I

Der Himmel war gelb wie Messing und noch nicht verqualmt vom Rauch der Schornsteine. Hinter den Dächern der Fabrik leuchtete er sehr stark. Die Sonne mußte gleich aufgehen. Ich sah nach der Uhr. Es war noch vor acht. Eine Viertelstunde zu früh.

Ich schloß das Tor auf und machte die Benzinpumpe fertig. Um diese Zeit kamen immer schon ein paar Wagen vorbei, die tanken wollten. Plötzlich hörte ich hinter mir ein heiseres Krächzen, das klang, als ob unter der Erde ein rostiges Gewinde hochgedreht würde. Ich blieb stehen und lauschte. Dann ging ich über den Hof zurück zur Werkstatt und machte vorsichtig die Tür auf. In dem halbdunklen Raum taumelte ein Gespenst umher. Es trug ein schmutziges weißes Kopftuch, eine blaue Schürze, dicke Pantoffeln, schwenkte einen Besen, wog neunzig Kilo und war die Scheuerfrau Mathilde Stoß.

Ich blieb eine Weile stehen und sah ihr zu. Sie hatte die Grazie eines Nilpferdes, wie sie da zwischen den Autokühlern hin und her torkelte und mit dumpfer Stimme das Lied vom treuen Husaren sang. Auf dem Tisch am Fenster standen zwei Kognakflaschen. Eine davon war fast leer. Am Abend vorher war sie voll gewesen. Ich hatte vergessen, sie einzuschließen.

»Aber Frau Stoß«, sagte ich.

Der Gesang brach ab. Der Besen fiel zu Boden. Das selige Grinsen erlosch. Jetzt war ich das Gespenst. »Jesus Christus«, stammelte Mathilde und starrte mich aus roten Augen an. »Ihnen hab’ ich noch nich erwartet…«

»Kann ich verstehen. Hat’s geschmeckt?«

»Das ja – aber’s is mir peinlich.« Sie wischte sich über den Mund. »Direkt platt bin ich…«

»Na, das ist nun eine Übertreibung. Sie sind nur voll. Voll wie eine Strandhaubitze.«

Sie hielt sich mühsam aufrecht. Ihr Schnurrbart zuckte, und ihre Augenlider klapperten wie bei einem alten Uhu. Aber allmählich gelang es ihr, klarer zu werden. Entschlossen trat sie einen Schritt vor. »Herr Lohkamp – Mensch is nur Mensch – erst hab’ ich nur dran gerochen – und dann einen Schluck genommen – weil mir im Magen doch immer so flau is – ja, und dann – dann muß mir der Satan geritten haben. Man soll ein armes Weib auch nicht in Versuchung führen und die Pulle stehenlassen.«

Es war nicht das erstemal, daß ich sie so traf. Sie kam jeden Morgen zwei Stunden zum Aufräumen in die Werkstatt, und man konnte ruhig so viel Geld umherliegen lassen, wie man wollte, sie rührte es nicht an – aber hinter Schnaps war sie her wie die Ratte hinterm Speck.

Ich nahm die Flasche hoch. »Natürlich, den Kognak für die Kunden haben Sie nicht angerührt – aber den guten von Herrn Köster haben Sie weggeputzt.«

Ein Grinsen huschte über Mathildes verwitterte Züge. »Alles, was recht is – Kenner bin ich. Aber werden Sie mir verraten, Herr Lohkamp? Eine schutzlose Witwe?«

Ich schüttelte den Kopf. »Heute nicht.«

Sie ließ ihre Röcke herunter. »Dann werd’ ich mir mal verdrücken. Wenn Herr Köster kommt – heiliges Donnerwetter!«

Ich ging zum Schrank und schloß ihn auf. »Mathilde…«

Sie watschelte eilig heran. Ich hielt eine braune, viereckige Flasche hoch.

Protestierend hob sie die Hände. »Das bin ich nich gewesen! Auf Ehre! Den hab’ ich nich angerührt!«

»Weiß ich«, sagte ich und goß ein Glas voll ein. »Kennen Sie ihn denn?«

»Und ob!« Sie leckte sich die Lippen. »Rum! Steinalter Jamaika!«

»Schön. Dann trinken Sie das Glas mal aus!«

»Ich?« Sie prallte zurück. »Herr Lohkamp, das ist zuviel! Das sind ja glühende Kohlen auf mein Haupt! Die olle Stoß säuft heimlich Ihren Kognak weg, und Sie spendieren ihr da noch einen Rum drauf. Sie sind ein Heiliger, sind Sie! Lieber tot, als so was annehmen!«

»Na?« sagte ich und tat, als ob ich das Glas zurückzog.

»Alsdann!« Sie griff eilig zu. »Man muß das Gute nehmen, wie es kommt. Auch wenn man’s nicht versteht. Zum Wohle! Haben Sie vielleicht Geburtstag?«

»Ja, Mathilde. Gut geraten.«

»Was, wahrhaftig?« Sie umklammerte meine Hand und schüttelte sie. »Herzlichsten Glückwunsch! Zaster in Fülle! Herr Lohkamp« – sie wischte sich den Mund —, »ich bin so gerührt – darauf muß ich unbedingt noch einen zwitschern. Wo ich Ihnen doch gern hab’ wie einen Sohn.«

»Schön.«

Ich schenkte ihr noch ein Glas ein. Sie kippte es herunter und verließ lobpreisend die Werkstatt.


Ich packte die Flasche weg und setzte mich an den Tisch. Die blasse Sonne fiel durch das Fenster auf meine Hände. Merkwürdiges Gefühl, so ein Geburtstag, auch wenn man sich nichts draus machte. Dreißig Jahre – es hatte eine Zeit gegeben, da glaubte ich, nie zwanzig werden zu können, so weit weg erschien mir das. Und dann…

Ich zog einen Briefbogen aus dem Fach und fing an zu rechnen. Die Kinderzeit, die Schule – das war ein Komplex, fern, irgendwo, schon nicht mehr wahr. Das richtige Leben begann erst 1916. Da war ich gerade Rekrut geworden, dünn, hochgeschossen, achtzehn Jahre alt, und übte nach dem Kommando eines schnauzbärtigen Unteroffiziers auf den Sturzäckern hinter der Kaserne Hinlegen und Aufstehen. An einem der ersten Abende kam meine Mutter in die Kaserne, um mich zu besuchen; aber sie mußte über eine Stunde auf mich warten. Ich hatte meinen Tornister nicht vorschriftsmäßig gepackt gehabt und mußte deshalb in der freien Zeit zur Strafe die Latrinen scheuern. Sie wollte mir helfen, aber das durfte sie nicht. Sie weinte, und ich war so müde, daß ich einschlief, als sie noch bei mir saß.

1917. Flandern. Middendorf und ich hatten in der Kantine eine Flasche Rotwein gekauft. Damit wollten wir feiern. Aber wir kamen nicht dazu. Frühmorgens fing das schwere Feuer der Engländer an. Köster wurde mittags verwundet. Meyer und Deters fielen nachmittags. Und abends, als wir schon glaubten, Ruhe zu haben, und die Flasche aufmachten, kam Gas und quoll in die Unterstände. Wir hatten zwar rechtzeitig die Masken auf, aber die von Middendorf war kaputt. Als er es merkte, war es zu spät. Bis sie abgerissen und eine neue gefunden war, hatte er schon zuviel Gas geschluckt und brach bereits Blut. Er starb am nächsten Morgen, grün und schwarz im Gesicht. Sein Hals war ganz zerrissen – so hatte er mit den Nägeln versucht, ihn aufzukratzen, um Luft zu kriegen.

1918. Das war im Lazarett. Ein paar Tage vorher war ein neuer Transport angekommen. Papierverbände. Schwere Verletzungen. Den ganzen Tag fuhren die flachen Operationswagen herein und hinaus. Manchmal kamen sie leer wieder. Neben mir lag Josef Stoll. Er hatte keine Beine mehr, aber er wußte es noch nicht. Es war nicht zu sehen, weil die Decke über einem Drahtkorb lag. Er hätte es auch nicht geglaubt, denn er spürte Schmerzen in den Füßen. Nachts starben zwei Leute bei uns im Zimmer. Einer sehr langsam und schwer.

1919. Wieder zu Hause. Revolution. Hunger. Draußen immerfort Maschinengewehrgeknatter. Soldaten gegen Soldaten. Kameraden gegen Kameraden.

1920. Putsch. Karl Bröger erschossen. Köster und Lenz verhaftet. Meine Mutter im Krankenhaus. Krebs im letzten Stadium.

1921 —

Ich dachte nach. Ich wußte es nicht mehr. Das Jahr fehlte einfach. 1922 war ich Bahnarbeiter in Thüringen gewesen, 1923 Reklamechef einer Gummifabrik. Das war in der Inflation. Zweihundert Billionen Mark hatte ich monatlich verdient. Zweimal am Tage gab es Geld und hinterher jedesmal eine halbe Stunde Urlaub, damit man in die Läden rasen und etwas kaufen konnte, bevor der nächste Dollarkurs ‘rauskam – dann war das Geld nur noch die Hälfte wert.

Und dann? Die Jahre darauf? Ich legte den Bleistift hin. Hatte keinen Zweck, das alles nachzurechnen. Ich wußte es auch nicht mehr so genau. War zu sehr durcheinandergegangen. Meinen letzten Geburtstag hatte ich im Café International gefeiert. Da war ich ein Jahr lang Stimmungspianist gewesen. Dann hatte ich Köster und Lenz wiedergetroffen. Und jetzt saß ich hier in der Aurewe: Auto-Reparatur-Werkstatt Köster und Co. Der Co. waren Lenz und ich, aber die Werkstatt gehörte eigentlich Köster allein. Er war früher unser Schulkamerad und unser Kompanieführer gewesen; dann Flugzeugführer, später eine Zeitlang Student, dann Rennfahrer – und schließlich hatte er die Bude hier gekauft. Erst war Lenz, der sich einige Jahre in Südamerika herumgetrieben hatte, dazugekommen – dann ich.

Ich nahm eine Zigarette aus der Tasche. Eigentlich konnte ich ganz zufrieden sein. Es ging mir nicht schlecht, ich hatte Arbeit, ich war kräftig, ich wurde nicht leicht müde, ich war heil, wie man das so nennt – aber es war doch besser, nicht allzuviel darüber nachzudenken. Besonders nicht, wenn man allein war. Und abends auch nicht. Da kam ab und zu noch einmal etwas von früher und starrte einen aus toten Augen an. Aber dafür hatte man den Schnaps.


Draußen quietschte das Tor. Ich zerriß den Zettel mit den Daten meines Lebens und warf ihn in den Papierkorb. Die Tür flog auf. Gottfried Lenz stand im Rahmen, lang, mager, mit strohblonder Mähne und einer Nase, die für einen ganz anderen Mann gepaßt hätte. »Robby«, brüllte er, »alter Speckjäger, steh auf und nimm die Knochen zusammen! Deine Vorgesetzten wollen mit dir reden!«

»Herrgott!« Ich stand auf. »Ich habe gehofft, ihr hättet nicht dran gedacht! Macht’s gnädig, Kinder!«

»Das könnte dir so passen!« Gottfried legte ein Paket auf den Tisch, in dem es mächtig klirrte. Köster kam hinter ihm drein. Lenz baute sich vor mir auf. »Robby, was ist dir heute morgen zuerst begegnet?«

Ich dachte nach. »Ein tanzendes altes Weib.«

»Heiliger Moses! Ein schlechtes Vorzeichen! Paßt aber zu deinem Horoskop. Habe es gestern gestellt. Du bist ein Kind des Schützen, unzuverlässig, schwankend, ein Rohr im Winde, mit verdächtigen Saturntrigonen und einem lädierten Jupiter in diesem Jahr. Da Otto und ich Vater- und Mutterstelle an dir vertreten, überreiche ich dir deshalb als erstes etwas zum Schutz. Nimm dieses Amulett! Eine Nachkommin der Inkas hat es mir dereinst überlassen. Sie hatte blaues Blut, Plattfüße, Läuse und die Gabe, in die Zukunft zu schauen. >Weißhäutiger Fremdling<, sagte sie zu mir, >Könige haben es getragen, die Kraft der Sonne, des Mondes und der Erde ist darin, von den kleineren Planeten ganz zu schweigen – gib mir einen Silberdollar für Schnaps dafür und du kannst es haben.< Damit die Glückskette weitergeht, überreiche ich es dir. Es wird dich behüten und deinen unfreundlichen Jupiter in die Flucht schlagen.«

Er hängte mir eine kleine schwarze Figur an einer dünnen Kette um den Hals. »So! Das ist gegen die höhere Misere – gegen die tägliche hier: sechs Flaschen Rum von Otto! Doppelt so alt wie du!«

Er öffnete das Paket und stellte die Flaschen einzeln in die Morgensonne. Sie schimmerten wie Bernstein. »Sieht wunderbar aus«, sagte ich. »Wo hast du die bloß her, Otto?«

Köster lachte. »War eine verwickelte Sache. Zu lang zum Erzählen. Aber sag mal, wie fühlst du dich denn? Wie dreißig?«

Ich winkte ab. »Wie sechzehn und fünfzig gleichzeitig. Nicht besonders.«

»Das nennst du nicht besonders?« erwiderte Lenz. »Das ist doch das höchste, was es gibt. Du hast damit souverän die Zeit besiegt und lebst doppelt.«

Köster sah mich an. »Laß ihn, Gottfried«, sagte er dann. »Geburtstage drücken mächtig aufs Selbstgefühl. Besonders frühmorgens. Er wird sich schon wieder erholen.«

Lenz kniff die Augen zusammen. »Je weniger Selbstgefühl ein Mensch hat, um so mehr ist er wert, Robby. Tröstet dich das ein bißchen?«

»Nein«, sagte ich, »ganz und gar nicht. Wenn der Mensch erst was wert ist, ist er nur noch sein eigenes Denkmal. Das finde ich anstrengend und langweilig.«

»Er philosophiert, Otto«, sagte Lenz, »er ist schon gerettet. Er hat den stillen Moment überstanden! Den stillen Geburtstagsmoment, wo man sich selbst in die Pupille blickt und entdeckt, was man für ein armseliges Küken ist. Jetzt können wir getrost an unser Tagwerk gehen und dem alten Cadillac die Eingeweide ölen —«


Wir arbeiteten, bis es dämmerig wurde. Dann wuschen wir uns und zogen uns um. Lenz sah begehrlich zu der Flaschenreihe hinüber. »Wollen wir einer den Hals brechen?«

»Das muß Robby entscheiden«, sagte Köster. »Es ist nicht fein, Gottfried, dem Beschenkten so plump mit dem Zaunpfahl zu winken.«

»Noch weniger fein ist es, die Schenker verdursten zu lassen«, erwiderte Lenz und machte eine Flasche auf.

Der Geruch verbreitete sich sofort durch die ganze Werkstatt.

»Heiliger Moses«, sagte Gottfried.

Wir schnupperten alle. »Phantastisch, Otto. Man muß schon in die hohe Poesie gehen, um da würdige Vergleiche zu finden.«

»Zu schade für die dunkle Bude hier!« entschied Lenz. »Wißt ihr was? Wir fahren ‘raus, essen irgendwo zu Abend und nehmen die Flasche mit. In Gottes freier Natur wollen wir sie aussaufen!«

»Glänzend.«

Wir schoben den Cadillac beiseite, an dem wir nachmittags gearbeitet hatten. Hinter ihm stand ein sonderbares Ding auf Rädern. Es war der Rennwagen Otto Kösters, der Stolz der Werkstatt.

Köster hatte den Wagen, eine hochbordige, alte Kiste, seinerzeit auf einer Auktion für ein Butterbrot gekauft. Fachleute, die ihn damals sahen, bezeichneten ihn ohne Zögern als interessantes Stück für ein Verkehrsmuseum. Der Konfektionär Bollwies, Besitzer einer Damenmäntelfabrik und Rennamateur, riet Otto, eine Nähmaschine daraus zu machen. Aber Köster kümmerte sich nicht darum. Er zerlegte den Wagen wie eine Taschenuhr und arbeitete Monate hindurch bis in die Nächte daran herum. Eines Abends erschien er dann mit ihm vor der Bar, in der wir gewöhnlich saßen. Bollwies fiel vor Lachen fast um, als er ihn wieder erblickte, so komisch sah er immer noch aus. Um einen Witz zu machen, bot er Otto eine Wette an. Er wollte zweihundert Mark gegen zwanzig setzen, wenn Köster ein Rennen gegen seinen neuen Sportwagen annähme – Strecke zehn Kilometer, ein Kilometer Vorgabe für Ottos Wagen. Köster nahm die Wette an. Alles lachte und versprach sich einen Riesenspaß. Aber Otto tat noch mehr; er lehnte die Vorgabe ab und erhöhte die Wette mit unbewegter Miene auf tausend Mark gegen tausend Mark. Bollwies fragte ihn entgeistert, ob er ihn in eine Irrenanstalt bringen solle. Köster ließ als Antwort nur seinen Motor an. Beide brachen daraufhin sofort auf, um die Sache auszutragen. Bollwies kam nach einer halben Stunde so verstört zurück, als hätte er die Seeschlange gesehen. Schweigend schrieb er den Scheck aus und einen zweiten dazu. Er wollte die Maschine jetzt auf der Stelle kaufen. Aber Köster lachte ihn aus. Er hätte sie für kein Geld der Erde mehr hergegeben. Doch so tadellos der Wagen nun innen auch war – von außen sah er immer noch wüst aus. Wir hatten für den täglichen Gebrauch eine besonders altmodische Karosserie, die gerade paßte, darauf gesetzt; der Lack war blind, die Kotflügel hatten Risse, und das Verdeck war reichlich zehn Jahre alt. Wir hätten das alles besser machen können – aber wir hatten einen Grund, es nicht zu tun. Der Wagen hieß Karl. Karl, das Chausseegespenst.

Karl schnob die Chaussee entlang.


»Otto«, sagte ich, »da kommt ein Opfer.«

Hinter uns hupte ungeduldig ein schwerer Buick. Er holte rasch auf. Bald lagen die Kühler nebeneinander. Der Mann am Steuer sah lässig herüber. Sein Blick streifte von oben herab den ruppigen Karl. Dann wendete er sich ab und hatte uns schon vergessen.

Ein paar Sekunden später mußte er feststellen, daß Karl sich immer noch auf gleicher Höhe mit ihm befand. Er rückte sich etwas zurecht, blickte uns amüsiert an und gab Gas. Aber Karl wankte nicht. Wie ein Terrier neben einer Dogge hielt er sich weiter klein und flink neben der strahlenden Lokomotive aus Nickel und Lack.

Der Mann faßte das Steuerrad fester. Er war vollkommen ahnungslos und verzog spöttisch die Lippen. Man sah, daß er uns jetzt zeigen wollte, was sein Schlitten leistete. Er trat so kräftig auf den Gashebel, daß der Auspuff zwitscherte wie ein Feld voll Lerchen im Sommer. Doch es nutzte nichts; er kam nicht vorbei. Wie verhext klebte Karl häßlich und unscheinbar an seiner Seite. Der Mann starrte erstaunt zu uns herunter. Er begriff nicht, daß bei einem Tempo von über hundert Kilometern der altmodische Kasten unter ihm nicht abzuschütteln war. Verwundert blickte er auf seinen Tachometer, als könne der nicht stimmen. Dann gab er Vollgas.

Die Wagen rasten jetzt genau nebeneinander über die lange, gerade Chaussee. Nach ein paar hundert Metern kam ein Lastwagen aus der entgegengesetzten Richtung angetost. Der Buick mußte hinter uns zurück, um auszuweichen. Kaum war er wieder neben Karl, da fegte ein Beerdigungsauto mit wehenden Kranzschleifen heran, und er mußte abermals zurück. Dann wurde die Sicht frei.

Der Mann am Steuer hatte inzwischen all seinen Hochmut verloren; ärgerlich, die Lippen zusammengepreßt, saß er vorgebeugt da – das Rennfieber hatte ihn gepackt, und plötzlich hing die Ehre seines Lebens davon ab, um keinen Preis gegen den Kläffer neben sich klein beizugeben.

Wir dagegen hockten scheinbar gleichgültig auf unseren Sitzen. Der Buick existierte für uns gar nicht. Köster blickte ruhig auf die Straße, ich schaute gelangweilt in die Luft; und Lenz, obschon er ein Bündel Spannung war, zog eine Zeitung hervor und tat, als ob es nichts Wichtigeres für ihn gäbe, als gerade jetzt zu lesen.

Ein paar Minuten später blinzelte Köster uns zu. Karl verlor unmerklich an Tempo, und der Buick rückte langsam vor. Seine breiten, blinkenden Kotflügel drückten sich an uns vorbei. Der Auspuff donnerte uns blauen Qualm in die Gesichter. Allmählich gewann er ungefähr zwanzig Meter – da erschien auch schon das Gesicht des Besitzers im Fenster und grinste offenen Triumph. Er glaubte gewonnen zu haben.

Aber der Mann tat noch ein übriges. Er konnte sich eine Revanche nicht verkneifen. Er winkte uns zu, doch nachzukommen. Er winkte sogar besonders nachlässig und siegessicher. »Otto!« sagte Lenz mahnend.

Aber er brauchte nichts zu sagen. Karl machte im selben Moment schon einen Sprung. Der Kompressor pfiff los. Und plötzlich verschwand die winkende Hand im Fenster – denn Karl folgte der Aufforderung; er kam. Er kam sogar unaufhaltsam, er holte alles wieder auf – und nun, zum ersten Male, nahmen wir Notiz von dem fremden Wagen. Unschuldig fragend schauten wir hinauf zu dem Mann am Steuer; wir wollten gerne wissen, weshalb er uns gewinkt hatte. Doch der sah krampfhaft nach der anderen Seite, und Karl zog jetzt erst mit vollem Gas davon, starrend vor Schmutz, mit wehenden Kotflügeln, ein siegreicher Dreckfink.

»Gut gemacht, Otto«, sagte Lenz zu Köster. »Dem Mann wird sein Abendbrot nicht schmecken.«

Diese Jagden waren der Grund, weshalb wir Karls Karosserie nicht änderten. Er brauchte nur auf der Straße zu erscheinen – sofort versuchte jemand, ihn abzuhängen. Auf andere Wagen wirkte er wie eine flügellahme Krähe auf ein Rudel hungriger Katzen. Er reizte die friedlichsten Familienkutschen zum Überholen, und selbst die behäbigsten Vollbärte wurden unwiderstehlich vom Rennehrgeiz gepackt, wenn sie sein klappriges Fahrgestell vor sich auf und nieder tanzen sahen. Wer konnte auch ahnen, daß in dieser lächerlichen Gestalt das große Herz eines Rennmotors schlug!

Lenz behauptete, Karl wirke erzieherisch. Er lehre die Leute Ehrfurcht vor dem Schöpferischen, das immer in einer unscheinbaren Hülle stecke. Das sagte Lenz, der von sich ebenfalls behauptete, er wäre der letzte Romantiker.


Wir hielten vor einem kleinen Gasthaus und kletterten aus dem Wagen. Der Abend war schön und still. Die Furchen der aufgebrochenen Äcker schimmerten violett. Die Kanten leuchteten golden und braun. Wie große Flamingos schwammen die Wolken am apfelgrünen Himmel und behüteten zwischen sich die schmale Sichel des zunehmenden Mondes. Ein Haselnußstrauch hielt Dämmerung und Ahnung in seinen Armen, rührend kahl und schon voll Knospenhoffnung. Aus dem kleinen Gasthaus drang der Duft gebratener Leber. Auch Zwiebeln waren dabei. Uns schwoll das Herz.

Lenz stürzte ins Haus, dem Geruch nach. Verklärt kam er zurück. »Ihr müßtet die Bratkartoffeln sehen! Rasch, sonst ist das Beste ‘runter!«

In diesem Augenblick summte noch ein Wagen heran. Wie angenagelt blieben wir stehen. Es war der Buick. Er hielt mit scharfem Ruck neben Karl. »Hoppla!« sagte Lenz. Wir hatten schon öfter Schlägereien wegen ähnlicher Sachen gehabt.

Der Mann stieg aus. Er war groß und schwer und trug einen weiten, braunen Raglan aus Kamelhaar. Mißvergnügt schielte er nach Karl, streifte dann ein Paar dicke gelbe Handschuhe ab und kam heran.

»Is denn das für ‘n Modell, Ihr Wagen da?« fragte er Köster, der ihm am nächsten stand, mit einem Gesicht wie eine Essiggurke.

Wir sahen ihn alle drei eine Weile schweigend an. Sicherlich hielt er uns für Monteure im Sonntagsanzug auf einer Schwarzfahrt. »Haben Sie etwas gesagt?« fragte Otto dann schließlich zweifelnd, um ihn zu belehren, daß er höflicher sein könnte.

Der Mann wurde rot. »Ich habe nach dem Wagen da gefragt«, erklärte er brummig im selben Ton wie vorher.

Lenz richtete sich auf. Seine große Nase zuckte. Er hielt außerordentlich auf Höflichkeit bei anderen. Aber bevor er den Mund auftun konnte, öffnete sich plötzlich, wie durch eine Geisterhand, die zweite Tür des Buick – ein schmaler Fuß glitt heraus, ein schmales Knie folgte —, dann stieg ein Mädchen aus und schritt langsam auf uns zu.

Überrascht blickten wir uns an. Wir hatten vorher nicht gesehen, daß noch jemand im Wagen war. Lenz veränderte sofort seine Haltung. Er lächelte über sein ganzes sommersprossiges Gesicht. Wir lächelten auf einmal alle, weiß der Kuckuck, warum.

Der Dicke schaute uns verblüfft an. Er wurde unsicher und wußte scheinbar nicht mehr, was er aus der Sache machen sollte. »Binding«, sagte er schließlich, mit einer halben Verbeugung, als könne er sich an seinem Namen festhalten.

Das Mädchen war jetzt ganz herangekommen. Wir wurden noch freundlicher. »Zeig doch mal den Wagen, Otto«, sagte Lenz mit einem raschen Blick zu Köster hin.

»Warum nicht«, erwiderte Otto und gab den Blick belustigt zurück.

»Ich würde ihn wirklich gern mal sehen«, sagte Binding bereits versöhnlicher. »Muß verdammt schnell sein. Hat mich ja nur so weggepustet.«

Beide gingen zum Parkplatz hinüber, und Köster klappte Karls Motorhaube hoch.

Das Mädchen ging nicht mit. Es blieb schlank und schweigend neben Lenz und mir in der Dämmerung stehen. Ich erwartete, daß Gottfried die Gelegenheit ausnützen und losgehen würde wie eine Bombe. Er war für solche Situationen. Doch er schien die Sprache verloren zu haben. Sonst konnte er balzen wie ein Birkhahn – aber jetzt stand er da wie ein Karmelitermönch auf Urlaub und rührte sich nicht.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich schließlich. »Wir haben nicht gesehen, daß Sie im Wagen waren. Sonst hätten wir den Unfug vorhin sicher nicht gemacht.«

Das Mädchen sah mich an. »Aber warum denn nicht?« erwiderte es ruhig, mit einer überraschend dunklen Stimme. »So schlimm war das doch gar nicht.«

»Schlimm nicht, aber auch nicht ganz anständig. Der Wagen da läuft ungefähr zweihundert Kilometer.«

Sie beugte sich etwas vor und steckte die Hände in die Taschen ihres Mantels. »Zweihundert Kilometer?«

»Genau hundertneunundachtzig Komma zwei, amtlich abgestoppt«, erklärte Lenz, wie aus der Pistole geschossen, stolz.

Sie lachte. »Und wir dachten, ungefähr so sechzig, siebzig.«

»Sehen Sie«, sagte ich, »das konnten Sie doch nicht wissen.«

»Nein«, erwiderte sie, »das konnten wir wirklich nicht wissen. Wir glaubten, der Buick wäre doppelt so schnell wie Ihr Wagen.«

»Ja« – ich stieß mit dem Fuß einen abgebrochenen Zweig beiseite —, »aber wir hatten einen zu großen Vorteil. Und Herr Binding drüben hat sich wohl auch ziemlich über uns geärgert.«

Sie lachte. »Einen Augenblick sicher. Aber man muß auch verlieren können; wie sollte man sonst leben.«

»Gewiß…«

Es entstand eine Pause. Ich blickte zu Lenz hinüber. Doch der letzte Romantiker grinste nur, zuckte mit der Nase und ließ mich im Stich. Die Birken raschelten. Ein Huhn gackerte hinter dem Hause.

»Wunderbares Wetter«, sagte ich endlich, um das Schweigen zu unterbrechen.

»Ja, herrlich«, erwiderte das Mädchen.

»Und so milde«, fügte Lenz hinzu.

»Sogar ungewöhnlich milde«, ergänzte ich.

Es entstand eine neue Pause. Das Mädchen mußte uns für ziemliche Schafsköpfe halten; aber mir fiel beim besten Willen nichts mehr ein. Lenz schnupperte in die Gegend. »Geschmorte Äpfel«, sagte er gefühlvoll, »es scheint auch geschmorte Äpfel zur Leber zu geben. Eine Delikatesse.«

»Ohne Zweifel«, gab ich zu und verfluchte uns beide.

Köster und Binding kamen zurück. Binding war in den paar Minuten ein ganz anderer Mann geworden. Er schien einer dieser Autonarren zu sein, die ganz selig sind, wenn sie irgendwo einen Fachmann finden, mit dem sie reden können.

»Wollen wir zusammen essen?« fragte er.

»Selbstverständlich«, erwiderte Lenz.

Wir gingen hinein. Unter der Tür blinzelte Gottfried mir zu und nickte zu dem Mädchen hinüber. »Du, die hebt das tanzende alte Weib von heute morgen zehnfach wieder auf…«

Ich zuckte die Achseln. »Mag sein – aber warum hast du mich dann alleine herumstottern lassen?«

Er lachte. »Mußt es doch auch mal lernen, Baby!«

»Habe gar keine Lust mehr, was zu lernen«, sagte ich.

Wir folgten den andern. Sie saßen schon am Tisch. Die Wirtin kam gerade mit der Leber und den Bratkartoffeln. Sie brachte außerdem eine große Flasche Kornschnaps als Einleitung mit.

Binding erwies sich als wahrer Sturzbach von einem Redner. Es war erstaunlich, was er alles über Automobile zu sagen hatte. Als er hörte, daß Otto auch Rennen gefahren hatte, kannte seine Zuneigung überhaupt keine Grenzen mehr.

Ich sah ihn mir genauer an. Er war ein schwerer, großer Mann mit dicken Augenbrauen über einem roten Gesicht; etwas prahlerisch, etwas lärmend, und wahrscheinlich gutmütig, wie Leute, die im Leben Erfolg haben. Ich konnte mir vorstellen, daß er sich abends vor dem Schlafengehen ernst, würdig und achtungsvoll in einem Spiegel betrachtete.

Das Mädchen saß zwischen Lenz und mir. Es hatte den Mantel ausgezogen und trug darunter ein graues englisches Kostüm. Um den Hals hatte es ein weißes Tuch geknüpft, das aussah wie eine Reitkrawatte. Ihr Haar war braun und seidig und hatte im Lampenlicht einen bernsteinfarbenen Schimmer. Die Schultern waren sehr gerade, aber etwas vorgebeugt, die Hände schmal, überlang und eher etwas knochig als weich. Das Gesicht war schmal und blaß, aber die großen Augen gaben ihm eine fast leidenschaftliche Kraft. Sie sah sehr gut aus, fand ich – aber ich dachte mir nichts weiter dabei.

Lenz dagegen war jetzt Feuer und Flamme. Er war völlig verwandelt gegen vorhin. Sein gelber Schopf glänzte wie die Haube eines Wiedehopfs. Er ließ ein Feuerwerk von Einfällen los und beherrschte mit Bindung zusammen den Tisch. Ich saß nur so dabei und konnte mich wenig bemerkbar machen; höchstens einmal eine Schüssel reichen oder Zigaretten anbieten. Und mit Binding anstoßen. Das tat ich ziemlich oft.

Lenz schlug sich plötzlich vor die Stirn: »Der Rum! Robby, hol mal unsern Geburtstagsrum!«

»Geburtstag? Hat denn jemand Geburtstag?« fragte das Mädchen.

»Ich«, sagte ich. »Ich werde schon den ganzen Tag damit verfolgt.«

»Verfolgt? Dann wollen Sie also nicht, daß man Ihnen gratuliert?«

»Doch«, sagte ich, »gratulieren ist was anderes.«

»Also alles Gute!«

Ich hielt einen Augenblick ihre Hand in meiner und spürte ihren warmen, trockenen Druck. Dann ging ich hinaus, um den Rum zu holen.

Die Nacht stand groß und schweigend um das kleine Haus. Die ledernen Sitze unseres Wagens waren feucht. Ich blieb stehen und sah nach dem Horizont, wo der rötliche Schein der Stadt am Himmel stand. Ich wäre gern noch draußen geblieben; aber ich hörte Lenz schon rufen.

Binding vertrug den Rum nicht. Nach dem zweiten Glas merkte man es schon. Er schwankte in den Garten hinaus. Ich stand auf und ging mit Lenz an die Theke. Er verlangte eine Flasche Gin. »Großartiges Mädchen, was?« sagte er.

»Weiß ich nicht, Gottfried«, erwiderte ich. »Habe nicht so drauf geachtet.«

Er betrachtete mich eine Weile mit seinen irisierenden blauen Augen und schüttelte dann den glühenden Kopf. »Wozu lebst du eigentlich, sag mal, Baby?«

»Das wollte ich auch schon lange mal wissen.«

Er lachte. »Das könnte dir so passen! So leicht wird’s einem doch nicht gemacht. Aber jetzt werde ich zunächst mal herauspolken, wie das Mädchen zu dem dicken Autokatalog draußen steht.«

Er folgte Binding in den Garten. Nach einiger Zeit kamen beide an die Theke zurück. Die Auskunft mußte gut gewesen sein, denn Gottfried, der scheinbar die Bahn jetzt frei sah, schloß sich in heller Begeisterung darüber stürmisch an Binding an. Die beiden holten sich die Ginflasche und duzten sich eine Stunde später. Lenz hatte, wenn er in guter Laune war, immer so etwas Hinreißendes, daß man ihm schwer widerstehen konnte. Er konnte sich selbst dann auch nicht widerstehen. Jetzt überflutete er Binding einfach, und bald sangen beide in der Laube draußen Soldatenlieder. Das Mädchen hatte der letzte Romantiker darüber vollständig vergessen.

Wir drei blieben allein in der Wirtsstube. Es war plötzlich sehr still. Die Schwarzwälderuhr tickte. Die Wirtin räumte ab und blickte mütterlich auf uns herunter. Am Ofen dehnte sich ein brauner Jagdhund. Manchmal bellte er im Schlaf, leise, hoch und klagend. Draußen strich der Wind am Fenster vorbei. Er wurde überweht von den Fetzen der Soldatenlieder, und mir war, als ob der kleine Raum sich höbe und mit uns durch die Nacht und durch die Jahre schwebe, vorbei an vielen Erinnerungen.

Es war eine merkwürdige Stimmung. Die Zeit schien aufgehoben zu sein – sie war nicht mehr ein Strom, der aus dem Dunkel kam und ins Dunkel ging —, sie war ein See, in dem sich lautlos das Leben spiegelte. Ich hielt mein Glas in der Hand. Der Rum schimmerte. Ich dachte an den Zettel, den ich morgens in der Werkstatt geschrieben hatte. Ich war etwas traurig gewesen. Ich war es jetzt nicht mehr. Es war alles gleich – solange man lebte. Ich sah Köster an. Ich hörte, wie er mit dem Mädchen sprach; aber ich achtete nicht auf die Worte. Ich spürte den weichen Glanz der ersten Trunkenheit, der das Blut wärmer machte und den ich liebte, weil er über das Ungewisse den Schein des Abenteuers breitete. Draußen sangen Lenz und Binding das Lied vom Argonnerwald. Neben mir sprach das unbekannte Mädchen – es sprach leise und langsam mit dieser dunklen, erregenden, etwas rauhen Stimme. Ich trank mein Glas aus.

Die beiden andern kamen wieder herein. Sie waren nüchterner geworden in der frischen Luft. Wir brachen auf. Ich half dem Mädchen in den Mantel. Es stand dicht vor mir, geschmeidig sich in den Schultern dehnend, den Kopf schräg nach hinten gelegt, den Mund leicht geöffnet, mit einem Lächeln zur Zimmerdecke, das niemand galt. Ich ließ einen Moment den Mantel sinken. Wo hatte ich nur die ganze Zeit meine Augen gehabt? Hatte ich denn geschlafen? Ich verstand plötzlich die Begeisterung von Lenz.

Sie drehte sich fragend halb um. Ich hob rasch den Mantel wieder hoch und schaute zu Binding hinüber, der kirschrot und immer noch etwas glasig neben dem Tisch stand. »Glauben Sie, daß er fahren kann?« fragte ich.

»Ich denke schon…«

Ich sah sie immer noch an. »Wenn er nicht sicher genug ist, kann einer von uns mitfahren.«

Sie zog ihre Puderdose hervor und klappte sie auf. »Es wird schon gehen«, sagte sie. »Er fährt viel besser, wenn er getrunken hat.«

»Besser und wahrscheinlich unvorsichtiger«, erwiderte ich.

Sie blickte mich über den Rand ihres kleinen Spiegels an.

»Hoffentlich geht es gut«, sagte ich. Es war etwas übertrieben, denn Binding stand ganz leidlich auf den Beinen. Aber ich wollte irgend etwas tun, damit sie nicht so wegging. »Darf ich morgen einmal bei Ihnen anrufen und hören, wie es geworden ist?« fragte ich.

Sie antwortete nicht gleich. »Wir haben mit unserer Trinkerei doch so eine gewisse Verantwortung dafür«, sagte ich weiter. »Besonders ich mit meinem Geburtstagsrum.«

Sie lachte. »Nun gut, wenn Sie wollen. Westen 2796.«

Ich schrieb mir die Nummer draußen gleich auf. Wir sahen zu, wie Binding abfuhr, und tranken noch ein letztes Glas. Dann ließen wir Karl losheulen. Er fegte durch den leichten Märznebel, wir atmeten rasch, die Stadt kam uns entgegen, feurig und schwankend im Dunst, und aus den Schwaden hob sich wie ein erleuchtetes, buntes Schiff Freddys Bar. Wir gingen mit Karl vor Anker. Golden floß der Kognak, der Gin glänzte wie Aquamarin, und der Rum war das Leben selbst. Eisern saßen wir auf den Barstühlen, die Musik plätscherte, das Dasein war hell und stark; es floß mächtig durch unsere Brust, die Trostlosigkeit der öden möblierten Zimmer, die uns erwartete, die Verzweiflung der Existenz war vergessen, die Bartheke war die Kommandobrücke des Lebens, und wir fuhren brausend in die Zukunft hinein. —

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