KAPITEL 3

Und so brachen wir auf.

Noch fremdartiger als selbst das Schiff und seine Ankunft war, wie wir uns einschifften. Dort ragte das Ding auf wie eine stählerne Klippe, von einem Zauberer zu einem scheußlichen Zweck geschmiedet. Auf der anderen Seite der Dorfwiese lag Ansby, schindelgedeckte Hütten und ausgefahrene Straßen, grüne Felder unter dem fahlen englischen Himmel. Das Schloß selbst, einst die ganze Szene beherrschend, wirkte eingeschrumpft und grau.

Und über die Rampen, die wir von weit oben herunter­gelassen hatten, hinein in die schimmernde Säule, drängte sich unser rotgesichtiges. schwitzendes Volk.

Hier grölte John Hameward, den Bogen über der einen Schulter und eine Kneipendirne kichernd an der anderen. Dort schritt ein Freibauer, bewaffnet mit einer rostigen Axt, die vielleicht schon bei Hastings geschwungen worden war, in geflicktes Baumwolltuch gekleidet, vor einer keifenden Frau her, die ihr Bettzeug und den Kochtopf trug und an deren Röcken sich ein halbes Dutzend Kinder festklammerten. Hier versuchte ein Armbrustschütze ein starrsinniges Maultier dazu zu bringen, die Gangway hin­aufzuklettern, und die Flüche, die er ausstieß, trugen sei­nem Konto so manches Jahr im Fegefeuer ein. Dort trieb ein junger Bursche ein Schwein, das sich irgendwie befreit hatte. Hier scherzte ein prunkvoll gekleideter Ritter mit einer schönen Lady. die einen Falken mit Kappe auf dem Handgelenk trug. Dort zählte ein Priester die Perlen an seinem Rosenkranz, während er zweifelnd in den eisernen Schlund trat. Hier muhte eine Kuh, dort blökte ein Schaf, hier schüttelte eine Ziege die Hörner, und dort gackerte eine Henne. Alles zusammengezählt gingen etwa zweitausend Seelen an Bord.

Das Schiff nahm alle spielend auf. Jeder wichtige Mann konnte eine Kabine für sich und seine Lady bekommen — denn einige hatten Frauen oder Buhlerin­nen nach Ansby Castle mitgebracht, um aus ihrer Abreise nach Frankreich einen eher gesellschaftlichen Anlaß zu machen. Das gemeine Volk breitete sich in den leeren Laderäumen Strohsäcke aus. Das arme Ansby blieb fast völlig verlassen zurück, und ich frage mich oft, ob es noch existiert.

Sir Roger hatte Branithar das Schiff bei einigen Probe­flügen bedienen lassen. Es hatte sich glatt und lautlos in den Himmel erhoben, als er an den Rädern, Hebeln und Knöpfen im Kontrollturm hantierte. Die Steuerung war kindisch einfach, obwohl wir gewissen Scheiben mit heidnischen Inschriften, über die Nadeln zuckten, keinen Sinn entnehmen konnten. Durch mich erklärte Branithar Sir Roger, daß das Schiff seine Antriebskraft von der Zer­störung von Materie bezog, eine wahrhaft abscheuliche Vorstellung, und daß seine Motoren es hoben und antrie­ben, indem sie die Anziehung der Erde in ausgewählten Richtungen auflösten. Das war sinnlos — Aristoteles hat sehr klar dargelegt, wie die Dinge zu Boden fallen, weil es ihre Natur ist zu fa llen, und ich halte nichts von un­logischen Ideen, denen sich Wirrköpfe so leicht hingeben.

Trotz seiner Vorbehalte schloß sich der Abt, Pater Simon, an und segnete das Schiff. Wir nannten es Kreuz­fahrer. Obwohl wir nur zwei Kaplane mitnahmen, hatten wir uns auch eine Locke vom Haar des heiligen Benedikt ausgeborgt, und alle, die wir uns einschifften, hatten die Beichte abgelegt und Absolution erhalten. So nahm man allgemein an, daß wir vor geistlicher Gefahr sicher waren, wenn ich auch daran meine Zweifel hatte.

Man wies mir eine kleine Kabine neben der Flucht zu, in der Sir Roger mit seiner Lady und ihren Kindern wohnte. Branithar wurde in einem nahe liegenden Raum bewacht. Meine Pflicht bestand darin, zu übersetzen und die Unterweisung des Gefangenen im Lateinischen ebenso wie die Erziehung des jungen Robert fortzuführen und daneben als Amanuensis meines Herrn tätig zu sein.

Doch bei der Abreise befanden sich Sir Roger, Sir Owain, Branithar und ich im Kontrollturm. Er war fen­sterlos wie das ganze Schiff, aber er enthielt Glasschei­ben, auf denen Bilder der Erde unter uns und des Him­mels, der uns umgab, erschienen. Ich schauderte und betete meinen Rosenkranz, denn Christenmenschen ist es verboten, in die Kristallkugeln indischer Zauberer zu sehen.

»Nun denn«, sagte Sir Roger, und sein hakennasiges Gesicht lachte mich an, »hinweg denn! Wir werden bin­nen einer Stunde in Frankreich sein!«

Er setzte sich vor das Brett mit den Hebel und Rädern. Branithar sagte schnell zu mir: »Die Probeflüge reichten nur für ein paar Meilen weit. Sag deinem Meister, daß für eine Reise dieser Länge gewisse Sondervorbereitungen getroffen werden müssen.«

Sir Roger nickte, als ich das weitergab. »Wohlan denn, dann soll er sie treffen.« Sein Schwert glitt aus der Scheide. »Aber ich werde unseren Kurs auf den Scheiben beobachten. Beim ersten Anzeichen von Verrat.«

Sir Owain runzelte die Stirn. »Ist das weise, Mylord?« fragte er. »Das Tier…«

»...Ist unser Gefangener. Ihr seid zu voll mit keltischem Aberglauben, Owain. Laßt ihn beginnen.«

Branithar setzte sich. Das Mobiliar des Schiffs, Stühle und Tische, Betten und Schränke waren für uns Men­schen etwas klein — und schlecht entworfen, ohne auch nur einen einzigen geschnitzten Drachen als Ornament. Aber wir kamen mit ihnen zurecht. Ich beobachtete den Gefangenen aufmerksam, als seine blauen Hände über das Brett huschten.

Ein tiefes Brummen durchlief das Schiff. Ich spürte nichts, aber der Boden auf den unteren Scheiben schrumpfte plötzlich zusammen. Das war Hexerei; viel lieber wäre mir der übliche Stoß nach hinten gewesen, wie man ihn in Fahrzeugen spürt, wenn sie sich in Bewe­gung setzen. Ich kämpfte gegen meinen Magen an und starrte in das Abbild des Himmels, das sich in den Schei­ben widerspiegelte. Es dauerte nicht lange, und wir flogen zwischen den Wolken, die sich als hochfliegender Nebel erwiesen. Dies zeigt ganz klar die wundersame Kraft Got­tes, denn es ist bekannt, daß die Engel häufig auf den Wolken sitzen und dabei nicht naß werden.

»Jetzt südwärts«, befahl Sir Roger.

Branithar brummte, drehte an einer Scheibe und legte eine Stange um. Ich hörte das Klicken eines Schlosses. Die Stange blieb unten.

Höllischer Triumph funkelte in den gelben Augen. Branithar sprang von seinem Sitz und knurrte mich an:

»Consumati estis!« Sein Latein war sehr schlecht. »Ihr seid erledigt! Ich habe euch gerade in den Tod geschickt!«

»Was?« rief ich.

Sir Roger fluchte, er hatte halb verstanden und warf sich auf den Wersgor. Aber der Anblick, der sich ihm auf den Scheiben bot, ließ ihn innehalten. Das Schwert ent­fiel klirrend seiner Hand, und Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn.

Es war wahrhaft schrecklich. Die Erde schrumpfte unter uns zusammen, als stürze sie in einen großen Brun­nen. Über uns wurde der blaue Himmel dunkel, die Sterne funkelten. Und doch war die Nacht noch nicht angebrochen, denn in einer Scheibe leuchtete die Sonne, heller denn je! Sir Owain schrie etwas auf walisisch. Ich fiel auf die Knie.

Branithar schoß auf die Tür zu. Sir Roger wirbelte herum und packte ihn an seinem Umhang. Sie fielen beide zu Boden. Sir Owain war vom Schrecken wie gelähmt, und ich konnte den Blick nicht von der schrecklichen Schönheit des Schauspiels reißen, das uns umgab. Die Erde schrumpfte so winzig zusammen, daß sie nur eine Scheibe füllte. Sie war blau, von Bändern umgeben, mit dunklen Flecken und rund. Rund!

Eine neue und tiefere Note mischte sich in das dumpfe Dröhnen. Neue Nadeln an dem Kontrollbrett erwachten ruckend zum Leben. Plötzlich bewegten wir uns, unsere Geschwindigkeit nahm ungeheuer schnell zu. Eine völlig andere Gruppe von Maschinen, die nach völlig unbe­kannten Prinzipien funktionierten, war angelaufen.

Ich sah den Mond vor uns anschwellen. Und während ich noch hinstarrte, passierten wir ihn so nahe, daß ich Berge und Pockennarben auf ihm sehen konnte, gesäumt von ihren eigenen Schatten. Aber das war unvorstellbar! Alle wußten, daß der Mond ein perfekter Kreis war. Schluchzend versuchte ich, diesen Lügner von einer Sichtscheibe zu zerbrechen, konnte es aber nicht.

Sir Roger überwältigte Branithar und streckte ihn halb bewußtlos auf dem Deck aus. Der Ritter erhob sich schwer atmend. »Wo sind wir?« keuchte er. »Was ist geschehen?«

»Wir steigen hinauf«, stöhnte ich. »Immer höher und höher.« Ich hielt mir die Ohren zu, um nicht das Gehör zu verlieren, wenn wir gegen die erste der Kristallsphären prallten.

Nach einer Weile, als nichts passiert war, schlug ich die Augen wieder auf und sah erneut hin. Erde und Mond wichen jetzt beide nach hinten zurück, nicht viel mehr als ein Doppelstern, blau und golden. Die echten Sterne flammten hart und starr vor einem Hintergrund aus unendlicher Schwärze. Mir schien es, als nähme unsere Geschwindigkeit immer noch zu.

Sir Roger unterbrach meine Gebete mit einem Fluch. »Zuerst müssen wir uns um diesen Verräter kümmern!« Er trat Branithar in die Rippen. Der Wersgor richtete sich auf und funkelte ihn herausfordernd an.

Ich nahm meinen ganzen Witz zusammen und sagte auf lateinisch zu ihm: »Was hast du getan? Wenn du uns nicht sofort zurückbringst, wirst du unter der Folter ster­ben.«

Er richtete sich auf, verschränkte die Arme und musterte uns mit bitterem Stolz.

»Hast du denn gedacht, ihr Barbaren wäret einem zivi­lisierten Geist gewachsen?« antwortete er. »Macht mit mir, was ihr wollt. Die Rache wird über euch kommen, wenn ihr das Ende der Reise erreicht.«

»Aber was hast du getan?«

Sein etwas verschrammter Mund grinste. »Ich habe das Schiff der Kontrolle seines Automatenpiloten unterwor­fen. Es steuert sich jetzt selbst. Alles ist automatisch — das Verlassen der Atmosphäre, das Umschalten in Translicht-Quasigeschwindigkeit, der Ausgleich der opti­schen Effekte, die Aufrechterhaltung künstlicher Schwer­kraft und andere Umweltfaktoren.«

»Nun, dann schalte die Maschine ab!«

»Das kann niemand. Ich könnte es jetzt selbst nicht tun, jetzt, da die Stange verriegelt ist. Sie wird unten blei­ben, bis wir Tharixan erreichen. Und das ist die nächste von meinem Volk besiedelte Welt!«

Ich versuchte vorsichtig, die Kontrollen zu bewegen. Das war nicht möglich. Als ich es den Rittern sagte, stöhnte Sir Owain laut. Aber Sir Roger sagte grimmig:

»Wir werden herausfinden, ob das die Wahrheit ist oder nicht. Zumindest wird das Verhör Strafe für seinen Verrat sein!«

Durch mich antwortete Branithar voll Verachtung: »Laßt euren Groll an mir aus, wenn ihr müßt. Ich habe keine Angst vor euch. Aber ich sage, selbst wenn ihr mei­nen Willen brecht, wäre es nutzlos. Die Rudereinstellung kann jetzt weder verändert noch das Schiff angehalten werden. Die Verriegelung ist für Situationen bestimmt, in denen man ein Schiff ohne jemanden an Bord irgendwo­hin schicken muß.« Nach einem Augenblick fügte er ernsthaft hinzu: »Ihr müßt aber begreifen, daß ich keinen Groll gegen euch hege. Ihr seid unvernünftig, aber ich könnte fast die Tatsache bedauern, daß wir eure Welt für uns brauchen. Wenn ihr mich verschont, werde ich Für­sprache für euch einlegen, wenn wir nach Tharixan kom­men. Vielleicht schenkt man euch zumindest euer Leben.«

Sir Roger strich sich nachdenklich über das Kinn. Ich hörte das Knistern seiner Stoppeln, obwohl er sich erst am letzten Donnerstag rasiert hatte. »Ich nehme an, das Schiff wird sich wieder steuern lassen, wenn wir diesen Zielort erreichen«, sagte er. Ich war erstaunt, wie kühl er das nach dem ersten Schock hinnahm. »Könnten wir dann nicht umkehren und nach Hause zurückkehren?«

»Ich werde euch niemals führen!« antwortete Branithar darauf. »Und alleine, unfähig, unsere Navigationsbücher zu lesen, würdet ihr den Weg nie finden. Wir werden wei­ter von eurer Welt entfernt sein, als das Licht in tausend eurer Jahre durchmessen kann.«

»Du könntest wenigstens so höflich sein, unsere Intelli­genz nicht zu beleidigen«, ereiferte ich mich. »Ich weiß genausogut wie du, daß das Licht unendliche Geschwin­digkeit besitzt.«

Er zuckte die Achseln.

In Sir Rogers Auge blitzte es auf. »Wann werden wir eintreffen?« fragte er.

»In zehn Tagen«, informierte uns Branithar. »Es liegt nicht an den Entfernungen zwischen den Sternen, so groß sie auch sind, daß wir eure Welt erst so spät erreicht haben, denn wir haben uns seit zwei Jahrhunderten aus­gedehnt. Es liegt an der schieren Zahl der Sonnen.«

»Mhm. Wenn wir eintreffen, steht uns dieses schöne Schiff zur Verfügung, mit seinen Bombardon und den Handwaffen. Die Wersgorix könnten unseren Besuch bedauern!«

Ich übersetzte das für Branithar, worauf dieser antwor­tete: »Ich rate euch aufrichtig, euch sofort zu ergeben. Zugegeben, diese Feuerstrahler, die wir haben, können einen Mann töten oder eine Stadt in Schutt und Asche legen. Aber ihr werdet sie nicht benutzen können, weil wir Schirme aus schierer Energie haben, die jeden Strahl dieser Art aufhalten. Das Schiff ist nicht so geschützt, da die Generatoren eines Kraftfeldes dafür zu schwer sind. So können die Kanonen der Festung nach oben schießen und euch zerstören.«

Als Sir Roger das hörte, meinte er nur: »Nun, wir haben zehn Tage Zeit, um darüber nachzudenken. Wir wollen das geheimhalten. Niemand kann aus dem Schiff heraussehen, außer von diesem Ort aus. Ich werde mir irgendeine Geschichte einfallen lassen, die die Leute nicht zu sehr beunruhigt.«

Er ging hinaus, und sein Umhang flatterte hinter ihm wie mächtige Schwingen.

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