Ein Feuer auf der Tiefe war mein erster in großem Stil angelegter interstellarer Abenteuerroman, das heißt, meine erste Space Opera. Ich hatte immer Vergnügen an solchen Romanen, viele Jahre lang aber auch Bedenken. Der Grund? Nun ja, denken Sie an das Tempo des technischen Fortschritts hier auf der Erde während der letzten paar Jahrhunderte. Es erscheint sehr plausibel, dass Fortschritt, den wir für eine Sache von Jahrmillionen hielten, binnen Jahrhunderten — oder sogar Jahrzehnten — erreicht werden kann (ich erörtere diesen Gedanken etwas ausführlicher in meinem Essay »Die Technologische Singularität« [* Deutsch in »Das Science Fiction Jahr 2004«, hrsg. von Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak, München 2004. Unter der Internet-Adresse http://www-rohan.sdsu.edu/faculty/vinge/misc/singularity.html ist der Originaltext zu finden.]). Die relevante Schlussfolgerung lautet, dass interstellare Reiche — wenn es sie gibt — jenseits dessen liegen würden, was menschlichem Denken und Wissen zugänglich ist. Und mittlerweile sieht es leider so aus, als könnten sogar interplanetare Reiche in die nachmenschliche Ära gehören. Derlei Schlussfolgerungen werden noch von dem bestärkt, was wir in den letzten Jahrzehnten aus der Astronomie erfahren haben.
Ich bin nicht der Einzige, der die Beschränkungen spürt, die sich aus unserem Fortschritt in der Computertechnik und den Biowissenschaften und aus unserem Wissen um die zeitlichen Maßstäbe der Evolution und der interstellaren Umwelt ergeben. Viele Verfasser von »harter« Science Fiction haben einen Blick auf die Zahlen geworfen und sind zu dem Schluss gekommen, dass jede Space Opera, die Raum für Akteure von menschlichem Maß bietet (also solche, die Autor und Leser zu verstehen vermögen), spezielle Arbeit am Hintergrund erfordert. Einer der interessanten Aspekte der Science Fiction im Laufe der letzten Jahre waren die unterschiedlichen Arten, wie die Autoren diese Frage in Angriff genommen haben.
In Ein Feuer auf der Tiefe habe ich das Problem gelöst, indem ich mir vorgestellt habe, das Weltall sei in Zonen unterschiedlicher technischer Möglichkeiten unterteilt — was ich Zonen des Denkens nenne. Dementsprechend wird also in unserer nahen Zukunft die Rechenleistung der Computer auf einem Niveau stehen bleiben, das nicht viel höher als das bereits erreichte liegt. Die Jahrhunderte verstreichen, und es gelingt uns niemals, übermenschlich intelligente Computer zu bauen (und die weitervererbte Software wird so uralt sein, dass ihre Verwendung ins Gebiet der Archäologie fällt). Zivilisationen steigen auf und gehen unter; Raumfahrt — einschließlich interstellarer Reisen im Unterlicht-Bereich — wird möglich. Viele tausend Jahre später reisen einige von unseren Nachkommen so weit, dass sie das große Geheimnis entdecken: dass nämlich in den äußeren Bereichen der Galaxis Überlichtflüge und wirklich hochleistungsfähige Datenverarbeitung möglich sind. Und in der größten Entfernung schließlich kann sogar transzendente Intelligenz existieren.
Diese Aufspaltung nach dem Grad des technisch Möglichen erlaubt es mir, mir den Pelz zu waschen, ohne nass zu werden. In der Langsamen Zone (wo wir Menschen uns jetzt befinden) kann ich klassische Abenteuer im Unterlichtbereich inszenieren, aber keine Übermenschen auftreten lassen. Im Jenseits erlaube ich Überlichtflüge und interstellare Imperien, aber immer noch keine übermenschlichen Mächte. Nur im Transzens sind solche Mächte möglich. In gewisser Hinsicht nehme ich also die übliche technische Abfolge, wie man sie in der Zeit erwartet, und drehe sie in die Raumdimensionen.
Es ist interessant, darüber zu spekulieren, was eigentlich die Zonen bewirkt. Sowohl in diesem Roman als auch in den anderen Geschichten, die ich über die Zonen geschrieben habe, gibt es viele Anhaltspunkte. Im Internet habe ich gesehen, dass Science-Fiction-Leser einige andere sehr interessante Erklärungen für die Zonen vorschlagen. Schwebt mir eine spezielle Erklärung vor? (Das Folgende ist inoffiziell — wenn etwas anderes eine bessere Geschichte ergibt, werde ich es mir vielleicht anders überlegen!) Ja, ich habe so etwas wie eine Erklärung. Ich glaube, dass es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt, dass vermutlich keine einfache Änderung der Physik die Zonen bewirken könnte. Der Mechanismus der Zonen ähnelt ein wenig einem guten Rechtsanwalt, der sich darauf einstellt, dem Erfindungsreichtum jener vernunftbegabter Wesen entgegenzuwirken, die da glauben, sie könnten übermenschliche Intelligenz erschaffen. Für jeden konkreten Ansatz zur Erschaffung eines Übermenschen kann es in der Langsamen Zone einen ersichtlichen Grund geben, aber in ihrer Gesamtheit passen alle diese Anhaltspunkte zu keiner einfachen Erklärung. Wahrscheinlich sind also die Zonen (wie in diesem Roman einige Absender von Nachrichten ans Bekannte Netz spekulieren) etwas künstlich Geschaffenes, vielleicht das Werk intelligenter Wesen.
Glaube ich, dass wir wirklich in einem Weltall der Zonen des Denkens leben? Nein! Das ist einfach meine »einzige phantastische Annahme« für diese Folge von Geschichten. Es ist eine Annahme, die es mir erlaubt, die Technologische Singularität in sicherem Abstand von der Handlung dieser Geschichten zu halten. Ich fürchte jedoch, dass ich, wenn ich das Schreiben von Zonen-Geschichten erörtere, mitunter so klinge, als glaubte ich an die Existenz der Zonen. Doch darin äußert sich nur meine Begeisterung für die Konstruktion einer literarischen Fiktion. Wenn man erst einmal eine verrückte Annahme getroffen hat, macht es Spaß, die Konsequenzen zu verfolgen und zu versuchen, Widersprüche in dieser Annahme zu finden.
Beispielsweise gab es da eine Frage, die ein Leser aufgeworfen hat: »Wenn Zonen des Denkens existieren, wie in diesem Roman beschrieben, würden dann nicht die Folgen dieser Tatsache von den Astronomen des späten 20. Jahrhunderts beobachtet werden?« Ich glaube, die Antwort auf diese Frage lautet »nein«. Eine der unerlässlichen Regeln astronomischer Forschung ist, dass man das Vorliegen von Artefakten nur dann zur Erklärung interstellarer Rätsel in Betracht ziehen darf, wenn partout keine andere Erklärung funktioniert. Und da unsere Astronomie-Theoretiker im Aufstellen plausibler Erklärungen für Himmelsrätsel Geniales leisten, wären sie wohl klug genug, um die Existenz der Zonen niemals zugeben zu müssen.
Diese Erklärung fand ich tröstlich, doch im Laufe der 90er Jahre wurde mir klar, dass jede intelligente Spezies mit echter Raumfahrt in der Langsamen Zone — selbst wenn sie nie weit von ihrem heimatlichen Sonnensystem wegkommt — schwerlich umhin könnte, wenn schon nicht die Zonen selbst zu entdecken, so doch zumindest die großartigen Überlicht-Reiche des Jenseits. Stellen Sie sich beispielsweise vor, wie die optische Astronomie aussehen wird, wenn wir über Basisdistanzen von 100 Astronomischen Einheiten und über synthetische Blendenteleskope verfügen, deren einzelne Spiegel 100 bis 1000 Meter Durchmesser haben. Derlei Optik war das Thema von mindestens zwei Science-Fiction-Romanen (etwa Charles Sheffields Cold as Ice). Wenn man nicht zusätzliche Komplikationen annimmt, zeigt einfache Arithmetik, dass es solch ein System von Observatorien Leuten in der Langsamen Zone erlauben würde, die Raumfahrtaktivitäten Tausende von Lichtjahren weit im Jenseits zu sehen. Und wenn eine Spezies der Langsamen Zone tatsächlich andere Sternensysteme besucht und kolonisiert, würde sie in Sonnensystemen, die auf exzentrischen Bahnen um die Galaxis laufen, früher oder später auf Artefakte aus dem Jenseits stoßen. In meinem Roman Eine Tiefe am Himmel kommt just solch eine Entdeckung vor. Es war harte Arbeit für mich, dafür zu sorgen, dass die Romanhelden die Wahrheit nicht vollständig erkannten!
In Ein Feuer auf der Tiefe hatte ich eine Menge Spaß mit dem Bekannten Netz, dem größten zusammenhängenden Internet, das die Helden meiner Geschichte kennen. (Vielleicht gibt es im Weltall ja Billionen von größeren Netzen, aber den Leuten in dieser Geschichte sind sie per definitionem unbekannt!) Ein Großteil von Ein Feuer auf der Tiefe entstand in den späten 80er Jahren, dem goldenen Zeitalter von Internet-Nachrichtengruppen. Man sieht das am Tonfall der Sendungen und an der Art der Texte. Mir war klar, dass das auf Leser in den 90ern und später sehr altmodisch wirken könnte, also habe ich versucht, die Geschichte zukunftssicher zu machen, indem ich betonte, dass das Bekannte Netz interstellare Ausmaße hat und mit überlichtschneller Kommunikation Millionen von Teilnehmern verbindet, die alle die Größe eines Sonnensystems haben — so dass also die Langstrecken-Bitraten und Wartezeiten auf plausible Weise unserem irdischen Internet der 80er Jahre ähneln könnten (ich weiß allerdings nicht, ob jemand meine Erklärung akzeptiert).
Auf jeden Fall ist es interessant, sich ein Netz von solchen Ausmaßen vorzustellen. Da gibt es nicht nur Millionen Netze von der Größe eines Sonnensystems (und jedes davon viel umfangreicher als unser planetares Internet), auch die kulturellen und physischen Unterschiede zwischen den Teilnehmern können gewaltig sein. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass oft Sendungen durch Gebiete weitergeleitet werden müssen, die noch fremdartiger sind. Die Schwierigkeiten der Übersetzung — und natürlich der Abrechnung — wären überaus interessant.
Ich habe noch mehr Geschichten geschrieben, die im Zonen-Universum spielen. Die Reihenfolge, in der sie erschienen sind, hat allerdings nichts mit der chronologischen Abfolge der Ereignisse im Zonen-Universum zu tun — was zu einiger Verwirrung geführt hat. 1988 hat Baen Books meine Novelle The Blabber veröffentlicht (später dann auch in The Collected Stories of Vernor Vinge bei Tor Books, 2001, enthalten). Das war im Grunde eine Fortsetzung zu Ein Feuer auf der Tiefe. Ich schrieb die Novelle, nachdem ich als Hintergrund das Zonen-Universum und die Klauenwesen ausgearbeitet hatte, jedoch bevor ich die Einzelheiten des Romans kannte. Man könnte meinen, das Vorhandensein solch einer Geschichte würde die Planung des Romans erschweren. In gewissem Maße trifft das zu, doch häufiger lieferte The Blabber Randbedingungen und Inspiration für den Roman. Und die offensichtlichen Widersprüche zwischen der Novelle und Ein Feuer auf der Tiefe werden vielleicht Stoff für spätere Enthüllungen liefern.
So wie beim Schreiben von Software ist es oft nützlich, »Entwicklungsanker« in Geschichten einzubauen. Diese Anker sollen interessante Querverweise auf Ereignisse außerhalb der Geschichte bieten, Querverweise, die den Autor nicht allzu sehr einengen, wenn es schließlich Zeit ist, die Geschichte jener Ereignissen zu erzählen. In Ein Feuer auf der Tiefe ist die Information über Pham Nuwens Rolle bei der Dschöng Ho solch ein Anker. Denn das wurde zum Ausgangspunkt für meinen späteren Roman Eine Tiefe am Himmel, der lange vor Ein Feuer auf der Tiefe spielt.
Bis heute ist das alles, was aus dem Universum der Zonen des Denkens veröffentlicht ist. Ich habe etliche Seiten zu einer viel später spielenden Fortsetzung geschrieben, die wohl mit The Blabber beginnen dürfte. Interessant wäre es auch, die Abenteuer Pham Nuwens unmittelbar nach dem Ende von Eine Tiefe am Himmel weiter zu verfolgen. Nun, hoffentlich werden diese beiden noch nicht geschriebenen Geschichten eines Tages fertig sein.
Vernor Vinge, am 31. Dezember 2003