»Also«, begann Gurk, nachdem er den Wagen in eine schmale Seitenstraße und mit erstaunlichem Geschick in den Schutz einer Toreinfahrt bugsiert hatte. »Was um alles in der Welt tut ihr hier? Und wo habt ihr den aufgelesen?« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Leßter, der lang ausgestreckt und fiebernd auf der Rückbank des Wagens lag. Charity hatte versucht, ihm eine schmerzstillende Tablette aus dem Erste-Hilfe-Päckchen ihres Anzuges einzuflößen, aber keinen Erfolg damit gehabt. Sie war sehr sicher, daß Leßter sterben würde. Sein Zustand verschlechterte sich von Minute zu Minute. Es war kaum verständlich, daß er überhaupt noch lebte.
»Die Frage könnten wir auch stellen«, sagte Skudder. Mit finsterem Gesichtsausdruck fügte er hinzu: »Wenn man bedenkt, daß du angeblich nicht einmal weißt, warum wir hier sind, dann hast du uns ziemlich schnell und präzise geholfen.«
Gurk zog eine Grimasse und streckte dem Hopi die Zunge heraus. »Der große rote Medizinmann glaubt, der kleine weiße Mann hätte ihn verraten, wie?« fragte er spöttisch.
Skudder blieb völlig ernst. Er sagte nichts, aber sein Blick sprach Bände. Und nach einer Weile wandte sich Gurk seufzend von ihm ab und sah zu Charity hoch. »Stone hat mir eine wilde Geschichte erzählt. Ich muß gestehen, ich habe sie bis zuletzt nicht so recht geglaubt. Aber jetzt seid ihr hier.«
Charity warf einen nervösen Blick aus dem Fenster auf die Straße hinaus. Sie hatten sich dem gigantischen Doppelturm des World Trade Center bis auf zwei Blocks genähert und sie waren auf immer mehr Moroni gestoßen; aber auch auf Menschen, wie Stone behauptet hatte. Niemand hatte sie aufgehalten. Die einzige Notiz, die man von dem Luftkissenfahrzeug genommen hatte, hatte darin bestanden, daß Menschen und Insektenkreaturen ihnen respektvoll Platz machten.
»Wie kommst du zu diesem Fahrzeug?« fragte Charity.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Gurk.
»Dann erzähl sie«, forderte ihn Skudder auf.
Gurk schüttelte heftig den Kopf. »Zuerst ihr«, sagte er. »Vielleicht weiß ich danach, ob ich Stone glauben kann oder nicht.«
Charity ließ sich in die weichen Polster des Sitzes zurücksinken und genoß für volle Sekunden das Gefühl, einmal nicht in Lebensgefahr zu sein und fliehen zu müssen. Es war eine trügerische Sicherheit, die nicht lange anhalten würde, das war ihr klar - obwohl sie sich seit Stunden in einer Situation befanden, die einfach nicht schlimmer werden konnte, stand ihnen der wirklich schwierige Teil ihrer Aufgabe noch bevor.
»Es ist eine Menge passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, begann sie mit erschöpfter, leiser Stimme.
»Das weiß ich«, antwortete Gurk. »Was ist mit Kyle und dem Mädchen? Haben sie es überlebt?«
»Überlebt...?« Charity zuckte mit den Schultern. Dann deutete sie fast widerwillig ein Nicken an. Sie hatte weder von Kyle noch von dem Mädchen wieder etwas gehört, seit sie den Megamann das letzte Mal in der Ruine des Kölner Doms gesehen hatte. Aber irgendwie spürte sie, daß er noch lebte. Manchmal hatte sie sogar das absurde Gefühl, daß er ganz in ihrer Nähe war.
»Ich glaube, ja«, antwortete sie. »Du weißt, daß Stone mit mir gesprochen hat, nachdem er dich eingefangen hatte?«
Gurk nickte und schwieg.
»Mir geht es so ähnlich wie dir«, fuhr Charity fort. »Ich bin bis jetzt nicht sicher, ob ich ihm wirklich glauben kann. Aber bisher war alles wahr, was er erzählt hat.«
»Ich weiß«, knurrte Gurk. Er sprach plötzlich auf eine Art, als bereite ihm das, was er sagte, Unbehagen. »Es sieht so aus, als hätte dein alter Freund plötzlich sein Gewissen entdeckt.«
»Kaum«, antwortete Charity überzeugt. »Er hat schlicht und einfach Angst. Irgend etwas muß passiert sein, um ihn davon zu überzeugen, daß er doch auf der falschen Seite steht.«
»Ich glaube, ich kann dir auch sagen, was«, sagte Gurk. Er machte eine rasche Handbewegung. »Aber zuerst du.«
»Er hat mir gesagt, wie wir diese verdammte Nova-Bombe vernichten können«, sagte Charity.
Gurk schien kein bißchen überrascht. Er sah sie nur sehr aufmerksam an.
»Ich weiß nicht, warum«, fuhr Charity fort. Sie war ein wenig enttäuscht, daß Gurk sich weiterhin in Schweigen hüllte, denn sie spürte genau, daß der Gnom etwas wußte. Etwas von großer Wichtigkeit. Sie lachte bitter. »Es wäre fast komisch, wenn es nicht so grausam wäre - wir waren nahe daran, aufzugeben.«
»Du und aufgeben?« Gurk grinste. »Entschuldige, aber diese beiden Worte passen irgendwie nicht zueinander.«
»Man sollte keinen Kampf kämpfen, den man nicht gewinnen kann«, antwortete Charity ernst. »Waren das nicht deine eigenen Worte? Ich bin nicht sicher, ob wir sie schlagen können, aber wir haben zumindest eine gute Chance, es zu versuchen. Aber wozu, wenn alles, was wir damit erreichen können, die Vernichtung dieses ganzen Sonnensystems ist?«
»Hat er dir das gesagt?« fragte Gurk lauernd.
»Das hast du mir gesagt«, sagte Charity betont. »Es sei denn, du hättest gelogen, als du mir die Geschichte deines Volkes erzählt hast.«
»Das habe ich nicht«, antwortete Gurk. »Aber es gab ein paar Dinge, die ich damals noch nicht wußte.«
»Es gibt diese Bombe«, fuhr Charity fort. »Und es gibt die eiserne Regel Morons, das, was es nicht haben kann, zu zerstören. Aber Stone hat uns gesagt, wie wir sie entschärfen können.«
»Und gleichzeitig den Transmitter am Nordpol ausschalten, so daß sie keinen Nachschub mehr bekommen«, vermutete Gurk.
»Ja. Das ist das kleinste Problem. In Hartmanns Basis liegen noch ein paar Spielzeuge aus unserer großen Vergangenheit herum, weißt du?« fügte sie sarkastisch hinzu.
»Nicht sehr viel, verglichen mit dem, was es einmal war, aber mehr als genug, um dieses Sternenschiff mitsamt dem Transmitter zurück in die Galaxis zu sprengen.«
»Das klingt beinahe zu einfach«, sagte Gurk.
»Genau dasselbe habe ich auch gedacht«, antwortete Charity. »Aber manchmal sind gerade die großen Dinge einfach. Davon abgesehen - es war nicht besonders leicht, hierher zu kommen.«
»Und wir sind noch nicht am Ziel«, fügte Skudder hinzu. »Ich bin auch nicht sehr sicher, daß wir es jemals erreichen.«
»Ich kann mich ja täuschen«, sagte Gurk, »aber ich finde, daß das hier nicht der richtige Weg zum Nordpol ist. Und auch nicht zur Sonne.«
»Es ist der Weg, den Stone mir beschrieben hat«, antwortete Charity. Sie deutete auf die beiden goldschimmernden Türme des World Trade Centers, die die Dächer der gegenüberliegenden Häuser überragten wie künstlich gemauerte Berge. »Dort drinnen befindet sich das Rechenzentrum der Moroni. Sozusagen ihr elektronisches Gehirn. Und ein Transmitter, der uns zum Satelliten bringt.«
»Humbug!« antwortete Gurk überzeugt. »Es gibt nur einen einzigen Transmitter, dessen Reichweite groß genug ist - und der steht in der Schwarzen Festung am Nordpol.«
»Stone hat versprochen, die Geräte so zu programmieren, daß wir direkt zu unserem Ziel gelangen«, antwortete Charity. »Du glaubst, er hätte uns belogen?«
Gurk druckste einige Sekunden lang herum. »Ich weiß es nicht«, sagte er dann. »Wie ich Stone kenne, würde ich eigentlich automatisch ja sagen. Aber wenn ich daran denke, wieviel Porzellan ihr auf dem Weg hierher zerschlagen habt, dann ergibt das keinen Sinn. Um euch in eine Falle zu locken, gäbe es einfachere Wege.«
»Vielleicht macht es ihm Spaß?« vermutete Skudder.
Gurk warf ihm einen schrägen Blick zu. »Was? Zuzusehen, wie ihr die halbe Stadt in Schutt und Asche legt, und seinen eigenen Hals zu riskieren, indem er mir zur Flucht verhilft?« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Er hat euch belogen, aber nur in einem Punkt.«
»Welchem?«
»Über den Grund eures Hierseins«, sagte Gurk. »Er hat nämlich nicht ganz plötzlich sein Gewissen entdeckt. Ich glaube nicht, daß er so etwas hat. Er hat schlicht und einfach Angst. Und mit Grund.«
Sowohl Charity als auch Skudder sahen den Zwerg plötzlich alarmiert an. Und Gurk konnte der Versuchung nicht widerstehen, eine übertrieben lange, dramatische Pause einzulegen und mit leicht erhobener Stimme fortzufahren.
»Ich hab' eine Menge gelernt in den letzten drei Monaten. Ich habe viel mit Stone gesprochen, und ich habe das eine oder andere aufgeschnappt. Was ich euch über das Schicksal meiner Heimatwelt erzählt habe, ist wahr. Aber in einem Punkt habe ich mich getäuscht - die Moroni installieren diese Sonnenbomben nicht, weil sie Angst vor Rebellen und Aufständen haben. Jedenfalls nicht so, wie ich bisher dachte.«
»Was soll das heißen?« fragte Skudder ungeduldig. »Mach es nicht so spannend!«
»Tu ich ja gar nicht«, antwortete Gurk beleidigt. »Du unterbrichst mich doch dauernd, oder?«
Skudder beugte sich vor und schüttelte drohend eine Faust vor Gurks Gesicht, die nicht sehr viel kleiner als dessen Kopf war. Gurk hob abwehrend die Hände und rutschte ein Stück weit tiefer in seinen Sitz hinein. »Schon gut, schon gut«, sagte er. »Dann eben die Kurzfassung. Sie haben Angst vor einem Aufstand, aber es sind ihre eigenen Kinder, die sie fürchten. Nicht Ihr.«
Skudders Gesichtsausdruck nach zu schließen, verstand er nun überhaupt nichts mehr. Aber Charity warf einen langen, nachdenklichen Blick auf den reglosen Leßter auf der Rückbank, und plötzlich mußte sie wieder an das denken, was sie in den Ruinen Kölns erlebt hatten. Da war etwas, ein Gefühl, fast schon so etwas wie Wissen, das die ganze Zeit über in ihr gewesen war, das sie aber noch nicht richtig greifen konnte.
»Die Armee Morons geht immer gleich vor«, begann Gurk. »Sie überrennen den Widerstand eines Planeten, indem sie einfach mehr und mehr Truppen heranschaffen, ganz egal, wie hoch ihre Verluste sind. Sie scheinen es sich leisten zu können - wenn Stone nicht schamlos übertrieben hat, dann müssen sie mittlerweile Zehntausende von Welten unterworfen haben. Was geschieht, ist immer dasselbe - dasselbe, was auch hier geschehen ist. Sie unterwerfen einen Planeten und versklaven die Überlebenden ihres Angriffs. Aber ich war bisher der Meinung, sie täten es nur aus bloßer Habgier. Um die eroberten Welten auszubeuten.«
»Und das ist nicht so?« fragte Skudder.
Gurk machte eine Bewegung, die wie eine komplizierte Mischung aus einem Nicken, einem Kopf schütteln und einem Achselzucken war. »Ja und nein«, antwortete er. »Einerseits natürlich schon. Sie beuten die Planeten aus, bis absolut nichts mehr zu holen ist. Moron hat einen ungeheuren Bedarf an Rohstoffen, Erz, Mineralien, spaltbarem Material, Edelmetallen ... Aber das ist nicht alles. Wahrscheinlich könnten sie das bequemer und vor allem mit sehr viel weniger Aufwand haben, wenn sie unbewohnte Planeten suchen und ausbeuten würden. Was sie brauchen, ist Lebensraum.«
Seine Worte überraschten Charity nicht besonders. Sie alle hatten gesehen, was die Invasoren mit der City des ehemaligen Paris getan hatten. Sie hatten nicht nur sich selbst und ihre Krieger und Waffen, sondern einen Teil ihrer gesamten Ökologie herbeigeschafft und begonnen, aus der Erde einen fremden, für Menschen fast unbewohnbaren Planeten zu machen. Und dies geschah nicht nur in Paris, sondern an Hunderten, vielleicht Tausenden von Orten überall auf der Welt. Es war ein mühsamer, langwieriger Prozeß, der sicher noch Jahrhunderte währen mochte, aber die Moroni waren ein Volk, das nicht in Meilen, sondern in Lichtjahren rechnete, nicht in Jahren, sondern in Jahrtausenden.
»Sie besiedeln die Planeten, die sie erobert haben«, fuhr Gurk fort. »Das Nest in Paris und das in Köln sind nicht die einzigen. Überall sind Ameisen-Königinnen dabei, die Kolonien zu vergrößern. Sie sind ein ungeheuer fruchtbares Volk. Und sie können nicht aufhören, sich zu vermehren. Das ist der wahre Grund für ihren Eroberungsfeldzug. Sie brauchen Lebensraum.«
»Das ist alles nicht besonders neu«, sagte Skudder, obwohl sein Gesichtsausdruck verriet, daß ihn das Gehörte bis ins Innerste erschütterte.
»Ich weiß«, antwortete Gurk. »Aber manchmal kommt es zu einer kleinen Panne. Manchmal gehen die Königinnen mit den Ureinwohnern einer eroberten Welt eine Art Symbiose ein. Meistens sind diese Verbindungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber es kommt vor, daß sie doch funktionieren, und dann entsteht eine völlig neue Spezies.«
»Die Jared«, murmelte Charity. »Das Nest in Köln...«
»Ein Sprung«, sagte Gurk nickend. »Sie nennen es so. Die Jared sind nichts anderes als die Verbindung zwischen einer Ameisen-Königin und menschlichem Erbgut.«
»Aber das ist völlig ausgeschlossen«, protestierte Charity.
»Warum sagst du das nicht ihnen statt mir?« gab Gurk knurrig zurück. »Irgendwie scheinen sie es nicht gemerkt zu haben.« Er wurde sofort wieder ernst. »Es ist nicht das erste Mal, daß so etwas geschieht. Es kommt selten vor, aber es kommt vor - ich glaube, es handelt sich wirklich um eine Art Evolutionssprung. Die Moroni fürchten diesen Moment wie den Teufel. Sie haben bisher noch jeden Planeten verloren, auf dem es dazu gekommen ist.«
»Aber wieso?« fragte Skudder verwirrt. »Die Jared sind ... unheimlich. Aber es sind nicht sehr viele. Es muß Milliarden von Moroni auf der Erde geben.«
»Stone hat mir nicht alle seine Geheimnisse verraten«, antwortete Gurk ungeduldig. »Aber immerhin genug. Was immer dieser Sprung wirklich bedeutet, es entsteht eine vollkommen neue Spezies, die weder mit den Moroni noch mit den Ureinwohnern des jeweiligen Planeten viel gemein hat. Sie sind ihnen überlegen, Skudder. Grenzenlos überlegen. Die längste Zeit, die jemals vom Augenblick eines Sprunges bis zur völligen Niederlage der Ameisen vergangen ist, ist zehn Jahre. Und das ist der wirkliche Grund für die Existenz der Nova-Bombe. Sie fürchten ihre eigenen Nachkommen wie nichts anderes im Universum, denn sie sind die einzigen, die ihnen überlegen sind. Der Moment, in dem es den Jared gelingt, einen Transmitter zu erobern und damit das Tor in die Galaxis aufzustoßen, bedeutet das Ende Morons. Sie versuchen, den Transmitter mitzunehmen oder zumindest zu zerstören, wenn ihnen das nicht mehr gelingt, aber als letztes Mittel verwandeln sie die Sonne des Planeten in eine Nova und zerstören damit alles.«
»Und was hat das alles mit Stones plötzlichem Sinneswandel zu tun?« wollte Skudder wissen.
Gurk blies die Backen auf. »Bist du so blöd - oder tust du nur so, Langer? Euer Freund hat ebensowenig Lust, gegrillt zu werden wie du oder ich. Was glaubst du, ist in Köln passiert?«
»Ich glaube, ich beginne zu begreifen«, flüsterte Charity entsetzt. »Die Moroni...«
»... bereiten alles zur Evakuierung dieses gastlichen Planeten vor«, beendete Gurk grimmig den Satz. »Und wahrscheinlich tickt der Zeitzünder in ihrer kleinen Bombe bereits; nur für den Fall, daß es ihnen nicht gelingen sollte, ihren Transmitter mitzunehmen oder zu zerstören.«
Charity war im ersten Moment viel zu entsetzt, um den logischen Fehler in dieser Argumentation zu sehen. Aber er war einfach zu groß, um lange Zeit unentdeckt zu bleiben. »Aber das ist ... völliger Unsinn«, sagte sie plötzlich. »Es gibt Tausende von Transmittersystemen auf dieser Welt. Wir selbst sind durch einen gegangen. In jeder Basis der Invasoren steht mindestens eines dieser Geräte.«
»Das ist etwas anderes«, antwortete Gurk. »Ich bin kein Spezialist für intergalaktische Schnellzugverbindungen, aber ich glaube, es ist eine vollkommen andere Technologie. Das eine hat mit dem anderen soviel zu tun wie ein Dreirad mit diesem Luftkissenfahrzeug. Man kommt mit beidem von einem Punkt zum anderen, aber das ist auch schon alles.« Er grinste. »Wenigstens könnt ihr sicher sein, daß Daniels Ameisen euch nicht mehr lange auf die Nerven gehen. In spätestens zehn Jahren seid ihr sie los.«
Charity dachte wieder an das, was sie in den Kellern des Kölner Doms gesehen hatte - und vor allem an das, was sie in den Augen des Jared erblickt hatte, als sie mit ihm sprach. Sie schauderte. Sie antwortete nicht auf Gurks Worte, aber sie war plötzlich nicht mehr sehr sicher, ob sie sich wirklich darüber freuen sollte. Es war gut möglich, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes den Teufel mit dem Belzebub austrieben.
»Hat Stone dir das alles erzählt?« fragte sie nach einer Weile.
»Das meiste«, bestätigte Gurk. »Den Rest wußte ich schon - ich wußte nur nicht, was er bedeutet.« Plötzlich veränderte sich seine Stimme und wurde wieder zu dem gewohnten schrillen Altmännerkeifen: »Und ich weiß zum Teufel noch mal immer noch nicht, was ihr hier tut.«
»Wir müssen einen bestimmten Teil dieses Rechenzentrums zerstören«, sagte Charity. »Wenn nicht, haben wir die halbe Flotte der Moroni auf dem Hals, wenn wir uns der Schwarzen Festung auch nur nähern.«
»Mumpitz!« sagte Gurk überzeugt. »Mumpitz hoch drei! Es gibt keine zentrale Leitstelle für ihre Raumflotte - die im übrigen überhaupt nicht existiert. Sie haben keine Raumschiffe. Wozu auch? Und wenn sie sie hätten, dann wären sie kaum so dämlich, ihr Funktionieren von einem einzigen Computer abhängig zu machen.«
»Ich glaube das so wenig wie du«, antwortete Charity ruhig. »Aber der Anschlag auf den Rechner ist die Bedingung, die Stone gestellt hat. Frag micht nicht, warum.«
Gurk runzelte die Stirn und überlegte einen Moment. »Vielleicht gibt es in diesem Datenspeicher etwas, von dem er gern hätte, daß es es nicht mehr gäbe«, sagte er dann. »Das sähe Daniel ähnlich, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich hätte gute Lust, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.«
»Er sitzt aber leider am längeren Hebel«, antwortete Charity. »Die Transmitterverbindung wird erst aktiviert, nachdem der Computer zerstört ist.«
Gurk grunzte eine Antwort, die sie nicht verstand und auch nicht verstehen wollte. »Das gefällt mir nicht«, knurrte er. »Ich traue Stone immer noch nicht. Ich bin sicher, daß er uns reinlegen will.«
»Das hätte er einfacher haben können«, sagte Charity, »Waren das nicht deine eigene Worte?«
Gurk schenkte ihr einen giftigen Blick, zog es aber vor, nichts mehr zu sagen, sondern trommelte nervös mit den dürren Fingern auf dem Steuer des Luftkissenfahrzeugs.
»Wir sollten allmählich von hier verschwinden«, sagte Skudder. »Worauf warten wir überhaupt noch?«
»Es ist noch zu früh«, antwortete Gurk, ohne ihn anzusehen. »Stone wird mir Bescheid geben, wenn die Luft rein ist. Aber es gefällt mir nicht.«
»Was?«
»Daß dieser Kerl irgendwo dort oben sitzt und ganz genau weiß, was wir tun und wann«, sagte Gurk grimmig. »Ich spüre einfach, daß er uns hereinlegt.«
Aus dem hinteren Teil des Fahrzeuges drang ein leises Stöhnen, und Charity drehte sich im Sitz herum und beugte sich besorgt über Leßter. Zu ihrer Überraschung hatte der junge Soldat die Augen geöffnet und war bei Bewußtsein. Seine Stirn glänzte fiebrig, kalter Schweiß bedeckte in winzigen Tröpfchen sein Gesicht, und seine Fingernägel fuhren über die Polster der Sitzbank und verursachten scharrende Geräusche, die Charity einen Schauder über den Rücken laufen ließen. Aber er war eindeutig bei Bewußtsein, und mehr noch - als sie sich über ihn beugte, drehte er den Kopf und sah sie an, und er zwang sich sogar zu einem gequälten Lächeln. »Wie ... sieht es ... aus?« fragte er stockend.
»Gut«, log Charity. »Wir sind schon so gut wie hier heraus.«
»Sie lügen, Captain Laird«, behauptete Leßter. Er lächelte wieder, und diesmal wirkte es schon nicht mehr ganz so verkrampft und mühsam wie das erste Mal. Sein Atem begann sich zu beruhigen.
Aber Charity ließ sich davon nicht täuschen. Sie hatte zu viele Männer sterben sehen, um nicht zu wissen, daß die scheinbare Besserung, die sie beobachtete, vielleicht nichts anderes als das letzte Aufbäumen des erlöschenden Lebens in seinem Körper war. Und da war noch etwas. Etwas, das ihr so schwerfiel wie vielleicht nichts zuvor in ihrem Leben. Aber sie wußte keinen anderen Ausweg.
»Hören Sie zu, Leßter«, begann sie unsicher. »Wir ... können nicht hierbleiben. Aber es ist möglich, daß wir...« Sie stockte. Es fiel ihr ungeheuer schwer, weiterzusprechen. Sie kam sich vor, als hätte sie plötzlich eine Waffe in der Hand, um Leßter damit zu töten. Und in gewissem Sinne war es ja auch so. »Es kann sein, daß wir Sie nicht mitnehmen können«, stieß sie schließlich hervor.
»Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Captain Laird«, antwortete Leßter. »Ich ... komme schon in Ordnung. Ich brauche nur noch einige Minuten Ruhe.«
Charity blickte auf das so harmlos aussehende, kleine Loch in seiner Brust hinab und schwieg. Die Verletzung kam ihr jetzt viel kleiner und ungefährlicher vor als noch vorhin, aber das mußte eine Täuschung sein. Leßter würde nirgendwo mehr hingehen, und er mußte das so gut wissen wie sie. Vermutlich versuchte er nur, es ihr leichter zu machen.
»Hören Sie zu, Leßter«, begann sie von neuem. »Wir...«
»Wir können keinen sterbenden Mann mitnehmen dorthin, wo wir hingehen«, unterbrach Skudder sie hart. »Es tut mir leid, aber Sie kannten das Risiko. Es hätte jeden von uns erwischen können.«
Charity wandte mit einem Ruck den Kopf und starrte Skudder so böse an, daß er betroffen zusammenfuhr und ihrem Blick auswich, aber Leßter lachte nur und sagte noch einmal: »Ich komme schon wieder auf die Beine. Geben Sie mir nur ein paar Minuten.«
Charity schwieg. Plötzlich ertappte sie sich bei dem Gedanken, daß sie sich beinahe wünschte, Leßter würde sterben, hier und sofort, um ihr damit die entsetzliche Entscheidung zu ersparen, ihn zurückzulassen - oder einen sterbenden Mann mitzunehmen und damit vielleicht ihr aller Ende zu riskieren. Sie verdrängte den Gedanken, drehte sich wieder im Sitz herum und sah, wie auf dem verwirrenden Durcheinander von Instrumenten auf dem Pult vor Gurk eine gelbe Lampe zu blinken begann. Der Zwerg sagte nichts, beugte sich aber vor und startete mit einem Knopfdruck die Motoren des Fahrzeuges.