21

»Der Heimstein von Ar-Station gehört mit Tharlarionmist eingeschmiert!« rief der wohlbeleibte Bursche lautstark. »Man sollte Urtsabber darüber ausgießen!« Er nahm den Heimstein von seinem Platz auf dem Brett hoch, das im Park des Zentralzylinders quer über zwei Exkrementefässern lag., »Nicht einmal Steinjards würden ihn fressen!«

Die umstehenden Wächter lachten, und die Zuschauer, die sich vor dem mit Seilen abgesperrten Platz versammelt hatten, auf dem der Heimstein auf seinem unwürdigen Podest ruhte, fielen in das Gelächter ein. Ein paar Männer, die wohl eine Art Vorstellung erwarteten, eilten herbei. Es hatte den Anschein, als würden sich die Wächter an den Dicken erinnern, denn sie feuerten ihn noch an. Hinter ihm hatte sich eine lange Reihe aus Leuten gebildet, die darauf warteten, daß sie die Absperrung passieren konnten, um einer nach dem anderen ihrer Verachtung für die ›Verräterin des Nordens^ wie Ar-Station mittlerweile auf den Anschlagtafeln genannt wurde, öffentlich Luft zu machen.

»Ich muß ihn umbringen!« zischte Marcus mir zu.

»Das ist nicht nötig«, versicherte ich ihm gereizt.

»Das verlangt die Ehre!« Marcus tastete nach dem Schwertgriff.

»Unsinn!«

»Doch!« zischte er.

»Keineswegs!« beharrte ich.

Ich war beunruhigt. Wenn Goreaner auf die Idee kommen, daß Ehre im Spiel ist, werden sie plötzlich sehr schwierig und unberechenbar. Marcus war ein sportlicher Bursche, und er konnte leicht mit einem Sprung über das Seil hinwegsetzen, um den Heimstein zu erreichen.

»O doch!«

»Pst!« sagte ein Bürger und drehte sich zu uns um. »Ich will das hören.«

Ich packte Marcus hinten am Messergürtel. Das machte es schwierig für ihn, sich nach vorn zu bewegen, und so gut wie unmöglich, zum Sprung über die Seilabsperrung anzusetzen.

»Das war gut«, sagte ein anderer Bürger, der Kleidung nach ein Kaufmann, der sich zu mir umdrehte. »Ein Steinjard und die Vorstellung, daß es der Heimstein nicht wert ist, ihm bei der Verdauung zu helfen.«

»Ja«, sagte ich. »Deftig.« Ein Jard ist ein kleiner Aasfresser, der sich normalerweise nur in Schwärmen fortbewegt. Sie fressen Steine, die ihnen bei der Verdauung helfen.

»Sogar brillant.«

»Ich stimme dir zu«, sagte ich. Ohne es zu wissen spielte Boots Tarskstück gerade mit seinem Leben.

»Ich gehe mal davon aus, daß das da deine Hand an meinem Messergürtel ist«, knarrte Marcus, ohne nach hinten zu blicken.

»Ja, so ist es.«

Er ließ Boots und den Heimstein nicht aus den Augen. Sein Blick war wild und leidenschaftlich.

»Würdest du mich bitte loslassen?«

»Sicher, aber nicht jetzt.«

»Nicht einmal die Schleimschnecken von Anango würden unter diesen Stein kriechen!« rief Boots Tarskstück und schwenkte den Stein mit beiden Händen umher.

»Gut gesagt!« gratulierte ein Zuschauer.

Ich fühlte, wie sich Marcus gegen meinen Griff stemmte.

»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht herkommen«, sagte ich. »Dann habe ich dir gesagt, du sollst hinten warten.«

»Aber dann hätte ich diese Beleidigungen nicht hören können!« erwiderte Marcus.

»Das ist wahr.«

»Seremides versuchte, diesen elenden Stein hier in ein Exkrementefaß zu werfen. Und wißt ihr, was passiert ist? Das Faß hat ihn ausgespuckt!«

Die Menge grölte vor Lachen.

Marcus gab einen seltsam erstickten Laut von sich. Solche Geräusche hatte ich bis jetzt nur von Larls und Sleen vernommen. Ich griff fester zu.

»Seht euch diese Exkrementefässer an!« rief Boots und zeigte auf die beiden umgedrehten Fässer, auf denen das Brett lag. »Die gehen kein Risiko ein.«

Nun mischte sich Applaus in das Gelächter.

Marcus sagte grimmig: »Das reicht!«

Ich hielt ihn davon ab loszustürmen.

Boots drehte den Kopf zur Seite und nieste.

»Wenigstens hat er den Heimstein verfehlt!« bemerkte Marcus.

»Sei dir da mal nicht so sicher«, erwiderte ich.

»Es hat sich eine lange Schlange gebildet«, sagte der Befehlshaber des Wachkommandos; seine Augen waren mit Tränen gefüllt, so sehr hatte er gelacht. »Ich glaube, jetzt sollte der nächste drankommen.«

Auf der anderen Seite des Kreises ertönte Protestgeschrei.

»Nein, nein«, wandte sich Boots fröhlich an die Zuschauer und beschwichtigte sie. »Es stimmt. Der General hat recht! Die anderen sollen auch ihre Chance haben. Ich sollte nicht die ganze Zeit für mich beanspruchen, die meine erregten Mitbürger des glorreichen und freien Ars besser gebrauchen können. Dieses widerwärtige Stück Kies hier, das ein passender Heimstein für Verbrecher und Feiglinge ist, gewinnt sonst den Eindruck, ich wäre hier der einzige, für den die perfide Hinterhältigkeit seiner Stadt ersichtlich ist!«

Er ging von einer Seite zur anderen, verbeugte sich elegant, nahm den Applaus und die Kommentare lächelnd entgegen, winkte, berührte hier und da jemanden und verließ dann den mit Seilen abgesperrten Kreis.

Ich ließ Marcus’ Messergürtel los. Der junge Krieger stand einfach da. Jetzt erschien er nicht mehr wütend, sondern am Boden zerstört.

»Komm, wir verschwinden von hier«, sagte ich.

»Er hat versagt«, murmelte Marcus.

»Komm schon!« Ich mußte Marcus buchstäblich von der Absperrung wegzerren. Wir verließen den Park und überquerten die Straße des Zentralzylinders.

Ein anderer Mann stand nun innerhalb des Kreises. Er schrie Beleidigungen und spuckte den Stein an.

Plötzlich sagte Marcus: »Wir müssen zurück und es mit den Schwertern versuchen.«

»Nein«, sagte ich. »Das haben wir doch schon besprochen. Das ist keine gute Idee.«

»Dann muß er es eben morgen erneut versuchen!« beharrte Marcus. »Er muß einen neuen Versuch unternehmen!«

»Nein«, sagte ich.

»Nein?«

»Nein.«

»Wir müssen den Stein haben!« beharrte Marcus. »Ich werde Ar nicht ohne ihn verlassen!«

»Denk nicht mehr dran«, schlug ich vor.

»Ich hätte ihn Magie benutzen lassen sollen«, stöhnte Marcus.

»Was?«

»Weil ich ihm vorschlug, es mit einem Zaubertrick zu machen, haben wir den Stein verloren!«

»Ach ja?«

»Er hätte es mit Hilfe von Magie machen können!« Marcus wurde wütend. »Und ich habe ihn davon abgehalten!«

»Sei nicht so hart zu dir selbst.«

»Es ist alles meine Schuld.«

»Woher willst du eigentlich wissen, daß wir den Stein nicht schon längst haben?« fragte ich ihn.

»Hör auf zu scherzen«, erwiderte er ärgerlich.

»Ich meine es ernst.«

»Ich habe alles gesehen«, sagte er. »Ich beobachtete sehr genau. Ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen. Ich habe ihm aufmerksam zugesehen. Ich habe wie ein Tarn jede seiner Bewegungen verfolgt. Nichts ist mir entgangen. Nichts, nicht einmal die kleinste Geste!«

»Du hast aufmerksam zugesehen.« Das mußte ich ihm zugestehen. Er hatte sorgfältiger zugesehen als sonst jemand, vielleicht mit Ausnahme von mir. Die anderen Zuschauer hatten natürlich keinen Grund gehabt, Boots auf die Finger zu sehen. Sie konnten ja nicht wissen, was geplant war, sie hatten keinen Grund zum Mißtrauen gehabt. »Aber vielleicht hast du ja nicht so sorgfältig hingesehen, wie du glaubst.«

Marcus schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein. Ich habe sehr sorgfältig hingesehen.«

»Aber möglicherweise hast du zur falschen Zeit die falsche Stelle beobachtet«, meinte ich.

»Ich verstehe nicht.«

»Es ist auch nicht wichtig.«

»Ich muß den Stein haben«, sagte Marcus wieder. »Ich werde Ar nicht ohne ihn verlassen.«

»Ich glaube nicht, daß das nötig sein wird.«

»Ich verstehe nicht.«

»Vielleicht ist der Stein ja in unserem Besitz.«

»Nein«, sagte Marcus. »Ich kann ihn doch noch von hier aus sehen.«

»Du siehst einen Stein.«

»Das ist der Heimstein von Ar-Station«, sagte er.

»Bist du sicher?«

»Er muß es sein«, beharrte Marcus. »Ich habe ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen.«

»Vielleicht glaubst du ja nur, daß du ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hast.«

»Jetzt ist wirklich nicht die richtige Zeit für Wortfechtereien!« knurrte der junge Krieger.

»Tut mir leid.«

»Ich bin bereit, loszustürmen und mir den Stein zu nehmen«, verkündete er. »Bist du dabei?«

»Nein.«

»Dann gehe ich allein!«

»An deiner Stelle würde ich das nicht tun«, sagte ich.

»Warum nicht?«

»Ich glaube wirklich nicht, daß das nötig ist.«

»Warum nicht?«

»Ich glaube, wir haben ihn bereits«, sagte ich.

»Was?«

»Tal, meine Freunde!« Boots Tarskstück kam freudestrahlend auf uns zu.

»Ich wollte dich umbringen«, sagte Marcus anstelle einer Begrüßung.

»Gab es einen bestimmten Grund?« fragte Boots ganz unschuldig.

»Du hast den Heimstein von Ar-Station beleidigt«, sagte Marcus wütend.

»Ich verlasse mich darauf, daß deine Mordgelüste mittlerweile nachgelassen haben«, sagte Boots mit einem Grinsen.

»Beträchtlich«, sagte der junge Krieger. »Jetzt bin ich zutiefst niedergeschlagen.«

»Du scheinst guter Laune zu sein«, sagte ich zu Boots.

»Wie hat dir meine Vorstellung gefallen?« fragte er.

»Ich fand sie großartig, brillant, unvergleichlich!«

»Mehr nicht?« Es klang verletzt.

»Besser als das, falls das möglich ist.«

»Unvergleichlich unvergleichlich?«

»Mindestens.«

»Und doch rechne ich damit, sie noch zu übertreffen«, erklärte Boots.

Marcus sah auf. »Du wirst es also noch einmal versuchen?« fragte er begierig.

Ich hielt die Hand hoch. »Augenblick«, sagte ich. »Wie kannst du das unvergleichlich Unvergleichliche übertreffen?«

»Das ist ganz einfach«, antwortete Boots. »Dazu ist lediglich erforderlich, daß man bei jedem Auftritt alle vorangegangenen Auftritte übertrifft, und die der anderen auch. So setze ich ständig neue Maßstäbe.«

»Und auf diese Weise ist es möglich, das unvergleichlich Unvergleichliche durch etwas noch Unvergleichlicheres zu übertreffen.«

»So ist es«, sagte Boots.

»Du wirst es also noch einmal versuchen«, drängte Marcus.

»Was versuchen?«

»Den Heimstein von Ar-Station in deinen Besitz zu bekommen!«

»Warum?«

»Warum?«

»Er hat ihn doch schon«, warf ich ein.

Boots öffnete kurz seinen Umhang.

»Ist das der Heimstein?« flüsterte Marcus andächtig.

»Das will ich doch hoffen«, sagte Boots.

»Erinnerst du dich nicht?« fragte ich Marcus. »Was er damals im insula sagte – daß es nicht mehr als ein Niesen ist?«

»Doch«, sagte Marcus. Daß etwas nicht mehr als ein Niesen ist, ist eine bekannte goreanische Redensart.

»Ein Niesen«, sagte ich. »Ein Niesen! Begreifst du denn nicht, diese Kühnheit, der Humor, der darin liegt?«

»Nein.«

»So hat es dieser Gauner gemacht«, kicherte ich. »Als er nieste. Wir haben ihn beobachtet, nicht seine Hände, und in diesem Augenblick fand der Austausch statt.«

»Falsch«, sagte Boots.

»Ach?«

»Ja«, sagte er. »Der Austausch geschah ziemlich zu Anfang der Vorstellung, als ich zum Himmel blickte und sagte, daß die Wolken sich wohl kaum dazu herablassen würden, auf einen so wertlosen Stein herabzuregnen. Du erinnerst dich an den Witz, warum sie ihn nach drinnen tragen und zum Heimstein machen mußten,, weil er eine Dürre verursachte?«

»Das ist natürlich nicht wahr«, sagte Marcus finster.

»Nein, natürlich nicht« erwiderte Boots. »Es ist sogar ein recht hübscher Stein.«

»Und es konnte auf ihn draufregnen wie auf jeden anderen Stein!«

»Zweifellos.«

»Der Austausch geschah so früh?« fragte ich.

»Ja.«

»Nicht als du geniest hast?«

»Nein«, sagte er. »Ich habe die Angewohnheit, in der Vorstellung den jeweiligen Austausch sehr früh vorzunehmen, bevor das Publikum danach Ausschau hält. Zu diesem Zeitpunkt sind sie noch nicht besonders aufmerksam. Man muß dann während der Vorstellung nur so tun, als fände der Austausch erst noch statt. Man kann Andeutungen fallen und das Publikum aufschreien lassen in dem Glauben, daß es dich erwischt hat, aber dann ist es völlig verblüfft, wenn du ihm zeigst, daß die Dinge gar nicht so sind, wie sie erscheinen. Sicher, hier handelte es sich um keine Bühnenvorstellung, da keiner, außer vielleicht euch beiden, irgend etwas in dieser Art erwartete. Genaugenommen war es kaum mehr als eine kurze, überraschende Demonstration komödiantischer Brillanz, bei der eher zufällig ein Austausch vorgenommen wurde. Ihr könnt euch gar nicht die Versuchung vorstellen, die ich verspürte, hinterher beide Heimsteine zu zeigen, damit das Publikum die ganze Darbietung besser würdigen konnte.«

»Es ist gut, daß du dieser Versuchung widerstanden hast«, sagte Marcus ernst.

»Das glaube ich auch.«

»Vermutlich hätte man dich innerhalb einer Ahn verbrannt.«

»Während ich mir die Sache überlegte, habe ich keineswegs versäumt, solche Möglichkeiten einzubeziehen«, sagte Boots. »Ich gestattete ihnen, sozusagen ihr Gewicht in die Waagschalen zu legen.«

»Du mußt wissen, daß wir und alle Bürger Ar-Stations deine Genialität zu schätzen wissen«, versicherte ihm Marcus.

»Vielen Dank.«

»Wir erweisen dir unsere Hochachtung durch unseren Salut!«

»Danke.«

»Du hast es nicht gemacht, als du geniest hast?« fragte ich.

»Nein.«

»Warum hast du dann geniest?«

»Meine Nase juckte«, sagte Boots.

»Nun, wenn der Austausch früher stattfand, dann hast du ja gar nicht Ar-Stations Heimstein beleidigt«, sagte Marcus erfreut. »Jedenfalls die meiste Zeit nicht.«

Boots nickte. »Das ist wahr.«

»Und ich hätte dich beinahe ohne Grund getötet«, staunte Marcus.

Boots erschauderte.

»Deine Nase juckte?« fragte ich.

»Ja.«

»Ich glaube«, sagte ich, »du solltest dich darauf vorbereiten, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen.«

»Nein«, erwiderte Boots.

»Noch heute abend«, sagte Marcus.

Boots schüttelte den Kopf.

»Marcus wird mir morgen bei etwas helfen«, sagte ich. »Aber er wird dich mit seiner Sklavin Phoebe einholen.« Ich stutzte und sah Boots an. »Nein?«

»Nein«, sagte Boots. »Morgen abend ist besser. Sollte man die Fälschung heute entdecken, an dem Tag, an dem ich mich in dem Kreis befand, und ich die Stadt an demselben Tag verlassen habe, würde das als ein zu unwahrscheinlicher Zufall erscheinen. Man würde zu dem Schluß kommen, daß ich mich auf der Flucht befinde.«

»Er hat natürlich recht«, sagte ich.

»Ja«, meinte Marcus gequält.

Jetzt, da wir den Heimstein besaßen, hatten natürlich sowohl Marcus als auch ich es eilig, daß er fortgeschafft wurde.

»Vielleicht hat das ja auch was Gutes«, sagte ich. »Wenn alles wie geplant läuft, können Marcus und Phoebe zusammen mit dir morgen abreisen.«

»Wenn alles wie geplant verläuft?« fragte Boots.

»Du brauchst mir natürlich nicht zu helfen«, sagte ich an Marcus gewandt.

»Ich helfe dir!« sagte er.

»Danke.«

»Und was ist mit dir?« fragte Boots.

»Mach dir um mich keine Sorgen.«

»Du bleibst in Ar?«

»Für die nächste Zeit.«

»Wenn der falsche Heimstein ein gutes Duplikat ist, sollte es eigentlich keine Rolle spielen«, meinte Marcus. »Möglicherweise fällt es niemals auf.«

Boots strahlte über das ganze Gesicht. »Aber man wird den Austausch entdecken, und zwar sehr bald, zweifellos innerhalb der nächsten Tage.«

Marcus sah ihn überrascht an. »Wie bitte?«

»Du würdest nicht wollen, daß das Duplikat ein perfektes Duplikat ist«, erklärte Boots. »Wenn es so wäre, könnten Seremides und die Ubara weiterhin behaupten, es sei der Heimstein von Ar-Station. Sie könnten sogar die Echtheit des Steins, der in Port Cos auftauchen wird, falls wir es bis dorthin schaffen, in Frage stellen.«

Marcus schüttelte staunend den Kopf.

»Es muß allen klar sein, daß man ihnen den echten Heimstein unter der Nase weggeschnappt hat.«

»Solche Geschehnisse dürften die Position Cos’ sicherlich schwächen«, sagte ich. »Und Ar wieder Mut machen. Derartige Dinge haben schon ganze Regime gestürzt.«

»Ich habe dafür gesorgt, daß es viele kleine Unterschiede zwischen dem Original und der Kopie gibt«, sagte Boots. »Allerdings würde die nur jemand bemerken, der den Heimstein von Ar-Station gut kennt.«

»Es sind nur sehr wenige Bürger aus Ar-Station in Ar«, sagte Marcus, »und von denen würde sich unter diesen Umständen kaum einer seinem Heimstein nahem, um ihn zu verhöhnen.«

»Und sollten ihnen diese Unterschiede auffallen«, fuhr Boots fort, »kann man sicher davon ausgehen, daß sie sie nicht unbedingt den Wächtern mitteilen.«

»Das glaube ich auch nicht.« Marcus lächelte.

»Aber wenn diese Unterschiede so winzig sind«, sagte ich, »könnte man dann nicht die Fälschung für echt erklären?«

»Ich kann garantieren, daß das nicht geschehen wird«, verkündete Boots.

»Wie kannst du das garantieren?«

»Vielleicht ist dir ja aufgefallen – ich habe es natürlich bemerkt, da ich mich besonders bemühe, solche Dinge zu bemerken –, daß so gut wie niemand den Heimstein berührt«, sagte Boots. »Es war sehr ungewöhnlich, daß ich ihn anfaßte und hochhob. Er ist flach, und er liegt flach auf seinem Brett.«

»Ja, und?«

»Also nahm ich mir die Freiheit, auf der Unterseite der Fälschung eine Botschaft einzuritzen; ich habe sie sogar eingefärbt.«

»Und wie lautet die Botschaft?« fragte ich.

»Das ist ganz einfach«, sagte Boots. »Dort steht ›Ich bin nicht der Heimstein von Ar-Station‹!«

»Das erscheint eindeutig«, sagte ich.

»Außerdem nahm ich mir zusätzlich die Freiheit, eine weitere Bemerkung hinzuzufügen.«

Ich blickte ihn gespannt an.

»›Nieder mit Cos!‹«

»Flieh auf der Stelle«, sagte Marcus entsetzt.

»Denk doch mal nach«, sagte Boots. »Wärst du ein Angehöriger der Wache und würdest entdecken, daß der Stein eine Fälschung ist, hättest du sicher Angst, daß der Stein während deiner Dienstzeit gestohlen wurde oder man annehmen würde, daß es dann geschehen sei.«

»Ja!« sagte ich.

»Darum erscheint es mir nicht unwahrscheinlich, daß die Wächter einfach so tun, als hätten sie es nicht bemerkt und den Stein der nächsten Schicht übergeben, als wäre nichts geschehen; sollen die sich doch den Kopf darüber zerbrechen, oder die übernächste Schicht. Es wäre sehr peinlich wenn nicht sogar gefährlich, wenn der Austausch während oder am Ende der eigenen Schicht entdeckt würde.«

Ich sagte: »Boots, du bist ein kluger Bursche.«

»Die Wächter kommen hauptsächlich aus Ar«, fuhr Boots fort. »Darum kann ich mir nicht vorstellen, daß sie die Sache mit dem gleichen Eifer verfolgen oder so aufgebracht wären, wie man es von den Cosianern erwarten kann.«

»Vielleicht würde es sie sogar belustigen«, meinte ich.

»Schon möglich«, sagte Boots. »Andererseits glaube ich auch nicht, daß die Cosianer besonders erpicht darauf sind, daß der Austausch während ihrer Wache entdeckt wird.«

»Nein«, sagte ich, »das glaube ich auch nicht.«

»Also brauchen wir wohl kaum Angst zu haben, daß der Austausch sofort entdeckt wird.«

»Oder, um genau zu sein, sofort gemeldet wird.«

»Genau.« Boots lächelte.

»Du kümmerst dich um ein Treffen morgen abend mit Marcus?«

»Natürlich«, sagte Boots.

Ich drückte Boots Tarskstück einen schweren Geldbeutel in die Hand.

»Das Gewicht läßt an viele Kupfertarsk denken«, sagte Boots überrascht.

»Zähl es später«, sagte ich. »Versteck sie.«

»Mein Gewand verfügt über diverse Innentaschen«, sagte er. Der Geldbeutel verschwand unter dem Gewand.

»Ich will jetzt nicht in die Einzelheiten gehen«, sagte ich, »aber vergangenen Sommer kam Marcus durch ungewöhnliche Umstände in den Besitz eines großen Vermögens, einhundert Goldstücke.«

»Einhundert?« fragte Boots überrascht.

»Ja.« Ich war ziemlich zufrieden, daß es mir endlich einmal gelungen war, den großen Boots Tarskstück oder Renato den Großen, wie er sich jetzt nannte, zu überraschen.

»Aber er bezahlte mir die einhundert Goldstücke für eine Sklavin.«

Boots starrte Marcus entsetzt an.

»Sie ist zehntausend wert, und noch mehr«, murmelte Marcus kleinlaut zu seiner Rechtfertigung.

»Man kann nicht sagen, daß er wirklich verrückt ist«, sagte ich. »Es gibt da ein paar besondere Umstände.«

»Außerdem wußte ich damals auch noch nicht, daß sie eine Cosianerin ist«, warf Marcus wütend ein.

»Das macht natürlich einen großen Unterschied«, sagte Boots.

»Sonst hätten auch ein oder zwei Kupfertarsk gereicht«, sagte Marcus.

»Zweifellos.«

»Und so kam ich in den Besitz von einhundert Goldstücken«, sagte ich.

»Und du möchtest, daß uns dieser Inbegriff der Schönheit uns in den Norden begleitet?« fragte Boots.

»Du hast doch nichts dagegen, oder?« stellte ich ihm die Gegenfrage.

»Aber wie könnte ich«, sagte Boots. »Dann haben wir in unserer Freizeit wenigstens etwas zu tun; wir können von allen Seiten angreifende Armeen abwehren, Schwärme von Söldnern bekämpfen und Räuberbanden und Horden von Schurken in die Schranken weisen.«

»Ich verstehe nicht«, sagte ich.

»Ich schon«, sagte Marcus erfreut.

»Ich habe eingewilligt, einen Heimstein nach Port Cos zu bringen, nicht den riskanten Auftrag zu übernehmen, eine der schönsten und begehrtesten Frauen von ganz Gor mit meiner Truppe reisen zu lassen.«

»Das ist sie allerdings«, stimmte Marcus zu. »Du kannst sie ja in einen Wagen einsperren oder in einem Sack transportieren.«

»Ich bin wirklich neugierig auf diese Sklavin«, sagte Boots.

»Trotz Marcus’ Begeisterung und Überzeugung in dieser Angelegenheit – so berechtigt sie auch sein mögen – sollte ich dir sagen, daß sie von einem unbeteiligten Beobachter nicht unbedingt geteilt werden, zumindest nicht auf den ersten Blick.«

»Ich schätze, das ist möglich«, sagte Marcus. Es klang nachdenklich und war ein für ihn ungewöhnlich großzügiges Zugeständnis.

»Das soll aber nicht heißen, daß das Mädchen keine hervorragende Sklavin ist«, sagte ich.

Boots nickte. Er lächelte. »Nun gut«, sagte er. »Ich gehe übrigens davon aus, daß der Geldbeutel, den ich von dir erhalten habe und der ungewöhnlich schwer ist, den Gegenwert von mindestens einem Goldstück enthält.«

»Du vertraust mir doch wohl.«

»Dir vertraue ich«, erwiderte er. »Ich bin nur mißtrauisch, was deine Rechenkünste angeht.«

»Keine Angst«, sagte ich. »Der Beutel enthält keine Kupfertarsk.«

Boots runzelte die Stirn. »Was?«

»Von den einhundert Goldstücken sind nur noch neunzig übrig«, erklärte ich. »Es tut mir leid. Du mußt jedoch wissen, daß wir Unkosten hatten, eine lange Reise, und die Preise in Ar sind sehr hoch, vor allem für eine anständige Mahlzeit und eine Unterkunft, dann brauchten wir Mittel für Bestechungsgelder oder um Informationen zu kaufen. Ich habe also die Hälfte, genau fünfundvierzig Goldstücke, in den Beutel gesteckt. Sie gehören dir.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Boots.

»Die anderen fünfundvierzig habe ich behalten«, sagte ich. »Vermutlich brauche ich sie morgen. Ich weiß es nicht.«

»Das ist zuviel Geld«, protestierte Boots.

»Mach dir um uns keine Sorgen«, sagte ich. »Wir haben noch andere Geldmittel, sozusagen aus Spenden, die uns Leute gaben, die wir für gewöhnlich an einsamen und dunklen Orten trafen, und unseren Sold.«

»Wir hatten uns auf zwei Goldstücke geeinigt«, sagte Boots. »Höchstens.«

»Dann brechen wir eben jetzt unsere Vereinbarung.«

»Das würdet ihr tun?« fragte Boots fassungslos.

»Warum nicht.«

»Ihr Schufte«, sagte er.

»Nimm einfach an, wir wären verrückt«, schlug Marcus vor. »Nimm einfach das Gold und mit ihm unsere und Ar-Stations nie versiegende Dankbarkeit.«

»Ich kann unmöglich so viel annehmen.«

»Du bist doch Boots Tarskstück?« fragte ich.

Er nickte. »Ich glaube schon. Zumindest habe ich das seit Jahren geglaubt.«

»Dann nimm das Geld.«

»Gib mir einen Augenblick zur Besinnung«, sagte er. »Ich muß mich erst sammeln. Ich habe nicht damit gerechnet. Laß mir Zeit. Das hat meine Habgier unerwartet getroffen. Sie taumelt. Sie schwankt. Eine solche Großzügigkeit würde selbst dem abgebrühtesten Habsüchtigen den Atem verschlagen.«

»Wir haben das Geld ohne große Mühen in unseren Besitz gebracht«, erklärte ich. »Es ist nicht so, als hätte ein ganzes Dorf dafür ein Jahrhundert lang Suls aus dem Acker gehackt.«

»Das höre ich mit Erleichterung«, sagte Boots. »Das lag mir schwer auf der Seele.«

»In gewissem Sinn ist es geliehenes Verrätergeld, von den Verrätern von Ar.«

»Es ist also meine Pflicht, es zu nehmen?« fragte Boots.

»Auf jeden Fall dein Recht.«

»Vielleicht könnte ich mich ja überreden lassen, es anzunehmen«, meinte Boots. »Für die Künste.«

»Dann laß dich für die Künste überreden.«

»Einverstanden!« Er nickte.

»Ausgezeichnet«, sagte ich.

»Die Künste und ich danken dir.«

»Nichts zu danken, euch beiden.«

Wir schüttelten uns die Hände.

»Das kann ich über Nacht an den Spieltischen verdoppeln«, sagte er.

»Aber nicht bevor du den Heimstein in Port Cos abgeliefert hast«, erwiderte ich.

Er sah mich entsetzt an.

»Jawohl«, sagte ich streng.

»Also gut!«

Wir reichten uns erneut die Hände. Und schon einen Augenblick später war Boots davongeeilt.

»Der Heimstein muß Port Cos erreichen«, sagte Marcus.

»Du kannst dazu beitragen«, sagte ich. »Du wirst mit ihnen reisen, sowie ich einst, nämlich als Handlanger, und du wirst morgen abend aufbrechen.«

»Ich freue mich«, sagte Marcus, »daß es uns gelungen ist, ihn dazu zu überreden, das Geld anzunehmen.«

»Es war schwierig«, erwiderte ich. »Aber wir haben es geschafft.«

»Hauptsächlich haben wir es deiner Überredungskunst zu verdanken.«

»Nun hör aber auf«, wehrte ich ab. »Du warst auch sehr überzeugend.«

»Findest du?«

»Aber ja.«

»Einen Augenblick lang hatte ich Angst, er würde sich weigern, das Vermögen anzunehmen, das wir ihm aufdrängten.«

»Ja, für kurze Zeit stand es auf der Kippe.«

»Aber die Sache mit den Künsten«, sagte Marcus. »Das gab den Ausschlag.«

»Ja«, stimmte ich ihm zu. »Das ist sein Schwachpunkt.«

Marcus nickte versonnen. »Und jetzt?« fragte er.

»Ich muß mich darum kümmern, daß Appanius morgen früh eine Nachricht zugestellt bekommt.«

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