14. Kapitel

Wir standen und saßen in der Küche herum, tranken Highballs, die Ian uns serviert hatte, sprachen miteinander und lauschten doch mit halbem Ohr auf die Meldungen aus dem Terminal.

„Marj“, sagte Ian, „wenn du nur abwarten könntest, wird diese dumme Sache schnell vorbei sein und du kannst dann in aller Gemütlichkeit nach Hause zurückkehren. Gibt es wieder Ärger, kannst du unten im Loch verschwinden. Der schlimmste Aspekt ist, daß du im Haus bleiben müßtest. Unterdessen kann Georges Akte von dir malen, wie Betty angeordnet hat. Wäre dir das recht, Georges?“

„Es wäre mir ein Vergnügen.“

„Was meinst du, Marj?“

„Ian, wenn ich meinem Chef einreden wollte, ich könnte nicht nach Hause kommen, weil eine zweitausendfünfhundert Kilometer lange Grenze angeblich geschlossen war, würde er mir nicht glauben.“ (Sollte ich ihnen sagen, daß ich ausgebildeter Kurier bin?

Nicht nötig. Jedenfalls noch nicht.)

„Was hast du vor?“

„Ich glaube, ich habe euch schon genug Ärger gemacht.“ (Liebster Ian, ich glaube, du hast dich noch immer nicht von dem Schock erholt, daß in deinem Wohnzimmer ein Mann getötet wurde. Auch wenn du dich anschließend zusammengenommen und wie ein Profi mitgeholfen hast.)

„Ich kenne inzwischen euren Hinterausgang. Wenn ihr morgen früh aufsteht, bin ich vielleicht schon nicht mehr hier. Dann könnt ihr diese Störung in eurem Leben getrost vergessen.“

„Nein!“

„Janet, sobald diese Schweinerei beendet ist, rufe ich an. Wenn du es dann noch willst, komme ich gern auf Besuch, sobald ich wieder Urlaub habe. Jetzt aber muß ich fort, zurück zu meiner Arbeit. Ich habe das die ganze Zeit gesagt.“

Janet wollte nichts davon hören, daß ich mich allein daran machte, die Grenze zu knacken (wohingegen ich einen Begleiter etwa so nötig hatte, wie eine Schlange Schuhe braucht). Aber sie hatte einen Plan.

Sie wies darauf hin, daß Georges und ich ja mit den Pässen der anderen reisen könnten — ich sei beinahe so groß wie sie, und Georges entsprach Ians Größe und Gewicht. Die Gesichter paßten zwar nicht, aber die Unterschiede waren auch nicht gravierend — wer schaut sich außerdem Paßphotos gründlich an?

„Ihr könntet sie benutzen und mit der Post zurückschicken — aber das ist vielleicht nicht der einfachste Weg. Ihr könntet nach Vancouver fahren, dann mit Touristenkarten in die Kalifornische Konföderation hinüberwechseln — aber auf unseren Namen. Bis Vancouver schafft ihr es mit unseren Kreditkarten. Wenn ihr die Grenze nach Kalifornien überquert habt, seid ihr so gut wie am Ziel — Marj, deine Kreditkarte müßte dort gelten, du dürftest keine Schwierigkeiten mehr haben, deinen Chef anzurufen, und die Polizisten dort wären nicht darauf aus, euch zu internieren.

Bringt euch dieser Vorschlag weiter?“

„Ja“, bestätigte ich. „Ich glaube, die Täuschung über die Touristenkarte ist sicherer als der Einsatz eurer Pässe — für jeden von uns. Wenn ich an einen Ort gelangen kann, an dem meine Kreditkarten gültig sind, dürften meine Probleme zu Ende sein.“ (Ichwürde mir sofort Bargeld verschaffen und mich nie wieder fern der Heimat ohne genug Geld erwischen lassen — Geld schmiert alles. Besonders in Kalifornien, wo es jede Menge offene Hände gibt, während die Beamten in BritischKanada zuweilen bestürzend ehrlich sind.)

Ich fügte hinzu: „In Bellingham kann ich auch nicht schlechter dran sein als hier — wenn es Probleme gibt müßte ich die weite Strecke in die Lone-Star-Republik zurücklegen und dort die Grenze überschreiten. Hat es Nachrichten gegeben über das Verhältnis zwischen Texas und Chicago? Reden sie noch miteinander?“

„Soweit das aus den Nachrichten zu schließen war ist das Verhältnis in Ordnung“, antwortete Ian. „Soll ich den Computer auf Recherche programmieren?“

„Ja, bitte tu das, ehe ich abreise! Notfalls könnte ich durch Texas nach Vicksburg fahren. Gegen bar kommt man immer den Fluß hinauf, denn dort sind ständig Schmuggler unterwegs.“

„Ehe wir abreisen“, berichtigte mich Georges leise.

„Georges, ich glaube, diese Route könnte klappen für mich. Dich würde sie nur noch weiter von Québec fortführen. Hast du nicht einmal gesagt, McGill wäre deine andere Zuflucht?“

„Meine liebe junge Dame, ich habe nicht die Absicht, mich nach McGill zurückzuziehen. Da die Politik hier, in meiner wahren Heimat, kitzlig geworden ist, kann ich mir nichts Besseres vorstellen, als dich zu begleiten. Sobald wir die Provinz Washington des Staates Kalifornien erreicht haben, kannst du deinen Namen von Mrs. Tormey in Mrs. Perreault ändern da wir wohl davon ausgehen können, daß dort meine Maple-Leaf-Karte wie auch meine Crédit-QuébecKarte Gültigkeit haben werden.“(Georges, du bist ein galanter Schatz — und wenn ich mich durchzuschlängeln versuche, brauche ich einen galanten Begleiter etwa so nötig wie einen Bergwerksstiefel.

Und ich werde Haken schlagen müssen, mein Lieber — denn entgegen Janets Worten werde ich nicht schnell ans Ziel gelangen.) „Georges, das klingt wirklich prächtig.

Ich kann dir nicht befehlen, zu Hause zu bleiben — ich muß dir allerdings sagen, daß ich von Beruf Kurier bin, der jahrelang allein gereist ist, überall auf diesem Planeten und mehr als einmal auch zu den Weltallkolonien und nach Luna. Nur auf Mars oder Ceres war ich noch nicht, aber dieser Befehl kann jederzeit kommen.“

„Damit willst du mir sagen, daß ich dich lieber nicht begleiten soll.“

„Nein, nein! Ich will damit nur sagen, daß es lediglich eine Sache der Geselligkeit sein kann, wenn du dich dazu entschließt, mich zu begleiten. Für dein Vergnügen und für meine Zerstreuung. Aber ich muß hinzufügen — wenn ich das Imperium betrete, muß ich allein weiter, da ich dann sofort wieder im Dienst bin.“

„Marj“, sagte Ian, „du solltest Georges zumindest gestatten, dich von hier in ein Gebiet zu schaffen, in dem nicht davon die Rede sein kann, daß du interniert wirst, und wo deine Kreditkarten gültig sind.“

Janet fügte hinzu: „Wichtig ist vor allem, daß du dich von der Gefahr der Internierung freimachst.

Marjorie, du kannst meine Visa-Karte benutzen, solange du willst; ich nehme solange die Maple-LeafKarte. Denk nur dran, daß du Jan Parker bist.“

„›Parker‹?“

„Die Visakarte ist auf meinen Mädchennamen aus-gestellt. Hier, steck sie ein!“ Ich akzeptierte das Kärtchen und nahm mir gleichzeitig vor, sie nur einzusetzen, wenn ich in Bedrängnis war. Nach Möglichkeit wollte ich meine Kosten dem seligen Lieutenant Dikkey aufbürden, dessen Kredit noch einige Tage, vielleicht sogar Wochen lang gut sein müßte. Nach einigem weiteren Hin und Her sagte ich schließlich:

„Ich gehe jetzt. Georges, kommst du mit?“

„He!“ rief Ian. „Doch nicht heute abend noch! Morgen früh!“

„Warum? Die Tunnelbahnen fahren doch die ganze Nacht hindurch, oder?“ (Ich wußte, daß sie rund um die Uhr in Betrieb waren.)

„Ja, aber bis zur nächsten Tunnelstation sind es gut zwanzig Kilometer. Und draußen ist es so dunkel wie im Kohlenkeller.“

(Dies war nicht der richtige Augenblick, über mein gesteigertes Sehvermögen zu sprechen …) „Bis Mitternacht kann ich die Strecke zu Fuß zurückgelegt haben.

Wenn um zwölf Uhr eine Kapsel fährt, hole ich damit praktisch eine ganze Schlafperiode in Bellingham heraus. Wenn die Grenze zwischen Kalifornien und dem Imperium offen ist, melde ich mich gleich morgen früh bei meinem Chef. So ist es doch besser oder?“

Wenige Minuten später verließen wir alle das Haus — mit der Kutsche. Ian war nicht sonderlich von mir angetan, da ich mich nicht als das entgegenkommende, fügsame Wesen erwiesen hatte, mit dem sich Männer gern abgeben. Aber er überwand seine Gereiztheit, als wir die Kreuzung Perimeter- und McPhillips Street erreichten, wo sich die Tunnelstation befand. Herzlich küßte er mich zum Abschied.Georges und ich drängten uns in die 23-Uhr-Kapsel — und mußten den ganzen Weg durch den Kontinent stehen.

Aber um zweiundzwanzig Uhr (Pazifische Zeit — in Winnipeg war es Mitternacht) hatten wir Vancouver erreicht, nahmen beim Besteigen des BellinghamShuttle die bereitliegenden Anträge auf Touristenkarten an uns, füllten sie unterwegs aus und ließen sie vom Ausgangscomputer bearbeiten, als wir die Shuttle wenige Minuten später verließen. Die dazugehörige Beamtin hob nicht einmal den Kopf, als die Maschine unsere Karten ausspuckte. „Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt“, sagte sie und setzte ihre Lektüre fort.

In Bellingham führt die Vancouver-Shuttle Station direkt ins untere Foyer des Bellingham-Hilton; direkt vor uns schwebte ein funkelndes Schild in der Luft:

DIE FRÜHSTÜCKSBAR

Steaks — Schnellgerichte — Cocktails Frühstück 24 Stunden am Tag „Mrs. Tormey, mein Schätzchen“, sagte Georges, „bei diesem Anblick fällt mir ein, daß wir noch kein Abendessen zu uns genommen haben.“

„Mr. Tormey, Sie haben ja so recht! Verschlingen wir einen Bären!“

„In der Konföderation gibt es nicht gerade eine exotische oder raffinierte Küche. Auf ihre erdverbundene Weise aber kann sie recht zufriedenstellend sein — besonders wenn man sich einen soliden Appetit zugelegt hat. Ich habe schon einmal in diesem Restaurant gespeist. Trotz des Namens bekommt man hiereine reichhaltige Auswahl. Aber wenn du dich mit der Fruhstückskarte zufriedengibst und mich bestellen läßt, kann ich dir etwas vorsetzen, das deinen Hunger auf das Angenehmste aus der Welt schafft.“

„Georges — ich meine: ›Ian‹ — ich habe deine Suppe gegessen. Du darfst jederzeit für mich bestellen!“

Es war wirklich eine Bar, denn Tische gab es nicht.

Die Hocker aber hatten Rückenlehnen und waren gepolstert und erlaubten den Gästen, am Tresen Platz zu nehmen, ohne sich die Knie zu stoßen, was doch sehr bequem war. Als wir uns setzten, wurde zur Begrüßung ein kleiner Apfelsaft vor uns hingestellt. Georges bestellte, ging dann zum Empfang hinüber und tippte uns als Gäste ins Hotel. Als er zurückgekehrt war, sagte er: „Jetzt kannst du mich wieder ›Georges‹ nennen, und du bist ›Mrs. Perreault‹, denn so habe ich uns angemeldet.“ Er griff nach seinem Getränk.

„Santé, ma chère femme.“

Ich ergriff mein Glas. „Merci. Er à la tienne, mon cher mari.“ Der Saft war angenehm kalt und süß wie die Worte, die wir eben ausgesprochen hatten. Zwar hatte ich nicht die Absicht, mir jemals wieder einen Mann zuzulegen, Georges aber hätte einen guten Ehepartner abgegeben, ob nur zum Scherz, wie in diesem Augenblick, oder in Wirklichkeit. Hier jedoch war er lediglich eine Leihgabe Janets.

Unser „Frühstück“ kam.

Eiskalter Yakima-Apfelsaft.

Erdbeeren aus dem Imperial Valley mit frischer Schlagsahne.

Zwei leicht gebratene Spiegeleier auf mittel durchgegrillten Steaks, die so zart waren, daß sie sich mit einer Gabel zerteilen ließen — „Eier auf Pferderücken“.Große heiße Kekse, Butter, Salbei- und KleeblütenHonig.

Kona-Kaffee in Riesentassen.

Kaffee, Saft und Kekse wurden laufend nachgereicht — eine zweite Portion Eier und Steak wurde uns angeboten, wir mußten aber passen.

Der allgemeine Lärm und die Plätze, die wir bekommen hatten, förderten unser Gespräch nicht gerade. Hinter der Bar schimmerte ein Bildschirm, auf dem Werbeanzeigen liefen. Immer wieder fiel mein Blick während des Essens darauf:

Das Freischiff Jack Pot sucht Besatzungsmitglieder auf dem Vegas-Arbeitsmarkt.

Bonus für Kampfveteranen Würde ein Piratenschiff so direkt Reklame machen?

Sogar im Freistaat Vegas? Kaum zu glauben, aber wie sollte man den Text sonst verstehen?

Rauch den Stoff, den auch Jesus qualmte!

ANGEL STICKS

Garantiert nicht krebserzeugend!

Krebs kann mich nicht schrecken, trotzdem sind Rauschgifte oder Nikotin nichts für mich; der Mund einer Frau sollte süß schmecken.

GOTT erwartet dich in Apartment 1208 des Lewis-&-Clark-Gebäudes.

Daß Er dich nicht erst holen muß!

Es würde dir nicht gefallen!Mir gefiel es schon gar nicht.

GELANGWEILT?

Wir wollen auf einem jungfräulichen Planeten vom Typ Z-13 eine Pioniergruppe absetzen. Garantiertes Sex-Ratio 50–40 — 10±2 %. Medianes Bio-Alter 32±1.

Kein Temperamentstest erforderlich. Keine Versteuerung — keine Beiträge — keine Rettung.

System-Expansion Inc.

Abteilung Demographie & Ökologie Hauptpost Luna City, Schließfach oder Tycho 800-2300

Diesen Text holte ich mir noch einmal zurück und las ihn ein zweitesmal. Was für ein Gefühl wäre es Schulter an Schulter mit Kameraden eine neue Welt zu bezwingen? Menschen, die meine Herkunft auf keinen Fall kennen konnten. Denen es auch ganz gleich war, woher ich kam. Meine gesteigerten Fähigkeiten mochten mir Respekt einbringen und mich nicht zum Außenseiter machen — solange ich mich damit nicht brüstete …

„Georges, schau dir das mal an!“

Er kam meiner Aufforderung nach. „Was ist damit?“

„Das könnte doch ganz spaßig sein — oder?“

„Nein! Marjorie, in der T-Kategorie setzt jede Einordnung über acht eigentlich einen großen Bar-Bonus voraus, reichlich Ausrüstung und ausgebildete Kolonisten. Ein Dreizehner ist ein exotischer Weg zum Selbstmord, weiter nichts.“

„Oh.“

„Lies mal lieber das hier!“ sagte er.

W. K. — Mach dein Testament!

Du hast nur noch eine Woche zu leben.

A. C. B.

Ich las den Text. „Georges, ist das wirklich eine Morddrohung an W. K.? In einer öffentlichen Anzeige? Wohin ließe sich das zurückverfolgen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht wäre das gar nicht so ohne weiteres möglich. Ich möchte nur wissen, was wir morgen hier sehen werden — ›sechs Tage‹? Und dann ›fünf Tage‹? Wartet W. K. auf den Todesstoß?

Oder handelt es sich um irgendeine Werbekampagne?“

„Ich weiß es nicht.“ Ich versuchte eine Verbindung zu unserer Notlage herzustellen. „Georges, wäre es möglich, daß die schrecklichen Drohungen im Fernsehen nichts anderes sind als eine komplizierte Vortäuschung, ein gigantischer Streich, der den Nationen gespielt wird?“

„Du meinst, vielleicht wurde überhaupt niemand umgebracht, und die Meldungen waren alle gefälscht?“

„Ich weiß nicht genau, was ich meine.“

„Marjorie, natürlich liegt da irgendwo eine große Täuschung vor — in dem Sinne, daß drei verschiedene Gruppen die Verantwortung auf sich nehmen und folglich zwei Gruppen die Welt hinters Licht führen wollen. Ich glaube nicht, daß die Meldungen von den Hinrichtungen getürkt sind. Wie bei Seifenblasen gibt es eine Obergrenze für die Größe eines solchen Streiches, sowohl hinsichtlich der Zahl der beteiligten Leute als auch im Hinblick auf die Zeit. Die ganze Sache ist zu groß — sie spielt an zu vielen Orten, vor zugroßem Publikum, um nur Theater zu sein. Sonst wären inzwischen auch von allen Seiten die Dementis eingetroffen. Möchtest du noch Kaffee?“

„Nein danke.“

„Sonst noch etwas?“

„Nichts mehr. Noch einen Keks mit Honig, und ich würde platzen!“

Von draußen war es nichts anderes als eine Hotelzimmertür mit der Zahl 2100. Doch als wir über die Schwelle getreten waren, rief ich: „Georges! Warum das?“

„Eine Braut kann eine Brautsuite verlangen.“

„Wunderschön ist es hier. Und luxuriös! Du solltest dein Geld nicht so verschwenden! Ohnehin hast du meine langweilige Reise schon zu einem Vergnügen gemacht. Wenn du aber erwartest, daß ich mich heute nacht wie eine Braut verhalte, hättest du mir nicht Eier auf dem Pferderücken und jede Menge heiße Kekse vorsetzen sollen. Ich platze förmlich und fühle mich ganz und gar nicht verführerisch.“

„Das bist du aber.“

„Lieber Schatz! Georges, bitte veranstalte mit mir keine Spielchen — bitte nicht! Du hast gesehen, wie ich Dickey umbrachte. Du weißt, was ich bin.“

„Ich weiß nur, daß du eine prächtige, mutige, liebenswerte Frau bist.“

„Du weißt genau, was ich meine. Du bist in der Branche. Du hast mich erkannt, erwischt.“

„Du bist in deinen Fähigkeiten gesteigert. Ja, das habe ich gesehen.“

„Also weißt du auch, was ich bin. Ich gebe es zu.

Ich bin sehr geübt darin, meine wahren Fähigkeitenzu vertuschen — aber der Schweinehund hätte Janet nicht mit der Waffe bedrohen dürfen!“

„Nein, das hätte er nicht tun dürfen. Und wegen deines Einspringens stehe ich für immer in deiner Schuld.“

„Du meinst das ernst? Ian ist der Ansicht, ich hätte ihn nicht töten dürfen.“

„Ian reagiert im ersten Augenblick immer etwas konventionell. Dann läßt er sich aber doch überzeugen. Ian ist der geborene Pilot; er denkt mit den Muskeln. Aber, Marjorie …“

„Ich heiße nicht ›Marjorie‹.“

„Wie bitte?“

„Jetzt kannst du ruhig meinen richtigen Namen wissen. Meinen Namen aus der Krippe, meine ich. Ich heiße ›Freitag‹. Einen Nachnamen gibt es natürlich nicht. Wenn ich einen brauche, suche ich mir einen aus, wie er in der Krippe gebräuchlich war. Meistens ›Jones‹. ›Freitag‹ aber ist mein richtiger Name.“

„Und so soll ich dich anreden?“

„Ja, so möchte ich es haben. So werde ich genannt wenn ich mich nicht verstellen muß. Wenn ich unter Leuten bin, denen ich trauen kann. Dir sollte ich auf jeden Fall vertrauen. Oder?“

„Ich fühle mich geschmeichelt und freue mich. Ich will mir Mühe geben, mich deines Vertrauens würdig zu erweisen. Zumal ich sehr in deiner Schuld stehe.“

„Inwiefern?“

„Ich dachte, das läge auf der Hand. Als ich sah was Mel Dickey im Schilde führte, wollte ich mich im ersten Augenblick ergeben, um die anderen nicht in Gefahr zu bringen. Als er dann aber Janet mit seinem Brenner bedrohte, nahm ich mir vor, ihn später ein-mal, wenn ich wieder frei sein würde, aus der Welt zu räumen.“ Georges lächelte kaum. „Dieser Gedanke war mir eben durch den Kopf geschossen, als du mit der Plötzlichkeit eines Racheengels erschienst und meine Absicht in die Tat umsetztest. Nun bin ich dir also was schuldig.“

„Einen Mord?“

„Wenn du willst, ja.“

„Na, so etwas wahrscheinlich nicht. Wie du selbst sagst, bin ich ein gesteigerter Mensch. Ich habe diese Dinge, wenn sie sich nicht umgehen ließen, bisher immer allein erledigen können.“

„Was immer du verlangst, meine liebe Freitag.“

„Ah, ach, zum Teufel, Georges, ich möchte nicht daß du dich mir verpflichtet fühlst! Auf meine Weise liebe ich Janet auch. Der Schweinehund besiegelte sein Schicksal, als er sie mit einer gefährlichen Waffe bedrohte. Ich habe nicht für dich so gehandelt, sondern für mich selbst. Du schuldest mir also gar nichts.“

„Liebste Freitag. Du bist so liebenswert wie Janet.

Das habe ich mit der Zeit erkannt.“

„Warum nimmst du mich dann nicht mit ins Bett und läßt mich für etliche Dinge die Rechnung begleichen? Ich weiß, daß ich kein Mensch bin und erwarte von dir auch nicht daß du mich so liebst wie deine Menschenfrau — eigentlich brauchst du mich überhaupt nicht zu lieben. Aber du scheinst mich zu mögen und behandelst mich nicht wie — nun ja, wie es meine EnEs-Familie getan hat. So wie die meisten Menschen mit KP umgehen. Es würde sich bestimmt für dich lohnen. Ich verstehe mich darauf, wirklich.

Ich habe die entsprechende Ausbildung nicht abge-schlossen, aber die Grundkenntnisse sind weitgehend vorhanden — ich würde mir Mühe geben.“

„Meine Liebe. Wer hat dich denn so gekränkt?“

„Mich? Mir geht es bestens. Ich wollte dir nur klarmachen, daß ich weiß, wie die Welt sich dreht.

Ich bin kein Kind mehr, das es noch lernen muß, ohne die Stütze der Krippe auszukommen. Eine Künstliche Person erwartet von einem normalen Mann keine sentimentale Liebe; das wissen wir beide. Du verstehst das noch viel besser als jeder Laie, du bist in der Branche tätig. Ich respektiere dich und mag dich wirklich. Wenn du es mir gestattest, mit dir ins Bett zu gehen, will ich mir große Mühe geben, dich zu unterhalten.“

„Freitag!“

„Ja, Sir?“

„Du wirst nicht mit mir ins Bett gehen, um mich zu unterhalten!“

Plötzlich schossen mir Tränen in die Augen — was nun wirklich sehr selten passiert. „Tut mir leid, Sir“ sagte ich bedrückt. „Ich wollte dich nicht kränken. Ich wollte niemandes Entscheidung vorwegnehmen.“

„HÖR AUF DAMIT, verdammt!“

„Sir?“

„Hör endlich auf, mich ›Sir‹ zu nennen! Hör auf dich wie ein Sklave zu benehmen! Nenn mich Georges! Wenn du ›Schatz‹ Oder ›Liebling‹ hinzufügen möchtest, wie du es in der Vergangenheit zuweilen getan hast, tu es bitte! Oder beschimpfe mich! Behandle mich wie deinen Freund! Dieser Riß zwischen ›Menschen‹ und ›Nichtmenschen‹ ist von ahnungslosen Laien erdacht worden; in der Branche weiß jeder daß das totaler Unsinn ist. Deine Gene sind menschli-che Gene; sie sind mit größter Sorgfalt ausgesucht worden. Vielleicht macht dich das zum Übermenschen; auf keinen Fall aber zum Nichtmenschen. Bist du fruchtbar?“

„Äh — widerruflich steril.“

„Mit örtlicher Betäubung könnte ich das in zehn Minuten ändern. Und dich schwängern. Würde unser Baby ein Mensch sein? Oder ein Nichtmensch? Oder nur ein halber Mensch?“

„Äh … ein Mensch.“

„Darauf kannst du dein Leben verwetten! Und ein menschliches Baby setzt eine Menschenmutter voraus. Daß du mir das nie vergißt!“

„Also, das vergesse ich bestimmt nicht.“ Tief im Innern spürte ich ein seltsames Kribbeln. Es hatte mit Sex zu tun, war aber ein Gefühl, wie ich es bisher noch nicht erlebt hatte, obwohl ich da ziemlich eingefahren bin. „Georges, möchtest du das? Mich schwängern?“

Er starrte mich verblüfft an. Dann kam er auf mich zu, hob mein Gesicht, indem er mir einen Finger unter das Kinn schob, legte die Arme um mich und begann mich zu küssen. Auf einer Zehnerskala hätte ich die Note achteinhalb oder auch neun vergeben müssen — in senkrechter Stellung und mit voller Bekleidung ist mehr auch gar nicht möglich. Dann nahm er mich hoch, begab sich zu einem Stuhl, setzte sich wobei ich auf seinem Schoß landete, und begann mich bedächtig und liebevoll auszuziehen. Janet hatte darauf bestanden, mir Kleidung aus ihren Schränken mitzugeben, so trug ich denn interessantere Dinge am Leibe als einen einfachen einteiligen Anzug. Das Superhaut-Gewand, das Janet frisch gewaschen hatte,befand sich in meinem Köfferchen.

Während Georges die Reißverschlüsse und Knöpfe und Haftverschlüsse öffnete, sagte er: „Diese zehn Minuten müßten wir in meinem Labor zubringen und es würde noch etwa einen Monat dauern, bis du zum erstenmal wirklich fruchtbar wärst, und diese Kombination von Umständen bewahrt dich vor einem dicken Bauch — denn solche Bemerkungen lassen einen Mann hochgehen wie einen Stier, der von einer spanischen Fliege gestochen wurde. Die Folgen deiner Torheit bleiben dir also erspart. Statt dessen werde ich dich mit ins Bett nehmen und mir Mühe geben dich zu unterhalten — obwohl ich da auch keine abgeschlossene Ausbildung vorweisen kann. Aber wir werden uns etwas ausdenken, meine liebe Freitag.“

Er hob mich hoch und ließ das letzte Stück meiner Kleidung zu Boden fallen. „Du siehst gut aus. Du fühlst dich gut an. Du riechst gut. Möchtest du als erste ins Bad? Ich brauche eine Dusche.“

„Ich gehe lieber als zweite, da ich Zeit brauche.“

Und das stimmte auch, denn ich hatte nicht übertrieben, als ich ihm sagte, ich fühlte mich aufgedunsen. Ich kenne mich auf Reisen aus und achte darauf den beiden schlimmsten Katastrophen für jeden Reisenden aus dem Weg zu gehen. Das ausgefallene Abendessen, gefolgt von dem riesigen „Frühstück“ um Mitternacht, hatte meinen Zeitplan etwas durcheinandergebracht. Wenn ich Druck auf Brust — und Bauch — bekommen sollte, wurde es Zeit, die zusätzliche Rundung loszuwerden.

Es war zwei Uhr durch, als ich das Badezimmer verließ — gebadet, abgeschlackt, mit sauber ausgewaschenem Mund und frisch riechendem Atem, bereitund aufgekratzt wie nur je in meinem Leben. Kein Parfum — ich habe grundsätzlich keins dabei nicht zuletzt weil die Männer fragrans femina allen anderen anregenden Düften vorziehen, auch wenn ihnen das nicht bewußt ist.

Georges lag im Bett, züchtig zugedeckt — und schlief. Der Zeltpfosten stand nicht, wie ich mit einem schnellen Blick feststellte. Sehr vorsichtig kroch ich zu ihm unter die Decke und schaffte es, ihn nicht zu wecken. Ehrlich, ich war nicht enttäuscht, da ich im Grunde nicht so egoistisch bin. Ich war ziemlich zuversichtlich, daß er mich mit neuerwachten Kräften aus dem Schlaf holen würde und wir beide dann noch mehr davon hätten — auch ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir.

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