Als ich zum ersten Mal den Shop besichtige, fühle ich mich wie im Paradies. Hier bekomme ich einfach al es, sogar Brot, Milch, Butter, Eier, Früchte, und das zweihundert Meter von der Wohnung entfernt! In bezug auf eine neue Existenz in Mombasa wächst meine Zuversicht.
James will endlich das Meer sehen, und wir machen uns zusammen auf den Weg.
Zu Fuß erreichen wir den Strand in knapp einer halben Stunde. Der Anblick des Meeres erfüllt mich mit Freude und einem Gefühl der Freiheit. Was ich allerdings nicht mehr gewohnt bin, sind die weißen Touristen in ihren knappen Badehosen.
James, der das noch nie gesehen hat, schaut verschämt darüber hinweg und bestaunt die Wassermasse. Er ist, wie damals sein älterer Bruder, völlig irritiert.
Dafür spielt Napirai freudig im Sand unter schattenspendenden Palmen. Hier kann ich mir mein Leben in Kenia wieder vorstel en.
Wir gehen in eine für Europäer errichtete Beach-Bar, um unseren Durst zu stillen.
Alle starren uns an, und ich komme mir in meinem geflickten, wenn auch sauberen Rock unter den neugierigen Blicken etwas verloren vor. Von meinem früheren Selbstvertrauen ist nicht viel übriggeblieben. Als mich eine Deutsche anspricht und wissen will, ob Napirai mein Baby sei, fehlen mir sogar die Worte, um zu antworten.
Zu lange habe ich kein Deutsch oder gar Schweizerdeutsch mehr gesprochen. Ich komme mir wie eine Idiotin vor, als ich in Englisch antworten muß.
Lketinga fährt am nächsten Tag an die Nordküste. Dort wil er ein paar Schmuckstücke einkaufen, um bei den Massai-Tänzen mit anschließendem Schmuckverkauf mitmachen zu können. Ich freue mich, daß auch er sich fürs Geldverdienen interessiert. Zu Hause wasche ich Windeln, während James mit Napirai spielt. Zusammen mit Priscilla schmieden wir Zukunftspläne. Sie ist begeistert, als ich ihr eröffne, daß ich einen Laden suche, um mit den Touristen ins Geschäft zu kommen. Da James nicht länger als einen Monat bleiben kann, weil er wegen seiner großen Beschneidungszeremonie nach Hause muß, beschließe ich, mit Priscilla die Hotels abzuklappern, um eventuell einen freien Laden zu finden.
In den feudalen Hotels werden wir von den Geschäftsführern zum Teil skeptisch empfangen, um dann auch gleich eine Absage zu bekommen. Beim fünften Hotel ist mein ohnehin geringes Selbstvertrauen geschwunden, und ich komme mir wie eine Bettlerin vor. Natürlich sehe ich nicht wie eine ordentliche Geschäftsfrau aus mit meinem rotkarierten Rock und dem Baby auf dem Rücken. Per Zufall hört ein Inder an einer Rezeption unser Gespräch und schreibt mir eine Telefonnummer auf, unter der ich seinen Bruder erreichen kann. Schon am nächsten Tag fahren mein Mann, James und ich nach Mombasa, um uns mit diesem Mann zu treffen. Er hat in der Nähe eines Supermarktes in einer neu erstel ten Siedlung etwas frei, al erdings für umgerechnet 700 Franken Miete im Monat. Zuerst wil ich schon abwinken, da mir dieser Betrag viel zu hoch erscheint doch dann lasse ich mir das Gebäude zeigen.
Das Geschäft liegt ganz feudal etwas abseits der Hauptstraße am Diani-Beach. Mit dem Auto sind es fünfzehn Minuten von zu Hause. Im Gebäude ist bereits ein riesiger, indischer Souvenirshop und gegenüber ein neu eröffnetes Chinarestaurant, der Rest steht leer. Da das Ganze treppenförmig angelegt ist, sieht man von der Straße den Laden nicht. Trotzdem ergreife ich diese Möglichkeit, obwohl es nur etwa 60 Quadratmeter sind. Der Raum ist absolut kahl, und Lketinga versteht nicht, warum ich soviel Geld für einen leeren Laden ausgebe. Er geht weiterhin zu den Touristenaufführungen, doch das erwirtschaftete Geld verschwindet beim anschließenden Bier- oder Miraakonsum, was zu unschönen Auseinandersetzungen führt.
Während Einheimische nach meinen Plänen die Holzgestelle bauen, organisiere ich mit James in Ukunda Holzpfähle und bringe sie mit dem Wagen zum Shop.
Tagsüber arbeiten wir wie die Wilden, während mein Mann mit anderen Kriegern in Ukunda herumhängt.
Am Abend koche und wasche ich meistens noch, und wenn Napirai schläft, unterhalte ich mich mit Priscil a. Lketinga nimmt bei Anbruch der Nacht den Wagen und fährt die Krieger zu den verschiedenen Aufführungsplätzen. Mir ist dabei nicht wohl, weil er keinen Führerschein hat und außerdem Bier trinkt. Wenn er nachts wieder erscheint, weckt er mich und will wissen, mit wem ich mich unterhalten habe.
Sind nebenan schon einige Krieger zu Hause, ist er überzeugt, daß ich mit ihnen gesprochen habe. Ich warne ihn eindringlich, er sol e nicht wieder al es kaputt machen mit seiner Eifersucht. Auch James versucht, ihn zu beruhigen.
Endlich ist Sophia zurück. Es ist eine große Wiedersehensfreude. Sie kann kaum glauben, daß wir bereits dabei sind, ein Geschäft aufzubauen. Sie ist schon seit fünf Monaten hier und hat ihr Caféhaus immer noch nicht eröffnet. Allerdings wird meine Euphorie gebremst, als sie mir von all der Bürokratie, die auf mich zukommt, erzählt.
Im Gegensatz zu uns wohnt sie komfortabel. Fast täglich sehen wir uns kurz, was meinem Mann eines Tages nicht mehr gefäl t. Er versteht nicht, was wir uns mitzuteilen haben, und nimmt an, ich erzähle von ihm. Sophia versucht ihn zu beruhigen und schlägt ihm vor, er solle doch weniger Bier trinken.
Seit dem Mietabschluß für den Shop sind vierzehn Tage vergangen, und die Einrichtung steht bereits. Ich möchte Ende des Monats eröffnen, und wir müssen die Verkaufslizenz und meine Arbeitsbewilligung beantragen. Die Lizenz erhält man in Kwale, weiß Sophia, die sich mit uns und ihrem Freund auf den Weg macht. Wieder heißt es Formulare ausfül en und warten. Zuerst wird Sophia aufgerufen und verschwindet mit ihrem Begleiter im Office. Nach fünf Minuten sind beide wieder draußen. Es hat nicht geklappt, weil sie nicht verheiratet sind. Bei uns sieht es nicht besser aus, was ich nicht glauben will. Doch der Officer meint, ohne Arbeitsbewil igung gibt es keine Lizenz, es sei denn, ich überschreibe bei einem Notar alles meinem Mann. Außerdem müsse auch der Name des Shops zuerst in Nairobi registriert werden.
Wie ich diese Stadt mittlerweile hasse! Und nun müssen wir schon wieder dorthin.
Als wir enttäuscht und ratlos zum Wagen marschieren, kommt uns der Officer nach und meint, ohne Lizenz gäbe es auch keine Arbeitsbewilligung. Aber vielleicht könne man Nairobi irgendwie umgehen, wenn er darüber nachdenke. Er sei um 16 Uhr in Ukunda, dann könne er uns bei Sophia besuchen. Natürlich ist uns allen sofort klar, worum es geht: Schmiergeld! Mir steigt die Gal e hoch, aber Sophia bekundet sofort ihre Bereitschaft, auf diesem Weg die Lizenz zu bekommen. Wir warten bei ihr zu Hause, und ich bin stinksauer, daß ich nicht allein mit Lketinga nach Kwale gefahren bin. In der Tat erscheint der Typ und schleicht sich unauffällig ins Haus. Er kommt umständlich zur Sache und sagt, morgen sei die Lizenz bereit, sofern jede von uns 5
000 Schillinge in einem Kuvert mitbringt. Sophia willigt sofort ein, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ebenfal s zu nicken.
Nun erhalten wir ohne Probleme die Lizenz. Der erste Schritt ist getan. Mein Mann könnte bereits verkaufen, doch ich darf mich nur im Laden aufhalten und nicht einmal ein Verkaufsgespräch führen. Ich weiß, daß es so nicht geht, und überrede meinen Mann, mit mir nach Nairobi zu fahren, um die Arbeitsbewilligung sowie den Namen des Geschäftes zu beantragen. Wir taufen den Laden auf „Sidais-Massai-Shop“, was zu großen Diskussionen mit Lketinga führt. Sidai ist sein zweiter Name. Aber Massai wil er nicht anschreiben. Da aber die Lizenz nunmal ausgestellt ist, gibt es kein Zurück mehr.
Im zuständigen Amt in Nairobi werden wir nach mehreren Stunden Wartezeit aufgefordert mitzukommen. Ich weiß, daß es um sehr viel geht und mache dies meinem Mann eindringlich klar. Einmal ein Nein bleibt ein Nein. Wir werden ausgefragt, warum und wieso ich eine Arbeitserlaubnis brauche. Mühsam erkläre ich der Sachbearbeiterin, daß wir eine Familie sind, und da mein Mann keine Schule besucht hat, bleibe mir nichts anderes übrig, als zu arbeiten. Dieses Argument sieht sie ein. Aber ich habe zu wenig Devisen gebracht, und mir fehlen fast 20000
Franken, um zusammen mit der vorgezeigten Lizenz die Bewilligung zu bekommen.
Ich verspreche, dieses Geld aus der Schweiz einzuführen und mich wieder zu melden. Vol er Hoffnung verlasse ich das Office. Geld brauche ich nun sowieso, damit ich Ware einkaufen kann. Erschöpft begeben wir uns auf die weite Heimreise.
Als wir todmüde zu Hause eintreffen, sind einige Krieger daheim und präparieren Speere für den Verkauf. Edy ist auch dabei. Wir freuen uns sehr, uns nach so langer Zeit wiederzusehen. Während wir uns über früher unterhalten, krabbelt Napirai freudig auf ihn zu.
Da es schon spät ist und ich müde bin, erlaube ich mir, Edy für morgen zum Tee einzuladen. Schließlich war er es, der mir damals, als ich verzweifelt Lketinga suchte, geholfen hat.
Kaum sind die Krieger weg, fängt mein Mann an, mich mit Vorwürfen und Vermutungen über Edy zu quälen. Unter anderem wisse er nun, warum ich drei Monate allein in Mombasa war und ihn nicht vorher gesucht habe. Es ist unglaublich, was er mir unterstellt, und ich will einfach weg, damit ich diese häßlichen Anschuldigungen nicht ertragen muß. Ich packe meine schlafende Napirai auf den Rücken und laufe in die dunkle Nacht hinaus.
Ziel os streife ich durch die Gegend und stehe auf einmal vor dem Africa-Sea-Lodge-Hotel. Da überkommt mich das Bedürfnis, meine Mutter anzurufen, um ihr zum ersten Mal mitzuteilen, wie es um unsere Ehe steht. Schluchzend erzähle ich meiner überraschten Mutter einen Teil meines Elends. In so kurzer Zeit einen Rat zu geben ist schwierig, und so bitte ich sie, zu veranlassen, daß jemand von unserer Familie nach Kenia kommt. Ich brauche einen vernünftigen Rat und seelische Unterstützung, und vielleicht hilft es auch Lketinga, mir endlich mehr zu vertrauen.
Wir vereinbaren, morgen um dieselbe Zeit wieder zu telefonieren. Nach dem Gespräch geht es mir besser, und ich stolpere zu unserem Häuschen zurück.
Mein Mann ist natürlich noch streitsüchtiger geworden und wil wissen, woher ich komme. Als ich ihm von meinem Telefongespräch und dem anstehenden Besuch eines Familienmitglieds erzähle, wird er sofort ruhig.
Zu meiner Erleichterung erfahre ich am nächsten Abend, daß mein ältester Bruder bereit ist zu kommen. Er wird bereits in einer Woche mit meinem benötigten Geld hier sein.
Lketinga ist gespannt, noch jemanden von meiner Familie kennenzulernen. Da es mein ältester Bruder ist, hat er schon jetzt Respekt und behandelt mich freundlicher.
Als Geschenk näht er ihm ein Massai-Armband mit seinem Vornamen aus bunten Glasperlen. Irgendwie rührt es mich, wie wichtig dieser Besuch für ihn und James ist.
Mein Bruder Marc ist im Hotel „Two Fishes“
eingetroffen. Die Freude ist al gemein groß, obwohl er nur eine Woche bleiben kann. Er lädt uns oft zum Essen ins Hotel ein. Es ist herrlich, obwohl ich nicht an seine Rechnungen denken darf. Natürlich erlebt er meinen Mann von der besten Seite. In dieser Woche geht er nie weg, um Bier oder Miraa zu konsumieren, und weicht meinem Bruder nicht von der Seite. Als Marc uns zu Hause besucht, staunt er, wie seine früher so elegante Schwester haust. Doch vom Shop ist er begeistert und gibt mir noch ein paar gute Tips. Die Woche ist viel zu schnell vorbei, und am letzten Abend spricht er ausführlich mit meinem Mann. James übersetzt ihm jedes Wort. Als er ehrfürchtig und kleinlaut verspricht, mich nicht mehr mit seiner Eifersucht zu quälen, sind wir überzeugt, daß dieser Besuch ein vol er Erfolg war.
Auch James muß zwei Tage später nach Hause. So begleiten wir ihn nach Nairobi und gehen wegen der Arbeitsbewilligung nochmals ins Nyayo-Gebäude. Die Stimmung unter uns ist gut, und deshalb bin ich sicher, daß es gelingen wird. Der Name ist registriert worden, und wir haben alle Papiere beisammen. Wieder sind wir im Office und stehen derselben Dame gegenüber wie vor zweieinhalb Wochen. Als sie das eingeführte Geld sieht, ist alles klar. Ich bekomme meine Arbeitserlaubnis.
Dafür streicht sie mir die Niederlassung, die ich die nächsten zwei Jahre nicht benötige. Bis dahin muß ich den Namen meines Mannes im Paß führen und Napirai einen kenianischen Ausweis haben. Mir ist das gleichgültig, Hauptsache ich habe meine Arbeitserlaubnis für die nächsten zwei Jahre. Viele warten jahrelang auf diesen Stempel, der mich al erdings 2000 Franken kostet.
In Nairobi gehen wir auf den Massai-Markt und kaufen gleich groß ein. Jetzt kann das Geschäft losgehen. In Mombasa suche ich Fabriken, wo ich Schmuck, Masken, T-Shirts, Kangas, Taschen und andere Waren günstig bekomme. Mein Mann begleitet mich meistens mit Napirai. Mit den Preisen ist er selten einverstanden.
Sophia ist überrascht, als sie meinen Laden besichtigt. Nach nur fünf Wochen an der Küste steht alles, inklusive Arbeitsbewil igung. Bei ihr hat es leider noch nicht geklappt.
Ich lasse 5000 Flugblätter drucken, auf denen ich uns vorstelle. Auch eine Wegbeschreibung ist angegeben. Angesprochen sind hauptsächlich Deutsche und Schweizer. In fast al en Hotels darf ich sie an der Rezeption auflegen. In den zwei größten Hotels miete ich zusätzlich Vitrinen, um Ware auszustellen. Natürlich hänge ich noch ein ungewöhnliches Hochzeitsbild dazu. Nun sind wir bereit.
Morgens um neun eröffnen wir das Geschäft. Für Napirai nehme ich Omelett und Bananen mit. Es ist sehr ruhig, nur zwei Personen erscheinen kurz im Laden. Mittags ist es sehr heiß, und kein Tourist kommt die Straße entlang. Wir gehen in Ukunda essen und öffnen um zwei Uhr wieder. Ab und zu laufen auf der Hauptstraße Touristen zu dem weiter unten gelegenen Supermarkt, unser Geschäft bemerken sie nicht.
Am Nachmittag kommt endlich eine Gruppe Schweizer mit dem Flugblatt in den Händen. Freudig unterhalte ich mich mit ihnen, und sie wollen natürlich vieles wissen. Fast jeder kauft etwas. Für den ersten Tag bin ich zufrieden, obwohl mir klar ist, daß wir die Leute noch besser auf uns aufmerksam machen müssen. Am zweiten Tag schlage ich meinem Mann vor, sobald Weiße des Weges kommen, ihnen einen Zettel in die Hand zu drücken. Bei ihm schaut jeder sofort hin. Tatsächlich, es gelingt.
Der Inder nebenan versteht die Welt nicht mehr, als alle Touristen bei ihm vorbeilaufen und zu uns in den Shop kommen.
Heute, am zweiten Tag, haben wir schon gut verkauft. Allerdings ist es manchmal schwierig mit Napirai, falls sie nicht gerade schläft. Ich habe für sie eine kleine Matratze unter den T-Shirt-Ständer gelegt, wo sie ruhig schlafen kann. Da ich aber immer noch stil e, kommt es vor, daß gerade dann Touristen erscheinen, mit denen ich mich beschäftigen muß. Die Unterbrechung gefällt ihr gar nicht, und sie macht sich lautstark bemerkbar. So beschließen wir, ein Kindermädchen zu engagieren, das täglich im Shop ist. Lketinga findet eine junge Frau, ungefähr sechzehnjährig, die die Ehefrau eines Massai ist. Sie gefällt mir auf Anhieb, da sie in traditionellen Massai-Kleidern und schön geschmückt erscheint. Sie paßt zu Napirai und zu unserem Massai-Shop. Täglich nehmen wir sie im Wagen mit und laden sie abends bei ihrem Mann zu Hause ab.
Nun ist unser Geschäft schon eine Woche geöffnet, und der Umsatz steigt von Tag zu Tag. Doch damit wird es notwendig, Nachschub in Mombasa zu organisieren.
Dabei stellt sich ein neues Problem. Lketinga kann nicht den ganzen Tag al ein verkaufen, weil manchmal bis zu zehn Personen im Laden stehen. Deshalb brauchen wir noch eine Verkaufskraft, die meinen Mann oder mich während der Abwesenheit des anderen unterstützt. Es muß aber eine Person aus unserem Vil age sein, da mein Mann in etwa drei Wochen nach Hause fährt, um der Beschneidungszeremonie seines Bruders James beizuwohnen. Auch ich als Familienmitglied sol te eigentlich fahren und hatte große Mühe, ihm beizubringen, daß ich den Laden nicht so kurz nach der Eröffnung wieder schließen kann. Erst als meine jüngere Schwester Sabine genau für diese Zeit ihren Besuch ankündigt, akzeptiert er es. Ich bin heilfroh über ihre Nachricht, denn mich hätten keine zehn Pferde nach Barsaloi gebracht.
Lketinga kann nun keinen Einwand mehr vorbringen und will im Gegenteil versuchen, rechtzeitig zurück zu sein, um sie noch vor ihrer Abreise kennenlernen zu können. Aber noch ist es nicht soweit. Erst muß eine Mithilfe im Laden gefunden werden. Ich schlage meinem Mann Priscilla vor, doch er ist sofort dagegen. Er traut ihr überhaupt nicht. Empört erwähne ich, was sie al es für uns getan hat. Aber er ist nicht umzustimmen. Statt dessen bringt er eines Abends einen Massai-Boy mit.
Dieser stammt aus dem Massai-Mara und hat früher die Schule besucht. Folglich trägt er Jeans und Hemd. Es stört mich nicht, denn er macht einen ehrlichen Eindruck. Ich bin einverstanden, und William wird unser neuer Mitarbeiter.
Endlich kann ich Nachschub an T-Shirts und Schnitzereien organisieren, während die beiden den Laden hüten. Das Kindermädchen begleitet mich mit Napirai. Es ist anstrengend, von einem Händler zum nächsten zu fahren, die Ware auszusuchen und zu handeln. Gegen Mittag bin ich zurück. Lketinga hängt an der Bar im Chinarestaurant und trinkt teures Bier. Wil iam steht im Laden. Ich frage nach, wie viele Leute hier waren. Leider nicht viele, nur ein Massai-Schmuck wurde verkauft.
Alle Touristen laufen oben an der Straße vorbei. Irritiert frage ich weiter, ob denn Lketinga nicht unseren Prospekt verteilt habe. Wil iam schüttelt den Kopf und erklärt, daß er fast die ganze Zeit an der Bar Bier getrunken habe. Er habe dafür das Stockgeld aus der Kasse genommen. Darüber bin ich ärgerlich. Er schlendert gerade in den Shop, und ich rieche seine Bierfahne.
Natürlich entsteht Streit, der damit endet, daß er den Wagen nimmt und verschwindet. Ich bin enttäuscht. Jetzt haben wir einen Angestel ten und ein Kindermädchen, und mein Mann versäuft das Geld.
Mit William räume ich die neuen Waren ein. Sobald wir Weiße sehen, springt er zur Straße und gibt einen Prospekt ab. Fast jeden bringt er in den Laden, und als gegen halb sechs Lketinga erscheint, ist der Laden voll, und wir führen angeregte Verkaufsgespräche. Natürlich werde ich nach meinem Mann gefragt und stelle ihn vor. Doch er schaut starr an den interessierten Touristen vorbei. Statt dessen will er wissen, was wir schon verkauft haben und zu welchem Preis. Sein Benehmen ist mir mehr als unangenehm.
Ein Schweizer kauft für seine zwei Töchter einiges an Schmuck und eine geschnitzte Maske. Ein gutes Geschäft! Bevor er geht, fragt er uns, ob er ein Foto von meinem Mann und mir mit Napirai machen darf. Natürlich bin ich einverstanden, weil er sehr viel Geld bei uns ausgegeben hat. Mein Mann jedoch erklärt, nur gegen Bezahlung dürfe er uns fotografieren. Der nette Schweizer ist irritiert, und ich bin beschämt. Er macht zwei Bilder und gibt Lketinga tatsächlich 10 Schil inge. Als er außer Hörweite ist, versuche ich Lketinga klarzumachen, warum man bei Kunden für Fotos nichts verlangen darf. Er kapiert es nicht, sondern wirft mir vor, immer, wenn er Geld verdienen wolle, hätte ich etwas einzuwenden. Jeder Massai verlange Geld für Bilder, warum solle er nichts bekommen. Seine Augen funkeln mich böse an. Müde erwidere ich, daß die anderen aber keinen Shop haben wie wir.
Als neue Kundschaft erscheint, reiße ich mich zusammen und bemühe mich, zuvorkommend zu sein. Mißtrauisch beobachtet mein Mann die Kunden, und kaum faßt einer die Ware an, besteht er darauf, daß sie auch gekauft wird. Geschickt versucht William mit seiner ruhigen Art, die Kunden von Lketinga wegzulocken, um die Situation zu retten.
Zehn Tage nach der Eröffnung haben wir bereits die Ladenmiete hereingeholt. Ich bin stolz auf mich und William. Die meisten Touristen bringen am nächsten Tag neue Leute aus ihrem Hotel mit, und so spricht sich unser Laden herum, weil auch die Preise niedriger sind als in den Hotelboutiquen. Alle drei bis vier Tage muß ich nach Mombasa, um Nachschub zu organisieren.
Da viel nach Goldschmuck gefragt wird, suche ich eine geeignete Vitrine. Es ist nicht so einfach, doch zu guter Letzt finde ich eine Werkstatt, die sie nach Maß anfertigt. Eine Woche später kann ich sie abholen. Für diesen Zweck nehme ich alle Wolldecken mit und parke direkt vor der Werkstatt. Vier Männer bringen die schwere Glasvitrine zum Wagen. Meine Wolldecken sind in den zehn Minuten gestohlen worden, obwohl ich den Wagen verschlossen hatte. Auf der Fahrerseite ist das Schloß aufgebrochen. Der Ladenbesitzer leiht mir alte Säcke und Kartons, damit ich wenigstens den Wagenboden etwas polstern kann. Der Verlust meiner Schweizer Decken ärgert mich sehr. Auch Lketinga wird betrübt sein, daß seine rote Decke verschwunden ist. Enttäuscht fahre ich zurück zur Südküste.
Im Laden ist nur Wil iam, der mir vergnügt entgegenkommt und erzählt, er habe für 800 Schillinge Ware verkauft. Ich freue mich mit ihm. Da wir die Vitrine nicht ausladen können, geht er zum Strand, um Freunde zu suchen, die uns helfen. Nach einer halben Stunde erscheint er mit drei Massai, die vorsichtig die schwere Vitrine ausladen und aufstellen. Zum Dank gebe ich al en ein Soda und jedem 10 Schillinge.
Ich räume die Vitrine mit Modeschmuck ein, während die anderen vor dem Shop zusammen mit dem Kindermädchen und Napirai ihre Sodas trinken.
Wie immer, wenn eine Arbeit getan ist, erscheint auch mein Mann. In seiner Begleitung ist der Ehemann unseres Kindermädchens. Böse herrscht er seine junge Frau an, und ich sehe die fremden Massai abziehen. Erschrocken frage ich, was los ist, und erfahre von William, der Ehemann wolle nicht, daß seine Frau mit anderen Männern zusammensitzt. Wenn er sie nochmals erwischt, darf sie nicht mehr hier arbeiten. Leider darf ich mich nicht einmischen und muß froh sein, daß nicht auch Lketinga zu schimpfen beginnt. Über den Ehemann des Mädchens bin ich entsetzt, und sie tut mir leid, denn sie steht mit gesenktem Kopf etwas abseits.
Gott sei Dank kommen Kunden, und Wil iam stürzt sich mit Eifer auf sie. Nachdem ich aus dem Gespräch höre, daß es Schweizer sind, spreche ich sie an. Sie sind aus Biel. Neugierig möchte ich etwas aus meiner Heimatstadt erfahren. Wir unterhalten uns, und nach einer Weile wollen sie mich auf ein Bier an der China-Bar einladen.
Ich frage Lketinga, ob er einverstanden ist. „Why not, Corinne, no problem, if you know these people“,
erklärt er großzügig. Natürlich kenne ich das Pärchen nicht, das etwa in meinem Alter ist und vielleicht ehemalige Freunde von mir kennt.
Wir bleiben eine Stunde an der Bar, ehe wir uns verabschieden. Kaum bin ich zurück, fängt die Fragerei wieder an. Woher ich diese Leute kenne? Warum ich mit dem Mann soviel gelacht habe? Ob er ein Freund von Marco sei oder gar einmal mein Freund war? Fragen über Fragen und immer: „Corinne, you can tell me. I know, no problem, now this man has another lady. Please tell me, before you come to Kenya, maybe you sleep with him?“
Ich kann es nicht mehr hören und halte mir die Ohren zu, während mir die Tränen über das Gesicht rol en. Vor Wut könnte ich ihn nur noch anschreien.
Endlich ist Feierabend, und wir gehen nach Hause. Natürlich hat Wil iam al es mitangehört und es Priscil a erzählt. Jedenfalls kommt sie zu uns und fragt, ob wir Probleme haben. Ich kann es nicht für mich behalten und berichte ihr von dem Vorfall. Sie versucht, Lketinga ins Gewissen zu reden, und ich gehe mit Napirai schlafen. In zwei Wochen kommt meine Schwester und, wenn ich Glück habe, ist mein Mann nicht mehr hier. Die Streitereien nehmen zu, und von den guten Vorsätzen nach dem Besuch meines Bruders ist nichts mehr zu spüren.
Jeden Morgen stehe ich um sieben auf, um bis neun Uhr im Geschäft zu sein. Nun kommen fast täglich Vertreter, die Schnitzereien oder Goldschmuck anbieten. Diese Art von Nachschubbeschaffung ist eine große Erleichterung. Ich kann sie jedoch nur nutzen, wenn Lketinga nicht im Laden ist, denn er benimmt sich unmöglich. Jeder Vertreter spricht zuerst mich an, und das erträgt mein Mann überhaupt nicht. Er schickt sie fort und meint, sie sollen wiederkommen, wenn sie wissen, wem das Geschäft gehört, schließlich sei hier Sidais-Massai-Shop angeschrieben.
William hingegen ist eine echte Hilfe. Er schleicht sich davon und sagt den Vertretern, sie sollten wiederkommen, wenn mein Mann nachmittags in Ukunda ist.
So verstreicht noch eine ganze Woche, bis er endlich nach Hause fährt. Er wil in drei Wochen zurück sein, so daß er Sabine während ihrer letzten Ferienwoche kennenlernen kann.
Jeden Tag fahren William und ich zusammen ins Geschäft. Das Kindermädchen ist meistens schon da, oder wir treffen sie auf dem Weg zum Shop. Mittlerweile kommen bereits morgens mehrere Touristen. Oft sind es Italiener, Amerikaner, Engländer oder Deutsche. Es gefäl t mir gut, mich mit allen so unbekümmert unterhalten zu können. Wil iam springt ohne Aufforderung zur Straße, und dieses Locken funktioniert immer besser. Es gibt Tage, an denen wir unter anderem bis zu drei Goldkettchen mit dem Keniawappen verkaufen. Ein Händler besucht uns wöchentlich zweimal, so daß ich auch Kundenwünsche weitergeben kann.
Mittags schließen wir regelmäßig für eineinhalb Stunden und gehen zu Sophia.
Sorglos kann ich nun bei ihr Spaghetti und Salat essen. Ihr Restaurant ist seit kurzem eröffnet, obwohl sie selbst immer noch nicht arbeiten darf. Sie freut sich jedesmal, wenn unsere Mädchen zusammen spielen. Natürlich bezahle ich auch das Essen von William, weil es fast die Hälfte seines Monatsgehaltes ausmacht. Als er das zum ersten Mal bemerkt, wil er nicht mehr mitkommen. Aber ohne ihn könnte ich mit Napirai nicht hinfahren. Da er so eifrig arbeitet, lade ich ihn gerne ein.
Das Kindermädchen geht zum Essen täglich nach Hause. Inzwischen nehme ich so viel ein, daß ich jeden Mittag Geld zur Bank bringen muß. Autoprobleme gibt es auch keine mehr. Einmal die Woche fahre ich nach Mombasa und kaufe ein, den Rest beziehe ich von fahrenden Händlern. Ich fühle mich wohl als Geschäftsfrau. Es sind die ersten harmonischen Tage im Shop.
In der zweiten Augustwoche trifft Sabine im Africa-Sea-Lodge ein. Am Tag ihrer Ankunft gehe ich mit Priscilla und Napirai zum Hotel, während Wil iam den Laden versorgt. Die Wiedersehensfreude ist groß. Es sind ihre ersten Ferien auf einem anderen Kontinent. Leider habe ich nicht viel Zeit, da ich bald wieder im Geschäft sein möchte. Sie liegt sowieso erst mal den ganzen Tag in der Sonne. Am Abend nach Geschäftsschluß verabreden wir uns an der Hotelbar. Ich nehme sie gleich mit zu uns ins Vil age, und auch sie wundert sich, wie wir hausen, obwohl es ihr gefällt.
Nebenan sind einige Krieger zu Hause. Neugierig fragen sie, wer dieses Mädchen ist, und es dauert nicht lange, bis jeder um meine Schwester buhlt. Auch sie scheint von ihnen fasziniert zu sein. Ich warne sie mit guten Ratschlägen und erzähle von meiner Misere mit Lketinga. Sie kann sich das nicht so recht vorstel en und ist enttäuscht, daß er nicht da ist.
Sie will zurück ins Hotel, weil es Abendessen gibt. Ich fahre sie mit dem Wagen hin, und einige Krieger nutzen ebenfal s die Fahrgelegenheit. Vor dem Hotel lade ich alle aus und verabrede mich mit Sabine für morgen abend an der Bar. Während ich losfahre, unterhält sie sich noch mit den Massai. Ich gehe zu Priscil a, um mit ihr zu essen. Jetzt, wo Lketinga nicht da ist, wechseln wir uns mit dem Kochen ab. Sabine erscheint am nächsten Nachmittag überraschend mit Edy im Geschäft. Sie haben sich gestern in der Bush-Baby-Disco kennengelernt. Sie ist erst achtzehn und will das Nachtleben genießen. Mir schwant nichts Gutes beim Anblick der beiden, obwohl ich Edy gut leiden kann. Die meiste Zeit hängen sie am Pool herum, der zur Anlage gehört.
Ich arbeite im Shop und sehe meine Schwester selten, sie ist mit Edy viel unterwegs. Ab und zu treffe ich sie in unserem Vil age zum Chai. Natürlich will sie mit mir in die Disco, doch wegen Napirai geht das nicht. Außerdem gäbe es große Probleme, wenn Lketinga wieder erscheint. Meine Schwester kann mich nicht verstehen, weil ich immer ein so selbständiger Mensch war. Aber sie hat ja meinen Mann noch nicht kennengelernt.