Vierzehn

»Kommandosoldaten?« Rogeros Blick kehrte zurück zum Display, während er spürte, wie das Adrenalin ausgeschüttet wurde. Ohne Vorwarnung wechselte sein Körper in den Gefechtsmodus. »Ich sehe keine …«

Bradamont schüttelte den Kopf. »Sie benutzen getarnte Shuttles. Das Beste, was die Allianz zu bieten hat. Die Sensoren dieses Frachters würden es nicht mal bemerken, wenn diese Shuttles im Kreis um uns herumfliegen würden.«

»Admiral Timbale …«

»… verliert die Kontrolle über die Lage! Ihm gehorchen immer noch die Flotteneinheiten und die Marines, aber die Bodenstreitkräfte und deren Flugunterstützung durch die Luftwaffe dieses Sternensystems reagieren nur auf das, was die befehlshabenden Generäle ihnen auftragen. Bei den Vorfahren, setzen Sie diese Frachter in Bewegung!«

»Wir müssen noch einige Shuttleladungen an Bord holen«, erwiderte Rogero frustriert und zeigte auf das Display. »Wollen Sie etwa sagen, wir sollen sie einfach zurücklassen?«

»Wie viele?« Bradamont schob alle aus dem Weg, bis sie die Steuerkontrollen des Frachters erreicht hatte. »Das dauert nur eine Minute.« Ihre Finger huschten über Kontrollen und Display.

»Sie erstellt einen Flugplan«, sagte Ito, wodurch Rogero erst darauf aufmerksam wurde, dass sie und Garadun offenbar Bradamont auf die Brücke gefolgt waren, auf der es nun noch beengter zuging. »Sie wollte auf die Brücke, aber unsere Arbeiter in den Korridoren versperrten ihr den Weg. Also sind wir dazugekommen und haben die Leute aufgefordert, die Gänge für Ihren Captain freizumachen. Was wissen Sie über sie? Kennt sie sich mit den mobilen Streitkräften aus?«

»Sie hat einen Schlachtkreuzer befehligt.«

»Einen Schlachtkreuzer der Allianz«, murmelte Ito. »Welchen?«

»Die Dragon

Bradamont drehte sich zu Rogero um. »Sie können das hinkriegen. Diese Frachter beschleunigen so schnell wie ein Gletscher an einem sonnigen Tag, und da können die Allianz-Passagiershuttles noch über eine halbe Stunde lang mithalten. Sie begleiten uns einfach weiter und laden die Gefangenen ab, bevor wir für die Shuttles zu schnell werden. Viel Spielraum für irgendwelche Fehler ist zwar nicht drin, aber wir kriegen das hin.«

Dennoch zögerte Rogero, da er an die Gefangenen auf den letzten Shuttles denken musste, die auf einmal mitansehen würden, wie die Freiheit vor ihnen davonzufliegen begann, die eben noch zum Greifen nah gewesen war.

Ito schob sich zu Bradamont durch und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen das Display. »Sie hat recht. Ich bin zwar etwas eingerostet, aber wenn die Leistung der Shuttles von ihr korrekt eingegeben wurde, dann funktioniert das.«

»Wir müssen jetzt sofort damit beginnen«, beharrte Bradamont. »Das heißt natürlich nicht, dass wir sie auch abhängen werden. Ich weiß nicht genau, wo die Shuttles mit den Kommandos derzeit sind. Möglicherweise ist alles längst zu spät. Aber wenn wir nicht augenblicklich starten, haben wir definitiv keine Chance mehr, diesen Kommandosoldaten in ihren Shuttles zu entkommen. Und wenn sie uns einholen, dann können Ihre Soldaten auf all diesen Frachtern nichts gegen sie ausrichten.«

Und schon wieder auf der Flucht. »Diese Kommandos werden feststellen, dass meine Soldaten nicht so leicht zu überwinden sind«, erklärte Rogero und man hörte die Härte aus seinen Worten deutlich heraus. »Sie werden einen Sieg teuer bezahlen müssen.«

»Daran zweifle ich nicht, aber Sie würden trotzdem verlieren! Sie sind zahlenmäßig einfach nicht stark genug. Und wie viele von den Menschen, die Sie eben erst an Bord geholt haben, würden im Kreuzfeuer sterben? Ich weiß, wie schwer es einem fällt, dem Feind den Rücken zuzuwenden und wegzugehen. Ich weiß es. Und genau deshalb haben Sie das Kommando, weil General Drakon wusste, Sie würden in einer Situation wie dieser die richtige Entscheidung treffen.«

Lag es daran, dass es Bradamont war, die ihm diese Dinge sagte? Oder hätte er auch bei jedem anderen erkannt, wie viel Wahrheit in diesen Worte lag? So oder so — Rogero nickte abrupt. »Also gut. Machen wir’s so.«

Ito betätigte verschiedene Tasten. »Ich habe den Flugplan an die anderen Frachter geschickt. Sie da, Sie befehligen doch dieses Schiff, richtig? Setzen Sie den Plan um. Bringen Sie uns weg von hier!«

Executive Barchi begann seine Kontrollen zu bedienen.

Gleich darauf spürte Rogero, wie sich der Frachter mit einem allzu sanften Ruck in Bewegung setzte. »Lieutenant«, befahl er. »Sagen Sie den Allianz-Shuttles, dass wir sofort aufbrechen müssen. Wenn jemand nach dem Grund fragt, erwidern Sie, ihr Admiral habe das befohlen. Und sagen Sie den Shuttles, sie sollen uns weiter folgen, bis sie den letzten Passagier abgeliefert haben. Weisen Sie die anderen Frachter an, die sollen die Ladefrequenz verdoppeln und unsere Leute so schnell wie möglich an Bord holen, und wenn sie die letzte Runde in der Luftschleuse stapeln müssen.«

Garadun stand neben ihm und betrachtete das Display. »Gut, dass alle Frachter schon zum Sprungpunkt hin ausgerichtet waren. Eine halbe Drehung hätte fast noch einmal eine halbe Stunde gedauert. War das auch ihre Idee?«

»Ja«, bestätigte Rogero, dem erst jetzt bewusst wurde, als wie wichtig sich diese so beiläufig wirkende Empfehlung letztlich erwies.

»Sie kennt sich mit Schiffen aus, das muss ich ihr lassen«, räumte Garadun ein. »Schon witzig. Da erzählen Sie uns, dass der Krieg vorbei ist, und jetzt werden wir von Kommandosoldaten der Allianz gejagt.«

»Vermutlich haben die nicht auf dem Verteiler gestanden, als die Nachricht verbreitet wurde.« Das war in den Syndikatwelten ein alter, häufig gebrauchter Witz. Wie konnte er in einer solchen Situation nur an einen Witz denken?

»Was macht er da?«, wollte Ito von Bradamont wissen und zeigte auf das Display. »Dieser Allianz-Zerstörer!«

»Er war eben schon hierher unterwegs«, antwortete Rogero. »Er soll uns zum Sprungpunkt nach Atalia eskortieren.«

»Er beschleunigt!«, konterte Ito energisch.

Die Anspannung steigerte sich weiter, und argwöhnische Blicke wanderten zu Bradamont, während die sich mit dem Flugmanöver des Allianz-Kriegsschiffs befasste. Plötzlich begann sie zu lachen, was alle Umstehenden mit Schrecken reagieren ließ. »Die Bandolier will den Anflug der Shuttles stören. Sehen Sie hier. Der Zerstörer beschleunigt nicht nur, sondern hat auch den Kurs leicht geändert. Der Vektor bringt ihn näher an uns heran, kreuzt aber die Route, der jeder folgen muss, der von Ambaru kommend hinter uns herfliegt. Und der Leichte Kreuzer da macht genau das Gleiche, nur dass er sich noch weiter draußen befindet. Die Shuttles müssen den beiden ausweichen, und diese zusätzlichen Manöver kosten natürlich Zeit.«

»Woher wollen die wissen, wo sich die getarnten Shuttles befinden?«, fragte Garadun skeptisch.

Bradamont schüttelte den Kopf. »Ich werde Ihnen keine Details nennen, wie die Allianz ihre eigenen getarnten Objekte aufspüren kann. Ich würde auch nicht erwarten, dass Sie mir erzählen, wie die Syndikatwelten das handhaben. Aber Sie sind imstande Ihre getarnten Objekte wiederzufinden, und wir können das mit unseren genauso.«

»Diese Kriegsschiffe wollen uns mehr Zeit verschaffen?«, wollte Rogero wissen.

»Ja, ein wenig. Nicht viel, aber hoffentlich genug.«

Er betrachtete die angezeigten Daten, während die Shuttles ihre Fracht längst hektisch abluden. Die Vektoranzeigen der behäbigen Frachter ließen erkennen, dass sie ganz allmählich beschleunigten und sich von der Ambaru-Station fort und in Richtung Sprungpunkt nach Atalia bewegten. Aber Rogero gingen dabei noch andere Dinge durch den Kopf. »Woher wussten Sie, dass die Kommandosoldaten gestartet waren?«, fragte er Bradamont.

»Admiral Timbale hat uns eine Warnung zukommen lassen.«

»Ich verstehe das nicht. Soll das heißen, die Allianz-Streitmächte arbeiten hier gegeneinander? Dass einige von ihnen nicht die Befehle befolgen, die man ihnen gibt.«

Bradamont nickte nachdrücklich. »Das habe ich Ihnen doch gesagt. Sie nehmen keine Befehle von Admiral Timbale entgegen. Das Allianz-Militär ist stark gespalten. Personal wird entlassen, Etats werden gekürzt, und jeder einzelne Bereich versucht, sich so wenig wie möglich wegnehmen zu lassen. Die Flotte und die Marines haben den Vorteil, enge Verbündete zu sein, während die Bodenstreitkräfte und deren Luftwaffe sich gegenseitig genauso misstrauen wie der Flotte und den Marines. Hier in diesem Sternensystem arbeiten der Befehlshaber der Bodenstreitkräfte und der Befehlshaber der Luftwaffe nicht länger mit dem Flottenkommandanten Admiral Timbale zusammen, auch wenn der eigentlich das Oberkommando haben sollte. Ich weiß nicht, was nach deren Meinung hier geschieht, aber auf jeden Fall hat jemand sie davon überzeugen können, dass sie versuchen sollen uns aufzuhalten.« Betrübt sah sie Rogero in die Augen. »Sie wissen, was der Krieg aus den Syndikatwelten gemacht hat. Glauben Sie, die Allianz ist ungeschoren davongekommen? Wir haben gewonnen, aber das hat niemanden von den Toten zurückgeholt, die Verwüstungen haben sich nicht von selbst beseitigt, und es hat sich auch niemand gefunden, der für die Kosten aufkommt. Die Last des Krieges hat die Syndikatwelten zerrissen, und ich habe keine Ahnung, was diese Last noch für die Allianz mit sich bringen wird. Ich weiß nur, dass das Militär schon jetzt gespalten ist.«

Rogero musste an die Revolte bei Midway denken. Syndikatseinheit hatte dort gegen Syndikatseinheit gekämpft. »Reden Sie von Gefechten? Kämpfe zwischen den Allianz-Streitkräften?«

»Nein!« Allein ein solcher Gedanke schien sie zu schockieren. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Abteilung das Feuer auf die andere eröffnet. Nicht wegen einer solchen Sache, auch nicht wegen irgendeiner anderen Meinungsverschiedenheit. Aber das bedeutet auch, dass niemand einen Schuss abgeben wird, um diese Frachter zu beschützen. Die Flotteneinheiten versuchen die Kommandosoldaten aufzuhalten, ohne deswegen mit ihnen aneinanderzugeraten. Und das machen sie auf eine Weise, die es ihnen erlaubt, anschließend zu behaupten, dass es keine Absicht war. Auf mehr können wir nicht hoffen.«

»Und die festen Verteidigungsanlagen?«, warf Garadun schroff ein. »Die Allianz muss in diesem Sternensystem etliche installiert haben. Auf wessen Befehl reagieren sie?«

»Bodenstreitkräfte oder Luftwaffe«, sagte Bradamont. »Aber selbst diese Frachter sind in der Lage, einem Beschuss auszuweichen, der eine Strecke von mehreren Lichtminuten zurücklegen muss. Wir würden Probleme bekommen, wenn wir Kurs auf einen so verteidigten Standort nehmen müssten, aber um die machen wir einen Bogen.«

»Und bei einem Sperrfeuer?«

Bradamont zuckte gereizt mit den Schultern. »Das könnte schwierig werden. Dann müssten wir Ausweichmanöver versuchen.«

»Wir?«, wiederholte Ito.

»Ich befinde mich auch an Bord dieses Schiffs.«

Garadun bedachte Bradamont mit einem taxierenden Blick. »An Bord eines jeden Frachters befindet sich talentiertes Personal, Leute, die sich mit den mobilen Streitkräften auskennen. Wenn es sein muss, werden wir der Allianz selbst mit diesen lahmen Frachtern zeigen, wie man das richtig macht.«

»Wann werden wir wissen, dass wir die Kommandosoldaten abgehängt haben?«, warf Rogero ein.

»Wenn sie es nicht bis zu den Frachtern schaffen«, gab Bradamont zurück. »Falls wir unsere Beschleunigung früh genug begonnen haben und es uns gelingt, ihre Annäherung lange genug hinauszuzögern, werden sie umkehren müssen, da ihnen ansonsten der Treibstoff ausgeht. Eine langwierige Verfolgungsjagd können sie sich nicht leisten. Ich würde vermuten, wenn sie uns nicht innerhalb der nächsten Stunde eingeholt haben, werden wir aufatmen dürfen.«

Rogero wandte sich zu Foster um. »Lieutenant, alle Soldaten sollen in Gefechtsbereitschaft gehen. Komplette Panzerung und Waffen hochgefahren. Die Bedrohung geht von Kommandosoldaten der Allianz aus, die von getarnten Shuttles an Bord gelangen könnten. Sobald das letzte Passagiershuttle abgelegt hat, werden alle Luken an den Frachtern geschlossen.«

»Die Kommandosoldaten werden wahrscheinlich auch Tarnrüstung tragen«, warf Bradamont ein. »Und sie können an Bord gelangen, ohne die Luken benutzen zu müssen.«

Rogero sah sie an und erschrak über den besorgten Tonfall ebenso wie über die Tatsache, dass Bradamont dastand, als sei ihr speiübel.

Ihre Blicke trafen sich. »Die Kommandosoldaten gehören zur Allianz«, erinnerte sie ihn leise.

Aber natürlich! Es waren ihre eigenen Leute! Bradamont gab ihm Tipps, wie er sich gegen die Soldaten zur Wehr setzen konnte, mit denen sie seinerzeit Seite an Seite gekämpft hatte. Wenn die Kommandosoldaten an Bord kamen, würden Rogeros Leute ein paar von ihnen töten, ehe sie alle den Eindringlingen zum Opfer fielen.

Und er selbst würde vermutlich auch unter den Opfern sein.

»Sie sollten sich in Ihr Quartier begeben«, sagte er zu Bradamont. »Da sind Sie sicherer aufgehoben.«

»Ich werde mich nicht da unten verstecken«, widersprach sie ihm. »Ich werde hier stehen, wenn sie auf diese Brücke vordringen.«

Er musste es akzeptieren, da er wusste, sie würde sich ohnehin nicht umstimmen lassen.

Ito sah ihn forschend an, dann wanderte ihr Blick weiter zu Bradamont.

»Die letzten fünf Allianz-Shuttles docken jetzt an«, meldete Lieutenant Foster. »Die Piloten beklagen sich über unsere Beschleunigung.«

»Sagen Sie ihnen, sie sollen einfach nur unsere Leute abliefern«, sagte Rogero. »Und sobald alle an Bord sind, können sie sofort heimkehren.«

»Die Shuttles laden sehr zügig ab«, ließ Foster ihn wissen.

»Todesangst als Motivation. Die gute alte Syndikatsmethode.«

Bis auf Bradamont lachte jeder auf der Brücke, als Rogero diesen uralten Witz über die Syndikatwelten zum Besten gab, auch wenn es sich dabei eher um ein nervöses Lachen handelte. Alle Blicke waren auf das Display gerichtet, als könnten die getarnten Shuttles dort wie durch ein Wunder mit einem Mal sichtbar werden.

»Eine Stunde?«, fragte Garadun an Bradamont gerichtet, während er missmutig den Wert beobachtete, der die Beschleunigung des Frachters angab.

»Das ist nur eine Schätzung. Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen.«

»Ich hasse es, von unsichtbaren Feinden verfolgt zu werden.« Düstere Erinnerungen legten einen Schatten über seine Augen. »So wie die Enigmas. Wie hat Black Jack sie schlagen können?«

»Wir kamen dahinter, dass sie Ihre Sensoren manipuliert hatten«, sagte Bradamont. »Unsere übrigens auch. Würmer in den Systemen bestimmten, was wir zu sehen bekamen, wenn die Enigmas unsichtbar sein wollten.«

»Welche Art von Würmern sollte denn von unseren Sicherheitsscans nicht entdeckt werden?«, wollte Ito wissen.

»Quantencodierte Würmer«, antwortete Bradamont. »Fragen Sie mich nicht, wie die das gemacht haben. Ich glaube, dahinter ist bislang noch kein Mensch gekommen, aber zumindest fanden wir einen Weg, wie man die Systeme von diesen Würmern säubern kann.«

»Ich nehme an, das war auch Black Jacks Verdienst«, gab Garadun mit einem bitteren Unterton zurück.

»Nein, das war Captain Cresida. Befehlshaberin eines Schlachtkreuzers.« Einen Moment lang kniff Bradamont die Augen zu. »Sie fiel im Kampf gegen Ihre Flotte, als ihr Schiff zerstört wurde.«

Niemand sagte etwas, weil es einfach nichts gab, was man in diesem Augenblick hätte sagen können. Stattdessen beobachteten alle weiter das Display, auf dem sich die Vektoren der Frachter quälend langsam in die Länge zogen, da die schwerfälligen Schiffe nicht mehr als Schneckentempo zu leisten in der Lage waren.

Nach einigen Minuten setzte Ito dem Schweigen ein Ende. »Warum verfolgen uns diese Kommandosoldaten überhaupt? Die Allianz-Wachen haben doch keinen Hehl daraus gemacht, dass sie uns so schnell wie möglich loswerden wollten.«

»Ein paar von ihnen wollen Sie aufhalten, weil sie mit den Voraussetzungen nicht einverstanden sind, unter denen Sie das System verlassen«, gab Rogero zu bedenken. »Es ist außerdem anzunehmen, dass die da es ganz speziell auf mich abgesehen haben.«

»Wieso?«

»Weil ich zur Ambaru-Station geflogen bin«, antwortete Rogero mit der Gelassenheit eines Mannes, der wegen der Anforderungen des Syndikatssystems früh gelernt hatte, überzeugend zu lügen, »und weil man dadurch weiß, dass ich hier das Kommando habe. Dank Admiral Timbale bin ich ihnen auf der Station noch mal entwischt, aber es ändert nichts daran, dass sie mich nach wie vor in ihre Gewalt bringen wollen. Es könnte auch sein, dass sie Unterlagen über mich besitzen, die meine wenigen Monate betreffen, in denen ich zum Personal eines Arbeitslagers gehört habe. In ihren Augen könnte mich das zu einem Kriminellen machen.«

Garadun verzog frustriert den Mund. »Keine Waffen, um uns zu verteidigen, auf einem Frachter mit miserabler Beschleunigung und Manövrierbarkeit. Und die Besten der Allianz sitzen uns im Nacken. Ich muss sagen, ich habe schon unter besseren Bedingungen gekämpft.«

»Sir?«, fragte Lieutenant Foster. »Sollten wir nicht für uns alle Schutzkleidung herholen?«

Rogero schüttelte den Kopf. »Erst wenn die letzten Shuttles entladen sind. Dann gehen Sie und schließen sich Ihrer Einheit an. Ich bleibe hier.«

»Aber …«

»Die wollen mich, Lieutenant. Es müssen nicht alle sterben, wenn es doch nur darum geht, dass ich mi …«

»Colonel Rogero«, unterbrach Bradamont ihn. »Die wollen Sie haben, aber sie werden das gesamte Schiff festhalten — das Schiff und jeden, der sich an Bord befindet. Die werden sich nicht damit begnügen, Sie vom Schiff zu holen und den Rest von uns weiterfliegen zu lassen.«

»Ich kann mit einer Rettungskap …«

»Wenn Sie das machen, werden die glauben, Sie wollten aus einem ganz bestimmten Grund von diesem Frachter ablenken. Man wird Sie erst mal im All treiben lassen, um Sie irgendwann später aufzulesen. In der Zwischenzeit werden sie diesen und alle anderen Frachter weiter verfolgen.« Bradamont atmete einmal tief durch. »Ich versuche nicht nur Ihren Hintern zu retten, Colonel. Wenn die Kommandosoldaten uns einholen, werden sie uns alle auf unbestimmte Zeit festhalten wollen. Die gesamte Mission wird zum Fehlschlag werden, und das ist noch die optimistischste Variante. Meiner Einschätzung nach ist es allerdings wahrscheinlicher, dass sie um sich schießend hier reinstürmen werden, weil irgendwer in der Befehlskette auf den Gedanken gekommen ist, dass die Geschichte vom unabhängigen Sternensystem nur ein Täuschungsmanöver ist und dass wir alle hier an Bord dieser Frachter in Wahrheit Syndiks in geheimer Mission sind. Damit könnte man uns bequem eine Verletzung der Friedensvereinbarungen unterschieben und bräuchte sich um die Rechtfertigung des Vorgehens keine weiteren Gedanken zu machen. Hören Sie auf, immer weiter nach Wegen zu suchen, wie Sie sich opfern können. Nichts davon wird jemandem an Bord dieses oder der anderen Frachter in irgendeiner Weisen von Nutzen sein.«

»Und was ist mit Ihnen?«, fragte er Bradamont. »Was geschieht mit Ihnen, wenn diese Frachter geentert werden sollten?«

Sie beschrieb eine wütende und zugleich hilflose Geste. »Ich habe Befehle von Admiral Geary, die meine Anwesenheit auf diesem Schiff und in diesem System rechtfertigen. Allerdings hege ich ernsthafte Zweifel, dass mir das viel helfen wird, wenn ich unter diesen Umständen den Bodenstreitkräften oder der Luftwaffe in die Hände falle.« Sie sah Rogero an, ihr Blick verriet, was beide nicht in der Gegenwart anderer offen aussprechen konnten; ihre Verbindungen zu den Schlangen des Syndikats und zum Allianz-Geheimdienst.

Er wusste nicht, was er Unverfängliches sagen konnte, aber dann warf Ito helfend ein: »Ich weiß, was die Schlangen mit mir machen würden, wenn sie mich dabei erwischten, wie ich den Offizieren eines Allianz-Schiffs mit Rat und Tat zur Seite stehe«, sagte sie.

»Das letzte Allianz-Shuttle hat die Passagiere abgeliefert«, rief Lieutenant Foster erleichtert dazwischen und sah gleich darauf betreten drein, da er sich so unprofessionell verhalten hatte. »Das Shuttle legt jetzt ab. Von den anderen Frachtern wird gemeldet, dass alles Personal an Bord gebracht wurde, alle Luken geschlossen sind und die Soldaten zum Einsatz bereitstehen.«

Die Allianz-Shuttles fielen schnell zurück, während sie wendeten, um Kurs auf die Ambaru-Station zu nehmen. In dem Moment, als die Shuttles beschleunigten, entstand die optische Täuschung, dass die Frachter einen gewaltigen Satz nach vorn machten. Doch es genügte ein Blick auf das Display, um zu erkennen, dass das nicht mehr als ein Wunschtraum war. Zwar beschleunigten die Frachter weiter, doch das geschah unverändert träge.

»Lieutenant Foster«, befahl Rogero, »holen Sie Ihre Gefechtsrüstung und schließen Sie sich Ihrer Einheit an.«

Foster eilte von der Brücke, was jedoch dauerte, da ihm in dem beengten Raum immer wieder jemand im Weg stand. Bradamont sah dem Lieutenant hinterher, dann widmete sie sich wieder dem Flugplansystem. »Colonel Rogero, wir könnten noch etwas versuchen. Wenn die Frachter ihre Steuerdüsen abfeuern, um sie auf einen anderen Vektor zu bringen, dann werden die Shuttles mit den Kommandosoldaten an Bord ihre Vektoren ebenfalls ändern müssen, um den Abfangpunkt zu erreichen, der sich durch unser Manöver verschiebt. Wenn wir dann die Steuerdüsen in die entgegengesetzte Richtung zünden, sind auch die Verfolger gezwungen, wieder eine Kursänderung vorzunehmen.«

»Dann vergrößert sich unser Abstand?«, fragte Rogero. »Aber werden wir nicht langsamer, wenn wir unsere Flugrichtung ändern?«

»Nein, nicht bei einer so minimalen Änderung. Sie befinden sich im All. Wir weichen nur gerade so von unserem momentanen Kurs ab, dass die Shuttles reagieren müssen. Das bedeutet, der Abstand zu uns wird sich vergrößern, womit sie mehr Zeit benötigen, um uns einzuholen, obwohl sie nicht langsamer werden.«

»Und wenn sie nahe genug sind«, ergänzte Garadun, »wird das den Plan für die letzte Anflugphase völlig durcheinanderbringen. Fünf Grad Kursänderung?«

»Sieben«, erhöhte Ito.

Bradamont nickte. »Sieben Grad schaffen wir sogar mit diesen Frachtern, weil wir uns keine Sorgen darüber machen müssen, wie weit die Kurve wird, die wir fliegen. Nach oben und links. Damit sollten wir die Shuttles zu einer maximalen Kursänderung veranlassen.«

»Und was ist mit dem Allianz-Zerstörer?«, meldete sich Executive Barchi zu Wort. »Was wird er machen, wenn wir von unserem Vektor abweichen?«

»Die Kursänderung ist nicht so gravierend, dass sie für irgendetwas in diesem Sternensystem als bedrohlich erscheinen könnte«, fuhr Bradamont ihn an. »Und sie dauert auch nicht so lange. Außerdem hat der Zerstörer von Admiral Timbale den Befehl erhalten, uns zu beschützen. Uns wird also nichts passieren.«

»Tun Sie’s«, befahl Rogero.

Der Befehl wurde an die anderen Frachter weitergeleitet, und Sekunden später war ein leichter Druck zu spüren, der darauf hindeutete, dass die Steuerdüsen gezündet worden waren.

Funktionierte es? Die Vektoren der Frachter veränderten sich nur quälend langsam, aber es war völlig unmöglich festzustellen, ob die Shuttles die erhoffte Reaktion zeigten. »Zwanzig Minuten?«, fragte Ito, doch gemeint war diesmal nicht Rogero, sondern Bradamont.

»Könnte hinkommen«, erwiderte die Allianz-Offizierin. »Sind Sie auch einen Schlachtkreuzer geflogen?«

»Ganz genau.« Ito warf Rogero einen überlegenen Blick zu. »Wir sind die Besten.«

Rogero nickte nur und begriff erst mit Verspätung, dass Ito nicht nur sich, sondern auch Bradamont meinte. Geteilte Gefahren vermochten viel dazu beizutragen, Hürden im Kopf zu überwinden.

Der Frachter ruckelte ein wenig, woraufhin Rogero seine Hand so anspannte, als würde sie immer noch die Waffe halten, die längst wieder im Halfter an seiner Hüfte steckte. Das war es. Wir haben es nicht geschafft. Dieses Rucken muss von einem der getarnten Shuttles verursacht worden sein, das gegen den Frachter gestoßen ist. Wie lange noch, bis die Kommandosoldaten auf die Brücke vordringen?

Die anderen mussten sich die gleiche Frage gestellt haben, nur nicht der Frachter-Executive, der auf irgendetwas zu horchen schien. »Die interne Kommunikation arbeitet wieder«, sagte Barchi so fröhlich, dass die anderen darauf nur erschreckt reagieren konnten.

»Wunderbar«, murmelte Garadun.

»Colonel«, fuhr der Executive fort, »könnten Sie ihren Leuten sagen, sie sollen sich nicht alle gleichzeitig bewegen? Dieses Schiff ist nicht so ausgelegt, dass es mit plötzlichen Lastwechseln gut zurechtkommt.«

Rogero blinzelte den Mann ratlos an, der von den Ereignissen um sie herum gar nichts wahrzunehmen schien. »Wie meinen Sie das?«

»Dieses Rucken. Haben Sie das nicht bemerkt? Meine Arbeiter informieren mich gerade, dass ein ganzer Haufen von ihren Leuten zu den anderen rübergestürmt ist, die wir als Letzte an Bord geholt haben. Das ist verdammt viel Masse, die plötzlich ihre Position im Schiff verändert.«

»Das Rucken …« Rogero begann zu grinsen und sah, wie die anderen erleichtert lächelten. »Das war das Rucken?«

»Ja«, antwortete Executive Barchi verwundert. »Ist daran irgendwas lustig?«

»Nein, lustig nicht. Aber es sind sehr gute Neuigkeiten.«

Bradamont, die eben noch vor Anspannung wie erstarrt dagestanden hatte, lehnte sich jetzt beruhigt gegen die Steuerkontrollen. »Noch fünf Minuten, dann kehren wir auf den alten Kurs zurück.«

»Muss das sein?« Der Executive kratzte sich am Kopf. »Normalerweise zünden wir die Steuerdüsen nur, wenn es einen guten Grund dafür gibt. Sonst ist das rausgeschmissenes Geld.«

»Wir haben einen guten Grund«, versicherte ihm Rogero.

»Da kommt der Kreuzer«, warf Ito ein.

Der Leichte Kreuzer Coupe der Allianz glitt hinter den Frachtern vorbei und erinnerte dabei an einen eleganten Hai, der einen Schwarm träger Wale umkreiste. Rogero beobachtete das Schauspiel auf dem Display und fragte sich, ob der Kreuzer tatsächlich so nahe war, wie es ihm vorkam.

Offenbar war das tatsächlich der Fall. Ito schüttelte den Kopf. »Wenn sich der Kreuzer genau zwischen uns und den Shuttles befindet, dann sind sie schon viel zu nah an uns dran.«

»Ja«, stimmte Bradamont ihr zu. »Gehen wir zurück auf den alten Kurs.«

Der Befehl wurde an die anderen Frachter weitergegeben. Deren Bewegung nach links oben verlangsamte sich, kam zum Stillstand, und die Schiffe wechselten auf einen neuen Kurs, der sie nach rechts unten führte.

Fünf Minuten. Zehn. Zwanzig. »Wie lange noch, bis wir sie abgeschüttelt haben?«, erkundigte sich Rogero.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Bradamont.

»Der Zerstörer kehrt zurück«, warnte Ito die anderen.

Alle Blicke wanderten zu der Stelle auf dem Display, an der sich die Bandolier dicht hinter die Frachter setzte, dann aber nicht an ihnen vorbei weiterflog, sondern die Hauptantriebseinheiten auf vollen Schub hochfuhr, um das Schiff abzubremsen, bis es mit gleicher Geschwindigkeit wie die Frachter weiterflog und sich dabei genau hinter ihnen hielt.

»Was soll denn …«, begann Bradamont.

Die Steuerdüsen der Bandolier wurden gezündet. Da das Kriegsschiff um ein Vielfaches beweglicher war als die plumpen Frachter, begann sich der Rumpf sofort zu drehen, ohne die Position hinter den Frachtern zu verlassen. Dabei bewegte sich der Zerstörer mit einer solchen Präzision, als wäre er ein Zeiger auf einem riesigen Ziffernblatt.

»Die machen nicht unbedingt einen Hehl daraus, dass sie den Shuttles den Weg versperren wollen, nicht wahr?«, kommentierte Garadun das Geschehen. Er sah Rogero an, als könne er sich nicht entscheiden, ob dieses Manöver bei ihm Bewunderung oder Belustigung auslösen sollte. »Für die Entfernungen, mit denen man normalerweise im All rechnet, sind sie ziemlich dicht hinter uns.«

»Was bedeutet, dass die Kommandosoldaten mit ihren Shuttles auch nicht weit sein können«, folgerte Bradamont, die nur Anspannung ausstrahlte. »Das nächste Manöver der Bandolier wird uns zeigen, ob diese Aktion die Shuttles zu einer unendlichen Verfolgungsjagd gezwungen hat.«

Der Allianz-Zerstörer kam wieder zum Stillstand, nachdem er eine Drehung von dreihundertsechzig Grad beschrieben hatte.

Rogero fiel auf, dass er schon die ganze Zeit über gebannt den Atem anhielt, während er darauf wartete, was der Zerstörer als Nächstes machen würde. Der beschrieb eine Rollbewegung zur Seite und drehte sich gleichzeitig um seine Querachse, bis der Bug in die gleiche Richtung wies, in die auch die Frachter flogen.

Erleichtert und erschöpft nickte Bradamont. »Das war es. Jetzt begleiten sie uns nur noch. Ich gehe davon aus, dass die Coupe jeden Moment zurückkehrt und sich zur Bandolier gesellt.«

Auch Rogero spürte, wie die Anspannung sich in Erschöpfung verwandelte. »Das heißt, die bleiben jetzt hinter uns, bis wir den Sprungpunkt erreicht haben?«

»Wenn die Shuttles die Verfolgung aufgegeben haben, werden sich die zwei Schiffe vermutlich zu beiden Seiten neben uns setzen, damit die festen Verteidigungsanlagen nicht auf die Idee kommen, uns mit Steinen zu bombardieren, die ihre eigenen Schiffe treffen könnten. So würde ich es jedenfalls machen.«

»Danke, Captain Bradamont«, sagte Rogero. »Ich werde den Soldaten auf den anderen Einheiten Bescheid geben, dass der Status der Gefechtsbereitschaft bis auf Weiteres aufgehoben ist. Und ich werde Lieutenant Foster ausfindig machen, damit er weiß, dass wir uns alle wieder entspannen können. Es wäre sicher gut, wenn Sie ins Komm-Abteil zurückkehrten, um nachzusehen, ob Admiral Timbale Ihnen weitere Nachrichten geschickt hat.«

Sie nickte und lächelte flüchtig, ehe sie in Habachthaltung ging und salutierte.

Rogero erwiderte den Salut geübt zackig. Er wusste, dass sie dieser Bedrohung ohne Bradamont niemals entronnen wären.

»Da die Allianz-Streitkräfte unsere Eskorte bilden«, sagte Garadun und gab Ito ein Zeichen, »werden wir im Gegenzug diese Allianz-Offizierin eskortieren. In den Korridoren dieser Einheit ist sie nicht sicher, wenn sie allein unterwegs ist. Sie sollten ein paar Soldaten der Bodenstreitkräfte zu ihrer Bewachung abstellen, immerhin wimmelt es auf diesem Frachter von Veteranen der Reserveflotte.«

»Danke, das werde ich machen.«

Bradamont hielt den Blick auf das Display gerichtet. Bildete er sich das nur ein, oder war da gerade ein sehnsüchtiger Ausdruck in ihren Augen zu sehen gewesen? Sie hatte den Dienst auf einem Allianz-Schiff wie diesem aufgegeben, um als Verbindungsoffizier zu dienen, und jetzt musste sie tatenlos zusehen, wie andere diese Schiffe befehligten.

Als sich ihre Blicke für einen kurzen Moment trafen, fand er seine Vermutung bestätigt.

»Vielen Dank«, sagte Rogero und meinte damit diesmal nur sie. Er war sich sicher, sie wusste, dass er sich damit nicht nur auf ihre Hilfe bei diesem jüngsten Zwischenfall bezog. »Ich begleite Sie ebenfalls. Es liegt auf meinem Weg.«

Er, Bradamont, Garadun und Ito verließen die Brücke und gelangten in die Korridore, in denen sich jetzt die Überlebenden der Reserveflotte drängten. Bradamonts Allianz-Uniform zog sofort alle Blicke auf sich, die nach erstem Erstaunen schnell in Wut und Hass umschlugen. Zornige Rufe wurden laut, man versuchte nach ihr zu greifen und sie zu stoßen, doch Garadun und Ito herrschten die Umstehenden in der gleichen Lautstärke an. Ein Jahr in Kriegsgefangenschaft hatte niemanden die gnadenlose Disziplin vergessen lassen, die den Streitkräften der Syndikatwelten ein Leben lang eingehämmert worden war. Auf die Befehle eines Sub-CEO und einer Executive hin wichen die Männer und Frauen immer noch automatisch zurück und ihre Gesichter wurden ausdruckslos, während sie Habachtstellung einnahmen.

Zumindest Ito war wieder ganz die Executive. Ihre Stimme hallte durch den Korridor und war tragend genug, um auch noch weiter entfernt deutlich wahrgenommen zu werden. »Sie hören jetzt zu! Jeder Arbeiter, jeder Supervisor, jeder Junior- Executive wird dieser Allianz-Offizierin mit Respekt begegnen, die als unmittelbare Assistentin von Colonel Rogero agiert. Jede unangemessene Bemerkung und jede Form von Handgreiflichkeit werden wie ein vorsätzlicher Angriff auf einen Supervisor geahndet. Haben Sie das verstanden?«

Alle im Korridor ließen die erforderliche zwei Sekunden währende Pause verstreichen, dann antworteten sie in einem laut dröhnenden Chor: »Jawohl, Madam Executive!«

Den Rest des Weges bis zum winzigen Komm-Abteil wurden sie von Schweigen begleitet, und alle befreiten Gefangenen gingen entlang der Schotte schneller in Habachthaltung, als die kleine Gruppe sich durch den Frachter bewegen konnte. Als Bradamont im Begriff war sich am Ziel angekommen von Rogero zu verabschieden, bedeutete sie ihm, etwas näher zu ihr zu treten. »Hat sie sich tatsächlich so darüber geärgert, wie ich behandelt worden bin?«

Mit leiser Stimme antwortete Rogero: »Ich glaube, Executive Ito war sehr unzufrieden darüber, wie man Ihnen begegnet ist. Aber das hängt mit Ihren Leistungen zusammen. Sie sieht in Ihnen eine Ebenbürtige, auch wenn Sie bis vor Kurzem noch der Feind waren. Was sie dabei so aufgebracht hat, war das Benehmen von Managern und Supervisoren gegenüber jemandem im Executive-Rang. Dazu kam dann noch die mangelnde Disziplin, sich ein solches Auftreten in ihrer Gegenwart und der von Sub-CEO Garadun zu erlauben.«

»Ich verstehe.« Bradamont lächelte ironisch. »Ich sollte wohl dankbar sein, egal aus welchem Grund.«

»Ich lasse zwei Soldaten herkommen, noch bevor Sie das Komm-Abteil wieder verlassen. Ab jetzt haben Sie eine Eskorte.«

»Sieht ganz so aus, als würden Itos Anweisungen befolgt«, stellte Bradamont fest.

Rogero hielt kurz inne, dann wurde ihm bewusst, wie wenig Bradamont darüber wusste, auf welche Weise die Dinge nach Syndikat-Art abliefen. Es fiel ihm schwer, ihr den Begriff ›unschuldig‹ zuzuschreiben, aber es war ja tatsächlich so, dass sie außer dem Angriff auf General Drakon kurz nach ihrer Ankunft praktisch nichts über diese düstere Seite des Lebens in den Syndikatwelten wusste. »Ihnen war klar, dass man Leibwächter auf dem Planeten benötigt.«

»Ja. Diese Notwendigkeit wurde von dem Attentat auf Ihren General mehr als deutlich unterstrichen. Aber das geschah in einer Umgebung, die sich viel schlechter kontrollieren lässt als hier. Ich sehe hier, welche Disziplin diesen Leuten anerzogen wurde.«

Wie sollte er ihr es am besten erklären? »Sehr strenge Kontrolle kann bewirken, dass sich vieles hinter einer Maske abspielt und dadurch nicht gesehen wird«, begann er. »Es gibt die Oberfläche, und es gibt das, was sich darunter befindet. Ich schlafe immer mit einer Schusswaffe in Griffweite, weil Attentate passieren können. Ein privater Streit, das Streben nach einer Gelegenheit zur Beförderung, die Möglichkeit, einem Rivalen die Schuld an einer Tat unterzuschieben — es gibt sehr viele Gründe. Streitigkeiten werden oft auf eine Art gelöst, die nie ans Licht kommt. Regeln sind da, um so verdreht zu werden, dass sie den gewünschten Zweck erfüllen. Oder man findet einen Weg, die Regeln völlig zu umgehen, und niemals gibt jemand, der einen Führungsposten innehat, auch nur irgendetwas davon zu. Man verdient immer das, womit man davongekommen ist, und wenn man erwischt oder einfach nur beschuldigt wird, dann braucht man nicht auf Gnade zu hoffen, es sei denn, man hat einen Gönner, der genügend Einfluss besitzt, um einen zu beschützen. So ist das in allen Bereichen der Syndikatgesellschaft gewesen, und dagegen haben sich Präsidentin Iceni und General Drakon aufgelehnt.«

Sie musterte ihn ernst. »General Drakon hat mir das Gleiche erzählt. Die Schlangen … der ISD. Das war ein Symptom, aber kein Element, das von außen kam.«

»Leider ist das wahr. Und deshalb begannen auch so viele Menschen, sich gegen das Syndikat zu erheben, als das erst genügend geschwächt war, dass die Gefahr des Widerstands kalkulierbar wurde. Warten Sie lieber, bis die Eskorte eingetroffen ist, bevor Sie das Abteil verlassen.« Er nahm seine Handfeuerwaffe aus dem Halfter und hielt sie ihr hin. »Und halten Sie die immer griffbereit. Keine Sorge, ich habe Ersatz.«

Bradamonts Einschätzung erwies sich als zutreffend. Der Zerstörer und der Leichte Kreuzer der Allianz bekamen schließlich noch Verstärkung durch einen weiteren Zerstörer, woraufhin die drei Kriegsschiffe ständig ihre Positionen rings um die Frachter änderten. Das musste für die fest installierten Verteidigungsanlagen in diesem System äußerst frustrierend sein. Von keinem Punkt im Sternensystem aus wurden Steine auf die Frachter abgefeuert, allerdings blieb unklar, ob das nur nicht geschah, weil die Schiffe der Allianz mit ihren ständigen Manövern eine Zielerfassung unmöglich machten, oder ob die Einrichtungen angehalten worden waren, nicht das Feuer auf sie zu eröffnen.

Admiral Timbale hatte Bradamont eine letzte Nachricht geschickt, in der er sie dazu drängte, das Sternensystem schnellstens zu verlassen. Danach stellte er zu seinem eigenen Schutz jede weitere Kommunikation ein.

Aber auch niemand sonst nahm auf dem Weg zum Sprungpunkt mit ihnen Kontakt auf. Die sechs Frachter hätten sich ebenso gut in einer Blase befinden können, die jegliche Kommunikation mit ihrer Umwelt unmöglich machte — wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass sie die Nachrichtensendungen der Allianz empfangen konnten, die sich durch den Raum zwischen den Planeten bewegten.

Wo ist Black Jack? schien das am häufigsten behandelte Thema zu sein.

»Das sind keine glücklichen Menschen«, stellte Sub-CEO Garadun fest, als er und Rogero in der winzigen Frachterkantine saßen, aus der mittlerweile eine Art Executive-Messe geworden war. Der Raumschiffoffizier hatte gegenüber von Rogero an dem kleinen Tisch Platz genommen und sah den Mann beim Reden an. »Ich dachte, sie würden die ganze Zeit über nur mit ihrem Sieg prahlen, vorausgesetzt sie hatten tatsächlich gewonnen. Der Sieg scheint ihnen aber nicht sehr viel Freude zu bereiten.«

»Ich frage mich, ob es überhaupt Sieger gibt«, erwiderte Rogero. »Die Syndikatwelten haben verloren, aber hat die Allianz tatsächlich gesiegt? Oder haben sie nur nicht so hoch verloren wie wir?«

»Wäre da nicht Black Jack …«

»O ja. Er hat den Ausschlag gegeben, gerade als sie ihn am dringendsten nötig hatten. Ganz so wie es die Legende der Allianz behauptet hat.« Rogero warf Garadun einen fragenden Blick zu. »Laut den Menschen in der Allianz war sein Eingreifen das Werk der lebenden Sterne.«

»Wohl eher ein Zufall.«

»Wenn es denn einer war«, meinte Rogero.

Der andere Mann zog skeptisch eine Braue hoch. »Haben Sie zu viel Zeit unter Arbeitern verbracht, Donal? Haben Sie ihnen zugehört, wenn sie ihre Mythen von den Vorfahren und den Sternen und irgendwelchen mystischen Mächten zum Besten geben, die sich darum sorgen, was aus uns wird? Wie steht man zu so was in Midway? Wird von solchen Ansichten immer noch offiziell abgeraten?«

Rogero schüttelte den Kopf und starrte auf die abgenutzte und ramponierte Tischplatte. »Nein, aber es wird auch niemand dazu aufgefordert, dran zu glauben. Es ist einfach erlaubt. Wenn ein Bürger an etwas glauben will, dann ist das ganz allein seine Sache.« Er hob den Kopf und sah Garadun an. »Das Syndikat hatte uns beigebracht, an nichts zu glauben, und das hat man so erfolgreich gemacht, dass wir am Ende nicht mal mehr an das Syndikat selbst geglaubt haben.«

»Gutes Argument.« Garadun stellte seinen Getränkebeutel auf den Tisch — eine Portion Flüssignahrung und Vitaminergänzung für Bodenstreitkräfte, Zitronengeschmack (enthält keine Zitronen) — dann erfasste sein Blick erneut Rogero. »Ich habe nachgedacht. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, gegen die Schlangen zu rebellieren und sie alle auszulöschen. Verdammt, ich freue mich für Sie. Aber Midway ist nicht mein Zuhause, ich muss zurück nach Darus.«

»Wir wissen nichts über die Situation bei Darus«, erwiderte Rogero. »Aber wir können Sie gebrauchen, denn Midway baut seine Flotte aus. Trotzdem … Sie können frei entscheiden.«

»Werden Sie die Loyalisten bei Atalia absetzen?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht da, vielleicht auch bei Indras. Die Entscheidung liegt bei Kommodor Marphissa. Ich würde eher zu Atalia neigen, weil wir auf den Frachtern etwas mehr Bewegungsfreiheit für die Leute gut gebrauchen können. Aber Atalia ist jetzt auch unabhängig, und da wird es ihnen bestimmt nicht gefallen, wenn wir ihnen tausend Syndikatstreue vor die Tür setzen.«

»Ich würde mich nun wirklich nicht als loyal bezeichnen«, gab Garadun zurück, »aber … Na ja, sehen Sie, Donal. Ich weiß, Sie kommen mit dieser Allianz-Offizierin zurecht, aber mir fällt das sehr schwer. Wenn Midway ein Ort ist, wo die Allianz viel zu sagen hat … dann ist das ein Ort, den ich noch nicht akzeptieren kann. Damit verbindet mich zu viel Vergangenheit und zu viel Schmerz, als dass ich ein Teil davon werden könnte.«

»Ich verstehe das. Aber diese Offizierin ist die Stimme der Allianz in Midway. Es gibt nur sie, und Autorität und Einfluss hat sie ausschließlich in dem Maß, das wir ihr gewähren.«

»Hmm, ich weiß nicht«, wandte Garadun ein. »Sie hat Black Jack mit seiner gesamten Flotte hinter sich. Die Flotte, die Midway benötigt, damit ihr beschützt werdet.«

»Präsidentin Iceni weiß, dass sie einen gewaltigen Trumpf in der Hand hält, denn Black Jack braucht Midway. Und nach allem, was ich von General Drakon gehört habe, spielt sie diesen Trumpf auch immer wieder sehr geschickt aus.« Rogero tippte auf die Tischplatte. »Die Allianz will nicht, dass sich die Enigmas uns weiter nähern, außerdem kann die Allianz nur über Midway zu den beiden anderen fremden Spezies gelangen, auf die Black Jack gestoßen ist.«

Garadun starrte ihn verwundert an. »Zwei weitere Spezies? Anders als die Enigmas?«

»Grundlegend anders.«

»Wie haben Sie davon erfahren?«

»Black Jack hat es uns erzählt.« Rogero lehnte sich nach hinten, soweit das unter den beengten Bedingungen möglich war. »Das ist schon eigenartig. Wissen Sie, was Captain Bradamont mir erzählt hat? Black Jack hat den gesamten Krieg im Kälteschlaf verbracht. Vom Ausbruch des Krieges bis vor Kurzem, als er dann gefunden wurde. Er hatte keine Ahnung von diesem Krieg. Er ist nicht dazu erzogen worden, uns zu hassen, und er wusste auch nicht, wie viele seiner Freunde und Verwandten in diesem Krieg gefallen waren. Daher konnte dieser Mann sich viel leichter ein Zusammenleben mit uns vorstellen. Nicht mit dem Syndikat, sondern mit uns. Er verbindet keine besonderen Gefühle damit, und er kann immer noch an den Frieden glauben.«

Garadun schwieg eine Weile und dachte über Rogeros Worte nach. »Ich kann nicht an einen Frieden glauben. Jedenfalls jetzt noch nicht. Auch nicht, nachdem ich dieser Captain Bradamont zusehen konnte, wie sie uns aus der Klemme geholfen hat. Ich erkenne ihr berufliches Können an. Das kann ich auch akzeptieren und sogar bewundern. Aber das ist etwas anderes, als wenn ich sie selbst akzeptieren würde.«

So viele denken ganz genauso. Ich liebe diese Frau. Aber alle um mich herum misstrauen ihr. Sie sehen in ihr den Feind, während ich die Frau in ihr sehe. Wird sich das wohl jemals ändern? Aber Rogero behielt diese Überlegungen lieber für sich. »Sie sind mit dieser Einstellung nicht allein. Wir können es nicht vergessen, allein aus dem Grund, dass wir die Menschen nicht vergessen können, die in diesem Krieg gefallen sind. Aber wenn wir uns von der Vergangenheit unser Handeln bestimmen lassen, dann werden wir zu einem endlosen Krieg und einem endlosen Sterben verdammt sein. Wie sich das anfühlt, das weiß jeder von uns.«

»Und das nur zu gut«, stimmte Garadun ihm zu. »Was wissen wir über diese zwei neuen Rassen? Haben Sie sie gesehen?«

»Ein paar Bilder, und dann die Aufzeichnungen, die die Allianz zur Verfügung gestellt hat.« Rogero hielt inne und musste daran zurückdenken, als er zum ersten Mal das fremde Raumschiff gesehen hatte, mit dem Black Jacks Flotte nach Midway gekommen war. »Eine Spezies ist feindselig, die andere ist freundlich. Die Freundlichen haben uns geholfen. Sie haben ein Bombardement abgelenkt, das unsere Primärwelt treffen sollte …«

»Sie machen Witze!«

»Nein, das stimmt. Wir haben von ihnen noch viel zu lernen, und natürlich müssen wir dafür sorgen, dass Midway gegen jede Bedrohung geschützt wird, die von der Syndik-Regierung auf Prime ausgeht. Sind Sie sich wirklich ganz sicher, dass Sie uns dabei nicht helfen wollen?«

»Inzwischen bin ich mir da gar nicht mehr so sicher.« Garadun blickte auf einen weit entfernten Punkt. »Als ich jung war, wollte ich ein Späher werden, ein Entdecker. Als Junge träumte ich davon, derjenige zu sein, der irgendwo da draußen auf eine andere intelligente Spezies stößt. Die Existenz der Enigmas war streng geheim. Deshalb konnte ich mir ja ausmalen, ich hätte die Chance, als erster Mensch überhaupt fremdes Leben zu entdecken. Aber es gab keine entsprechenden Stellen. Niemand benötigte Entdecker, weil alle die Kriegsanstrengungen unterstützen mussten. Für die Forschung konnten keine Ressourcen aufgewendet werden, und außerdem war die Grenze aus Gründen abgeriegelt, die so geheim waren, dass niemand auch nur zu sagen wagte, dass sie geheim waren. Also ließ ich mich für die mobilen Streitkräfte anwerben und hegte die Hoffnung, wenn eines Tages der Krieg vorüber sein sollte, dann könnte ich mit diesen Fähigkeiten zum Späher werden und neue Sternensysteme entdecken und erforschen.« Er seufzte; die Erinnerungen stimmten ihn traurig. »Diese Träume habe ich vor langer Zeit aufgegeben. Die starben jedes Mal von Neuem; mit jeder neuen unmenschlichen bürokratischen Entscheidung, mit der ich leben musste, mit jeder Schlacht in einem neuen Sternensystem.«

Garadun spielte mit seinem Getränkebeutel, ehe er Rogero forschend ansah. »Aber vielleicht sind meine Träume ja genauso wenig tot, wie Black Jack es ist. Vielleicht sind sie nur in einen so tiefen Schlaf gefallen, dass mir gar nicht bewusst ist, wie lebendig sie eigentlich immer noch sind. Ich muss nach Darus und meine Familie sehen. Aber anschließend … Wenn ein ehemaliger Sub-CEO es bis nach Midway schaffen sollte, vielleicht gemeinsam mit seiner Familie, gäbe es dort einen Platz für ihn?«

»Da bin ich mir sehr sicher.« Rogero machte eine vage Geste. »Vielleicht auch auf Taroa, wenn Ihnen das lieber ist. Haben Sie nicht mal davon gesprochen, wie gut es Ihnen dort gefallen hat?«

»Taroa? O ja, da hat es mir gut gefallen. Ein hübscher Planet. Wie ist die Lage dort?«

»Eine Revolte. Das Volk regiert, aber es ist kein Mob. Sie haben eine Regierung gewählt, die von uns unterstützt wird. Während der Revolte gab es viele Tote, und sie können Einwanderer gut gebrauchen. Vor allem Einwanderer mit den passenden Fähigkeiten und Erfahrungen.«

»Ich werde darüber nachdenken«, versprach Garadun.

»Was ist mit Ito? Irgendeine Ahnung, was sie von der aktuellen Situation hält?«

»Das müssen Sie sie schon selbst fragen.« Garadun trank einen Schluck und grinste. »Sie wird mindestens einen Schweren Kreuzer haben wollen.«

»Ich habe keine Ahnung, ob ich ihr den versprechen kann.«

»Sagen Sie ihr einfach, Sie werden es versuchen. Sie braucht nur eine Ausrede, um in Midway zu bleiben. Der größte Teil der Besatzungsmitglieder will auch bleiben. Aber nicht etwa, weil sie so an ihren Supervisoren hängen«, fügte Garadun lachend an. »Allerdings glauben sie schon, dass wir uns gut um sie kümmern werden. Für sie ist Midway ihr Zuhause, viele von ihnen haben dort Verwandte, und nachdem wir jetzt eine ganze Weile ohne Schlangen in unserer Mitte leben durften, haben wir uns daran gewöhnt. Allerdings brauchen diese Leute schon jemanden, der ihnen sagt, wo es langgeht. Ito kann dafür sorgen.« Wieder lachte er ausgelassen. »Eine der Schlangen auf unserem Schiff hätte es fast bis zur Rettungskapsel geschafft, aber dann sah ich, wie Ito den Kerl erschoss, gerade als er die Luke erreicht hatte. Sie wird sich Ihnen anschließen.« Der dritte Lacher ging mit einem listigen Blick zu Rogero einher. »Ito hat mir gesagt, dass sie glaubt, Sie wären auf diese Allianz-Offizierin scharf. Können Sie sich das vorstellen? Frauen meinen immer, sie würden jedem Mann alles ansehen können.«

»Das kommt mir auch so vor«, erwiderte Rogero und hoffte, dass Garadun ihm keine verräterische Reaktion angemerkt hatte. Schnell wechselte er das Thema: »Wie sicher können Sie sich sein, dass sich unter den Arbeitern und Supervisoren, die wir jetzt mitgenommen haben, keine Schlangen oder Informanten der Schlangen befinden?«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »So sicher, wie es eben geht. Sie wissen ja, wie oft es vorkommt, dass Schlangen es aus unerfindlichen Gründen nicht bis zu den Rettungskapseln schaffen, wenn ein Schiff aufgegeben werden muss. Als wir von den Allianz-Schiffen eingesammelt wurden, befand sich keine offen agierende Schlange unter uns. Im Lager wurde dann hin und wieder einer der Mitgefangenen für eine heimliche Schlange gehalten. Dann haben wir ein Gerichtsverfahren abgehalten, und wenn die Vorwürfe bestätigt wurden, nahmen wir uns der Schlange an. Danach übergaben wir die Leiche den Wachen, stets mit einer der üblichen Behauptungen, derjenige sei eine Treppe runtergefallen oder von einem Gebäude gestürzt.« Er warf Rogero einen wissenden Blick zu. »Es war schon ein wenig erschreckend, wie leicht den Arbeitern diese Ausreden über die Lippen kamen. Trotzdem, ich kann nicht schwören, dass wir tatsächlich alle Schlangen eliminiert haben. Ich glaube, es ist keiner mehr von ihnen da, aber es ist auch nicht so einfach, sie aufzuspüren.«

»Ja, ich weiß«, pflichtete Rogero ihm bei. »Was schätzen Sie, wie viele von den Leuten vorzeitig von Bord gehen wollen?«

»Geschätzt vielleicht tausendfünfhundert. Mehr aber nicht. Und die meisten davon werden so wenig Loyalisten sein wie ich. Das sind Leute, die zu ihren Familien wollen, die nicht in Midway leben. Und dann werden da sicher auch einige dabei sein, die es auf den Tod nicht ausstehen können, dass Midway irgendwas mit der Allianz zu schaffen hat. Wie lang noch bis zum Sprung?«

Rogero überprüfte sein Datenpad. »Vorausgesetzt auf dem Rest des Weges ereignet sich nichts mehr, haben wir noch gut fünf Stunden vor uns.«

»Diese fünf Stunden können nicht schnell genug verstreichen.« Garadun sah zur Luke, die nach draußen in den Korridor führte, wo die Arbeiter gegen die Schotte gelehnt dasaßen. »Ich hätte nicht gedacht, noch jemals von hier wegzukommen, und wenn, dann höchstens an Bord eines Gefangenentransporters, der mich zu einem weit entfernten Arbeitslager bringt. Ich hätte nie geglaubt, nach Hause zurückzukehren und meine Familie wiederzusehen. Und jetzt …« Er atmete seufzend durch. »Wenn das tatsächlich alles das Verdienst dieser Allianz-Offizierin ist, werde ich ihr eines Tages vielleicht in die Augen sehen können und nicht vor ihr verbergen müssen, was ich wirklich empfinde.«

Rogero achtete darauf, dass er zeitig die Brücke des Frachters erreichte, um anwesend zu sein, wenn sich der kleine Konvoi dem Sprungpunkt nach Atalia näherte. Die sechs Frachter schlichen dicht hintereinander ihrem Ziel entgegen, aber ihre Formation wies nicht annähernd die Ordnung auf, die für mobile Streitkräfte der Normalzustand war.

Die drei Allianz-Kriegsschiffe hatten sich ein Stück weit zurückfallen lassen, seitdem wuchs der Abstand zwischen ihnen und den Frachtern beständig. Nicht einmal war es zu einer Kommunikation mit den Frachtern gekommen, und auch jetzt machte es nicht den Eindruck, als würden sie sich von ihnen verabschieden wollen. Rogero überlegte, ob er den Kriegsschiffen eine Nachricht zukommen lassen sollte.

In diesem Moment betrat Bradamont die Brücke, ihr Blick wanderte sofort zum Display, auf dem die immer noch in der Nähe befindlichen Allianz-Kriegsschiffe zu sehen waren.

»Sollen wir noch was sagen?«, fragte Rogero sie. »Ihnen für die Unterstützung danken? Oder wollen wir uns einfach verabschieden?«

»Nein.« Bradamonts Stimme klang niedergeschlagen. »Sie können nicht über Funk bestätigen, dass diese Schiffe etwas für Sie getan haben. Das würde denen nur Ärger einbringen.«

»Aber jeder weiß es. Es war nicht zu übersehen.«

»Ja, jeder weiß es, aber niemand gibt zu, dass er es weiß.«

Rogero zuckte mit den Schultern. »Na gut. Aber für mich klingt das sehr danach, wie in den Syndikatwelten Dinge erledigt wurden.«

»Das musste ich jetzt nicht hören.« Sie hatte seine Bemerkung eindeutig nicht als witzig empfunden.

Er sah sie an und bemerkte den Ausdruck in ihren Augen, als sich die Frachter darauf vorbereiteten, das Gebiet der Allianz und damit alles hinter sich zu lassen, was Bradamont vertraut und lieb war. Ausgenommen er selbst. Und genau für ihn hatte sie all das aufgegeben, auch wenn sie offiziell auf einen Befehl hin handelte.

»Bereit«, meldete der Frachter-Executive.

»Was ist mit den anderen fünf?«, wollen Rogero wissen.

»Ja, die sind auch bereit. Sehen Sie diese Lichter auf dem Display? Die zeigen an, dass wir über den Sprungbefehl miteinander verbunden sind. Wenn ich springe, springen wir alle.«

»Dann los«, befahl Rogero.

Die Sterne verschwanden.

Das endlose Grau des Sprungraums füllte das ganze Display aus.

Captain Bradamont verließ die Brücke.

Eine Minute später ging auch Rogero nach draußen. Vier Tage würden sie im Sprungraum unterwegs sein, ehe sie Atalia erreichten. Der einzige Trost bestand darin, dass sich im Sprungraum alle Schiffe mit der gleichen Geschwindigkeit bewegten, sodass sie ihr Ziel in der Zeit erreichen würden, wie es ein deutlich schnellerer Schlachtkreuzer schaffte.

Nach zwei Tagen im Sprungraum fühlte sich Rogero schon unbehaglich. Eine solche Reaktion galt als normal, da Menschen nicht in den Sprungraum gehörten, und je länger sie sich dort aufhielten, desto stärker wurde dieses Gefühl. Doch bei ihm dauerte es normalerweise länger als zwei Tage, ehe diese spezielle Art des Unbehagens einsetzte, also musste es noch etwas anderes sein.

Rastlos zog er seine Bahnen durch den Frachter, wobei er immer wieder über die zahllosen Arbeiter steigen musste, die sich in den Gängen hingesetzt hatten, da es sonst nirgendwo an Bord Platz für sie gab. Die Luft war bereits abgestanden, weil die Lebenserhaltungssysteme der Aufgabe nicht ganz gewachsen waren, so viele Passagiere mit frischer Luft zu versorgen. Es würde sich nicht zu einem echten gesundheitsgefährdenden Problem auswachsen, aber der Geruch würde noch schlimmer werden, und eine zunehmende Zahl von Leuten würde über Kopfschmerzen klagen.

Rogero stellte fest, dass sein zielloses Umherstreifen ihn zu dem Quartier geführt hatte, in dem Honore Bradamont untergebracht war. Er stutzte, als ihm klar wurde, dass sie der Grund für sein Unbehagen war. Aber wieso? Seit sie in den Sprungraum übergewechselt waren, hielt sie sich in ihrem kleinen Quartier auf, um nicht von den Arbeitern gesehen zu werden, die sie immer noch für den Feind hielten. Die beiden Soldaten, die vor Bradamonts Quartier Wache hielten, waren aufmerksam. Also was beunruhigte ihn dann nur so sehr?

Er ging zu den Soldaten, die sofort Habachthaltung einnahmen und vor ihm salutierten. »Wie sieht es hier aus?«, fragte er.

Syndikatssoldaten waren darauf gedrillt, keine Fragen zu stellen und keine Informationen von sich aus preiszugeben, außerdem genau das zu tun, was man ihnen sagte — nicht mehr und nicht weniger. Rogeros Soldaten waren dagegen ebenso wie die Streitkräfte von General Drakon seit Jahren anders ausgebildet worden, daher wurde von ihnen erwartet, dass sie beobachteten, nachdachten und sich meldeten, wenn ihnen irgendetwas seltsam erschien.

Als er nun die beiden Soldaten angesprochen hatte, wussten sie, dass er darauf eine Antwort haben wollte.

Der ältere der beiden Männer biss sich kurz auf die Lippe, dann sagte er: »Wir werden beobachtet, Sir.«

Der andere Soldat nickte zustimmend.

»Von wem und wie oft?«

»Ziemlich oft, Colonel. Es ist nur ein Gefühl. Jemand beobachtet uns. So, wie auf einem Schlachtfeld, wenn alle Sensoren der Rüstung einem sagen, dass da draußen nichts zu entdecken ist, und man trotzdem weiß, dass irgendwer den Blick auf einen gerichtet hat. Aber wer immer es auch ist, er hält sich versteckt. Hier kommen ständig so viele Arbeiter vorbei, dass irgendwelche heimlichen Beobachter in der Menge einfach nicht auffallen.«

Der zweite Soldat nickte bestätigend. »Ich spüre es vor allem, wenn unsere Wachwechsel stattfinden, Colonel. Die Typen, die uns beobachten, passen besonders dann ganz genau auf, wenn die eine Schicht kommt und die vorherige geht.«

»Aber Sie haben keine bestimmte Person gesehen?«

»Nein, Sir, es ist nur dieses Gefühl. Aber die andere Schicht hat es auch bemerkt, Sir.«

Besorgniserregend. Das war sehr besorgniserregend. Veteranen entwickelten ein Gespür für solche Dinge; eine Art zusätzlicher neuer Sinn oder ein wiedererwachter alter Sinn, der im Lauf der Evolution allmählich verkümmert war.

Keine Einzelperson konnte so oft die Wache beobachten, ohne früher oder später überführt zu werden. Da war eine Gruppe am Werk. Hatte es jemand auf Bradamont abgesehen? Ein oder zwei Angreifer würden von den Wachen abgewehrt werden, aber was, wenn eine größere Menge auf sie losging? Was, wenn eine Meute durch den Korridor herkam, fest entschlossen an der Frau Vergeltung zu üben, die den Feind repräsentierte und die zum Greifen nah war?

Rogero betrachtete die Tür. Es war die typische Kabinentür eines Frachters: eine dünne Metallplatte, die für Privatsphäre sorgte, aber keinerlei Schutz bot. So wie bei den meisten Wohnquartieren an Bord dieses Schiffs ließ sie sich nicht mal abschließen.

Bradamont säße da drin in der Falle.

Aber es gab keine Räumlichkeiten auf diesem Frachter, in denen sie besser oder sicherer aufgehoben gewesen wäre. Er musste auch gar nicht erst vorschlagen, sein Quartier mit ihr zu teilen. Bradamont würde unter diesen Umständen ohnehin nicht zustimmen, und selbst wenn dieser undenkbare Fall doch eingetreten wäre, würde es unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen, wenn sich herumsprach, dass eine Allianz-Offizierin in seinem Quartier untergebracht war.

Irgendetwas musste er aber doch tun können. Das vage Gefühl einer drohenden Gefahr war noch stärker geworden. Wenn ich mir nicht überlege, wie ich Honore Bradamont besser schützen kann, erreicht sie Atalia womöglich nicht lebend. Ich muss mir etwas ausdenken, und das so schnell wie möglich.

Загрузка...