Das Wiedersehen

Nach gut neun Stunden landen wir im Juli 1987 in Mombasa. Uns umgibt dieselbe Hitze, dieselbe Aura. Nur ist mir diesmal alles vertraut, Mombasa, die Fähre und die lange Busfahrt bis zum Hotel.

Ich bin angespannt. Ist er da oder nicht? An der Rezeption ertönt hinter mir ein

„Hello!“ Wir drehen uns um, und da steht er! Er lacht und kommt mir strahlend entgegen. Das halbe Jahr ist wie weggefegt. Ich stupse ihn an und sage: „Jelly, Eric, schaut, das ist er, Lketinga.“ Mein Bruder wühlt verlegen in einer Tasche, meine Freundin Jelly lächelt und begrüßt ihn. Ich stelle sie einander vor. Mehr als einen Händedruck wage ich im Moment nicht.

Im allgemeinen Durcheinander beziehen wir erst einmal unser Häuschen, und Lketinga wartet an der Bar. Endlich kann ich Jel y fragen: „Und, wie findest du ihn?“

Sie antwortet, nach Worten suchend: „Schon etwas speziell, vielleicht muß ich mich erst an ihn gewöhnen, im Moment erscheint er mir etwas fremd und wild.“ Mein Bruder meint gar nichts. Die Begeisterung liegt offensichtlich allein bei mir, denke ich doch etwas enttäuscht.

Ich ziehe mich um und gehe zur Bar. Lketinga sitzt dort mit Edy. Auch ihn begrüße ich freudig, und dann versuchen wir zu erzählen. Von Lketinga erfahre ich, daß er kurz nach seiner Freilassung zu seinem Stamm gegangen und erst vor einer Woche wieder in Mombasa eingetroffen ist. Er hat durch Priscil a die Nachricht von meiner Ankunft erhalten. Es sei eine Ausnahme, daß sie uns im Hotel begrüßen dürften, denn normalerweise gebe es keinen Zutritt für Schwarze, die nicht hier arbeiten.

Mir fällt auf, daß ich ohne Edys Hilfe Lketinga fast nichts erzählen kann. Mein Englisch ist noch in den Anfängen, und auch Lketinga spricht kaum mehr als zehn Wörter. So sitzen wir bisweilen schweigend am Strand und strahlen einander einfach an, während meine Freundin und Eric die meiste Zeit am Pool oder im Zimmer verbringen. Langsam wird es Abend, und ich überlege, wie es weitergehen soll. Im Hotel können wir nicht länger bleiben, und abgesehen von unserem ersten Händedruck ist nicht viel passiert. Es ist schwierig, wenn man ein halbes Jahr auf einen Mann gewartet hat. In Gedanken habe ich mich in dieser Zeit oft in die Arme dieses schönen Mannes geträumt, mir Küsse ausgemalt und die wildesten Nächte vorgestel t. Jetzt, wo er da ist, verspüre ich Angst davor, auch nur seinen braunen Arm zu berühren. So gebe ich mich völ ig dem Glücksgefühl hin, ihn an meiner Seite zu haben.

Eric und Jelly gehen schlafen, sie sind erschöpft von der langen Reise und der schwülen Hitze. Lketinga und ich schlendern zur Bush-Baby-Disco. Ich fühle mich königlich neben meinem „Prinzen“. Wir setzen uns an einen Tisch und schauen den Tanzenden zu. Er lacht ständig. Und weil wir uns kaum unterhalten können, sitzen wir und lauschen der Musik. Durch seine Nähe und die Atmosphäre werde ich kribbelig, und gerne würde ich einmal sein Gesicht streicheln oder gar erfahren, wie es ist, ihn zu küssen. Als endlich langsame Musik ertönt, ergreife ich seine Hände und deute auf die Tanzfläche. Hilflos steht er herum und macht keine Anstalten.

Plötzlich aber liegen wir uns in den Armen und bewegen uns im Rhythmus der Musik. Die Anspannung in mir schwindet. Ich zittere am ganzen Körper, doch diesmal kann ich mich an ihm festhalten. Die Zeit scheint stil zustehen, und langsam erwacht mein Verlangen nach diesem Mann, das ein halbes Jahr geschlummert hatte. Ich wage nicht, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen. Was wird er von mir denken? Ich weiß so wenig von ihm! Erst als sich der Rhythmus der Musik ändert, gehen wir an unseren Platz zurück, und ich merke, daß wir als einzige getanzt haben. Ich glaube zu spüren, wie uns Dutzende von Augenpaaren folgen.

Wir sitzen noch eine Weile zusammen, dann gehen wir. Es ist weit nach Mitternacht, als er mich zum Hotel bringt. Am Eingang schauen wir einander in die Augen, und ich glaube, bei ihm einen veränderten Ausdruck wahrzunehmen. Etwas wie Verwunderung und Erregung erkenne ich in diesen wilden Augen. Endlich wage ich, mich seinem schönen Mund zu nähern, und drücke sanft meine Lippen auf seine. Da spüre ich, daß der ganze Mann erstarrt und mich fast entsetzt anschaut.

„What you do?“ fragt er und tritt einen Schritt zurück. Ernüchtert stehe ich da, verstehe nichts, empfinde Scham, drehe mich um und renne aufgelöst ins Hotel. Im Bett überfäl t mich ein Weinkrampf, die Welt scheint einzustürzen. Mir geht nur eines durch den Kopf: daß ich ihn bis zum Wahnsinn begehre und er sich anscheinend nichts aus mir macht. Irgendwann schlafe ich dennoch ein.

Ich erwache sehr spät, das Frühstück ist längst vorbei. Es ist mir gleichgültig, weil ich absolut keinen Hunger verspüre. So, wie ich momentan ausschaue, wil ich nicht gesehen werden, setze mir eine Sonnenbrille auf und schleiche am Pool vorbei, wo sich mein Bruder wie ein verliebter Hahn mit Jel y tummelt.

Am Strand lege ich mich unter eine Palme und starre in den blauen Himmel. War das alles? frage ich mich. Habe ich mich dermaßen getäuscht in meiner Wahrnehmung? Nein, schreit es in mir, woher hätte ich sonst die Kraft genommen, mich von Marco zu trennen und ein halbes Jahr auf jeglichen sexuel en Kontakt zu verzichten, wenn nicht für diesen Mann.

Plötzlich nehme ich einen Schatten über mir wahr und verspüre eine sanfte Berührung am Arm. Ich öffne die Augen und blicke direkt in das schöne Gesicht dieses Mannes. Er strahlt mich an und sagt wieder nur: „Hel o!“ Ich bin froh, meine Sonnenbril e auf der Nase zu haben. Er schaut mich lange an und scheint mein Gesicht zu studieren. Nach geraumer Zeit fragt er nach Eric und Jel y und erklärt umständlich, daß wir heute nachmittag bei Priscilla zum Tee eingeladen sind. Auf dem Rücken liegend schaue ich in zwei mich sanft und hoffnungsvoll anblickende Augen. Als ich nicht sofort antworte, verändert sich sein Ausdruck, die Augen werden dunkler, ein stolzer Schimmer glänzt in ihnen. Ich kämpfe mit mir und frage dann doch, um welche Zeit wir kommen sol en.

Eric und Jelly sind einverstanden, und so warten wir zur verabredeten Zeit am Hoteleingang. Nach etwa zehn Minuten hält eines der überfüllten Matatus. Zwei lange Beine steigen aus, gefolgt vom langen Körper Lketingas. Er hat Edy mitgebracht. Ich kenne den Weg zu Priscilla noch vom ersten Besuch, mein Bruder allerdings schaut den Affen, die unweit des Weges spielen und essen, skeptisch zu.

Das Wiedersehen mit Priscilla ist sehr herzlich. Sie holt ihren Spirituskocher hervor und bereitet Tee. Während wir warten, diskutieren die drei miteinander, und wir schauen verständnislos zu. Immer wieder wird gelacht, und ich spüre, daß auch über mich gesprochen wird. Nach etwa zwei Stunden brechen wir auf, und Priscilla bietet mir an, jederzeit mit Lketinga hierherkommen zu können.

Obwohl ich für zwei weitere Wochen bezahlt habe, beschließe ich, aus dem Hotel auszuziehen und mich bei Priscilla einzuquartieren. Ich habe genug vom ewigen Disco-Besuch und den Abendessen ohne ihn. Die Hotelleitung warnt mich zwar, daß ich nachher wohl weder Geld noch Kleider besitzen werde. Auch mein Bruder ist mehr als skeptisch, doch hilft er mir, al es in den Busch zu schleppen. Lketinga trägt die große Reisetasche und scheint sich zu freuen.

Priscilla räumt ihre Hütte und zieht zu einer Freundin. Als es draußen finster wird und wir dem Moment des körperlichen Zusammentreffens nicht mehr aus dem Weg gehen können, setze ich mich auf die schmale Pritsche und warte mit klopfendem Herzen auf den lang ersehnten Augenblick. Lketinga setzt sich neben mich, und ich erkenne nur das Weiß in seinen Augen, den Perlmuttknopf auf der Stirn und die weißen Elfenbeinringe in den Ohren. Plötzlich geht al es sehr schnell. Lketinga drückt mich auf die Liege, und schon spüre ich seine erregte Männlichkeit. Noch bevor ich mir im klaren bin, ob mein Körper überhaupt bereit ist, spüre ich einen Schmerz, höre komische Laute, und alles ist vorbei. Ich konnte heulen vor Enttäuschung, ich hatte es mir völlig anders vorgestellt. Erst jetzt wird mir richtig bewußt, daß ich es mit einem Menschen aus einer mir fremden Kultur zu tun habe.

Weiter komme ich mit meinen Überlegungen nicht, denn schon wiederholt sich das Ganze. In dieser Nacht folgen noch weitere Anläufe, und nach dem dritten oder vierten „Beischlaf“ gebe ich es auf, ihn mit Küssen oder anderen Berührungen etwas zu verlängern, denn das scheint Lketinga nicht zu mögen.

Endlich wird es hell, und ich warte darauf, daß Priscil a an die Tür klopft.

Tatsächlich vernehme ich gegen sieben Uhr morgens Stimmen. Ich schaue hinaus und finde vor der Tür ein Becken vol Wasser. Ich hole es herein und wasche mich gründlich, weil ich überall am Körper rote Farbe von Lketingas Bemalung habe.

Er schläft immer noch, als ich mich bei Priscilla melde. Sie hat bereits Tee gekocht und bietet ihn an. Als sie mich fragt, wie ich meine erste Nacht in einer afrikanischen Behausung verbracht habe, sprudelt es aus mir heraus. Sichtlich verlegen hört sie zu und sagt: „Corinne, wir sind nicht wie die Weißen. Geh zurück zu Marco, mach Ferien in Kenia, aber suche keinen Mann fürs Leben.“ Über die Weißen habe sie erfahren, daß sie gut zu den Frauen seien, auch in der Nacht. Massai-Männer seien da anders, so wie ich es gerade erlebt hätte, sei es normal. Massai küssen nicht. Der Mund sei zum Essen da, küssen, und dabei macht sie ein verächtliches Gesicht, sei schrecklich. Ein Mann fasse eine Frau unterhalb des Bauches niemals an, und eine Frau dürfe das Geschlechtsteil eines Mannes nicht berühren. Die Haare und das Gesicht eines Mannes seien ebenfal s tabu. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich begehre einen wunderschönen Mann und darf ihn nicht anfassen.

Erst jetzt fällt mir die Szene mit dem mißglückten Kuß wieder ein und zwingt mich, das Gehörte zu glauben.

Während des Gespräches hat Priscilla mich nicht angesehen, es muß ihr schwer gefallen sein, über dieses Thema zu sprechen. Mir geht vieles durch den Kopf, und ich bezweifle, ob ich al es richtig verstanden habe. Plötzlich steht Lketinga in der Morgensonne. Mit nacktem Oberkörper, seinem roten Hüfttuch und den langen roten Haaren sieht er traumhaft aus. Die Erlebnisse der letzten Nacht rücken in den hintersten Teil meines Gehirns, und ich weiß nur, daß ich diesen Mann will und keinen anderen. Ich liebe ihn, und außerdem ist alles erlernbar, beruhige ich mich.

Später fahren wir mit einem überfüllten Matatu nach Ukunda, das nächste größere Dorf. Dort treffen wir auf weitere Massai, die in einem einheimischen Teehaus sitzen.

Es besteht aus ein paar Brettern, die notdürftig zusammengenagelt sind, einem Dach, einem langen Tisch, sowie ein paar Stühlen. Der Tee wird in einem großen Kübel über dem Feuer gekocht. Als wir uns setzen, werde ich teils neugierig, teils kritisch gemustert. Und wieder wird wild durcheinandergeredet. Es geht eindeutig um mich. Ich mustere al e und stel e fest, daß keiner so gut und so friedlich aussieht wie Lketinga.

Stundenlang sitzen wir da, und mir ist egal, daß ich nichts verstehe. Lketinga ist rührend besorgt um mich. Er bestellt ständig etwas zu trinken und später auch einen Tel er Fleisch. Es sind zerkleinerte Teile einer Ziege, die ich kaum herunterkriege, weil sie noch blutig und sehr zäh sind. Nach drei Stücken würgt es mich, und ich gebe Lketinga zu verstehen, er sol e es essen. Doch weder er noch die anderen Männer nehmen etwas von meinem Teller, obwohl deutlich zu sehen ist, daß sie hungrig sind.

Nach einer halben Stunde stehen sie auf, und Lketinga versucht, mir mit Händen und Füßen etwas zu erklären. Ich verstehe allerdings nur, daß al e essen gehen wollen, ich jedoch nicht mitgehen kann. Ich wil aber unbedingt mitgehen. „No, big problem! You wait here“,

höre ich. Dann sehe ich, wie sie hinter einer Wand verschwinden und kurz darauf auch Berge von Fleisch. Nach einiger Zeit kommt mein Massai zurück. Er scheint den Bauch voll zu haben. Ich begreife immer noch nicht, warum ich hierbleiben mußte, und er meint nur: „You wife, no lucky meat.“

Ich werde am Abend Priscilla danach fragen. Wir verlassen das Teehaus und fahren mit dem Matatu zum Strand zurück. Beim Africa-Sea-Lodge steigen wir aus und beschließen, Jel y und Eric zu besuchen. Am Eingang werden wir angehalten, doch als ich dem Wärter klarmache, daß wir nur meinen Bruder und seine Freundin besuchen, läßt er uns kommentarlos ein. An der Rezeption werde ich vom Manager lachend begrüßt: „So, you will now come back in the hotel?“

Ich verneine und erwähne, daß es mir sehr gut gefäl t im Busch. Er zuckt nur mit den Schultern und meint: „Mal sehen, wie lange noch!“

Wir finden die beiden am Pool. Aufgeregt kommt Eric zu mir: „Wird aber auch Zeit, daß du dich wieder einmal zeigst!“ Ob ich gut geschlafen habe. Über diese Besorgnis muß ich lachen und erwidere: „Sicher habe ich schon komfortabler genächtigt, aber ich bin glücklich!“ Lketinga steht da, lacht und fragt: „Eric, what's the problem?“

Einige badende Weiße starren uns an. Ein paar Frauen laufen auffäl ig langsam an meinem geschmückten und mit neuer Bemalung gefärbten, schönen Massai vorbei und bestaunen ihn unverhohlen. Er seinerseits verschenkt keinen Blick, da es ihn eher geniert, soviel Haut ansehen zu müssen.

Wir bleiben nicht lange, da ich einiges einkaufen möchte, Petroleum, WC-Papier und vor allem eine Taschenlampe. Letzte Nacht blieb es mir erspart, mitten in der Nacht das Busch-WC aufsuchen zu müssen, aber das wird nicht so bleiben. Das WC

befindet sich außerhalb des Dorfes. Man erreicht es über eine halsbrecherische Hühnerleiter etwa zwei Meter über dem Boden. Dort befindet sich aus geflochtenen Palmenblättern eine Art Häuschen mit zwei Fußbodenbrettern und einem größeren Loch in der Mitte.

Wir finden alles in einem kleinen Laden, wo anscheinend auch die Hotelangestel ten ihre Ware beziehen. Jetzt erst merke ich, wie preiswert hier al es ist. Für meine Verhältnisse kostet, außer den Taschenlampen-Batterien, der Einkauf fast nichts.

Ein paar Meter weiter befindet sich eine weitere Bruchbude, wo mit roter Farbe

„Meat“ angeschrieben ist. Lketinga zieht es dorthin. An der Decke hängt ein riesiger Fleischerhaken und daran eine gehäutete Ziege. Lketinga schaut mich fragend an und meint: „Very fresh! You take one kilo for you and Priscilla.“

Mich schüttelt es beim Gedanken, dieses Fleisch essen zu müssen. Trotzdem wil ige ich ein. Der Verkäufer nimmt eine Axt und schlägt dem Tier ein Hinterbein ab, um mit zwei, drei weiteren Schlägen unsere Portion abzutrennen. Der Rest wird wieder an den Haken gehängt. Alles wird in Zeitungspapier gewickelt, und wir ziehen in Richtung Dorf.

Priscilla freut sich riesig über das Fleischgeschenk. Sie kocht uns Chai und holt bei der Nachbarin einen zweiten Kocher. Dann wird das Fleisch zerkleinert, gewaschen und in Salzwasser zwei Stunden gekocht. Inzwischen haben wir unseren Tee getrunken, den ich langsam als angenehm empfinde. Priscilla und Lketinga reden pausenlos. Nach einiger Zeit steht Lketinga auf und sagt, er gehe weg, sei aber bald wieder da. Ich versuche herauszukriegen, was er vorhat, doch er meint nur: „No problem, Corinne, I come back“,

lacht mich an und verschwindet. Ich frage Priscil a, wo er hingeht. Sie meint, so genau wisse sie es nicht, denn einen Massai könne man das nicht fragen, das sei seine Sache, aber sie vermute, nach Ukunda. „Um Gottes willen, was will er denn in Ukunda, von dort kommen wir ja gerade!“ sage ich etwas empört. „Vielleicht wil er noch etwas essen“, erwidert Priscilla. Ich starre auf das siedende Fleisch in dem großen Blechtopf: „Für wen ist dann dies hier?“ „Das ist für uns Frauen“, belehrt sie mich, „Lketinga kann von diesem Fleisch nichts essen. Kein Massai-Krieger ißt jemals etwas, was eine Frau angefaßt oder angeschaut hat. Sie dürfen nicht in Gegenwart von Frauen essen, nur Tee trinken ist erlaubt.“

Mir kommt die merkwürdige Szene in Ukunda in den Sinn, und meine Frage an Priscil a, warum al e hinter der Mauer verschwunden sind, erübrigt sich. Lketinga darf also gar nicht mit mir essen gehen, und ich kann nie etwas für ihn kochen.

Komischerweise erschüttert mich diese Tatsache mehr als der Verzicht auf guten Sex. Als ich mich einigermaßen gefangen habe, wil ich mehr wissen. Wie das sei, wenn zwei verheiratet sind. Auch da enttäuscht mich ihre Antwort. Die Frau ist grundsätzlich bei den Kindern und der Mann in Gesel schaft von anderen Männern seines Standes, also Kriegern, von denen ihm mindestens einer beim Essen Gesellschaft leisten muß. Es gehört sich nicht, al ein eine Mahlzeit einzunehmen.

Ich bin sprachlos. Meine romantischen Phantasien vom gemeinsamen Kochen und Essen im Busch oder in der einfachen Hütte stürzen ein. Ich kann meine Tränen kaum zurückhalten, und Priscilla schaut mich erschrocken an. Dann bricht sie in Gelächter aus, was mich fast wütend macht. Plötzlich fühle ich mich einsam und merke, daß auch Priscil a eine mir fremde, in einer anderen Welt lebende Person ist.

Wo bleibt nur Lketinga? Es ist Nacht geworden, und Priscilla serviert auf zwei zerbeulten Aluminiumtel ern das Fleisch. Inzwischen bin ich richtig hungrig, probiere und bin überrascht, wie weich es ist. Der Geschmack ist allerdings sehr eigenartig und salzig wie Sudfleisch. Wir essen schweigend mit den Händen.

Spät verabschiede ich mich und ziehe mich in Priscil as ehemaliges Häuschen zurück. Ich bin müde, zünde die Petroleumlampe an und lege mich auf das Bett.

Draußen zirpen die Gril en. Meine Gedanken kehren in die Schweiz zurück, zu meiner Mutter, zu meinem Geschäft und dem Bieler Alltag. Wie anders ist hier die Welt! Trotz al er Einfachheit scheinen die Menschen glücklicher zu sein, vielleicht gerade weil sie mit weniger Aufwand leben können. Dies geht mir durch den Kopf, und sofort fühle ich mich wohler.

Plötzlich geht die Holztüre quietschend auf, und Lketinga steht lachend im Türrahmen. Er muß sich bücken, damit er überhaupt eintreten kann. Er schaut sich kurz um und setzt sich zu mir auf die Bettpritsche. „Hello, how are you? You have eat meat?“

fragt er, und so wie er mich fragend und gleichzeitig fürsorglich aushorcht, fühle ich mich gut und empfinde ein großes Verlangen nach ihm. Im Schein der Petroleumlampe sieht er wunderbar aus. Sein Schmuck glänzt, der Oberkörper ist nackt und nur mit den zwei Perlenschnüren verziert. Das Wissen, daß sich unter dem Hüftrock nichts außer Haut befindet, erregt mich sehr. Ich ergreife seine schlanke, kühle Hand und drücke sie fest an mein Gesicht. In diesem Moment fühle ich mich verbunden mit diesem mir im Grunde völlig fremden Menschen und weiß, daß ich ihn liebe. Ich ziehe ihn an mich und spüre sein Körpergewicht auf mir. Ich presse meinen Kopf seitlich an seinen und rieche den wilden Geruch seiner langen roten Haare.

Eine Ewigkeit verharren wir so, und ich merke, wie auch ihn die Erregung überkommt. Es trennt uns nur mein leichtes Sommerkleid, das ich jetzt ausziehe. Er dringt in mich ein, und diesmal spüre ich, wenn auch nur für kurze Zeit, ein ganz neues Glücksgefühl, ohne zum Höhepunkt zu kommen. Ich fühle mich eins mit diesem Menschen und weiß in dieser Nacht, daß ich trotz al er Hindernisse bereits eine Gefangene seiner Welt bin.

Nachts spüre ich ein Ziehen in der Bauchgegend und packe meine Taschenlampe, die ich glücklicherweise am Kopfende deponiert habe. Beim Öffnen der quietschenden Türe hören mich vermutlich al e, denn außer den nimmermüden Grillen ist es still. Ich begebe mich auf den Weg zur „Hühnertoilette“, die letzten Stufen springe ich förmlich und erreiche den Ort gerade noch rechtzeitig. Da sich alles in der Hocke abspielt, zittern meine Knie. Mit letzter Kraft komme ich wieder hoch, fasse die Lampe und klettere zurück über die Hühnerleiter zum Häuschen.

Lketinga schläft friedlich. Ich quetsche mich zwischen ihn und die Wand auf die Pritsche.

Als ich erwache, ist es bereits acht Uhr, und die Sonne brennt kräftig, so daß es im Häuschen stickig heiß ist. Nach dem üblichen Tee und dem Waschritual will ich meine Haare waschen. Aber wie, ohne fließendes Wasser? Wir bekommen unser Wasser in Zwanzig-Liter-Kanistern, die mir Priscilla täglich am nahen Ziehbrunnen auffüllt. Ich versuche, meine Absicht Lketinga mit der Händesprache klarzumachen.

Er ist sofort hilfsbereit: „No problem, I help you!“

Lketinga leert mit einer Konservendose Wasser über meinen Kopf. Dann shampooniert er mir unter großem Gelächter sogar die Haare. Bei soviel Schaum wundert er sich, daß danach noch al e Haare auf dem Kopf sind. Danach wol en wir meinen Bruder und Jelly im Hotel besuchen. Als wir ankommen, sitzen beide genüßlich bei einem üppigen Frühstück. Beim Anblick dieser herrlichen Speisen wird mir bewußt, wie kärglich mein derzeitiges Frühstück ist. Diesmal erzähle ich, und Lketinga sitzt lauschend daneben. Nur als ich meinen nächtlichen Besuch schildere und die zwei sich entgeistert anschauen, fragt er: „What's the problem?“ „No problem“,

entgegne ich lachend, „everything is okay!“

Wir laden die beiden zum Mittagessen bei Priscil a ein. Ich möchte Spaghetti kochen. Sie stimmen zu, und Eric meint, sie würden den Weg schon finden. Uns bleiben zwei Stunden, um Spaghetti und Sauce sowie Zwiebeln und Gewürze aufzutreiben. Lketinga weiß gar nicht, von welchem Essen wir sprechen, meint aber lachend: „Yes, yes, it's okay.“

Wir besteigen ein Matatu und fahren zum nahegelegenen Supermarket, wo wir tatsächlich das Gewünschte finden. Als wir endlich im Dorf ankommen, bleibt mir nur wenig Zeit, um das „Festessen“ zu kochen. Am Boden kauernd bereite ich alles vor.

Priscil a und Lketinga schauen beim Spaghettikochen belustigt zu und meinen: „This is no food!“

Mein Massai-Freund starrt in das kochende Wasser und verfolgt gespannt, wie sich die starren Spaghettistäbchen langsam biegen. Für ihn ist es ein Rätsel, und er bezweifelt, daß das ein Essen wird. Während die Teigwaren garen, öffne ich mit einem Messer die Dose mit der Tomatensauce. Als ich den Inhalt in eine verbeulte Pfanne leere, fragt Lketinga entsetzt: „Is this blood?“

Jetzt bin ich diejenige, die lauthals lachen muß. „Blood? O no, Tomatensauce!“

antworte ich kichernd.

Inzwischen kommen Jelly und Eric schwitzend bei uns an. „Was, du kochst auf dem Boden?“ fragt Jel y überrascht. „Ja, meinst du, wir haben hier eine Küche?“

antworte ich.

Als wir die Spaghetti einzeln mit Gabeln herausfischen, geraten Priscil a und Lketinga völlig aus dem Häuschen. Priscilla holt ihre Nachbarin. Auch diese schaut auf die weißen Spaghetti, dann in den Topf mit der roten Sauce, fragt, auf die Teigwaren zeigend, „Worms?“ und verzieht das Gesicht zur Grimasse. Jetzt müssen wir lachen. Die drei glauben, wir äßen Würmer mit Blut, und rühren das Gericht nicht an. Irgendwie kann ich sie fast verstehen, denn je länger ich in die Schüssel schaue, desto mehr vergeht auch mir bei der Vorstel ung von Blut und Würmern der Appetit.

Beim Abwaschen stoße ich auf das nächste Problem. Es gibt weder Abwaschmittel noch eine Bürste. Priscilla löst diese Aufgabe, indem sie einfach „Omo“ benutzt und mit den Fingernägeln kratzt. Mein Bruder stel t nüchtern fest: „Schwesterherz, für immer sehe ich dich hier noch nicht. Auf jeden Fal benötigst du für deine schönen langen Nägel sicher keine Feile mehr.“ Irgendwie hat er recht. Den beiden bleiben noch zwei Tage Ferien, dann werde ich mit Lketinga al ein sein. An ihrem letzten Abend findet im Hotel wieder ein Massai-Tanz statt. Jelly und Eric haben das im Gegensatz zu mir noch nie erlebt. Lketinga macht auch mit, und wir drei warten gespannt auf den Beginn. Die Massai versammeln sich vor dem Hotel und deponieren dort Speere, Schmuck, Perlengürtel und Stoffe für den späteren Verkauf.

Es sind etwa fünfundzwanzig Krieger, die sich singend einfinden. Ich fühle mich verbunden mit diesen Menschen und bin so stolz auf dieses Volk, als wären alle meine Brüder. Es ist unglaublich, wie elegant sie sich bewegen und welche Aura sie verströmen. Mir schießen Tränen in die Augen bei diesem mir unbekannten Gefühl von Heimat.

Mir scheint, ich habe meine Familie, mein Volk gefunden. Beunruhigt über so viele wild bemalte und geschmückte Massai, raunt Jelly mir zu: „Corinne, bist du sicher, daß dies deine Zukunft ist?“ „Ja“, ist alles, was es für mich zu sagen gibt.

Gegen Mitternacht ist die Vorstellung beendet, und die Massai ziehen ab. Lketinga kommt und zeigt stolz das beim Schmuckverkauf verdiente Geld. Uns scheint es wenig zu sein, für ihn bedeutet es das Überleben für die nächsten Tage. Wir verabschieden uns herzlich, da wir Eric und Jelly nicht mehr sehen werden, denn am frühen Morgen verlassen sie das Hotel. Mein Bruder muß Lketinga versprechen wiederzukommen: „You are my friends now!“

Jel y drückt mich fest und meint weinend, ich sol e auf mich aufpassen, mir alles gut überlegen und in zehn Tagen in der Schweiz erscheinen. Anscheinend traut sie mir nicht.

Wir machen uns auf den Heimweg. Abertausende von Sternen stehen am Himmel, aber es scheint kein Mond. Doch Lketinga kennt den Weg durch den Busch trotz der Dunkelheit bestens. Ich muß mich an seinem Arm festhalten, damit ich ihn nicht aus den Augen verliere. Beim Village erwartet uns in der Finsternis ein kläffender Hund.

Lketinga stößt kurze scharfe Laute aus, und der Köter verzieht sich. Im Häuschen taste ich nach der Taschenlampe. Als ich sie endlich gefunden habe, suche ich Streichhölzer, um unsere Petroleumlampe anzuzünden. Einen kurzen Moment denke ich, wie einfach doch in der Schweiz alles ist. Da gibt es Straßenlampen, elektrisches Licht, und alles funktioniert scheinbar wie von selbst. Ich bin erschöpft und möchte schlafen. Lketinga hingegen kommt von der Arbeit, fühlt sich hungrig und sagt, ich solle ihm noch einen Tee zubereiten. Das hatte ich bis jetzt immer Priscilla überlassen! Im Halbdunkel muß ich zuerst Sprit nachfül en. Als ich das Teepulver anschaue, frage ich: „How much?“

Lketinga lacht und schüttet ein Drittel des Päckchens in das kochende Wasser.

Später kommt Zucker dazu. Aber nicht etwa zwei, drei Löffel, sondern eine volle Tasse. Ich staune und denke, daß man diesen Tee bestimmt nicht mehr trinken kann. Und doch schmeckt er fast so gut wie der von Priscilla. Nun verstehe ich auch, daß Tee durchaus eine Mahlzeit ersetzen kann.

Den nächsten Tag verbringe ich mit Priscilla. Wir wol en Wäsche waschen, und Lketinga beschließt, zur Nordküste zu fahren, um in Erfahrung zu bringen, in welchen Hotels Tanzaufführungen stattfinden. Er fragt nicht, ob ich mitkommen möchte.

Ich gehe mit Priscilla zum Ziehbrunnen und versuche, wie sie einen Zwanzig-Liter-Kanister mit Wasser zum Häuschen zu bringen, was sich als gar nicht so einfach herausstel t. Zum Auffüllen läßt man einen Eimer, der drei Liter faßt, etwa fünf Meter hinunter und zieht ihn nach oben. Dann schöpft man mit einer Blechdose das Wasser heraus und gießt es in die schmale Öffnung des Kanisters, bis dieser voll ist.

Es wird peinlich genau gearbeitet, damit nichts von dem kostbaren Naß verlorengeht.

Als mein Kanister gefül t ist, versuche ich, ihn die 200 Meter bis zur Hütte zu schleppen. Obwohl ich immer glaubte, robust zu sein, schaffe ich es nicht. Priscilla dagegen schwingt ihren Kanister mit zwei, drei Griffen auf den Kopf und marschiert ruhig und locker zur Hütte. Auf halber Strecke kommt sie mir wieder entgegen und bringt auch meinen Kanister nach Hause. Meine Finger schmerzen bereits. Das Ganze wiederholt sich ein paarmal, denn das hiesige Omo erweist sich als sehr schaumig. Die Handwäsche, dazu mit kaltem Wasser, bei schweizerischer Gründlichkeit, macht sich bald an meinen Fingerknöcheln bemerkbar. Nach geraumer Zeit sind sie völlig wundgescheuert, und das Omo-Wasser brennt. Die Fingernägel sind ruiniert. Als ich erschöpft mit schmerzendem Rücken aufhöre, erledigt Priscil a für mich den Rest.

Mittlerweile ist es später Mittag, und gegessen haben wir noch nichts. Was auch?

Im Haus haben wir keine Vorräte, denn sonst würden uns bald Käfer und Mäuse besuchen. Also kaufen wir täglich al es im Shop. Trotz der enormen Hitze machen wir uns auf den Weg. Dies bedeutet eine halbe Stunde Marsch, sofern Priscilla nicht mit jeder entgegenkommenden Person einen ausführlichen Schwatz hält.

Anscheinend ist es hier üblich, jeden mit „Jambo“ anzusprechen, um dann die halbe Familiengeschichte zu erzählen.

Endlich angekommen, kaufen wir Reis und Fleisch, Tomaten, Milch und sogar weiches Brot. Nun müssen wir den langen Weg zurückmarschieren, um anschließend zu kochen. Gegen Abend ist Lketinga immer noch nicht aufgetaucht.

Als ich Priscil a frage, ob sie weiß, wann er wiederkommt, lacht sie und meint: „No, I can't ask this a Massai-man!“

Erschöpft vom ungewohnten Arbeiten in der Hitze lege ich mich in das kühle Häuschen, während Priscil a gemächlich mit dem Kochen beginnt. Wahrscheinlich bin ich deshalb so schlapp, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen habe.

Ich vermisse meinen Massai, ohne ihn ist diese Welt nur halb so interessant und lebenswert. Dann endlich, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, schlendert er elegant auf die Hütte zu, und das bekannte „Hel o, how are you?“

ertönt. Ich antworte etwas beleidigt: „Oh, not so good!“, worauf er sofort erschrocken fragt: „Why?“ Etwas beunruhigt über sein Gesicht beschließe ich, nichts über seine lange Abwesenheit verlauten zu lassen, da dies bei unseren mangelnden Englischkenntnissen nur zu Mißverständnissen führen würde.

So antworte ich auf den Bauch zeigend: „Stomach!“ Er strahlt mich an und meint:

„Maybe baby?“

Ich verneine lachend. Auf diese Idee wäre ich wirklich nicht gekommen, weil ich mit der Pille verhüte, was er nicht weiß und sicher gar nicht kennt.

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