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Später erinnerte Jason sich kaum noch an die Einzelheiten des nächtlichen Ritts. Einige Vorkommnisse waren ihm deutlich im Gedächtnis geblieben — zum Beispiel der Augenblick, in dem ein glühender Felsbrocken in den Sumpf vor ihnen klatschte und sie mit heißen Wasserspritzern überschüttete. Aber fast alles andere verschwamm wie in einem Nebel, denn Jason war noch zu erschöpft. Gegen Morgen hatten sie das Gefahrengebiet hinter sich gelassen und konnten langsamer weiterreiten. Die zahlreichen Tiere waren verschwunden, als hätte sie der Erdboden verschluckt.

Der kurze Waffenstillstand war vorüber; Jason konnte sich selbst davon überzeugen, als sie eine Pause einlegten. Er und Rhes wollten sich auf einen umgestürzten Baumstamm setzen, sahen aber, daß dort bereits ein wilder Hund lag. Das Tier starrte sie böse an. Rhes blieb ruhig stehen und erwiderte seinen Blick. Jason hoffte nur, daß der Pyrraner wußte, was er tat.

Plötzlich sprang der wilde Hund sie an. Jason fiel, als Rhes ihn zur Seite stieß. Der Pyrraner ging ebenfalls in die Knie — aber jetzt hielt er sein langes Messer in der Hand. Das Tier schnappte im Sprung danach, aber Rhes stieß blitzschnell zu. Als der wilde Hund den Boden berührte, lebte er bereits nicht mehr.

Der Pyrraner wischte sein Messer an dem Rücken des Tieres ab, bevor er es wieder in die Scheide steckte. „Sonst greifen sie eigentlich nie an“, sagte er dabei ruhig, „aber dieser hier war aufgeregt. Wahrscheinlich hatte er sein Rudel verloren.“ Das alles stand in einem auffälligen Gegensatz zu dem Benehmen der Städter. Rhes hatten den Kampf nicht begonnen, sondern ihn zu vermeiden versucht. Und jetzt triumphierte er nicht über seinen Sieg, sondern schien im Gegenteil den unnötigen Tod des Tieres zu bedauern.

Rhes sah zu Jason hinüber, der sich unterdessen wieder aufgerichtet hatte, und winkte ihn zu sich heran. „Du bist mir noch eine Antwort schuldig“, meinte er dabei. „Wie können wir die Junkmen vernichten und unsere Freiheit wiedergewinnen?“

Jason verbesserte den Pyrraner absichtlich nicht; für seine Zwecke war es vorteilhaft, wenn die Grubber glaubten, daß er nur auf ihrer Seite stehe.

„Rufe die anderen zusammen, dann erkläre ich euch alles. Ich möchte, daß Naxa und die übrigen Redner ebenfalls kommen.“

Die Grubber versammelten sich rasch, nachdem sie verständigt worden waren. Jeder von ihnen wußte, daß ein Junkman den Tod gefunden hatte, um diesen Fremden zu retten, auf dem ihre ganze Hoffnung ruhte. Jason sah auf die erwartungsvollen Gesichter der wartenden Männer zu seinen Füßen herab und suchte nach Worten, mit denen sich beschreiben ließ, was getan werden mußte. Diese Aufgabe wurde dadurch erschwert, daß er wußte, daß sein Plan vielen dieser Männer den Tod bringen würde.

„Wir alle wollen diesen ewigen Krieg auf Pyrrus beenden. Das ist möglich, wird aber einigen von euch den Tod bringen. Ich glaube, daß der Preis nicht zu hoch ist, wenn man überlegt, daß ihr damit an das Ziel eurer Wünsche gelangt.

Wir werden die Stadt angreifen und den Schutzwall überwinden. Ich weiß, wie das zu schaffen ist…“

Bei diesen Worten erhob sich lautes Gemurmel. Einige der Männer schienen sich darauf zu freuen, daß es endlich zu einem offenen Kampf mit den Erbfeinden kommen sollte. Andere starrten Jason an, als sei er plötzlich verrückt geworden. Wieder andere waren offensichtlich über den kühnen Vorschlag erschrocken, den Kampf in die Festung der Feinde zu tragen. Aber alle schwiegen, als Jason die Hand hob.

„Ich weiß, daß der Vorschlag undurchführbar erscheint“, sagte er, „aber ich muß noch einige Erklärungen hinzufügen. Wir müssen die Initiative ergreifen — und jetzt ist der beste Zeitpunkt dazu. Die Lage kann sich nur noch verschlechtern. Die Stadtbe… die Junkmen können ohne eure Nahrungsmittel auskommen, denn ihre Konzentrate schmecken zwar scheußlich, reichen aber für Ernährungszwecke völlig aus.

Viel schlimmer ist jedoch, daß sie euch in keiner Weise mehr unterstützen werden. Ihr bekommt also keine Metalle mehr für eure Werkzeuge und keine Ersatzteile für die elektronischen Geräte. Ihr Haß wird sie vielleicht dazu bringen, eure Farmen ausfindig zu machen und sie aus der Luft zu zerstören.

Das alles ist nicht sehr schön — aber noch lange nicht das Schlimmste. Die Stadt verliert ihren Kampf gegen den Planeten. Die Bevölkerung schwindet von Jahr zu Jahr dahin. Das logische Ende ist bereits in Sicht. Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, daß sie bestimmt ihr Schiff zerstören werden — und am liebsten ganz Pyrrus, wenn das möglich wäre.“

„Wie können wir das verhindern?“ erkundigte sich ein Mann in der zweiten Reihe.

„Indem wir jetzt zuschlagen“, antwortete Jason. „Ich kenne mich in der Stadt aus und weiß, wie die Verteidigung organisiert ist. Der Schutzwall ist vor allem gegen Tiere gedacht, deshalb können wir ihn überwinden, wenn wir wirklich wollen.“

„Und was hätten wir davon?“ wollte Rhes wissen. „Wir brechen durch den Wall, sie ziehen sich zurück — und unternehmen einen Gegenstoß. Was können wir gegen ihre Waffen ausrichten?“

„Das ist gar nicht nötig. Ihr Raumhafen liegt in der Nähe des Schutzwalls. Ich weiß genau, wo das Schiff steht. Dort werden wir durchbrechen. Der Raumhafen steht nicht unter ständiger Bewachung, deshalb können wir das Schiff besetzen. Ob wir es wirklich fliegen könnten, spielt dabei keine Rolle. Wer das Schiff in der Hand hat, beherrscht ganz Pyrrus. Von diesem Augenblick an können wir mit seiner Zerstörung drohen, wenn die Junkmen nicht auf unsere Bedingungen eingehen. Sie haben dann die Wahl zwischen Massenselbstmord und Zusammenarbeit mit uns. Ich hoffe, daß sie intelligent genug sind, um die zweite Möglichkeit zu wählen.“

Sein Vorschlag wurde schweigend aufgenommen, aber dann sprachen die Männer alle gleichzeitig. Rhes hatte einige Mühe, bis er sie wieder zur Ruhe gebracht hatte, damit Jason weitersprechen konnte.

„Ruhe!“ rief er laut. „Wartet erst ab, was Jason zu sagen hat, bevor ihr darüber entscheidet. Wir haben noch immer nicht gehört, wie die geplante Invasion durchgeführt werden soll.“

„Mein Plan hängt vor allem von den Rednern ab“, fuhr Jason fort. „Ist Naxa hier?“ Er wartete, bis der in Felle gekleidete Mann sich nach vorn gedrängt hatte. „Ich möchte noch etwas mehr über die Redner erfahren, Naxa. Ich weiß, daß ihr zu Doryms und Hunden sprechen könnt — aber wie steht es mit wilden Tieren? Könnt ihr sie auch beeinflussen?“

„Tiere sind Tiere — natürlich können wir mit ihnen sprechen. Je mehr Redner, desto mehr Einfluß. Das ist das ganze Geheimnis.“

„Dann klappt der Angriff bestimmt“, sagte Jason aufgeregt. „Naxa, könntest du gemeinsam mit den anderen Rednern die wilden Tiere gegen die Stadt vortreiben?“

„Ob wir das können, fragt er!“ rief Naxa, dem der Vorschlag zu gefallen schien. „Wir können den größten Angriff starten, den die Junkmen je erlebt haben!“

„Mehr braucht ihr gar nicht zu tun. Ihr dürft euch nur nicht blicken lassen, damit die Posten keinen Verdacht schöpfen. Ich weiß, wie ihr System funktioniert. Wenn der Angriff stärker wird, fordern sie Verstärkung an und ziehen die Leute von anderen Stationen ab. Am Höhepunkt des Kampfes, wenn alle Verteidiger sich an einer Stelle der Mauer versammelt haben, führe ich eine kleine Kampfgruppe durch den Wall und zum Raumhafen. Dort besetzen wir das Schiff. Ich glaube, daß der Plan Aussicht auf Erfolg hat.“

Jason setzte sich wieder und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann verfolgte er die entstehende Diskussion, in der alle Punkte behandelt wurden. Keiner der Männer erhob grundsätzliche Einwände gegen das Vorhaben. Jason wußte, daß sein Plan genügend schwache Stellen enthielt, die zu seinem Scheitern führen konnten, aber er sprach nicht davon. Wenn die Männer wirklich davon überzeugt waren, mußte alles klappen.

Schließlich löste sich die Versammlung auf. Rhes kam zu Jason herüber.

„Wir sind uns grundsätzlich einig“, sagte er. „Die Redner werden durch Boten benachrichtigt, weil wir nicht riskieren dürfen, daß die Junkmen unseren Funkverkehr abhören. Allerdings dauert es auf diese Weise fünf Tage, bevor wir abmarschbereit sind.“

„So lange brauche ich mindestens, um wieder einigermaßen in Form zu kommen“, beruhigte Jason ihn. „Ich muß mich erst wieder erholen.“

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