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»Interessant«, sagte die Frau. »Vielversprechend.«

Unwillkürlich erschauderte ich, als die kühle Lederpeitsche langsam an meiner Flanke emporfuhr.

»Wir nennen ihn ›Jason‹«, erklärte Lady Gina, die sich im Hintergrund hielt.

Meine Hände waren in dem niedrigen, fackelerleuchteten Raum an einen Deckenring gefesselt. Auch meine Fußfesseln endeten in einem Ring dicht neben meinen Zehen. Ich war nackt.

»Ein netter Name«, sagte die Frau, »aber natürlich können wir den Tarsk nennen, wie wir wollen.«

»Natürlich«, sagte Lady Gina.

Ich bildete den Anfang einer Reihe von einundzwanzig männlichen Sklaven, die wie ich gefesselt waren und zur Schau standen. Fünf Frauen in Schleiern und schweren Roben begutachteten uns. Es waren Sklavenhändlerinnen.

»Mund auf«, sagte eine der Frauen zu mir.

Ich gehorchte.

Sie drückte mit dem Daumen gegen meinen oberen Gaumen. Die Gewänder und Schleier der Frauen waren aus kostbarer Seide und wiesen vorwiegend die Farben gelb und blau auf, die Farben der Sklavenhändler. Ein Ärmel des Gewandes rutschte zurück, und ich bemerkte am linken Arm der Frau ein schweres, metallbesetztes Armband aus schwarzem Leder. Sie hatte kluge dunkle Augen, ungezügelt, objektiv, abschätzend, gnadenlos. Ich bezweifelte nicht, daß sie in ihrem eigenen Gehege so rücksichtslos auftrat wie Lady Gina. Ich begegnete ihrem Blick nicht. Sie machte mir angst – ähnlich wie Lady Gina, wenn sie sich ernst gab. Solche Frauen, das wußte ich, würden mich mit großer Strenge behandeln. Sie kannten keine Rücksicht mit Männern, die das Pech hatten, ihnen als Sklaven in die Hände zu fallen. Ausgiebig untersuchte sie meinen Mund, wobei sie mir den Kopf hin und her drehte. »Nicht schlecht«, sagte sie schließlich und trat zurück. »Kopf hoch«, befahl sie.

»Ja, Herrin«, antwortete ich und gehorchte.

Die Frauen untersuchten uns als das, was wir waren – Tiere und Sklaven.

»Der hier hat gute Schenkel«, sagte eine Frau weiter unten an der Reihe.

»Gut«, bemerkte eine andere.

»Wächter«, sagte die Frau, die mich untersucht hatte.

»Hier«, antwortete Lady Gina.

»Dieser Sklave«, sagte die Frau und deutete auf mich, »hat am linken Oberarm eine Narbe und ein Stück Metall in einem Zahn hinten links. So etwas habe ich bisher nur bei Kajirae von der Sklavenwelt erlebt.«

»Dies ist ein Männchen von der Sklavenwelt«, gab Lady Gina Auskunft.

»So etwas hatte ich mir gedacht«, meinte die Frau. »Aber wir zahlen deswegen nicht mehr für ihn.«

»Solche Fragen mußt du mit meinen Vorgesetzten erörtern«, sagte Lady Gina.

»Aber deine Vorgesetzten sind Männer«, erwiderte die Frau spöttisch.

»Ja.«

»Ich könnte eine Frau wie dich gebrauchen.«

»Ich habe hier meine Arbeit.«

»Wie du willst«, sagte die Frau. »Sind sie vital?« fragte sie.

»Ich glaube schon – obwohl wir sie natürlich in den Gehegen sehr eingeschränkt haben, um sie als Sklaven besser lenken zu können.«

»Eine schwierige Sache«, sagte die Frau, die mich untersucht hatte. »Doch meine ich, daß eine intelligente Herrin das Problem stets zu ihrer Zufriedenheit lösen wird.«

»Der hier ist munter«, sagte eine der Frauen weiter unten und begann zu lachen. Sie nahm die Hand vom Körper eines Sklaven.

»Machen wir uns einen Spaß«, sagte die Frau, die mich untersucht hatte. »Laß eine Kajira kommen.«

Lady Gina begab sich zur Tür des langen, niedrigen Raums. »Prodicus!« rief sie. »Lola soll erscheinen!«

Gleich darauf trat Lola ein. Ich hatte sie noch nie so unterwürfig erlebt. Sie trug das Haar zurückgekämmt und hatte es mit einem weißen Band zusammengebunden. Sie war gewaschen und trug eine kurze ärmellose weiße Tunika. Lola eilte zu Lady Gina und kniete vor ihr nieder. Die Anwesenheit freier Frauen erschreckte sie. Zum erstenmal gewann ich einen unmittelbaren Eindruck von dem Abscheu und Haß, den die freien Frauen ihren versklavten Schwestern entgegenbringen.

»Eine hübsche kleine Sklavin«, sagte eine der Frauen.

Da erkannte ich, daß Lolas zurückhaltende Aufmachung mit der Anwesenheit der Sklavenhändlerinnen zu tun hatte. Das Haus des Andronicus, in dem ich Sklave war, wollte die Besucherinnen offenbar nicht kränken.

Als Lola den Kopf hob, wies Lady Gina auf die Frau, die mich untersucht hatte. Hastig kniete Lola vor ihr nieder.

»Wie wirst du genannt?« fragte die Frau.

»Lola, Herrin.«

»Steh auf und zieh dich aus, Lola«, befahl die Frau.

»Ja, Herrin«, antwortete Lola, stand auf und ließ die Tunika zu Boden gleiten.

»Lola«, sagte Lady Gina. »Du beginnst am anderen Ende der Reihe. Du sagst jedem Sklaven, daß du seine Sklavin bist. Du küßt ihn, sagst ihm, daß du ihn liebst, und sprichst ihn als Herrn an. Dann küßt du ihn wieder.«

»Ja, Herrin«, sagte Lola bedrückt und lief ans andere Ende der Reihe.

Lady Gina folgte ihr. Dabei löste sie die Peitsche von dem Gürtel, eine Bewegung, die Lola nicht entging.

»Sei begehrlich, Lola«, forderte Lady Gina. »Das dürfte dir nicht schwerfallen«, fügte sie sarkastisch hinzu.

»Ja, Herrin«, sagte Lola und warf einen angstvollen Blick in die Runde.

Dann trat sie vor den ersten Sklaven hin, umarmte ihn und blickte zu ihm auf. »Ich bin deine Sklavin, Herr!« sagte sie und küßte ihn. »Ich liebe dich, Herr!« sagte sie und küßte ihn ein zweitesmal.

»Ausgezeichnet, Lola!« sagte Lady Gina. Zwei Sklavenhändlerinnen lachten. Eine machte mit einem Markierungsstift eine Eintragung auf einem Stück Papier, das sie auf einem Klemmbrett mitführte.

»Zum nächsten«, befahl Lady Gina.

Angstvoll-gehorsam beschäftigte sich Lola mit dem nächsten Sklaven. Für jede Sklavin war es beschämend, einen männlichen Sklaven zu berühren, und noch schlimmer kam es sie an, ihn als Herrn zu bezeichnen. Sklavinnen verachten Sklaven. Sie sehen sich – sicher zu recht – als Besitz freier Männer und Frauen – Herren und Herrinnen.

Endlich stand Lola auch vor mir. In ihren Augen standen Tränen. Sie schien kaum sprechen zu können. »Er nicht, Herrin!« flehte sie.

»Du zögerst in der Ausübung deiner Pflichten, Lola!« rief Lady Gina.

Hastig legte Lola die Arme um mich. Und hielt mich abrupt, eine Sekunde lang, ganz fest. Dabei spürte ich, wie ihr Körper sich zuckend gegen den meinen bewegte. Ihre Wange lag an meiner Brust. »Interessant«, sagte eine der Sklavenhändlerinnen. Lola blickte zu mir auf.

»Weitermachen, Lola!« forderte Lady Gina.

»Mit einem so verachtenswerten Sklaven, Herrin?« fragte Lola.

»Weitermachen, Lola!«

»Ja, Herrin.« Wieder umarmte mich das Mädchen.

»Schaut euch die kleine Dirne an«, sagte eine Frau. »Sie ist erregt!« Lola war nackt, bis auf den Sklavenkragen. Barfuß stand sie auf den kalten Fliesen. »Ich bin deine Sklavin, Herr«, flüsterte sie mir zu. Ich spürte ihren Bauch und ihre Brüste. Sie war eine Frau, von der ein Mann auf der Erde nicht zu träumen gewagt hätte. Ich mußte ihr widerstehen! Dann aber drückte sich das heiße, sinnliche, nackte Geschöpf an mich. Ich spürte ihre Lippen auf den meinen, genoß den feuchten, zerschmelzenden, unbeschreiblichen Kuß der Sklavin, der unfreien Frau. »Ich liebe dich, Herr«, flüsterte sie.

»Aii!« rief eine der Frauen. In meiner Bestürzung stieß ich einen Schrei aus. Die Frauen lachten. »Der Bursche ist munter!« rief eine Sklavenhändlerin. »Bist du sicher, daß er von der Erde stammt?« fragte eine andere. »Glücklich die Herrin, die ihn einmal bekommt«, sagte eine dritte. Beschämt schaute ich zu Boden. Die Frau mit dem Schreibstift lachte ebenfalls. Ich sah, wie sie sich eine Notiz machte.

»Begeben wir uns in einen bequemeren Raum«, sagte Lady Gina. »Dort können wir über die Sklaven sprechen.« Gefolgt von den meisten Sklavenhändlerinnen, verließ sie den Saal. Nur eine blieb noch kurz zurück und sah mich an. Es war die Frau die mich am gründlichsten untersucht hatte, die Frau, die unter ihrem seidenen Ärmel ein metallbesetztes Lederband trug.

»Kommst du auch, Lady Tima?« fragte eine Frau, die an der Tür stehengeblieben war.

»Ja«, antwortete die Frau und riß den Blick von mir los. Sie machte kehrt und verließ den Raum.

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