15

»Komm schon, kleine Vula, sei nicht schüchtern«, sagte der Mann. Er winkte Lady Claudia aufmunternd zu. Sie hockte noch immer an der Außenwand im Stroh, starr vor Angst. Ich wußte nicht, ob sie überhaupt in der Lage war, aus eigener Kraft auf den Beinen zu stehen. In der linken Hand hielt er ein zusammengerafftes Seil, eine Leine und einen Kragen. Claudia starrte ihn entsetzt an. »Nun mach schon«, sagte er und ging an mir vorbei auf sie zu. In der Zelle standen zwei weitere Soldaten, rechts neben der Tür, die gespannten Armbrüste in der Hand. Unsere Wärterin stand in der Tür.

Ich glaubte nicht, daß der Bursche mit dem Seil sich in die unmittelbare Nähe der Außenwand, der Wetterwand, begeben wollte. Gelegentlich konnten wir die Einschläge der cosischen Projektile hören und manchmal auch fühlen, wenn sie den Zellenboden zum Erzittern brachten, große Felsbrocken, die bis zu tausend Pfund wogen und von gewaltigen, manchmal haushohen Katapulten abgefeuert wurden. Man konnte sogar das rhythmische Pochen des weit entfernten Rammbocks hören, der von Männern bedient wurde, die ihn unter dem langen Schutzdach, das seine ganze Länge überspannte, mit hundert Seilen in Schwung brachten.

»Beeil dich«, sagte die Gefängniswärterin zu dem Mann mit dem Seil. »Es ist gefährlich auf dieser Seite.«

»Komm her«, befahl der Mann Claudia. »Knie dich da hin, die Arme an die Seiten.«

»Bitte!« schluchzte Lady Claudia.

»Beeil dich«, fauchte die Wärterin.

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er es besonders schätzte, von der Wärterin belehrt zu werden. Er sagte jedoch nichts. Er nahm ziemlich ärgerlich seinen Mut zusammen, ging zu Claudia, packte sie an den Haaren und zerrte sie in die Zellenmitte, wo er sie dann auf die Knie stieß.

Die Gefängniswärterin lachte.

Der Soldat fesselte Claudia mit dem Seil, er legte eine Bahn nach der anderen um ihren Körper. Genauso hatte man sie zu Aemilianus gebracht, wenn ich mich recht an ihre Erzählung erinnerte. Dies geschah zweifellos mit Absicht, sie an diesen Abend zu erinnern.

»Zieh das Seil straff!« sagte die Wärterin.

Claudia stöhnte auf, als er das Seil enger zog.

»Und jetzt den Kragen und die Leine«, stieß die Wärterin hervor.

Einen Augenblick später hatte er ihr den Kragen angelegt. Claudia kniete jetzt in der Zellenmitte, gefesselt, mit dem Kragen versehen, die Leine baumelte vor dem Seil herunter.

»Großartig«, sagte die Wärterin.

Tränen liefen Claudia die Wangen hinab. Sie sah mich an und lächelte. Sie schürzte leicht die Lippen und warf mir einen fast unmerklichen Kuß zu. Ich lag im Stroh, die Augen halb geschlossen. Ich reagierte nicht auf ihre kleine pathetische Geste. Allerdings fand ich es bemerkenswert, daß sie mir nichts nachtrug. Hatte ich nicht versucht, ihr Mut zu machen? Hatte ich ihr nicht zu verstehen gegeben, ich würde ihr helfen? Aber offensichtlich hatte sie niemals erwartet, daß ich im Augenblick der Wahrheit tatsächlich handeln würde. Es wäre sinnlos gewesen.

»Wie rührend«, sagte die Wärterin.

Ich tat so, als würde ich versuchen, auf die Knie zu kommen. Anscheinend schaffte ich es nicht.

»Bleib, wo du bist«, knurrte einer der Armbrustschützen.

»Er ist zu schwach, um irgend etwas zu tun«, sagte die Wärterin. »Er kann nicht einmal mehr auf den Beinen stehen.« Dann baute sie sich vor Claudia auf. »Der Spieß, liebe Claudia, auf dem du gepfählt werden wirst, besteht aus einem einzigen Stück hartem, poliertem Eisen. Er ist sehr lang und weniger als einen Hort dick. Er ist spitz zugefeilt. Er steckt in einer Halterung.«

Lady Claudia schloß die Augen.

Ich tat erneut so, als wolle ich aufstehen. Einer der Wächter sah zu mir her und wandte den Blick wieder ab.

»Ruhm und Ehre für Ar!« fauchte die Wärterin.

»Ruhm und Ehre für Ar!« weinte Claudia.

»Weißt du, worauf wir warten?« fragte die Wärterin.

Claudia schüttelte den Kopf.

Etwas traf die Außenwand, vermutlich keine zwei Meter von uns entfernt.

»Das war knapp«, sagte einer der Wächter unbehaglich.

Wie erwartet hatten sie andere Sorgen als das, was sich hier in der Zelle abspielte.

Wieder kämpfte ich mich hoch, aber diesmal blieb ich dort knien; ich ließ den Kopf hängen, als könnte ich mich nicht rühren.

»Bleib, wo du bist«, sagte der Wächter. Er stand vielleicht zwei Meter von mir entfernt.

»Wir warten auf den Henker«, sagte die Wärterin begeistert. »Er wird kommen und dich holen. Er wird dich zur Mauer und zum Pfahl bringen.«

Lady Claudia senkte den Kopf.

»Ruhm und Ehre für Ar!«

»Ruhm und Ehre für Ar!« wiederholte Claudia tonlos. Sie hatte die Augen geschlossen. Das war auch gut so. Der Wächter sah mich an, dann konzentrierte er sich wieder auf die beiden Frauen. Die Männer hielten sich nun schon seit einiger Zeit in der Zelle auf, sie wären jetzt nicht mehr so angespannt. In den ersten paar Ehn war die Aufmerksamkeit am größten; in diesen Augenblicken rechnete man mit Widerstand. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, daß ihre Wachsamkeit unter diesen Umständen noch einmal so ausgeprägt wäre, und falls doch, dann kurz vor Verlassen der Zelle. Sie warteten auf die Ankunft des Henkers, der Lady Claudia zum Pfählen bringen sollte. Ihre Aufmerksamkeit befand sich jetzt vermutlich auf dem tiefsten Stand. Natürlich ist das genau der richtige Moment, um alle Sinne zu schärfen. Doch es ist unmöglich, lange Zeit ununterbrochen wachsam zu sein. Es ist psychologisch unmöglich. Das bedeutete, daß die Initiative bei mir lag. Falls sie mit Widerstand gerechnet hatten, waren sie bestimmt und auch zu Recht davon überzeugt gewesen, daß ich vor dem Eintreffen des Henkers etwas unternähme, da er ein zusätzlicher Gegner war.

Doch ich hatte nicht damit gerechnet, daß der Henker in die Zelle käme. Hätte ich ihn in meine Überlegungen mit einbezogen, wäre ich sicher zu dem Schluß gekommen, daß er Claudia an der Mauer erwartete. Solche Sitten sind in jeder Stadt anders. Ich war über seine kurz bevorstehende Ankunft alles andere als erfreut, da er ein zusätzliches Problem darstellte, mit dem ich nicht gerechnet hatte und das ich bestimmt nicht willkommen hieß.

Es war kein Zufall, daß ich genau an dieser Stelle im Stroh lag. Am Vortag hatte ich dort eine Erhebung im Boden gefunden, die mir zusätzlichen Halt verlieh und von der ich mich abstoßen konnte. Ich war barfuß, also konnte ich nicht abrutschen. Ich hob schwerfällig den Kopf, als wäre ich zu benommen, um mir die Wachen anzusehen. Sie waren halb verhungert. Ich war davon überzeugt, daß ihre Reflexe verlangsamt waren. Sie verfügten nicht über ihre vollen Kräfte. Der Mann, der mir am nächsten stand, sah mich wieder an, und ich erwiderte den Blick teilnahmslos. Er wandte sich wieder den Frauen zu.

»Er versteht sein Handwerk«, sagte die Wärterin zu Lady Claudia. »Er wird dich so geschickt auf den Pfahl spießen, daß du lange Zeit durchhältst.«

Claudia hielt die Augen geschlossen; sie erbebte.

»Aber wenn er es etwas schneller haben will, wird er dir Gewichte an die Beine binden!«

Claudia schluchzte auf.

»Wie hübsch du aussiehst, meine Liebe, auf den Knien, gefesselt und mit dem Kragen versehen. Keine Angst. Er wird bald hier sein! Dann wirst du zum Pfahl gebracht! Du mußt nicht mehr lange warten! Du wirst ein lustiges Bild abgeben, wenn du auf dem Pfahl zuckst! Ruhm und Ehre für Ar! Ruhm und Ehre für Ar!«

»Ruhm und Ehre für Ar!« weinte Claudia.

In diesem Augenblick warf ich mich nach vorn, und der Wächter hatte nicht einmal genug Zeit, den Kopf in meine Richtung zu drehen, bevor ich ihn gegen seinen Kameraden stieß und beide mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft weiterdrängte, während sie aus dem Gleichgewicht gebracht zurücktaumelten und während ein abgeschossener Armbrustbolzen durch den Raum jagte wie ein verängstigtes wildes Tier und die andere Armbrust aus dem Griff des Wächters geprellt im Stroh landete. Ich stieß ein Knurren aus, das in diesem Augenblick nicht menschlich klang, denn es war das schreckliche Entzücken des Kriegers, das in diesem Moment mein Herz und meinen Mund beherrschte, und ich ergriff sie, eine Hand für jeden Mann, und stieß sie mit den Köpfen gegen den Stein. Ohne Helm wären ihre Schädel zerbrochen wie Eierschalen.

Noch aus der gleichen Bewegung heraus zog ich einem von ihnen das Schwert aus der Scheide, fuhr in der Hocke herum und wandte mich knurrend dem Soldaten zu, der neben Lady Claudia stand. Er war ganz weiß im Gesicht. Vielleicht erschien ich ihm mehr wie ein Tier als ein Mensch. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Ich hatte gegen die Kurii gekämpft und überlebt. Ich stand zwischen ihm und der Tür. Die Wärterin war ebenfalls gefangen und hatte sich hinter ihn geflüchtet. Er zog halbherzig die Klinge, aber bevor sie die Scheide verlassen hatte, hatte ich ihn erreicht. Er ließ den Schwertgriff los. Die Klinge glitt zurück in die Scheide. Ich drehte mich, trat aus dieser Position zu, und er brach aufstöhnend zusammen. Die Wärterin schoß auf die Tür zu, aber ich erwischte sie an der Türschwelle, ergriff sie am Nacken, stemmte sie in die Höhe, drehte mich um und stieß sie zurück in die Zelle. Dann trat ich zu dem zu Boden gegangenen Soldaten und beugte mich über ihn. Er schnappte nach Luft. In seinen Augen lag ein wilder Ausdruck. Ohne die Wärterin aus dem Blick zu lassen, die sich jetzt an der Außenwand zusammenkrümmte und mich entsetzt anstarrte, faßte ich ihn unterhalb des Helmes im Nacken und hob seinen Kopf ein Stück an. Er war zu keiner Gegenwehr fähig. Dann schlug ich seinen Kopf auf den Zellenboden.

»Du hast ihn getötet, du hast sie alle getötet!« stammelte die Wärterin.

»Nein«, sagte ich. Die ersten beiden Soldaten waren in größter Gefahr gewesen, aber die Helme hatten sie gerettet. Ich hatte in jenen ersten Augenblicken keinesfalls die Beherrschung über mich verloren. Das hatte ich nicht. Ich hatte nur in Anbetracht der Situation kein Risiko eingehen wollen. Aber ihre Helme hatten sie gerettet.

»Leg dich auf den Boden«, befahl ich der Wärterin. »Auf den Bauch, den Kopf zur Wand, Spreiz die Beine, so weit du kannst. Die Hände auf den Kopf.«

Sie schluchzte, aber sie gehorchte. Auf diese Weise konnte sie nicht sehen, was hinter ihr geschah, sie konnte nicht so ohne weiteres aufstehen, und sie hätte einen gewissen Schutz vor herabfallenden Steinen, falls die Zelle getroffen werden sollte.

Ich nahm dem dritten Soldaten Kleidung und Ausrüstung ab und legte sie selbst an. Allerdings wechselte ich die Schwerter; ich zog seine Waffe aus der Scheide und behielt die Klinge, die ich seinem Kameraden abgenommen hatte. Sie ließ sich schneller aus der Scheide ziehen, was mir gefiel.

Die Zitadelle erhielt einen Treffer, etwa dreißig Meter entfernt. Der Steinboden erzitterte. Die Wärterin stöhnte auf und legte die Hände fester auf den Kopf. Ich trug die drei Soldaten in eine Zellenecke und bedeckte sie mit Stroh. Von der Tür aus konnte man sie nicht sehen.

Als das erledigt war, wandte ich mich Claudia zu, die noch immer an Ort und Stelle kniete. Ihr zierlicher Körper wurde von mindestens fünfzig Seilschlingen gefesselt. Von dem Kragen um ihren Hals baumelte die Leine.

»Hallo«, sagte ich.

»Du mußt fliehen!« flüsterte sie. »Rette dich! Mich kennen sie! Halt dich nicht mit mir auf!«

Ich nahm ihr den Kragen ab.

»Flieh!« flehte sie.

Ich entfernte das Seil.

»Der Henker kann jeden Augenblick eintreffen«, sagte sie mit kläglicher Stimme.

»Er würde wohl denken, daß ich dich fessele und nicht befreie«, erwiderte ich.

Sie stöhnte.

Dann war sie endlich frei.

»Du mußt mich zurücklassen!« beschwor sie mich.

»Du bist zu hübsch, um zurückgelassen zu werden.«

Sie sah mich freudig an.

»Ja«, sagte ich.

Sie lächelte mich mit Tränen in den Augen an. »Ich bin erfreut, daß mich mein Herr schön findet«, flüsterte sie.

»Woher kennst du denn solche Worte?« fragte ich verblüfft.

»Ich habe einmal eine Sklavin und ihren Herren belauscht.«

»Und was hast du dann getan?«

»Ich lief nach Hause, warf mich aufs Bett, trommelte mit den Fäusten darauf und weinte vor Sehnsucht!«

»Auch du darfst solche Worte jetzt sagen, es steht dir zu.«

»Ich weiß!« antwortete sie. »Ich weiß!«

Ich warf einen Blick in den Geldbeutel des Soldaten, der nun an meinem Gürtel hing. Wie erhofft befand sich ein Kanten Brot darin. In diesen Tagen wurden in Ar-Station solche Dinge an einem solchen Platz verwahrt. Vermutlich war es sein geheimer Vorrat oder die Tagesration. Für ihn war das Brot wertvoller als Gold gewesen. Ich reichte es Claudia, und sie stopfte es sich dankbar mit beiden Händen in den Mund. »Untersuch auch die Geldbeutel der anderen beiden Burschen«, sagte ich. »Vielleicht haben sie auch etwas zu essen dabei. Iß es. Dann komm zurück an meine Seite.«

Claudia gehorchte. Es belustigte mich zu sehen, mit welcher Bereitwilligkeit sie aufsprang, um meinen Befehl zu befolgen. Es war, als wäre sie ein neuer Mensch. Ich ging zu unserer Wärterin hinüber, die noch immer vor der Wand lag, die Hände auf dem Kopf, die Beine gespreizt. Als sie mich kommen hörte, spreizte sie die Beine noch weiter. Dabei rutschte das kunstvoll hergestellte Lumpenkleid mit dem Spitzensaum noch höher. Sie hatte hübsche Waden und Fußgelenke.

»Hier ist etwas zu essen«, rief Claudia freudig.

»Gut«, erwiderte ich. »Dann iß.«

Sie stopfte sich das Essen in den Mund, aß mit der Gier eines halbverhungerten Sklavenmädchens.

Ich sah auf unsere Wärterin hinab. »Die Beine zusammen«, befahl ich ihr, »und die Arme an die Seiten, Handflächen nach oben!«

Sie gehorchte.

Ich ging neben ihr in die Hocke.

Sie bewegte sich unbehaglich, behielt aber ihre Stellung bei.

»Diese Lumpen sind doch zweifellos so angeordnet, daß sie sich ganz leicht ausziehen lassen«, sagte ich.

Sie wand sich vor Wut.

»Wie ist dein Name, Gefangene?« fragte ich.

»Publia.«

»Bist du eine freie Frau?«

»Natürlich.«

Claudia trat heran, in der Hand ein Stück Brot. »Welcher Kaste gehörst du an?«

»Der Kaste der Kaufleute«, sagte Publia.

»Das ist doch im allgemeinen eine recht wohlhabende Kaste«, vermutete ich.

Claudia sagte: »Ich gehörte ihr auch an.«

Ich riß unserer Gefangenen den Geldbeutel vom Gürtel. Er war ziemlich schwer. Ich warf ihn Claudia zu, die sich seinen Inhalt betrachtete.

»Hier ist viel Gold.«

»Steck es in meinen Geldbeutel«, befahl ich.

Lady Claudia gehorchte.

»Wie kommt es, Lady Publia, daß du, ein Mitglied der Kaste der Kaufleute, die bis eben einen vollen Geldbeutel besaß, barfuß und in Lumpen gekleidet gehst?«

Publia beantwortete meine Frage nicht.

»Und noch dazu in so kunstvollen Lumpen?«

Sie schwieg beharrlich.

Ich strich über das Kleid. »Ich bezweifle, daß du es selbst genäht hast. Das ist die Arbeit einer Schneiderin. Diese engsitzenden, sauberen Nähte, Das sieht alles sehr gekonnt aus. Zweifellos nach deinen genauen Anweisungen. Dieses Kleid soll aussehen, als trügst du nur noch Lumpen auf der Haut, aber bei näherer Betrachtung entdeckt man, daß alles mit einer Absicht geschah.« Innerlich mußte ich lächeln. Auch Sklavinnen schneidern sich mit viel Mühe solche Fetzen, die hier etwas Haut verbergen und sie an anderer Stelle enthüllen, sie arbeiten, bis sie Meisterwerke an Sinnlichkeit, Verwundbarkeit und Verlockung erschaffen haben. Mit solchen und anderen ausgefeilten Methoden gelingt es den schönen, mit dem Kragen versehenen kleinen Miststücken, verdienten Prügelstrafen zu entgehen und ihre Herren vor Leidenschaft und Begehren fast um den Verstand zu bringen.

»Ich gratuliere dir«, sagte ich. »Dieses Kleid mit seinem gezackten Saum, der gelegentlich deine Waden enthüllt, teils hier und teils da, ist dir gut gelungen. Es zeugt von Phantasie und ausgezeichnetem Geschmack.«

Publia gab einen leisen erfreuten Laut von sich.

»Natürlich bleibt die Frage bestehen, warum du dir solche Mühe gegeben hast.«

Sie erstarrte.

»Aber auf diese Frage findet sich bestimmt eine einfache Antwort. Läßt sich die Kleidung in der mühsamen Art der freien Frauen ausziehen oder schnell und aufreizend? Trägst du Unterwäsche, wie es die Angehörigen der untersten Kasten tun, oder nicht?«

Sie ballte die Fäuste.

»Also«, fuhr ich fort, »erheb dich auf die Knie und dreh dich um.«

Publia gehorchte wütend.

Doch ihre Wut verwandelte sich schnell in Angst und Unterwürfigkeit, als ich ihren Schleier anfaßte. Ich zog vorsichtig daran, und sie machte die Bewegung mit und fiel auf alle viere, um zu verhindern, daß ich ihn ihr wegnahm. »Nein«, sagte sie. »Bitte nimm mir nicht den Schleier ab.«

»Das werde ich auch nicht tun«, erwiderte ich.

Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

»Das wird Lady Claudia erledigen.«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Du hast sie doch sicher auch ohne Schleier gesehen.« Publia schluchzte. »Bleib auf allen vieren«, warnte ich sie. So konnte sie nichts tun. Auch nicht die Hände vors Gesicht schlagen.

»Nimm ihr den Schleier ab«, befahl ich Claudia. »Aber tu es vorsichtig.« Ich hatte meine Gründe, daß er nicht beschädigt wurde.

»Bitte, nein!« flehte Lady Publia. Der Schleier war mit einer Schnur befestigt, und Claudia löste ihn behutsam mit beiden Händen und nahm ihn sanft vom Gesicht der Gefangenen. »Sie ist wunderschön!« rief sie aus.

»Nicht schöner als du«, sagte ich.

»Ist das dein Ernst?« fragte Claudia.

»Ja.« Ich wandte mich Publia zu. »Auf die Knie.«

Sie verlor keine Zeit, sich in die kniende Haltung zu begeben, und schlug die Hände vors Gesicht.

»Die Hände herunter«, sagte ich.

»Ich habe meinen Schleier nicht!«

Es stimmte. Senkte sie die Hände, war ihr Gesicht entblößt, und ihre Lippen, der Mund und die schönen Züge in ihrer ganzen Sinnlichkeit waren den Blicken aller ausgesetzt. Ihr Gesicht war so nackt wie das einer Sklavin.

»Sofort!«

Sie senkte schluchzend die Hände. Ich hatte ihr den Schleier als Schild und Versteck verweigert, wie er den Sklavinnen verweigert wird.

»Hattest du nicht vor, dir den Schleier vor den Cosianern herunterzureißen?«

Publia warf mir nur einen wütenden Blick zu.

»Gut, und jetzt herunter mit den hübschen Lumpen.«

Aufgebracht schnallte sie den Gürtel auf. Er war stabil, aus flachem, seilähnlichem weißen Material geflochten, stark genug, den Geldbeutel zu halten. Dann faßte sie sich an den Kragen. Sie trug ein Wickelkleid, öffnete einen Haken und streifte es mit beiden Händen anmutig, trotzig und mühelos hinunter.

»Oh«, stieß Lady Claudia leise und bewundernd hervor.

Publia richtete sich gerade auf, erfreut.

»Hast du gesehen, wie sie das auf den Knien erledigte?« fragte ich Claudia. »Das Kleid ist so geschnitten. Du kannst dir sicher vorstellen, wie schwierig es wäre, ein normales Gewand der Verhüllung auf den Knien auszuziehen.«

»Sie ist so schön!«

Es stimmte. Lady Publia hatte wunderschöne Augen und prächtiges Haar, Bauch, Schenkel und Brüste waren herrlich anzusehen. Frauen sind so unbeschreiblich großartig, so begehrenswert!

»Dreh dich um und leg dich auf den Bauch«, befahl ich, »wie eben, die Arme an den Seiten, Handflächen nach oben.«

Sie gehorchte und nahm dieselbe Stellung ein wie eben, nur daß sie jetzt nackt war. Ich hob den Turban, den Schleier und ihre ›Lumpen‹ auf. Plötzlich hob Claudia den Kopf. »Da sind wieder die Fanfaren!« sagte sie.

»Sie blasen zum Rückzug«, stellte ich fest. »Das sind deine Freunde, die Cosianer«, sagte ich zu Publia.

»Sie sind nicht meine Freunde!« erwiderte sie trotzig.

»Und doch hast du dich sorgfältig vorbereitet, in der Hoffnung, von jemandem zur Sklavin gemacht zu werden.«

»Lügner!« rief sie. Ich sah, daß sie die zierlichen Finger bewegte, aber sie wagte nicht, sie zur Faust zu ballen. Die Finger krümmten sich hilflos, aber die Handflächen zeigten weiterhin entblößt in die Höhe.

Ich gab Claudia das Kleid und den Rest der Sachen. Dann packte ich Publia unvermittelt am Nacken und schleifte sie zu der Stelle, auf der eben Claudia vor dem Soldaten gekniet hatte.

»Knie dich dorthin«, befahl ich Publia. »Auf die Fersen, die Arme an die Seiten.« Sie gehorchte eingeschüchtert. Ich hob das eine Seilende auf und fing an, Publia auf genau die gleiche Art zu fesseln, wie Claudia gefesselt worden war. Ich fing an der Taille an.

»Was tust du da?« stöhnte Publia.

»Zieh ihre Sachen an«, sagte ich Claudia. »Beeil dich.« Der dritte Angriff an diesem Tag war abgebrochen worden. Für die Verteidiger bedeutete dies eine Atempause. Bei einer solchen Gelegenheit konnten Männer von der Mauer abgezogen werden. Außerdem neigte sich der Vormittag dem Ende zu.

»Wie kann sie es wagen!« rief Lady Publia wutentbrannt. »Au!«

»Wenn ich mich recht erinnere, hattest du vorgeschlagen, das Seil stramm zu ziehen«, meinte ich zu Publia. Einen Augenblick später war sie verschnürt. »Deine Waden und Knöchel sind genauso reizvoll wie die ihren«, sagte ich Claudia.

Das Kompliment ließ Claudia erröten. Sie strich entzückt über das Kleid. »Ich habe schon seit Tagen keine Kleidung mehr tragen dürfen!« Ich lächelte. Sollte sie sich darüber freuen, solange man ihr gestattete, Kleidung zu tragen!

»Und jetzt leg den Schleier an und wickle dir den Turban um den Kopf«, sagte ich. »Genau wie sie.«

»Was hat dieses empörende Verhalten zu bedeuten?« verlangte Lady Publia zu wissen und kämpfte gegen die Fesseln an.

»Das ist sehr gut.« Lady Claudia hatte ebenfalls braune Augen. Wenn man Publia nicht persönlich oder besonders gut kannte, fiele einem nicht auf, daß es sich um Claudia handelte.

»Was soll das?« rief Lady Publia.

»Geh zu einem der bewußtlosen Soldaten und schneide ihm die Tunika vom Leib. Ich brauche dringend Stoff.«

Lady Claudia gehorchte. In der Zwischenzeit hob ich den Kragen auf und legte ihn Publia um den Hals. Die Leine war bereits angebracht. Nun kniete unsere Gefangene dort, wie zuvor Claudia.

»Ich verstehe nicht«, sagte Publia aufgebracht.

»Du wirst uns helfen, die Zitadelle zu verlassen«, sagte ich.

«Niemals!«

»Ich habe einen Plan.«

»Du glaubst wohl, du könntest sie für mich ausgeben«, sagte Publia verächtlich und sah Claudia an, die mit einem großen Stück Stoff an meine Seite zurückkehrte.

In diesem Augenblick gab es irgendwo einen Einschlag. »Die Artillerie!« sagte Claudia und erbebte. »Sie haben wieder angefangen.«

»Worauf wartet ihr dann noch?« fragte Publia ängstlich. »Warum flieht ihr nicht?«

»Wir warten auf unseren Besucher.«

»Auf wen?«

»Den wirst du doch nicht vergessen haben. Er sollte doch in wenigen Ehn hier sein. Ich rechne jeden Augenblick mit ihm, jetzt, da der Sturmangriff ruht.«

Plötzlich starrte Publia Lady Claudia voller Angst an, die ihr Kleid und ihren Turban einschließlich Schleier trug. »Wenn sie in dieser Farce meine Rolle übernehmen soll, was wird dann aus mir?«

Während wir sprachen, hatte ich Claudia den Stoff abgenommen und mich daran zu schaffen gemacht.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Nein!« rief sie. »Nein!«

»Vielleicht doch.« Ich drehte eines der Stoffstücke zu einem festen kleinen Ball zusammen.

»Bist du kein Cosianer?« fragte Publia.

»Nein.«

»Aus welcher Stadt kommst du?« Es klang ängstlich.

»Port Kar«, sagte ich.

Sie wurde bleich.

»Ruhm und Ehre für Port Kar«, sagte ich.

»Gnade!« schrie sie.

»Ruhm und Ehre für Port Kar«, wiederholte ich in aller Ruhe.

»Ruhm und Ehre für Port Kar!« rief sie verzweifelt und voller Inbrunst.

»Dreimal.«

»Ruhm und Ehre für Port Kar!« rief sie dreimal.

Dann stieß ich ihr den Stoffball in den Mund, der, da er aus einem ziemlich großen, eng zusammengerollten Stück bestand, sofort auseinanderfiel.

»Unter Umständen waren das die letzten Worte, die du je gesprochen hast«, belehrte ich sie.

Publia starrte mich mit wildem Blick und Tränen in den Augen an, wand sich, schüttelte den Kopf, gab leise Geräusche von sich, aber dann befestigte ich den Knebel mit zwei Stoffstreifen, die ich in ihrem Nacken zusammenband.

»Wenn der Henker kommt – wen, glaubst du, wird er hier wartend vorfinden?«

Ihr Gesicht verlor den letzten Rest Farbe. Sie wand sich, warf den Kopf hin und her.

»Halt die Leine fest«, befahl ich Claudia, die ebenfalls totenbleich geworden war. Das sollte verhindern, daß Publia den Kopf auf den Boden schmetterte.

Sie wollte zurückweichen, aber ich griff ihr ins Haar und legte ihr das übriggebliebene große Stoffstück über den Kopf. Ich stieß unten mit dem Gürtelmesser ein paar Löcher hinein, knüpfte ein paar Stoffstreifen zusammen und bastelte eine behelfsmäßige Haube, die ich dann im Nacken zusammenband.

Sie fing an, verzweifelt zu stöhnen und sich zu winden. Also nahm ich die Leine, führte sie von oben zwischen ihren Schenkeln hindurch und band ihr die Füße zusammen. Nun kniete sie zusammengekrümmt da, hilflos. Ich ging neben ihr in die Hocke. »Wenn ich mich recht erinnere«, sagte ich und rief mir ihre früheren Worte ins Gedächtnis, »besteht der Pfahl aus einem einzigen Stück hartem, poliertem Eisen. Er ist sehr lang und weniger als einen Hort dick. Er ist spitz zugefeilt. Er steckt in einer Halterung.«

Lady Publia hüpfte wie von Sinnen auf den Knien auf und ab. Dabei stieß sie gedämpfte Laute des Protests aus.

Claudia sah mich mit Tränen in den Augen ungläubig an. In diesem Augenblick brachte ein fürchterliches Krachen den Raum zum Erbeben; der Treffer mußte in der Nachbarzelle eingeschlagen sein, denn Steine prasselten zu Boden, und eine Staubwolke wurde durch den Korridor getrieben, von der ein paar Schwaden durch die offene Tür hereinwehten. Ich legte schützend die Hand vor Mund und Nase.

Jemand hustete.

Im nächsten Moment betrat ein hochgewachsener Mann unsere Zelle. Er trug eine schwarze Kapuze, die bis auf die rechteckigen Öffnungen für die Augen den ganzen Kopf bedeckte. Er klopfte sich den Staub aus dem Gewand. »Die Mauer gibt nach«, sagte er an mich gewandt. »In ein paar Ehn greifen sie wieder an. Sie formieren sich schon. Wir können sie nicht länger zurückschlagen. Ihre Belagerungstürme haben die Zitadelle fast schon erreicht.«

Ich nickte.

»Du bist Lady Publia, die Gefangenenwärterin?« fragte er Claudia.

»Das bin ich«, sagte sie mutig.

»Ich halte nichts von Gefängniswärterinnen«, meinte er. »Das ist Männerarbeit.«

Sie warf den Kopf in den Nacken.

»Vielleicht bedauerst du ja, diesen Posten angenommen zu haben«, fuhr er fort.

»Vielleicht«, erwiderte Claudia.

Lady Publia, die zusammengekrümmt zu unseren Füßen kniete, unfähig, den mit der Haube verhüllten Kopf zu heben, kämpfte gegen die Fesseln an und stieß gedämpfte Schreie aus. Wir schenkten ihr keine Beachtung, da sie die Gefangene war. Allerdings konnte ich mir durchaus vorstellen, daß sie es nun im nachhinein bereute, die Stellung der Gefangenenwärterin angenommen zu haben.

»Du hast hübsche Beine«, sagte der Henker zu Claudia. Sie antwortete nicht.

»Welcher Kaste gehörst du an?«

»Den Kaufleuten.«

»Warum trägst du dann nicht Weiß und Gold, vor allem heute, an diesem Tag?« fragte er. Weiß und Gold sowie Weiß und Gelb sind die Farben der Kaste der Kaufleute.

Sie antwortete nicht.

»Du trägst nicht einmal ein Gewand der Verhüllung!«

»Das schien hier nicht angebracht zu sein.«

»Trägst du es nicht, weil es den Gefangenen gegenüber nicht angebracht wäre, oder bist du aus diesem Grund überhaupt erst hier, weil es eben nicht angebracht ist, solche Kleidung hier zu tragen?« wollte er wissen.

»Es gibt viele Orte, an denen es unpassend ist, ein Gewand der Verhüllung zu tragen«, sagte sie.

»Ja«, erwiderte er. »Zum Beispiel auf einem cosischen Sklavenmarkt.«

»Ich hatte andere Orte im Sinn!«

»Das ist wahr. Zum Beispiel, wenn man in den Trümmern umherklettert, den Arbeitern an der Mauer Steine zum Ausbessern bringt oder sich um die Verwundeten kümmert. Genau darum frage ich mich ja auch, warum du dir diese Aufgabe ausgesucht hast.«

»Hier ist es kühl.«

»Und hier kannst du dich mehr wie ein Mann fühlen, wie?«

»Vielleicht«, sagte sie ärgerlich.

Lady Publia gab einen Laut von sich, es klang wie eine Mischung aus Begreifen, Verzweiflung, Bedauern und Schmerz. Aus irgendeinem Grund hatten die Fragen des Henkers eine tiefe Bedeutung für sie.

Er wandte sich ihr zu. »Keine Angst, kleine Vulo«, sagte er und tätschelte ihr den Kopf. »Bald ist alles vorbei.« Er überhörte ihr Aufschluchzen, bückte sich und löste die Fesseln um ihre Fußknöchel.

»Denk an das cosische Gold«, sagte er.

Sie erschauderte.

»Dann wollen wir deinen cosischen Freunden mal zeigen, wie hübsch du auf dem Pfahl aussiehst.«

Publia schüttelte wie betäubt den Kopf. Der Henker beugte sich tief hinunter, um sie sich auf die Schulter zu laden. Plötzlich verharrte er. Er hatte die Soldaten entdeckt, die mit Stroh bedeckt in der Zellenecke lagen. Ich eilte auf ihn zu.

In diesem Augenblick explodierte die Welt. Ich fuhr herum und riß die Arme vor den Kopf; es donnerte, und die Zelle füllte sich mit zerberstenden Ziegelsteinen. Lady Claudia schrie entsetzt auf, und ich konnte nichts sehen oder gar Luft holen, denn die Luft bestand nur aus Staub, aus dichtem weißen Staub, und wir husteten, und mir brannten die Augen. Überall waren Trümmer; grelles Licht flutete in die Zelle, denn fast die halbe Wand war verschwunden. Der Henker kauerte am Boden, einige der großen Steinfliesen hatten sich gelöst und wölbten sich in die Höhe, Er schien verwirrt und halb betäubt zu sein. Er drehte sich um, zeigte auf die Wand, um mich auf seine Entdeckung hinzuweisen, allem Anschein nach nicht einmal mißtrauisch, und sackte zusammen, als ich ihn mit dem Stein traf, den ich vom Boden aufgehoben hatte. Lady Claudia krümmte sich zitternd zusammen, den Kopf mit den Händen schützend. Lady Publia lag reglos zwischen den aufgerichteten und zerborstenen Fliesen. Beide waren staubbedeckt.

Ich stolperte über die Trümmer bis zu dem großen Loch in der Wand.

Vor mir breitete sich die geballte Streitmacht von Cos im Norden aus, in der hellen Morgensonne funkelten Speerspitzen und Schilde und die Flaggen von Kompanien und Regimentern, während am strahlendblauen Himmel Tarnsmänner flogen. Die enggeschlossenen Reihen erstreckten sich bis zu den letzten noch stehenden Gebäuden und drängten sich in den weitentfernt liegenden Straßen, doch in der Hauptsache standen sie auf einer künstlichen, dreihundert Meter langen Ebene versammelt, die man aus den geschleiften Ruinen der niedergebrannten Gebäude geschaffen hatte, deren Trümmer dazu benutzt worden waren, die Keller und Erdgeschosse auszufüllen.

Ich winkte Lady Claudia heran, damit wir uns die Pracht des Krieges zusammen ansehen konnten.

»Siehst du das, kannst du verstehen, warum Männer so etwas lieben können?«

Sie stöhnte auf. »Es macht mir angst!«

»Sieh sie an, die Soldaten, ihre Pracht, ihre Macht!«

»Nein«, schluchzte sie, und der Wind drückte den Schleier gegen ihre Lippen.

»Ein großartiger Anblick!« rief ich.

Sie schüttelte nur verängstigt den Kopf. Hätte ich sie nicht beim Arm gegriffen, wäre sie vermutlich ohnmächtig zusammengesunken.

Fanfaren ertönten aus allen Richtungen.

»Die Männer bewegen sich«, flüsterte Claudia.

»Das ist der Angriff.«

»Sie schweigen!« Bis jetzt war den Fanfaren stets gewaltiger Jubel gefolgt.

»Sie haben genug gebrüllt«, sagte ich. »Jetzt kommen sie, um die Sache zu Ende zu bringen.«

Mit leichten Waffen ausgestattete Regimenter eilten nach vorn, die Bogenschützen, Schleuderer und Speerwerfer sollten die Verteidiger von den Zinnen fernhalten. Unter ihrem Schutz folgten die Leiterbrigaden und die Wurfhakenmänner, dahinter kamen die Kletterer zusammengeduckt unter den Schilddächern der Infanteristen heran.

»Die Mauer wird an mehreren Stellen angegriffen«, erklärte ich, »damit sich die Verteidiger verteilen.«

Plötzlich stöhnte Claudia entsetzt auf.

»Was ist?«

»Ich glaubte, ich hätte ein Haus gesehen, das sich bewegt«, sagte sie. »Dort hinten, bei den anderen Häusern.«

»Wo?«

»Es spielt keine Rolle, es war nur eine Illusion, eine Luftspiegelung, Hitze, die von den Steinen aufsteigt.«

»Wo?« wiederholte ich meine Frage.

Sie zeigte in die Richtung, dann stöhnte sie erneut auf.

»Es ist keine Illusion. Es bewegt sich. Da ist noch eins, und dort hinten.«

»Häuser können sich nicht bewegen!« sagte sie.

»Ich zähle elf Stück«, sagte ich. »Sie können auf verschiedene Weise bewegt werden; manche von innen heraus. Dort stemmen sich Männer gegen Balken, oder Tharlarion ziehen sie, die hinter solchen Balken angeschirrt sind. Andere werden mit Seilen von Männern oder Tharlarion gezogen. Sieh dort, da ist eins! Es wird von Männern gezogen. Siehst du es?«

Sie nickte.

Es waren mindestens fünfzig Seile, und an jedem Seil standen fünfzig Männer. Doch auf diese Entfernung wirkten sie trotz ihrer Anzahl winzig.

»Trotzdem, wie kann man solche Gebäude nur bewegen?«

»Das sind keine richtigen Gebäude aus Stein und Lehm«, erklärte ich ihr. »Es handelt sich um Belagerungstürme, hohe, bewegliche Konstruktionen auf Rädern. Sie sind schwer, das ist richtig, aber in Anbetracht ihrer Größe sind sie verhältnismäßig leicht. Sie bestehen aus einem Gerüst, das von drei Seiten mit Holzplatten oder auch mit Häuten verkleidet ist. Wenn sie näher kommen, wird man die Häute mit Wasser tränken, damit man sie nicht so leicht in Brand stecken kann. Die Belagerungstürme überragen die Mauern, oben sind Zugbrücken eingebaut, die man hinunterläßt, wobei es von Vorteil ist, wenn sie abschüssig sind, das verleiht dem Angriff mehr Wucht. Über diese Zugbrücken stürmen die ersten Soldaten die Wehrgänge, während andere die im Innern des Turms angebrachten Leitern erklimmen und ihnen folgen. Von diesen Belagerungstürmen gibt es viele verschiedene Arten. Manche werden sogar auf Schiffen eingesetzt.«

»Sie sind schrecklich«, sagte Claudia.

»Jeder Turm kann innerhalb von zehn Ehn eintausend Mann in eine Stadt strömen lassen.«

»Sie sind wie Riesen.«

»In der Tat machen sie einen bedrohlichen Eindruck«, gab ich ihr recht.

Wir blieben noch einen Augenblick lang in dem Loch in der Wand stehen. Dann sagte ich plötzlich: »Komm!« Und ich zog sie über das Geröll zurück in die Zelle. Ich nahm dem Henker die Maske ab und zog sie mir über den Kopf. Dann trat ich zu Lady Publia, die voller Staub in den Trümmern lag. Ich stieß sie mit dem Fuß an, doch sie rührte sich nicht. Ich glaubte nicht, daß sie tot war, denn von uns allen hatte sie sich an der sichersten Stelle aufgehalten, als die Wand durchschlagen worden war. Weder auf dem Seil noch auf der Haube war Blut zu sehen. Wahrscheinlich war sie nicht einmal bewußtlos, sondern hoffte verzweifelt, daß man sie vergessen hatte. Ich nahm sie bei der Taille und warf sie mir über die linke Schulter. So hat man den Schwertarm frei. Sie stöhnte mitleiderregend. Bestimmt glaubte sie sich auf der Schulter des Henkers. Ich trug sie aus der Zelle. Lady Claudia folgte mir.

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