24

»Du darfst mir beim Ablegen des Umhangs helfen«, sagte sie zu dem hübschen Sklaven. Sie lächelte. »Deine Hand zittert ja.«

Ich verfolgte alles durch einen der Beobachtungsschlitze. Der ältere der beiden Magistrate, Tolnar von den zweiten Octavii – eine wichtige gens, die aber nichts mit den bekannten Octavii zu tun hat, die man manchmal auch die ersten Octavii nennt –, seines Zeichens stellvertretender Amtsleiter der Registratur, die kürzlich zum größten Teil von einem Feuer vernichtet worden war, stand vor dem anderen Schlitz. Sein Kollege Venlisius, ein kluger junger Mann, der durch Adoption kürzlich Mitglied der Familie Toratti geworden war, stand neben ihm. Venlisius arbeitete in demselben Amt; er war Archon der Urkunden, zuständig für den Metellanischen Bezirk. Beide Magistrate trugen ihre Amtsroben mit den dazugehörigen Stirnbändern. In den Händen hielten sie die Zepter, das Symbol ihres Amtes, in denen den Waffengesetzen von Cos zum Trotz mit Sicherheit Klingen verborgen waren. Es freute mich, daß diese Männer aus dem richtigen Holz geschnitzt waren, um die Gesetze Ars über die cosischen Verordnungen zu stellen.

Ich hatte sie aufgefordert, ihre Leibwächter wegzuschicken, was sie auch getan hatten. Ich rechnete nicht damit, daß man sie brauchen würde. Marcus und ich waren mehr als ausreichend, falls irgendwelche Gewalt nötig werden würde. Darüber hinaus würden sich gewisse Dinge unter Umständen als heikel erweisen, und ich hielt es für angebracht, die Zahl und Art der Zeugen zu beschränken.

»Muß ich meinen Umhang selbst abnehmen?« fragte die Frau.

»Nein, nein, Herrin«, erwiderte der Sklave Milo.

»Herrin?« wiederholte sie. »Anscheinend hast du Respekt gelernt.«

»Ja, Herrin«, sagte er, ließ sich schnell zitternd auf die Knie sinken und senkte den Kopf.

»Das sieht dir gar nicht ähnlich.«

»Verzeih, Herrin.«

»Aber ich finde es schön«, sagte sie. »Und, mein lieber Milo, du siehst gut aus, wenn du kniest.«

»Danke, Herrin.«

»Aber ich verstehe diese neue Demut nicht.«

»Was außer Demut könnte vor einer Person wie dir angebracht sein?«

»Ich glaube«, sagte sie langsam, »wir werden uns ausgezeichnet verstehen.«

Er schwieg und blieb mit gesenktem Kopf knien. Er zitterte am ganzen Leib. Ich konnte es ihm nicht verdenken.

»Es ist fast so, als hätte man dich plötzlich daran erinnert, daß du ein Sklave bist.«

»Ja, Herrin.«

Ich war froh, daß Appanius’ Schläge seine Haut nicht hatten aufplatzen lassen. Es hätte keinen guten Eindruck gemacht, wenn das Blut den Rücken seiner Tunika durchtränkt hätte.

»Interessant«, sagte sie.

»Welcher Mann könnte vor dir kein Sklave sein?«

»Schmeichler!« schalt sie ihn.

Ich mußte lächeln. Er hatte eine schnelle, in Komplimenten geübte Zunge. Er verstand sein Handwerk. Zweifellos war er für Appanius von großem Wert gewesen, in mehr als nur einer Hinsicht. Dann nahm mein Lächeln einen grimmigen Zug an. Wie empfänglich sie doch für seine Komplimente war! Wie wenig sie über sich wußte. Ich fragte mich ernsthaft, vor welchem Mann sie keine Sklavin sein würde.

»Der Umhang«, wiederholte sie gereizt.

Er sprang auf und nahm ihr mit der gebotenen Vorsicht den Kapuzenumhang ab, der sie vom Kopf bis zu den Zehen verhüllte. Er legte ihn auf einem Stuhl ab.

»Deine Wächter warten draußen?« fragte Milo.

»Ich bin allein gekommen«, erwiderte sie. »Du hältst mich doch wohl nicht für eine Närrin?«

»Nein, natürlich nicht.«

Sie schob die aus dünnem Stoff gefertigte innere Kapuze zurück und hakte den Kragen ihres Gewandes auf.

»Du wirst nicht glauben, wie schwierig es war, den Zentralzylinder zu verlassen!« sagte sie. »Es ist fast so, als wäre ich dort eine Gefangene. Seremides ist ja so argwöhnisch! Seine Spione sind überall. Wer kann schon sagen, wer sie sind oder welcher von ihnen mich in diesem Augenblick beobachtet? Wem kann ich vertrauen? Es ist schwierig, ohne eine Eskorte aus Leibwächtern auf die Straße zu gehen. Ich frage mich, wovor sie Angst haben. Das Volk liebt mich.«

»Du bist zu großartig und wunderbar, um ein Risiko einzugehen«, sagte Milo.

»Aber manchmal werde ich der Erhabenheit meiner Person überdrüssig. Es hat den Anschein, als wäre es nie anders gewesen. Vor langer Zeit, als ich noch ein Mädchen war, war es nicht anders, und dann, nach dem Mißverständnis mit meinem geliebten Vater Marlenus, hat man mich von den anderen getrennt, und jetzt, da der Krieg zum beiderseitigen Nutzen von Ar und Cos ein Ende fand und beide Staaten dank der cosischen Gnade und des edlen Lurius von Jad einen Sieg errungen haben – indem wir die Verbündeten unserer früheren Feinde sind, die nun unsere besten Freunde darstellen –, scheint es wieder so zu sein.«

»Die Herrin ist die Ubara«, sagte er. »Befiehl ihnen doch einfach, ihre Fürsorge einzuschränken.«

Sie lächelte. »Aber sicher.«

Milo warf ihr einen überraschten Blick zu.

»Aber ich habe die Wächter abgeschüttelt«, sagte sie. »Es war nicht allzu schwer. Sie sind Männer und dumm.«

»Wie hat die Herrin sie überlistet?«

»Wie dir sicher aufgefallen ist, trug ich einen einfachen Straßenumhang mit einer Kapuze, die ausnahmsweise zugebunden war. Man reichte eine Ausgeherlaubnis für eine vorgebliche Magd aus meinem Gefolge ein, die einen persönlichen Botengang zu erledigen hat, aber in Wirklichkeit war ich es, die an den Wächtern vorbeiging.«

»Man muß die Herrin für ihre Diskretion und Klugheit beglückwünschen.«

Sie lachte. »Wer wird schon den Schleier einer freien Frau entfernen?«

»In der Tat, wer?« sagte Milo ehrfurchtsvoll.

»Und nur die wenigsten kennen die Gesichtszüge ihrer Ubara!«

»Das stimmt, wunderbare Herrin!«

Sie lachte.

»Wie dankbar und demütig muß ich, ein einfacher Sklave, doch sein, daß man mir bei drei Abendessen gestattete, einen Blick auf sie werfen zu dürfen.«

»Du hast gewagt, mich anzusehen?« fragte sie streng.

»Verzeih mir, Herrin!« rief er. »Ich hatte gedacht, daß die Herrin aus diesem Grund den Schleier senkte.«

»Es war warm an diesen Abenden«, sagte sie.

»Natürlich, Herrin.«

»Aber ich hatte schon die Befürchtung, du könntest bei meinem Anblick meinem Zauber verfallen.« Sie griff anmutig nach den Schmucknadeln an der linken Seite des Schleiers und zog sie heraus. Einen Augenblick später hatte sie ihn verführerisch ein Stück gesenkt.

»Ai!« stieß er leise hervor. »Welcher Mann würde nicht dem Zauber einer solchen Schönheit verfallen?«

»Findest du?« Sie lachte erfreut.

»Ja!« erwiderte er. »Bestimmt ist die Herrin die schönste Frau von ganz Gor!«

Ich warf Lavinia einen Blick zu, die links von mir am Boden kniete. Ich hatte den Eindruck, daß ihre Unterlippe zitterte und sich eine Träne in ihrem Augenwinkel bildete.

»Ich fühle mich wie eine Sklavin«, sagte die freie Frau, »die durch die Straßen schleicht, um zu ihrem Rendezvous zu kommen.«

Talena, Ubara von Ar, betrachtete sich in dem Spiegel am anderen Ende des Raums.

»Manchmal beneide ich die bedeutungslosen, versklavten Dirnen«, sagte sie, »die nach Lust und Laune herumlaufen, mit ihren kurzen Röcken und Eisenkragen. Manchmal glaube ich, sie verfügen über mehr Freiheit als ich; dann glaube ich, daß ich, eine freie Frau, die Ubara von Ar, viel eher ein Sklavendasein führe als sie.«

»Das darfst du nicht einmal denken!« sagte Milo.

»Es ist wahr!« sagte sie niedergeschlagen.

Milo schwieg.

Die Ubara betrachtete sich weiter im Spiegel. Ich fragte mich, wie sie sich wohl sah? Sah sie eine launische Frau aus einer hohen Kaste, die so gekleidet war, wie es sich für sie gehörte, oder sah sie sich vielleicht in einer Tunika, so wie Männer sie vermutlich halten würden?

»Wäre ich eine Sklavin, die sich gerade zufällig hier aufhält«, sagte sie, »was, glaubst du, würde man mit mir machen?«

»Die Herrin ist doch keine Sklavin!« rief Milo entsetzt.

»Aber wenn ich eine wäre?«

»Und man dich erwischen würde?«

Talena nickte.

»Die Herrin würde bestraft.«

»Obwohl ich so schön bin?« fragte sie skeptisch.

»Erst recht deshalb!«

»Ach ja?«

»Aber die Herrin ist keine Sklavin!«

»Auspeitschen?«

»Das mindeste, was man mit der Herrin tun würde«, sagte er, »wäre, sie zu entkleiden, zu fesseln und auszupeitschen.«

Talena erschauderte.

»Und ich kann mir nicht vorstellen, daß die Herrin jemals wieder denselben Fehler begehen würde.«

»Vermutlich nicht«, sagte sie.

Ich warf Tolnar am anderen Beobachtungsschlitz einen Blick zu. Er erwiderte ihn und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen im Nebenraum. Ich folgte seinem Beispiel.

Die Ubara bewunderte sich noch immer im Spiegel. »Du findest mich doch attraktiv, oder?« fragte sie.

»Natürlich, Herrin! Du bist mit Sicherheit die schönste Frau von ganz Ar!«

Lavinia sackte zusammen. Eine Träne tropfte zu Boden.

»Und ich bin die Ubara!«

»Ja, Herrin!« erwiderte der Sklave.

»Auch eine Ubara ist eine Frau«, fuhr sie fort, »und ich habe die Bedürfnisse einer Frau.«

»Ja, Herrin.«

Die Ubara fing an, das äußere Gewand Stück für Stück abzulegen, wobei sie gelegentlich immer wieder einen Blick in den Spiegel warf. Als sie die zierlichen Schuhe abgestreift hatte, stand sie barfuß in einem weißen, aus Seide gefertigten und einteiligen hemdartigen Unterrock da, der ihr bis zu den Knien reichte. Sie zog die Nadeln aus ihrem dunklen, wallenden Haar, ließ es herunter, schüttelte den Kopf, nahm es mit beiden Händen und schob es nach hinten. Dann betrachtete sie sich wieder im Spiegel. Ich mußte alle Kraft zusammennehmen, um nicht in den Raum zu stürmen und sie zu packen. Um den Hals trug sie ein Lederband, an dem ein kleiner, verschlossener Lederzylinder baumelte. Ich glaubte genau zu wissen, was er enthielt. Milo würde es nicht wissen, genausowenig wie er den angeblichen Brief der Ubara dabeihaben würde, den in Wirklichkeit Lavinia geschrieben hatte. Vermutlich hatte er ihn vernichtet, da er auf gefährliche Weise kompromittierend sein konnte. Weder die Ubara noch Milo wußten etwas von den Briefen, die sie sich angeblich geschrieben hatten.

»Ich frage mich, ob ich wirklich die schönste Frau auf ganz Gor bin?« sagte Talena und sah in den Spiegel.

»Aber sicher«, sagte Milo.

Lavinia weinte lautlos vor sich hin.

»Und du, Milo«, sagte die Ubara, »bist ein hübscher, starker Kerl.«

»Ich freue mich, daß die Herrin mich nicht abstoßend findet.«

»Du bist bestimmt der attraktivste Mann von ganz Ar!«

»Herrin«, sagte Milo leise und näherte sich ihr.

»Bring mir Wein!« fauchte sie.

Ohne ein Wort zu verlieren, eilte er zu dem kleinen Tisch und goß etwas Wein in ein Glas. Er kehrte zu ihr zurück und kniete nieder. Dann reichte er ihr mit gesenktem Kopf das kleine Glas. Aber sie nahm es nicht entgegen.

»Sieh her«, befahl sie. Er gehorchte. Sie strich mit dem Finger über den kleinen Lederzylinder an ihrem Hals. »Du weißt doch sicher, was hier drin ist.«

Er gab keine Antwort.

Sie öffnete den Behälter und zog das zusammengerollte Blatt Papier etwa einen Hort weit heraus, damit er es sehen konnte. Dann stieß sie es triumphierend zurück und verschloß den Zylinder wieder.

»Du bist ein besserer Schauspieler, als ich gedacht hätte«, sagte sie. Er hatte keine Miene verzogen.

»Du wirst mir gehorchen, in allem, und nicht nur, weil du ein Sklave bist, sondern auch aus diesem Grund.« Sie tippte auf den Zylinder. »Ich habe dich nun in der Hand, mein lieber Milo, auch wenn du nicht mir gehörst. Dieser Brief verleiht mir die nötige Macht über dich. Sollte Seremides oder Myron oder der Hohe Rat ihn zu Gesicht bekommen oder selbst ein einfacher Wächter, kannst du dir sicher vorstellen, wie dein Schicksal aussähe.«

Er blickte sie an.

»Wie dumm es doch von dir war, einen solchen Brief zu schreiben.« Sie lachte. »Aber du bist ein Mann, und Männer sind dumm.«

Milo senkte den Kopf und bot ihr wieder den Wein an. Der Brief hätte ihm sicher nichts gesagt, aber er hatte bestimmt sofort begriffen, daß er eine Rolle in meinem Plan spielte, in den er so tief verstrickt war. Darüber hinaus dürfte ihm zweifellos der Verdacht gekommen sein, daß der Brief, den er erhalten hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht von der Ubara stammte. Es war unwahrscheinlich, daß sie, die sich so offensichtlich der damit verbundenen Gefahr bewußt war, ein solches Schriftstück verfassen würde. In den falschen Händen wäre es zumindest politisch kompromittierend.

Sie ließ ihn das Glas noch einen Moment lang halten, bevor sie es endlich entgegennahm.

Er ließ den Kopf gesenkt und legte die Hände auf die Oberschenkel.

Die Ubara hob das Glas an die Lippen, nahm aber nur einen winzigen Schluck. Zumindest sah es so aus.

»Bring das Glas zurück«, befahl sie. »Dann kommst du zurück und kniest wieder dort nieder.«

Sie ging zum Sofa und beobachtete im Spiegel, wie er das Glas auf dem winzigen Tisch abstellte und sich wieder zu ihr gesellte.

»Du bist das Idol unzähliger Frauen«, sagte Talena, »aber meine Schönheit hat dich besiegt!«

Er schwieg.

»Ich bin es, vor dem du kniest.«

Milo schwieg immer noch.

»Du siehst gut aus, wenn du kniest. Genau so gehört es sich für Männer: vor einer Frau kniend.«

Er hielt krampfhaft den Kopf gesenkt.

»Du darfst aufsehen«, sagte sie. Dann strich sie sich mit einer anmutigen Bewegung die Träger des weißen Seidenunterrocks von den Schultern und ließ ihn fallen. Er blieb um ihre Knöchel herum liegen.

»Ai!« stieß der Sklave leise hervor.

Sie ließ sich geschmeidig rücklings auf das Sofa gleiten und krümmte sich auf seinem Unterteil wie eine Katze zusammen. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen.

»Wage es ja nicht, ohne meine Erlaubnis aufzustehen, Sklave!«

»Ja, Herrin«, antwortete Milo.

Sie lachte leise und musterte ihn von oben bis unten.

»Sag, hast du männliche Bedürfnisse?«

»Ja!«

Sie lachte wieder. »Du darfst aufstehen, schöner Sklave«, sagte sie amüsiert.

»Ja, Herrin.«

»Aber bleib stehen, wo du bist«, fügte sie hinzu.

»Ja, Herrin.«

Sie legte sich auf die Seite und betrachtete ihn. »Du bist wirklich ein hübscher Bursche.«

»Danke, Herrin.«

Sie rollte sich langsam auf den Rücken, streckte sich vor seinen Augen träge und lasziv und genoß die Weichheit der Felle und die angenehmen Gefühle, die ihre Bewegungen in ihr entfachten. Sie blickte gemächlich nach oben. Das Netz entdeckte sie natürlich nicht, da sie erstens nicht danach Ausschau hielt und es zweitens geschickt in der Decke verborgen war.

Ihre Handflächen lagen neben ihren Oberschenkeln und zeigten nach oben. Ihr linkes Bein war angewinkelt.

Der Kragen würde ihr ausgezeichnet stehen.

Sie stöhnte leise.

Dann drehte sie den Kopf und blickte Milo wieder an. »Manchmal fühle ich mich, wie sich meiner Meinung nach eine Sklavin fühlen muß.«

Das verborgene Netz befand sich direkt über ihr.

Milo bewegte sich, so als wollte er einen Schritt auf sie zumachen.

»Komm nicht näher!« warnte sie.

Er blieb steif stehen.

Sie lachte, erhob sich auf Hände und Knie und wandte ihm das Gesicht zu. Dann wich sie auf allen vieren zurück, auf die Sofamitte zu.

»Jetzt darfst du näher kommen!« befahl sie. »Halt, das reicht!«

Er stand am Sofarand.

»Anscheinend ist die Herrin hergekommen, um einen armen Sklaven zu foltern«, sagte er.

Sie legte sich auf die linke Seite, stützte sich auf den linken Ellbogen und zog die Knie an den Körper. Dabei ließ sie ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen.

»Armer Milo«, sagte sie voller Mitleid.

Er gab darauf keine Antwort und senkte den Blick.

»Warum, glaubst du, bin ich gekommen?« fragte sie ihn.

»So wie es aussieht, um einen armen Sklaven zu foltern«, antwortete er.

»Das hätte ich auch im Zentralzylinder tun können.«

»Welchen Grund könnte es sonst geben?« fragte Milo.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Die Herrin ist eine freie Frau und die Ubara.«

»Sieh mich an!« befahl Talena. »Was siehst du?«

»Die Ubara von Ar!«

»Und eine Frau?«

»Ja, Herrin.«

»Du bist ein Mann«, sagte sie versonnen. »Als du dieses Treffen arrangiert hast, hast du dir doch bestimmte Hoffnungen gemacht.«

Er ließ den Kopf hängen.

Plötzlich setzte sie sich auf. »Du schändlicher, arroganter Sklave, du hast deinen Stand vergessen!« zischte sie. »Ich sollte dich in kochendes Öl werfen lassen!«

Milo sagte kein Wort.

Sie ließ sich wieder auf die Seite gleiten. Ihre Bewegungen waren voller Anmut. Sie befeuchtete die vollen Lippen. »Aber ich will gnädig sein.«

»Herrin?«

»Ich bin bereit, dir das außergewöhnliche und unvorstellbare Privileg zu gewähren, dich auf dieses Sofa zu mir zu legen!«

Milo starrte sie an.

»Ja.«

Er räusperte sich. »Das ist zuviel der Ehre.«

»Sei nicht albern.«

»Aber ich bin doch nur ein Sklave.«

»Das weiß ich.«

»Ich habe einen Herrn!«

»Aber natürlich hast du das.«

»Und die Herrin will das aus eigenem, freiem Willen tun?« fragte Milo tonlos.

»Ja.« Sie klopfte auf das Fell neben sich. »Ich lade dich ein, das Lager mit mir zu teilen.«

Milo zögerte.

»Ich liege hier vor dir, ›sklavinnennackt‹, wie es ein vulgärer Mann ausdrücken würde. Willst du etwa deine Zeit vergeuden, lieber Milo?«

»Die Herrin lädt mich auf ihr Lager ein?«

»Ja. Sie lädt dich nicht nur dazu ein, sie wartet darauf!« Sie kniete sich auf das Sofa und hockte sich auf die Fersen.

Ich warf Tolnar, dem Magistraten, einen Blick zu. Er nickte.

»Du darfst näher kommen«, sagte sie und breitete weit die Arme aus. »Komm, schöner Sklave. Komm, leg dich zu mir!«

Ich warf den Hebel herum und löste das Netz aus seiner Verankerung.

Es fiel auf sie herab.

Sie schrie überrascht und ängstlich auf, als sie sich in seinen Maschen verfing. Sie versuchte, auf die Beine zu springen und es sich vom Körper zu reißen, stürzte aber. Milo, der zweifellos darin eine Menge Erfahrung hatte, zog das Netz geschickt zusammen, und im nächsten Augenblick lag Talena hilflos darin verstrickt auf dem Bauch. Beinahe im gleichen Augenblick betrat Marcus das Zimmer, gefolgt von Tolnar und Venlisius. Ich blieb noch einen Moment lang an dem Beobachtungsschlitz stehen. Dann betrat auch ich das Zimmer, gefolgt von Lavinia.

Obwohl sich Talena meiner Anwesenheit bewußt sein mußte, schenkte sie mir in ihrer Verwirrung und ihrer auf Marcus und die Magistrate – die sich vor ihr aufbauten – gerichteten Konzentration keinen weiteren Blick, noch erkannte sie mich etwa. Dann stand ich auch schon hinter ihr, die mit einer Kette verbundenen Hand- und Fußschellen in der Hand. Milo, der seine Arbeit erledigt hatte, trat zur Seite.

»Was hat das zu bedeuten!« kreischte Talena auf dem Bauch liegend und wand sich mit aller Kraft.

Ich zog das Netz enger um ihre Beine. Eine Frau, die in einem Netz auf Fellen liegt, nackt, hilflos, ist sehr verführerisch.

»Sleen! Sleen!« schluchzte sie. Sie hob den Kopf von den Fellen, soweit sie konnte, und starrte die Magistrate in ihren Amtsroben und Stirnbändern an, und die Männer erwiderten ihren Blick. »Ihr Sleen!« brüllte sie. Sie schlugen sie nicht. Talena hatte anscheinend noch nicht begriffen, daß sie zur Sklavin geworden war. »Bindet mich sofort los!« verlangte sie.

»Wie lautete dein Name?« erkundigte sich Tolnar. »Wir möchten ihn für die nötigen Dokumente wissen.«

»Ich bin Talena!« rief sie. »Ich bin Talena, die Ubara von Ar! Runter auf die Knie! Ich bin Talena, Talena! Ich bin eure Ubara!«

»Du kannst natürlich versuchen, deine frühere Identität zu verbergen«, sagte Tolnar. »Im Moment spielt das keine Rolle.«

»Ich bin Talena!« brüllte sie.

»Vielleicht glaubtest du, einen armen Sklaven täuschen zu können«, sagte Tolnar, »aber wir sind freie Männer!«

»Ihr Narren!« Talena schluchzte auf.

»Wie war dein Name?« fragte er erneut.

»Mein Name ist Talena!« sagte sie mit mühsamer Beherrschung. »Ich bin die Ubara von Ar!«

»Du willst uns also Glauben machen, Talena von Ar sei eine sinnliche Dirne, die auf sexuelle Befriedigung aus ist, eine gewöhnliche Schlampe, die sich zu einem derart schamlosen Stelldichein herabließe?«

»Ich bin Talena!« brüllte sie und wand sich in dem Netz. »Laßt mich frei! Ich schreie sonst um Hilfe!«

»Das wäre interessant, solltest du tatsächlich diese Talena sein«, sagte Tolnar. »Du würdest also aller Welt deinen Aufenthaltsort verkünden wollen. Du wärst bereit, nackt und in einem Netz gefangen entdeckt zu werden, vor Magistraten, in einem Zimmer im Metellanischen Bezirk, wo du eben noch im Begriff standest, dich einem Sklaven auf deinem Lager hinzugeben?«

Sie ließ den Kopf wütend auf die Felle fallen. »Ich bin Talena! Laßt mich frei!«

»Was für unsere Arbeit allerdings noch von größerem Interesse wäre«, sagte Tolnar, »ist dein offizieller Status, oder, in diesem Fall, dein einstiger offizieller Status.«

»Ich war und bin eine freie Frau!« verkündete sie.

»Eine Arerin?«

»Ja!« rief sie wütend.

»Das ist die Crux bei der Sache«, sagte Tolnar. Er sah Venlisius fragend an, der sofort nickte.

»Bezweifelst du etwa, daß ich Talena bin?« verlangte sie drohend von Tolnar zu wissen.

»Sicherlich erlaubst du mir, daß ich skeptisch bin«, erwiderte er mit einem Lächeln.

»Aber ich bin es!« kreischte sie. Ihr Blick irrte umher und heftete sich schließlich auf Milo. »Du kennst mich! Du kannst meine Identität bestätigen! Du hast mich im Zentralzylinder gesehen! Genau wie diese Sklavenschlampe da!«

Tolnar wandte sich Lavinia zu. »Steh auf!«

»Bitte, Milo!« flehte die gefangene Schönheit gequält. »Sag die Wahrheit.«

»Wer war sie?« fragte Tolnar den Sklaven.

»Talena, die Ubara von Ar«, antwortete er.

Talena stöhnte erleichtert auf.

Tolnar und Venlisius wechselten erneut einen Blick. Es war offensichtlich, daß sie diese Entwicklung nicht besonders schätzten.

»Und du?« fragte Tolnar jetzt Lavinia, die die von dem Netz gehaltene Gefangene gebannt betrachtete, verstrickt in denselben Maschen, die sie vor Monaten ebenso unentrinnbar gehalten hatten.

»Herr?« fragte sie.

»Wer war sie?«

»Soweit ich weiß, war das Talena von Ar.«

»Was für einen Unterschied macht es denn, wenn sie tatsächlich Talena von Ar ist?« fragte Marcus.

»Du Narr!« Die Gefangene lachte.

»Vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen macht es natürlich keinerlei Unterschied«, gab Tolnar zu.

»Laßt mich sofort frei!« befahl Talena. »Glaubt ihr, ihr hättet es mit einer gewöhnlichen Person zu tun? Glaubt ihr, ihr könntet jemanden, der so wichtig ist wie ich, auf diese Weise behandeln? Ich sorge dafür, daß Seremides euch in kochendes Öl wirft!«

»Ich gehöre zu den zweiten Octavii«, erwiderte Tolnar. »Mein Kollege ist Angehöriger der Familie Toratti.«

»Dann werdet ihr eben geköpft oder gepfählt!«

»Du wärst damit einverstanden, daß wir unsere Pflicht vernachlässigen?« fragte Tolnar. Er war ein echter Goreaner.

»In diesem Fall wäre es besser für dich«, fauchte Talena.

»Das ist schon möglich.«

»Wenn ich das also richtig verstehe, dann geht es hier um das Prinzip, daß die Ubara über dem Gesetz steht«, sagte Marcus nachdenklich.

»Das fragliche Gesetz ist sehr ernst zu nehmen«, sagte Tolnar. »Marlenus, der Ubar aller Ubars, hat es verkündet.«

»Du willst dich doch nicht auf eine Stufe mit dem großen Marlenus stellen?« fragte Venlisius die Frau im Netz.

»Es spielt keine Rolle, wer hier größer ist«, sagte sie. »Ich bin die Ubara!«

»Die Ubara steht über dem Gesetz?« fragte Marcus, der sich für solche Dinge sehr interessierte.

»In gewissem Sinne schon«, antwortete Tolnar, »in dem Sinne, daß sie das Gesetz durch einen Erlaß ändern kann.«

»Aber wenn sie sich entscheidet, das Gesetz nicht zu ändern, ist sie ihm unterworfen«, dachte Marcus laut nach.

»Genau«, erwiderte Tolnar. »Und das ist hier das Problem.«

»Egal, um was für ein Gesetz es sich handelt«, rief Talena, »ich ändere es! Hiermit ändere ich es!«

»Wie kannst du das tun?« fragte Tolnar.

»Ich bin die Ubara!«

Der Magistrat schüttelte den Kopf. »Du warst die Ubara!«

Sie schrie zornig auf.

»Glaubst du, uns liegt etwas an der Frau, die einst Talena war?« fragte Tolnar. »Die Ar verraten hat, die mit dem Feind kollaboriert hat?«

»Laßt mich sofort frei, wenn euch etwas an eurem Leben liegt!« rief sie verzweifelt. »Seremides will, daß ich frei bin! Genau wie Myron und Lurius von Jad!«

Tolnar rieb sich das Kinn. »Aber wir haben einen Eid geschworen, die Gesetze Ars aufrechtzuerhalten.«

»Befreit mich!«

»Du würdest wollen, daß wir unsere Ehre verletzen?« fragte der Magistrat.

»Ich befehle es euch sogar.«

Tolnar lächelte.

»Was gibt es da zu lachen?« fragte Talena.

»Wie kann eine Sklavin einer freien Person befehlen, etwas zu tun?« fragte der Magistrat.

»Eine Sklavin?« brüllte Talena. »Wie kannst du es wagen!«

»Nach dem Lagergesetz des Marlenus von Ar wirst du in die Sklaverei geführt. Jede freie Frau, die sich zum Sklaven eines anderen Mannes aufs Lager begibt oder sich vorbereitet, sich ihm dort hinzugeben, wird selbst zur Sklavin und damit zum Eigentum des Besitzers des Sklaven.«

»Ich, ein Eigentum?« brüllte sie.

Tolnar nickte.

»Das ist doch absurd!«

»Nicht im mindesten«, sagte der Magistrat. »Ich kann dir versichern, daß es völlig legal ist.«

Talena lief knallrot an. »Dann macht weiter mit eurer Farce!« fauchte sie. »Ich kenne Appanius gut, und seine Stellung in der Stadt hängt zu einem großen Teil von meiner Unterstützung ab! Habe ich ihn nicht von vielen Lasten befreit? Habe ich seine Steuern nicht gesenkt? Habe ich nicht sein Haus und das anderer Favoriten von den Reparationen verschont?«

»Du gestehst also ein, daß du eine Sklavin bist?« fragte Tolnar.

»Ja«, erwiderte sie wütend. »Ich bin eine Sklavin! So, ich hab’s gesagt, und nun schafft Appanius auf der Stelle herbei, damit ich sofort wieder freigelassen werde. Dann werdet ihr schon sehen, welche Schicksale ich euch zukommen lasse!«

»Aber was ist, wenn Appanius dich als Sklavin behalten will?« fragte Marcus.

Sie lachte höhnisch. »Wie ich sehe, kennt ihr den guten Appanius nicht. Das höchste, was er von einer Frau verlangt, ist, daß sie seinen Boden schrubbt.«

»Und wenn er genau das mit dir vorhat?« fragte Tolnar. »Wenn er ein Patriot ist?«

Sie wurde totenblaß.

»Zweifellos würde sie gut aussehen, wie sie in Ketten niedrige Arbeiten verrichtet«, meinte Marcus.

»Holt jetzt Appanius her!« kreischte sie. »Das ist alles ein furchtbares Mißverständnis! Holt ihn her, ich verlange es!«

»Nun gut, aber was hat Appanius mit der ganzen Angelegenheit zu tun?« wollte Tolnar wissen.

Talena starrte ihn an. »Ich verstehe nicht«, sagte sie tonlos. »Er hat alles damit zu tun. Er ist Milos Besitzer.«

»Nein«, sagte Tolnar.

Die Gefangene drehte mühsam den Kopf herum. »Appanius ist dein Herr!« sagte sie zu Milo.

Der Sklave schüttelte den Kopf.

»Natürlich ist er dein Herr!« brüllte Talena. »So wie er der Herr dieser Schlampe da ist!«

»Nein«, sagte Lavinia.

»Du hast mich nicht als Herrin angeredet«, zischte die Gefangene.

»Warum sollte ich auch?« fragte Lavinia.

»Es hat ja durchaus seine Richtigkeit, daß du Milos Besitzer gehörst«, sagte Tolnar, »aber es stimmt nicht, daß Milo Appanius gehört.«

»Wem gehöre ich denn dann?« fragte sie entsetzt.

Tolnar wandte sich seinem Kollegen zu. »Komm, laß uns die nötigen Dokumente fertig machen, die Maße nehmen und dergleichen.«

»Dokumente, die Maße nehmen?« protestierte Talena.

»Ich glaube, du wirst verstehen, daß in einem Fall wie diesem genau geführte Urkunden und Vorsichtsmaßnahmen nicht gerade unangebracht sind.«

Die beiden Magistrate begaben sich ins Hinterzimmer, um alles Nötige vorzubereiten.

»Du!« rief die Gefangene und sah Marcus an. »Bist du es, dem ich gehöre?«

Er sah sie nur wortlos an.

»Wer bist du?«

»Das spielt keine Rolle«, entgegnete er.

»Ich werde mir meine Freiheit erkaufen«, sagte sie. »Ich gebe dir tausend Goldstücke! Zweitausend! Zehntausend! Nenn deinen Preis!«

»Aber du bist eine Sklavin, du besitzt doch nichts«, sagte er.

In diesem Augenblick betraten Tolnar und Venlisius wieder den Raum und machten sich an die Arbeit. Sie vergaßen nichts und nahmen der Frau in dem Netz sogar die Finger- und Zehenabdrücke ab. Während der ganzen Prozedur achtete ich darauf, daß ich hinter ihr blieb, damit sie mich nicht sehen konnte.

»Ihr werdet mich niemals aus der Stadt schaffen können«, sagte Talena plötzlich zu Marcus.

»Glaubst du ernsthaft, das wäre schwer, geknebelt, mit einer Haube über dem Kopf, in einem Sack?« fragte er.

»Vermutlich schlägt man schon die Alarmstäbe wegen meines Ausbleibens!«

»Ich habe noch nichts gehört«, erwiderte Marcus.

»Sei doch nicht naiv«, sagte sie gereizt. »Schon in diesem Augenblick wird man einen geheimen Alarm gegeben haben. Die Wächter sind schon dabei, ganz Ar auf den Kopf zu stellen.«

»Wenn du deine heimliche Liebschaft so gut geplant hast, wie du uns hast glauben machen wollen, bezweifle ich, daß man dich bis jetzt überhaupt vermißt hat. Vermutlich wird dein Verschwinden nicht vor morgen früh entdeckt werden!«

Sie gab ein Stöhnen von sich.

»Wir hätten also genug Zeit, um dich aus der Stadt zu schaffen, wie eine ganz gewöhnliche Sklavin. Aber vielleicht haben wir ja auch gar nicht die Absicht, dich aus der Stadt zu schaffen.«

»Was?« schnappte sie ängstlich und hob mühsam den Kopf. Ihr Blick glitt zu dem Dolch an Marcus’ Gürtel. Er hatte die Hand auf den Griff gelegt. »Nein!« sagte sie dann. »Ihr seid doch keine Mörder!«

Er sah sie ungerührt an, die Hand am Dolch.

»Ihr wollt mich doch nicht umbringen!« rief sie.

Er musterte sie schweigend.

»Töte mich nicht!« schluchzte sie. Ihre Angst vor einem Mordkomplott war nicht einmal so abwegig. Selbst wenn sie sich für eine populäre, vielleicht sogar geliebte Person hielt, mußte ihr bewußt sein, daß nicht unbedingt alle diese Gefühle für sie hegten. Da war zum Beispiel der wachsende Widerstand gegen die cosische Herrschaft, die Taten der Deltabrigade, die ihr sicherlich Sorgen bereitet hatten. »Man hat mich doch bestimmt nicht zu einer Sklavin gemacht, um mich dann zu töten?«

Marcus verschränkte die Arme und schwieg.

»Bitte, töte mich nicht«, schluchzte sie. »Herr!«

»Ich bin nicht dein Herr«, sagte er.

Sie starrte ihn gehetzt an. »Wer ist denn dann mein Herr?«

»Das bin ich«, sagte ich.

Ich ergriff sie von hinten an den Oberarmen, hob sie hoch und setzte sie auf den Knien ab. Sie wand sich in dem Netz und versuchte, über die rechte Schulter zu blicken; unsere Blicke trafen sich.

Sie erkannte mich.

Sie schrie auf, und dann mußte ich sie festhalten, da sie in Ohnmacht gefallen war. Ich legte sie auf die Felle und warf die Ketten neben sie. Ich holte sie aus dem Netz heraus, einen Augenblick später schnappten die Hand- und Fußschellen zu.

»Ich unterschreibe die Dokumente«, sagte ich zu Tolnar.

Der Magistrat nickte. »Und ich werde sie stempeln und beglaubigen.«

Загрузка...