Sophia ist verzweifelt, weil bei ihr nichts passiert. Um acht Uhr habe ich die ersten leichten Wehen. Zwei Stunden später sind sie schon sehr vehement. Von nun an werde ich jede halbe Stunde untersucht. Gegen Mitternacht ist es kaum noch zu ertragen. Ständig muß ich mich übergeben vor Schmerz. Endlich werde ich in den Gebärsaal geführt. Es ist derselbe Raum, in dem ich schon einmal auf dem Gynäkologenstuhl saß und untersucht wurde. Die Ärztin und zwei schwarze Schwestern reden auf mich ein. Seltsamerweise verstehe ich kein Englisch mehr.
Zwischen den Wehen starre ich die Frauen an und sehe nur, wie ihre Münder auf-und zugehen. Panik ergreift mich, weil ich nicht weiß, ob ich al es richtig mache.
Atmen, gut atmen, hämmert es in meinem Kopf. Dann werden meine Beine an den Stuhl gebunden. Ich fühle mich hilflos und entkräftet. Gerade als ich schreien will, ich könne nicht mehr, drückt mir eine Schwester den Mund zu. Voller Angst schaue ich zu der Ärztin. In diesem Moment höre ich, daß sie bereits das Köpfchen des Kindes sieht. Bei der nächsten Wehe muß es kommen. Mit letzter Kraft presse ich und spüre eine Art Explosion im Unterleib. Mein Mädchen ist geboren. Es ist 1.15 Uhr. Ein gesundes, 2 960 Gramm schweres Mädchen ist auf die Welt gekommen. Ich bin überglücklich. Sie ist so schön wie ihr Vater, und wir werden sie Napirai nennen.
Noch während die Ärztin mit der Nachgeburt und dem Nähen beschäftigt ist, geht die Tür auf, und Sophia fäl t mir freudig um den Hals. Sie hat die Geburt durch das Fenster miterlebt. Mein Kindchen wird mir noch einmal gezeigt und anschließend zu den anderen Neugeborenen gebracht. Ich bin froh, denn im Moment bin ich viel zu schwach, es zu heben. Nicht einmal die angebotene Teetasse kann ich halten. Ich wil nur schlafen. Im Rollstuhl werde ich ins Zimmer zurückgebracht und bekomme eine Schlaftablette.
Um fünf erwache ich mit höllischen Schmerzen zwischen den Beinen und wecke Sophia, die sofort aufsteht, um eine Nachtschwester zu suchen. Mit schmerzstillenden Tabletten werde ich beruhigt. Um acht schleppe ich mich mühsam zum Babyraum, um mein Kind zu sehen. Als ich es endlich entdecke, bin ich erleichtert, aber es schreit vor Hunger. Ich muß es stillen, doch das bereitet große Schwierigkeiten. Aus meinen mittlerweile riesigen Brüsten kommt kein Tropfen. Mit Absaugen geht auch nichts. Gegen Abend halte ich es kaum noch aus. Meine Brüste sind hart wie Stein und schmerzen, während Napirai ununterbrochen schreit. Eine schwarze Schwester schimpft, ich solle mir mehr Mühe geben, damit sich die Milchdrüsen öffnen, bevor ich eine Entzündung bekomme. Unter grauenhaften Schmerzen probiere ich alles. Zwei Samburu-Frauen kommen und „melken“ meine Brüste fast eine halbe Stunde, bevor endlich die erste Milch fließt. Dafür hört es jetzt nicht mehr auf. Es kommt so viel, daß mein Baby wieder nicht trinken kann. Erst im Laufe des Nachmittags gelingt es das erste Mal.
Sophia liegt seit Stunden in den Wehen, doch das Kind will nicht kommen. Sie heult und schreit und verlangt einen Kaiserschnitt, was der Arzt ablehnt, da dafür kein Grund besteht. Noch nie habe ich Sophia so erlebt. Dem Arzt wird es langsam zu bunt, und er droht ihr, sie nicht zu entbinden, falls sie sich nicht beherrscht. Die Unterhaltung findet auf Italienisch statt, da auch er Italiener ist. Nach schrecklichen 36 Stunden ist auch ihr Mädchen durch Glockengeburt auf der Welt.
An diesem Abend, die Besuchszeit ist gerade vorbei, erscheint mein Darling. Am Morgen hat er über Radiocall von der Geburt unserer Tochter erfahren und sich sofort zu Fuß auf den Weg nach Wamba gemacht. Er hat sich besonders schön bemalt und frisiert und begrüßt mich freudig.
Er hat Fleisch und ein wunderschönes Kleid für mich dabei. Sofort möchte er Napirai sehen, doch die Schwestern wehren ab und vertrösten ihn auf morgen.
Obwohl er enttäuscht ist, strahlt er mich stolz und glücklich an, was mich wieder hoffen läßt. Als er das Spital verlassen muß, beschließt er, in Wamba zu übernachten, um zur ersten Besuchszeit hier zu sein. Mit kleinen Geschenken beladen kommt er ins Zimmer, als ich gerade Napirai stil e. Selig nimmt er seine Tochter in die Arme und trägt sie in die Sonne. Sie schaut ihn neugierig an, und er kann gar nicht mehr von ihr lassen. Schon lange habe ich ihn nicht mehr so fröhlich erlebt. Ich bin gerührt und weiß, jetzt wird alles wieder gut.
Die ersten Tage mit dem Baby sind anstrengend. Ich bin immer noch recht schwach, habe zu wenig Gewicht, und die genähte Scheide schmerzt sehr beim Sitzen. Nachts weckt mich mein Mädchen zwei- bis dreimal, entweder um an die Brust zu kommen oder um gewickelt zu werden. Schläft sie endlich einmal, schreit sicher das Kind von Sophia. Hier benützt man Stoffwindeln, und gewaschen werden die Babys in kleinen Waschbecken. Mit dem Wickeln bin ich noch nicht so vertraut.
Meine gestrickten Sachen ziehe ich ihr nicht an, aus lauter Angst, ich könnte ihr dabei die Armchen oder Beinchen verletzen. So liegt sie bis auf die Windeln nackt in einer Babydecke. Während mein Mann uns betrachtet, stellt er zufrieden fest: „She is looking like me!“
Er besucht uns täglich, doch wird er allmählich ungeduldig und möchte mit seiner Familie nach Hause gehen. Aber ich bin noch zu schwach und habe ein wenig Sorge, mit dem Baby auf mich allein gestellt zu sein. Windeln waschen, kochen, Holz suchen und viel eicht wieder im Shop mithelfen, erscheint mir fast unmöglich. Der Shop ist seit drei Wochen geschlossen, da nur noch Maismehl übrig ist und der Boy nicht mehr zuverlässig zu sein schien, wie mir Lketinga mitteilt. Außerdem besteht keine Fahrmöglichkeit, da er zu Fuß hier ist, denn mit unserem Wagen gab es wieder einmal Probleme. Diesmal sei es die Gangschaltung, hat Giuliano festgestel t. Also muß er zuerst nach Hause, um uns mit dem Landrover abzuholen, falls er repariert ist.
Das gibt mir die Möglichkeit, sicherer zu werden. Auch die Ärztin ist froh, daß ich noch ein paar Tage bleibe. Sophia hingegen verläßt am fünften Tag nach der Niederkunft das Spital und kehrt nach Maralal zurück. Drei Tage später kommt mein Mann mit dem reparierten Wagen. Ohne Pater Giuliano wären wir wirklich hilflos. Ich wil nun auch fort von Wamba, denn seit Sophia gegangen ist, habe ich schon die zweite Samburu-Mutter im Zimmer. Die erste, eine alt aussehende, ausgemergelte Frau, die ihr zehntes Kind als Frühgeburt hier bekommen hat, ist in derselben Nacht an Schwäche und Anämie gestorben. Es war einfach nicht möglich, in so kurzer Zeit die Familie der Frau zu benachrichtigen, damit ein geeigneter Blutspender gefunden werden konnte. Die Aufregung dieser Nacht hat mich Kraft gekostet, so daß ich nur noch weg will.
Stolz steht der frische Papa mit seiner Tochter auf dem Arm bei der Rezeption, während ich die Rechnung bezahle. Die 22 Tage inklusive Geburt kosten lediglich 80
Franken, ich kann es kaum glauben. Für den flying doctor hingegen muß ich tiefer in die Tasche greifen und 800 Franken bezahlen. Doch was ist das schon gegen unser beider Leben! Seit langem sitze ich wieder einmal am Steuer, und mein Mann hält Napirai. Aber schon nach den ersten hundert Metern schreit das Baby wegen des gräßlichen Lärms, den der Wagen macht. Lketinga versucht, es mit Singen zu beruhigen, doch es nützt nichts. Nun fährt mein Mann, und ich halte Napirai an die Brust, so gut es geht. Jedenfal s erreichen wir Maralal, bevor es Abend ist. Ich muß noch Windeln, einige Kleidchen und Babydecken besorgen. Auch Lebensmittel wol en wir einkaufen, da es in Barsaloi seit Wochen nichts gibt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ins Lodging zu gehen. Um nur ein Dutzend Windeln zu finden, laufe ich durch ganz Maralal. Lketinga hütet unsere Tochter.
Die erste Nacht außerhalb des Spitals ist nicht sehr gemütlich. Weil es in Maralal nachts sehr kalt wird, habe ich Probleme, Napirai die Windeln zu wechseln. Ich friere und sie ebenfalls. Stillen im Dunkeln beherrsche ich auch noch nicht so gut. Am Morgen bin ich müde und habe bereits Schnupfen. Die Hälfte der Windeln ist verbraucht. So wasche ich sie noch hier. Gegen Mittag ist der Wagen mit Lebensmitteln gefül t, und wir brechen auf. Für uns ist klar, den Umweg zu fahren.
Aber mein Mann stellt fest, daß es in den Bergen in Richtung Baragoi regnet. Es besteht die Gefahr, daß die Flüsse sich mit Wasser füllen, und wir diese nicht mehr passieren können. Deshalb entscheiden wir uns, den Weg zurück nach Wamba zu benützen, um von der anderen Seite her nach Barsaloi zu kommen. Wir wechseln uns im Fahren ab, da Lketinga den Wagen nun schon gut beherrscht. Nur ab und zu fährt er zu schnell in große Löcher. Napirai gefäl t das Autofahren gar nicht. Ständig schreit sie, und sobald der Wagen stillsteht, ist auch sie ruhig. So legen wir mehrere Pausen ein.