EPILOG

Er traf den Professor im Innenhof an, wo er, auf einer Bank in der Sonne sitzend, ein Sandwich aus einer neben sich stehenden Vespertüte aß. Der Mann hatte gerade erst die Fünfzig überschritten, ließ aber bereits die zerstreuten Verschrobenheiten des Alters erkennen. Vielleicht hatte er das immer schon getan. Sein ergrauendes Haar glich einem struppig-verfilzten Vogelnest. Seine Kleidung war zerknittert und wollte nicht so recht zusammenpassen, und wenn er die Beine übereinander schlug, konnte Indy sehen, dass er keine Socken trug. Während der Professor gemächlich sein Sandwich verspeiste, war sein ziellos starrer Blick auf einen Punkt über den Türmen und Dächern der Princeton Universität gerichtet.

Indy stand verlegen einige Meter von der Bank entfernt, seinen Filzhut in der Hand und nicht bereit, den Professor in seinen offenkundigen Tagträumereien zu stören. Der erwartungsvolle, besorgte Ausdruck auf Indys Gesicht genügte jedoch, um die Aufmerksamkeit des älteren Mannes auf ihn zu lenken. »Kommen Sie«, sagte der Professor schließlich, schaute kurz zu Indy hinüber und winkte ihn zu sich. »Ich möchte Sie nicht stören«, sagte Indy linkisch. »Sie halten Ihr Gestarre tatsächlich für nicht störend?«

»Verzeihung«, sagte Indy. »Das war sehr unhöflich von mir.«

Indy wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie, warten Sie«, rief der ältere Mann. »Kommen Sie her und setzen Sie sich neben mich. Im Augenblick bin ich es, fürchte ich, der unhöflich ist. Was haben Sie auf dem Herzen? Etwas Interessantes, hoffe ich. Am Ende sind Sie nur ein Autogrammjäger? Diese amerikanische Besessenheit, wenn es um Berühmtheit geht, ist mir völlig unverständlich.«

»Nein, Professor«, erwiderte Indy, als er, den Hut noch immer in der Hand, auf der Bank Platz nahm. »Ich bin nicht wegen eines Autogramms von Ihnen hier, auch nicht wegen eines Fotos. Ich bin gekommen, um Ihren Rat einzuholen.«

»Meinen Rat«, sagte der Mann und lachte stillvergnügt in sich hinein. »Heutzutage will jeder meinen Rat. Ich fürchte, da sind Sie bei mir an eine sehr unergiebige Quelle geraten. Man hat mir vorgeworfen, ein nicht besonders praktisch denkender Mensch zu sein oder zu viel Zeit in meinen Gedanken, statt in der Welt zu verbringen. Wissen Sie, was ich gerade dachte? Ich dachte, wie wunderschön die Wolken sind, und wie ich sie früher, als ich ein Kind war, durch das Klassenzimmerfenster betrachtet habe.«

»Sind Sie gern zur Schule gegangen?«

»Ich konnte sie nicht ausstehen«, antwortete der Professor mit einer abfälligen Handbewegung. »Ich wollte in den Wolken sein.

Die Schule war langweilig, reglementiert und hat den jungen Köpfen jede Lebendigkeit entzogen. Als kleiner Junge war ich äußerst unglücklich. Welche Schande, dass wir das unserem Nachwuchs antun.«

Indy lächelte.

»Der Rat, den ich suche«, sagte er, »hat von seinem Wesen her etwas sehr Unpraktisches.«

»Habe ich Sie schon irgendwo gesehen?« »Haben Sie, Sir. Ich unterrichte hier Archäologie. Mein Name ist Jones, wir sind uns ein, zwei Mal begegnet. Mein Freund Marcus Brody hat uns einander vorgestellt.«

»Tut mir Leid, aber ich erinnere mich nicht daran«, sagte der Professor.

»Sie hatten sicher wichtigere Dinge im Kopf.« »Wie zum Beispiel Wolken«, sagte der Professor mit einem verschmitzen Lächeln.

Dann aß er sein Sandwich zu Ende, wischte sich die Krümel von den Händen und kramte in seiner Vespertüte. Er holte einen leuchtend roten Apfel hervor, den er Indy anbot.

Indy hatte Hunger. Er legte den Filzhut zwischen seinen Füßen auf den Boden. Dann polierte er den Apfel an seinem Hosenbein, betrachtete für einen Augenblick den Glanz der leuchtend roten Schale und biss hinein.

»Um was handelt es sich bei diesem unpraktischen Rat, den Sie suchen?«

»Um die Zeit«, murmelte Indy, während er sich mit dem Handrücken den Apfelsaft aus den Mundwinkeln wischte. »Wieso ist es immer jetzt? Ist es möglich, in die Vergangenheit zurückzukehren oder in die Zukunft zu reisen? Was ist Zeit überhaupt?«

Der Professor lächelte.

»Zeit«, sagte er, »ist das, was man mit einer Uhr misst.«

Indy wartete geduldig.

»Das ist alles?«, fragte er, als ihm bewusst wurde, dass nichts weiter folgen würde.

»Was wollen Sie mehr?«, fragte der Professor.

»Ich weiß es nicht«, sagte Indy. »Antworten, vermutlich.

Schließlich sind Sie der Welt größte Autorität.«

Der ältere Mann runzelte die Stirn.

»Das Schicksal ist im Begriff, mir einen Streich zu spielen«, sagte er. »Mein Leben lang habe ich Autorität in Frage gestellt, nur um jetzt festzustellen, dass ich selbst eine geworden bin.«

Indy war enttäuscht.

»Ich hatte gehofft, Sie könnten mir ... eine gültige Erklärung liefern«, sagte Indy. »Ich hatte einige ungewöhnliche Erlebnisse, in deren Verlauf Wunder möglich schienen und sogar Reisen durch die Zeit.«

»Ich soll Ihnen erklären, dass Sie nicht den Verstand verloren haben«, erwiderte der Professor. »Aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich bin nur ein Wissenschaftler, nur ein Mensch wie Sie auch. Die Antworten, die Sie suchen, mein junger Freund, befinden sich in Ihrem Innern.«

Indy nickte.

Der Professor lächelte.

»Eines der unbegreiflichsten Dinge in diesem Universum«, sagte der ältere Mann, »ist, dass wir es überhaupt begreifen. Aber wir stecken noch in den Kinderschuhen, und mit unserem Verständnis wird auch unsere Verantwortung wachsen. Wir alle sind Zeitreisende, Dr. Jones. Leben Sie in der Gegenwart, blicken Sie stets in die Zukunft, aber vergessen Sie niemals die Vergangenheit. Und denken Sie stets daran, auf Ihr Herz zu hören.«

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