Der Gedemondas, fast drei Meter lang, mit weißem Pelz, runden Plattenfüßen und Hundeschnauze, gluckst.
»Aber die wahre Probe ungeheurer Macht ist die Fähigkeit, sie nicht anzuwenden.«Er sieht sie an und deutet mit einem Klauenfinger. »Was auch geschehen mag, Mavra Tschang, denken Sie daran!
Sie ist verwirrt. »Sie glauben, ich werde große Macht bekommen?«fragt sie skeptisch und ein wenig spöttisch.
»Zuerst müssen Sie in die Hölle hinabsteigen«, warnt der Gedemondas. »Erst dann, wenn die Hoffnung zunichte ist, werden Sie erhoben und auf den Gipfel erreichbarer Macht gesetzt, aber ob Sie weise genug sein werden oder nicht, zu wissen, was Sie damit tun oder nicht tun sollen, ist uns verborgen.«
»Woher wissen Sie das alles?«fragt Vistant, die Lata-Elfe.
Der Gedemondas lacht wieder leise.
»Wir lesen Wahrscheinlichkeiten. Wissen Sie, wir sehen — erkennen ist ein besseres Wort — die Mathematik des Schachts der Seelen. Wir fühlen den Energiefluß, die Bindungen und Zusammenhänge in jedem Partikel von Materie und Energie. Alle Wirklichkeit ist mathematisch, alle Existenz — in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — besteht aus Gleichungen.«
»Dann können Sie also voraussagen, was geschehen wird«, wirft Renard, der Agitar-Satyr, ein. »Wenn Sie die Mathematik sehen, können Sie die Gleichungen lösen.«
Der Gedemondas seufzt.
»Was ist die Quadratwurzel von minus zwei?«fragt er selbstzufrieden.
Mavra Tschang erwachte, die Worte des Schnee-Riesen wie immer in den Ohren. Sie hatte diesen Traum seit dem eigentlichen Ereignis tausendmal geträumt. Wie lange war das her? Zweiundzwanzig Jahre, hatte der Ambreza-Doktor gesagt.
Damals war sie siebenundzwanzig gewesen; jetzt ging sie auf die fünfzig zu. All die Jahre, dachte sie, auf ihren Polstern liegend. Ein ganzes Leben.
Sie dachte nicht mehr an die Zeit, in der sie menschlich gewesen war. Sie wußte, daß man ihr das vor zweiundzwanzig Jahren bei der Hypnosebehandlung eingeprägt hatte, aber mit der Zeit war das durch die Träume und Gedanken verblaßt.
Sie erinnerte sich an die Gedemondas, auch wenn diese Wesen dafür gesorgt hatten, daß sonst niemand eine Erinnerung an sie hatte — an ihre Macht und Weisheit, daran, wie einer von ihnen nur den Finger auf die Antriebskapsel gerichtet hatte, worauf sie hinabgestürzt und explodiert war.
Sie erinnerte sich, von den Olborniern gefangengenommen und in einen Tempel gebracht worden zu sein, wo man ihre Glieder mit dem seltsamen Stein berührt hatte. Aber sie wußte nicht mehr, wie das Leben vorher gewesen war.
Gewiß, sie erinnerte sich an ihre Vergangenheit, aber irgendwo, Jahre zuvor, war in ihr etwas gerissen. Sie hatte diese Dinge nur schief und verzerrt im Gedächtnis; alle, die sie gekannt hatte, sahen aus wie sie — die Bettler, die Huren, die Piloten, ihr Mann.
Sie hatte gebrütet und geträumt und war in eine ungeheure, selbstmörderische Depression versunken, dann war der Wandel gekommen. Sie verstand ihn nicht, aber sie akzeptierte ihn.
Auf einer Welt mit 1560 Rassen war Platz genug für eine mehr, eine Tschang, wenn man so wollte.
Und Joshi war bald danach gekommen, wie als Antwort auf dieses neue Gefühl in ihr.
Sie rollte sich herum und stand ungeschickt auf. Es war nicht einfach, aber sie hatte es schon so oft getan, daß es zur zweiten Natur geworden war. Sie reckte sich, und ihr langes Haar fiel an ihrem Gesicht herunter. Es störte sie nicht, daß es vor und hinter den Ohren bis zum Boden reichte, so wenig wie die Tatsache, daß ihr Pferdeschwanz ein riesiger Besen war, der hinter ihr nachschleifte.
Sie ging zu einem niedrigen, zwei Meter breiten Spiegel, drehte sich und schüttelte den Kopf, um die Haare aus den Augen zu bekommen.
Das Wesen, das sie aus dem Spiegel anblickte, war wahrhaftig ein fremdartiges, für alle außer sie selbst und Joshi. Es hatte Jahre gedauert, bis sie überhaupt um einen Spiegel gebeten hatte. Erst nach der Veränderung.
Man entferne zunächst die Gliedmaßen vom Rumpf einer kleinen Frau, dann kippe man ihn mit dem Gesicht nach unten, hebe die Hüften ungefähr einen Meter über den Boden, die Schultern etwa achtzig Zentimeter hoch. Dann befestige man an den Schultern genau passende Maultier-Vorderbeine. Dazu nehme man zwei Hinterbeine, ebenfalls die eines Maultieres, aber alles bleibe ›menschlich‹, dem unbehaarten, orangefarbenen Rumpf genau angepaßt — bis auf die Hufe an allen vier Beinen. Man ersetze die Frauenohren durch meterlange Eselohren aus menschlicher Haut. Das Resultat ist noch eindrucksvoller, wenn man weiß, daß die Frau ursprünglich keine 150 Zentimeter groß war, Beine und Kopf eingeschlossen, so daß die Ohren tatsächlich länger sind als der Rumpf. Als letztes füge man noch einen Pferdeschwanz am Steißbein hinzu. Dieser war ein Geschenk von Antor Treligs Party auf Neu-Pompeii, vor so langer Zeit. So war Mavra Tschang von den Katzen Olborns verwandelt worden.
Es störte sie nicht, daß ihre Haare die Sicht behinderten; den Kopf erhoben, so hoch es ging, konnte sie ohnehin kaum drei Meter weit sehen. Sie hatte gelernt, sich weniger auf ihre Augen als auf andere Organe zu verlassen, vor allem auf die Ohren, obwohl sie damit nicht besser hörte als früher mit ihren eigenen. Sie waren mit kleinen Muskeln in der Kopfhaut befestigt und unabhängig voneinander beweglich. Sie gebrauchte sie wie ein Insekt seine Fühler.
Sie ging zum äußeren, überdachten Teil ihrer Unterkunft, senkte das Gesicht zum Boden hinab und packte mit dem Gebiß eine Lederklappe. Sie zog sie zurück und gelangte zu einem einfachen Ledersack, den sie ebenfalls mit den Zähnen hochhob. Die Ambreza sorgten dafür, daß ihr Gebiß gesund blieb.
Ihre Halsmuskeln waren das einzige Hilfsmittel, das ihr zur Verfügung stand, um den schweren Sack hochzuheben. Sie stellte die Vorderbeine auf beiden Seiten des Sacks nieder und wühlte mit Nase und Mund, bis die Öffnung für ihr Gesicht groß genug war. Im Inneren befand sich gekochtes, kleingehacktes Fleisch, kalt, aber noch frisch. Sie fraß, wie ein Hund es tat. Danach schloß sie den Sack, legte ihn wieder in das Loch und deckte es zu.
Die Ambreza hinterließen jeden Monat kleine, etikettierte Plastikbeutel mit geschmacklosem Inhalt, aber davon wollte sie nichts wissen. Das machte sie abhängig von anderen, und sie hatte es nicht lange ertragen.
Sie ging zu der kleinen Süßwasserquelle, deren Rinnsal auf dem Weg zum nahen Meer von Turagin durch das Gelände floß. Sie senkte ihr Gesicht in das Wasser und trank durstig. Die Kälte erfrischte sie.
Keine Abhängigkeit, nicht von Dauer, dachte sie befriedigt. Die beherrschende Kultur in diesem Hex war primitiv menschlich. Die Bewohner waren dunkelhäutige Leute mit negroiden Zügen, aber kompaktem Körperbau. Ihr Haar war glatt und schwarz wie das ihrige. Zu Anfang hatten die Ureinwohner sich mit der Mär erschreckt, die Göttin der Tiere, lebe in ihrer Mitte, und sie würden in Tiere verwandelt werden, wenn sie sie auch nur zu Gesicht bekämen.
Und eine lange Zeit hatte sie natürlich auch niemanden sehen wollen, sich lieber in ihrem Selbstmitleid vergraben. Aber schließlich war sie dann doch aus ihrem Gehege gegangen, manchmal zum Strand, wo sie sich aufrecht irgendwo anlehnte, um das prachtvolle Sternenmeer zu sehen. Mit der Zeit hatte sie dann auch landeinwärts Erkundungsausflüge unternommen, aber stets bei Nacht, um mögliche Probleme gering zu halten. Bis auf die Moskitos und andere Insekten, die sie nicht mehr spürte, gab es keine Raubtiere, die ihr gefährlich werden konnten, und die Einwohner fürchteten die Dunkelheit.
Aber sie war natürlich dann doch auf einige von ihnen gestoßen, und die erste Begegnung wurde zu einer Katastrophe. Sie erkannten sofort, was sie sahen — eben das in ihren Legenden beschriebene Tier —, und waren so entsetzt, daß einer von ihnen auf der Stelle tot umfiel und der andere den Verstand verlor.
Der machtvollste Zauber ist der, an welchen man glaubt, hatte sie festgestellt.
Und so übte sie zunächst Vorsicht. Da sie einen Übersetzer besaß, konnte sie die anderen so verstehen, wie man sie verstand, auch wenn das Ding ihrer Stimme einen unheimlichen Klang verlieh.
Genau die richtige Wirkung. Ambrezaartig, aber kein Ambreza. Etwas anderes: die Göttin!
Und zuletzt verkündete sie natürlich den Einheimischen, wenn sie ihr dienten, würde sie sich einmal zeigen, ohne daß sie Nachteiliges zu befürchten hätten. Als sie schließlich in den Feuerschein trat, geisterhaft und unheimlich, taten sie, was sie erhofft hatte. Sie warfen sich zu Boden und beteten sie an.
Aber den Ambreza davon zu berichten, bedeute, ihren Zorn auf sich herabzuziehen, warnte sie. Schon eine Mitteilung an andere Stämme werde ein Schicksal auf sie herabziehen, schlimmer als der Tod. Ihr Stamm hatte sich daran gehalten. Seine Angehörigen waren das Volk der Göttin, und in diesem Wissen schwelgte man.
Mavra verlangte Gaben, und Gaben bekam sie. Nahrung in großen Mengen, vor die Tür der Unterkunft gelegt. Auch Tabak. Auf der Sechseck-Welt selten, wurde er hoch geschätzt; die Ambreza nahmen natürlich den größten Teil der Ernte an sich — aber nun besaß sie etwas, das sie in die Lage versetzte, mit dem monatlichen Nachschubschiff um Dinge handeln zu können, die sie sich mehr wünschte als die jetzt fast nicht mehr notwendigen Vorräte.
Für Tabak brachte die Besatzung des Schiffes, was sie verlangte. Da Glathriel ein Nicht-tech-Hex war, kamen Maschinen nicht in Frage, aber Bücher, geographische Werke und Grammatiken waren nützlich. Sie lernte, mehrere verwandte Sprachen zu beherrschen, und studierte an Geschichtswerken, was sie fand.
Nach ihrem elften Fluchtversuch war sie wohl die größte lebende Expertin für Leben, Geographie und Geologie der Sechseck-Welt. Und sie las die Bücher immer wieder, mit Nase und Zunge umblätternd, bis die Bände beinahe unleserlich geworden waren. Selbst nach dem inneren Wandel las sie weiterhin gierig; das gehörte zu den wenigen Dingen, von denen sie aufrecht gehalten wurde.
Sie gab eingeborenen Jägern auch Ratschläge für Tierfallen, was ihren Ertrag steigerte, und machte Vorschläge für die Herstellung neuer nicht-technischer Waffen. Die Glathriel verehrten sie natürlich um so mehr. Die Ambreza wurden argwöhnisch, aber es gab wenig, was sie tun konnten. Die Entwicklung war schon zu weit fortgeschritten.
Dann, in einer Nacht gleich nach dem Wandel, fiel ihr in Richtung des Dorfes ein seltsamer Lichtschein auf. Sie eilte hin und sah eine der Hütten niederbrennen, während die Leute schrien. Man holte nur einen Insassen lebend heraus, einen Jungen mit lebensgefährlichen starken Verbrennungen an Händen und Füßen.
Sie befahl, ihn zu ihr zu bringen, und schoß eine ihrer kleinen Leuchtraketen ab, um die Ambreza zu verständigen. Auch dies göttlicher Zauber.
Der Ambreza-Arzt war erschienen und hatte sich den Jungen angesehen.
»Es besteht keine Hoffnung«, erklärte er. »Ich kann ihn in ein Krankenhaus bringen, gewiß, aber nicht mehr rechtzeitig. Er ist auf furchtbare Weise verbrannt. Ich könnte sein Leben retten, aber nie seine Gliedmaßen, und er würde diese riesigen Narben sein ganzes Leben lang tragen. Es ist am besten, ihn von seinem Elend zu erlösen.«
Etwas stieg in ihr auf, als sie den armen, verbrannten Jungen von zehn oder elf Jahren betrachtete.
»Das ist kein Haustier, das man erlöst!«schrie sie das Biberwesen an. »Das ist ein Mensch! Wenn Sie ihn nicht um Ihretwillen retten wollen, dann um meinetwillen!«
Sie wußte nicht, warum sie das gesagt hatte, es war ihr einfach richtig erschienen. Der hilflose, verunstaltete Junge erinnerte sie auf irgendeine Weise an ihre eigenen Erlebnisse.
Sie begleitete den Jungen und den Arzt nach Ambreza und sah ihn später, noch in Narkose, in einem Hoch-tech-Krankenhaus. Er war überall mit Narben bedeckt, und beide Hände und Füße waren amputiert worden.
Man diskutierte mit ihr. Normalerweise hätte man sie nicht beachtet, aber die Ambreza empfanden ein besonderes Schuldgefühl und starke Verantwortung für Mavra Tschang.
»Aber was kann er tun?«hatte man gefragt. »Der Stamm würde ihn töten. Sie können ihm auch nicht helfen. Das ist doch unvernünftig.«
Und plötzlich hatte die Lösung unaufgefordert vor ihr gestanden. Derartige Intuitionen waren nicht typisch für sie; sie rührten von der Verwandlung her.
»Er ist ein Mann!«hatte sie geschrien. »Wenn die Olbornier die gelben Steine noch besitzen, dann bringt ihn dorthin! Berührt seine verstümmelten Arme, bis sie sich verändern, dann seine Beinstümpfe! Macht ihn zu einem Tschang wie mich und gebt ihn mir!«
Sie waren wie vor den Kopf geschlagen, wußten nicht, was sie tun sollten.
Also taten sie, was sie verlangte, mit ein wenig Druck von ihren Psycho-Technikern und starkem Druck von Serge Ortega.
Man löschte mit Hypnobehandlung die Erinnerung aus seinem Gehirn, dann paßte man ihn seinem neuen Dasein an.
Joshi war der erste Schritt in einem Projekt, das sich in ihr formte, ein Projekt, das sie um jeden Preis durchsetzen wollte: die Errichtung ihrer eigenen unabhängigen kleinen Welt.
Er war bei weitem nicht so intelligent wie sie. Das soll nicht heißen, daß er dumm oder zurückgeblieben war, nur eben durchschnittlich. Sie brachte ihm die Konföderations-Sprache bei, in der sie immer noch dachte, die Ambreza- und die Glathriel-Sprache, die nicht mehr gesprochen, von den Ambreza aber in Vorkriegsbüchern aufbewahrt wurde.
Ihre Beziehung war eine seltsame, jedoch enge; sie war ihm gleichzeitig Ehefrau und Mutter, er ihr Mann und Sohn. Die Ambreza, die ab und zu überprüften, was sie trieb, waren der Meinung, daß sie die dominierende Rolle spielen, daß sie sich ein wenig überlegen fühlen mußte.
Joshi regte sich hinter ihr. Es wurde dunkel, die Zeit für beide, aktiv zu werden, wie sich das seit langem eingespielt hatte. Der hilflose Zehnjährige war gewachsen und herangereift; er war größer als sie und nahezu kohlschwarz, wenngleich man überall die rötlichen Narben seiner Verbrennungen sah.
Er kam auf sie zu. Bei der Verwandlung war man mit Vorsicht zu Werke gegangen; wurde man dem Stein der Olbornier zu lange ausgesetzt, so verwandelte man sich ganz in ein fügsames Maultier.
Er sah ihr sehr ähnlich, hatte aber natürlich keinen Pferdeschwanz und andere Haare, eine Mähne, die am Rückgrat bis zu den Hüften hinabwuchs. Er war dick. Sein dünner Bart zeigte Spuren von Weiß, obwohl er erst Ende Zwanzig war.
Sie waren aneinander gewöhnt. Nach dem Trinken fragte er:»Gehst du zum Strand? Die Nacht scheint klar zu sein.«
Sie nickte.
Sie verließen das Gehege und trabten den Weg hinunter. Das Rauschen der Brandung wurde sehr laut.
»Muß ein Sturm draußen auf dem Meer sein«, meinte er. »Hör dir das an.«
Aber ob draußen ein Sturm tobte oder nicht, der Himmel war fast völlig klar und ließ nur hier und dort hauchdünne Wolken erkennen.
Er legte sich in den Sand, und sie ließ sich auf ihm nieder, so daß sie die Sterne sehen konnte.
Die Hoffnung ist nie zu Ende, dachte sie. Nicht, solange ich lebe. Nicht, solange die Sterne so leuchten.
Joshi drehte den Kopf nach oben und schaute zum nordöstlichen Horizont hinüber.
»Schau«, sagte er, »du kannst deinen Mond sehen.«
Sie senkte den Blick zum Horizont. Da war er, eine große, silberne Scheibe, unwirklich und fehl am Platze, wie ein großer Silberklumpen.
Sie sind sicher alle längst tot, dachte sie. Alle bis auf Obie — der arme, einsame Obie. Der Computer war weit mehr gewesen als jede Maschine mit Eigenbewußtsein, die sie je gesehen hatte. Obie war der Sohn Gil Zinders und betrachtete sich auch so. Einsam. Ein merkwürdiger Begriff für ihr Denken, nachdem sie doch ihr ganzes Leben einsam gewesen war, bis auf die wenigen Jahre ihrer Ehe. Und trotzdem ging es ihr jetzt besser als dem armen Obie. Sie hatte Joshi und den Stamm.
Nach einer Weile drang die salzige Gischt bis zu ihnen. Wolken zogen auf, und sie kehrten zu ihrer Unterkunft zurück.
»Die ›Trader‹ muß irgendwann diese Woche kommen, nicht wahr?«sagte er.
»Ja. Hoffentlich bringt sie die Biologiebücher mit und die Bände über Wadenetzfischen.«
Er seufzte.
»Das mit der Fischerei kann ich verstehen — jedenfalls für den Stamm. Die Gläubigen müssen gläubig bleiben. Aber warum das Interesse an der Biologie? Du weißt, daß wir eine Rasse aus zwei Geschöpfen sind, und steril dazu. Wenn nicht, hätten wir schon Kinder.«
»Ich bin auf jeden Fall steril«, sagte sie mit leisem Lachen. »Selbst wenn ich es nicht wäre, hätten wir Glathriel-Kinder. Aber es gibt vielleicht Wege. Ich habe schon seltsamere Experimente in genetischer Manipulation gesehen. Für mich könnte es aber schon zu spät sein. Ich werde langsam zu alt dafür.«
Er drängte sich an sie.
»Für mich bist du nicht zu alt. Ein bißchen zerfranst und dick und breitarschig, aber ich mag das so.«
»Das sagst du nur, weil ich die einzige Frau bin, die du hast«, sagte sie. »Außerdem weiß ich von der Jungfrauenopferung, die du dem Stamm einreden willst.«
Er lachte.
»Ich hatte eine gute Lehrerin«, sagte er. Er wurde wieder ernst. »Aber ich bin kein Glathriel mehr. Ich bin ein Tschang, du bist ein Tschang, und niemand kann daran etwas ändern.«
Das freute sie. Sie kehrten in ihre Unterkunft zurück, und Mavra war zuversichtlich, daß sie, bevor sie starb, einmal wieder über ihr eigenes Schicksal würde bestimmen können.
Aber das Schicksal hatte stets über Mavra Tschang bestimmt.