11

»Da ist er«, sagte die Stimme.

Man zwang mich auf die Knie. Der Boden war hart und kalt, vermutlich Steinfliesen.

Das Tuch, das ich als weiße Flagge benutzt hatte, wurde mir vom Kopf gerissen. Ich blinzelte, sah mich um.

Wie ich vermutet hatte, kniete ich auf Steinfliesen, vor einem kurulischen Stuhl, der auf einem mit Stufen versehenen Podest stand.

Neben dem Stuhl, auf einer der breiten Stufen, kniete eine blasse Sklavin, sie hatte blonde Haare und trug eine knappe Tunika.

»Du darfst gehen, Shirley«, sagte der Mann auf dem Stuhl.

»Ja, Herr«, sagte sie. Ihr Kopf war zur Seite gedreht, ihr Blick abgewandt. Ich war ein freier Mann; hätte sie mich ohne Erlaubnis angesehen, wäre sie möglicherweise bestraft worden. Es kommt vor, daß Sklavenmädchen auf der Straße nackte freie Gefangene ansehen, sie manchmal sogar verspotten, aber in Gegenwart ihres Herrn würden sie es bestimmt nicht wagen.

Shirley ist ein irdischer Name, aber ich glaubte nicht, daß sie von der Erde kam. Ihr Akzent deutete jedenfalls nicht darauf hin. Goreaner geben ihren Mädchen manchmal irdische Namen, da sie sie für ausgezeichnete Sklavennamen halten. Für goreanische Ohren haben Namen wie ›Jean‹ oder ›Joan‹ einen exotischen Klang, außerdem werden sie als passend angesehen für Sklavinnen, die von solch weit entfernten, geheimnisvollen Orten wie ›Tennessee‹ oder ›Oregon‹ kommen.

»Ja«, sagte der Mann auf dem kurulischen Stuhl; er war kräftig, machte aber einen erschöpften Eindruck.

Ein blutiger Verband war um seinen Kopf gewickelt. »Sie war einmal sehr schön.«

Ich wandte ihm meine Aufmerksamkeit zu. Auf seinem Schoß lagen die geöffnete Kuriertasche und der Briefzylinder aus meinem Geldbeutel. Er war mit Wachs und Schlaufe versiegelt gewesen, das Wachs hatte das Siegel von Gnieus Lelius getragen, des Regenten von Ar.

»Bist du Aemilianus, der Kommandant von Ar-Station?« fragte ich.

»Das bin ich«, sagte er und betrachtete mich.

Ich warf der Sklavin einen Blick zu, die sich umgedreht hatte und mich ansah.

Aemilianus lächelte. »Hat sie es gewagt, dich anzusehen?«

»Nein«, sagte ich.

»Sie sind so neugierig.«

Ich schwieg.

»Shirley?« rief er, ohne einen Blick an sie zu verschwenden.

»Herr?« fragte sie von der Seitentür her, an der sie stand.

»Erinnere mich heute abend daran, dich zu bestrafen!«

»Ja, Herr!« schluchzte sie, wandte sich um und floh aus dem Raum.

»Sie sind Frauen«, sagte ich. »Sie können nichts dafür.«

»Mich stört nicht, was sie getan hat«, sagte er. »Sie wird bestraft, weil sie es getan hat.«

»Ich verstehe.«

»Selbst in schweren Zeiten ist es gut, die Disziplin aufrechtzuerhalten.«

»Zweifellos.«

»Weißt du, wo du bist?« fragte er.

»Nein.«

»Du befindest dich in der Zitadelle.«

»Das habe ich mir gedacht.« Es war ein logischer Ort für das Hauptquartier der Stadt.

»Du bist Tarl, ein Mann aus Port Kar? Das hast du meinen Männern auf der Mauer gesagt?«

Ich nickte. »Ich bin Tarl aus Port Kar.«

»Und du behauptest, der Kurier des Regenten zu sein?«

»Ich bin der Kurier des Regenten«, sagte ich. »Warum bin ich noch immer nackt und gefesselt?«

»Warum sollte der Regent einen Bürger Port Kars zum Kurier machen? Findest du das nicht merkwürdig?«

»Vielleicht«, antwortete ich. »Ich habe ihm Briefe von Dietrich von Tarnburg überbracht. Möglicherweise kam ihm der Gedanke, ich könnte Ar auf ähnliche Weise dienen.«

»Dietrich, der Tarn von Tarnburg?« fragte er überrascht.

»Vielleicht nennen ihn einige so«, sagte ich. »Ich bin nie Zeuge geworden, daß er diesen Ausdruck benutzt, ich kann mich auch nicht erinnern, daß es die Leute seiner Umgebung getan hätten. Ich glaube nicht einmal, daß ihm diese Bezeichnung gefiele.«

»Und wie sieht er sich?« fragte Aemilianus.

»Als Dietrich«, sagte ich. »Als Dietrich von Tarnburg, ein Soldat, ein Hauptmann.«

»Dietrich vom silbernen Tarn?«

»Es stimmt, sein Feldzeichen ist der silberne Tarn.«

»Er ist ein Söldner«, sagte Aemilianus bitter.

»Er hält zur Zeit Torcodino besetzt, um den Vorstoß der Cosianer nach Süden aufzuhalten.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Aemilianus.

Erst in diesem Augenblick begriff ich das Ausmaß der Isolierung von Ar-Station. Aemilianus kannte nicht einmal so grundsätzliche Tatsachen wie die Vorstöße Dietrichs von Tarnburg.

»Darüber steht doch sicherlich etwas in Gnieus Lelius’ Brief oder Briefen, die ich überbracht habe.«

»Auch du bist ein Söldner «, sagte er verächtlich.

»Ich bin bezahlt worden«, bestätigte ich.

»Jedermanns Gold kann dein Schwert kaufen«, sagte er.

»Vielleicht nicht jedermann«, antwortete ich. Viele Söldner suchen sich ihre Auftraggeber mit großer Sorgfalt aus.

»Ist dir der Inhalt der Kuriertasche bekannt? Denn darum scheint es sich hier ja zu handeln.«

»Nein«, sagte ich. »Wie dir nicht entgangen sein dürfte, war ihr Siegel ungebrochen.«

»Vielleicht hat man dir gesagt, was sie enthält, bevor sie versiegelt wurde.«

»Nein. Ich habe sie in der Herberge Zum Krummen Tarn einem von Artemidorus’ Kurieren abgenommen. Das habe ich deinen Männern gesagt.«

»Und du erwartest, daß ich das glaube?«

»Wie hätte ich sie sonst bekommen sollen?« fragte ich.

»Vielleicht aus den Händen von Artemidorus persönlich.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich bin durchaus bereit, dir zu glauben, daß du über den Inhalt der Tasche nicht Bescheid wußtest.«

»Warum?« fragte ich verblüfft.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß du es gewagt hättest, hierher zu kommen, hättest du über ihren Inhalt Bescheid gewußt.«

Mir gefiel gar nicht, was ich da hörte. »Was ist der Inhalt?«

»Er ist nicht einmal verschlüsselt«, sagte Aemilianus. »Findest du es nicht ungewöhnlich, daß Artemidorus, ein Tarnsmann, ein gerissener Befehlshaber, militärische Dokumente auf so sorglose und offene Weise transportiert?«

»Vielleicht ist er vermessen oder hochmütig«, sagte ich. »Ich weiß es nicht.«

»Kommt es dir nicht merkwürdig vor?«

»Doch, ja.«

»Ich glaube, ich sollte diese Dokumente erhalten«, sagte Aemilianus.

»Das bezweifle ich«, meinte ich. »Was steht darin?«

»Es handelt sich um einen Bericht des Geheimdienstes. Er beschreibt Stärke und Position von Ars Heer.«

»Darf ich fragen, wo es sich befindet?« Ich hatte oft darüber nachgedacht.

»Ich werde dir verraten, wo es wirklich ist«, sagte Aemilianus. »Es kommt uns in einem Gewaltmarsch zu Hilfe.«

»Auf welcher Route?« fragte ich überrascht.

»Auf der Viktel Aria, nach Norden!«

»Nein«, sagte ich. »Ich bin auf der Viktel Aria gekommen. Da ist das Heer nicht. Niemand hat es gesehen, nicht im Umkreis von Hunderten von Pasang.«

Aemilianus lächelte.

»Darf ich fragen, wo es dem Bericht zufolge ist?«

»Der Bericht behauptet, es befinde sich vor Holmesk, einhundert Pasang südlich des Vosk, im Winterlager.«

»Im Winterlager? Während Cos vor Torcodino steht und Ar-Station belagert wird?«

»Du begreifst, wie lächerlich dieses Dokument ist?« fragte Aemilianus.

»Allerdings«, sagte ich beeindruckt.

»Wäre dir dies bekannt gewesen, hättest du den Transport vielleicht abgelehnt«, sagte er mit einem Lächeln.

Ich wollte aufstehen, aber man stieß mich zurück auf die Knie.

»Kommandant, ich gebe zu bedenken, daß dieser Bericht die Wahrheit sein könnte, so unglaublich es auch scheint«, sagte ich drängend. Die Situation nahm plötzlich alarmierende Konturen an. Im Gegensatz zu Aemilianus war ich davon überzeugt, daß der Bericht – von Einzelheiten abgesehen – der Wahrheit entsprach.

Aemilianus lachte, und einige der Soldaten schlossen sich ihm an.

»Wo ist denn der Entsatz aus Ar?« fragte ich. »Wo?«

Aemilianus warf mir einen wütenden Blick zu.

»Auch wenn ihr hier isoliert seid und belagert werdet«, sagte ich, »so müßte euch doch klar sein, daß die Belagerung von Ar-Station kein Geheimnis sein kann. Hätte man ein Entsatzheer losgeschickt, wäre es schon längst eingetroffen. Auch wenn du der Zukunft voller Optimismus entgegensiehst, so kann ich mir doch nicht vorstellen, daß deine Männer auf der Stadtmauer diese Einstellung teilen. Ich habe sie gesehen. Sie sind hungrig. Sie sind abgemagert. Sie sind verzweifelt. Auch wenn du anders darüber denkst – meiner Meinung nach haben sie begriffen, daß ein Entsatzheer schon vor langer Zeit hätte eintreffen müssen!«

Ich hörte, wie hinter mir ein Schwert zur Hälfte aus der Scheide gezogen wurde. Dann wurde es genauso wütend wieder hineingerammt.

»Der Bericht ist falsch«, sagte Aemilianus. »Er ist nicht einmal klug verfaßt. Die Stärke des bei Holmesk überwinternden Heeres würde bewirken, daß sich fast sämtliche Divisionen Ars im Norden aufhalten, was undenkbar ist. Man braucht keine so große Streitmacht, um eine Belagerung zu beenden. Ar wäre in diesem Fall ohne jede Verteidigung, seine Territorien, ja, die Stadt selbst wäre der Gnade der Salerianer, der Travianer oder der Tharnianer ausgeliefert, sogar den Heeren kleiner Städte wie Tarnburg oder Hochberg.«

Ich sagte: »Es könnte Verrat im Spiel sein.«

Hinter mir erscholl ärgerliches Gemurmel.

»Man könnte euch aufgegeben haben.«

»Laß mich ihm die Kehle durchschneiden«, sagte ein Mann hinter mir.

»Allein Dietrich steht zwischen Ar und Cos«, fuhr ich fort, »in Torcodino, wo er den cosischen Nachschub und ihr Belagerungsgerät erbeutet hat.«

»Er hätte Torcodino nicht einnehmen können«, sagte Aemilianus. »Dafür hat er zu wenige Leute.«

»Er hat die Stadt durch einen Überraschungsangriff besetzt, über die Aquädukte.«

»Er hätte zu wenige Männer, um die Stadt halten zu können«, sagte Aemilianus.

»In Torcodino ist ihm das cosische Belagerungsgerät in die Hände gefallen«, sagte ich. »Den letzten Nachrichten zufolge ist die Stadt zwar eingeschlossen, aber nicht angegriffen worden. Tatsächlich hat der größte Teil des cosischen Expeditionsheeres, das dem Heer von Ar keineswegs zahlenmäßig unterlegen ist, wie ich dir versichern kann, vermutlich das Winterlager bezogen, und ein Zehntel der Truppen befindet sich in der Umgebung von Torcodino. Die Situation, in der Cos sich befand, war eindeutig. Cos konnte ohne das Belagerungsgerät nicht weiter vorrücken, und es würde mehrere Monate brauchen, um das Material zu ersetzen.«

»Und was wird deiner Meinung nach geschehen?« fragte Aemilianus.

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich. »Sobald Cos über neues Gerät verfügt, könnte es Torcodino angreifen, und sei es nur, um Dietrich zu bestrafen. Myron ist der Polemarkos von Cos, der Befehlshaber des Expeditionsheeres; ich an seiner Stelle würde mit Torcodino, einem nebensächlichen Objekt, keine Zeit verschwenden, sondern sofort auf Ar zu marschieren. Dietrich könnte dann zwar entkommen, aber mit seinen wenigen Männern könnte er den cosischen Vorstoß bestenfalls behindern, aber nicht aufhalten. Außerdem könnte man in diesem Fall seine Kompanien jagen und vernichten, dazu bedürfte es nur einen kleinen Teil des cosischen Heeres.«

»Warum sollte Dietrich sich auf ein so gefährliches Unternehmen wie die Einnahme von Torcodino einlassen?«

»Dort gibt es reiche Beute zu machen«, sagte ich.

»Die kann man in Hunderten von Städten finden.«

»Seine Sympathien gehören weder Ar noch Cos«, erklärte ich. »Er zöge es vor, daß keiner von beiden siegt. Ein solcher Sieg, gleichgültig, von welcher Seite, und die dadurch entstehende Hegemonie würden sicherlich die Existenz der freien Söldnerkompanien bedrohen oder sie sogar vernichten. Davon abgesehen wird allgemein befürchtet, daß ein solcher Sieg die soziale Vielfalt, den Pluralismus und die Freiheit zerstört, wie wir sie jetzt auf Gor haben.«

»Und du teilst diese Befürchtungen?«

»Ich wäre wenig begeistert über eine Welt, die allein von Marlenus aus Ar oder Lurius aus Jad beherrscht wird.«

»Ist denn der Frieden nicht wichtiger als alles andere?« fragte Aemilianus.

»Nein.«

»Es fällt mir schwer zu glauben, daß dein Eintreten für diese Dinge in einer solch abstrakten Richtung liegt.«

Darauf antwortete ich nicht. Er brauchte meine eigentlichen Beweggründe nicht zu erfahren, die ich nur wenigen anvertraute und weswegen ich die Reise nach Ar ursprünglich angetreten hatte, eine Reise, auf der es mich nur zufällig nach Torcodino verschlagen hatte. So ging ihn zum Beispiel der Inhalt der Geheimpapiere nichts an, die mir im letzten Se’Kara in Brundisium in die Hände gefallen waren und die ich schnell verbrannt hatte. Jene Papiere waren ein eindeutiger Beweis für den Verrat einer Person gewesen, die zur Zeit in Ar eine hohe Stellung bekleidete.

»Ich werde dir nun die Situation erklären, wie sie sich genau verhält«, verkündete Aemilianus. »Fast das ganze Expeditionsheer aus Cos liegt hier vor Ar-Station. Ihm fehlen die Männer, die nötig sind, um in den Süden vorzustoßen. Cos will die Macht über das Voskbecken erringen – im übrigen das einzige, was es sich erhoffen kann. Torcodino ist ein Verbündeter von Ar und niemals gefallen. Es gibt im Süden kein cosisches Invasionsheer. Die Geschichte über Dietrich von Tarnburg ist reine Erfindung. Dieser angebliche Geheimdienstbericht, eine ebenfalls absurde Erfindung, soll uns in die Verzweiflung treiben. Es ist eine List, um uns zur Aufgabe zu bewegen. Glauben die Belagerer wirklich, wir würden uns davon überzeugen lassen, daß uns dieser Bericht gerade jetzt zufällig in die Hände fällt? Glauben sie wirklich, wir nähmen ihn ernst? Er ist nicht einmal verschlüsselt. Die Absurdität dieses Dokumentes, das uns glauben machen soll, Ar stünde mit fast seinem ganzen Heer tatenlos da, während wir angegriffen werden – daß man uns mit anderen Worten im Stich ließe, ist der Beweis, daß sich das Entsatzheer aus Ar in unmittelbarer Nähe befindet, vielleicht nur einen oder zwei Tage entfernt.«

Hinter mir ertönte zustimmendes Gemurmel, das sich in meinen Ohren recht verzweifelt anhörte.

»Ich kenne den Standort von Ars Heer nicht«, sagte ich, »aber ich vermute, er befindet sich genau dort, wo ihn dieser Bericht lokalisiert, der Artemidorus auf den neuesten Stand der Dinge bringen soll. Ich weiß nicht, warum man ihn nicht verschlüsselt hat. Vielleicht ist diese Information kein so großes Geheimnis, zumindest nicht für die Cosianer. Schließlich ist es nicht leicht, den Aufenthaltsort Tausender von Männern vor einem Feind zu verbergen, der über Tarnaufklärer verfügt. Ich sage dir, im Süden gibt es tatsächlich eine cosische Invasionsstreitmacht, gegen die das Belagerungsheer hier vor Ar-Station wie eine Kompanie aussieht. Deine Annahme, die Cosianer könnten eine solche Landstreitmacht nicht aufstellen, beruht auf der Vermutung, daß sie sie aus ihren eigenen Reihen aufstellen. Du mußt aber begreifen, daß die Mehrzahl der Männer, die dir gegenüberstehen, keine Cosianer sind, sondern deren Verbündete und Söldner.«

»Hast du überhaupt eine Vorstellung, was es kosten würde, ein solches Heer aufzustellen?« fragte Aemilianus.

»Ich schätze, Lurius ist bereit, alles Gold von Cos auf einen Sieg zu setzen und seine Investition in der Zukunft tausendfach wettzumachen.«

»Soviel Gold gibt es in ganz Cos und Tyros nicht.«

»Vielleicht kommt es ja nicht nur aus Cos und Tyros«, wandte ich ein.

»Und woher dann?«

»Von Städten, denen an einem cosischen Sieg liegt«, sagte ich, »und aus Ar selbst.«

Ich spürte, wie man mir ein Messer an den Hals setzte, knapp überhalb der Schlinge.

»Du kennst also den Inhalt der Nachricht nicht, die im Briefzylinder war?« fragte Aemilianus.

»Nein.«

»Hast du mit eigenen Augen gesehen, wie der Regent den Zylinder schloß und mit Wachs versiegelte?«

»Nein«, sagte ich. »Ein Untergebener hat ihn mir übergeben, und zwar in dem Zustand, in dem du ihn bekommen hast.«

»Es ist ein kleiner Scherz von seiten des Regenten«, sagte Aemilianus.

»Ein Scherz?«

»Ja. Dein Verrat und deine Hintermänner sind lange vor deinem Eintreffen hier in Ar aufgedeckt worden.«

»Ich verstehe nicht«, sagte ich.

»›Der Überbringer dieses Zylinders, der sich Tarl aus Port Kar nennt, ist ein cosischer Spion‹«, las Aemilianus. »›Verfahr mit ihm, wie Du es für richtig hältst.‹«

»Nein!« rief ich. Ich wollte aufstehen, wurde jedoch erneut mit Gewalt auf die Knie gezwungen. Dort hielt man mich fest. Ein Soldat trat mit dem Fuß auf das Seil, das um meinen Hals hing, und zwang mich, den Kopf gesenkt zu halten. Ich hob ihn, soweit es in meiner Macht stand, um Aemilianus anzusehen.

Grimmiges Gelächter erscholl.

»Hast du wirklich geglaubt wir ergäben uns?« fragte Aemilianus. »Weißt du wirklich nicht, wie erbittert und langwierig diese Belagerung war? Weißt du nicht, wie schrecklich die Kämpfe waren? Oder welch hohe Verluste Cos und wir davongetragen haben? Hast du wirklich geglaubt wir wüßten nicht welches Schicksal uns erwartet, öffneten wir die Tore?«

Man ergriff mich noch fester, das Seil wurde um ein weiteres Stück verkürzt.

»Aber wo ist das Entsatzheer aus Ar?« fragte ein junger Mann. Es war das erste Mal, das er sich zu Wort meldete.

»Ich hoffe, es ist auf dem Weg«, sagte Aemilianus.

»Aber warum ist es noch nicht eingetroffen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Aemilianus.

»Es ist möglich, daß sie zu spät kommen, nicht wahr?«

»Auch das ist möglich.«

»Die Sicherheit der Stadt liegt in deinen Händen, Kommandant«, sagte der junge Mann. »Du bist für die Sicherheit der Bürger verantwortlich. Ich finde, angesichts der jüngsten Ereignisse solltest du über eine Alternative nachdenken.«

»Wer sollte es tun?« fragte Aemilianus.

Ich verstand nicht, wovon sie sprachen.

»Ich werde es tun!« sagte der junge Mann.

»Nein!« rief ein älterer Mann. »Wir wollen eher bis zum letzten Mann sterben, bevor wir zu einer derartigen Handlung Zuflucht suchen!«

»Man würde uns auslachen!« meinte ein anderer.

»Ihr seid damals nicht auf dem Fluß gewesen«, sagte Aemilianus.

»Mit deiner Erlaubnis, Kommandant?« fragte der junge Mann.

»Geh«, sagte Aemilianus resigniert.

»Nein!« rief der Ältere, aber der junge Mann hatte sich bereits abgewandt und verließ den Raum.

»Er wird es niemals aus der Stadt schaffen«, sagte der Ältere.

»Er wird bei Sonnenuntergang tot sein«, meinte ein anderer Mann.

»Hört. Die Fanfaren!«

»Der Morgenangriff hat begonnen!«

Aemilianus erhob sich unsicher auf die Füße. »Meine Herren«, sagte er, »laßt uns auf unsere Posten gehen.« Dann blickte er müde auf mich herunter. »Wie ich hörte, bist an der Mauer beinahe aufgehängt worden.«

Ich sah zu ihm hoch, so gut ich konnte, sagte aber kein Wort.

»Vielleicht ist es ganz gut, daß das nicht geschehen ist. Aufhängen ist ein zu schneller Tod für einen Spion.«

Ich kämpfte vergeblich gegen die Männer an.

»Bringt ihn zu der anderen Spionin«, befahl Aemilianus.

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