Neun

Iceni hatte den Kopf in Gedanken vertieft nach vorn gebeugt und zuckte zusammen, als ein schrilles Signal in ihrem Büro ertönte. »Was ist los?«

Der Stabsmitarbeiter, der sie von dem neben ihrem Schreibtisch geöffneten Fenster aus ansah, sprach hastig zu ihr: »Wir haben Meldungen über ein Feuergefecht in unmittelbarer Nähe von General Drakons Hauptquartier. Die automatischen Erfassungssysteme zeigen eine immer noch anhaltende Schießerei an.«

»Ein Feuergefecht?«, rief Iceni ungläubig. »Nicht bloß ein paar Schüsse?«

»Es sind bereits Dutzende Schüsse aufgezeichnet worden, Madam Präsidentin. Ich habe taktische Notfallteams von der nächsten Polizeiwache angefordert und Krankenhäuser in der unmittelbaren Umgebung alarmiert, damit sie Leute hinschicken.«

»Gut.« Sie atmete ein paar Mal tief durch und versuchte ihr Herz zu beruhigen, das zu rasen begonnen hatte.

»Berichte, Notrufe und Meldungen auf den Nachrichtenkanälen und in anderen Medien werden derzeit noch von der Zensursoftware zurückgehalten.«

»Das soll auch so bleiben, bis wir wissen, was da los ist«, ordnete Iceni an.

Der Mitarbeiter schaute zur Seite, sein Gesichtsausdruck wandelte sich von besorgt zu entsetzt. »Dutzende von unbestätigten Medienberichten besagen, dass General Drakon tot ist. Sie werden jetzt blockiert, um eine weitere Verbreitung zu unterbinden, Madam Präsidentin.«

Tot? Nein! Unmöglich! Nicht er. Wieder zwang sie sich zu ruhigen Atemzügen. »Halten Sie die ebenfalls weiter zurück. Ich will sofort alle Informationen weitergeleitet bekommen, sobald sie bekannt sind.«

»Aber wenn General Drakon …«

»Er ist nicht tot!«

Der Stabsmitarbeiter sah sie einen Moment lang an, dann nickte er. »Ich verstehe, Madam Präsidentin. Ich werde alle eingehenden Nachrichten automatisch an Ihren Platz weiterleiten.«

»Tun Sie das«, sagte sie. Ihre Stimme klang wieder beherrscht. Als das virtuelle Fenster verschwand, näherte sich ihre Hand der Komm-Einheit, dann aber zögerte Iceni. Wenn er lebt und unter Beschuss liegt, kann er keine Ablenkungen gebrauchen.

Wo zum Teufel ist Togo?

Die Leibwächterin war tot, noch bevor sie einen Schuss abfeuern konnte, das Gleiche galt für zwei weitere von seinen Leuten. Aber ihre Warnung hatte für Drakon den rettenden Sekundenbruchteil bedeutet, da er sofort in Deckung gehen konnte, um nicht weiteren Schüssen ausgeliefert zu sein, die man auf ihn abfeuerte. Das Problem war nur, dass der Platz auf Anweisung der Syndikatbürokratie eine völlig freie, leere Fläche darstellte, die so gut wie keine Deckung bot.

Drakon drückte sich neben einem der toten Leibwächter flach auf den Boden und hielt seine Waffe in der Hand, während er festzustellen versuchte, von wo aus auf ihn und seine Gruppe geschossen wurde. Massive Projektile und Energiestöße rissen gleichermaßen Löcher in den extrem gepflegten Rasen, und obwohl die Umstände für so etwas eigentlich keinen Raum ließen, konnte Drakon nicht anders, als sich an bestimmte Vorgesetzte zu erinnern, die er über sich hatte ergehen lassen. Jeder von ihnen hätte angesichts dieser Situation einen Wutanfall bekommen — weniger wegen der erschossenen Leibwächter als wegen der Verwüstungen der Rasenfläche.

Zwei Meter von ihm entfernt lag Morgan mit wutverzerrtem Gesicht neben einem anderen toten Leibwächter, sie hatte ebenfalls die Waffe gezogen und erwiderte ruhig und konzentriert das Feuer. Auch die überlebenden Leibwächter und die am Eingang postierten Wachen feuerten auf die Stellen entlang der flachen Gebäude, von wo aus ihre Angreifer sie unter Beschuss genommen hatten.

Drakon machte die Position eines der Schützen aus und betätigte dreimal hintereinander den Abzug seiner Waffe. Vor fünfzehn Sekunden haben sie das Feuer eröffnet, ging es ihm durch den Kopf, da ein Teil seines Verstands mit eiskalter Präzision die Zeit gestoppt hatte. Der Sicherheitstrupp im Hauptquartier wird innerhalb der nächsten fünfundvierzig Sekunden hier auftauchen.

Die Angreifer stellten den Beschuss seiner Wachen ein und konzentrierten ihr Feuer auf Drakon, der sich fragte, ob fünfundvierzig Sekunden wohl eine zu lange Zeit waren, um noch etwas zu bewirken. Es war schon schlimm genug, wenn man seine Gefechtspanzerung trug und mehrere Leute gleichzeitig auf einen schossen, aber jetzt und hier bestand seine Panzerung aus nichts weiter als seiner Uniform. Deren Verteidigungsmechanismen boten zwar einen gewissen Schutz, aber einem solchen Sperrfeuer hatten sie nichts entgegenzusetzen.

Morgan sah mit dunklen, aufgerissenen Augen zu ihm, um im gleichen Moment seine Situation einzuschätzen.

Plötzlich sprang sie auf und machte sich damit zum offensichtlichsten Ziel auf dem gesamten Platz.

»Morgan!«, brüllte Drakon und feuerte schnell auf ein paar von den Stellen, an denen sich die Attentäter versteckt hielten. »Auf den Boden!«

Sie ignorierte seinen Befehl und rannte los, aber das schien ihr nicht zu genügen, denn gleichzeitig schrie sie die Angreifer an und schoss wild um sich, damit sich alle Aufmerksamkeit auf sie richtete. Er wusste, dass Morgan sich wie ein Geist bewegen konnte, wenn sie das wollte. Aber jetzt gerade tat sie alles, was nur möglich war, um das Feuer der Angreifer auf sich zu lenken und Drakon aus der Schusslinie zu nehmen. Immer wieder täuschte sie an, machte dann aber einen Satz in die entgegengesetzte Richtung, um den Schützen das Zielen zu erschweren, was aber nichts daran änderte, dass sie jedem Projektil schutzlos ausgeliefert war, wenn es sie doch treffen sollte. In einem Gefecht mit entsprechender Panzerung wäre ihr Vorgehen sehr riskant gewesen, aber ganz ohne Rüstung war ihre Aktion schlichtweg selbstmörderisch.

Da Drakon sie aber nicht davon abhalten konnte, nutzte er die Ablenkung, für die Morgan sorgte, und richtete sich so weit auf, dass er kniete. Ohne sich darum zu kümmern, dass weitere Geschosse den Rasen zusätzlich umpflügten oder dicht an seinem Kopf vorbeisausten, zielte er und drückte ab. Der Schuss schickte eine Gestalt zu Boden, und Drakon suchte sofort nach dem nächsten Ziel, auf das er dann ein paar Mal schoss.

Soldaten in bedrohlich wirkenden Rüstungen quollen aus dem Haupteingang und verschiedenen Nebeneingängen. Sie trugen schwere Waffen und hielten Ausschau nach Zielen.

Der Beschuss, der auf Drakon gerichtet war, nahm ein so jähes Ende, dass ihm klar war, dass die Angreifer soeben die Flucht angetreten hatten.

Morgan hatte ihr Vorhaben verwirklicht und war dabei wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Jetzt sprang sie über ein Geländer und stützte sich mit einer Hand ab, um sich im Sprung drehen zu können und dort zu landen, wo sich offenbar einer der Angreifer hinter einer niedrigen Mauer versteckt hatte. Drakon sah, wie Morgan ihre Waffe abfeuerte und die freie Hand zur Faust ballte, um einen brutalen Schlag auszuführen.

»General!« Der Captain der Eingreiftruppe und ein Dutzend seiner Soldaten kamen zu ihm gelaufen und bildeten einen Kreis um ihn.

Drakon zeigte in verschiedene Richtungen und erklärte in ruhigem Tonfall: »Die Schüsse kamen von da, da, da und da. Colonel Morgan hat bereits den Schützen ausgeschaltet, der dort drüben gelauert und auf mich geschossen hat.«

»Unsere Leute verfolgen die Angreifer bereits, Sir.«

Die Sirenen des Hauptquartiers wurden abgeschaltet, aber Drakon hörte aus der Ferne andere Sirenen, die zügig näher kamen. »Die Polizei reagiert auf die Schießerei. Passen Sie auf, dass unsere Truppen nicht versehentlich das Feuer auf sie eröffnen.«

»Jawohl, Sir.«

Drakon sah sich um. Der Beschuss war tatsächlich komplett eingestellt worden. Die Soldaten, die eine gepanzerte Mauer um ihn gebildet hatten, zogen den Kreis nach und nach etwas weiter, da Verstärkung eintraf. Drakon stand schließlich auf einer runden, freien Rasenfläche, aus der Rauchfahnen von Dutzenden Treffern aufstiegen.

Zwei Soldaten rückten ein Stück weit auseinander, durch die entstehende Lücke im Kordon zwängte sich Morgan, die einen reglosen Körper an einem Bein gepackt hatte und so hinter sich herschleifte, dass der Kopf über den unebenen Grund holperte. Als sie vor Drakon stand, ließ sie das Bein los, stellte sich neben ihre Beute und grinste ihn breit an.

»Roh«, sagte Drakon, »wenn Sie je wieder …«

»Alles in Ordnung, General?«, unterbrach Morgan ihn und atmete infolge der körperlichen Anstrengung immer noch in kurzen Zügen. In ihren Augen leuchtete eine Wildheit, die ungestümer war als jeglicher Adrenalinschub hätte ermöglichen können.

»Mir geht es gut. Das war völlig verrückt!«

»Ich habe eine ärztliche Bescheinigung, die besagt, dass ich nicht zu verrückt bin, um für die Regierung arbeiten zu dürfen, General«, gab sie zurück und brachte es fertig, noch etwas breiter zu grinsen. »Ich musste den Beschuss auf mich lenken.«

»Nein, das mussten Sie nicht«, fuhr Drakon sie an.

»Doch, Sir, das musste ich«, beharrte sie so eindringlich, dass es ihn stutzig machte. »Niemand wird Sie töten, wenn ich das irgendwie verhindern kann. Außerdem habe ich einen Gefangenen gemacht.«

»Wie viele haben Sie sehen können?«, wollte Drakon wissen, der entschieden hatte, sie nicht weiter vor anderen Leuten für ihr unüberlegtes Handeln zu ermahnen. Abgesehen davon schienen seine Worte bei ihr auch gar keine Wirkung zu zeigen. Zudem wusste er, dass sie sehr wahrscheinlich recht hatte. Wenn sie nicht wenigstens einen Teil des Feuers auf sich gelenkt hätte, wäre es ihm vermutlich nicht gelungen, bis zum Eintreffen der Soldaten durchzuhalten.

»Zwei«, sagte sie beiläufig. »Der andere, der an der Stelle gelauert hat, ist tot.«

Kopfschüttelnd kniete Drakon sich hin und musterte den Mann. »Er gehört nicht zum Militär.«

»Nein, er ist Zivilist. Er trug auch noch einen Sprengstoffgürtel, aber den habe ich bei seinem Kumpel zurückgelassen. Ich kann es nicht erwarten zu erfahren, was dieser Kerl uns beim Verhör erzählen wird.«

»Mir geht’s genauso wie Ihnen.« Drakon sprang auf und machte einen Satz nach hinten, als der vor ihm liegende Mann plötzlich zuckte und dann in anderer Haltung zurück auf den Boden sank. Nicht weit entfernt kam es im gleichen Moment zu zwei Explosionen, die so dicht beieinander lagen, dass sie fast zu einer verschmolzen, die dann von umliegenden Wänden zurückgeworfen wurde.

Morgan zog die Brauen zusammen. »Jemand hat die Sprengstoffgürtel gezündet«, stellte sie fest und kniete sich ebenfalls hin, dann zog sie ein Augenlid des Mannes hoch. »Sieht nach Nanos aus, die sein Gehirn kurzgeschlossen haben. Derjenige, der die Gürtel gezündet hat, muss gewusst haben, dass wir den hier in unserer Gewalt haben, also hat er zu einem Reserveplan gegriffen, um ihn zum Schweigen zu bringen.«

»Verdammt. Aber wir haben immer noch zwei Leichen.«

»Eine Leiche, Boss«, machte Morgan ihm klar. »Von der anderen gibt es nur noch Fetzen.«

»Okay, aber es sollte noch genug vorhanden sein, um auch den anderen Mann zu identifizieren. Wir müssen herausfinden, wer die beiden sind, damit die Polizei sich mit deren Freunden unterhalten kann, bevor die untertauchen.« Er richtete sich auf und verzog den Mund, als sein Blick auf die toten Leibwächter fiel. »Jemand wird für diesen Anschlag bezahlen.«

»Sagen Sie, wann ich loslegen soll und wer dieser Jemand ist«, sagte Morgan amüsiert.

Seine Komm-Einheit summte nach einem bestimmten Muster. Drakon zog das Gerät aus der Tasche. »Ja?«

»Artur?« Iceni klang sehr besorgt. Diese Sorge fühlte sich größtenteils gut an, aber insgeheim stellte er sich auch die Frage, ob ihre Reaktion womöglich als Enttäuschung zu deuten sein mochte, weil ein von ihr in die Wege geleiteter Plan fehlgeschlagen war. »Sind Sie verletzt?«

»Mir geht’s gut, aber ich habe drei Leibwächter verloren.«

»Was ist passiert? Ich habe etwas von einem Feuergefecht gehört, und jemand hat versucht, in den Medien die Meldung zu verbreiten, Sie seien tot.«

»Tatsächlich?«, gab er zurück. »Können Sie nachverfolgen, von welcher Quelle das kam?«

»Das versuchen wir gerade. Haben Sie die Attentäter überwältigen können?«

»Zwei von ihnen. Einer hat noch gelebt, aber er hatte ferngesteuerte Selbstmord-Nanos in seinem Körper. Jemand wollte da wirklich auf Nummer sicher gehen.«

Nach einer kurzen Pause fragte Iceni: »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«

»Sorgen Sie nur dafür, dass die Polizei und meine Truppen nicht versehentlich aneinandergeraten. Mein Gefühl sagt mir, dass die Attentäter sich in die Büsche geschlagen haben und nicht mehr aufzufinden sind.«

»Ich werde mich darum kümmern. Passen Sie gut auf sich auf.«

Drakon steckte seine Komm-Einheit weg, dabei fiel ihm auf, dass Morgan den toten Angreifer sehr eindringlich betrachtete. »Was entdeckt?«, fragte er.

»Wer will Sie wirklich aus dem Weg räumen?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

»Sie meinen, abgesehen von den Schlangen, die sich immer noch irgendwo in diesem Sternensystem versteckt halten? Keine Ahnung, sagen Sie es mir.«

»Madam Präsidentin.« Morgan deutete mit einem Nicken auf den Toten. »Wer hat Zugriff auf diese Art von Nanos? Und solche Waffen?«

»Die Schlangen«, erwiderte Drakon geduldig.

»Die sind nicht die Einzigen.« Mit der Schuhspitze schob sie den Ärmel hoch, bis der Unterarm nicht mehr mit Stoff bedeckt war. »Sehen Sie das?«

Man konnte es gar nicht übersehen. »Eine Kennzeichnung aus einem Arbeitslager.«

»Wie viele Bürger, die eine Weile in einem Arbeitslager gesessen haben, wollen danach noch irgendetwas mit den Schlangen zu tun haben?«

Drakon wusste darauf keine Antwort.

Colonel Malin war außer sich, als er ins Hauptquartier zurückkam, und machte seine Abwesenheit beim Attentatsversuch auf Drakon mit einem regelrechten Wirbelsturm an Aktivität wieder wett. »Die Polizei hat jeden aufgegriffen, der die beiden toten Männer gekannt hat«, sagte er zu Drakon. Sie beide und Morgan hielten sich augenblicklich in einem abhörsicheren Konferenzraum auf.

Malin lud ein Bild auf das Display hoch, das jeden während des Feuergefechts abgegebenen Schuss zeigte. »Die Analyse der Schussfolge ergibt, dass die Angreifer zunächst auf Ihre Leibwächter geschossen haben, General, und nach der ersten Salve verlagerten sie sich auf Sie und Colonel Morgan. Die Reihenfolge der Ziele hat verhindert, dass Sie getroffen wurden, Sir. In den ersten Sekunden war nur die Hälfte der zum Einsatz gekommenen Waffen auf Sie gerichtet.«

Drakon betrachtete das Bild, dann sah er Malin an. »Colonel Morgan hat die Schützen absichtlich auf sich gelenkt.«

»Ja, Sir«, stimmte Malin ihm zu, was Morgan spöttisch grinsen ließ. »Aber es wurden schon zuvor zahlreiche Schüsse auf sie abgegeben, fast so viele wie auf Sie.«

Es war ziemlich offensichtlich, was das bedeutete. »Dann war Colonel Morgan als Ziel genauso wichtig wie ich? Wieso?«

»Sir, ich glaube, die Angreifer haben irrtümlich auf sie gezielt.«

Morgan lehnte sich auf ihrem Platz nach hinten und legte einen Fuß auf den Tisch, wobei sie ihr Bein auf eine Weise streckte, dass jeder Blick einfach dorthin wandern musste. »Sie sind ja nur eifersüchtig.«

»Keineswegs«, wehrte Malin ab. »Ich bin mir sicher, man hat Sie mit jemandem verwechselt.«

»Wer hätte sie denn sein sollen?«, wollte Drakon wissen.

»So gut wie jeder weiß, dass Sie sich auf der Orbitaleinrichtung mit der neuen Verbindungsoffizierin der Allianz getroffen haben und dass sie mit Ihnen und Präsidentin Iceni zum Planeten aufgebrochen ist. Das Shuttle von Präsidentin Iceni ist gelandet, sie hat es allein verlassen. Ihr Shuttle ist in einem abgeschirmten Bereich gelandet, der aber mit entsprechenden Kameras auch aus weiter Ferne beobachtet werden kann. Man kann also gesehen haben, wie Sie mit einer Frau das Shuttle verlassen.«

»Die haben geglaubt, ich mache mit Captain Bradamont einen Spaziergang? Morgan sieht Bradamont doch nicht einmal ähnlich!«

Malin machte eine Geste hin zu Morgan. »Eine Perücke, eine andere Uniform, ein wenig Schminke, dazu die Tatsache, dass die beiden die gleiche Statur haben — das dürfte genügen, um einen Beobachter zu dem Schluss kommen zu lassen, dass Sie von der Allianz-Offizierin begleitet wurden.«

»Die haben mich für das Allianz-Miststück gehalten?«, rief Morgan. »Jetzt fühle ich mich richtig beleidigt.«

»Colonel Morgan …«, begann Drakon gedehnt.

»Verzeihen Sie, Sir, ich werde mich künftig um eine andere Wortwahl bemühen, wenn es um unsere neue Freundin und Verbündete geht«, gab sie zurück.

»Wir konnten die Individuen identifizieren, die Colonel Morgan unschädlich gemacht hat«, redete Malin weiter und deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf Morgan. »Beide gehören einer extremen Gruppierung an, die sich Volkes Wort nennt und die sofortige und vollständige Demokratie fordert.«

Drakon zog skeptisch die Brauen zusammen. »Die wollen sofort alle Volksvertreter wählen?«

»Nein, Sir. Die wollen überhaupt keine Volksvertreter. Sämtliche Entscheidungen sollen per direkter Abstimmung getroffen werden.«

Morgans spöttisches Lachen hallte von allen Seiten wider. »O ja, als ob das funktionierte!«

»Ausnahmsweise teile ich Colonel Morgans Meinung«, erklärte Malin. »Allerdings wirft die Verbindung zu Volkes Wort eine entscheidende Frage auf. Ihre Philosophie könnte das Attentat auf Sie, General, erklären. Aber es erklärt nicht, warum sie auf eine Allianz-Offizierin schießen sollten.«

»Weil ihnen die Anwesenheit einer Allianz-Vertreterin gefallen müsste, richtig?«, fragte Drakon nachdenklich.

»Zumindest würden sie in ihr jemanden sehen, der ihren Plänen gewogen sein sollte«, bestätigte Malin.

Morgan tat so, als sei sie ganz darauf konzentriert, die Klinge ihres Messers zu begutachten. »Wo haben diese Typen von Volkes Wort die Waffen her, mit denen sie uns umbringen wollten?«

»Sie meinen, die haben sich auf einen Deal eingelassen?«, gab Drakon zurück.

»Ja, Sir.« Morgan balancierte die Messerspitze auf der Kuppe ihres Zeigefingers. »Jemand hat ihnen die Waffen angeboten, damit sie Sie umbringen, und im Gegenzug verpflichten sie sich, die Allianz- … Frau ebenfalls zu eliminieren.«

»Das wäre denkbar«, stimmte Malin ihr zu.

»Oder«, ergänzte Morgan, »sie hatten vor, die Frau ebenfalls zu erschießen und es dann so hinzustellen, als sei es ein Attentat gegen die Allianz gewesen, dem Sie zufälligerweise auch zum Opfer gefallen wären.«

Malin sah Drakon ernst an. »Sir, ich glaube, solange wir keine Details kennen, sollten wir davon ausgehen, dass der Anschlag Ihnen beiden galt.«

»Wo waren Sie eigentlich?«, fragte Morgan an Malin gerichtet, während sie das Messer hochwarf und am Heft auffing.

»Ich war in General Drakons Auftrag unterwegs und habe nach Hinweisen auf die Schlangen gesucht.«

Drakon nickte. »Ich weiß, wo er war. Colonel Malin steht nicht unter Verdacht.«

»Was ist mit unserer Präsidentin und ihrem Mann fürs Grobe namens Togo?«

»Ich glaube nicht, dass Präsidentin Iceni etwas damit zu tun hat«, sagte Drakon.

»Bei allem Respekt, Sir«, warf Morgan ein, »aber etwas nicht zu glauben ist eine ganz andere Sache als etwas zu wissen.«

»Das ist mir auch klar.« Seine Entgegnung musste ihm energischer als eigentlich beabsichtigt über die Lippen gekommen sein, da Morgan eine Augenbraue hochzog. »Colonel Malin, ich möchte, dass Sie nach Hinweisen suchen, ob irgendjemand von Präsidentin Icenis Stab mit dem Attentatsversuch auf Colonel Morgan und mich zu tun haben könnte.«

»General?«, sagte Morgan in einem amüsierten Tonfall. »Was ist, wenn die auf uns beide geschossen und dabei gewusst haben, dass ich es bin? Wer würde so was wollen?« Sie lächelte Malin an.

»Haben Sie einen Beweis dafür?«, fragte Drakon.

»Noch nicht.«

»Niemandem wird irgendetwas zustoßen, bis Sie einen Beweis haben, bis Sie mir den Beweis vorgelegt haben und bis Sie von mir einen eindeutigen Befehl erhalten haben, wie Sie vorgehen sollen. Ist das klar, Colonel Morgan?«

»Jawohl, Sir.« Sie setzte sich aufrechter hin und sah nach wie vor Malin an, während sie in einer Hand ihr Messer hielt. »Ich beschaffe die Beweise.«

Iceni beobachtete Captain Bradamont, wie sie den Raum betrat und sich vor den Tisch stellte, an dem Iceni und Drakon saßen. Bradamont befand sich auf ungewohntem Territorium, aber ihr Auftreten erweckte den Anschein, dass ihr diese Umgebung bestens vertraut war. Sie ist eine gefährliche Frau. Ist das alles, worauf ihr Codename Gottesanbeterin hindeuten soll, oder ist da noch mehr, was ich bislang bloß noch nicht gesehen habe? »Kommodor Marphissa hat vorgeschlagen, dass wir eine lange und gefährliche Mission durchführen sollten. Sie sagt, dieser Vorschlag beruht auf Ihren Informationen und Empfehlungen«, sagte Iceni.

»Das ist korrekt«, erwiderte Bradamont.

»Ich werde mit Ihnen keine Spiele treiben, Captain. Sie wissen, Ihre Anwesenheit hier im Midway-Sternensystem ist für uns von großem Wert. Ihnen ist aber sicherlich auch bewusst, dass eben diese Anwesenheit einige Probleme verursacht.«

»Das wurde mir schon kurz nach meiner Ankunft klargemacht«, sagte Bradamont und sah zu General Drakon, der neben Iceni saß. »Ich bedaure, dass der Anschlag, der möglicherweise mir gegolten hat, so viele Menschenleben gekostet hat.«

Iceni reagierte mit einer knappen, verärgerten Geste. »Die Motive und Ziele dieses Anschlags werden immer noch untersucht. Aber der Zwischenfall wirft ein deutliches Licht auf unsere größte Sorge. Wir können es uns nicht leisten, als bloße Handlanger Admiral Gearys angesehen zu werden.«

»Admiral Geary weiß nichts von diesem Vorschlag, Madam Präsidentin.«

»Sie reden über die Dinge, die wir wissen. Ich rede darüber, wie andere diese Dinge wahrnehmen werden.« Iceni tippte auf ihr Daten-Pad. »Ich habe mich mit Kommodor Marphissas Vorschlag befasst. Sie argumentiert überzeugend, was die zu erwartenden Vorteile angeht, wenn wir die Überlebenden der Reserveflotte zurückholen. Allerdings geht sie nicht so detailliert auf die potenziellen Risiken ein.«

Bradamont schüttelte flüchtig den Kopf. »Ich habe den Vorschlag selbst nicht gesehen. Ich streite die möglichen Risiken nicht ab, allerdings gibt es auch Mittel und Wege, wie man diese Risiken auf ein Minimum reduzieren kann.«

»Ja, ich weiß.« Iceni wahrte ihre neutrale Miene, als sie sich umdrehte, um die Anzeige zu lesen. »Die Kommodor schlägt vor, dieses Minimum zu verwirklichen, indem sie zwei unserer vier Schweren Kreuzer, vier Leichte Kreuzer und sechs Jäger mitnimmt. Außerdem sechs Frachter. Zwölf Kriegsschiffe und ihre Besatzungen, dazu die Kommodor, die eigentlich die Flotte befehligt, die dieses Sternensystem verteidigen soll. Das ist eine gigantische Investition für uns.«

»Der Gewinn, Madam Präsidentin, wird aber noch gigantischer ausfallen«, hielt Bradamont dagegen. »Admiral Geary hat mich gebeten, jeden Vorschlag zu unterbreiten, der der Stärkung dieses Sternensystems dienen kann. Sie brauchen dieses Personal, das für den Einsatz auf Kriegsschiffen ausgebildet ist, Madam Präsidentin.«

Iceni hob warnend den Zeigefinger. »Erzählen Sie niemals jemandem, der das Sagen hat, was er braucht, Captain. Ich entscheide, was ich brauche. Ich muss zugeben, es gibt gute Argumente bezüglich des Nutzens, diese Leute zurückzuholen. Aber wenn sie hier eintreffen und das Syndikat hat längst wieder die Kontrolle über Midway übernommen, dann ist uns damit gar nicht gedient.«

»Wünschen Sie, dass ich offen rede, Madam Präsidentin?«

Iceni lehnte sich zurück und lächelte gezwungen. »Ich bitte darum.«

Bradamont deutete mit einer Kopfbewegung auf Icenis DatenPad. »Ihre gesamte Streitmacht aus Kriegsschiffen kann dieses Sternensystem nicht verteidigen, wenn die Syndikatwelten noch einmal eine Flotte von der Stärke herschicken, mit der CEO Boyens hergekommen war. Die einzige Sache, die Ihre Verteidigung nennenswert stärken kann, ist Ihr Schlachtschiff, aber auch erst dann, wenn es komplett ausgestattet ist, wenn die Waffen einsatzbereit sind und wenn es mit einer guten Crew besetzt ist. Sie können das Schiff ausstatten, Sie können die Waffen einbauen und in Betrieb nehmen, aber können Sie auch genügend ausgebildetes Personal finden?«

Drakon, der nach dem Anschlag auf sein Leben am Tag zuvor verständlicherweise etwas nachdenklich wirkte, sah Iceni an. Er musste nichts sagen, sein Blick war eindeutig genug: Das ist Ihre Sache, nicht meine.

»Captain Bradamont«, entgegnete Iceni schließlich. »Sie kennen die Bedrohungen, mit denen jede Streitmacht konfrontiert wird, wenn sie von Midway aus ins Allianz-Gebiet und zurück fliegt. Und trotzdem können wir es uns nicht leisten, noch mehr unserer ohnehin schon wenigen Kriegsschiffe auf den Weg zu schicken, als Kommodor Marphissa bereits vorgeschlagen hat. Wir benötigen ein paar Kriegsschiffe hier im System für den Fall, dass jemand anders als das Syndikat herkommt und uns angreift. Was besitzen wir, das die Chancen für eine Flotte auf einer solchen Mission zu unseren Gunsten weiter erhöhen kann?«

Bradamont zog die Stirn in Falten, als sie über diese Frage nachdachte. »Kommodor Marphissa hat ihr Geschick als Gefechtsbefehlshaberin unter Beweis gestellt, Madam Präsidentin.«

»Kann sie eine Streitmacht so gut befehligen wie Black Jack?«

»Nein, aber …«

»Wie viel Erfahrung besitzt Kommodor Marphissa mit den Kampftaktiken eines Black Jack? Wie viel weiß sie über seine Art, selbst dann noch den Sieg davonzutragen, wenn alle Chancen gegen einen sprechen?«

Bradamont schüttelte den Kopf. »Sie verfügt über nichts von diesem Wissen, Madam Präsidentin. Wir haben zwar kurz darüber diskutiert, aber es blieb keine Zeit für ein umfassendes Training.«

»Aber Sie besitzen diese Erfahrung und die notwendige Ausbildung.« Icenis Worte klangen wie eine Feststellung, waren aber eigentlich als Frage gemeint.

Zum ersten Mal ließ Bradamont Unsicherheit erkennen. Aus dem Augenwinkel sah Iceni, wie Drakon versuchte, sich angesichts dieser Reaktion ein Lächeln zu verkneifen. Sie hatten bereits über das Ganze gesprochen, und es war Drakons Vorschlag gewesen, der Iceni dazu veranlasst hatte, die Unterhaltung in diese Richtung zu lenken. »Ihr Befehl lautet«, redete Iceni weiter, »uns in der Weise zu assistieren, die Sie für angemessen halten. Fällt es unter diesen Befehl, bei der erfolgreichen Abholung der Gefangenen bei Varandal zu assistieren?«

»Madam Präsidentin, Ihre Kriegsschiffe werden sich nicht meinem Kommando unterordnen. Die Besatzungen werden meine Befehlsgewalt nicht akzeptieren. Das hat sich schon an Bord der Manticore gezeigt.«

»Habe ich gesagt, Sie sollen die Flotte befehligen? Sie sollen assistieren. Ich werde diesen Vorschlag nur gutheißen, wenn Sie, Captain Bradamont, damit einverstanden sind, meine Schiffe zu begleiten. Nicht als Befehlshaberin, sondern als Beraterin in allen taktischen und politischen Angelegenheiten. Ihre bloße körperliche Gegenwart auf dieser Mission könnte von großem Wert sein. Die Anwesenheit eines Captains der Allianz-Flotte könnte bei Atalia und Varandal entscheidend dazu beitragen, dass die Frachter ins Allianz-Gebiet überwechseln und die Überlebenden der Reserveflotte an Bord nehmen dürfen.«

Bradamont überlegte kurz, dann nickte sie. »Ich stimme Ihnen zu, Präsidentin Iceni, und ich denke, diese Form der Unterstützung fällt unter den Rahmen der Befehle, die ich von Admiral Geary erhalten habe. Ich werde die Mission begleiten.«

»Gut«, sagte Iceni, die ein wenig enttäuscht darüber war, dass sie Bradamont so leicht eine Zustimmung hatte abringen können. Allerdings war diese Frau ja auch eine Allianz-Offizierin, keine Allianz-Politikerin, und ganz sicher war sie nicht so gerissen wie Black Jack. »Machen Sie sich zur sofortigen Abreise bereit.«

»Sofortige Abreise?« Bradamont sah verwundert zu Drakon. »Die Frachter müssen erst noch vorbereitet werden.«

»Die Frachter stehen bereit«, merkte Drakon an. »Wir haben sechs Frachter, die zu Truppentransportern umgerüstet wurden, als wir Taroa bei der Revolte gegen das Syndikat unterstützt haben. Wir sind erst kurz vor Eintreffen der Syndikat-Flotte hier im System von Taroa zurückgekehrt. Weil dann auch noch die Enigmas aufgetaucht sind, haben wir die Frachter für den Fall im Orbit gelassen, dass einige Bürger evakuiert werden müssen.«

»Es hat mir nicht gefallen, Schiffe im Orbit kreisen zu lassen, die keinen Zweck erfüllen und nur Löcher in mein Budget fressen«, bemerkte Iceni, »aber jetzt erweist es sich als sehr praktisch, dass sie da oben geblieben sind. Es ist entscheidend, dass wir diese Operation schnell in die Wege leiten. Meine Techniker sind der Meinung, dass die Blockade des Syndikat-Hypernets, von der Black Jack betroffen war, jeglichen Zugang zu diesem Netz verhindert. Das würde bedeuten, dass die Portale bei einer Blockade auch nicht vom Syndikat benutzt werden können. Wegen der wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen wird das Syndikat nur unter ganz bestimmten Umständen und dann auch nur für kurze Zeit zu dieser Maßnahme greifen. Aber wenn dort jemand davon erfährt, dass wir diese Operation planen, könnte es passieren, dass sie unser Portal blockieren, nur damit wir nicht an Tausende potenzielle Besatzungsmitglieder für unsere Flotte herankommen.«

Drakon meldete sich wieder zu Wort: »Wir schicken Soldaten mit, die für Ordnung sorgen sollen, sobald Sie die Gefangenen an Bord geholt haben. Wir wissen nicht, ob sich unter diesen Leuten auch Schlangen befinden, und wir haben auch keine Ahnung, wie viele von ihnen den Syndikatwelten gegenüber so loyal sind, dass sie sich uns gar nicht anschließen wollen. Es dürfte zwar eine Minderheit sein, vielleicht sogar eine sehr kleine Minderheit, aber wir können diesen Leuten nicht so viel Bewegungsfreiheit einräumen, dass sie am Ende noch ein oder zwei Frachter in ihre Gewalt bringen. Die Bodentruppen werden von einem Offizier befehligt werden, der erfahren genug ist, um mit allen sich ergebenden Situationen klarzukommen.«

Drakon ließ eine kurze Pause folgen, während Bradamont ihn abwartend ansah. »Dieser Offizier wird Colonel Rogero sein.«

»Wir gehören nicht mehr zum Syndikat, Captain«, sagte Drakon, »weshalb ich Ihnen auch sagen muss, dass Sie auf Kommodor Marphissas Schwerem Kreuzer mitfliegen, während Colonel Rogero auf einem der Frachter untergebracht sein wird. Wenn Sie Atalia erreicht haben, wechseln Sie auf Colonel Rogeros Schiff.«

»So nah und doch so fern?«, fragte Bradamont. »Sie müssen Colonel Rogero nicht mitschicken, General. Ich habe bereits mein Einverständnis erklärt.«

»Rogero kommt mit«, erwiderte Drakon. »Er ist der beste Offizier für diese Mission. Außerdem weiß ich, Sie beide können zusammenarbeiten, um diese Mission erfolgreich zu Ende zu bringen.«

Iceni nickte. »Das ist General Drakons Ansicht, der ich mich angeschlossen habe. Die Tatsache, dass Sie bewiesen haben, mit Kommodor Marphissa zusammenarbeiten zu können, ist ein weiterer Faktor bei meiner Entscheidung gewesen. Haben Sie noch Fragen? Nicht? Wenn Sie der Meinung sind, dass noch irgendetwas nötig ist, um diese Mission zu einem erfolgreichen Ende zu führen, dann lassen Sie es mich oder General Drakon persönlich wissen. So, dann hätte ich jetzt noch eine Frage an Sie, die mit der Mission nichts zu tun hat. Als Black Jack zum ersten Mal in dieses Sternensystem kam, gab er seinen Dienstgrad mit Flottenadmiral an. Ich wurde allerdings darauf hingewiesen«, fuhr sie fort und warf dabei Drakon einen Seitenblick zu, »dass er sich die ganze Zeit über als Admiral bezeichnet hat und dass er bei seinen letzten beiden Besuchen die Abzeichen eines Admirals der Allianz trug. Ist Ihnen etwas über die Umstände bekannt, dass Black Jack einen niedrigeren Dienstgrad benutzt?«

»Das weiß jeder in der Flotte, Madam Präsidentin«, antwortete Bradamont. »Während des letzten Feldzugs im Krieg gegen die Syndikatwelten war er Flottenadmiral, aber sein aktueller Dienstgrad ist Admiral.«

»Was doch unter dem Flottenadmiral steht, nicht wahr?«, hakte Iceni nach. »Captain Bradamont, warum benutzt Black Jack einen niedrigeren Dienstgrad als damals, als seine Flotte zum ersten Mal die Enigmas aus diesem Sternensystem vertrieben hatte?«

»Er ließ sich sogar zum Captain zurückstufen, als wir nach diesem Kampf ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt waren, danach wurde er wieder zum Admiral befördert.«

»Warum?«, fragte Iceni, die keinen Hehl aus ihrer Ratlosigkeit machte.

»Mir sind nicht sämtliche Gründe bekannt, aber ich weiß, zum Teil spielte eine persönliche Angelegenheit eine Rolle.«

»Eine persönliche Angelegenheit?«

»Captain Desjani«, antwortete Bradamont, als wäre damit alles erklärt.

»Wer ist das?«, wollte Iceni wissen.

»Gearys Ehefrau, Captain Tanya Desjani.« Bradamont sah zwischen Iceni und Drakon hin und her. »Davon haben Sie nichts gehört? Ich nahm an, Ihr Geheimdienst hätte davon erfahren? In der Allianz ist das gar kein Geheimnis, jeder weiß darüber Bescheid.«

Iceni sah Bradamont eindringlich an. »Wir sind hier von der Allianz weit entfernt, Captain Bradamont, und der Geheimdienst des Syndikats gibt keine Informationen an rebellierende Sternensysteme heraus. Admiral Geary war also an einer Untergebenen interessiert? Und anstatt einfach mit ihr zu schlafen, hat er sich zum Captain zurückstufen lassen, um die Beziehung eingehen zu können?«

Bradamonts Miene blieb unverändert, aber ihre Haltung hatte sich ein wenig versteift. »Die Vorschriften der Allianz-Flotte verbieten Beziehungen zwischen Offizieren und ihren Untergebenen in der Befehlskette.«

»Bei uns gibt es ähnliche Vorschriften«, gab Iceni amüsiert zurück. »Und wer bei uns die Macht hat, muss sich um diese Vorschriften nicht kümmern.«

Ihr entging nicht, wie Drakon ungewollt leicht zusammenzuckte. Schlechtes Gewissen wegen Ihrer betrunkenen Nummer mit dieser völlig durchgedrehten Morgan, General? Das sollte Ihnen auch ein schlechtes Gewissen bereiten. Oder haben Sie Angst davor, ich könnte davon erfahren, weil ich Ihrer Meinung nach noch nichts davon weiß?

»Admiral Geary hat sich stets korrekt verhalten«, erklärte Bradamont. »Er ist ein Mann der Ehre ganz im Sinne unserer Vorfahren. Admiral Geary und Captain Desjani haben alle Regeln und Vorschriften der Flotte beachtet und sich vorbildlich verhalten.«

»Ich verstehe. Vielen Dank, Captain. Wenn man Sie zurück zu Ihrem Quartier in General Drakons Hauptquartier eskortiert hat, nehmen Sie Kontakt mit Colonel Rogero auf. Er wird Ihnen einen Platz bei den Truppentransportern besorgen, um Sie nach oben auf die Frachter zu bringen.«

Iceni sah Bradamont hinterher, wie sie den Raum verließ. »Ist Ihnen aufgefallen, dass diese Allianz-Offizierin so entspannt sein kann wie sie will, und trotzdem existiert da eine Barriere zwischen ihr und uns.«

»Das überrascht mich gar nicht«, erwiderte Drakon. »Für sie sehen wir immer noch aus wie der Feind.«

»Ich glaube, das ist nicht der einzige Grund. Kommodor Marphissa und Kapitan-Leytenant Kontos haben mir in ihren Berichten übereinstimmend gesagt, dass sie nicht das Gefühl hatten, Bradamont halte sich in irgendeiner Weise zurück. Und trotzdem kommt sie mir immer dann reserviert vor, wenn sie mit uns zu tun hat.«

Drakon schnaubte gereizt. »Kommodor Marphissa war eine Executive im unteren Mittelrang, sie hat keine Entscheidungen getroffen, aber sie musste die Entscheidungen ausbaden, die von ihren Vorgesetzten getroffen wurden. Das trifft auf Kontos sogar noch deutlicher zu. Wir beide dagegen waren CEOs, ein Teil der Hierarchie der Syndikatwelten. Wir hatten das Sagen.«

»Aber nicht in dem Maß, das uns lieb gewesen wäre« wandte Iceni leise ein.

»Stimmt, und deshalb sitzen wir jetzt hier. Aber es wundert mich nicht, dass wir für eine Allianz-Offizierin eine andere Kategorie darstellen als das jüngere Personal. Wir sind CEOs, wir haben Dinge verbrochen.«

Eine Zeitlang sah sie ihn nur schweigend an, während sie versuchte, Klarheit in ihre Gefühle zu bringen. »Ich habe getan, was ich tun musste. Sie genauso.«

»O ja«, erwiderte Drakon.

Es war nur eine kurze Antwort, aber die damit verbundenen Empfindungen waren für Iceni deutlich zu erkennen. »Ich habe getan, was ich tun musste« ist nicht die Art von Text, die man später einmal auf seinem Grabstein lesen will. Unglücklich über die Richtung, die die Unterhaltung eingeschlagen hatte, deutete sie nach oben. »Das Syndikat ist uns bei den Tricks mit dem Hypernet einen Schritt voraus. Ich habe so ein Gefühl, dass die Allianz sogar noch weiter hinterherhinkt als wir.«

»Ein Gefühl?«, wiederholte Drakon.

»Es gibt ein paar Tatsachen. Black Jack wollte von mir die Vorrichtung haben, mit der man verhindern kann, dass ein Portal per Fernsteuerung zerstört wird. Das heißt, die Allianz hat so etwas nicht besessen.«

»Und Sie haben ihm die Vorrichtung gegeben?«

Sie hielt kurz inne, dann nickte sie ohne ihn anzusehen. »Ja. Das war unsere Abmachung.«

»Gibt es noch andere Abmachungen?«

Iceni drehte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. »Keine, von denen Sie nichts wissen. Ich hatte diese Vereinbarung mit Black Jack vor unserer Revolte getroffen, Artur. Ich konnte das damals nicht mit Ihnen abstimmen. Ich konnte nicht mal mit Ihnen darüber reden, weil die Schlangen überall waren. Wissen Sie eigentlich, was mich an dieser Unterhaltung mit Captain Bradamont am meisten fasziniert hat?« Es war eine sehr plumpe Überleitung zu einem anderen Thema gewesen. Warum bekomme ich so was nicht mehr hin, wenn ich Drakon vor mir habe? Aus irgendeinem Grund bringt er mich aus dem Konzept.

Wenigstens sprach er sie nicht auf diesen misslungenen Themenwechsel an. »Nein, was fanden Sie so faszinierend?«

»Die Sache mit Black Jacks Dienstgrad. Auch wenn Captain Bradamont seine Ehre notfalls mit Händen und Füßen verteidigt, muss er irgendwelche Tricks und Kniffe angewandt haben, um mit der Heirat einer Untergebenen nicht gegen die Vorschriften zu verstoßen. Nur warum? Warum macht er sich diese Mühe? Und warum hat er sich anschließend nur wieder bis zum Admiral befördern lassen? Und was wissen wir über diese Captain Desjani?«

Drakon startete eine Datenabfrage. »Captain des Schlachtkreuzers Dauntless. Nach allem, was wir über sie zusammentragen konnten, gilt sie als äußerst effizient. Als Lieutenant führte sie ein Enterteam bei einer Mission an, für die sie mit dem Flottenkreuz der Allianz ausgezeichnet wurde. Das ist auch schon alles. Nein … warten Sie. Captain Desjani war anwesend, als Morgan und Malin mit Black Jack den Trick besprochen haben, mit dem wir Boyens losgeworden sind. Black Jack bestand darauf, dass sie an dem Treffen teilnimmt. Das bestätigt die Beziehung der beiden, von der Bradamont gesprochen hat.«

Nachdenklich stützte sie das Kinn auf einer Hand auf. »Dieses ganze Theater muss etwas mit den Vorschriften und Protokollen der Allianz zu tun haben. Vielleicht musste er sein Handeln vor der Flotte und den Bürgern rechtfertigen. Was das allerdings mit dem Wechsel der Dienstgrade zu tun hat, ist mir ein Rätsel. Vielleicht wird uns Captain Bradamont gelegentlich etwas Genaueres dazu sagen. Ich wollte sie vorhin nicht weiter bedrängen. Sie gibt sich uns gegenüber zwar sehr offen, als würden in ihrem hübschen Kopf keinerlei Geheimnisse schlummern. Aber irgendetwas verschweigt sie. Die Leute hegen immer irgendwelche Absichten, über die sie nichts nach außen lassen.«

Drakon ließ sich mit seiner Antwort einen Moment lang Zeit und starrte in die Ferne, ehe er wieder Iceni ansah. »Mein erster Eindruck von ihr war, dass sie genau so ist, wie sie sich präsentiert. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie uns etwas Gravierendes verheimlicht. Ich habe inzwischen mit Colonel Rogero gesprochen, und er sagt, sie ist vertrauenswürdig. Diese Bewertung zählt für mich.«

Ungewollt stieß Iceni ein spöttisches Lachen aus. »Ein verliebter Mann vertraut dem Objekt seiner Zuneigung? Ich möchte nicht wissen, wie viele Tragödien durch diese Einstellung ausgelöst worden sind.«

»Das ist … ein Argument.«

Iceni musterte ihn aufmerksam »Aber kein Argument, das Sie glücklich macht, würde ich sagen.«

»Ist das so offensichtlich?« Er zog kurz die Schultern hoch. »Sie kennen Colonel Gaiene. Das heißt, Sie kennen ihn, wie er heute ist.«

»Ein Trinker, der den Eindruck erweckt, nichts anderes zu tun zu haben, als nach der nächsten Frau Ausschau zu halten, die er ins Bett kriegen kann. Aber ich kenne die Berichte über Taroa. Er war dort äußerst effizient. Wollen Sie sagen, er hat der falschen Frau vertraut?«

»Im Gefecht kann er diese Dinge für eine Weile vergessen. Aber es war kein Fall von Vertrauensmissbrauch, sondern das genaue Gegenteil.« Drakon verzog den Mund. Er war sichtlich betrübt durch die Erinnerungen, die diese Unterhaltung zutage förderte. »Machen wir es schnell und schmerzlos. Lara war ein Major in einer anderen Einheit. Sie und Conner Gaiene interessierten sich nur füreinander und für keinen Menschen sonst. Conners Einheit geriet in einen Hinterhalt und wurde vom Gegner Mann für Mann dezimiert. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, einen massiven Gegenangriff zurückzuschlagen. Irgendwie schaffte Lara es, genügend Soldaten um sich zu scharen, um sich durch die feindlichen Linien bis zu Gaiene durchzukämpfen. Tatsächlich rettete sie Conner und gut die Hälfte seiner Einheit, aber sie selbst bekam davon nichts mehr mit, weil sie auf den letzten Metern starb, gerade als sie zu Gaiene durchbrachen.«

»Oh.« Iceni schwieg eine Zeit lang. »Deshalb ist er so.«

»Ja. Conner Gaiene hatte seine Traumfrau gefunden. Und fast jeden Tag werde ich daran erinnert, was aus ihm wurde, als er sie verlor.«

»Und Sie wollen nicht, dass Colonel Rogero das Gleiche widerfährt.«

»Richtig. Wenn diese Bradamont eine bösartige Frau sein sollte, was ich persönlich nicht glaube, dann wird sie ihm wehtun. Aber wenn sie eine gute Frau ist, dann könnte sie ihn noch viel schlimmer verletzen.«

»Nicht jeder Mann erleidet einen Zusammenbruch, wenn er eine Frau verliert«, erwiderte Iceni. Machen Sie aus Angst davor um jede Beziehung einen Bogen, Artur Drakon? Die Schlangen und das Syndikat konnten Ihnen nichts anhaben, aber haben Sie Angst, das könnte einer Frau gelingen? »Sie haben doch sicher auch jemanden verloren.«

»Hier geht es nicht um mich«, wandte Drakon etwas zu hastig und zu nachdrücklich ein.

»Und wenn es um Sie gehen würde?«

Für Sekunden wich er ihrem Blick aus. »Tut es aber nicht.«

»Dann hören Sie mir mal gut zu, Artur Drakon«, redete sie ungestüm weiter. »Nach allem, was Sie mir erzählt haben, war diese Lara eine außergewöhnliche Frau, die ihr eigenes Leben gegeben hat, um den Mann zu retten, den sie liebte. Und dieser Mann hält ihr Opfer in Ehren, indem er das Leben vergeudet, das sie gerettet hat! Wenn ich jemals für den Mann, den ich liebe, mein Leben geben sollte, dann sollte dieser Mann das gefälligst zu würdigen wissen und den Rest seines Lebens so verbringen, dass mein Opfer in Ehren gehalten wird! Ist das klar?«

Drakon nickte. »Das ist klar. Mir ist nur nicht klar, warum Sie mir das erzählen.«

»Das weiß ich auch nicht! Auf jeden Fall wissen Sie es jetzt! Und dass Sie mir das ja nicht wieder vergessen!«

»Wird nicht vorkommen.«

Nachdem Drakon gegangen war, saß sie eine Weile allein da und starrte auf das Display, ohne irgendetwas darauf wahrzunehmen. Warum regt mich der Anschlag auf sein Leben mehr auf als die Bombe, die mir gegolten hatte?

Das liegt daran, dass ich diesen großen Trottel so gut leiden kann. Er ist ein besserer Mann, als es ihm selbst klar ist. Er ist …

Ich mag ihn zu sehr.

Das kannst du nicht machen, Gwen. Wenn du deine persönlichen Gefühle in die Arbeit einfließen lässt, ist die Katastrophe garantiert. Er ist ein Mann, und er hegt ganz offensichtlich keine Gefühle für mich. Also wird er meine Gefühle für ihn dazu benutzen, das zu bekommen, was er haben will. Oder wenn er nicht ganz so rücksichtslos ist, wird er mir nur ins Gesicht lachen. Beides wäre aber immer noch besser, als wenn er Mitleid mit mir empfindet, weil er meine Gefühle nicht erwidern könnte. Mitleid werde ich niemals akzeptieren.

Von niemandem!

Die voller Hoffnung auf den Namen Heimkehrerflotte getaufte Gruppe Schiffe war tags zuvor aufgebrochen. Drakon hatte die Abreise der Flotte beobachtet, mit der nicht nur Colonel Rogero und sechs Züge seines Bataillons sondern auch ein Großteil der Kriegsschiffe in Richtung Allianz aufbrachen, die eigentlich zur Verteidigung dieses Sternensystems zur Verfügung stehen sollten. Aber die Allianz-Offizierin hatte völlig recht, wenn sie sagte, dass selbst alle Schiffe zusammen nicht ausreichten, um Midway zu verteidigen. Aber das war etwas, was zwar der Verstand wusste, die Gefühle wollten beim Anblick der abreisenden Flotte jedoch am liebsten verzweifelt hinterherrufen, sie solle sofort umkehren.

Das Universum schien sich einen Spaß daraus zu machen, die Hoffnungen und Pläne der unbedeutenden Menschen mit Hohn und Spott zu überziehen. Folglich dauerte es nur eine Stunde, seit die Heimkehrerflotte durch das Hypernet-Portal das System verlassen hatte, da traf am Sprungpunkt von Maui ein Frachter ein, der eine dringende Nachricht überbrachte.

Aus diesem Grund kam Drakon nun wieder mit Gwen Iceni zusammen, die seit ihrem letzten Gespräch unter vier Augen ungewöhnlich gereizt erschien. Diesmal war es jedoch Colonel Malin, der Bericht erstattete, während Icenis Assistent Togo dastand und das Geschehen wortlos mitverfolgte. Sein todernster Gesichtsausdruck wies einen Hauch von Missbilligung auf, den Drakon noch nie bei dem Mann beobachtet hatte.

»Die Neuigkeiten aus Maui betreffen den Supreme CEO im Ulindi-Sternensystem«, berichtete Malin.

»Supreme CEO?« Drakon sah auf das Sternendisplay, Ulindi war — neben Midway — einer von drei Sternen, die sich von Maui aus anfliegen ließen. »Was soll denn das sein?«

»Ich würde meinen, dass der Titel doch alles besagt«, gab Iceni knapp zurück.

Malin besaß Erfahrung im Umgang mit Vorgesetzten, die nicht immer gut miteinander auskamen, weshalb er jetzt einfach so weiterredete, als hätte er die Bemerkungen gar nicht gehört: »Mit Blick auf das, was wir trotz aller Anstrengungen, die Ereignisse bei Ulindi totzuschweigen, gehört haben, sieht es so aus, dass CEO Haris es geschafft hat, die anderen CEOs in diesem System zu töten und die Opposition niederzuringen.«

Drakon sah blinzelnd auf sein Display und misstraute sofort dem, was er dort lesen konnte. »Haris ist ein CEO und eine Schlange. Wie hat er die Syndikatsregierung dazu gebracht, ihm den Titel Supreme CEO zu geben?«

»Haris unterhält keine Verbindungen mehr zur Syndikatsregierung.«

»Eine rebellierende Senior-Schlange?«

»Ja, Sir.«

Drakon sah Iceni an. »Kennen Sie diesen Haris?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe mich nie mit Schlangen abgegeben.« Dann gab sie ein wenig nach und ergänzte: »Selbst Schlangen können Ehrgeiz entwickeln. Dieser Haris könnte eine Chance gesehen haben, um seine Macht auszubauen, während die Syndikatwelten mit jedem Sternensystem, das sich von ihnen lossagt, schwächer werden.«

»Also hat er beschlossen, sein eigenes kleines Imperium aufzubauen?«

Malin ließ das Display auf ein neues Bild umschalten. »General, die Berichte aus Maui besagen, dass sich dort eine schlagkräftige Flotte aus Ulindi aufhält. Die war offenbar bereits kurz davor, den Sprung nach Midway zu unternehmen, sah aber davon ab, als Handelsschiffe Maui erreichten und dort von der Anwesenheit der Allianz-Flotte in unserem System berichteten. Als diese Nachricht dort verbreitet wurde, war sie allerdings schon deutlich überholt, schließlich hat Black Jack Midway verlassen, kurz nachdem diese Frachter sich auf den Weg nach Maui gemacht hatten.«

»Das verschafft uns Luft«, sagte Iceni. »Das ist gut.«

»Aber nur wenig Luft. Uns bleiben sechs Tage, um zu handeln, Madam Präsidentin«, erwiderte Malin und erklärte: »Ein Frachter mit Ziel Rongo hat Midway vor drei Tagen in Richtung Maui verlassen, und zweifellos wird er dort die Nachricht verbreiten, dass Black Jack inzwischen abgereist ist. Der Frachter benötigt viereinhalb Tage im Sprungraum, in Maui wird er die Nachricht verbreiten, und die Ulindi-Flotte wird sich auf den Weg hierher machen. Sie wird vermutlich einen halben Tag benötigen, um den Sprungpunkt nach Midway zu erreichen, dann ist sie viereinhalb Tage im Sprungraum unterwegs, ehe sie hier eintrifft. Alles in allem dürfte die Ulindi-Flotte in sechs Tagen hier ankommen.«

»Das ist allerdings sehr wenig Luft«, beklagte sich Iceni. »Gegen Ihre Berechnung ist nichts einzuwenden, denn wenn diese Flotte hört, dass Black Jack weg ist, wird sie keine Zeit vergeuden. Offenbar will Haris sein kleines Imperium ausweiten. Aber diese Flotte bei Maui wirkt auf mich nicht wie eine Streitmacht, die das Ziel hat, dieses Sternensystem zu erobern.«

»Nein, Madam Präsidentin, das ist richtig. Die Ulindi-Flotte besteht aus einem einzigen Schlachtkreuzer der C-Klasse und vier Jägern. Sollten sich Bodenstreitkräfte an Bord befinden, kann deren Zahl nur sehr niedrig ausfallen.«

»Keine Bodenstreitkräfte?« Drakon ließ sich das durch den Kopf gehen. Eine kleine Flotte, die um einen Schlachtkreuzer herum aufgebaut war, konnte in einem Sternensystem schwere Schäden anrichten, aber sie konnte ein System nicht einnehmen. Selbst wenn Midway sich unter Androhung eines Bombardements ergab, konnte Ulindi die Kontrolle über den Stern nur bis zu dem Moment aufrechterhalten, in dem der Schlachtkreuzer heimkehrte. »Was hat Ulindi noch?«

»Laut unseren Informationen verfügen sie noch über einen Schweren Kreuzer, der wohl in Ulindi geblieben ist, um Haris zu beschützen. Die Bodenstreitkräfte bewegen sich etwa in der Größe einer Division, aber die meisten Soldaten wurden erst vor Kurzem rekrutiert und sind noch so gut wie nicht ausgebildet. Weniger als eine Brigade ehemaliger Syndikatssoldaten bilden den Kern von Haris’ Bodenstreitkräften. Der Rest der Inneren Sicherheit wird von lokaler Miliz, Polizei und Schlangen übernommen.«

»Nicht gerade viel, um darauf ein ganzes Imperium zu errichten. Das reicht unter Umständen nicht mal aus, um Ulindi zu kontrollieren. Und wie sehen seine Pläne aus?«

Drakon hatte die Frage an Iceni und Malin gerichtet, die Präsidentin dachte kurz nach, dann erwiderte sie als Erste: »Er muss von unserer Intervention bei Taroa wissen. Vielleicht hat er sogar von unserem Vorstoß für ein engeres Verteidigungsbündnis erfahren, auch wenn die Regierung auf Taroa darüber eigentlich Stillschweigen bewahren sollte.«

Malin schüttelte den Kopf. »Überall in diesem Sternensystem weiß man von unserem Angebot an Taroa. Mehr als ein Vertreter der Freien Taroaner muss mit anderen darüber gesprochen haben.«

»Was bedeutet, dass Haris davon erfahren hat«, folgerte Drakon.

Iceni ballte die Faust und hätte sie auf den Tisch herabsausen lassen, aber dann bekam sie sich noch schnell in den Griff. »Ich hätte wissen müssen, dass wir uns lokale Probleme einhandeln, wenn wir versuchen, Taroa enger an uns zu binden. Haris sieht in uns eine Bedrohung für seinen Ehrgeiz, und er will unsere mobilen Streitkräfte treffen, bevor es uns gelingt, auch noch auf die Ressourcen von Taroa zuzugreifen.«

»Das klingt schlüssig«, stimmte Drakon ihr zu. »Jeder, der hier draußen ein Imperium aufbauen will, wird in uns Rivalen sehen, die so schnell wie möglich ausgeschaltet werden müssen.«

»Angesichts der Zusammensetzung der Ulindi-Flotte«, warf Malin verhalten ein, »gibt es noch eine andere Möglichkeit. Wegen der Abwesenheit von Kommodor Marphissa habe ich mit Kapitan-Leytenant Kontos über die Situation gesprochen.«

»Tatsächlich?« Wieder sah Drakon zu Iceni. »Und was hat Kontos gesagt.«

»Er meint, sie haben es auf das Schlachtschiff abgesehen.«

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