mitverfolgen und sich davon überzeugen, daß ich an ihrem Geist keinerlei Modifikationen hervorrufe?«
Sura Novi war beim Klang von Gendibals Stimme erschrocken zurückgefahren, und Gendibal war davon keineswegs überrascht. Ihm war klar, daß sie noch nie gehört hatte, wie Zweitfoundationisten hohen Ranges sich untereinander verständigten. Sie hatte diese sonderbare, rasche Kombination von Lauten, Worten, Mienenspiel und Gedanken noch nie miterlebt. Ihr Entsetzen wich jedoch so schnell, wie es aufgetreten war, als er ihr Bewußtsein begütigte.
Ihr Gesicht nahm einen friedlichen Ausdruck an.
»Hinter Ihnen steht ein Stuhl, Novi«, sagte Gendibal. »Bitte setzen Sie sich.«
Novi verbeugte sich knapp und unbeholfen und nahm Platz, hielt sich verkrampft aufrecht.
Sie legte ihre Aussage ziemlich klar und deutlich ab, aber Gendibal ließ sie diese oder jene Äußerung wiederholen, sobald sich ihr hamischer Akzent zu stark bemerkbar machte. Andererseits mußte er manchmal, weil er aus Rücksicht auf die Versammlung der Tafel der Sprecher die eigene Sprache streng im formellen Rahmen ließ, für Novi die eine oder andere seiner Fragen wiederholen.
Sie erzählte die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen ihm und Rufirant ruhig und anschaulich.
»Haben Sie das alles selbst mitangesehen, Novi?« fragte Gendibal.
»Nee, Meister, sonst hätt ich frieher ein End gemacht. Rufirant ist feins Kerlchen, aber nich gewitzt in Kopp.«
»Trotzdem haben Sie alles genau geschildert. Wie ist das möglich, obwohl Sie nicht alles selbst gesehen haben?«
»Rufirant hat mich erzählt, als ich ihm fragte. Er hat sich geschämt.«
»Geschämt? Ist Ihnen bekannt, ob er sich früher schon ähnlich benommen hat?«
»Rufirant? Nee, Meister. Er is groß, aber hat weiches Herze. Er is kein Rüpel und fierchtet sich vor Forschern. Oft sagt er, sie sind mächtig, und daß sie Macht besitzen.«
»Warum hat er anders empfunden, als er mir begegnet ist?«
»Das is komisch. Kann man nich verstehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Er war nich sich selbst. ›Du Holzkopp‹, sag ich zu ihm. ›Wie kommst du dazu, Streit anzufangen mit ein Forscher?‹ Und er sagt: ›Ich weiß nich wie. Das war, als hätte ich dabeigestanden und zugeschaut, wie ein anderer das macht.‹«
Sprecher Cheng meldete sich zu Wort. »Erster Sprecher, welchen Sinn soll es haben, diese Frau aussagen zu lassen, was ein anderer Mann ihr erzählt hat? Kann der betreffende Mann nicht selbst aussagen?«
»Selbstverständlich besteht diese Möglichkeit«, antwortete Gendibal. »Falls die Tafel nach der Aussage dieser Frau weitere Aussagen zu hören wünscht, bin ich bereit, Karoll Rufirant, die Person, mit der kürzlich die bewußte Auseinandersetzung stattgefunden hat, als Zeugen aufzurufen. Falls nicht, kann die Versammlung, sobald ich mit dieser Zeugin fertig bin, unverzüglich zum Urteilsbeschluß übergehen.«
»Nun gut«, sagte der Erste Sprecher. »Machen Sie mit der Zeugin weiter!«
»Und Sie, Novi?« wandte sich Gendibal wieder an Sura Novi. »War’s Ihre Art, auf so eine Weise in einen Kampf zwischen Männern einzugreifen?«
Im ersten Moment gab sie keine Antwort. Zwischen ihren dicken Brauen erschien ein ansatzweises Stirnrunzeln, verschwand wieder. »Ich weiß nich«, sagte sie schließlich. »Ich will kein Schaden für Forscher. Ich mußte einfach, ohne Nachdenken war ich plötzlich mittendrin.« Sie zögerte. »Ich glaub, ich tät’s wieder, wenn nötig.«
»Novi«, sagte Gendibal, »Sie werden nun schlafen. Sie denken an nichts. Sie werden schlafen und nicht einmal träumen.«
Einen Augenblick lang murmelte Sura Novi vor sich hin. Ihre Lider sanken herab, und ihr Kopf sank auf die Rücklehne des Stuhls.
Gendibal wartete noch einen Moment ab. »Erster Sprecher«, sagte er dann, »mit allem Respekt bitte ich Sie, mir in den Geist dieser Frau zu folgen. Sie werden feststellen, daß ihr Verstand bemerkenswert simpel und symmetrisch ist, für unsere Belange ein Glück, denn was Sie sehen werden, wäre andernfalls vielleicht nicht zu erkennen. Hier… Hier! Können Sie’s erkennen? Wenn vielleicht auch die anderen Anwesenden Einblick nehmen würden…? Es erleichtert uns die Sache, wenn wir alle zugleich nachschauen.«
Rings um die Tafel entstand zunehmende Unruhe.
»Hat irgend jemand Zweifel?« erkundigte sich Gendibal.
»Ich habe meine Zweifel«, sagte die Delarmi, »denn…« Sie verstummte, sprach nicht aus, was auszusprechen nicht einmal sie sich leisten konnte.
»Sie glauben«, sagte Gendibal an ihrer Stelle, »ich hätte in ihrem Geist herumgepfuscht, um hier falsche Beweise anführen zu können? Sie meinen also, ich sei dazu in der Lage, eine so feine Veränderung vorzunehmen — eine winzige mentale Faser zu beeinflussen, ohne daß man ihr oder ihrer Umgebung auch nur die geringste Beeinträchtigung anmerkt? Wäre ich zu so etwas imstande, hätte ich’s dann nötig, mich auf diese umständliche Art und Weise mit Ihnen auseinanderzusetzen? Weshalb sollte ich mich der Demütigung einer derartigen Verhandlung unterziehen? Warum müßte ich mir Mühe geben und versuchen, Sie zu überzeugen? Könnte ich das tun, was hier im Geist dieser Frau ersichtlich ist, sämtliche Anwesenden wären — außer bei gründlicher Vorbereitung — mir gegenüber hilflos. Es ist eine unübersehbare Tatsache, daß keiner von Ihnen jemandes Bewußtsein so manipulieren kann, wie es bei dieser Frau manipuliert worden ist. Ebensowenig kann ich’s. Trotzdem ist es getan worden!«
Er schwieg, musterte die Sprecher der Reihe nach, richtete seinen Blick zuletzt auf die Delarmi. Er sprach langsam. »Sollten weitere Beweise erwünscht sein, bin ich nunmehr bereit, auch den hamischen Farmer namens Karoll Rufirant als Zeugen aufzurufen, den ich examiniert und dabei festgestellt habe, daß sein Geist auf ähnliche Weise beeinflußt worden ist.«
»Das ist nicht erforderlich«, sagte der Erste Sprecher, dessen Miene Entsetzen zeigte. »Was wir gesehen haben, ist hirnerschütternd.«
»In diesem Fall«, sagte Gendibal, »darf ich diese Hamerin nun wohl wieder wecken und gehen lassen. Ich habe veranlaßt, daß draußen Personen sie erwarten, die sich um ihr Wohlergehen kümmern werden.«
Als Novi gegangen war, durch seine Hand an ihrem Ellbogen behutsam zur Tür geleitet, setzte er seine Darlegungen fort. »Erlauben Sie mir eine kurze Zusammenfassung«, sagte er. »Tatsache ist, menschlicher Verstand kann und ist auf eine Weise beeinflußt worden, die außerhalb unserer Fähigkeiten steht. Auf die gleiche Weise können Kuratoren der Bibliothek dazu gebracht worden sein, alles die Erde betreffende Material zu entfernen, ohne daß wir es bemerkt haben, ohne daß sie selbst sich nachträglich daran erinnern können. Wir haben gesehen, wie es arrangiert worden ist, daß ich zu der bewußten Sitzung verspätet erscheine. Man hat mich bedroht, man hat mich gerettet. Das Resultat war die gegen mich vorliegende Anklage. Das Ziel dieser scheinbar natürlichen Folge von Ereignissen soll meine Entfernung aus einer einflußreichen Position sein, so daß der politische Kurs, den ich anstrebe und der den Urhebern dieser Vorgänge, wer sie auch sein mögen, anscheinend unlieb ist, nicht zum Tragen kommen kann.«
Die Delarmi beugte sich vor. Sie war merklich aufgewühlt. »Wenn diese… wie nennen Sie sie…? ›Anti-Füchse?‹ Wenn sie so überlegen sind, wieso haben Sie dann das alles aufdecken können?«
Gendibal fühlte sich nun zu einem Lächeln berechtigt. »Das ist sicherlich kein ausgesprochenes Verdienst meinerseits«, sagte er. »Ich behaupte nicht von mir, tüchtiger als andere Sprecher zu sein, schon gar nicht, ich sei fähiger als der Erste Sprecher. Aber auch die Anti-Füchse können weder unbegrenzt schlau sein noch vollkommen immun gegen das, was man Umstände nennt. Kann sein, daß sie diese Hamerin sogar speziell deswegen ausgesucht haben, weil nur in so geringem Maß auf sie eingewirkt werden mußte. Sie fühlt sich aufgrund ihres eigenen Charakters zu den Leuten hingezogen, die bei den Hamern ›Forscher‹ heißen, und sie bewundert unsereins ganz erheblich. Aber nachdem die Einflußnahme erfolgt war, Sprecherin Delarmi, muß die Begegnung mit mir wohl ihre Phantasterei, selber eine ›Forscherin‹ zu werden, wesentlich verstärkt haben. Schon am folgenden Tag ist sie nämlich mit genau dieser Absicht zu mir gekommen. Ihre sonderbaren Ambitionen haben mich naturgemäß so neugierig gemacht, daß ich ihren Geist begutachtete — eine Maßnahme, auf die ich normalerweise verzichtet hätte —, und dabei bin ich, mehr aus Zufall, auf diese Adjustierung gestoßen und habe ihre Bedeutung erkannt. Wäre eine andere Frau ausgesucht worden, die uns ›Forschern‹ weniger positiv gegenübersteht, hätten die ›Anti-Füchse‹ aufwendiger an der Adjustierung arbeiten müssen, aber die Konsequenzen wären vielleicht anderer Art gewesen, so daß ich all das nicht herausgefunden hätte. Die ›Anti-Füchse‹ haben sich verrechnet, oder sie haben dem Unvorhersehbaren zu geringes Gewicht beigemessen. Daß sie derartig über Kleinigkeiten stolpern können, ist für uns ein Grund zur Ermutigung.«
»Der Erste Sprecher und Sie«, sagte die Delarmi, »nennen diese… äh… Organisation die ›Anti-Füchse‹, weil sie sich, wie uns erklärt worden ist, dafür einsetzen, daß die Galaxis auf dem vom Seldon-Plan vorgegebenen Weg bleibt, also nicht etwa gegen den Seldon-Plan arbeiten, wie es der Fuchs getan hat. Wenn die ›Anti-Füchse‹ tatsächlich so handeln, warum gelten sie dann als gefährlich?«
»Warum sollten sie sich eine solche Mühe geben, wenn nicht für irgendeinen Zweck? Was für ein Zweck das ist, wissen wir nicht. Ein Zyniker könnte vielleicht sagen, sie beabsichtigen, zur rechten Zeit einzugreifen und die Entwicklung in eine Richtung zu lenken, die ihnen angenehmer ist als uns. Das ist auch mein Eindruck, obwohl ich mich keinem Zynismus hinzugeben pflege. Oder ist Sprecherin Delarmi zu behaupten bereit — womöglich aufgrund der Liebe und Zutraulichkeit, die, wie wir alle wissen, einen beachtlichen Teil ihres Charakters ausmachen —, wir hätten es mit kosmischen Altruisten zu tun, die unsere Arbeit erledigen, ohne sich davon irgendeinen Vorteil zu erhoffen?«
Es kam zu gemäßigten Bekundungen der Heiterkeit rings um die Tafel, und Gendibal wußte endgültig, daß er gewonnen hatte. Und die Delarmi besaß darüber Klarheit, daß sie verloren hatte, denn ein Auflodern von Wut zeigte sich durch ihre harte mentale Selbstkontrolle, so wie ein rötlicher Sonnenstrahl durch ein dichtes Blätterdach fällt.
»Unmittelbar nach dem Zwischenfall mit dem Hamer-Farmer«, sagte Gendibal, »habe ich voreilig die Schlußfolgerung gezogen, dahinter müsse ein anderer Sprecher stecken. Als ich dann die Veränderung im Geist der Hamerin erkannte, begriff ich, daß ich recht hatte, was die Machenschaft anging, mich jedoch in bezug auf die Urheberschaft geirrt hatte. Ich entschuldige mich für diesen Irrtum und bitte die Umstände als verständlichen Grund dafür anzusehen.«
»Ich glaube«, sagte der Erste Sprecher, »wir können das als hinreichenden Entschuldigungsgrund…«
Die Delarmi unterbrach ihn. Sie hatte sich wieder völlig in der Gewalt; ihre Miene war freundlich, und ihre Stimme klang nachgerade zuckersüß. »Bei allem Respekt, Erster Sprecher, darf ich Sie unterbrechen… Lassen wir die Sache mit der Anklage am besten ganz fallen. Im gegenwärtigen Moment denke ich nicht daran, für eine Amtsenthebung zu stimmen, und ich bin sicher, niemand hier würde das jetzt noch tun. Ich möchte sogar vorschlagen, den Vorgang aus dem Protokoll und den bis dahin einwandfreien Personaldaten des Sprechers zu streichen. Sprecher Gendibal hat sich ehrenvoll hervorgetan. Ich gratuliere ihm für seine hervorragende Leistung, das Aufdecken einer Krise, die der Rest von uns möglicherweise endlos hätte weiterschwelen lassen, mit unabsehbaren Folgen. Ich entschuldige mich meinerseits aus ganzem Herzen für meine vorherige Unfreundlichkeit bei Sprecher Gendibal.«
Sie strahlte Gendibal buchstäblich an. Gendibal empfand widerwillige Bewunderung für die Schnelligkeit, mit der sie im Handumdrehen die Richtung ihres Verhaltens änderte, um die Nachteile in Grenzen zu halten. Gleichzeitig jedoch hatte er das Gefühl, daß sie nur das Vorspiel zu einem Angriff von anderer Seite betrieb.
Er war sicher, daß ihm keine Annehmlichkeiten bevorstanden.
Als sie sich zu umgänglichem Auftreten durchrang, hatte Sprecherin Delora Delarmi darauf abgezielt, die volle Aufmerksamkeit der Tafel auf sich zu ziehen. Ihre Stimme klang sanft, ihr Lächeln war gutmütig, die Augen funkelten in ihrem Gesicht, insgesamt machte sie einen reizvollen Eindruck.
Niemand wagte sie zurückzuhalten, und wartete auf ihren nächsten Vorstoß.
»Dank Sprecher Gendibal«, sagte sie, »wissen wir nun alle darüber Bescheid, nehme ich an, was wir tun müssen. Noch haben wir kein genaues Bild von den sogenannten Anti-Füchsen, wissen wir nichts über sie, haben wir von ihnen nichts kennengelernt außer ihre vorübergehende Beeinflussung des Geistes von Menschen hier in der Bastion der Zweiten Foundation selbst. Wir wissen auch nicht, was das Machtzentrum der Ersten Foundation plant. Könnten wir uns einer Allianz von Anti-Füchsen und Erster Foundation gegenübersehen? Wir wissen’s nicht. Wir wissen, daß Golan Trevize und sein Begleiter, dessen Namen ich im Augenblick vergessen habe, ein Ziel anfliegen, das wir wiederum nicht kennen, und daß der Erste Sprecher, dessen Intuition ich respektiere, das Gefühl hat, Trevize ist im Hinblick auf den Ausgang dieser großen Krise eine Schlüsselperson. Was ist es nun, das wir zu tun haben? Eindeutig müssen wir alles herausfinden, was es über Trevize zu wissen gibt — wohin er fliegt, was er denkt, was seine Absichten sind… oder erst einmal, ob er überhaupt ein Ziel hat, irgend etwas denkt, irgendwelche Absichten verfolgt, ob er nicht in Wahrheit nur das Werkzeug anderer ist, die mächtiger sind als er.«
»Er steht unter Beobachtung«, sagte Gendibal.
Die Delarmi spitzte die Lippen zu einem nachsichtigen Lächeln. »Durch wen? Einen unserer außerplanetaren Agenten? Darf man von solchen Agenten erwarten, daß sie es mit Leuten aufnehmen können, die diese Macht besitzen, deren Ergebnisse wir hier demonstriert erhalten haben? Bestimmt nicht. Zur Zeit des Fuchses und auch später hat die Zweite Foundation nicht gezögert, Freiwillige aus den Reihen ihrer besten Kräfte zur Bewältigung gewisser Aufgaben auszusenden — und sogar zu opfern —, weil minderrangige Maßnahmen nichts mehr genutzt hätten. Als die Notwendigkeit bestand, den Seldon-Plan zu restaurieren, ist Preem Palver persönlich als hamischer Farmer durch die Galaxis gereist, um Arkady Darell ausfindig zu machen, damals ein kleines Mädchen. Wir können nicht hier sitzen und warten, während wir einer Krise ausgesetzt sind, die vielleicht größer ist als in jedem bisherigen Fall. Wir können uns nicht auf kleine Funktionärchen stützen — Beobachter, Laufburschen…«
»Sie möchten doch sicher nicht vorschlagen«, fragte Gendibal nach, »daß der Erste Sprecher an so einem Zeitpunkt Trantor verlassen soll?«
»Sicherlich nicht«, antwortete die Delarmi. »Wir brauchen ihn unbedingt hier. Andererseits sind da Sie, Sprecher Gendibal. Sie sind es, der die Krise gespürt und richtig eingeschätzt hat. Sie sind’s, der die subtile äußere Beeinflussung hamischen Bewußtseins und den Eingriff in die Bibliothek entdeckt hat. Sie haben Ihre Meinung gegen die Opposition der gesamten restlichen Tafel behauptet — und durchgesetzt. Niemand hier hat so klar wie Sie gesehen, und von keinem Anwesenden kann man erwarten, daß er künftig so klar wie Sie sieht. Nach meiner Ansicht sind Sie es, der hingehen und den Gegner konfrontieren muß. Darf ich dazu die Meinung der Tafel erfahren?«
Es bedurfte keiner formellen Abstimmung, um über die allgemeine Haltung Klarheit zu erzielen, jeder Sprecher fühlte die Stimmungslage der anderen, und plötzlich erkannte Gendibal entsetzt, daß noch im Moment seines Sieges — gleichzeitig der Niederlage der Delarmi — diese furchterregende Frau es schaffte, ihn in eine unabwendbare Art von Exil zu schicken, an eine Aufgabe, die ihn für unabsehbare Zeit beschäftigen mochte, während sie mit ihrer Vorherrschaft an der Tafel der Sprecher zurückblieb und die Zweite Foundation, damit auch die Galaxis — alles zugleich — ihrem Verhängnis entgegenging.
Und falls es Gendibal in seiner Quasi-Verbannung gelang, die gewünschten Informationen zu beschaffen, die es der Zweiten Foundation ermöglichen konnten, die bedrohliche Krise abzuwenden, dann würde niemand anderes als die Delarmi es sein, die sich das als Verdienst anrechnen durfte, weil sie seine Beauftragung arrangiert hatte, und sein Erfolg wäre ein wesentlicher Baustein ihrer Macht. Je schneller Gendibal Erfolg hatte, je gründlicher sein Erfolg ausfiel, um so sicherer mußte er ihre Macht untermauern.
Sie hatte einen glanzvollen Schachzug getan, ihre Schlappe in ein bedeutendes Plus verwandelt.
Sie dominierte selbst in diesem Moment die Versammlung an der Tafel mit so krasser Deutlichkeit, daß sie die Funktion des Ersten Sprechers praktisch usurpierte. Der Zorn, den der Erste Sprecher darüber empfand, überlagerte Gendibals diesbezügliche Überlegungen, kaum daß er daran zu denken begann.
Gendibal wandte sich dem Ersten Sprecher zu. Shandess gab sich keine Mühe, seinen Zorn zu mäßigen, und es war klar, daß unmittelbar nach den überwundenen Schwierigkeiten eine neue innere Krisensituation bevorstand.
Quindor Shandess, fünfundzwanzigster Erster Sprecher, gab sich in bezug auf seine Person keinen übertriebenen Illusionen hin.
Er wußte, daß er nicht zu den wenigen dynamischen Ersten Sprechern zählte, die mit dem Licht ihrer Außergewöhnlichkeit die fünfhundertjährige Geschichte der Ersten Foundation erleuchteten — aber andererseits mußte das auch nicht sein. Er war in einer Periode bemerkenswerter galaktischer Prosperität Vorsitzender an der Tafel der Sprecher, und die Zeit eignete sich nicht für dynamisches Tun. Allem Anschein nach war dies eine Zeitspanne bloßen Beharrens, in der er den richtigen Mann für den Posten abgab. Aufgrund solcher Erwägungen hatte sein Vorgänger ihn zum Nachfolger bestimmt.
»Sie sind kein Abenteurer, sondern ein wahrer Gelehrter«, hatte der vierundzwanzigste Erste Sprecher zu ihm gesagt. »Sie werden für die Bewahrung des Seldon-Plans sorgen, während ein Abenteurer alles verderben könnte. Bewahrung! Lassen Sie das ein entscheidendes Wort an Ihrer Tafel sein.«
Er hatte es versucht, aber in mancher Beziehung hatte das eine passive Amtsausübung bedeutet, die man gelegentlich als Schwäche auslegte. Vor einiger Zeit waren Gerüchte umgelaufen, die besagten, er wolle zurücktreten, und man hatte offen intrigiert, um die Nachfolge zur einen oder anderen Seite hin festzulegen.
Shandess besaß keinen Zweifel daran, daß die Delarmi in diesem Gerangel eine führende Stellung einnahm. Sie war an der Tafel die stärkste Persönlichkeit, und selbst der junge Gendibal — trotz aller jugendlichen Heftigkeit und Torheit — schrak vor ihr zurück, auch in diesem Moment wieder.
Doch wenn er auch passiv war, vielleicht sogar schwach, es gab, bei Seldon, ein Privileg, auf das noch kein Erster Sprecher nur im geringsten verzichtet hatte, und auch er hatte nicht die Absicht.
Er stand auf, um zu sprechen, und sofort entstand rings um die Tafel Ruhe. Wenn der Erste Sprecher aufstand, um zu reden, gab es keine Unterbrechungen. Nicht einmal die Delarmi oder Gendibal würden sich so etwas herausnehmen.
»Sprecher und Sprecherinnen!« begann er. »Ich bin mit allen hier der Meinung, daß wir uns einer ernsten Krise gegenübersehen und nachdrückliche Maßnahmen ergreifen müssen. Ich bin’s, der gehen und sich dem Feind stellen müßte. Sprecherin Delarmi hat mich jedoch — mit allem Feingefühl, durch das ihr Charakter sich auszeichnet — durch die Feststellung, ich werde hier benötigt, von dieser Aufgabe entbunden. Die Wahrheit aber lautet, daß ich weder hier noch sonst irgendwo gebraucht werde. Ich werde alt und immer müder. Seit langem wird erwartet, daß ich meine Position abgebe, und vielleicht ist es nun endlich höchste Zeit. Sobald diese Krise erfolgreich gemeistert worden ist, werde ich tatsächlich zurücktreten. Aber natürlich ist es, wie bekannt, das Vorrecht des Ersten Sprechers, seinen Nachfolger zu bestimmen. Genau das möchte ich jetzt tun. Unter uns ist jemand, der seit längerem die Sitzungen der Tafel beherrscht, der durch die Kraft der Persönlichkeit häufig die Führung gegeben hat, zu der ich außerstande war. Sie alle wissen, daß ich von Sprecherin Delarmi rede.«
Er schwieg einen Augenblick lang. »Nur Ihnen, Sprecher Gendibal, ist Ablehnung anzumerken«, sagte er dann. »Darf ich fragen, warum?« Er nahm wieder Platz und gab Gendibal dadurch die Gelegenheit zum Antworten.
»Ich lehne Ihre Entscheidung nicht ab, Erster Sprecher«, sagte Gendibal leise. »Es ist und bleibt Ihr Recht, Ihren Nachfolger festzusetzen.«
»Und genau das werde ich tun. Wenn Sie zurückkehren — und den Prozeß eingeleitet haben, der zur für uns erfolgreichen Beendigung der gegenwärtigen Krise führen wird —, ist die Zeit für meinen Rücktritt da. Mein Nachfolger wird die direkte Verantwortung für die Politik und deren Durchführung haben, die fortan erforderlich sein wird, um den erwähnten Prozeß voranzutreiben und abzuschließen. Haben Sie dazu etwas zu sagen, Sprecher Gendibal?«
»Ich hoffe, Erster Sprecher«, sagte Gendibal ruhig, »wenn Sie Sprecherin Delarmi zu Ihrer Nachfolgerin machen, werden Sie ihr eindringlich nahelegen…«
Barsch unterbrach ihn der Erste Sprecher. »Ich habe von Sprecherin Delarmi geredet, sie aber nicht zu meiner Nachfolgerin ernannt. Also, was haben Sie zu sagen?«
»Entschuldigung, Erster Sprecher. Ich hätte sagen sollen, falls Sie Sprecherin Delarmi nach meiner erfolgreichen Rückkehr von dieser Mission zu Ihrer Nachfolgerin ernennen, sollten Sie ihr raten…«
»Ich werde sie auch in Zukunft unter keinen Umständen zu meiner Nachfolgerin machen. Was sagen Sie nun?« Der Erste Sprecher war dazu außerstande, diese Erklärung ohne eine starke Regung der Zufriedenheit über den Schlag abzugeben, den er der Delarmi damit versetzte. Er hätte sie nicht auf erniedrigendere Weise abblitzen lassen können.
»Also, Sprecher Gendibal, was haben Sie zu sagen?« wiederholte er nochmals.
»Daß ich reichlich verwirrt bin.«
Der Erste Sprecher erhob sich erneut. »Sprecherin Delarmi hat die Tafel beherrscht und geführt, aber das ist nicht alles, was an Voraussetzungen für den Posten des Ersten Sprechers nötig ist. Sprecher Gendibal hat etwas gesehen, was wir übersehen haben. Er hat sich der einmütigen Ablehnung der gesamten Tafel entgegengestellt, hat sie gezwungen, die Dinge neu zu durchdenken, sie dazu gebracht, sich seinen Erkenntnissen und Auffassungen anzuschließen. Ich hege einen gewissen Verdacht, aus welchen Motiven Sprecherin Delarmi die Verantwortung für die Verfolgung Golan Trevizes Sprecher Gendibal aufbürdet, aber in der Tat ist nun einmal er derjenige, der sich am besten zur Übernahme dieser Mission eignet. Ich weiß, daß er Erfolg haben wird. In dieser Frage vertraue ich meiner Intuition. Und wenn er zurückkehrt, wird Sprecher Gendibal sechsundzwanzigster Erster Sprecher werden.«
Schroff setzte er sich hin, und sofort begann jeder Sprecher in einem lebhaften Gemisch von Lauten, Worten, Gedanken und Mienen seine Meinung zu bekunden. Der Erste Sprecher schenkte dem mißtönenden Wirrwar keine Beachtung; er starrte gleichgültig geradeaus. Nachdem es nun getan war, erkannte er, daß mit dem Ablegen der Verantwortung gewaltige Erleichterung einherging. Er hätte es früher tun sollen; aber er war dazu nicht imstande gewesen.
Erst heute hatte er darüber Klarheit gewonnen, wer sein Nachfolger sein sollte.
Und da lenkte sein Verstand irgendwie die Aufmerksamkeit auf die Delarmi, und er schaute zu ihr hinüber.
Bei Seldon! Sie war vollkommen gefaßt und lächelte. Keine Spur von verzweifelter Enttäuschung ließ sich ihr anmerken; sie hatte noch keineswegs aufgegeben. Er fragte sich, ob er ihr in die Hände gearbeitet haben konnte. Welche Möglichkeiten blieben ihr noch?
Delora Delarmi hätte ihre Verzweiflung und Enttäuschung offen gezeigt, wäre das auf irgendeine Weise von Nutzen gewesen.
Es hätte ihr große Befriedigung bereitet, dem senilen Trottel Saures zu geben, der an der Tafel den Vorsitzenden mimte, oder dem jugendlichen Schwachkopf, mit dem das Glück sich verbündet hatte — aber es war keine Befriedigung, worauf es ihr ankam. Sie wollte mehr.
Sie wollte Erster Sprecher werden.
Und solange sie noch eine Karte auszuspielen hatte, gedachte sie es zu tun.
Sie lächelte freundlich und hob die Hand zur Wortmeldung, und es gelang ihr, lange genug in dieser Pose zu bleiben, um sichern zu können, daß alles, sobald sie zu sprechen anfing, nicht nur ganz normal wirkte, sondern sogar eindeutig still und friedlich.
»Erster Sprecher«, sagte sie, »wie vorhin Sprecher Gendibal möchte ich ebenfalls klarstellen, daß ich Ihrer Entscheidung keineswegs ablehnend gegenüberstehe. Es ist Ihr Vorrecht, Ihren Nachfolger zu ernennen. Wenn ich mich nun hier äußere, dann geschieht es in der Hoffnung, einen Beitrag zum Gelingen dessen zu leisten, was nunmehr zu Sprecher Gendibals Mission geworden ist. Darf ich meine Gedanken erläutern, Erster Sprecher?«
»Tun Sie das«, erwiderte der Erste Sprecher kurzangebunden. Er hatte den Eindruck, daß sie sich viel zu nachgiebig verhielt, zu gutwillig.
Würdevoll senkte die Delarmi den Kopf. Sie lächelte nicht mehr. »Wir haben Raumschiffe«, sagte sie. »Technisch sind sie weniger großartig als die Raumer der Ersten Foundation, aber sie eignen sich zur Beförderung Sprecher Gendibals. Er weiß, wie man ein Raumschiff fliegt, nehme ich an, so wie jeder von uns. Wir haben unsere Mitarbeiter auf jedem wichtigen Planeten in der gesamten Galaxis, und er wird überall willkommen sein. Außerdem kann er sich, da er sich der Gefahr vollauf bewußt ist, gegen die Anti-Füchse verteidigen. Während wir von allem nichts ahnten, haben sie’s vorgezogen, ihre Wühlarbeit in den unteren Rängen der Zweiten Foundation und sogar bei den hamischen Farmern zu leisten. Natürlich werden wir das Bewußtsein aller Sprecher gründlich überprüfen, aber ich bin sicher, daß wir in dieser Beziehung unangetastet geblieben sind. Die Anti-Füchse dürften es kaum gewagt haben, sich an Sprecher heranzumachen. Trotzdem besteht kein Grund, weshalb Sprecher Gendibal mehr riskieren sollte, als unbedingt sein muß. Er hat nicht die Absicht, es auf unkontrollierbare Zwischenfälle ankommen zu lassen, und es wird wohl am günstigsten sein, wenn er für seine Mission in gewissem Umfang eine Tarnung annimmt, wenn er sie überrascht. Es wäre nützlich, würde er in der Rolle eines hamischen Farmers auftreten. Preem Palver selbst hat, wie wir alle wissen, die Galaxis als hamischer Farmer bereist.«
»Preem Palver hat damit einen bestimmten Zweck verfolgt«, sagte der Erste Sprecher. »Bei Sprecher Gendibal ist das nicht der Fall. Sollte sich eine Verkleidung als notwendig erweisen, wird ihm, dessen bin ich sicher, beizeiten eine einfallen.«
»Bei allem Respekt, Erster Sprecher, was ich vorzuschlagen gedenke, ist eine subtilere Form der Tarnung, keine gewöhnliche Verkleidung. Preem Palver, daran werden Sie sich gewiß erinnern, hat seine Frau und Lebensgefährtin vieler Jahre mitgenommen. Und nichts hat die derbe Natur seiner Tarnung so nachdrücklich unterstrichen wie die Tatsache, daß er mit seiner Frau reiste. Dieser Umstand hat jeden Argwohn im Ansatz zerstreut.«
»Ich habe keine Frau«, sagte Gendibal. »Ich habe Gefährtinnen gehabt, aber keine, die jetzt zu diesem Zweck die Rolle einer Ehepartnerin übernehmen würde.«
»Das ist wohlbekannt, Sprecher Gendibal«, sagte die Delarmi, »aber schon wenn überhaupt irgendeine Frau Sie begleitet, werden die Leute sie ganz selbstverständlich für Ihre Partnerin halten. Und sollte die Notwendigkeit entstehen, dafür beweiskräftige Dokumente vorlegen zu müssen, wir werden Ihnen bestimmt welche zur Verfügung stellen können. Kurzum, ich glaube, eine Frau sollte Sie begleiten.«
Im ersten Moment verschlug es Gendibal den Atem. Sie wollte doch wohl nicht…?
Konnte es sein, daß sie darauf abzielte, an seinem Erfolg Anteil zu haben? Wollte sie versuchen, eine Amtsteilung der Position des Ersten Sprechers oder gar das Rotationsprinzip durchzusetzen?
»Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte Gendibal grimmig, »daß Sprecherin Delarmi der Ansicht ist, sie sollte…«
Da brach die Delarmi in unverhohlenes Gelächter aus und betrachtete Gendibal mit nahezu aufrichtigem Mitleid. Er war in eine Falle getappt und hatte sich lächerlich gemacht. Die Tafel der Sprecher würde das nicht vergessen.
»Sprecher Gendibal«, sagte sie, »ich hätte niemals die Impertinenz aufgebracht, zu versuchen, Ihnen meine Mitwirkung an der Lösung dieser Aufgabe aufzudrängen. Es ist Ihre Aufgabe, ganz allein Ihre, so wie der Posten des Ersten Sprechers ganz allein Ihnen gehören wird. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie den Wunsch verspüren, mich mitzunehmen. Wirklich, Sprecher, in meinem Alter halte ich mich nicht länger für so eine Herzensbrecherin…«
Man lächelte rings um die Tafel, und selbst der Erste Sprecher mußte sich bemühen, ein Lächeln zu verbergen.
Gendibal spürte den Affront und strengte sich an, die Folgen abzuschwächen, indem er darauf bedacht war, sich ihrem Leichtmut anzupassen. Die Mühe war vergeblich.
»Was ist es denn nun, das Sie vorschlagen?« erkundigte er sich so maßvoll wie noch möglich. »Ich versichere Ihnen, ich habe durchaus nicht unterstellt, Sie hätten die Absicht, mich zu begleiten. Ihr Platz ist hier an der Tafel der Sprecher, nicht im Drunter und Drüber der Galaxis. Das ist mir absolut klar.«
»Völlig meine Meinung, Sprecher Gendibal, völlig meine Meinung«, sagte die Delarmi. »Mein Vorschlag bezieht sich auf Ihre Rolle als hamischer Farmer. Um sie unanfechtbar authentisch zu machen, wer könnte da als Begleiterin besser herhalten als eine waschechte Hamerin?«
»Eine Hamerin?« Zum zweitenmal kurz hintereinander war Gendibal restlos verdutzt, und die Tafel hatte daran ihr diebisches Vergnügen.
»Die Hamerin«, konkretisierte die Delarmi. »Dieselbe, die gedacht hat, sie ersparte Ihnen eine Tracht Prügel. Dieselbe, die Sie voller Bewunderung anstarrt. Genau die, deren Verstand Sie untersucht haben, so daß sie Sie unwissentlich vor noch weit mehr als einer Tracht Prügel gerettet hat. Ich schlage vor, Sie nehmen sie mit.«
Gendibals erste Regung war, sich zu weigern, aber er wußte, daß sie eben damit rechnete. Er würde nur für noch mehr Belustigung sorgen. Nun war klar, daß der Erste Sprecher, als er der Delarmi eine Schlappe beibrachte, indem er Gendibal als seinen Nachfolger nannte, einen Fehler begangen hatte; oder wenigstens hatte die Delarmi sein Vorgehen rasch in einen Fehler umgemünzt.
Gendibal war der jüngste Sprecher. Er hatte die Tafel der Sprecher verärgert und danach die Anklage seitens seiner Kollegen zunichte gemacht. Auf ziemlich spürbare Weise hatte er sie alle gedemütigt. Niemand konnte ihn mit etwas anderem als Widerwillen als künftigen Vorgesetzten betrachten.
Dies Problem wäre schwierig genug zu überwinden gewesen, doch jetzt würden sie sich stets daran erinnern, wie leicht es der Delarmi gefallen war, ihn lächerlich zu machen, wie sehr sie es genossen hatten. Das würde sie benutzen, um sie allesamt nur zu leicht davon zu überzeugen, daß er für das Amt des Ersten Sprechers zu jung war, daß es ihm dafür an der Erfahrung und Reife mangele. Während Gendibal fort und unterwegs war, um seinen Auftrag zu erfüllen, konnten sie gemeinsamen Druck auf den Ersten Sprecher ausüben und ihn zum Widerruf seiner Entscheidung bewegen. Oder falls der Erste Sprecher hart blieb, mußte Gendibal sich zu guter Letzt in einem Amt befinden, in dem er angesichts einer einheitlichen Opposition für immer machtlos sein würde.
Das alles erkannte Gendibal nun im Handumdrehen und war dazu in der Lage, zu antworten, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen.
»Sprecherin Delarmi, ich bewundere Ihren Durchblick«, sagte er. »Ich wollte die Anwesenden eigentlich überraschen. In der Tat hatte ich von vornherein die Absicht, diese Hamerin mitzunehmen — wenn auch nicht aus dem unbestritten sehr vernünftigen Grund, den Sie angeführt haben. Ich bin aufgrund ihrer mentalen Eigenschaften zu der Ansicht gelangt, daß es sich lohnt, sie mitzunehmen. Sie alle haben selbst Einblick in ihren Verstand erhalten. Sie haben gesehen, wie er beschaffen ist — erstaunlich intelligent, noch mehr allerdings klar und simpel, frei von aller Falschheit. Keine mentale Einflußnahme auf dieses Gemüt kann unbemerkt bleiben, das haben Sie sicher auch geschlußfolgert. Ich frage mich, ist Ihnen auch aufgefallen, Sprecherin Delarmi, daß sie als ein hervorragendes Frühwarnsystem dienen kann? Anhand ihrer Psyche lassen sich nach meiner Auffassung die ersten symptomatischen Anzeichen einer mentalistischen Beeinflussung früher feststellen als durch meine eigenen geistigen Kapazitäten.«
Eine Art von Schweigen der Verblüffung entstand. »Ach, darauf ist keiner von Ihnen gekommen?« meinte er leichthin. »Na, macht nichts. Und jetzt möchte ich mich verabschieden. Es ist keine weitere Zeit zu verlieren.«
»Warten Sie!« sagte die Delarmi irritiert, nun zum drittenmal der Initiative verlustig gegangen. »Was haben Sie vor?«
Gendibal zuckte andeutungsweise die Achseln. »Warum in Einzelheiten gehen?« fragte er zurück. »Je weniger die Tafel darüber weiß, um so weniger können die Anti-Füchse mir dazwischenpfuschen.«
Er tat diese Äußerung, als läge ihm vor allem an der Sicherheit seiner Kollegen. Er füllte sein Bewußtsein ganz mit dieser Regung aus und ließ sie durchscheinen.
Das würde ihnen schmeicheln. Und darüber hinaus würde die Genugtuung, die sie empfanden, sie daran hindern, sich zu fragen, ob Gendibal eigentlich selbst wußte, was er als nächstes zu tun hatte.
Am selben Abend unterhielt der Erste Sprecher sich nochmals unter vier Augen mit Gendibal.
»Sie hatten recht«, sagte Shandess. »Ich konnte nicht anders, ich habe unwillkürlich unter die Oberfläche Ihres Denkens geschaut. Ich habe bemerkt, daß Sie meine Ankündigung als Fehler bewertet haben, und Sie waren vollkommen im Recht. Ich war zu sehr darauf aus, ihrem Gesicht dies ewige Lächeln zu nehmen, ihr die Selbstverständlichkeit heimzuzahlen, mit der sie sich so oft in meine Rolle drängt.«
»Es wäre besser gewesen«, sagte Gendibal freundlich, »Sie hätten mir Ihren Entschluß privat mitgeteilt und mit der Bekanntgabe bis nach meiner Rückkehr gewartet.«
»Dann wär’s mir allerdings unmöglich gewesen, es ihr zu zeigen… Ja, ich weiß, ein klägliches Motiv für einen Ersten Sprecher.«
»Sie wird sich dadurch nicht aufhalten lassen, Erster Sprecher. Sie wird weitere Intrigen spinnen, um auf den Posten zu gelangen, und vielleicht kann man’s ihr nicht einmal verübeln. Ich bin sicher, es gibt genug Sprecher, die der Ansicht sind, ich hätte die Nominierung ablehnen sollen. Es läßt sich ohne weiteres anführen, daß Sprecherin Delarmi der beste Kopf an der Tafel ist und sich deshalb auch am besten als nächster Erster Sprecher eignet.«
»Der beste Kopf an der Tafel, ja, aber nicht andernorts«, brummte Shandess. »Außer anderen Sprechern kennt sie keine Feinde. Sie hätte überhaupt nie Sprecherin werden dürfen. Hören Sie, soll ich Ihnen untersagen, die Hamerin mitzunehmen? Ich weiß, sie hat Sie da hineinmanövriert.«
»Nein, nein, der Grund, den ich genannt habe, hat durchaus seinen realen Wert. Sie wird für mich ein Frühwarnsystem sein können, und ich bin wirklich froh, daß Sprecherin Delarmi mich zu dieser Erkenntnis gedrängt hat. Ich bin davon überzeugt, daß diese Frau sich als wertvolle Hilfe erweist.«
»Na gut. Übrigens, ich habe auch nicht gelogen. Ich bin wirklich davon überzeugt, daß Sie ausführen werden, was erforderlich ist, um diese Krise zu beenden — falls man meiner Intuition vertrauen kann.«
»Ich glaube, ihr vertrauen zu können, denn ich stimme hinsichtlich dieser Erwartung mit Ihnen überein. Ich verspreche Ihnen, ich werde besser austeilen als einstecken, was auch passiert, und ich werde zurückkehren, um die Position des Ersten Sprechers anzutreten, was die Anti-Füchse — oder Sprecherin Delarmi — auch tun werden, um es zu verhindern.«
Gendibal machte sich Gedanken über die eigene Zuversicht, während er redete. Warum insistierte er so auf diesem Ein-Raumschiff-Trip ins All, warum war er davon so angetan? Natürlich aus Ehrgeiz. Genauso war einmal Preem Palver verfahren, und er legte Wert darauf, allen zu zeigen, daß Stor Gendibal dergleichen auch konnte. Danach würde niemand ihm noch die Qualifikation für das Amt des Ersten Sprechers streitig machen. Aber stak nicht trotzdem zusätzlich irgend etwas anderes dahinter? Das Verlockende einer bevorstehenden Auseinandersetzung? Das allgemeine Verlangen nach Aufregungen in jemandem, der im Laufe seiner ganzen frühen Jugend nur einen entlegenen Flecken auf einem rückständigen Hinterwäldler-Planeten gekannt hatte? Er besaß keine volle Klarheit, aber er war mit verzweifelter Hartnäckigkeit zum Weitermachen entschlossen.