Frieden war eingekehrt, wo einst Flensers Reich gewesen war. Zumindest gab es keine Spur von Streitkräften. Wer immer sie zurückgezogen hatte, hatte es sehr geschickt getan. Im Laufe der Tage ließ sich nach und nach das örtliche Bauernvolk blicken. Wo die Leute nicht einfach betäubt waren, schienen sie froh zu sein, dass sie das alte Regime los waren. Das Leben auf den Bauernhöfen kam wieder in Gang, und die Bauern taten ihr Bestes, um sich von der schlimmsten Feuersbrunst seit langem zu erholen, die von den heftigsten Kämpfen begleitet gewesen war, die es in der Gegend jemals gegeben hatte.
Die Königin hatte Boten nach Süden gesandt, um den Sieg zu melden, doch sie schien es nicht eilig zu haben, in ihre Hauptstadt zurückzukehren. Ihre Truppen machten sich bei einigen Landarbeiten nützlich und taten ihr Möglichstes, den Einheimischen nicht zur Last zu fallen. Doch sie durchforschten auch die Burg auf dem Schiffsberg und die große alte Burg auf der Verborgenen Insel. Da unten gab es all die Schrecken, über die die Jahre hindurch geflüstert worden war. Doch noch immer fehlte jede Spur von den Truppen, die entkommen waren. Die Einheimischen erzählten eifrig ihre eigenen Geschichten, und die meisten klangen verhängnisvoll glaubwürdig: Dass Flenser, ehe er seinen Vorstoß auf die Republik unternommen hatte, weiter nördlich Rückzugsstellungen erbaut habe. Dort hatten Reserven gelegen — obwohl manche glaubten, Stahl habe diese längst aufgebraucht. Bauern aus dem nördlichen Tal hatten den Rückzug der flenseristischen Truppen gesehen. Manche sagten, sie hätten Flenser selbst gesehen — oder zumindest ein Rudel, das die Farben eines Fürsten trug. Selbst die Einheimischen glaubten nicht alles an diesen Geschichten, dass Flenser hier und da gewesen sei, Solos, kilometerweit voneinander entfernt, die den Rückzug organisiert hatten.
Ravna und die Königin hatten Gründe, die Geschichte zu glauben, waren aber nicht töricht genug, es nachzuprüfen. Holzschnitzerins Expeditionskorps war nicht groß, und die Wälder und Täler erstreckten sich mehr als hundert Kilometer weit bis zu der Stelle, wo sich die Eisfänge nach Westen zum Meer hin krümmten. Dieses Gebiet war Holzschnitzerin unbekannt. Wenn Flenser es jahrzehntelang vorbereitet hatte — wie es die normale Vorgehensweise dieses Rudels war —, würde es tödliche Überraschungen geben, selbst für eine große Armee, die nur auf ein paar Dutzend Partisanen Jagd machte. Es war besser, Flenser in Ruhe zu lassen und zu hoffen, dass seine Reserven von Fürst Stahl aufgezehrt worden waren.
Holzschnitzerin machte sich Sorgen, dass dies die große Gefahr des nächsten Jahrhunderts sein würde.
Doch die Dinge klärten sich viel früher. Es war Flenser, der auf sie zu kam, und nicht mit einem Gegenangriff: Etwa zwanzig Tage nach der Schlacht, am Ende eines Tages, da die Sonne gerade kurz hinter die nördlichen Berge tauchte, erklangen Signalhörner. Ravna und Johanna wachten auf und standen wenig später auf dem Wehrgang der Burg, in eine Art Sonnenuntergang starrend, der die Umrisse der Berge jenseits des nördlichen Fjords ganz in Orange und Gold zeichnete. Holzschnitzerins Berater blickten aus vielen Augen auf die Höhenzüge. Einige wenige hatten Fernrohre.
Ravna ließ Johanna durch ihren Feldstecher schauen. »Da oben ist jemand.« Scharf gegen das Glühen des Himmels abgezeichnet, trug ein Rudel ein langes Banner mit einzelnen Stangen für jedes Glied.
Holzschnitzerin benutzte zwei Fernrohre, die wahrscheinlich wirksamer als Ravnas Gerät waren, wenn man den Abstand zwischen den Augenpaaren des Rudels berücksichtigte. »Ja, ich sehe es. Das ist übrigens eine Parlamentärsflagge. Und ich glaube, ich weiß, wer sie trägt.« Sie sagte etwas zu Wanderer. »Es ist lange her, seit ich mit diesem da gesprochen habe.«
Johanna blickte noch immer durch den Feldstecher. Schließlich sagte sie: »Er… hat Stahl erschaffen, nicht wahr?«
»Ja, Liebe.«
Das Mädchen senkte den Feldstecher. »Ich… glaube, ich werde diese Begegnung auslassen.« Ihre Stimme klang weit entfernt.
Erst acht Stunden später trafen sie sich am Berghang nördlich der Burg. In der Zwischenzeit hatten Holzschnitzerins Truppen das Tal erkundet. Das diente nur zum Teil dem Schutz gegen Verrat der anderen Seite: Ein ganz besonderes Rudel des Feindes würde kommen, und es gab eine Menge Einheimische, die ihm den Tod wünschten.
Holzschnitzerin ging bis zu einer Stelle, wo der Berg steil zum Wald hin abfiel. Ravna und Pilger folgten ihr im für Klauenwesen geringen Anstand von zehn Metern. Holzschnitzerin sagte nicht viel über diese Begegnung, doch Pilger hatte sich als sehr gesprächig erwiesen. »Das ist derselbe Weg, auf dem ich seinerzeit gekommen bis, vor einem Jahr, als das erste Schiff landete. Du siehst, wie manche von den Bäumen vom Feuerstrahl versengt wurden. Zum Glück war es kein so trockener Sommer wie dieser.«
Der Wald war dicht, aber sie schauten über die Wipfel hinweg. Selbst bei dieser Trockenheit lag ein süßer, harziger Geruch in der Luft. Zu ihrer Linken lagen ein winziger Wasserfall und ein Pfad, der ins Tal hinab führte — der Pfad, den ihr Besucher zu benutzen sich bereit erklärt hatte. Ackerland nannte Wanderer den Talgrund. In Ravnas Augen war es ein ungeordnetes Chaos. Die Klauenwesen bauten verschiedene Pflanzen zusammen auf denselben Feldern an, und sie sah keine Zäune, nicht einmal, um Wild zurückzuhalten. Hier und da standen Holzhütten mit steilen Dächern und nach außen gekrümmten Wänden — wie man es in einem Gebiet mit schneereichen Wintern erwarten konnte.
»Eine ziemliche Meute da unten«, sagte Pilger.
Ihr kam es nicht eng vor: kleine Klümpchen, jedes ein Rudel, jedes deutlich von den anderen getrennt. Sie sammelten sich um die Hütten. Andere waren über die Felder verstreut. Holzschnitzerins Soldaten standen entlang der kleinen Straße, die das Tal durchquerte.
Sie fühlte, wie sich neben ihr Pilger spannte. Ein Kopf streckte sich an ihrer Hüfte vorbei, zeigte nach vorn. »Das muss er sein. Ganz allein, wie versprochen. Und…« — ein Teil von ihm schaute durch ein Fernrohr — »also das ist eine Überraschung.«
Ein einzelnes Rudel kam langsam die Straße entlang, an Holzschnitzerins Wachen vorbei. Es zog einen kleinen Wagen — der anscheinend eins von seinen Gliedern enthielt. Einen Krüppel?
Die Bauern strömten an die Feldränder und gingen neben dem einzelnen Rudel her. Sie hörte das Kollern der Klauensprache. Wenn sie laut sein wollten, dann konnten sie sehr, sehr laut sein. Die Soldaten bewegten sich, um jeden Einheimischen zurückzutreiben, der sich der Straße zu weit näherte.
»Ich denke, sie sind uns dankbar?« Von allem, was sie seit der Schlacht gesehen hatte, kam dies der Gewalt am nächsten.
»Sind sie auch. Die meisten von ihnen schreien nach Flensers Tod.«
Flenser, Schneider, das Rudel, das Jefri Olsndot gerettet hatte. »So sehr können sie ein einziges Rudel hassen?«
»Lieben und hassen und fürchten, alles zugleich. Seit mehr als einem Jahrhundert sind sie unter seinem Messer gewesen. Und nun ist er hier, halb verkrüppelt und ohne seine Soldaten. Und dennoch haben sie immer noch Angst. Da unten gibt es genug Bauern, um unsere Wachen zu überwältigen, aber der Druck ist nicht besonders groß. Dies war Flensers Reich, und er hat es behandelt, wie ein guter Bauer vielleicht seinen Hof behandelt. Schlimmer, er hat die Leute und das Land als eine Art gewaltiges Experiment behandelt. Nach dem, was ich im Datio lese, ist er ein Ungeheuer, das seiner Zeit voraus ist. Da draußen gibt es manche, die immer noch für ihren Herrn töten würden, und niemand weiß sicher, wer sie sind…« Er hielt eine Weile inne und beobachtete nur.
»Und weißt du, was der Hauptgrund für ihre Furcht ist? Dass er so ganz allein hierher kommt, so weit entfernt von aller Hilfe, die wir ausmachen können.«
So. Ravna schob Phams Pistole am Gürtel nach vorn. Es war ein grobschlächtiges, aufdringliches Ding — und sie war froh, sie zu haben. Sie blickte nach Westen zur Verborgenen Insel hin. Die ADR war sicher auf den Zinnen der Burg dort gelandet. Wenn Grünmuschel das Programm nicht grundlegend ändern konnte, würde das Schiff nie wieder fliegen. Und Grünmuschel war in dieser Frage nicht zuversichtlich. Doch sie und Ravna hatten die Strahlenkanone in einer der Frachtkammern aufgebaut, und deren Fernsteuerung war einfach und todsicher. Flenser mochte seine Überraschungen haben, Ravna aber auch.
Das Fünfsam verschwand unterhalb des Hangs.
»Es wird noch eine Weile dauern«, sagte Pilger. Einer von seinen Welpen stand auf seinen Schultern und lehnte sich an Ravnas Arm. Sie grinste: ihre private Informationsquelle. Sie hob ihn hoch und legte ihn sich auf die Schulter. Die übrigen von Wanderer setzten sich hin und hielten erwartungsvoll Ausschau.
Ravna schaute nach den anderen vom Gefolge der Königin. Holzschnitzerin hatte links und rechts von sich Armbrustrudel postiert. Flenser würde direkt vor ihr und ein weniger tiefer sitzen. Ravna schien es, als bemerkte sie Nervosität bei Holzschnitzerin. Die Glieder leckten sich immerzu die Lippen, wobei die schmalen rosa Zungen mit schlangengleicher Geschwindigkeit heraus und hinein schnellten. Die Königin hatte sich wie für ein Gruppenporträt aufgebaut, die größeren Glieder hinten und davor aufrecht sitzend die beiden kleinen. Ihre meisten Blicke schienen auf die Lücke in der Geländekante gerichtet zu sein, wo der Pfad von unten her die Terrasse erreichte, auf der sie saßen.
Schließlich hörte Ravna Krallen über Stein schurren. Ein Kopf erschien über der Kante, dann weitere. Flenser trat auf das Moos hervor; zwei von seinen Gliedern zogen den Wagen. Das Glied im Wagen saß aufrecht, die hintere Körperhälfte unter einer Decke. Abgesehen von seinen weißen Ohrenspitzen schien nichts an ihm bemerkenswert.
Die Köpfe des Rudels spähten in jede Richtung. Ein Augenpaar blieb mit beunruhigender Intensität auf Ravna gerichtet, während das Rudel den Hang empor auf die Königin zukam. Schneider — Flenser — war das Rudel, das die Radioumhänge getragen hatte. Jetzt trug es keine. Durch Aussparungen in seinen Jacken konnte Ravna die Schorfstellen stehen, wo das Fell abgescheuert worden war.
»Ein räudiger Kerl, nicht wahr?«, drang die kleine Stimme an Ravnas Ohr. »Aber auch eiskalt. Sieh diesen unverschämten Blick.« Die Königin hatte sich nicht gerührt. Sie schien erstarrt zu sein, den Blick jedes Gliedes an das näherkommende Rudel geheftet. Einige von ihren Nasen zitterten.
Vier von Flenser kippten den Wagen nach vorn und halfen dem Glied mit den weißen Ohrenspitzen, zu Boden zu gleiten. Jetzt sah Ravna, dass seine Hüften unter der Decke unnatürlich verdreht und reglos waren. Die fünf setzten sich mit den Rümpfen aneinander hin. Ihre Hälse bogen sich nach oben und außen, fast wie die Glieder eines einzigen Wesens. Das Rudel kollerte etwas, das für Ravna wie die Schreie gewürgter Singvögel klang.
Pilgers Übersetzung kam unverzüglich von dem Welpen auf Ravnas Schulter. Der Welpe sprach mit einer neuen Stimme, einer traditionellen Schurkenstimme aus Kindergeschichten, trocken und sardonisch. »Sei gegrüßt… Elter. Es ist viele Jahre her.«
Einen Moment lang sagte Holzschnitzerin nichts. Dann kollerte sie etwas zurück, und Pilger übersetzte: »Du erkennst mich?«
Einer von Flensers Köpfen schoss auf Holzschnitzerin zu. »Natürlich nicht die Glieder, aber deine Seele ist nicht zu verkennen.«
Wieder schwieg die Königin. Wanderer kommentierte: »Meine arme Holzschnitzerin. Ich hätte nie geglaubt, dass sie derart aus dem Konzept geraten könnte.« Unvermittelt sprach er laut in Samnorsk, aber an Flenser gewandt: »Nun, du bist für mich nicht so offensichtlich zu erkennen, o ehemaliger Reisegefährte. In meiner Erinnerung bist du Tyrathect, die schüchterne Lehrerin von den Langen Seen.«
Mehrere Köpfe wandten sich Wanderer und Ravna zu. Das Geschöpf antwortete in ziemlich gutem Samnorsk, aber mit kindlicher Stimme: »Sei gegrüßt, Wanderer. Und sei gegrüßt — Ravna Bergsndot? Ja. Flenser Tyrathect bin ich.« Die Köpfe senkten sich mit träge blinzelnden Augen.
»Gerissener Mistkerl«, murmelte Wanderer.
»Ist Amdijefri in Sicherheit?«, fragte der Flenser plötzlich.
»Was?«, erwiderte Ravna, die den Namen nicht gleich erkannte. »Ja, sie fühlen sich wohl.«
»Gut.« Nun wandten sich alle Köpfe der Königin zu, und das Wesen fuhr in Rudelsprache fort: »Als pflichtbewusstes Geschöpf bin ich gekommen, um mit meinem Elter Frieden zu schließen, liebe Holzschnitzerin.«
»Redet er wirklich so?«, zischte Ravna dem Welpen auf ihrer Schulter zu.
»Na, würde ich etwa übertreiben?«
Holzschnitzerin kollerte zurück, und Pilger nahm die Übersetzung auf, nun in der Menschenstimme der Königin: »Frieden. Ich bezweifle das, Flenser. Eher willst du Spielraum, um wieder zu bauen, um wieder zu versuchen, uns alle zu vernichten.«
»Ich will wieder bauen, das ist wahr. Aber ich habe mich geändert. Die ›schüchterne Lehrerin‹ hat mich ein wenig… weicher gemacht. Etwas, das du niemals zustande gebracht hättest, Elter.«
»Was?« Pilger brachte es fertig, dem Wort einen Klang gekränkter Überraschung zu geben.
»Holzschnitzerin, hast du niemals darüber nachgedacht? Du bist das genialste Rudel in diesem Teil der Welt, vielleicht das klügste aller Zeiten. Und die Rudel, die du erschaffst, sind größtenteils auch genial. Aber hast du dich nie über die Erfolgreichsten von ihnen gewundert? Deine Schöpfungen waren zu genial. Du hast Inzucht und (etwas, das ich nicht leicht übersetzen kann) ignoriert, und erhalten hast du — mich. Mit all den… Launen, die dir das letzte Jahrhundert über so viel Kummer bereitet haben.«
»Ich… ich habe über diesen Fehler nachgedacht — und es seither besser gemacht.«
»Ja, und mit Feilonius? (Oh, sieh nur die Gesichter meiner Königin. Das hat wirklich gesessen.) Egal, egal. Feilonius mag durchaus eine andere Art Irrtum gewesen sein. Der springende Punkt ist, du hast mich erschaffen. Früher habe ich das für deine genialste Tat gehalten. Jetzt… bin ich mir dessen nicht sicher. Ich will wiedergutmachen, was ich kann. In Frieden leben.« Einer von den Köpfen schoss auf Ravna zu, der andere in Richtung der ADR unten auf der Verborgenen Insel. »Und es gibt andere Dinge im Weltall, auf die wir unser Genie richten können.«
»Ich höre die alte Überheblichkeit. Warum sollte ich dir trauen?«
»Ich habe geholfen, die Kinder zu retten. Ich habe das Schiff gerettet.«
»Und du bist immer der größte Opportunist von der Welt gewesen.«
Flensers äußere Köpfe wichen zurück. »(Das ist eine Art wegwerfenden Achselzuckens.) Du bist im Vorteil, Elter, aber einiges von meiner Macht ist im Norden übrig geblieben. Schließe Frieden, oder du bekommst weitere Jahrzehnte von Schachzügen und Krieg.«
Holzschnitzerins Antwort war ein schriller Schrei. »(Und das bedeutet Gereiztheit, falls du es nicht erraten hast.) Unverschämtheit! Ich kann dich an Ort und Stelle töten und ein Jahrhundert sicheren Frieden bekommen.«
»Ich habe darauf gesetzt, dass du mir nichts tun wirst. Du hast mir freies Geleit zugesichert, im Einzelnen und insgesamt. Und eine der stärksten Regungen in deiner Seele ist dein Abscheu vor Lügen.«
Die hinteren Glieder von Holzschnitzerin setzten sich, und die beiden kleinen vorn gingen mit ein paar raschen Schritten auf Flenser zu. »Es ist viele Jahrzehnte her, seit wir uns zum letzten Mal begegnet sind, Flenser! Wenn du dich verändern kannst, warum nicht auch ich?«
Einen Augenblick lang war jedes Glied von Flenser erstarrt. Dann stand ein Teil von ihm auf und ging langsam, langsam auf Holzschnitzerin zu. Die Armbrustschützen zu beiden Seiten des Treffpunktes hoben ihre Waffen und folgten damit den Gliedern.
Flenser blieb sechs oder sieben Meter vor Holzschnitzerin stehen. Seine Köpfe schwankten hin und her, alle Aufmerksamkeit auf die Königin gerichtet. Schließlich eine verwunderte Stimme, fast beschämt: »Ja, das kannst du getan haben. Holzschnitzerin, nach all den Jahrhunderten… hast du dich aufgegeben? Diese Neuen sind…«
»Nicht von mir allein. Ganz richtig.« Aus irgendeinem Grunde kicherte Pilger in Ravnas Ohr.
»Oh. Gut…« Der Flenser zog sich auf seine frühere Position zurück. »Ich will immer noch Frieden.«
»(Holzschnitzerin sieht überrascht aus.) Dein Klang hat sich auch verändert. Wie viele von dir sind wirklich von Flenser?«
Eine lange Pause. »Zwei.«
»… Sehr gut. Wenn wir uns über die Bedingungen einigen, wird Frieden sein.«
Karten wurden herbeigebracht. Holzschnitzerin verlangte, die Aufenthaltsorte von Flensers Hauptkontingenten zu erfahren. Sie wollte, dass sie entwaffnet und jeder Einheit zwei, drei von ihren Rudeln beigegeben würden, die per Heliograph berichten sollten. Flenser würde die Radioumhänge abliefern und sich einer Beobachtung unterwerfen. Die Verborgene Insel und der Schiffsberg würden an Holzschnitzerin fallen. Die beiden zogen neue Grenzen und stritten sich um das Ausmaß der Aufsicht, die die Königin über seine verbleibenden Gebiete haben sollte.
Die Sonne erreichte ihren Mittagspunkt am Südhimmel. Auf den Feldern weiter unten hatten die Bauern ihre zornige Wache längst aufgegeben. Die einzigen Leute, die in ihrer angespannten Wachsamkeit nicht nachließen, waren die Armbrustschützen der Königin.
Schließlich trat Flenser von seiner Seite der Karten zurück. »Ja, ja, deine Leute können meine ganze Arbeit beobachten. Keine weiteren… gespenstischen Experimente. Ich werde ein sanfter Sammler von Wissen sein (Ist das Sarkasmus?), wie du.«
Holzschnitzerins Köpfe wippten in synchronisiertem Wechsel. »Mag sein. Mit den Zweibeinern an meiner Seite will ich es riskieren.«
Flenser erhob sich wieder aus seiner sitzenden Haltung. Er wandte sich um und half seinem verkrüppelten Glied auf den Wagen. Dann hielt er inne. »Ach, noch etwas, liebe Holzschnitzerin. Eine Kleinigkeit. Ich habe zwei von Stahl getötet, als er versuchte, Jefris Sternenschiff zu zerstören. (Er hat sie wie Wanzen zerquetscht. Jetzt wissen wir, wie Flenser zu seiner Verwundung gekommen ist.) Hast du den Rest von ihm?«
»Ja.« Ravna hatte gesehen, was von Stahl übrig war. Sie und Johanna hatten die meisten Verwundeten besucht; es sollte möglich sein, die Erste-Hilfe-Apparate der ADR für die Klauenwesen einzurichten. Doch im Falle Stahls war da auch ein wenig rachsüchtige Neugier gewesen; dieses Geschöpf war an so viel unnötigem Tod schuld. Was von Stahl übrig war, brauchte eigentlich keine medizinische Versorgung: Es gab ein paar blutige Kratzer (selbst zugefügt, wie Johanna vermutete) und ein ausgerenktes Bein. Aber das Rudel war ein erbärmliches, fast entnervendes Etwas. Es hatte sich in einer Ecke seines Pferchs zusammengedrängt, vor Entsetzen haltlos zitternd, mit hin und her zuckenden Köpfen. Von Zeit zu Zeit schnappte ein Kiefernpaar des Wesens auf und zu, oder ein Glied lief ein Stück den Zaun entlang. Ein Dreierrudel besaß keine menschliche Intelligenz, aber dieses konnte sprechen. Als es Ravna und Johanna sah, riss es die Augen auf, dass ringsum das Weiße zu sehen war, und sprach zu ihnen in rasselndem, kaum verständlichem Samnorsk. Die Rede war ein Alptraum, gemischt aus Drohungen und Bitten, sie möchten ›nicht schneiden, nicht schneiden!‹ Die arme Johanna hatte da zu weinen begonnen. Sie hatte den größten Teil eines Jahres voller Hass auf das Rudel zugebracht, von dem diese stammten, und dennoch: »Sie scheinen auch Opfer zu sein. Es ist schlimm, nur drei zu sein, doch niemand wird jemals zulassen, dass sie mehr werden.«
»Gut«, fuhr Flenser fort. »Ich möchte für die Reste sorgen, ich…«
»Niemals! Dieser war fast so klug wie du, wenn auch wahnsinnig genug, dass wir ihn besiegen konnten. Du wirst ihn nicht wieder aufbauen.«
Flenser sammelte sich, alle Augen auf die Königin gerichtet. Seine ›Stimme‹ war weich: »Bitte, Holzschnitzerin. Es ist eine Kleinigkeit, aber ich werde eher alles scheitern lassen« — er deutete auf die Karten —, »als darauf zu verzichten.«
»(Oh-oh.)« Die Armbrustschützen waren mit einem Mal schussbereit. Holzschnitzerin kam teilweise um die Karten herum, nahe genug an Flenser heran, dass ihre Denklaute aufeinanderstoßen mussten. Sie brachte alle Köpfe aneinander, um ihn gebündelt anzustarren. »Wenn es so unwichtig ist, warum dann alles dafür aufs Spiel setzen?«
Flensers Glieder stießen für einen Moment gegeneinander und starrten sich gegenseitig an. Es war eine Geste, die Ravna bisher nicht gesehen hatte. »Das ist meine Sache! Ich meine… Stahl war meine großartigste Schöpfung. In gewisser Weise bin ich stolz auf ihn. Aber… ich bin auch für ihn verantwortlich. Fühlst du nicht dasselbe gegenüber Feilonius?«
»Ich habe meine eigenen Pläne mit Feilonius.« Die Antwort kam widerwillig. »(Feilonius ist noch ganz; ich fürchte, die Königin hat zu viel versprochen, als dass sie jetzt viel mit ihm machen könnte.)«
»Ich möchte Stahl das Leid vergelten, das ich ihm zugefügt habe. Du verstehst.«
»Ich verstehe. Ich habe Stahl gesehen, und ich kenne deine Methoden: die Messer, die Angst, der Schmerz. Du wirst dazu keine neue Gelegenheit bekommen!«
Für Ravna klang es wie entfernte Musik, weit von jenseits des Tales her, eine fremdartige Mischung von Akkorden. Doch es war Flenser, der antwortete. Pilgers Übersetzung enthielt keine Spur von Sarkasmus: »Keine Messer, kein Schneiden. Ich behalte meinen Namen, weil es bei anderen liegt, mir einen neuen zu geben, wenn sie schließlich akzeptieren werden, dass… auf ihre Art Tyrathect gesiegt hat. Gib mir diese Chance, Holzschnitzerin. Ich bitte dich.«
Die beiden Rudel starrten einander mehr als zehn Sekunden lang an. Ravna blickte von einem zum anderen und versuchte, ihren Ausdruck zu deuten. Niemand sagte etwas. Nicht einmal Pilgers Stimme erklang in ihrem Ohr, um zu raten, ob dies eine Lüge war oder die Geburt einer neuen Seele.
Es war Holzschnitzerin, die entschied. »Sehr gut. Du kannst ihn haben.«
Wanderer Wickwracknarb flog. Ein Pilger mit Legenden, die fast tausend Jahre zurückreichten — und nicht eine davon kam dem nahe. Er wäre in Gesang ausgebrochen, wenn das seine Mitreisenden nicht geschmerzt hätte. Sie waren schon über seine grobe Art betrübt, den Flieger zu steuern, obwohl sie glaubten, es läge einfach an seinem Mangel an Erfahrung.
Wanderer drang in Wolken ein, flog zwischen ihnen und durch sie hindurch, tanzte in einem zufällig am Wege liegenden Gewitter. Wie viele Stunden seines Lebens hatte er zu den Wolken emporgestarrt, ihre Tiefe abgeschätzt — und nun war er in ihnen, erforschte die Höhlen in Höhlen in Höhlen, die Lichtdome.
Zwischen zerstreuten Wolken erstreckte sich der Große Westliche Ozean in die Unendlichkeit. An der Sonne und den Instrumenten des Fliegers sah er, dass sie den Äquator fast erreicht hatten und sich schon an die achttausend Kilometer südlich von Holzschnitzerins Reich befanden. Hier draußen gab es Inseln, die Bilder, die die ADR vom Raum aus aufgenommen hatte, sagten das, und ebenso die Erinnerungen des Pilgers. Doch es war lange her, dass ihn seine Fahrt hierher geführt hatte, und er hatte nicht damit gerechnet, die Inselreiche zu Lebenszeiten seiner gegenwärtigen Glieder zu sehen.
Nun kehrte er plötzlich zurück. Durch die Luft!
Das Landeboot der ADR war eine wunderbare Sache und nicht annähernd so fremdartig, wie es ihm mitten in der Schlacht erschienen war. Zwar hatten sie noch nicht herausgefunden, wie man es für automatischen Flug programmieren konnte. Vielleicht würden sie es nie herausfinden. Inzwischen funktionierte dieser kleine Flieger mit einer Elektronik, die nicht viel mehr war als eine Art bessere Mechanik. Der Agrav selbst erforderte ständiges Nachregeln, und die Steuerelemente waren über den gesamten Bug verteilt — passend für die Wedel eines Skrodfahrers oder die Glieder eines Rudels. Mit Hilfe der Raumleute und der Dokumentation der ADR hatte Pilger nur ein paar Tage gebraucht, den Dreh herauszufinden, wie man dieses Ding flog. Es kam nur darauf an, seinen Geist auf all die verschiedenen Aufgaben zu verteilen. Die Zeit des Lernens waren glückliche Stunden gewesen, ein bisschen unheimlich, als er fast ohne Kontrolle dahinschwebte, einmal in einer irrsinnigen Schleife, die ihn beinahe endlos nach oben beschleunigen ließ. Doch schließlich war die Maschine wie eine Verlängerung seiner Kiefer und Pfoten.
Seit sie aus den purpurnen Höhen herabstiegen und in die Wolken eintraten, hatte Ravna immer unbehaglicher dreingeblickt. Nach einem besonders magenumdrehenden Auf und Ab sagte sie: »Wirst du imstande sein, ordentlich zu landen? Vielleicht hätten wir damit warten sollen, bis« — ungch! — »du besser fliegen kannst.«
»O ja, o ja. Wir werden wirklich gleich an dieser, ähm, Wetterfront vorbei sein.« Er tauchte unter die Wolken und glitt ein paar Dutzend Kilometer ostwärts. Hier war das Wetter klar, und es war eigentlich sowieso ihre Richtung. Im Stillen nahm er sich vor, keine Flugkunststücke zu seinem Vergnügen mehr zu veranstalten…, zumindest auf dem Hinweg.
Da meldete sich sein zweiter Passagier zu Wort, erst das zweite Mal auf dem zweistündigen Flug. »Mir hat es gefallen«, sagte Grünmuschel. Pilger fand ihre Voderstimme bezaubernd: größtenteils in einem engen Frequenzbereich, aber mit kleinen sehr hohen Tönen von den Rechteckschwingungen. »Es war… es war, als ob man knapp unter der Brandung fährt und fühlt, wie sich die Wedel mit dem Meer bewegen.«
Wanderer hatte sich große Mühe gegeben, die Skrodfahrerin kennen zu lernen. Das Geschöpf war die einzige nichtmenschliche Fremde auf der Welt und schwerer zu begreifen als die Zweibeiner. Sie schien die meiste Zeit zu träumen und vergaß alles außer dem, was ihr immer wieder geschah. Zum Teil war daran ihr primitiver Skrod schuld, hatte ihm Ravna gesagt. Wenn er an die Fahrt von Grünmuschels Partner durch die Flammen dachte, glaubte Pilger das. Draußen zwischen den Sternen gab es Dinge, die noch seltsamer als die Zweibeiner waren — es ließ Pilgers Vorstellungskraft erschaudern.
Am Horizont sah er einen dunklen Ring, und einen weiteren dahinter. »Sehr bald werden wir Sie in eine echte Brandung bringen.«
Ravna: »Das sind die Inseln?«
Wanderer schaute auf die Kartenbildschirme, während er einen Blick zur Sonne warf. »Ja, sie sind es«, obwohl es eigentlich keine Rolle spielte. Der Westliche Ozean war über zwölftausend Kilometer breit und überall in den Tropen mit Atollen und Inselketten gesprenkelt. Diese Gruppe lag einfach nur ein wenig isolierter als andere; die nächste Siedlung der Insulaner befand sich fast zweitausend Kilometer entfernt.
Sie waren über der ersten Insel. Pilger flog einen Bogen um sie und bewunderte die tropischen Farne, die sich an die Korallen klammerten. Jetzt, bei Ebbe, lagen ihre knochigen Wurzeln frei. Keinerlei flaches Land hier; er flog weiter zur nächsten Insel, einer großen mit einer hübschen freien Fläche gleich innerhalb des Ringwalls. Er brachte das Boot in glattem Gleitflug herunter und setzte ohne die geringste Erschütterung auf.
Ravna Bergsndot schaute ihn mit einer Art Verdacht an. Oh, oh. »He, ich werde besser, findest du nicht?«, sagte er schwach.
Eine unbewohnte Insel, von endlosem Meer umgeben. Die ursprünglichen Erinnerungen waren jetzt verwischt; es war sein Rum gewesen, der in den Inselreichen geboren worden war. Doch woran er sich erinnerte, passte alles: die hochstehende Sonne, die berauschende Luftfeuchtigkeit, die Hitze, die durch seine Pfoten drang. Das Paradies. Rums Spur, die noch immer in ihm lebte, war am glücklichsten von allen. Die Jahre schienen dahinzuschmelzen; ein Teil von ihm war heimgekehrt.
Sie halfen Grünmuschel auf den Erdboden hinab. Ravna behauptete, der Skrod sei eine minderwertige Nachahmung, die neuen Räder ein improvisierter Anbau. Dennoch war Pilger beeindruckt: Die vier Ballonreifen hatten jeder eine eigene Achse. Die Fahrerin schaffte es fast bis zum Rücken des Korallengürtels ohne Hilfe von Ravna oder von ihm. Doch ganz oben, wo die tropischen Farne am dichtesten standen und ihre Wurzeln jeden Pfad überwucherten, mussten er und Ravna ein bisschen helfen, indem sie den Skrod anhoben und zogen.
Dann waren sie auf der anderen Seite und konnten den Ozean sehen.
Nun lief ein Teil von Pilger voran, teils, um den leichtesten Weg hinab zu finden, teils, um ans Wasser zu kommen und den Geruch von Salz und faulendem Schwemmholz zu riechen. Es war fast Niedrigwasser, und eine Million kleiner Tümpel — manche nicht mehr als von Steinen umgebene Pfützen — lag unter der Sonne. Drei von ihm liefen von Tümpel zu Tümpel und betrachteten die Wesen, die darin lagen. Als die seltsamsten Dinge der Welt waren sie ihm erschienen, als er zum ersten Mal zu den Inseln gekommen war. Geschöpfe mit Schalen, Nacktschnecken in allen Größen und Farben, Tierpflanzen, aus denen tropische Farne werden würden, wenn sie jemals weit genug landeinwärts festsäßen.
»Wo möchten Sie sitzen?«, fragte er die Skrodfahrerin. »Wenn wir jetzt gleich die ganze Strecke bis zur Brandung hinausgehen, werden Sie bei Hochwasser einen Meter tief unter Wasser sein.«
Die Fahrerin antwortete nicht. Doch alle ihre Wedel wiesen jetzt zum Wasser hin. Die Räder ihres Skrods drehten sich mit einem sonderbaren Mangel an Koordination. »Wir wollen sie näher zum Wasser bringen«, sagte Ravna nach einer Weile.
Sie erreichten einen halbwegs flachen Streifen Korallen, von Löchern und Rinnen durchsetzt, die nicht tiefer als ein paar Zentimeter waren. »Ich werde schwimmen gehen, eine gute Stelle suchen«, sagte Wanderer. Alle von ihm liefen hinab, wo die Korallen aus dem Wasser ragten; schwimmen ging man nicht nur teilweise. He he. Tatsache war, dass wenige Festlandbewohner gleichzeitig schwimmen und denken konnten. Die meisten von ihnen glaubten, dass im Wasser eine Verrücktheit steckte. Wanderer wusste allerdings, dass es einfach an dem großen Unterschied der Schallgeschwindigkeiten zwischen Luft und Wasser lag. Zu denken, während alle Trommelfelle unter Wasser waren, musste so ähnlich wie die Benutzung der Radioumhänge sein: Man brauchte dazu Disziplin und Übung, und manche lernten es nie. Aber die Insulaner waren schon immer großartige Schwimmer gewesen und hatten es zur Meditation benutzt. Ravna glaubte sogar, die Rudel könnten von Walherden abstammen!
Wanderer kam an den Rand der Korallen und schaute hinab. Plötzlich erschien ihm die Brandung nicht mehr als ganz freundliche Sache. Bald würde er herausfinden, ob Rums Geist und seine eigenen Erinnerungen der Wirklichkeit gerecht wurden. Er zog seine Jacken aus.
Alle auf einmal. Am besten tut man es mit allen auf einmal. Er sammelte sich und platschte ungeschickt ins Wasser. Verwirrung, Köpfe raus und rein. Halt alle unten. Er paddelte umher und hielt alle Köpfe unten. Alle paar Sekunden streckte er eine einzelne Nase aus dem Wasser und holte mit diesem Glied Luft. Ich kann es immer noch! Seine sechs schlüpften durch Schwärme von kleinen Kraken hindurch, tauchten einzeln zwischen gebogene grüne Pflanzenwedel. Das Zischen des Meeres war rings um ihn wie die Denklaute eines riesigen schlafenden Rudels.
Nach ein paar Minuten hatte er eine hübsche ebene Stelle gefunden, überall Sand und vom schlimmsten Ansturm des Meeres abgeschirmt. Er paddelte zurück zu der Stelle, wo das Meer gegen die steinigen Korallen schlug — und hätte sich beim Herausklettern beinahe ein paar Beine gebrochen. Es war einfach unmöglich, mit allen gleichzeitig herauszukommen, und für ein paar Augenblicke war jedes Glied auf sich allein gestellt. »He, ihr da drüben!«, rief er Grünmuschel und Ravna zu. Er saß da und leckte sich Schnittwunden von den Korallen, während sie das weiße Gestein überquerten. »Ich habe eine Stelle gefunden, friedlicher als die hier…« Er deutete auf die Brecher und Spritzer.
Grünmuschel rollte ein Stück näher an den Rand, zögerte dann. Ihre Wedel wandten sich hin und her, die gekrümmte Uferlinie entlang. Braucht sie Hilfe? Pilger ging auf sie zu, aber Ravna setzte sich einfach neben die Fahrerin und lehnte sich an die Plattform mit den Rädern. Nach einer Weile gesellte sich Pilger zu ihnen. Eine Zeit lang saßen sie da, der Mensch schaute aufs Meer hinaus, die Fahrerin in unbekannte Richtung und das Rudel fast überallhin… Hier war Frieden, trotz (oder wegen?) der tosenden Brandung und der Gischt. Er spürte, wie seine Herzen langsamer schlugen, und lag einfach faul in der Sonne. Auf jedem Fell hinterließ das verdunstende Meerwasser einen glitzernden Salzpuder. Sich selbst zu putzen, schmeckte zuerst gut, aber… ih, zu viel trockenes Salz war eine von den schlechten Erinnerungen. Grünmuschels Wedel breiteten sich leicht über ihm aus, zu fein und schmal, um viel Schatten zu spenden, aber eine sanfte Annehmlichkeit.
Sie blieben lange sitzen — lange genug, dass Pilger später auf manchen Nasen Blasen und sogar die dunkelhäutige Ravna einen Sonnenbrand hatte.
Die Fahrerin summte nun, eine Art Lied, das nach langen Minuten Sprache wurde. »Es ist ein gutes Meer, ein gutes Ufer. Es ist das, was ich jetzt brauche. Dasitzen und eine Zeit lang in meinem eigenen Tempo nachzudenken.«
Und Ravna sagte: »Wie lange? Du wirst uns fehlen.« Das war nicht nur Höflichkeit. Jedem würde sie fehlen. Selbst geistesabwesend war Grünmuschel die Expertin für die verbliebene Automatik der ADR.
»Lange nach eurem Maß, fürchte ich. Ein paar Jahrzehnte…« Sie betrachtete (?) die Wellen noch ein paar Minuten lang. »Es zieht mich jetzt dort hinab. Ha-ha. Fast wie einen Menschen… Ravna, du weißt, dass meine Erinnerungen jetzt verwirrt sind. Ich hatte zweihundert Jahre zusammen mit Blaustiel. Manchmal war er kleinlich und ein bisschen strunkig, aber er war ein großartiger Kauffahrer. Wir hatten viele wunderbare Zeiten miteinander. Und zum Schluss konntet sogar ihr seinen Mut sehen.«
Ravna nickte.
»Wir haben auf dieser letzten Reise ein schreckliches Geheimnis entdeckt. Ich glaube, das hat ihn ebenso sehr verletzt wie am Ende das… Feuer. Ich bin dir dankbar, dass du uns beschützt hast. Jetzt will ich denken, will die Brandung und die Zeit an meinen Erinnerungen arbeiten und sie aussortieren lassen. Vielleicht, wenn dieser armselige Nachbau eines Skrods es hergibt, werde ich sogar eine Chronik unserer Fahrt machen.«
Sie berührte Wanderer an zweien seiner Köpfe. »Eins noch, Herr Pilger. Sie vertrauen uns sehr, dass Sie mir die Freiheit Ihrer Meere schenken… Aber Sie sollten wissen, Blaustiel und ich waren schwanger. Ich habe unsere gemeinsamen Eier in mir. Lassen Sie mich hier, und es wird in künftigen Jahren neue Skrodfahrer bei dieser Insel geben. Bitte halten Sie das nicht für Betrug. Ich möchte die Erinnerung an Blaustiel mit Kindern bewahren — aber bescheiden; unsere Art hat zehn Millionen Welten mit anderen geteilt und ist nie ein schlechter Nachbar gewesen… außer auf eine Weise, von der Ihnen Ravna erzählen kann und die hier ausgeschlossen ist.«
Am Ende war Grünmuschel überhaupt nicht an dem geschützten Streifen Wasser interessiert, den Wanderer entdeckt hatte. Sie wollte von allen Stellen hier diejenige, wo der Ozean am heftigsten anbrandete. Sie brauchten mehr als eine Stunde, um einen Weg hinab zu diesem wilden Ort zu finden, und eine weitere halbe Stunde, um Fahrer und Skrod sicher ins Wasser zu bringen. Wanderer unternahm nicht einmal den Versuch, hier zu schwimmen. Die Korallenfelsen standen auf allen Seiten dicht, schleimig grün an manchen Stellen, rasierklingenscharf an anderen. Fünf Minuten in diesem Fleischwolf, und er könnte zu schwach sein, wieder herauszukommen. Seltsam, dass es hier so viel Grün im Wasser gab. Es war fast trübe von Seegräsern und Schwärmen von Gischtmücken.
Ravna war ein bisschen besser dran; an den tiefsten Stellen konnte sie noch auf den Füßen stehen — die meiste Zeit zumindest. Sie stand in der Gischt, stützte sich mit den Füßen und einem Arm und half der Skrodfahrerin über die Felsschwelle. Als er erst einmal drin war, fiel der Mechanismus gewichtig auf den Grund neben dem Menschen.
Ravna schaute zu Pilger auf und machte eine Geste, die ›in Ordnung‹ bedeutete. Dann hockte sie sich einen Moment lang hin, an den Skrod geklammert, um nicht weggerissen zu werden. Die Brandung schlug über den beiden zusammen und verdeckte alles außer Grünmuschels emporragenden Wedeln. Als die Gischt zurückwich, sah er, dass die unteren Wedel sich über den Rücken des Menschen breiteten, und hörte ein Summen des Voders, das in all dem anderen Lärm nicht recht zu verstehen war.
Der Mensch stand auf und stapfte durch das hüfttiefe Wasser auf die von Wanderer besetzten Felsen zu. Wanderer hielt sich an sich selbst fest und langte hinab, um Ravna ein paar Pfoten zu reichen. Sie kletterte über grünen Schleim und weiße Korallen herauf.
Er folgte dem humpelnden Zweibeiner bis zu der Stelle, wo die tropischen Farne am höchsten wuchsen. Im Schatten machten sie Halt, sie setzte sich hin und lehnte den Rücken gegen die Matte, die das Stammgeflecht eines Farns bildete. Mit den Schnitt- und Schürfwunden sah sie fast so verletzt aus, wie Johanna nur jemals ausgesehen hatte.
»Bist du in Ordnung?«
»Ja.« Sie fuhr sich mit den Händen durch das zerzauste Haar. Dann schaute sie ihn an und lachte. »Wir sehen beide wie Verunglückte aus.«
Hm, ja. Ziemlich bald würde er ein Bad in frischem Wasser brauchen. Er blickte sich um und nach draußen. Vom Kamme des Atollrings konnten sie Grünmuschels Nische sehen. Ravna schaute ebenfalls dort hinab; die kleinen Verletzungen waren vergessen.
»Wie kann ihr die Stelle bloß gefallen?«, wunderte sich Wanderer. »Stell dir vor, wie das Wasser auf dich einschlägt, wieder und wieder und wieder.«
Ein Lächeln lag auf Ravnas Gesicht, aber sie hielt den Blick auf die Brandung gerichtet. »Es gibt seltsame Dinge im Weltall, Pilger; ich bin froh, dass du von manchen noch nie etwas gelesen hast. Wo die Brandung auf den Strand trifft — eine Menge hübsche Sachen können da passieren. Du hast all das Leben gesehen, das in diesem Wahnsinn schwimmt. So, wie eine Pflanze die Sonne liebt, gibt es Geschöpfe, die die Energiedifferenz unten an dieser Uferkante zu nutzen wissen. Dort haben sie die Sonne und die Brandung und den Reichtum der Suspension… Trotzdem könnten wir noch eine Weile aufpassen.« Zwischen jedem Hereinströmen der Wellen sahen sie Grünmuschels Wedel. Er wusste schon, dass diese Gliedmaßen nicht kräftig waren, doch jetzt begriff er, dass sie sehr fest sein mussten. »Mit ihr wird alles in Ordnung sein, obwohl dieser billige Skrod vielleicht nicht lange hält. Am Ende hat die arme Grünmuschel vielleicht überhaupt keine Automatik mehr — sie und ihre Kinder, die geringsten von allen Fahrern.«
Ravna wandte sich um und schaute das Rudel an. Noch immer lag jenes Lächeln auf ihrem Gesicht. Ungewiss, aber zufrieden? »Du kennst das Geheimnis, von dem Grünmuschel gesprochen hat?«
»Holzschnitzerin hat mir erzählt, was sie von dir erfahren hat.«
»Ich bin froh — und überrascht —, dass sie Grünmuschel erlaubt hat, hierherzukommen. Mittelalterliche Gemüter — Verzeihung, fast alle Gemüter — würden eher töten wollen, als mit dergleichen auch nur das mindeste Risiko einzugehen.«
»Warum hast du es denn dann der Königin gesagt?«
»Es ist eure Welt. Ich war es müde, mit dem Geheimnis Gott zu spielen. Und Grünmuschel war einverstanden. Wenn sich die Königin geweigert hätte, hätte Grünmuschel immer noch eine Kältezelle auf der ADR benutzen können.« Um wahrscheinlich für immer zu schlafen. »Aber Holzschnitzerin hat sich nicht geweigert. Irgendwie hat sie begriffen, was ich sagte: Es sind die echten Skrods, die pervertiert werden können, doch Grünmuschel hat keinen solchen mehr. In einem Jahrzehnt wird das Ufer dieser Insel von Hunderten von jungen Fahrern besiedelt sein, aber ohne Erlaubnis der Einheimischen würden sie sich niemals über diese Inselgruppe hinaus ausbreiten. Das Risiko ist verschwindend gering — trotzdem war ich überrascht, dass sich Holzschnitzerin darauf eingelassen hat.«
Wanderer ließ sich rings um Ravna nieder; nur ein Augenpaar beobachtete noch die Wedel der Fahrerin unten in der Gischt. Am besten wäre jetzt eine Erklärung. Er reckte einen Kopf Ravna entgegen. »Oh, wir sind mittelalterlich, Ravna — obwohl wir uns jetzt rasch verändern. Wir haben Blaustiels Mut im Feuer bewundert. Das verdient Belohnung. Und mittelalterliche Typen sind an Hofintrigen gewöhnt. Was also, wenn das Risiko von kosmischen Ausmaßen ist? Für uns hier ist es deswegen nicht tödlicher. Wir armen Primitiven leben die ganze Zeit mit tödlichem Risiko.«
»Ha!« Angesichts seines schnoddrigen Tonfalls trat ein Lächeln auf ihre Züge.
Wanderer kicherte mit wippenden Köpfen. Seine Erklärung entsprach der Wahrheit, doch nicht der ganzen Wahrheit oder auch nur ihrem wichtigsten Teil. Er dachte zurück an den Tag zuvor, als er und Holzschnitzerin den Beschluss gefasst hatten, was mit Grünmuschels Bitte geschehen sollte.
Holzschnitzerin war zunächst ängstlich gewesen, staatsmännisch besorgt angesichts eines bösen Geheimnisses, das Milliarden Jahre alt war. Selbst solch ein Wesen im Kälteschlaf zu lassen, war riskant. Die staatsmännische — die mittelalterliche — Lösung wäre es gewesen, die Bitte zu gewähren, die Fahrerin am Ufer dieser fernen Insel zurückzulassen… und sich dann ein, zwei Tage später wieder hinzuschleichen und sie umzubringen.
Wanderer hatte sich neben seine Königin hingesetzt, näher, als jeder außer Partnern und Liebhabern es vermochte, ohne den Faden der Gedanken zu verlieren. »Du hast Feilonius mehr Ehre erwiesen«, hatte er gesagt. Schreibers Mörder weilte noch auf Erden, ganz, kaum bestraft.
Holzschnitzerin schnappte ins Leere; Wanderer wusste, dass es auch sie schmerzte, Feilonius verschonen zu müssen. »… Ja. Und diese Skrodfahrer haben uns nichts als Mut und Ehrlichkeit erwiesen. Ich werde Grünmuschel kein Leid zufügen. Dennoch habe ich Angst. In ihr liegt ein Risiko, das über die Sterne hinausreicht.«
Wanderer lachte. Vielleicht war es der Wahnsinn des Pilgers, aber… »Und das ist zu erwarten, meine Königin. Große Risiken für großen Gewinn. Ich bin gern in der Nähe der Menschen; es gefällt mir, ein anderes Wesen zu berühren und doch gleichzeitig noch denken zu können.« Er schnellte vor, um das nächste von Holzschnitzerin mit der Schnauze zu berühren, und zog sich dann auf eine vernünftigere Entfernung zurück. »Selbst ohne ihre Sternenschiffe und Datios würden sie unsere Welt umkrempeln. Hast du bemerkt…, wie leicht es uns fällt zu lernen, was sie wissen? Selbst jetzt scheint Ravna sich noch nicht damit abfinden zu können, wie geläufig wir ihre Sprache sprechen. Selbst jetzt versteht sie noch nicht, wie gründlich wir das Datio studiert haben. Und ihr Schiff ist einfach, meine Königin. Ich meine nicht, dass ich die Physik verstehe, die darin steckt — das können selbst von den Sternenleuten nur wenige. Aber der Umgang damit ist leicht zu erlernen, selbst, nachdem manche Teile ausgefallen sind. Ich nehme an, Ravna wird nie imstande sein, das Agrav-Boot so gut wie ich zu fliegen.«
»Hmm. Aber du kannst alle Steuerelemente gleichzeitig erreichen.«
»Das macht es nur zum Teil aus. Ich glaube, wir Klauenwesen sind geistig flexibler als die armen Zweibeiner. Kannst du dir vorstellen, wie es sein wird, wenn wir mehr Radioumhänge haben werden, wenn wir unsere eigenen Flugmaschinen bauen?«
Holzschnitzerin lächelte, jetzt ein wenig traurig. »Pilger, du träumst. Dies ist die Langsame Zone. Der Agrav wird sich in ein paar Jahren abnutzen. Was immer wir herstellen, wird weit hinter dem zurückstehen, womit du jetzt spielst.«
»So? Sieh dir die Geschichte der Menschen an. Die Nyjora hat weniger als zwei Jahrhunderte gebraucht, um nach dem dunklen Zeitalter den Raumflug wiederzugewinnen. Und wir haben bessere Aufzeichnungen als ihre Archäologen. Wir und die Menschen sind ein wunderbares Team, sie haben uns die Freiheit gegeben, alles zu sein, was wir zu sein vermögen.« Ein Jahrhundert bis zu ihren eigenen Raumschiffen, vielleicht noch eins, bis sie mit dem Bau von Unterlicht-Sternenschiffen beginnen könnten. Und eines Tages würden sie die Langsame Zone verlassen. Ich möchte wissen, ob oben im Transzens Rudel größer als acht sein können.
Die jüngeren Teile von Holzschnitzerin waren aufgestanden und gingen um die übrigen herum. Die Königin war fasziniert. »Du glaubst also, wie wohl auch Stahl, dass wir eine Art besondere Rasse sind, etwas mit einer glücklichen Bestimmung im Jenseits? Interessant, wenn man eins außer Acht lässt: Diese Menschen sind alles, was wir von Da Draußen kennen. Wie sind sie im Vergleich zu anderen Rassen? Darauf hat das Datio keine vollständige Antwort.«
»Ja, Holzschnitzerin, und eben darum ist Grünmuschel so wichtig. Wir brauchen tatsächlich die Erfahrung von mehr als einer anderen Rasse. Anscheinend gehören die Fahrer überall im Jenseits zum Üblichen. Wir brauchen sie, um mit ihnen zu reden. Wir müssen herausfinden, ob sie so viel Freude machen, so nützlich sind, wie die Zweibeiner. Selbst wenn das Risiko zehnmal so groß wäre, wie es den Anschein hat, würde ich noch wollen, dass der Wunsch dieser Skrodfahrerin erfüllt wird.«
»Ja. Wenn wir alles sein wollen, was wir sein können, müssen wir mehr wissen. Wir müssen ein paar Risiken eingehen.« Sie blieb stehen, alle Augen in einer Geste der Überraschung auf Wanderer gerichtet. Unvermittelt lachte sie auf.
»Was ist?«
»Etwas, woran wir schon früher gedacht haben, lieber Wanderer, aber jetzt sehe ich, wie wahr es ist. Du bist gerade ein bisschen dabei, schlaue Pläne zu schmieden. Ein guter Staatsmann und Planer für die Zukunft.«
»Aber immer noch mit den Zielen eines Pilgers.«
»Gewiss… Und ich, also ich kümmere mich nicht mehr so vollkommen um Pläne und Sicherheit. Eines Tages werden wir die Sterne besuchen.« Ihre Welpen wippten ihm einen freudigen Gruß zu. »Ich habe jetzt auch ein wenig von einem Pilger in mir.«
Sie ließ sich auf alle Bäuche sinken und kroch über den Boden auf ihn zu. Langsam zerfloss das Bewusstsein in einem Nebel von Liebeslust. Ihre letzten Worte, an die sich Wanderer erinnerte, waren: »Was für ein wundersames Glück: dass ich alt geworden war und neu werden musste, und dass du genau die nötige Veränderung warst.«
Wanderers Aufmerksamkeit wandte sich wieder der Gegenwart und Ravna zu. Die Frau lächelte ihn noch immer ironisch an. Sie streckte eine Hand aus, um einen seiner Köpfe zu streicheln. »Fürwahr mittelalterliche Gemüter.«
Sie saßen noch ein paar Stunden im Schatten der Farne und sahen zu, wie die Flut herein kam. Die Sonne senkte sich auf ihrer nachmittäglichen Bahn — sie stand noch immer so hoch, wie die Mittagssonne in Holzschnitzerheim jemals sein konnte. In gewisser Weise waren die Eigenschaften des Lichts und der Sonnenbewegung die seltsamsten Dinge an dem Bild. Die Sonne stand so hoch und sank derart rasch, ohne wie an arktischen Nachmittagen langsam schräg abwärts zu gleiten. Er hatte schon fast vergessen, wie es im Land der Kurzen Dämmerung war.
Jetzt befand sich die Brandung dreißig Ellen landeinwärts von der Stelle, wo sie die Fahrerin zurückgelassen hatten. Die Mondsichel folgte der Sonne zum Horizont hin; das Wasser würde nicht weiter steigen. Ravna stand auf und schirmte die Augen gegen die sinkende Sonne ab. »Zeit für uns zu gehen, glaube ich.«
»Du meinst, sie wird in Sicherheit sein?«
Ravna nickte. »Grünmuschel hatte genug Zeit, um mögliche Gifte und die meisten Raubtiere zu bemerken. Außerdem ist sie bewaffnet.«
Mensch und Klauenwesen machten sich auf den Weg zum Kamm des Atolls, an den höchsten Farnen vorbei. Wanderer hielt ein Augenpaar auf das Meer hinter ihnen gerichtet. Die Brandung war jetzt an Grünmuschel vorübergegangen. Ihre Stelle wurde noch von tiefem Wasser überspült, lag aber jenseits von Gischt und sprühendem Wasser. Zum letzten Mal sah er sie im Wellental hinter einem Brecher: Die Glätte der See wurde für einen Augenblick von zweien ihrer größten Wedel durchbrochen, deren Spitzen sich sanft wiegten.
Der Sommer nahm sanft Abschied von dem Land um die Verborgene Insel. Es gab etwas Regen und keine Heidefeuer mehr. Trotz Krieg und Dürre würde es sogar eine Ernte geben. Jeden Tag verkroch sich die Sonne tiefer hinter den nördlichen Bergen, eine Zeit der Dämmerung, die von Woche zu Woche anwuchs, bis es um Mitternacht wirklich dunkel wurde. Und Sterne kamen.
Es war eine Art Zufall, dass in der letzten Nacht des Sommers so viele Dinge zusammentrafen. Ravna ging mit den Kindern hinaus auf die Felder an der Schiffsburg, um den Himmel zu betrachten.
Hier gab es keine städtische Dunstglocke, nicht einmal raumnahe Industrie. Nichts, was den Anblick des Himmels getrübt hätte, abgesehen von einem feinen rosa Schein im Norden, der ein Rest Dämmerung sein mochte — oder Nordlicht. Die vier setzten sich auf das kühle Moos und schauten sich um. Ravna atmete tief durch. In der Luft gab es keine Spur von Asche mehr, nur noch saubere Kühle, ein Vorgeschmack des Winters.
»Der Schnee wird so hoch wie deine Schultern liegen, Ravna«, sagte Jefri, begeistert von der Möglichkeit. »Es wird dir gefallen.« Der fahle Fleck, der sein Gesicht war, schien hin und her über den Himmel zu blicken.
»Es kann schlimm sein«, sagte Johanna Olsndot. Sie hatte nichts dagegen gehabt, heute Nacht mit hierher zu kommen, doch Ravna wusste, dass sie lieber unten auf der Verborgenen Insel geblieben wäre, um sich um die Arbeiten des nächsten Tages zu sorgen.
Jefri spürte ihre Unrast — nein, es war Amdi, der jetzt sprach; sie würden es den beiden nie abgewöhnen, sich einer für den anderen auszugeben. »Mach dir keine Sorgen, Johanna. Wir werden dir helfen.«
Eine Weile schwiegen alle. Ravna blickte den Berg hinab. Es war zu dunkel, um die sechshundert Meter Abhang zu sehen, zu dunkel, um die Fjorde und Inseln da unten auszumachen. Aber der Fackelschein auf den Wehrgängen der Verborgenen Insel kennzeichnete ihre Lage. Dort unten in Stahls altem innerem Hof — wo Holzschnitzerin jetzt herrschte — befanden sich alle funktionierenden Kältezellen vom Schiff. 151 Kinder schliefen dort, die letzten Überlebenden der Flucht der Straumer. Johanna behauptete, dass die meisten wiederbelebt werden könnten, am besten, wenn es bald geschah. Die Königin war von der Idee begeistert gewesen. Große Teile der Burg waren abgetrennt und für menschliche Bedürfnisse neu eingerichtet worden. Die Verborgene Insel lag gut geschützt — wenn nicht vor dem Schnee, so doch vor den schlimmsten Winden. Wenn man sie wiederbeleben könnte, würde es den Kindern nicht schwer fallen, hier zu leben. Ravna hatte Jefri und Johanna und Amdi lieben gelernt — aber würde sie mit weiteren hunderteinundfünfzig zurechtkommen? Holzschnitzerin schien keine Bedenken zu haben. Sie plante eine Schule, wo Klauenwesen etwas über die Menschen und die Kinder etwas über diese Welt lernen sollten… Wenn sie Jefri und Amdi beobachtete, erfasste Ravna allmählich, was daraus werden konnte. Diese beiden standen sich näher als alle anderen Kinder, die sie jemals gekannt hatte, und die Summe war fähiger. Und das betraf nicht nur das mathematische Genie der Welpen; sie hatten noch weitere Fähigkeiten.
Menschen und Rudel passten zusammen, und Holzschnitzerin war klug genug, daraus Nutzen zu ziehen. Ravna mochte die Königin, und Pilger sogar noch mehr, doch am Ende würden die Rudel die großen Nutznießer sein. Holzschnitzerin sah deutlich die Grenzen ihrer Rudelrasse. Die Aufzeichnungen der Klauenwesen reichten mindestens zehntausend Jahre zurück. Ihre ganze überlieferte Geschichte hindurch waren sie in Kulturen gefangen gewesen, die hinter der gegenwärtigen nicht weit zurückstanden. Eine Rasse von scharfer Intelligenz, hatten sie doch einen einzigen überwältigenden Nachteil: Sie konnten nicht auf geringe Entfernung zusammenarbeiten, ohne diese Intelligenz einzubüßen. Ihre Zivilisationen bestanden aus isolierten Persönlichkeiten, notgedrungenerweise introvertiert, die niemals über bestimmte Grenzen hinaus fortschreiten konnten. Der Eifer, mit dem Pilger und Scrupilo und die anderen Kontakte mit den Menschen suchten, war ein Beweis dafür. Auf lange Sicht können wir die Klauenwesen aus dieser Sackgasse befreien.
Amdi und Jefri kicherten über irgendetwas, wobei das Rudel Glieder fast bis an den Rand des Bewusstseins laufen ließ. In den letzten Wochen hatte Ravna herausgefunden, dass dieser Wildwuchs an Aktivität für Amdi die Norm war, dass seine anfängliche Langsamkeit seinem Schmerz wegen Stahl zuzuschreiben war. Wie… pervers — oder wie wunderbar? —, dass ein Ungeheuer wie Stahl der Gegenstand von so viel Liebe sein konnte.
Jefri rief: »Schau du in alle Richtungen und sag mir, wohin ich blicken soll.« Stille. Dann wieder Jefris Stimme: »Da!«
»Was macht ihr denn da?«, fragte Johanna voll schwesterlicher Streitlust.
»Wir beobachten Meteoriten«, sagte einer von beiden. »Ja, ich schaue in alle Richtungen und zeige Jefri — da! —, wohin er blicken soll, wenn einer auftaucht.«
Ravna sah nichts, doch der Junge hatte auf das Signal seines Freundes hin abrupt den Kopf gedreht.
»Hübsch, hübsch«, erklang Jefris Stimme. »Der war ungefähr vierzig Kilometer hoch, Geschwindigkeit…« Eine Sekunde lang murmelten die beiden Stimmen etwas Unverständliches. Sogar wenn man die breite Blickbasis des Rudels in Betracht zog — wie konnten sie wissen, wie hoch der Meteorit war?
Ravna lehnte sich zurück in die Höhlung, die die Moosbuckel bildeten. Es war eine gute Parka, die ihr die Einheimischen angefertigt hatten; sie spürte die Kühle des Bodens kaum. Über ihr die Sterne. Zeit zum Nachdenken, um ein wenig Frieden zu finden, ehe morgen alles anfangen würde. Ziehmutter für an die hundertfünfzig Kinder… und ich dachte, ich sei Bibliothekarin.
Daheim hatte sie den Nachthimmel geliebt, auf einen Blick konnte sie die anderen Sterne von Sjandra Kei sehen, manchmal die anderen Welten. Ihre Heimatorte hatten an ihrem Himmel gestanden. Für einen Moment schien die Abendkühle zu einem Winter zu gehören, die niemals weichen würde. Lynne und ihre Leute und Sjandra Kei. Ihr ganzes Leben bis vor drei Jahren. Es war nun alles dahin. Denk nicht drüber nach. Irgendwo da draußen befanden sich die Aniara-Flotte und die Reste ihres Volkes. Kjet Svensndot. Tirroll und Glimfrell. Sie hatte sie nur für ein paar Stunden kennen gelernt, doch sie waren von Sjandra Kei — und sie hatten mehr gerettet, als sie jemals erfahren würden. Sie würden noch am Leben sein. Die Sicherheitsgesellschaft von SjK hatte in ihrer Flotte ein paar Staustrahlschiffe. Sie konnten eine Welt finden, nicht hier, sondern näher am Ort der Schlacht.
Ravna warf den Kopf zurück und suchte den Himmel ab. Wo? Vielleicht jetzt nicht einmal überm Horizont. Von hier aus gesehen, war die Scheibe der Galaxis ein Glimmen, das fast senkrecht zur Ekliptik durch den Himmel aufstieg. Nichts deutete auf ihre wahre Gestalt oder die exakte Position des Planeten darin; das Gesamtbild trat hinter näherliegender Pracht zurück, hinter den hellen Knoten offener Sternhaufen, erstarrten Juwelen vor dem schwächer leuchtenden Hintergrund. Doch knapp überm Südhorizont standen zwei fleckige Lichtwolken. Die Magellanschen Wolken! Plötzlich rastete die Geometrie ein, und das Weltall da oben war nicht mehr gänzlich unbekannt. Die Aniara-Flotte müsste…
»Ich frage mich, ob wir den Straumli-Bereich von hier aus sehen können«, sagte Johanna. Länger als ein Jahr hatte sie die Erwachsene spielen müssen. Von morgen an würde sie für immer diese Rolle haben. Doch jetzt eben war ihre Stimme wehmütig, kindlich.
Ravna öffnete den Mund, im Begriff zu sagen, wie unwahrscheinlich das sein müsse.
»Vielleicht können wir es, vielleicht, können wir es.Es war Amdi. Das Rudel hatte sich zusammengezogen, gesellig zwischen die Menschen gelagert. Die Wärme war willkommen. »Weißt du, ich habe im Datio nachgelesen, was sich wo befindet, und herauszufinden versucht, wie es zu dem Bild von hier aus passt.« Ein Paar Nasen zeichnete sich einen Augenblick lang gegen den Himmel ab, wie ein Mensch, der mit den Armen weit ausholend zum Firmament weist. »Die hellsten Dinge, die wir sehen, sind nur eine Art örtliches Blendwerk. Sie eignen sich nicht gut als Wegweiser.« Er zeigte auf ein paar offene Sternhaufen und behauptete, sie entsprächen Objekten, die er im Datio gefunden hatte. Amdi hatte auch die Magellanschen Wolken bemerkt und weitaus mehr als Ravna herausgefunden. »Also, der Straumli-Bereich lag« — lag! Du hast es erfasst, Junge! — »im Hohen Jenseits, aber nahe an der Scheibe der Galaxis. Seht ihr das große Quadrat von Sternen dort?« Nasen zeigten die Richtung. »Wir nennen es das Große Viereck. Also gleich links von der oberen Ecke und dann sechstausend Lichtjahre weiter, und ihr wärt im Straumli-Bereich.«
Jefri kniete sich hin und starrte eine Weile schweigend hinauf. »Aber so weit entfernt, ist da überhaupt etwas zu sehen?«
»Nicht die Straumli-Sterne, aber gerade mal vierzig Lichtjahre von Straum entfernt gibt es einen blauweißen Riesen…«
»Ja«, flüsterte Johanna. »Storlys. Er war so hell, dass sein Licht nachts Schatten warf.«
»Nun, das ist der vierthellste Stern von der Ecke aufwärts; seht ihr, sie bilden fast eine Gerade. Ich kann ihn sehen, also könnt ihr es auch.«
Johanna und Jefri schwiegen lange und blickten nur empor zu jenem Stück Himmel. Ravna presste zornig die Lippen aufeinander. Es waren gute Kinder, sie hatten die Hölle durchgemacht. Und ihre Eltern hatten darum gekämpft, diese Hölle zu verhindern; sie waren der PEST entkommen, zusammen mit dem Mittel, um sie zu vernichten. Aber… wie viele Millionen Rassen hatten im Jenseits gelebt, waren ins Transzens vorgedrungen und hatten Pakte mit Teufeln geschlossen? Wie viel andere hatten sich selbst dort vernichtet? Ah, doch das hatte dem Straumli-Bereich nicht genügt. Sie waren ins Transzens gegangen und hatten dort ein Ding zum Leben erweckt, das sich der Galaxis bemächtigen konnte.
»Glaubst du, dass dort jemand übrig ist?«, fragte Jefri. »Glaubst du, dass wir die Letzten sind?«
Seine Schwester schlang einen Arm um ihn. »Vielleicht… vielleicht nicht der Straumli-Bereich. Aber der Rest des Weltalls — sieh, er ist noch da.« Ein schwaches Lachen. »Vati und Mutti, Ravna und Pham. Sie haben die PEST aufgehalten.« Sie holte weit gen Himmel aus. »Sie haben das Allermeiste davon gerettet.«
»Ja«, sagte Ravna. »Wir sind gerettet und sicher, Jefri. Um neu zu beginnen.« Und so weit war dieser Trost wahrscheinlich die Wahrheit. Die Zonensonden des Schiffes funktionierten noch. Natürlich taugte ein einzelner Messpunkt nicht für exakte Zonographie, doch sie konnte sagen, dass sie sich tief in dem neuen Gebiet des Langsams befanden, dem Raumgebiet, das Phams Rache erschaffen hatte. Und — viel wichtiger — die ADR entdeckte keine Änderung der Zonenintensität. Das andauernde Auf und Ab der Monate zuvor war vorüber. Dieser neue Status fühlte sich wie das Fundament eines Berges an, das nur die Jahrhunderte bewegen konnten.
Fünfzig Grad den galaktischen Fluss entlang lag ein anderes Stück Himmel, das durch nichts auffiel. Sie zeigte es den Kindern nicht, doch was daran von Interesse war, befand sich viel näher, knapp dreißig Lichtjahre entfernt: die Pestflotte. Fliegen, gefangen in Bernstein. Bei einer Sprunggeschwindigkeit, wie sie für das Untere Jenseits normal war, waren sie nur noch Stunden entfernt gewesen, als Pham die Große Flutwelle erzeugte. Und nun…? Wären sie Grundschlepper gewesen, Schiffe mit Staustrahlantrieb, hätten sie die Lücke in weniger als fünfzig Jahren schließen können. Doch die Aniara-Flotte hatte ihr Opfer gebracht, war Phams von den Gottsplittern eingegebenem Rat gefolgt. Und obwohl sie es nicht wussten, hatten sie die Pestflotte zerschmettert. In der sich nähernden Flotte gab es kein einziges für die Langsame Zone taugliches Schiff. Vielleicht verfügten sie über etwas Kapazität für Flüge innerhalb eines Systems — ein paar tausend Kilometer pro Sekunde. Aber nicht mehr, nicht hier unten, wo es nicht genügte, einen Zauberstab zu schwingen, um etwas Neues zu bauen. Die Vernichtungsstreitmacht der PEST würde an der Klauenwelt vorbeitreiben — in ein paar tausend Jahren. Zeit genug.
Ravna lehnte sich zurück gegen eine von Amdis Schultern. Er schmiegte sich bequem um ihren Hals. Die Welpen waren in den letzten zwei Monaten gewachsen; anscheinend hatte Stahl ihnen irgendwelche wachstumshemmenden Drogen gegeben. Ravnas Blick verlor sich im Dunkel und Lichtschein: weit, weit jenseits von all den Zonen über ihr. Und wo sind die Grenzen jetzt? Wie furchterregend Phams Rache war. Vielleicht sollte sie es des ALTEN Rache nennen. Nein, es war sogar weitaus mehr als das. Der ALTE war nur eins von den jüngsten Opfern der PEST. Der ALTE war nicht mehr als ein Geburtshelfer dieser Rache gewesen. Der Urgrund musste so alt wie die ursprüngliche PEST sein und mächtiger als die MÄCHTE.
Doch was immer ihre Ursache gewesen war, die Flutwelle hatte mehr als nur Rache vollbracht. Ravna hatte die vom Schiff durchgeführten Messungen der Zonenintensität studiert. Es konnte nur eine Schätzung sein, doch sie wusste, dass sie zwischen eintausend und dreißigtausend Lichtjahren tief im neuen Langsam eingeschlossen waren. Nur die MÄCHTE mochten wissen, wie weit die Flutwelle das Langsam emporgetrieben hatte… Und vielleicht waren sogar manche von den MÄCHTEN davon vernichtet worden. Es war wie eine Vision vom planetaren Armageddon — die Art, wovon die Alpträume primitiver Zivilisationen handelten —, aber auf galaktischen Maßstab vergrößert. Ein großes Stück der Milchstraße war vom Langsam verschlungen worden, an einem einzigen Nachmittag. Nicht nur die Schiffe der Pestflotte waren im Bernstein gefangene Fliegen. Nein, das ganze Himmelsgewölbe — ausgenommen die Magellanschen Wolken, die schwach und weit entfernt leuchteten — war jetzt vielleicht eine Gruft des Langsam. Viele da draußen mussten noch am Leben sein, doch wie viele Millionen Sternenschiffe waren zwischen den Sternen eingeschlossen? Wie viele automatisierte Systeme hatten versagt und die Zivilisationen umgebracht, die von ihnen abhingen? Jetzt schwieg der Himmel wirklich. In mancherlei Hinsicht war die Rache schlimmer als die PEST selbst.
Und was war mit der PEST — nicht mit der Flotte, die die ADR verfolgt hatte, sondern der PEST selbst? Sie war ein Geschöpf der Obergrenze und des Transzens. In sehr großem Abstand hatte sie viel von dem Himmel bedeckt, den Ravna in dieser Nacht sah. Konnte Phams Rache sie wirklich zu Fall gebracht haben? Wenn all die Opfer einen Sinn hatten, dann gewiss. Eine Flutwelle, so gewaltig, dass sie das Langsam Tausende von Lichtjahren emportrieb, durch das Untere und Mittlere Jenseits hindurch, vorbei an den großartigen Zivilisationen an der Obergrenze… und ins Transzens hinein. Kein Wunder, dass sie so viel darangesetzt hat, uns aufzuhalten. Eine MACHT, vom Langsam überflutet, wäre keine MACHT mehr, könnte wahrscheinlich überhaupt nicht weiterleben. Wenn, wenn, wenn. Wenn Phams Flutwelle so hoch emporsteigen konnte.
Und das werde ich niemals erfahren.
CRYPTO: 0
EMPFANGEN VON:
SPRACHPFAD: Optima
VON: Gesellschaft für rationale Forschungen
GEGENSTAND: Rufzeichen
SCHLAGWÖRTER: Hilfe!
ZUSAMMENFASSUNG: Ist das Netz zerfallen, oder was?
VERTEILER:
Pestgefahr
Gesellschaft für rationales Netzwerk-Management
Interessengruppe Kriegsbeobachter
DATUM: 0,412 Ms seit Abbruch des Kontakts
TEXT DER BOTSCHAFT:
Ich habe noch immer keinen Kontakt mit einer Netzstation spinwärts von mir wiederherstellen können. Anscheinend befinde ich mich unmittelbar am Rand einer Katastrophe.
Wenn ihr dieses Rufzeichen empfangt, antwortet bitte! Bin ich in Gefahr?
Zu eurer Information, ich kann ohne weiteres Stationen empfangen, die sich antispinwärts befinden. Soweit ich verstehe, werden Versuche unternommen, Botschaften außen um die Galaxis herum weiterzugeben. Das würde uns zumindest eine Vorstellung vom Ausmaß des Verlusts geben. Bisher ist nichts zurückgekommen — kein Wunder, wenn man die Zahl der einzelnen Sprünge und die Kosten bedenkt.
Unterdessen sende ich Rufzeichen wie dieses aus. Ich verwende darauf enorme Mittel, kann ich euch sagen — aber es ist so wichtig. Ich habe gerichtete Sendungen an alle Knotenstationen innerhalb meiner Reichweite spinwärts von mir geschickt. Keinerlei Antwort.
Noch bedrohlicher: Ich habe versucht, ›über Kopf‹ zu senden, also über bekannte Stationen im Transzens oberhalb der Katastrophe. Die meisten davon würden normalerweise nicht antworten, wie die MÄCHTE nun einmal sind. Aber ich habe keine einzige Antwort erhalten. Es ist dort still wie in den Tiefen. Es hat den Anschein, als sei ein Teil des Transzens selbst erfasst worden.
Abermals: Wenn ihr diese Botschaft empfangt, antwortet bitte!