13

Ich beugte mich zu Marcus hinüber. »Steht da was Neues?« raunte ich ihm zu. Ich wollte nicht, daß die Umstehenden mitbekamen, daß ich das Goreanische nicht so perfekt lesen konnte, wie es möglich gewesen wäre.

Gut sichtbar an der linken Tafelseite hatte jemand ein Delka in das Holz eingeritzt. Alle Umstehenden taten so, als sähen sie es nicht.

»Es wurde eine Ausgangssperre angeordnet«, sagte Marcus. »Ab heute abend. Zwischen der achtzehnten und der vierten Ahn sollen die Straßen frei bleiben.«

»Warum denn das?« fragte ich den Mann neben mir.

»Um den Aktionsradius der Deltabrigade zu beschränken«, flüsterte er.

»Gibt es die denn tatsächlich?«

»Seremides glaubt es zumindest.«

Ein Schriftgelehrter steckte auf verschwörerische Weise den Kopf nach vorn. »Ich habe gehört, daß gestern nacht eine Soldatenunterkunft niedergebrannt wurde.«

»Das habe ich auch gehört«, bestätigte Marcus.

»Steht es auf der Tafel?« fragte ich.

»Nein«, sagte er. »Ich glaube nicht.«

»Dann war es bestimmt auch nicht so«, sagte ein Steinmetz grimmig.

»Das Delka wird verboten!« las Marcus vor. »Dort steht es!«

»Interessant«, sagte ich.

»Das ist das erste Mal, daß die Deltabrigade in einem städtischen Dokument erwähnt wird«, sagte der Schriftgelehrte.

Ein anderer Bürger drehte sich um. »Wer gehört eigentlich der Deltabrigade an?« wollte er wissen.

»Wer kann das schon sagen«, sagte der Mann an meiner Seite.

»Es müssen Veteranen des Deltafeldzuges sein«, sagte der Schriftgelehrte.

Der Steinmetz drehte sich um. »Mich hat doch tatsächlich ein Mann gefragt, wo er sich der Brigade anschließen kann«, berichtete er.

»Vermutlich ein Spion«, sagte der Schriftgelehrte.

Dieser Meinung konnte ich mich nur beipflichten, doch ich hielt den Mund.

»Ich habe gehört, daß sie gestern versucht haben, einen Veteran zur Befragung zu verhaften«, sagte der Mann neben mir.

Das wollte ich genauer wissen. »Was ist passiert?«

»Er zog unter dem Umhang ein Schwert hervor.«

»Schwerter sind verboten«, sagte der Steinmetz.

»Zweifellos sind noch immer welche im Umlauf«, erwiderte der Schriftgelehrte.

»Und dann?« fragte ich.

»Er tötete zwei Cosianer und verschwand.«

Der Schriftgelehrte runzelte die Stirn. »Der Versuch, Veteranen Obdach zu gewähren, könnte gefährlich werden.«

»Sie werden ihnen Soldaten auf den Hals hetzen«, meinte der Steinmetz. »Eine Abteilung pro Mann.«

»Vielleicht wäre es besser, wenn sie die Stadt verließen«, gab ich zu bedenken.

»Warum?« fragte der Mann neben mir.

»Sie machen sich verdächtig.«

»In der Stadt gibt es Krieger und Wächter«, sagte der Steinmetz, »die keine Deltaveteranen sind.«

»Das ist wahr«, sagte ich. Genauso wie die Tatsache, daß nicht nur im Delta Blut vergossen worden war. Ich wandte mich an den Mann neben mir. »Kennst du den Namen des Mannes, der die Cosianer getötet hat?«

»Plenius.«

Das war interessant. Ich hatte im Delta einen Plenius kennengelernt. Andererseits war es ein weit verbreiteter Name.

Marcus betrachtete versunken das Delka, das jemand in die Anschlagtafel geritzt hatte.

»Ich glaube nicht, daß ich in der Nähe dieses Delkas angetroffen werden möchte«, sagte ich. »Ein Delka, das so sichtbar auf einer Anschlagtafel angebracht wurde, und das vor so kurzer Zeit.«

»Das ist wohl war«, sagte der Schriftgelehrte.

Die Menge löste sich plötzlich in Windeseile auf.

Marcus betrachtete das Delka noch immer.

»Ich fürchte Repressalien«, sagte er schließlich.

»Noch nicht«, erwiderte ich. »Das stünde im direkten Gegensatz zur fundamentalen Politik der Regierung. Die ganze Täuschung besteht doch darin, daß Cos ein Freund und Verbündeter ist, daß die beiden Staaten trotz der früheren Verfehlungen, die man so großmütig vergeben hat, nun Brüder sind. Diese Haltung ist nicht mit Repressalien in Einklang zu bringen. Es ist eine Sache, Steuern zu erheben und im Namen diverser Rechte und moralischer Prinzipien – die bezeichnenderweise alle im Interesse gewisser Gruppierungen sind – zu beschlagnahmen und zu rauben, aber eine ganz andere, ernste Vergeltungsmaßnahmen gegen eine angeblich verbündete Bürgerschaft anzuordnen.«

»Aber früher oder spät muß Cos die Krallen zeigen, wie du es so schön ausgedrückt hast.«

»Das fürchte ich auch«, sagte ich. »Aber wenn es soweit ist, wirst du hoffentlich mit dem Heimstein von Ar-Station die Stadt schon lange verlassen haben.«

»Und wann fängst du an, an diesem Teil des Plans zu arbeiten?« fragte er.

»Aber das haben wir doch schon!«

Ein Abteilung cosischer Soldaten marschierte vorbei, und ich rief: »Hierher! Hierher!«

Sie eilten über die Straße auf die Tafeln zu.

»Seht euch das an!« sagte ich.

»Wieder ein verfluchtes Delka!« knurrte der Offizier.

»Und auch noch auf einer städtischen Anschlagtafel«, sagte ich.

»Seid ihr schon lange hier?«

»Nein.«

»Habt ihr gesehen, wer das getan hat?«

»Nein.«

»Die Feiglinge sind geflohen«, verkündete der Offizier und blickte sich um.

»Das sind alles Urts«, sagte einer der Untergebenen.

Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist doch bloß ein Delka.«

»Es gibt zu viele davon«, sagte der Offizier.

Der Soldat lachte. »Zu mehr sind sie ja auch nicht imstande.«

Der Offizier sah sich das Delka ganz genau an. »Es wurde schnell eingeritzt, schnell und tief«, sagte er. »Mit Einsatz von Kraft, möglicherweise Haß.«

»Diese Zeichen sind zweifellos das Werk einiger weniger«, meinte der Soldat.

»Aber viele können sie sehen«, sagte der Offizier.

»Es gibt keinen Grund zur Sorge«, sagte der Soldat.

»Ich will, daß diese Tafel durch eine andere ersetzt wird«, befahl der Offizier.

»Sollen wir unsere Runde fortsetzen?« fragte ich ihn. Er nickte knapp. Marcus und ich drehten uns um und gingen die Straße des Zentralzylinders weiter in südliche Richtung entlang.

»Was wird Cos tun?« fragte Marcus.

»Die Stadtmeisterschaften in den Spielen der palestrae finden bald statt.«

»Und?«

»Cos’ Taktik besteht darin, daß alles weitergeht, als wäre nichts geschehen.«

»Ich verstehe.«

»Und in der Zwischenzeit werden die Cosianer ihre Aufmerksamkeit der inneren Sicherheit zuwenden.«

»Der Offizier war nicht erfreut, das Delka zu sehen«, sagte Marcus.

»Glaubst du, er hatte Angst?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen.«

»Es ist eine Sache, sich mit sporadischen Protestaktionen auseinanderzusetzen«, sagte ich. »Aber eine ganze andere, wenn man es mit einem entschlossenen, im geheimen agierenden, organisiertem Feind zu tun hat.«

»Wie die cosischen Propagandaoffiziere, Infiltranten und Spione während des Krieges?« fragte er.

»Genau.«

»Aber es gibt keinen entschlossenen, im geheimen agierenden und organisierten Feind, der Cos herausfordern könnte«, sagte er.

»Ich weiß nicht.«

»Wir sind das jedenfalls mit Sicherheit nicht«, sagte Marcus.

»Nein«, erwiderte ich. »Wir nicht.«

»Ich verstehe nicht.«

»Die Sache liegt möglicherweise nicht mehr in unserer Hand.«

Marcus runzelte die Stirn. »Interessant«, sagte er nachdenklich.

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