12. Kapitel

„Na, nun wißt ihr Bescheid, meine Lieben“, sagte Georges. „Sucht es euch aus! Eine Theokratie von Hexenverbrennern. Oder ein faschistischer Sozialismus der Debilen. Oder eine Horde kaltblütiger Pragmatiker, die jedes Pferd, welches die Hürde nicht schafft erschießen wollen. Treten Sie näher! Für jeden steht nur ein Platz zur Verfügung!“

„Hör auf, Georges!“ sagte Ian. „Darüber sollte man wirklich keine Witze machen.“

„Bruder, ich mache keine Witze. Ich weine mir die Augen aus! Eine Horde will mich ohne Anruf erschießen, eine andere erklärt meine Kunst und meinen Beruf für ungesetzlich, während die dritte sich drohend gebärdet, ohne Genaues festzulegen, was für meine Begriffe noch angsteinflößender ist. Unterdessen will es diese wohltätige Regierung, meine lebenslange alma mater, nicht zulassen, daß ich in einer sicheren Umgebung Trost finde, sondern erklärt mich zum feindlichen Ausländer, der in ein Gehege gehört.

Was soll ich tun? Witze reißen? Oder den Tränen ihren Lauf lassen?“

„Zunächst kannst du mal damit aufhören, den Gallier zu spielen. Die Welt ringsum scheint durchzudrehen. Wir sollten uns lieber Gedanken darüber machen, was wir unternehmen.“

„Schluß Fetzt, ihr beide, hört auf!“ sagte Janet entschlossen. „Zu den Dingen, die jede Frau weiß, die aber kein Mann begreift, gehört die Erkenntnis, daß es Augenblicke gibt, da man nicht handeln darf, sondern abwarten muß. Ich kenne euch beide. Ihr würdetam liebsten sofort zur Sammelstelle laufen, euch für die Dauer der Krise zur Armee melden und damit euer Gewissen den Kompanieführern überschreiben.

Damit haben sich eure Väter und Großväter geholfen doch euch wird es nichts nützen, das muß ich leider sagen. Unser Land ist in Gefahr — und gleichzeitig unsere Lebensart, soviel liegt auf der Hand. Aber wenn jemand etwas Besseres weiß, als stillzusitzen und abzuwarten, soll er es sagen. Wenn nicht — sollten wir nicht im Kreis herumrennen. In Kürze wäre es Zeit für die Mittagsmahlzeit. Fällt jemandem eine bessere Beschäftigung ein?“

„Wir haben sehr spät gefrühstückt.“

„Das Mittagessen wird auch spät stattfinden. Aber wenn ihr es vor euch auf dem Tisch stehen habt werdet ihr essen — einschließlich Georges. Ach ja, eins können wir machen. Nur für den Fall, daß sich die Lage noch mehr zuspitzt, sollte Marj wissen, wo wir unseren Bomben-Schutzraum haben.“

„Unser Versteck.“

„Ja, Versteck. Beispielsweise könnte die Polizei ja nach feindlichen Ausländern Ausschau halten. Habt ihr beiden mutigen Männer euch schon Gedanken gemacht, was zu tun ist, wenn die Beamten an unsere Haustür klopfen?“

„Ich hatte mir das schon überlegt“, antwortete Georges. „Zuerst lieferst du Marj den Kosaken aus. Das lenkt sie ab und gibt mir Gelegenheit, mit gehörigem Vorsprung zu verschwinden. Das wäre ein möglicher Plan.“

„Richtig“, sagte Jan. „Soll das heißen, daß du noch einen zweiten hast?“

„Keinen Plan, der so einfach-elegant ist wie dieser.Aber ich will ihn trotzdem umreißen. Ich ergebe mich der Gestapo, als Testfall, um herauszufinden, ob ich ein geschätzter Gast und zuverlässiger Steuerzahler der darüber hinaus stets für den Polizeifonds und die Feuerwehr gespendet hat, in der Tat ohne jeden Grund eingesperrt werden kann oder nicht. Während ich mich für dieses Prinzip opfere, kann Marj im Versteck verschwinden und den toten Mann markieren.

Man weiß ja nicht, daß sie hier ist, während das bedauerlicherweise in meinem Fall bekannt ist. Es ist weitaus besser …“

„Spiel nicht den Edlen, mein Lieber; das steht dir nicht. Wir kombinieren die beiden Pläne. Falls — nein wenn die Beamten zum Haus kommen und nach einem von euch oder beiden fragen, verschwindet ihr zu zweit im Versteck und bleibt dort unten. Tage.

Wochen. So lange wie nötig.“

Georges schüttelte den Kopf. „Ich nicht. Im Loch ist es mir zu feucht und ungesund.“

„Außerdem habe ich Marj versprochen, sie vor Georges zu schützen“, warf Ian ein. „Was würde es nützen, ihr das Leben zu retten, wenn sie gleich darauf einem geilen Kanacker ausgeliefert ist?“

„Du darfst ihm nicht glauben, meine Liebe. Meine Schwäche ist der Alkohol.“

„Schätzehen, möchtest du vor Georges geschützt werden?“

Ich antwortete wahrheitsgemäß, daß Georges vielleicht Schutz vor mir brauchte. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen.

„Was deine Beschwerde über die Feuchtigkeit angeht, so hat das Loch dieselbe Luftfeuchtigkeit wie der Rest des Hauses, ein angenehmer Wert von fünf-undvierzig. Ich habe die Pläne darauf ausgelegt. Notfalls stopfen wir dich gewaltsam ins Loch, auf keinen Fall aber liefern wir dich der Polizei aus.“ Janet wandte sich an mich. „Komm mit, meine Liebe! Wir machen mal einen Probelauf.“

Sie führte mich in das Zimmer, das ich bewohnen sollte, und ergriff meinen Koffer. „Was hast du darin?“

„Nicht viel. Einen Schlüpfer und ein Paar Socken zum Wechseln. Den Paß. Eine nutzlose Kreditkarte.

Etwas Geld. Ausweise. Ein kleines Notizbuch. Das große Gepäck liegt im Zollausschluß am Hafen.“

„Ist recht. Sollten Spuren von dir verbleiben, werden wir sie in meinem Zimmer verwischen. Was die Kleidung angeht, so sind wir so etwa einer Größe.“

Sie griff in eine Schublade und zog ein Plastikbehältnis an einem Gürtel hervor — einen ganz normalen Geldgürtel, wie er oft von Frauen getragen wird. Ich wußte sofort, worum es sich handelte, obwohl ich noch nie so einen Gürtel besessen hatte, der in meinem Beruf nutzlos war. Viel zu auffällig. „Hier hinein tust du alles, was du nicht verlieren darfst, dann bindest du ihn dir um. Und mach ihn wasserdicht. Denn du wirst am ganzen Körper naß sein. Hast du etwas dagegen, dir das Haar naß zu machen?“

„Meine Güte, nein. Ich reib’s mir mit einem Handtuch wieder trocken und schüttele es ein bißchen.

Oder ich lasse es einfach trocknen.“

„Gut. Dann kümmere dich um den Gurt und zieh dich aus! Es wäre sinnlos, die Sachen naßwerden zu lassen. Wenn dann allerdings die Gendarmen kommen, mußt du in voller Montur hindurch — wir trocknen das Zeug dann eben unten im Loch.“Gleich darauf standen wir in Janets großem Badezimmer; ich war in meinen wasserdichten Geldgurt gekleidet, während Janet nur noch ihr Lächeln trug.

„Meine Liebe“, sagte sie und deutete auf das breite Becken. „Schau mal unter den Sitz — drüben auf der anderen Seite!“

Ich beugte mich vor. „Ich kann nicht viel sehen.“

„So hatte ich mir das gedacht. Das Wasser ist klar und man kann von allen Seiten hineinschauen. Von der einzigen Stelle, von der aus man unter den Sitz schauen könnte, spiegelt sich allerdings die Deckenlampe im Wasser. Unter dem Sitz beginnt ein Tunnel.

Egal wo man steht, man sieht ihn nicht, doch wenn du mit dem Gesicht nach unten ins Wasser tauchst kannst du ihn ertasten. Knapp einen Meter breit, etwa einen halben Meter hoch und ungefähr sechs Meter lang. Wie ist dir in engen Räumen zumute — hast du Probleme mit der Klaustrophobie?“

„Nein.“

„Das ist gut. Denn wenn man in das Loch hinabwill, kann man nur tief einatmen, untertauchen und sich durch den kleinen Tunnel ziehen. Die Fortbewegung ist kein Problem, denn ich habe zu diesem Zweck Rillen in den Boden machen lassen. Aber man muß sich einreden, daß die Passage nicht zu lang ist daß man im Zeitraum eines Atemzugs einen Ort erreichen wird, an dem man sich nur aufzurichten braucht, um frische Luft zu haben. Es wird dort dunkel sein, aber das Licht läßt bestimmt nicht lange auf sich warten; wir haben dort eine Schaltung die an die Wärmestrahlung gekoppelt ist. Diesmal gehe ich voraus. Bist du bereit, mir zu folgen?“

„Ich nehme es an. Ja.“

„Na, dann los!“ Janet trat auf den nächsten Sitz und dann ganz in den Badetank. Das Wasser ging ihr gut bis zur Hüfte. „Tief einatmen!“ Sie holte Luft und verschwand unter Wasser und unter dem Sitz.

Ich folgte ihr ins Wasser, atmete mehrmals kraftvoll ein und folgte ihr. Sehen konnte ich den Tunnel nicht, der sich aber mühelos ertasten ließ. Es bereitete mir kein Problem, mich an den fingerdicken Erhöhungen am Boden weiterzuziehen. Es kam mir allerdings so vor, als wäre der Tunnel mehrere Male sechs Meter lang.

Plötzlich erschien dicht vor mir ein Licht. Ich erreichte es, stand auf, und Janet half mir, holte mich aus dem Wasser. Ich befand mich in einem sehr kleinen Raum, dessen Decke kaum zwei Meter über dem Betonboden lag. Ein wenig angenehmer als in einem Grab war es schon, aber nicht viel.

„Dreh dich um, meine Liebe! Hier hindurch!“

„Hier hindurch“ — das war eine schwere Stahltür hoch über dem Boden gelegen, doch bis dicht unter die Decke reichend wir überwanden sie, indem wir uns auf die Türschwelle setzten und die Beine hinüberschwangen. Janet zog die Öffnung hinter uns zu und die Tür erzeugte ein dumpfes Zischen wie eine Panzertür. „Eine Überdrucktür“, erklärte sie. „Würde in der Nähe eine Bombe hochgehen, müßte die Luftdruckwelle das Wasser durch den kleinen Tunnel drücken. Hier wird es dann aufgehalten. Ein direkter Treffer natürlich … Nun ja, wir würden nichts davon merken, und deshalb habe ich auch keine Vorsorge dagegen getroffen.“ Sie fügte hinzu: „Schau dich gründlich um, mach es dir gemütlich! Ich gehe mal ein Handtuch holen.“Wir befanden uns in einem langen, schmalen Raum mit gewölbter Decke. Entlang der rechten Wand standen Kojenbetten, dahinter ein Tisch mit Stühlen und ein Terminal und am anderen Ende eine kleine Küche zur Rechten sowie eine Tür, die in eine Toilette oder Badezimmer führte, da Janet darin verschwand und sofort mit einem großen Handtuch zurückkehrte.

„Halt still, dann trocknet Mama dich ab!“ sagte sie.

„Einen Fön haben wir hier nicht. Ich habe alles einfach und so wenig wie möglich automatisiert gehalten, ohne daß der Sinn und Zweck dieser Anlage zu kurz käme.“

Sie rubbelte mich, bis meine Haut sich warm anfühlte, dann nahm ich ihr das Tuch ab und machte mich an ihr zu schaffen — was mir ein Vergnügen war, da Janet an Schönheit nichts zu wünschen übrigließ. Schließlich sagte sie: „Es reicht, meine Liebe.

Jetzt wollen wir mal eben die 5-Dollar-Tour machen da du außer im Notfall sicher nicht hierher zurückkehren wirst — und selbst wenn es denn sein muß könntest du allein sein — o ja, das könnte passieren — und dann hinge dein Leben davon ab, daß du dich hier gut auskennst.

Erstens — siehst du das Buch, das da über dem Tisch an der Wand festgekettet ist? Das ist das Handbuch mit Inventurliste, und die Kette ist kein Witz.

Mit diesem Buch brauchst du meine 5-Dollar-Tour nicht; alles steht darin! Aspirin, Munition oder Gewürze, es steht dort alles verzeichnet.“

Immerhin vermittelte sie mir einen knappen Eindruck, der mindestens drei Dollar fünfundneunzig wert war: Nahrungsmittelvorräte, Tiefkühlabteilung Reserveluft, Handpumpe für das Wasser, sollte derDruck nachlassen, Kleidung, Medizinschrank, und so weiter. „Ich habe dieses Loch für drei Leute und auf drei Monate ausgelegt“, sagte Janet.

„Wie ersetzt du die Vorräte?“

„Wie würdest du es tun?“

Ich überlegte. „Ich würde das Wasser aus dem Tunnel pumpen.“

„Genau richtig. Es gibt da einen Zwischentank, der natürlich versteckt und auf den Plänen dieses Hauses nicht eingezeichnet ist — ebensowenig wie diese ganze Anlage. Natürlich macht es bei vielen Dingen nichts aus, wenn sie naß werden, oder man kann sie in wasserdichten Schutzfolien befördern. Wie hat übrigens dein Geldgurt die Reise überstanden?“

„Ich glaube gut. Ich habe vor dem Versiegeln die ganze Luft herausgedrückt. Jan, dieses Loch ist nicht nur ein Bombenschutzkeller, sonst hättest du dir nicht soviel Mühe gemacht und soviel Aufwand getrieben, um ihn geheimzuhalten.“

Janets Gesicht bewölkte sich. „Meine Liebe, dir entgeht nicht viel. Nein, ich hätte mir den Bau gespart, wenn es nur um den Luftschutzaspekt ginge.

Sollten wir jemals eine Wasserstoffbombe abbekommen, bin ich an einem Weiterleben nicht sonderlich interessiert. Ich habe diesen Keller in erster Linie zum Schutz vor der sogenannten ›staatlichen Ordnung‹ gebaut, die ja nun auch prompt zur Unordnung geworden ist.“

„Meine Großeltern“, fuhr sie fort, „haben mir immer von einer Zeit erzählt, da die Menschen höflich zueinander waren und jeder unbesorgt nachts im Freien sein konnte und die Menschen oft nicht einmal ihre Türen verschlossen — geschweige denn ihre Häu-ser mit Zäunen und Mauern und Stacheldraht und Laserkanonen umgaben. Durchaus möglich, daß das früher so war; ich bin nicht alt genug, um mich daran zu erinnern. Was mich betrifft, so habe ich den Eindruck, als wäre im Laufe meines Lebens alles immer nur schlimmer geworden. Mein erster Job nach der Schule drehte sich um den Einbau versteckter Sicherungsanlagen in alte Häuser. Die Methoden, die damals eingesetzt wurden — und so lange ist das noch nicht her! — sind längst überholt. Damals ging es darum, einen möglichen Angreifer aufzuhalten und abzuschrecken. Heute wird die Verteidigung auf zwei Etappen angelegt. Reicht die äußere Sperre nicht aus soll der innere Verteidigungsgürtel den Störenfried umbringen. So etwas ist natürlich streng verboten aber wer es sich leisten kann, arbeitet nach diesem Prinzip. Marj, was habe ich dir noch nicht gezeigt?

Schau nicht in das Buch! Es würde dir sofort auffallen! Laß es dir durch den Kopf gehen! Welchen wichtigen Teil des Loches habe ich dir noch nicht gezeigt?“

(Sollte ich es ihr wirklich sagen?) „Scheint mir komplett zu sein, sobald du mir die Haupt- und Hilfs-Shipstone-Energieträger gezeigt hast.“

„Nun überlege einmal, meine Liebe. Stell dir vor das Haus über uns wäre weggepustet. Oder es wäre von Eindringlingen besetzt. Oder gar von Beamten unserer eigenen Polizei die nach dir und Georges suchen. Was fehlt für einen solchen Fall?“

„Nun ja … die Tiere, die unter der Erde leben — Füchse, Kaninchen, Erdhörnchen — schaffen sich in der Regel einen Hinterausgang.“

„Braves Mädchen! Und wo ist der hier?“ Ich tat, als schaute ich mich um und suchte danach.

In Wahrheit jedoch hatte mich eine gewisse Nervosität, die eindeutig auf meine Grundausbildung zurückging („Entspannen Sie sich erst, wenn Sie eine Fluchtroute im Auge haben“) dazu gebracht, längst danach Ausschau zu halten. „Wenn es technisch möglich ist, einen Tunnel in diese Richtung vorzutreiben, dürfte der Notausgang dort im Kleiderschrank beginnen.“

„Ich weiß nicht, ob ich dich beglückwünschen oder mir überlegen soll, wie ich den Tunnel besser hätte tarnen müssen. Ja durch den Schrank und dann nach links. Die 37-Grad-Wärmeausstrahlung läßt das Licht angehen, so wie es vorhin beim Auftauchen aus dem Wassertunnel geschah. Jede Lampe hat dort ihr eigenes Shipstone-Energieaggregat, das praktisch ewig reicht, trotzdem wäre es ratsam, eine frisch aufgeladene Taschenlampe mitzunehmen, dann weiß man immer, wo man ist. Der Tunnel ist ziemlich lang denn er endet weit außerhalb unserer Mauern in einer Gruppe von Dornenbüschen. Es gibt dort eine getarnte Tür, die ziemlich schwer gepanzert ist. Man braucht sie aber nur zur Seite zu stoßen, dann läßt sie sich aufklappen.“

„Scheint mir recht gut durchdacht zu sein. Aber eine Frage, Jan. Was passiert, wenn jemand den Eingang findet und auf diesem Weg eindringt? Oder wenn ich das täte? Schließlich bin ich für euch mehr oder weniger eine Fremde.“

„Du bist uns nicht fremd; du bist eine alte Freundin, die wir schon sehr lange kennen. Ja, es besteht natürlich die entfernte Möglichkeit, daß jemand unseren Hinterausgang findet, obwohl er sehr gut ver-steckt ist. Erstens würde überall im Haus ein nicht zu überhörendes Alarmschrillen ertönen. Dann würden wir mit Kameras in den Tunnel blicken; das Bild ließe sich auf jedes Hausterminal holen. Dann würde man Gegenmaßnahmen einleiten, deren mildeste der Einsatz von Tränengas ist. Wären wir aber nicht zu Hause, wenn man uns die Hintertür einrennt, täten mir Ian oder Georges sehr leid — oder beide.“

„Warum formulierst du das so?“

„Weil mit mir niemand Mitleid zu haben brauchte.

Ich würde plötzlich von weiblicher Schwäche überkommen — denn ich gebe mich grundsätzlich nicht mit der Beseitigung von Leichen ab, besonders nicht von Toten, die schon einen Reifeprozeß von mehreren Tagen hinter sich haben.“

„Hmm … ja, ich verstehe.“

„Allerdings müßte der Betreffende nicht tot sein wenn er sich ein bißchen auskennt. Denk daran, es ist mein Beruf, solche Verteidigungsanlagen zu entwerfen, Marj, und erinnere dich, was ich dir vorhin über das System der doppelten Sperre sagte. Einmal angenommen, jemand wühlt sich einen steilen Hang herauf, entdeckt unsere Tür und öffnet sie, wobei er sich sämtliche Fingernägel abbricht — dann ist er noch längst nicht tot. Handelt es sich um einen von uns — denkbar, aber unwahrscheinlich — bedienen wir einen Schalter, der ein kurzes Stück vom Tunnelausgang entfernt verdeckt angebracht wurde. Die Stelle müßte ich dir zeigen. Haben wir es aber mit einem Eindringling zu tun, würde sein Blick sofort auf das Schild: PRIVATBESITZ — BETRETEN STRENG VERBOTEN! fallen. Er ignoriert den Text aber und macht weiter und bekommt wenige Meter weiter dieselbeWarnung akustisch vorgesetzt, mit dem Zusatz, daß hier aktive Verteidigungsanlagen installiert wären.

Der Idiot macht trotzdem weiter. Sirenen und rote Lichter — aber er läßt sich nicht abbringen —, und dann erst muß der arme Ian oder der arme Georges den stinkenden Unrat aus dem Tunnel schaffen. Allerdings nicht nach draußen oder zu uns ins Haus.

Wenn jemand darauf besteht, unsere Wehranlagen zu durchbrechen und sich dabei umbringt, wird sein Körper nicht gefunden werden; er wird als Vermißter gelten. Möchtest du gern wissen, wie das passiert?“

„Ich bin ziemlich sicher, daß ich das nicht wissen muß.“ (Janet, sicher handelt es sich um einen getarnten Nebentunnel mit einer Kalkgrube — und ich wüßte zu gern, wie viele Leichen sich schon darin befinden. Janet wirkt sanftmütig wie die zarte Morgenröte — doch wenn irgend jemand diese verrückten Jahre übersteht, dann sie. Sie ist etwa so rücksichtsvoll wie eine Angehörige der Medici-Familie.)

„Dieser Ansicht bin ich im Grunde auch. Möchtest du dir sonst noch etwas anschauen?“

„Ich glaube nicht, Jan. Zumal ich nicht damit rechne, euer hübsches Versteck jemals benützen zu müssen. Schwimmen wir zurück?“

„Gleich.“ Sie überbrückte die Entfernung, die zwischen uns bestand, und legte mir die Hände auf die Schultern. „Was hast du mir da vorhin zugeflüstert?“

„Das hast du doch gehört!“

„O ja.“ Sie zog mich an sich.

In diesem Augenblick meldete sich das Terminal auf dem Tisch. „Mittagessen ist fertig!“

Jan verzog angewidert das Gesicht. „Spielverderber!“

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