Am nächsten Morgen kam eine kleine, schlaftrunkene, strubbelige Gestalt im blaugestreiften Pyjama auf bloßen Füßen zu Mama in die Küche hinausgetappt. Birger und Betty waren in die Schule gegangen und Papa ins Büro. Aber Lillebror brauchte erst etwas später zu gehen, und das war gut, denn er wollte mit seiner Mutter gern ein wenig allein sein in dieser Morgenstunde. Obwohl er ein großer Junge war, der schon in die Schule ging, so liebte er es doch, auf Mamas Schoß zu sitzen, wenn keiner es sah. Man konnte dann so gut reden, und wenn sie noch viel Zeit hatten, nutzten Mama und Lillebror sie aus, um miteinander zu singen und sich gegenseitig Geschichten zu erzählen.
Mama saß am Küchentisch und las die Zeitung und trank ihren Morgenkaffee. Lillebror kletterte schweigend auf ihren Schoß und kuschelte sich in ihre Arme, und sie hielt ihn dort fest, bis er ordentlich wach geworden war.
Dieser Spaziergang gestern abend hatte ein wenig länger gedauert, als beabsichtigt gewesen war, und als Mama und Papa nach Hause kamen, lag Lillebror schon in seinem Bett und schlief. Er hatte sich bloßgestrampelt, und als Mama die Decke um ihn feststopfen wollte, sah sie zwei garstige Löcher in dem Laken, und es war auch so schmutzig, irgend jemand hatte mit Kohle etwas drauf gezeichnet. Kein Wunder, daß Lillebror so schnell eingeschlummert war, dachte Mama. Aber jetzt hatte sie den Sünder auf ihrem Schoß, und sie gedachte, ihn ohne eine Erklärung wahrlich nicht wieder loszulassen.
„Hör mal, Lillebror", sagte sie, „ich möchte wirklich gern wissen, wer die Löcher in dein Laken gemacht hat. Komm nun aber nicht und sag, es sei Karlsson vom Dach gewesen!"
Lillebror schwieg und dachte angestrengt nach. Es war ja Karlsson vom Dach gewesen, der die Löcher gemacht hatte, und nun sollte er es nicht sagen! Dann war es wohl das beste, auch das mit den Dieben zu verschweigen, denn Mama würde auch das nicht glauben.
„Na?" sagte Mama, als sie keine Antwort bekam. „Kannst du nicht lieber Gunilla fragen?" sagte Lillebror listig. Gunilla konnte Mama erzählen, wie alles zusammenhing. Ihr mußte Mama ja glauben.
Soso, Gunilla ist es also gewesen, die das Laken entzweigeschnitten hat, dachte Mama. Und sie fand es sehr anständig von Lillebror, daß er nicht petzte, sondern Gunilla selber berichten lassen wollte, was sie angestellt hatte. Mama drückte Lillebror schnell einmal an sich. Sie beschloß, jetzt nicht weiter nach dem Laken zu fragen, aber Gunilla wollte sie sich mal vorknöpfen, wenn sie ihrer habhaft wurde. „Du hast doch Gunilla furchtbar gern, was?" fragte ihn Mama. „Ja, ziemlich ...", sagte Lillebror.
Mama schielte wieder ein bißchen in die Zeitung, und Lillebror saß schweigend auf ihrem Schoß und überlegte. Wen hatte er eigentlich alles gern? Vor allen Dingen Mama — und dann Papa. Birger und Betty hatte er manchmal gern — besonders Birger —, aber mitunter war er so böse auf sie, daß er hätte platzen können! Karlsson vom Dach hatte er gern. Und Gunilla hatte er gern — ziemlich. Vielleicht heiratete er sie mal, wenn er groß war, denn eine Frau mußte man ja wohl haben, ob man wollte oder nicht.
Wenn er auch am liebsten Mama heiraten würde — aber das ging vielleicht nicht.
Als er so weit gelangt war, kam ihm plötzlich etwas in den Sinn, was ihn unruhig machte.
„Du, sag mal, Mama, wenn Birger stirbt, wenn er groß ist, muß ich dann seine Frau heiraten?"
Mama stellte verwundert die Kaffeetasse hin.
„Wie kommst du denn darauf?" fragte sie.
Es schien, als wollte sie anfangen zu lachen. Und da bekam Lillebror Angst, daß er etwas Dummes gesagt haben könnte, und er wollte nicht mehr über die Sache sprechen. Aber Mama drang in ihn: „Warum glaubst du das?"
„Ich hab' doch Birgers altes Fahrrad bekommen", sagte Lillebror widerstrebend. „Und seine alten Schneeschuhe... und seine Schlittschuhe, die er hatte, als er so alt war wie ich... und seine alten Schlafanzüge und Turnschuhe und überhaupt alles."
„Aber seine alte Frau brauchst du nicht zu nehmen, das verspreche ich dir", sagte Mama. Und sie lachte nicht, was ein Glück war.
„Kann ich nicht dich statt dessen heiraten?" schlug Lillebror vor.
„Ich weiß nicht, wie man das regeln soll", sagte Mama. „Ich bin ja schon mit Papa verheiratet." Ja, das stimmte allerdings...
„Welch phenominonales Pech, daß Papa und ich in dieselbe verliebt sind", sagte Lillebror mißmutig.
Aber jetzt lachte Mama und sagte:
„Nein, weißt du was, das finde ich gerade gut."
„Das meinst du, ja", sagte Lillebror. „Aber dann muß ich wohl Gunilla nehmen", fügte er hinzu. „Denn jemand muß man wohl haben."
Er dachte von neuem nach, und er fand es keineswegs angenehm, mit Gunilla zusammen wohnen zu müssen. Sie konnte mitunter ziemlich lästig sein. Und im übrigen wollte er mit Mama und Papa und Birger und Betty zusammen wohnen. Eine Frau war nicht gerade etwas, worauf er so besonders aus war.
„Ich möchte viel lieber einen Hund haben als eine Frau", sagte er. „Mama, kann ich nicht einen Hund kriegen?" Mama seufzte. Jetzt fing Lillebror schon wieder an, von seinem unseligen Hund zu sprechen! Das war fast ebenso lästig wie das mit Karlsson vom Dach.
„Weißt du was, Lillebror, ich glaube, du mußt jetzt gehen und dich anziehen", sagte Mama. „Sonst kommst du nicht rechtzeitig in die Schule."
„Typisch", sagte Lillebror ergrimmt. „Wenn ich von meinem Hund rede, dann fängst du an, von der Schule zu reden!"
Es machte trotzdem Spaß, heute in die Schule zu gehen, denn er hatte sich so viel mit Krister und Gunilla zu erzählen. Sie gingen wie gewöhnlich zusammen nach Hause, und Lillebror hatte es seit langem nicht so schön gefunden wie heute, da Gunilla und Krister ja nun Karlsson vom Dach auch kannten. »Der kann einem aber Spaß machen, finde ich", sagte Gunilla. „Glaubst du, er kommt heute auch?"
„Das weiß ich nicht", sagte Lillebror. „Er sagt nur, er käme ungefähr, und das kann zu jeder beliebigen Zeit sein."
„Ich hoffe, er kommt ungefähr heute", sagte Krister. „Gunilla und ich gehen mit dir nach Hause. Dürfen wir das?"
„Meinetwegen gern", sagte Lillebror.
Da schien noch jemand zu sein, der mit ihnen gehen wollte. Als die Kinder eben die Straße überqueren wollten, kam ein kleiner schwarzer junger Pudel auf Lillebror zugelaufen. Er beschnupperte ihn an den Kniekehlen und kläffte zutraulich. „Guck, was für'n süßer kleiner Hund", sagte Lillebror ganz aus dem Häuschen vor Freude. „Guck, er hat sicher Angst vor dem Verkehr und möchte mit mir über die Straße gehen!" Lillebror war so glücklich, daß er ihn über wer weiß wie viele Straßen hinübergelotst hätte. Vielleicht fühlte der junge Hund das, denn er trabte über die Straßenkreuzung mit und hielt sich dicht an Lillebrors Bein.
„Wie ist der süß", sagte Gunilla. „Komm mal her, kleiner Wauwau!"
„Nee, der will bei mir sein", sagte Lillebror und packte den Welpen mit festem Griff. „Er mag mich." „Mich mag er auch, genauso", sagte Gunilla. Der kleine Welpe sah aus, als möge er alle, wenn sie ihn nur mochten. Und Lillebror mochte ihn, oh, wie sehr er ihn mochte! Er bückte sich und streichelte den Hund und lockte ihn mit einer Menge leiser, zärtlicher Töne, die alle miteinander sagen wollten, daß dieser junge Pudel der liebste, liebste, liebste Hund sei, den es gab. Der Welpe wedelte
mit dem Schwanz und sah aus, als ob er derselben Meinung sei. Er kläffte und lief fröhlich mit, als die Kinder in ihre eigene Straße einbogen.
Lillebror war plötzlich von einer wahnsinnigen Hoffnung erfüllt.
„Vielleicht hat er kein Zuhause", sagte er. „Er hat vielleicht keinen, dem er gehört."
„Pfff, natürlich hat er jemand", sagte Krister.
„Halt du deinen Mund", sagte Lillebror böse. „Was weißt du denn davon?"
Krister, der Joffa hatte, was wußte der denn davon, wie es war, wenn man keinen Hund hatte, überhaupt keinen Hund? „Komm her, mein Hundchen", lockte Lillebror und war immer mehr überzeugt, daß der Pudel kein Zuhause hatte. „Gib acht, daß der nicht mit dir nach Hause läuft", sagte Krister.
„Das kann er aber ruhig", sagte Lillebror. „Ich möchte, daß er mit mir nach Hause läuft."
Und der Welpe lief mit. Ganz bis vor Lillebrors Haustür lief er mit. Und dann nahm Lillebror ihn auf den Arm und trug ihn die Treppen hinauf.
„Ich frage Mama, ob ich ihn behalten darf", sagte Lillebror lebhaft.
Aber Mama war nicht da. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, daß sie unten in der Waschküche sei und daß Lillebror sie dort finde, wenn er irgend etwas wolle.
Aber der Hund schoß wie eine Rakete geradewegs in Lillebrors Zimmer, und Lillebror und Gunilla und Krister rannten hinterdrein. Lillebror war außer sich vor Wonne.
„Er möchte sicher bei mir wohnen", sagte er.
Im selben Augenblick kam Karlsson vom Dach zum Fenster hereingebrummt.
„Heißa hopsa", schrie er. „Habt ihr euern Hund gewaschen, daß er so eingelaufen ist?"
„Das ist doch nicht Joffa, das kannst du doch sehen", sagte Lillebror. „Das hier ist mein Hund."
„Das stimmt aber nicht", sagte Krister.
„Du hast doch keinen Hund!" sagte Gunilla.
„Aber ich, ich habe tausend Hunde bei mir oben", sagte Karlsson. „Der beste Hundeaufpasser der We ..."
„Ich habe keine Hunde gesehen, als ich bei dir oben war", sagte Lillebror.
„Die waren unterwegs und flogen draußen herum", versicherte Karlsson. „Meine sind fliegende Hunde."
Lillebror hörte nicht auf Karlsson. Tausend fliegende Hunde waren nichts gegen diesen süßen kleinen Pudelwelpen.
„Ich glaube, er hat keinen, dem er gehört", sagte er noch einmal.
Gunilla bückte sich zu dem Hund hinunter.
„Auf dem Halsband steht allerdings Ahlberg", sagte sie schnippisch.
„Und es ist dir wohl klar, daß das Leute sind, denen er gehört", sagte Krister.
„Vielleicht ist Ahlberg tot", sagte Lillebror.
Wer Ahlberg auch sein mochte, so war er ihm nicht grün. Aber da kam ihm ein guter Gedanke.
„Vielleicht ist es der Hund, der Ahlberg heißt", sagte er und sah Krister und Gunilla fragend an.
Sie lachten herausfordernd.
„Ich habe mehrere Hunde, die Ahlberg heißen", sagte Karlsson. „Heißa hopsa, Ahlberg!"
Der Welpe machte einen kleinen Satz auf Karlsson zu und bellte munter.
„Da könnt ihr sehen", rief Lillebror, „er weiß selber, daß er Ahlberg heißt. Komm her, kleiner Ahlberg!" Gunilla fing den Welpen ein.
„Auf dem Halsband steht auch eine Telefonnummer", stellte sie erbarmungslos fest.
„Hunde haben eigenes Telefon", sagte Karlsson. „Sagt ihm, er soll seine Haushälterin zu Hause anläuten und sagen, er habe sich verlaufen. Das tun meine Hunde immer, wenn sie sich verlaufen haben."
Er streichelte den kleinen Hund mit seiner kurzen dicken Hand.
„Einer meiner Hunde, der Ahlberg heißt, der war dieser Tage weggelaufen", sagte Karlsson. „Und da hat er dann zu Hause angeläutet, um Bescheid zu sagen. Aber er hatte sich mit dem Drehdings vertan, und da kriegte er statt dessen eine alte Majorin auf Kungsholm, und als sie hörte, daß ein Hund am Telefon war, da sagte sie: ,Falsch verbunden'. , Warum melden Sie sich dann?' fragte Ahlberg, denn er ist solch ein gescheiter Hund."
Lillebror hörte nicht zu, was Karlsson sagte. Augenblicklich interessierte ihn nichts anderes als der kleine Pudel, und er kümmerte sich nicht einmal darum, als Karlsson sagte, er fühle sich zu einem kleinen Streich aufgelegt. Aber da zog Karlsson einen Flunsch und sagte:
„Ich spiel' nicht mit, wenn du dich bloß immerzu mit dem Hund abgibst. Ich darf wohl auch noch ein bißchen Vergnügen haben!"
Darin gaben ihm Gunilla und Krister recht. Und Lillebror sah rasch zu Karlsson hin.
„Wir könnten eine Zaubereivorstellung geben", sagte Karlsson, nachdem er aufgehört hatte zu maulen. „Der beste Zaubereimacher der Welt — ratet mal, wer das ist!" Lillebror und Gunilla und Krister rieten auf der Stelle, daß das Karlsson sein müsse.
„Dann beschließen wir, daß wir eine Zaubereivorstellung geben", sagte Karlsson. „Ja", sagten die Kinder.
„Und dann beschließen wir, daß es einen Bonbon Eintritt kostet", sagte Karlsson. „Ja", sagten die Kinder.
„Und dann beschließen wir, daß alle Bonbons wohltätigen Zwecken zugeführt werden sollen", sagte Karlsson.
„Hmmnja", sagten die Kinder etwas zögernd.
„Und da gibt es nur einen wirklich wohltätigen Zweck, und das ist Karlsson vom Dach", sagte Karlsson.
Die Kinder sahen sich gegenseitig an.
„Ich weiß nicht... so recht...", begann Krister.
„Das beschließen wir", schrie Karlsson, „sonst mach' ich nicht mit!"
Und so wurde beschlossen, daß alle Bonbons an Karlsson vom Dach gehen sollten.
Krister und Gunilla rannten auf die Straße hinunter und sagten allen Kindern Bescheid, oben bei Lillebror würde eine große Zaubereivorstellung veranstaltet werden. Und alle, die wenigstens noch fünf öre von ihrem Taschengeld übrig hatten, rannten zum Kaufmann und kauften Eintrittsbonbons. Die Bonbons wurden dann an der Tür zu Lillebrors Zimmer abgegeben, wo Gunilla stand und sie in Empfang nahm und sie in eine Schachtel legte mit der Aufschrift: „Für wohltätige Zwecke".
Krister hatte Stühle in einer Reihe mitten im Zimmer aufgestellt, und hier durfte sich das Publikum hinsetzen. In einer Ecke des Raumes war eine Decke aufgehängt, und dahinter vernahm man ein Gemuschel und Getuschel und einen Hund, der kläffte.
„Was bekommen wir denn zu sehen?" fragte ein Junge, der Kirre hieß. „Ist natürlich alles nur Blödsinn, aber dann will ich meinen Bonbon wiederhaben."
Weder Lillebror noch Gunilla noch Krister mochten Kirre leiden, denn er war immer so großspurig.
Lillebror, der hinter der Decke gesteckt hatte, kam jetzt hervor. Er hielt den kleinen Hund im Arm.
„Ihr werdet den besten Zaubereimacher der Welt und den berühmten Zauberhund Ahlberg zu sehen bekommen", sagte er.
„Wie gesagt — den besten Zaubereimacher der Welt", ließ sich eine Stimme hinter der Decke vernehmen, und hervor kam Karlsson.
Auf dem Kopf hatte er den Zylinderhut von Lillebrors Papa, und über seiner Schulter hing die karierte Schürze von Lillebrors Mama, mit einer kleinen, zierlichen Schleife unter Karlssons Kinn zusammengebunden. Die Schürze sollte als Ersatz für einen schwarzen Umhang dienen, wie ihn Zaubereimänner immer um haben.
Alle klatschten in die Hände, alle außer Kirre. Karlsson verbeugte sich und sah sehr selbstzufrieden aus. Dann nahm er den Zylinderhut ab und hielt ihn hin, damit man sehen konnte, daß er leer war, genau wie alle Zaubereimänner es immer machen.
„Bitte, sehen Sie her, meine Herrschaften", sagte er, „hier ist nichts drin, aber auch rein gar nichts!"
Jetzt zaubert er sicher ein Kaninchen aus dem Hut hervor, dachte Lillebror, denn das hatte er einmal von einem Zauberer gesehen. Das würde Spaß machen, zu sehen, wie Karlsson ein Kaninchen hervorzaubert, dachte er. „Wie gesagt, hier ist nichts drin", sagte Karlsson düster. „Und hier wird auch nichts reinkommen, wenn ihr nicht 'n bißchen reinlegt", fuhr er fort. „Ich sehe, hier sitzen haufenweise gefräßige Kinder und essen Bonbons. Jetzt lassen wir den Hut herumgehen, und dann legen alle einen Bonbon hinein. Es ist für einen sehr wohltätigen Zweck."
Lillebror ging mit dem Hut herum, und bald lag ein ganz hübscher Haufen Bonbons darin. Er reichte Karlsson den Hut. „Es klappert bedenklich", sagte Karlsson und schüttelte den Hut. „Wenn er voll wäre, würde es überhaupt nicht klappern." Er stopfte einen der Bonbons in den Mund und fing an zu kauen.
„Es ist ein wirklich wohltätiges Gefühl", sagte er und kaute befriedigt.
Kirre hatte keinen Bonbon in den Hut gelegt, obwohl er eine ganze Tüte voll hatte.
„Ja, meine lieben Freunde — und Kirre", sagte Karlsson. „Hier seht ihr den Zauberhund Ahlberg, den Hund, der alles kann. Telefonieren, fliegen, Semmeln backen, sprechen, das Bein heben — alles!"
In dieser Sekunde hob der kleine Pudel wirklich das Bein an Kirres Stuhl, und auf dem Fußboden entstand eine kleine Pfütze.
„Ihr seht, ich übertreibe nicht", sagte Karlsson, „dieser Hund kann wirklich alles."
„Pfff", machte Kirre und rückte mit seinem Stuhl etwas von der Pfütze ab, „das da kann jeder Köter. Aber laß ihn doch mal 'n bißchen sprechen. Das wird schon schwieriger sein, hahaha!"
Karlsson wandte sich an den Hund.
„Findest du das Sprechen schwierig, Ahlberg?"
„Gar nicht", antwortete Ahlberg. „Nur wenn ich Zigarre rauche."
Lillebror und Gunilla und Krister zuckten richtig zusammen, denn es klang genau so, als ob es der Pudel sei, der sprach. Aber Lillebror dachte bei sich, es wird wohl Karlsson sein, der irgendeinen Kniff anwandte. Und das war nur gut, denn Lillebror wollte einen gewöhnlichen Hund haben und nicht einen, der sprechen konnte.
„Guter Ahlberg", sagte Karlsson, „kannst du nicht allen unsern Freunden — und Kirre — ein bißchen aus dem Leben der Hunde erzählen?"
„Aber gern", sagte Ahlberg.
Und dann begann er zu erzählen.
„Ich war neulich abend im Kino", sagte er und sprang wedelnd um Karlsson herum.
„Sieh mal einer an, du warst im Kino?"
„Ja, und neben mir saßen zwei Hundeflöhe in derselben Reihe", sagte Ahlberg.
„Nein, wirklich?" sagte Karlsson.
„Ja, und als wir hinterher auf die Straße hinauskamen, da hörte ich, wie der eine Floh zum andern sagte: ,Wollen wir zu Fuß nach Hause gehen, oder wollen wir einen Hund nehmen?'" Alle Kinder fanden die Vorstellung gut, wenn auch vielleicht nicht eben viel Zauberei dabei war. Nur Kirre saß da und machte ein hochmütiges Gesicht.
„Sag ihm, er soll jetzt auch mal Semmeln backen", sagte er höhnisch.
„Willst du ein paar Semmeln backen, Ahlberg?" fragte Karlsson.
Ahlberg gähnte und legte sich auf die Erde.
„Nee, das kann ich nicht", sagte er.
„Haha, das hab' ich mir gedacht!" sagte Kirre.
„Nee, ich hab' nämlich keine Hefe im Haus", sagte Ahlberg.
Alle Kinder lachten. Sie mochten Ahlberg sehr gern. Nur Kirre
fuhr fort, sich blöde zu benehmen.
„Laß ihn statt dessen fliegen", sagte er. „Dazu braucht man keine Hefe."
„Möchtest du fliegen, Ahlberg?" fragte Karlsson. Es sah beinahe so aus, als ob Ahlberg schlafe, aber er gab doch immerhin Antwort, wenn Karlsson ihn anredete. „Bitte schön, ich will gern fliegen", sagte er. „Aber dann
mußt du mitfliegen, denn ich hab' meiner Mutti versprochen, nie allein aufzusteigen."
„Dann komm her, Ahlbergchen", sagte Karlsson und nahm den Hund auf den Arm.
Und alsbald flogen sie, Karlsson und Ahlberg. Erst stiegen sie bis zur Decke empor und drehten ein paar Runden um die Deckenlampe, und dann ging es geradewegs zum Fenster hinaus. Da war sogar Kirre blaß vor Staunen.
Alle Kinder stürzten ans Fenster und standen da und sahen Karlsson und Ahlberg über die Hausdächer dahinschweben. Aber Lillebror schrie verzweifelt:
„Karlsson, Karlsson, komm doch mit meinem Hund zurück!" Das tat Karlsson. Er kam zurück und setzte Ahlberg auf den Fußboden. Ahlberg schüttelte sich, und er sah so verwundert aus, daß man meinen konnte, es sei der erste Flug seines Lebens gewesen.
„Ja, und jetzt ist Schluß für heute, jetzt haben wir nichts mehr zu bieten", sagte Karlsson. „Aber du hast noch was", fuhr er fort und versetzte Kirre einen kleinen Knuff. Kirre verstand nicht, was er meinte. „Bonbons", sagte Karlsson.
Und Kirre holte seine Tüte heraus und reichte Karlsson die ganze Tüte. Allerdings nahm er sich zuerst einen Bonbon heraus.
„So'n gefräßiger Bengel", sagte Karlsson. Dann sah er sich lebhaft um. „Wo ist die Schachtel für wohltätige Zwecke?" fragte er.
Gunilla holte sie. Sie dachte, jetzt wird Karlsson uns doch einen Bonbon anbieten, wo er so viele hat. Aber das tat Karlsson nicht. Er nahm die Schachtel und zählte hungrig alle Bonbons nach.
„Fünfzehn", sagte er. „Reicht zum Abendbrot! Heißa hopsa, ich muß nach Hause und Abendbrot essen!" Und er verschwand durchs Fenster.
Alle Kinder mußten nach Hause gehen, auch Gunilla und Krister. Lillebror und Ahlberg blieben allein zurück, und das fand Lillebror wunderbar. Er nahm den Hund in seine Arme und setzte sich hin und tuschelte mit ihm. Und der kleine Hund leckte ihm das Gesicht, und dann schlief er. Er ließ ein leises Schnaufen hören, während er schlief.
Aber jetzt kam Mama aus der Waschküche herauf, und nun wurde alles so trostlos. Mama glaubte durchaus nicht, daß Ahlberg kein Zuhause habe. Sie läutete jene Nummer an, die auf dem Halsband stand, und gab Bescheid, daß ihr Sohn einen kleinen schwarzen Pudelwelpen aufgegriffen habe. Lillebror stand neben dem Telefon mit Ahlberg im Arm, und er flüsterte die ganze Zeit:
„Lieber Gott, mach, daß denen der Pudel nicht gehört!" Aber er gehörte ihnen.
„Liebling", sagte Mama, als sie den Hörer wieder aufgelegt hatte. „Es ist ein Junge, der heißt Staffan Ahlberg, und dem gehört Bobby."
„Bobby?" fragte Lillebror.
„Ja, so heißt der Hund hier. Staffan hat den ganzen Nachmittag geweint. Und um sieben Uhr kommt er und holt Bobby ab."
Lillebror sagte nichts, aber er wurde ein wenig weißer im Gesicht, und seine Augen sahen so blank aus. Er drückte den Pudel an sich und flüsterte ihm ins Ohr, als Mama nicht hinhörte:
„Ahlberg, ich wollte, du wärst mein Hund." Aber um sieben Uhr kam Staffan Ahlberg und holte seinen Bobby. Da lag Lillebror in seinem Bett und weinte, als sollte ihm das Herz brechen.