Wenn dein Mütterlein
Tritt zur Tür herein
Und den Kopf ich drehe,
Ihr entgegensehe,
Fällt auf ihr Gesicht
Erst der Blick mir nicht,
Sondern auf die Stelle
Näher nach der Schwelle,
Dort wo würde dein
Lieb Gesichtchen sein,
Wenn du freudenhelle
Trätest mit herein
Wie sonst, mein Töchterlein,
O du, der Vaterzelle
Zu schnelle
Erloschner Freudenschein!
New York
Eine Frau — die Statue einer Frau,
in einer Hand hält sie den Fetzen, der Freiheit genannt wird,
das Stück Papier, das wir Geschichte nennen,
und mit der anderen Hand erwürgt sie ein Kind, das Erde heißt.
Du ziehst eine Linie mein Freund die
stärkste Linie
die Grenzhaut die letzte und undurchdringliche
Mattscheibe zwischen dem tatsächlichen Geschehen und dir (der allerhöchsten Tatsache) ich komme immer wieder an diese Grenze in manchen Wochen jeden Tag sie verläuft
mitten durch mein Geschäft
in der Saadun-Straße gehört mir eines der Arztpraxenschilder die in vier Reihen übereinander dicht gestapelt und eng beschriftet wie die Frontseite einer Ladung wieder einmal nicht eingetroffener Medikamentenkartons den Betrachter mit der Hoffnung verwirren ihm könne auf jeden Fall geholfen werden und kartonähnlich ist auch meine Behandlungsschachtel in einem Siebziger-Jahre-Betonbau in dessen Treppenhaus die Leute Schlange stehen sofern sie nicht erschöpft am Boden kauern oder liegen
die Linie die Grenze ist hauchdünn nur eine
Membran hinter der sich
die nackten Heere der Toten drängen (der jüngst Verstorbenen nehme ich an während die anderen sich schon abgewendet haben da sie die Aussichtslosigkeit ihres Rückkehrwunsches einsehen mussten und sich auf den Weg in die ferneren Abgründe machten)
aber sie ist doch auch die
stärkste Trennung die wichtigste jene die das Leben der Toten zum Spiel macht zum Spielfilm den wir gnadenlos und immer verworrener und blasser wiederholen ohne sie je
zu erwecken
du bleibst hier: vor einer Mutter die dir ein gelbgesichtiges vierjähriges Mädchen auf die Pritsche setzt dessen dunkler Blick panisch an allem abgleitet als rutschte sänke glitte es immer tiefer hinab ganz gleich wo es sich befindet und dessen aufgequollener Bauch dir Leber- und Milzschwellungen verrät die es in drei oder vier Monaten auf die andere Seite der Grenze befördern werden ich kann sie nur ins staatliche Saddam-Hospital schicken wo man aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nur tun kann was ich jetzt schon machen könnte nämlich der Mutter einen Zettel reichen auf dem in arabischer und lateinischer Schrift PENTOSTAM steht auf dass sie sich wie so viele andere mit ähnlichen Schildern und Zetteln auf den Straßen vor den Hotels bei den heruntergekommenen Kliniken oder Ambulanzen postiert in der Hoffnung auf einen Schmuggler eine korrupte Krankenschwester einen gnädigen oder kriminellen Arzt mit stiller Reserve einen Engel oder einen zufällig vorbeikommenden Mitarbeiter irgendeiner Hilfsorganisation der womöglich von einer entsprechenden Medikamentenlieferung weiß
in solchen Fällen bin ich kein Arzt mehr sondern ein Lotteriescheinverkäufer des Todes der auf seine alten Tage noch Krankheiten wie Kala Azar kennenlernen musste eine Infektionsspezialität die man zuvor allenfalls mückenverseuchten Elendsgebieten in Afrika und Indien zuwies Orte der
Dritten Welt
in die sich
der Irak an so vielen Punkten zurückverwandelt oder überhaupt hinverwandelt hat mit seinen zerbombten Elektrizitätswerken zerschossenen Kanalisationssystemen gesprengten Düngemittelfabriken zerfallenden Schulgebäuden überlasteten überfüllten maroden Krankenhäusern ich gehe auf die Straße und sehe
Kalkutta in Bagdad
offene Schafsbäuche aus denen die Gedärme hervorquellen madige Hackfleischklumpen in der Sonnenhitze Wasserverkäufer mit uralten Zinnkrügen oder aquariumsähnlichen Glasgefäßen in denen schmutziges Eis schwimmt Kinder und wieder Kinder im schulpflichtigen Alter die sich zerlumpt durchs Leben stehlen und betteln dies alles mein Freund hat natürlich seine höchsten und allerhöchsten
Gründe
bis hinauf
zum Weltsicherheitsrat dessen Mitgliedsstaaten drei Viertel des Waffenbestandes des gesamten Nahen Ostens geliefert haben und wohl deshalb so genau wissen was uns
SCHURKEN
zusteht
nämlich Hunderttausende unnötig an Infektionskrankheiten Unterernährung und Sepsis gestorbene Kinder die selbstverständlich allesamt nur dem zynischen Spiel unseres PRÄSIDENTEN zum Opfer fielen der seit zehn Jahren mit den Waffeninspektoren Katz und Maus spielt und seine verbliebenen Milliarden in die Geldsäcke seines Clans leitet in die Mäuler seiner Geheimdienste in die Türme und Keller seiner absurden Paläste in denen er sich versteckt während die Doppelgänger-Marionetten in die Kameras winken (es gibt keine Kopien sagt mein Freund Ali denn ER ist so eitel dass er auch die Doppelgänger spielt)
immerhin
mein Freund haben die Iraker schon oft versucht IHN zu erledigen da schlagen wir doch Hitler-Deutschland ganz leicht mit der Fülle unserer guten tödlichen Absichten
der Krieg
wird kommen sagt Farida und somit auch die Abrechnung ich frage mich aber ob auch mit denen abgerechnet wird die es unterließen den Würgegriff zu lockern als sie sahen was sie damit anrichteten Jahr für Jahr
die Geschichte mein Freund stellt meiner Meinung nach eine einzige praktische religiöse Frage nämlich
wer richtet die Sieger
mein HERRSCHERFOTO
aus den frühen achtziger Jahren hängt über grauen Metallkästen wunderbar fehlfarben und verblasst mittlerweile ganz wie seine Artgenossen an so vielen Orten an denen wir wissen dass wir IHM nichts anderes antun können als
Zeit
in den Metallkästen stapelt sich mein Material mit Beiträgen zur nächsten verheerenden UNICEF-Statistik die Beamten im Gesundheitsministerium sehen dies gerne klagt man damit doch immer nur den
FEIND
an und nicht die Schmugglerkönige und Schwarzmarktschieber die in den wenigen verbliebenen Luxusrestaurants schmausen und protzen und auch nicht die korrupten Funktionäre die sich nach dem Prinzip Öl für Kaviar prächtig im Sanktionsfett eingegraben haben
noch habe ich genügend Paracetamol um eine alte Frau mit einem Bandscheibenvorfall zu versorgen eine Operation brächte wahrscheinlich sowieso keine Besserung ich beruhige widerwillig einen baumlangen Kerl in der Uniform der Revolutionären Garden dass er nur an Diarrhö leidet und nicht wie befürchtet an Typhus für die Mittelohrentzündung eines vierzehnjährigen Jungen kann ich noch einmal etwas Paracetamol entbehren nicht aber Antibiotika obgleich er vor Schmerzen heult sein Großvater dem ich die üblichen Hausmittel empfehle war einmal Englischlehrer und erzählt mir dass er seit Jahren als Händler mit Haushaltswaren und Gewürzen drei Familien ernähren muss weil seine beiden Söhne bei der Armee waren und beim Rückzug aus Kuwait fielen
womit wir (mein Freund) zum Anfang (oder zu einem der Anfänge) der Geschichte kommen müssten die man hier auf unseren morschen alten Gräten zu Ende bringt im Gegensatz zu den kleinen Fröschen der Generation die unter dem Sanktionsregime aufwuchsen sofern sie nicht daran verstarben und so wenig Kontakt mit der Außenwelt hatten dass sie keine Chance erhielten zu begreifen wie all das Elend über uns gekommen ist
erinnern wir alte Karpfen uns ja noch gut an den
glorreichen Moment
des Sieges über die Perser (die gespaltene Kuppel der Märtyrer die abgeschnittenen säbelhaltenden Riesenunterarme über der Prachtstraße die Helme der gefallenen Feinde wie Schildkrötenpanzer in einer Betonfläche fixiert) der
PRÄSIDENT
hatte gewonnen und er hatte die
arabische Welt die Interessen des Westens die Grenze der Sowjetunion (mit deren aller großzügiger Unterstützung und:) mit Strömen
SEINES
irakischen Bluts vor den
Horden Khomeinis
verteidigt
noch immer stand eine Million Mann seiner siegreichen Armee unter Waffen und machte Anstalten IHM die Haare vom Kopf zu fressen während ER doch wehrlos im Sumpf der Auslandsschulden steckte und die leeren Hände (sein drittes Paar) den
arabischen Brüdern
entgegenhielt die sich jedoch plötzlich darauf besannen dass sie die eigenen Finger doch lieber in die eigenen Goldkisten steckten und den PRÄSIDENTEN nun zu mächtig fanden so dass sie (die Saudis und Kuwaitis) jede weitere Kreditierung verweigerten zudem die Kriegsschulden des Irak einforderten und darüber hinaus noch die Ölverkäufe weit über die vereinbarten OPEC-Höchstgrenzen steigerten so dass der Preis verfiel und der PRÄSIDENT sich schließlich gezwungen sah sich daran zu erinnern
dass WIR das unter dem korrupten Sabah-Clan leidende aber nun endlich zum Aufstand bereite Volk der Kuwaiter doch rasch (von seinen Petro-Dollar-Milliarden) befreien sollten
auf der (Erd-) Oberfläche ging es nur um
etwas Wüste und etwas Meer
um eine kleine Hinterhofangelegenheit wie Panama für die USA oder die Falklandinseln für England so dass der PRÄSIDENT von einem gewissen Verständnis ausgehen zu dürfen glaubte und dieses auch deutlich herausspürte in jenem legendären Gespräch das ER mit der US-Botschafterin Glaspie führte bei dem sie dachte ER könne doch nicht gedacht haben die Aussage dass man keine Meinung zu einem innerarabischen Konflikt habe bedeute auch man würde nichts unternehmen wenn ER ganz Kuwait erobere (statt nur die umstrittenen Ölfelder von Rumaila und ein oder zwei unbewohnte Inseln) und sich von da aus womöglich noch gegen Saudi-Arabien wende schließlich hatte sie ja hinzugefügt dass ER angesichts der von IHM an der kuwaitischen Grenze massierten Truppen doch — im Geiste der Freundschaft — seine Absichten überdenken solle aber ER
wollte nicht denken
was too stupid (wie Glaspie später vor dem US-Senat erklärte) sich vorzustellen wie die USA reagieren würden wenn
sie in Kuwait Orangen (wahlweise Datteln oder Kakteen) angebaut hätten so ließ sich ein hoher US-Beamter (no name) später vernehmen dann wäre Washington seelenruhig
in Urlaub gefahren
so aber handelte es sich um den Zugriff auf das
dickste Ölfass der Welt
und der Freund Saddam war plötzlich ein Wiedergänger Hitlers und jedes Erdulden und unnötige Entgegenkommen eine Neuauflage des Münchner Abkommens (erklärte Miss Thatcher Mr Bush) und so kam es dann dass
der Ast Kuwait zum Stamm Irak kaum auf unseren TV-Schirmen zurückgekehrt war und man kaum einige schöne Beutezüge in den Palästen und Einkaufszentren der blitzartig entflohenen Sabahs hatte unternehmen können und gerade einmal einige folkloristische irakische Folterkeller in Garagen und Kellern improvisiert worden waren
als auch schon
jener diplomatische Zirkus einsetzte
mit seinem wirklichen Horror und seiner grotesken Komik
von der Schlacht der Lügen
bis zur Mutter aller Schlachten
von den Brutkastenmorden (professionelles Märchenprodukt einer US-Werbeagentur dargeboten von der fünfzehnjährigen Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington als angeblicher Augenzeugin vor den fassungslosen Mitgliedern des UN-Menschenrechtsausschusses
312
Babys sterbend
auf dem kalten Fußboden)
zum Geißeltheater der menschlichen Schutzschilde (besucht den Irak! lacht in die Kameras nehmt 20, 30, 100 Landsleute als Souvenir mit nachhause Kurt Waldheim Jesse Jackson Willi Brandt Edward Heath)
der PRÄSIDENT beugt sich herab legt dem schreckensstarren siebenjährigen englischen Jungen eine Hand auf die Schulter und fragt ihn auf Arabisch ob er schon seine
MILCH
bekommen habe)
die Milch des Todes aus der Kuh des internationalen Abscheus floss
rot und schwarz
über den Irak und ich erwachte am frühen Morgen unter Verputzsplittern jemand hatte das ganze Haus an der Schulter gerüttelt (das moderne heute für mich unbezahlbare Mietshaus in dem wir damals logierten aber womöglich ist der Preis jetzt schon am Sinken) Farida trug Sami und ich die fünfjährige Muna auf die Straße (sie war nicht aufgewacht und atmete mir ruhig ins Ohr) die Sirenen heulten nach der dritten Explosion allmählich los aber wir waren doch noch weit weg von den Einschlägen
worüber sollen wir uns beschweren
vielleicht über das Ausmaß der Zerstörungen und die Präzisionsmängel der Präzisionswaffen wir könnten die Frage stellen weshalb so viele Schulen und Krankenhäuser getroffen wurden und weshalb Zehntausende von Zivilisten starben weshalb man es für nötig befand schon in den ersten beiden Wochen des Luftkriegs mehr Bomben abzuwerfen als die Alliierten im gesamten Zweiten Weltkrieg vielleicht könnte man von einem unendlich selbstgerechten Hass des von vornherein ausgemachten Siegers sprechen der wohl auf Aussagen gewartet hat wie die unendlich grausame lauthals verkündete Hoffnung unseres PRÄSIDENTEN auf einen so blutigen Bodenkrieg dass ihn die zimperlichen westlichen Regierungen nicht ertragen würden im Gegensatz zum
ausblutungswilligen ausblutungsstarken
irakischen Volk
wenn in einer Kriegswoche 150 000 irakische Soldaten fallen und 376 Alliierte (die Letzteren hauptsächlich durch Unfälle) dann taucht die Frage der Grausamkeit vielleicht noch einmal auf die durch vernebelte gemaßregelte kontrollierte arretierte Journalisten der
FREIEN WELT
erst lauter gestellt wurde als auf dem
Highway des Todes jener schnurgeraden Straße nach Kuwait
auf der auch die beiden Söhne meines alten Englischlehrers/Gewürzhändlers in der gleichen Sekunde zu Asche wurden
von laufenden internationalen TV-Kameras (versehentlich) ein
Luftschlachthaus
bei der Arbeit bestaunt werden konnte weswegen dann der Abbruch der Operation Zerstörung der irakischen Armee auf der Flucht allmählich geboten schien aber für uns die seit zehn Jahren in unserem Fleisch brennende und weitermordende Frage offenblieb weshalb man nach so vielen Opfern uns nicht auch von unserem PRÄSIDENTEN befreit hatte (plötzlich aufgekommene Stabilitätserwägungen Berücksichtigung der öffentlichen Meinung jäher Gedanke an die Möglichkeit einer Machtstärkung der iranischen Mullahs …) was doch ein Leichtes gewesen wäre glaubt man den Aussagen etlicher US-Generäle
nach 42 Tagen Krieg
auf dem Leichenberg von 200 000 oder 250 000 Irakern
hatte unser PRÄSIDENT nun
schon wieder
GEWONNEN
wirsehenunserenSiegalshistorisches
DuellnichtalsKampfzwischeneiner
Armeeundverschiedenenanderen
undihrseidsiegreichweilihrEin-
schüchterungundUnterdrückung
zurückgewiesenhabt
der alte Englischlehrer sitzt immer noch auf seinem Stuhl vor meinem Praxis-Schreibtisch und erzählt von seinen Söhnen während sein Enkel dem ich etwas heiße Watte getränkt mit ätherischem Öl ins Ohr gestopft habe enerviert auf meinen durch Regungslosigkeit stromsparenden Deckenventilator starrt
ich bin immer in Bagdad geblieben (denke ich plötzlich) weil hier die Menschen miteinander reden so könnte man es im Nachhinein begründen aber damals stellte ich einfach an einem gewissen Punkt fest dass ich es wieder einmal versäumt hatte zu fliehen mich dem großen
brain drain
anzuschließen der Tausende von Ärzten Lehrern Wissenschaftlern aus dem Land gespült hatte ich war wohl zu langsam gewesen ich weiß es nicht einmal mehr so genau weshalb wir geblieben sind ich erinnere mich nur dass ich damals hin- und hergerissen zwischen Angst und Wut auf jedermann wie ein verwirrtes Kamel auf dem schwarz verbrannten Wüstenboden zwischen den Riesenfackeln brennender Ölbohrlöcher durchs Leben taumelte ausgelaugt von Tages- und Nachtschichten zu denen ich dienstverpflichtet worden war und schon
hatte ich wieder einen Krieg mit-gewonnen und meldete meine beiden jüngeren Kinder auf den ramponierten Schulen von Embargoland an mit irgendeiner Art von Trauer und Stolz
wenn die SCHURKEN so litten wie wir litten
dann musste ich bleiben
wenigstens
als Arzt
Perspektive
Für Fadhil al-Azzawi
Einem Storch fiel ich aus dem Schnabel,
hoch über Bagdad.
Mit meinem Vater ging ich nach Babylon.
Meine Mutter brachte mich nach Nadschaf.
Ich floh den Turm und die Moschee,
den Rachen des Löwen und das Feuer des Islam.
Brennend wurde ich gefressen,
von einem alten geflügelten Ungeheuer.
Das Blau
am Morgen es
ist fast ein Jahr her es ist wieder
September
das Ende eines Sommers das wolkenlose Blau schneidet durch die Vorhänge nein dringt durch einen senkrechten Spalt dazwischen es ist natürlich nicht das Blau sondern nur die Helligkeit das weiße Licht das meine geschlossenen Lider trifft die unerträgliche Energie und Brillanz des späten Sommertages immer wieder kommt es mir so vor als erwachte ich
taub (betäubt)
als wäre es möglich dass mich das Licht die Helligkeit das gnadenlos unempfindliche Blau vor allen profanen Geräuschen einholt und mir eine örtliche Betäubung (Betäubung des Ortes) verpasst es scheint mir als erwachte ich
auf einer ungeheuren Fläche dem
Blue Screen mitten im
HEITEREN HIMMEL
ich kann das deutsche Wort nur noch als Drohung denken als blankes zerstörerisches Potenzial aus einem solchen Himmel kann man nur
fallen
wenn man Glück hat in einen Traum das ist das Beste was mir geschehen kann ich höre dann immer noch nichts und schließlich nur ganz leise Wellen und Seevögel und ich erwache am Strand am Morgen in jenem
Traum vom Fragen und Antworten
der wie die Mondsichel geschwungene Sandstreifen bei Rockport der graue Strand die Hunde und Möwen der frische Wind Schlaf in meinen in ihren Augen die immer noch kleinkindhafte weiche Hand in meiner Hand sie ist sechs oder sieben ich kann es nicht mehr unterscheiden kurz nach oder vor Schulbeginn Amanda liegt noch im Bett und wir gehen über den glatten fast unberührten vom Wasser wie mit glänzendem Lack überzogenen Strand die Hand löst sich kurz aus meiner Hand für das Aufheben einer Muschel eines Schneckenhauses eines Steins und kehrt feucht und kühl und sandig wieder zurück putze eine triefende kalte Kindernase es ist
die Zeit der Fragen
in der Stille der kühlen Luft
ich will nur noch
zurück ich will nur noch an diesem Strand sein
das PARADIES
(sagt es den Mördern überschreibt die so genannten Heiligen Bücher schreit es in die Welt)
ist nichts
als eine einzige Szene in der Vergangenheit
die man immer wieder betreten kann
ohne zu wissen dass man hier schon tausendmal war und ohne zu wissen was kommt
sie sieht auf und fragt (es ist wie ein Rausch ein Kinderrausch der Sauerstoff sie kann gar nicht aufhören zu fragen)
Wie ist das Wasser auf die Erde gekommen? — Früher war Eis, dann schmolz es. — Glaubst du an Gott oder an die Urmenschen? — Du meinst die Evolution, dass alles sich aus ganz kleinen Tierchen entwickelt hat in Jahrmillionen Jahren. — Ja, bis die Affen kamen und daraus die Menschen wurden. Glaubst du das? — Ich denke schon. — Aber wird jetzt noch ein Affe ein Mensch, zum Beispiel in einem Zoo? — Nicht so schnell, es dauert sehr lange. — Aber die Menschen waren irgendwann da und wurden aus dem Paradies vertrieben. — So steht es in der Bibel. — Warum wurden auch die Affen und die anderen Tiere vertrieben, die dann auf die Arche kamen? Und die Schlange kam auch auf die Arche, nicht wahr? Weshalb glaubt man dann, sie wäre der Teufel?
um sich das Böse zu erklären glaube ich sage ich einfach so
die Leute suchen
einfache Bilder an die sie sich halten können mit einem Mal
kommen dann die Geräusche im Licht ich öffne die Augen die Hupen das unablässige Brummen dazwischen jaulende Sirenen ein Dröhnen aber nicht jenes ferne Grollen eines Gewitters in einer anderen Stadt eines Steinschlags in einem benachbarten Gebirgszug das Niedergehen der Türme in wenigen Sekunden und die Brandungswelle die es hervorrief bis zur ersten totenstillen Nacht danach in der scheinbar niemand mehr hinausging außerhalb der rauchenden zerwühlten mit gleißenden OP-Lichtern traktierten grau-schwarzen Wunde ich
trete jeden Morgen ans Fenster und starre vom 7. Stock hinab in das
verwickelte alltägliche blinkende Gewirr der Amsterdam Avenue
das einfache Bild
war einmal:
Hasserfüllter Terror erklärt der ZIVILISIERTEN MENSCHHEIT den Krieg
eine Ikone für
Staatsmänner Hand aufs Herz Aufstellung vor Ground Zero Nationalhymne Flagge Heilige Feuerwehr Patriot Act War
against Terrorism
die einfachen die schnellsten die brennenden Bilder vor einem Jahr waren präziser und klarer
TERRORISTSCRASHHIJACKED
AIRLINERSINTOWORLDTRADE-
CENTERPENTAGONSOURCES
«GOOD INDICATIONS «OSAMA
BINLADENINVOLVEDINATTACKS
die unfassbare Wirklichkeit verschmilzt in der Vergangenheit die immer unfassbare Wirklichkeit ist in ihrem monströsen Rahmen ein Trost ich stürzte
aus dem Haus in Amherst es war schon
zersplitterter Nachmittag
schon längst rauchte die Südspitze Manhattans schwarz wie ein von Brandbomben getroffener gigantischer Tanker ich fuhr telefonierte stieg aus um zu telefonieren weil ich nicht mehr weiterkam keinen Empfang hatte zu erregt war um weiter gleichzeitig zu fahren und zu telefonieren immer wieder Bildschirme Radiostimmen Flugzeuge leicht wie Schatten in Hochhaustürme wie in dünne Aluminiumsäulen stoßend erbrochene riesige Feuerbälle Staus Sperren Unfälle ahnungslose Leute dazwischen Telefonzellen an Restaurants Tankstellen Malls um vielleicht weiter zu kommen als mit meinem mobile ich habe nur dieses wahnsinnig machende
SIE SIND DA DRIN
und wusste doch schon dass es jenes DA nicht mehr gab (sein letztes Zeichen und Denkmal jene von Millionen von Papierfetzen und leichten Trümmern nachgezeichneten Kuben die zerrissenen Seelen der Türme weiß nachflimmernd) ich konnte Seymour zunächst nicht mehr erreichen die Mobilfunknetze im Financial District waren zusammengebrochen ich kannte Eric nicht ich traf Mrs Donally nicht an ich hatte zwei Nummern von Amandas Kolleginnen die ebenso wenig antworteten wie sie ich stieß nur auf Besetztzeichen anspringende Anrufbeantworter Mailboxen synthetische Stimmen die mich in Warteschleifen stellten unmittelbar vor dem tiefsten Abgrund
SIE SIND DA DRIN
wochenlang hatte ich Seymours fürchterlichen Satz im Kopf und er endet nicht verlässt mich nicht dieser Satz
ausgesprochen um 10:06 Uhr auf dem Broadway mit Blick auf die getroffenen Zwillingstürme eine Minute vor dem Einsturz des Südturms Seymour hatte aufgelegt bevor er loslief um gleich darauf zu erstarren
zehn Sekunden lang
das Niedergehen einer Lawine völlig irrsinnig ein Ereignis aus einem völlig anderen (geologischen, alpinen) Zusammenhang
eine turmhohe Wolke raste auf ihn zu an den Rändern wie fehlerhaft oder blödsinnig tricktechnisch begrenzt von den harten vertikalen Linien der Hochhäuserblocks dann aber schon
Goyas Titan
genau über dir der dich
zertritt
nein seltsamerweise nur versetzt in
eine ohrenbetäubend rauschende graue und weiße Welt aus der Figuren aus Rauch und Asche stolpern sich erbrechen zu Boden stürzen wie in einen Schaum aus Trümmern so leicht als könnten dich diese zerfetzten scharfkantigen Objekte nicht schneiden als müssten alle die du suchst dir im nächsten Augenblick entgegentaumeln wie diese hustend speiend schreiend aus der Wolke geborenen Banker Hausfrauen Polizisten jemand zerrte ihn in einen Laden schloss die Glastür gerade noch rechtzeitig bevor die nächste Wolkenfront (schwärzer höher eine mit Trümmerteilen gespickte Gewitterladung) heranraste und er wurde schlagartig in die Nacht versetzt zusammen mit fünfzehn Menschen in einem engen Drugstore von Neonröhren angestrahlt wie Fische in einem Aquarium und
so sind sie immer noch da drin in uns wie in einem leuchtenden inneren Aquarium eingeschlossen Amanda Sabrina dem sie nicht entrinnen können das wir mit unserem Fleisch unserer Haut schützen mit unserem letzten
Leben Seymour
ich schaffte es nicht bis nach Manhattan in dieser Nacht ich stand in New Jersey neben meinem Wagen sank nach Stunden in der Dunkelheit auf einem Promenadenweg zu Boden saß an den Vorderreifen gelehnt und starrte über den Hudson weit rechts hätten die Türme stehen müssen ein Konglomerat nur aus Rauch flach züngelndem Licht brodelnder Nacht aufsteigender Wolkentinte das an die glühenden Fensterzeilen der Häusermassive anschloss unter dem flugleeren fahlen Himmel über ganz Amerika dieses komplett ausgeräumte obere Stockwerk ein Himmel wie zu
Goethes Zeit
es war plötzlich nur noch ein
Sich-nicht-mehr-aufrecht-halten-Können
als wäre das mein einziges Problem gewesen ein Polizist sprach mich an ich fuhr den Wagen auf einen Randstreifen und erzählte wohl etwas über Sabrina denn er brachte mir einen Becher Kaffee und notierte sich nichts heute wüsste ich gerne seinen Namen so viele Leute treffen sich im Nachhinein um gemeinsam in die Vergangenheit zu starren auf den blendend hellen Schild eines wahnsinnigen Tags der auch in der hundertsten Wiederholung und unter dem Druck von Millionen und Abermillionen Blicken keinen Millimeter nachgeben und nichts von seiner gnadenlos heiteren stählernen Bläue verlieren wird
aber es war schon Nacht ich fror oder zitterte so stark dass ich mich wieder ins Auto setzte und von dort weiter in die Dunkelheit starrte bis sie allmählich durchsichtig wurde als hätte ich gewonnen als könnten die Türme nun wieder auferstehen in jener langgezogenen vertikalen Rauchsäule jener erst schwarze und ölig dichte dann immer hellere und feinere Rauch den man noch Monate später über dem zerfetzten Grund sehen würde dieser wie unauflösbare Schleier der all die brillanten Helikopter-Tiefblicke auf den zerstörten Komplex das Vordringen in die Katastrophenzone die
DEVASTATION AREA
wie mit Geisterhänden trübte genährt von den unterirdischen drei oder fünf Stockwerke tief glühenden kaum löschbaren Kernen unter dem Schutt hochverdichtete verbackene Materialien die das Kerosin in einen zähen Fackelbrand versetzt hatte
im Morgenlicht fiel mir auf dass ich fast einen Hydranten umgefahren hätte dem Polizisten der mich zum ordnungsgemäßen Parken aufgefordert hatte war das wohl entgangen ich befand mich in Hoboken auf einem öden Gelände zwischen Football-Stadien direkt am Ufer und sah hinüber weshalb ausgerechnet Hoboken dachte ich etliche Male vielleicht weil ich einmal diesen Soldaten-Spruch gehört hatte (Heaven, Hell or Hoboken) schließlich gelang es mir nach Manhattan vorzustoßen nach einer verworrenen Autofahrt zur George-Washington-Brücke und dann zu Fuß und mit Stadtbussen der Wagen wurde in der Nähe des City Colleges gestohlen weil ich vergaß ihn abzuschließen und das erleichterte mich und bestärkte meinen Entschluss in Manhattan zu bleiben und es auszuhalten ganz gleich als was es sich herausstellen würde ich fand ein Hotelzimmer von dem aus ich zwei Tage umherirrte und versuchte
der Zone
näher zu kommen diesem ungeheuerlichen Rauch- und Qualmgebilde das zwischen den Hochhäusern wucherte wie ein Atompilz der sich nicht vom Grund erheben konnte
IT’S WAR
ACT OF WAR
die Titelblätter am zweiten Tag
stell dir Hiroshima vor sagte einige Wochen später ein Bekannter (Makroökonom, ein Mann der Distanzen) oder die großen Städtebombardements im Zweiten Weltkrieg
weshalb fragte ich soll Sabrina auch dort noch sterben aber er meinte dass wir eine Grenze finden mussten für den maßlosen Schmerz etwas das ihn einordnete
worin nur
wozu
ich sah den
PRÄSIDENTEN (George Bush jr. über den wir an den Universitäten einmal gelacht hatten) und hing ihm plötzlich an den schmalen Lippen wenigstens für einen Tag für jene am Vorabend aufgezeichneten fünf Minuten in ständigen Wiederholungen die er mit scheinbar abnehmender Kraft sprach immer mühsamer während
auf den gleichen Bildschirmen die Türme immer perfekter immer ausdrucksvoller in immer neuen ausgefeilten Einstellungen niederkrachten
terrible sadness
evil axis
AMERICA UNDER ATTACK
we will make no difference between
those
defend
a great nation
we will be open
for business
tomorrow
good night
es wird Krieg geben und ich will ihre Leichen auf großen Bergen gehäuft sehen sagte ein schmächtiger blonder Mann in einem staubbedeckten vornehmen braunen Anzug an meiner Seite
wozu fragte ihn eine riesige fette puertoricanische Polizistin zurück
wozu
kurz darauf erreichte ich endlich Seymour am Telefon wir standen wenige Meter nebeneinander vor einem der provisorisch am Straßenrand errichteten Vermisstenbüros mit Blick auf eine von Trümmern übersäte Straße die hinter zwei Polizeisperren verschüttet war von einem Bergrutsch aus verbogenem diagonal gestaffelten Schrott bis zum zehnten Stock der gänzlich unberührt erscheinenden Häuser links und rechts es musste eines der World-Trade-Center-Gebäude gewesen sein keiner konnte sich später erklären weshalb (mit Ausnahme des Marriott-Hotels) nur jene sieben zum Welthandelszentrum gehörenden Gebäude zerstört wurden
wir müssen die Spuren prüfen wir müssen sichergehen
sagte Seymour und so begannen wir
auszutauschen was wir wussten ich war im Nachteil ich hatte Sabrina auf Long Island vermutet ich hörte zum ersten Mal von ihrem Plan gemeinsam mit Eric für zwei Wochen nach Kalifornien zu fahren und erfuhr dass Seymour der Letzte war der sie gesehen hatte am Nachmittag in seiner und Amandas Wohnung in der Little Brazil Street wo sie ihren blauen Rucksack hinterließ und noch einen Tee trank bevor sie (womöglich) auf der Upper East Side eine Freundin aufsuchte (bei der sie dann übernachten wollte wie sie zu Seymour noch sagte) deren genauen Namen und deren Adresse wir nie ausfindig machen würden
alles musste registriert erkundet erforscht werden wir mussten uns durch das widerwärtige schwarze Gewebe der Unbestimmtheiten schneiden und wir setzten alle Telefonate alle verfügbaren Terminpläne alle Sätze und Halbsätze aller verfügbaren Zeugen zusammen aber wir hatten von Anfang an kaum eine Chance ich wollte ich hätte Amandas Büro im 94. Stock des Nordturms nie betreten und dieses Bild meiner gehetzt fast verärgert zwischen zwei Computerbildschirmen aufsehenden ehemaligen Frau in einem dunklen knielangen Rock und einer weißen Bluse nie sehen müssen die plötzlich lächelte da ihr einfiel dass sie mich ja gebeten hatte vorbeizukommen und nun wiederum für einen Augenblick vergaß dass wir uns längst nicht mehr liebten sich dann fing und mir die
großartige Aussicht
über die Upper Bay bis nach Staten Island zeigte wofür ich mich wegen der eng benachbarten Streben der Außenfassade nah ans Fenster und an sie heran begeben musste ich sah eine saphirblau leuchtende konturlose Weite im blendenden Gegenlicht präzise in meine Erinnerung gegraben ist aber das matte Schimmern ihrer Perlenkette und der perfekt gestärkten weißen Bluse (irgendein synthetisches oder mit synthetischen Fasern angereichertes Material) ein vornehmer Damastglanz im Kontrast zu ihrer gebräunten von blassen Sommerflecken belebten Haut und ich bin froh darüber dass ich mich zwar an ein mir unbekanntes Parfum erinnere aber nur an dessen Fremdheit nicht an seinen Duft es ist die Gnade der Ungenauigkeit die uns immer weniger gewährt wurde die uns (Seymour und mir) von Anfang an nur in zeitlicher Hinsicht zuteil werden konnte als sich auflösende Wolke um einen von Anfang an genau bestimmten Punkt
8 Uhr 45: Einschlag der Boeing 767 American Airlines Flug 011 auf der Nordseite des Nordturms im 96. Stock
man suchte drei Wochen lang nach Überlebenden bevor die ersten großen Trümmer von der Stelle bewegt wurden jene bizarren scherenklingenähnlich herausragenden Gitter der zerfetzten unteren Fassade vor denen die Leichenspürhunde über die herausgebrochenen Mauerteile und verdrillten Stahlträger geführt wurden von Spezialisten wie es hieß wie viele Spezialisten hat eigentlich der Tod fragtest du dich
(einen für
jeden Menschen)
wir sahen dann Ground Zero aus nächster Nähe immer wieder von der Plattform aus die für die Angehörigen der Opfer errichtet wurde aber
nach drei Wochen schon brauchten wir nicht mehr zu hoffen wir hatten uns durch ein Gewirr von Leerstellen getastet (denn mehr war es nicht nur unsere Vermutungen und Kombinationen und die Umwege die wir gehen mussten jene enervierende peinliche Detektivarbeit die uns den Anspruch auf gute Nachrichten zu gewährleisten schien) bis wir (Seymour) mit einem zeitweilig für Amandas Firma tätigen Anwalt aus Brooklyn sprachen den sie um 8 Uhr 15 angerufen hatte (noch 30 Minuten) vom Büro aus wie sie sagte
bis wir nach Gesprächen mit Angehörigen der zu drei Vierteln ausgelöschten ehemals 22-köpfigen Firma (ich geriet oft an Angehörige von Vermissten ich hätte mich wie ein sadistischer Laufbursche des Todes gefühlt wären mir nicht all diese Menschen mit größter Offenheit und Hilfsbereitschaft entgegengekommen und hätte ich nicht lange erschütternde Telefonate mit Unbekannten in Queens Brooklyn Lower Manhattan geführt) die Kollegin fanden die wegen einer schweren Erkältung zuhause geblieben war an jenem strahlenden Spätsommertag und Amanda auf ihrer Büro-Festnetznummer um 8 Uhr 35 gesprochen hatte
zehn Minuten
reichten um mit den Expressfahrstühlen nach draußen zu gelangen oder nur zehn Stockwerke höher oder tiefer zu kommen in Ebenen von denen aus es doch so viele noch geschafft hatten
die sich aber bald meldeten die man in den umliegenden Kliniken fand jeder Tag senkte uns tiefer in die Nacht dieses Mal gehörten wir nicht zu den Glücklichen deren Freunde Verwandte
Frauen
Kinder
entkommen waren es
gab heftig aufflackernde Hoffnungen die abwegige Idee etwa Sabrina könne sich nachdem sie von Seymours und Amandas Wohnung aufgebrochen war etwas ganz anderes überlegt haben und weggelaufen sein und sich bis zum heutigen Tag verbergen oder gar die Vorstellung sie und Amanda hätten gemeinsam die Gelegenheit genutzt sich von uns (von Seymour von mir nun gut aber weshalb dann auch von Eric) und allem anderen was sie belastete zu befreien und ein neues Leben zu beginnen
aber Amanda hatte ein vollkommen alltägliches Geschäftstelefonat geführt sie war erst eine Dreiviertelstunde im Büro es gab nicht den geringsten Grund weshalb sie es plötzlich hätte verlassen wollen die Hoffnung konnte sich nur noch
auf Sabrina richten bis
Sabrinas Zimmerkollegin Julia mich anrief
Mitte Oktober
sie kam dann eigens nach New York City sie hatte ihr Mobiltelefon wiedergefunden das in den Aufregungen der ATTACKE verlorengegangen war und nach dessen Wiederauffinden sie dann nur langsam und widerwillig als müsse sie in einen eiskalten Raum gehen begriffen hatte
was der Anruf Sabrinas auf ihrer Mailbox bedeutete
2001–9-11 / 8.37 am
Sabrinas Stimme klingt müde aber auch vergnügt warmherzig freudig entschlossen
(es gibt dort Müdigkeit es gibt Grund zur Freude sie
tragen sich mit Plänen
was hätte ich anderes denken können)
an Julias mobile hing ein Schlüssel und ein kleiner Stofftiger der mir unerträglich wurde in den Minuten in denen ich drei Mal die kurze Nachricht abhörte
dass sie die erste Semesterwoche verpassen würde weil sie mit dem Jungen (Eric, du weißt schon) noch heute im Greyhound-Bus losfahre das erste Mal dass sie so weit mit einem Bus reise sie müsse nur noch kurz mit ihrer Mutter reden
vor deren Büro (vor der Glastür mit der milchtrüben Blende in Bauchhöhe die einen seltsamen Blick auf die Oberkörper und Gesichter dahinter freigab als bewegten sich lebendige Büsten dort) sie jetzt schon stünde sie telefoniere gerade und lege jetzt auf
See you, bye-bye!
Julia (füllig rothaarig mit regenfarbenen verweinten Augen) saß erschöpft vor mir an einem Starbucks-Cafétisch sie wollte mir die letzte Aufzeichnung von Sabrinas Stimme (nicht einmal zwanzig Sekunden) schenken irgendwie übereignen vielmehr aber sie steckte ja nicht in dem fliederfarbenen mobile mit dem Stofftiger und ich konnte ja auch nicht ständig auf ihre Mailbox zugreifen
wenn ich … die letzten Worte … stammelte Julia
nach einer stummen beklemmenden Minute verfielen wir auf die Idee Sabrinas Nachricht mit der Tonaufzeichnung meines Mobiltelefons zu kopieren aber es hatte gar keine solche Funktion also kaufte ich ein kleines Diktiergerät und wir setzten uns auf eine Bank im Central Park und hielten die Geräte gegeneinander
man hört dennoch das ferne Singen einer Amsel (es gibt Gärten dort aber nicht für die Mörder) ich wollte die Aufnahme nicht wiederholen es fiel Seymour aber gar nicht auf als er das kleine silberne Gerät ans Ohr hielt anstatt es lauter zu stellen
acht Minuten
wir brauchten nicht mehr zu recherchieren es war zu unwahrscheinlich die nördlich gelegenen Büros im 94. Stockwerk waren augenblicklich zerstört worden es dauerte nur eine halbe Sekunde bis das Flugzeug nach dem Durchschlagen der Fassade den Kern des Gebäudes mit den Fahrstuhlschächten erreicht hatte eigentlich in das Gebäude hineinschmolz alles in seiner Umgebung und sich selbst zerfetzend verdampfend in höchstens noch faustgroße glühende Stücke riss im Feuerball von 34 000 Litern brennendem Kerosin
es ist der Tod
in einem Atemzug der die Lungen mit Feuer ausfüllt sie hätte ausfüllen können sie aber mitsamt dem restlichen Körper schon zerstört hat bevor du es noch spürst
das Blau jenes klare scheinbar seidige Blau
erscheint an der Kernzone von Flammen der ganze Himmel jenes Tages (in dem ich immer wieder erwache und erwache) wäre so vielleicht besser erklärt als Ausschnitt eines Brands einer Flamme über einem so großen Teil der Welt wo findest du
im September in der Stadt
noch einen Schmetterling
Man gibt mir ein Glas Sekt schließlich
bin ich schon über achtzehn auch ein zweites Glas wird mir nicht schaden so versichert mir mein aufgekratzter strahlender in seinem hellblauen Hemd schwitzender Schwager Kasim das 40 Jahre alte Geburtstagskind das mich und Sami seinen Gästen vorstellt mit der Bemerkung ich würde bald Abitur machen und zwar mit 120 von 100 möglichen Punkten ich trinke
vorsichtig
ich spreche wenig und wenn
dann ebenfalls vorsichtig sag nichts über London das ist das Einzige worum ich dich bitte
mein Vater
bevor er Sami und mich in das rot-weiße Taxi setzte nie würde er zu einem Empfang seiner älteren Tochter gehen und auch Farida ließ sich entschuldigen aber sie war dafür dass ich das leichte hellgrün glänzende Kleid anzog dass sie vor zwei Monaten mit mir kaufte für die Schulabschluss-Feier und für andere großartige Gelegenheiten
wie die Siegesfeierlichkeiten wenn wir Amerika erledigt haben meinte Tarik trocken
wer weiß wann du es wieder anziehen kannst sagte meine Mutter mit Tränen in den Augen und Nadeln zwischen den Zähnen nur noch diese Naht sie hat im Keller schon viele Regale mit Konserven Flaschen und Kanistern gefüllt sie glaubt fest an den Krieg sie wünscht ihn sich fast denke ich sie beschwört ihn herauf
es ist so wohltuend dem alten Haus in Betawiyn für einen Abend entronnen zu sein
obgleich ich auch dort (neuerdings)
dieses schwebende überwirkliche verrückt leichtsinnige Gefühl habe dass mich hier zwischen den festlich angezogenen Menschen überkommt es hat schon damit begonnen dass ich allein mit Sami im Taxi durch die Dunkelheit fuhr vorbei an den Lichtern der Abu Nuwas im Gedränge von hupenden Autos besetzt mit singenden lachenden Menschen drei Hochzeitsgesellschaften dicht hintereinander so ausgelassen als würden sie über den Tigris gleich in ein anderes Land oder Leben fahren erst am Damaskusplatz wurde es ruhiger und im vornehmen Mansur wo wir rasch vorankamen um dann in Andalus vor diesem vierstöckigen modernen Apartmenthaus zu halten ich bin es nicht gewohnt
mit einem Glas Sekt in der Hand in einem kurzärmeligen knielangen Kleid unter Gästen zu stehen
meine Schwester
der schöne Falke mit dem amethystfarbenen Gefieder sticht mich natürlich aus und auch die meisten anderen Frauen in kurzen Kleidern und Kostümen darunter einige mit blond oder rot gefärbten Haaren ich bin plumper kräftiger ungelenker als Jasmin und
schwebe doch
es ist als könnte ich einfach nicht den Boden berühren einmal träumte ich man hätte mich mit Helium gefüllt gewaltsam aber jetzt ist es nur der Sonnen-Auftrieb
der Liebe
auch Sami mit seiner schwarzen Hose und dem besten dunkelgrauen Hemd meines Vaters sieht froh und gelöst aus es wird ihm wie mir gefallen (und wie es erst Tarik gefiele!) kein Olivgrün und kein Khaki zu sehen keinen einzigen Militär keine Uniform wenigstens es scheint also als hätte Jasmin ein Jahr nach ihrer Hochzeit die Pranke des Majors von ihrem zarten sehnigen Hals lösen können sie wirkt fröhlicher erregter manchmal sogar auch verlegener als damals wenn sie die Gäste begrüßt und bewirtet gemeinsam mit dem eigens dafür angestellten chaldäischen Ehepaar das früher einmal ein Restaurant betrieb und jetzt für das Buffet die Häppchen und die Getränke (erlesene Säfte türkisches Bier irakischer Arak französischer Wein schottischer Whisky usf) sorgt
mein Schwager hat einer hoch toupierten fülligen Dame erklärt dass ich mich für Archäologie und alte Geschichte interessiere und das auch studieren möchte natürlich
hier in Bagdad
aber doch auch einige Semester in London sagte die Dame in ihrem kirschroten Kostüm das aus einem der Siebziger-Jahre-Modekataloge meiner Mutter geschnitten scheint sie redet laut ohne dass ihr jemand widerspricht sie hat eine geradezu obszöne Art ihren Körper nach vorn zu drängen etwa so als wollte sie sich im Hamam den besten Platz erobern und bräuchte sich keine Hemmungen aufzuerlegen weil sie ja nur von Frauen umgeben ist ich muss unwillkürlich denken dass sie sich zum Nachtisch auf den Lesesessel von Kasim setzen und dort aufquellen und sich spreizen wird ich kann nichts gegen meine Fantasie ausrichten ich bin so unheimlich und zerlegend
wie ein Anatomieatlas und so verrückt wie
Dinarasad es könnte ja doch sein (und dies würde vieles erklären) dass der König und die wunderbar erzählende Schwester und alle Geschichten die wir hörten nichts weiter als Dinarasads Erfindungen wären ich bin zu übermütig zu aufgeregt
vor Glück
aber die Lässigkeit und die Zuversicht an diesem Abend unter diesen eleganten Leuten hier (wohl größtenteils Ingenieure und Wissenschaftler aus der Dora-Raffinerie) beruhigen mich sie sind so anders als die Nachbarn in Betawiyn die sich immer schon unter den Peitschenschlägen einer nächsten Katastrophe ducken in einer Woche spricht Bush vor den UN und er wird uns neue Waffeninspektoren zum Versteckspielen schicken erklärt einer und ein anderer entgegnet egal was er schickt er wird es in zwei Hälften geteilt zurückbekommen
ganz gewiss sogar in drei Hälften das ist
irakische Arithmetik sagt meine Schwester im Vorübergehen rasch leise spöttisch funkelnd sie ist irgendwie aufgeladen aber man weiß nicht mit was sie begrüßt einen mächtigen dicken älteren Mann mit Schnauzbart der einen Sack trägt eine erschreckende
aber ganz nervöse
freundlich blinzelnde eher ängstliche
Gestalt
er nimmt ein Glas Wasser Kasim rückt ihm einen Stuhl auf die Schwelle der offenen breiten Tür zwischen Wohn- und Esszimmer Schweiß fließt über das runde und wie aufgeblasene Gesicht der tabakfarbene Leinensack gleitet zu Boden der glänzend polierte Kokosnuss-Leib einer Ud kommt zum Vorschein die dicken runden Finger schweben wie hilflos über den Doppelsaiten drücken auf den fragilen Hals
alle
Stimmen in dir
so genau so verästelt so empfindlich eigenwillig zart sie auch sein mögen
finden einen Platz
lassen sich verschränken
verweben sich im Teppich des Lebens zum vollendeten Ornament
Geliebter
ich trinke Sekt und süßen Rosinensaft ich gehe hinaus auf den Balkon stehe an der Seite meines Bruders und niemand weiß dass ich Dich verberge meine nackten Arme mein offenes Haar das dünne Kleid der Ud-Spieler kann auch schnelle tanzende Melodien zu denen einer der Gäste auf einem umgedrehten Kochtopf mit den Fingern trommelt sehr geschickt genau passend so dass der schwitzende Meister sich freut
O komm, Geliebte, komm, es sinkt die Nacht,
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifel Dunkel! Nimm den Krug und trink,
Eh man aus unserem Staube Krüge macht.
waren es nicht diese Verse zu denen Umm Kulthum sang Omar Khajjam in der Übersetzung von Achmed Rami sagt die ruhige Stimme von Onkel Machmud unserem alten Lehrer in meinem Kopf Du kamst mit dem Klang eines alten Gedichts das ich im Angesicht der sonnenbeschienenen blendenden Wand des Nachbarhauses auswendig zu lernen versuchte wie es mich freut dass Jasmin in besserer Gesellschaft ist als noch vor einem Jahr bei ihrer Hochzeit es sind so fröhliche lässige gebildete Menschen hier was für eine angenehme und befreiende Umgebung ideal um etwas
zu verbergen
ich lehne an der Balkonbrüstung in der Nacht unter den gedrängten gläserklirrenden Gästen auf meinem Gesicht der Frühlingswind den nur ich spüre jeder müsste es doch aber sehen denn wie versteckst du ein lachendes Herz warst du
in Babylon?
fragt mich die hochtoupierte Frau sie muss ein hohes Tier sein oder ein Weibchen eines solchen dass sie so laut und ungeniert redet
bei unseren wunderbaren Festspielen? nein leider nicht (Volkstanzgruppen aus vielen Ländern bei dem Fall-in-den-Staub-vor-deinem-Gott-Saddam-ist-größer-als-Nebukadnezar-Spektakel wie Tarik es nennt)
in meinem Babylon könnte es auch so eine dunkel blühende tropische Nacht geben und wie unter einem duftenden Schleier gingen alle auf die Balkone hinaus es wäre wie hier belebt und ruhig zugleich wie in dieser breiten vornehmen Straße mit ihren Palmen und Villen und Gärten Geliebter in meinem Babylon gäbe ich das gleiche Fest nur
für die ganz Stadt
und ich stünde neben Dir wie meine Schwester unter den Gästen ich muss nur die Augen ein wenig schließen und mit den Klängen der Ud hinausträumen wie von den Terrassen des Marduk-Tempels ich sähe über die Hängenden Gärten und ich bräuchte gar nicht die Prachtstraße und den mächtigen Turm ich denke mir ein ganz friedliches feierliches fröhliches Babylon für alle in
1001 Jahren wird es so sein nein in 101 Jahren
dass ein jeder hinaustreten kann auf seinen Balkon ohne Not ohne Angst ohne Hunger ohne Stromausfall eine ganze Stadt feiernd auf ihren Balkonen ich öffne die Augen und sehe
lächelnde entspannte aufmerksame höfliche Leute ich verstehe selbst nicht wie ich zwei von Kasims Kollegen so unbefangen und ironisch von der lange versprochenen Fahrt ins wirkliche Babylon erzählen kann für die Tarik von seinem Bruder Fuad den klapprigen roten Opel auslieh den er ein altes germanisches Kamel nannte und wie ein wild gewordener Fahrschüler fuhr
was ich verberge
erhellt die Gesichter strahlt durch meine Haut leuchtet in meinen Augen hebt meine Brust keiner berührte sie je (man geht zu meinem Kollegen Achmed in die Garage er macht Jungfrauen aus Huren mit nichts als ein paar Hundert Dinar sagt mein Vater wie kann ich je romantisch sein als Tochter dieses Arztes)
Jasmin
der Falke
berührt meine linke Schulter sie hält sich fast nie in der Nähe ihres Mannes auf aber das gehört sich wohl für gute Gastgeber ihre schlanken Finger mit den rot lackierten Nägeln prüfen scheinbar spielerisch (wie die einer Sklavenhändlerin) das Fleisch meines runden Oberarms
du bist
sagt sie und beendet den Satz nicht sondern gibt mir zu verstehen dass sie
Dich aus mir herausspürt
Geliebter
sie ist so viel feuriger geschmeidiger eleganter als ich Nie küsste ich einen! will ich ihr ins Gesicht sagen weshalb vielleicht
weil sie lebt
und ich immer nur die Geschichten erfinde aber dieses Mal verhält es sich anders das Ende mit ihrem Major ist nicht wirklicher als mein Beginn mit Dir Geliebter Archäologie sei ja ganz schön sagt sie leise und drückt mich kurz an sich Hauptsache du bleibst mutig Schwester dann –
wiederum beendet sie den Satz nicht aber ich denke mir dass ich DANN ebenfalls eine solche Wohnung haben werde eine solche Einladung geben kann (auch in schweren und bedrückten Zeiten) ich brauche keinen französischen Piloten keinen ägyptischen Arzt keinen englischen Archäologen mehr zu erfinden (ich habe ohnehin eine arabische Figur) und es werden meine eigenen Freunde kommen Huda mit ihren zwei stolzen Liebhabern und Eren mit Mann und sieben Kindern
im Oktober sind unsere Wahlen
höre ich jemanden sagen kurz bevor wir gehen und nachdem der erschreckende ängstliche Ud-Spieler sein Instrument sorgsam wie ein Neugeborenes im Leinensack verstaut hat
oje erwidert Tarik — sie werden mit ihrem Blut SEINEN Namen ankreuzen jeder wird büschelweise Wahlscheine in die Urnen stopfen sie werden auf den Straßen tanzen bis die Kameras aufhören zu laufen — sagt meine Schwester aus dem Geist meines Vaters ich war so verblüfft dass ich mir seine Stimme zu ihren Worten dachte Sie wissen doch auch dass ER einmal die Ud lernen wollte dieses große arabische Instrument und ER ließ den besten Meister zu sich kommen der aber
konnte weder spielen noch sprechen
vor Angst
auf Wiedersehen kleine Schwester sie drückt mir schmerzhaft fest die Hand küsst meine Wange drängt mich zur Tür so dass ich gar nicht sehen kann mit wem sie sprach Kasim führt uns hinaus zum Taxi schwätzend und schwitzend trägt uns Grüße auf für die Eltern
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifel Dunkel!
Sami nennt dem Fahrer unsere Adresse und lässt sich dann wortlos neben mich ins Polster sinken er hat sich wohl weniger gut unterhalten als ich er schweigt hartnäckig während der Fahrt ich genieße das Dahinbrummen in der Nacht auch wenn der magere ägyptische Fahrer an jeder Ampel mit einem langen Schraubenzieher unter dem Lenkrad herumfummelt früher hatte Tarik ein eigenes Auto er verkaufte es lieber als seine Bücher in
meinem Babylon
sollten die Menschen einfach fliegen können oder wenigstens sich auf die Dächer stellen können und dann von schönen stillen Flugapparaten aus Holz Schnüren Segeltuch wie von Leonardo da Vinci ersonnen abgeholt werden um lautlos und völlig sicher ihr Ziel zu erreichen ich weiß nicht einmal mehr ob Sami noch mit dem Flight Simulator spielt seit er mir damals zeigte dass er sogar mit einer Concorde bis nach Manhattan fliegen konnte über das Inselchen mit der grün leuchtenden Freiheitsstatue hinweg direkt auf die eng zusammengeschobenen Wolkenkratzer auf die beiden grau aufragenden Zwillingstürme zu Sami ist mir fremder geworden im letzten Jahr er trifft sich viel mit Freunden und besucht die neu eröffneten Internetcafés
du hast überhaupt nichts kapiert!
sagt er mit gepresster Stimme nachdem wir in Betawiyn aus dem Wagen gestiegen sind noch vor der Tür unseres im Dunkeln liegenden Hauses wo du doch sonst immer so schlau bist du hast noch nicht einmal diese widerlichen Typen bemerkt es waren
entsetzliche Leute ich will nie wieder da hin aber du
merkst nichts
was
ist denn nur mit dir?
Das Telefon
Seymour meldet sich es ist Donnerstag der 5. September 2002 es ist der
259. Tag seit jenem anderen Anruf (von jenem anderen Planeten aus dem Inneren eines Alptraums alle sagen das wenn sie auf die
SITE
zugehen: sie gehen aus der Stadt
in einen Traum)
er möchte wissen wie ich mich entschieden habe ob ich die Wohnung in der Amsterdam Avenue weiter behalten möchte eines der für ausländische Mitarbeiter preisgünstig gehaltenen 1 ½-Zimmer-Apartments die seiner Firma NORTHERN OIL gehören
es ist kein Problem
sagt Seymour und empfiehlt mir im kommenden akademischen Jahr nicht nur eine sondern noch eine weitere Vorlesung an der Columbia zu halten die mir als Visiting Professor doch sehr entgegengekommen sei mit der UMass könne ich im Übrigen doch auch über eine Beurlaubung mit halben Bezügen reden wenn ich nebenher ein Minimum an Forschungstätigkeit vorweise was
er nicht alles über Universitäten weiß und über das was mir guttut
aber so väterlich reden wir eben miteinander
seither
bis Ende der Woche werde ich mich entscheiden wir werden uns am Samstag Mittag treffen
dann sehen wir weiter sagt Seymour die neutrale zurückhaltende gleichgültige Einrichtung des Apartments hilft mir hat mir 259 Tage und Nächte lang (nein: 245 Tage und Nächte ich vergaß die Nacht im Auto und die ersten Nächte im Hotel) geholfen
fremd zu sein
vor allem mir selbst so weit dass ich überleben konnte Seymour hustet zum Abschied sein quälendes Ehrenzeichen er hat drei Wochen lang in einer Freiwilligenkolonne an Ground Zero gearbeitet bis er einsehen musste dass er sich nicht weiter eignete und die Belastung auch nicht mehr aushielt
bleib sagt er du musst es
auf deine Weise verstehen es ist die einzige Möglichkeit
atmen zu können weiteratmen unter abertausend Tonnen von Stein Stahl geschmolzenem Glas
dazwischen
METEORITEN
wie sie sagten riesige fremdartige Klumpen die aus dem Material der Türme der Büros den Stahlträgern den Hunderten von Metall- und Kunststoffsorten dem Beton dem Gestein den Fasern den Textilien den Elektrogeräten den Kabeln den Menschenknochen zusammengeschmolzen wurden zu fremdartigen wie extraterrestrischen Gebilden (was sind die Toten sonst)
atmen erkläre mir mein Freund was
atmen heißt (medizinisch die Luftröhre die Bronchien die Lungen der ganze respiratorische Apparat)
der Husten verfolgt mich sein eigenartiger flacher Husten der mich niederdrückt weil ich ihn nicht habe der Trümmerhusten dessen Existenzmöglichkeit noch jetzt von den Behörden geleugnet wird als eine neue Krankheit als Fingerabdruck Lungenabdruck die in der Brust verankerte Authentizität der Zeugenschaft er war tatsächlich und unmittelbar dabei als
die Türme fielen
am HEILIGEN DIENSTAG
wie sie es nennen
während ich in Amherst durch die Amity Street zum Sportstadion der UMass lief um 8 Uhr 23 wich die American Airlines Flug Nummer 011 am Südende der Green Mountains von ihrem vorgesehenen Kurs ab und flog Richtung New York City drehte praktisch über meinem Kopf (nichts keine Erinnerung nicht einmal ein Schatten) unsichtbar nach Westen zurück um meine Frau und meine Tochter zu töten du musst
begreifen natürlich nur begreifen es gibt kein Verstehen in dem ja immer auch die Keimzelle des Verzeihens liegt und gedeihen könnte wir müssen ich muss
ohne Hass und ohne Wut (oder auch mit beidem)
begreifen
es ist aber unmöglich ohne Hände denke ich und weiß weshalb denn ich hatte einmal die Grimmschen Märchen vor Sabrina versteckt bevor sie noch rascher und sicherer lesen konnte kaufte ich eine neue kindgerechte Ausgabe weil ich die Geschichte vom Mädchen ohne Hände zu schrecklich fand es muss in der ersten Schulklasse gewesen sein sie fühlte sich manchmal noch sehr verloren und wenn ich sie von der Schule abholte gingen wir ein kurzes Stück Hand in Hand aber sie wollte mehr von mir spüren und hielt sich an meinem Unterarm fest drückte ihn hängte sich fast daran sie wäre wohl am liebsten mit mir untergehakt gegangen wie mit ihren Freundinnen aber die Größe stimmte nicht und später taten wir das nie weshalb eigentlich ich kann es nicht verstehen dass diese Hände zerstört wurden ich
ertrage es nicht ich ertrage nur
die Fragen wann
sind meine Fragen beantwortet wann
hören wir auf zu fragen (wenn wir müde geworden sind wo las ich das oder wenn uns
jede weitere Antwort nur noch ermüdet) Frage Nummer Eins offizielle Hauptfrage der Metropole
WARUM HASSEN SIE UNS
töteten sie so viele von uns muss es heißen denn einige mordeten noch nicht einmal mit genügend Hass (was genügte ihnen aber dann) wer sind
SIE
wer sind
WIR ich bin noch nicht einmal Amerikaner also gehören mir all diese Flaggen auf Wohnungsfenstern Autoscheiben Türen Fahrrädern Telefonmasten Ampelanlagen Schaltkästen Bildschirmen T-Shirts Bussen Betonwänden Mülltonnen Blumenrabatten Vorgartentafeln Zäunen Häuserfronten Tassen Tellern Mützen
nicht
STARS AND STRIPES
obwohl ich die große verzweifelte erdrückende befreiende Umarmung verstehe und es Stunden gab in denen ich mich gleichsam in die amerikanische Flagge wickelte und die Augen schloss um endlich die Ruhe zu finden die es in meinem Leben nicht mehr gibt ich kann nicht müde werden ich muss mir unentwegt die wichtigsten und die idiotischsten Fragen stellen weshalb HASSEN SIE UNS weshalb waren es noch genau 111 Tage bis zum Ende des Jahres weshalb war es 911 die Notrufnummer auf allen Telefonen weshalb nur die 7 WTC-Gebäude weshalb zähle ich
die Tage weshalb
esse trinke rede schreibe ich noch ich (bin NICHTS)
bin eine Frage und der schier unendliche Überdruss am Zustand der Menschheit der sich niemals bessern wird ich bin ein ALIEN in New York ich bin das ALIEN in meinem eigenen Leben der Fremde diese existenzialistische Denkfigur mit der wir aufgewachsen sind (sie konnte damals noch von der Erde kommen) bin ich jetzt wirklich ich
erwache und ich glaube für eine Minute das Gewicht meiner dreijährigen Tochter auf mir zu spüren wenn wir in einem Bett schliefen rollte sie oft mehrmals in der Nacht auf meinen Bauch oder Rücken es ist der Discovery-Effekt ihr seid ein Shuttle sagte Amanda ich muss den ganzen Tag mit diesem Abdruck des kleinen wundervollen Gewichts umhergehen ein Mann aus Sand aus Glas das Feuer wandelt eins ins andere
wir lebten drei Jahre im East Village wir feierten acht Monate nach unserem Zuzug dort meinen dreißigsten Geburtstag eine qualmende bierflaschenselige debattierende jazzige Party ich kann die Straßen von damals bis heute nicht wieder ansehen das Viertel in dem ich mit Amanda unsere lebensechtere Version von Barfuß im Park spielte die mir jetzt fast schon ebenso hollywoodesk erscheint als melancholische und halb verlogene Komödie eines noch mittellosen tragisch-heiter aufstrebenden Paares zwischen Obstkisten und ausfasernden Korbstühlen das Miniaturbügelbrett das wir auf den Küchentisch stellten wenn wir unsere Hemden und Blusen bügelten ich kann nicht verhindern dass
meine Erinnerung ein Fenster auf Amandas noch völlig glatte gebräunte Oberschenkel öffnet auf die Morgenstunden in denen ich erwachte auf das andere Kopfkissen sah und das Glück dieser jungen blonden an meiner Seite schlafenden amerikanischen Studentin nicht fassen konnte benommen vom Leben trunken mit dem ersten Augenaufschlag sich im flimmernden Glück hinüberbeugen Amandas schnelle kraftvolle Reaktion als ob du eine Gazelle eine Antilope geweckt hättest Sex wie mit einem starken hypernervösen Fluchttier eine Verfolgungsjagd mit bebenden geröteten fast noch mageren Körpern
der Mann aus Glas
muss sich
sagen dass es nichts geholfen hat dass wir Sabrina davontrugen als sie noch im Mutterleib schwebte sie aus der gnadenlosen Metropole (das harte schrille schäbige New York der späten Siebziger) herausbrachten ein Kind haben ist eine ernste Sache sagte Amanda ich wurde nicht Schriftsteller und nicht Drehbuchautor oder Dramatiker sondern Assistant Professor aber auch das
half uns nichts
Sabrina wurde in New York City gezeugt und sie hat dort
die Erde
verlassen
wir brauchen uns keine Illusionen zu machen
wir kennen Uhrzeit und Ort zwar nicht als Punkt aber doch so genau wie eine Schlinge die sich um den Hals legt es
war Feuer es war eine Explosion zu gewaltig zu schnell um überhaupt noch zu einem Bewusstsein des Schmerzes zu kommen (sage ich mir wieder und wieder)
3000 Menschen 20 000 sortierte Leichenteile
wir bekamen nichts wir erhielten keine Benachrichtigung von der forensischen Behörde die 1,5 Millionen Tonnen Schutt durchkämmte Stein um Stein
Ring um Ring
wir begruben nichts
als wir uns im Februar zu einer symbolischen Beerdigung entschlossen einer Trauerfeier ohne Substanz mit weniger als Asche mit dem bestürzenden Gefühl einer Ermordung oder vielleicht besser einer angedrohten Ermordung es war mir oft nicht möglich zu glauben dass Sabrina nicht mehr lebte auch als ich für Amanda längst keine Hoffnung mehr hatte
an diesem Tag dachte ich
die Erinnerungsfeier habe auch den Charakter einer Aggression sie sei nichts als der Ausdruck unserer Unfähigkeit das Nicht-Wissen die Unschärfe das vage Doch-noch-Vorhandensein zu ertragen die Lebenden rotteten sich zu einer
Beseitigung
zusammen Amandas aus Kalifornien angereiste Eltern Amandas Kollegen die an jenem Tag nicht in die Büros der zu zwei Dritteln ausgelöschten Firma gekommen waren (ein auf Urheberrechte und Softwarelizenzen und Ähnliches spezialisiertes Unternehmen ich habe nie genau verstanden was sie machten aber ganz gewiss ermordeten sie niemand und krümmten keinem Moslem ein Haar wen interessiert das) zahlreiche Bekannte und Freunde von Seymour Amandas Freunde aber nicht ihr Liebhaber so viele Studenten aus Amherst und vom MIT und Eric schließlich den ich als Sabrinas Freund vielleicht gemocht hätte dem ich die Anreise aus Palo Alto hoch anrechnete aber dem ich nicht verzeihen konnte dass schon jetzt die Trauer von ihm abglitt (wie denn auch nicht nach fast einem halben Jahr und nur mit der Erinnerung an zwei Wochen des Zusammenseins von Neunzehnjährigen) am Teflon seiner
wie
unzerstörbaren Jugend (unzerkratzten Jugend ich dachte wirklich an Teflon obwohl Eric ein ganz natürlicher offener junger Mann zu sein schien der nichts dafür konnte glücklich weiterleben zu müssen) meine Mutter meine Schwester Caroline und ihre jüngere Tochter Lotta Sabrinas Lieblingscousine alle aus Berlin angereist ich
habe den fassungslosen Blick meiner Mutter vor mir
nicht an Ground Zero sondern in der völlig unversehrten bombastischen Schlucht der Fifth Avenue der großen Schneise ins immer nächste Jahrhundert diesem Glas- und Stahl-Traum der urbanen Hyperpotenz mit seiner ungebrochenen Metropolis-Energie und titanischen Banalität
wie konntest du nur meine Enkelin hierher bringen
schien
ihr Blick zu sagen aber sie sagte doch gar nichts sie fand nur keinen Anker keine Verbindung zu Sabrina (ich liebe die deutsche Oma nicht so sehr wie meine Oma Cynthia ich kann aber nichts dafür Daddy das macht einfach mein Körper) in der doch weitgehend intakten perfekt funktionierenden riesigen Stadt meine Mutter war zweiundsiebzig und kannte von den Staaten nur Boston und ein wenig von der Nordostküste und Amherst natürlich in seiner Pioneer-Valley-Idylle sie suchte einen Anker etwas das sie begreifen ließ was mich mit dieser urbanen Mega-Maschine verband weshalb ich Sabrina hierher gebracht hatte wie ich sie hier hatte zeugen können
fast hätte ich gesagt
aber sie ist doch Amerikanerin
meine Mutter hatte mit vierzehn Jahren den Feuersturm in Hamburg überlebt ich glaube sie kam auch mit der Unversehrtheit der ungebrochenen ja eher verstärkten Vitalität von New York City nicht zurecht es zeigte ihr nur die Absurdität um so mehr auf es war die augenfällige Verkehrung des achselzuckenden
Wrong-time-wrong-place
das wir immer wieder von den Right-time-right-place-Leuten zu hören bekommen durchaus
mitfühlend
es war eben kein Krieg sondern nur tausendfacher Mord mit eben jener gesteigerten Absurdität dass für Einzelne
Tausende
mitten im vermeintlichen Frieden der Terror ausbricht
meine Mutter musste Ground Zero sehen sie brauchte den Anblick der Teddybären der Kinderzeichnungen der Briefe der Blumen und Puppen diese schutzlose unprofessionelle verzweifelt auf Betonblöcken wie auf improvisierten Altären in ärmsten Entwicklungsländern ausgebreitete Privatheit um schließlich den Anker zu finden und die Wirklichkeit die tatsächliche Ermordung ihrer Enkelin und ihrer Schwiegertochter eben das was sie dann mit Amandas Eltern und den Studenten aus Amherst verband mit denen sie nach der Trauerfeier an einem Tisch saß sie hatte Amanda bewundert das fiel mir erst jetzt wieder ein als jähe Vertiefung meiner Schuld denn wer weiß an welchem richtigen Ort Amanda sich aufgehalten hätte wären wir nicht geschieden worden
es gibt keinen richtigen Ort
aber es gibt so viele bessere
meine Schwester und Lotta blieben noch einige Tage sie wollten nach Amherst und Luisa fuhr mit ihnen weil ich es nicht ertrug (nicht ertragen zu können glaubte) sie waren auch sehr deutsch mit ihren
Anti-Kriegs-Reflexen
wie Seymour es nannte (ich erinnerte ihn nicht an Rotterdam und die gerade noch gelungene Flucht seiner Eltern vor der Wehrmacht und der SS) weil sie weder die Bomben auf Tora Bora noch die Drohgesten der US-Administration in Richtung Irak guthießen wie im Übrigen die meisten New Yorker auch
mich trösteten die Bomben nicht im Geringsten ich wollte nur eine erbarmungslose (nein: effektive) Verbrecherjagd das schon
und etwas das dem
PRÄSIDENTEN
scheinbar ferner lag als der Mond auf dem seine Nation doch gelandet war
schamerfülltes skeptisches Nachdenken (deutscher Reflex seit 1945 oder besser seit 1968 oder noch besser seit 1975) nämlich Denken deine Krankheit sagte meine Schwester Caroline (eine Gymnasiallehrerin was lehren sie heute nur dort) am JFK-Airport zum Abschied ich war aber mehr mit Lotta beschäftigt Sabrinas Lieblingscousine mit der sie die Reise nach München über die Alpen nach Italien unternommen hatte vor ihrem Studium es war eine völlig ergebnislose Beschäftigung ich habe kaum mit Lotta geredet ich sah ihr fast nichts an es ist etwas das ich doch aus so vielen Lehrerjahren kennen sollte nämlich wie schwer es ist in die Welt eines jungen Menschen hineinzufinden
der selbst noch kaum Fuß gefasst hat ich kann immer noch nicht wieder joggen ich starre die Läufer auf dem Bürgersteig oder im Central Park an wie ein Toter es sei nur noch ein
Treiben ein Dahintreiben
durchs Leben sagte Amandas Mutter Cynthia wie eine Vorwegnahme des großen Flusses in den wir einmal alle geraten werden eine uns gemäße und unweigerlich bevorstehende Bewegung die knallbunte Frivolität der Jogger ist unerträglich ist zutiefst
beneidenswert (richtige Zeit richtiger Ort)
ich gehe um mich zu ermüden mich abzustumpfen ich beruhige mich mit Gewaltmärschen ich habe keine Turnschuhe dabei ich gehe dreißig vierzig Blocks in Straßenschuhen weil ich nur das akzeptieren kann ein gewöhnlicher gehetzter Bewohner dieser Stadt in Straßenschuhen zu sein ich musste mir nach vier Monaten ein neues Paar kaufen ich gehe bis ich treibe mein Körper soll mit der Stadt verschmelzen mit ihrer titanischen Gewöhnlichkeit mit ihren nervösen höflichen schnellen verzweifelten gewitzten Bewohnern die mir als
Europäer
in all den Jahren doch viel nähergerückt sind und begreiflicher wurden als die Engländer Franzosen Schweden Spanier selbst an Luisas Seite sie brachte mich durch eine einzige Bemerkung dazu die Lehrerarbeit wiederaufzunehmen ab kommenden Donnerstag bin ich Visiting Professor an der Columbia
sie genießen es
hatte Luisa gesagt
das Opfer ist geleistet (und begrenzt) und jetzt sei es die Versuchung sich in allem recht zu geben sich vom Alltag von der Kritik von den Regeln der Zivilisation des Völkerrechts der Kultur zu suspendieren und
wie wahnsinnig
Ground Zero aufzuräumen
oder die Taliban zu bombardieren oder die Freiheitsrechte im eigenen Land zu verstümmeln brutale Gefängnisse außerhalb der eigenen Zivilgerichtsbarkeit aufzubauen die Folter zu legitimieren den
Irak
aufs Korn zu nehmen
was denke ich noch wozu brauche ich Wochen und Monate um
etwas zu verstehen
die Größe zu besitzen jetzt keinen Krieg zu führen sagte Luisa schon in der ersten Woche nach dem Anschlag als ich fassungslos den Taliban-Regierungssprecher im Fernsehen Beweise einfordern sah bevor man Osama bin Laden ausliefere was für ein Idiot dachte ich was glaubt er mit wem er es zu tun hat er ist schon tot und
ich gönnte es ihm
allein wegen der Dummheit zu glauben Amerika würde sich das bieten lassen
was verstehe ich
wenn ich hasse ich kann in drei Wochen schon so klug sein wie ein Leitartikel und die Welt auf zwei Spalten bringen aber
es hilft mir nichts ich muss auf meine Art klären
WIE ICH AUF DIE ERDE GEKOMMEN BIN
weshalb ich dort noch lebe (natürlich nur das)
wie ich eine Frau haben konnte (eine amerikanische Frau) wie ich es fertigbringen konnte Leben zu zeugen weshalb ich in Amerika blieb weshalb
ich immer noch bleibe
warum hassen (sie) (uns)
die Nächte
sind unruhig hell zerrissen oft stehe ich auf gehe in meiner Zelle in der Amsterdam Street umher gequält und doch auch mit schmerzendem Kopf zufrieden darüber dass ich nicht schlafen kann früher schaltete ich so gut wie nie den Fernseher ein schon gar nicht nachts
ein Spielfilm mit einer Rapper-Gang die Wetterkarte mit bedrohlichen Wirbeln über Atlanta eine grünlich-graue Nachtaufnahme von schimmernden Bombenzylindern oder Sprengköpfen eines vermeintlichen Massenvernichtungswaffenfunds mit der Fernbedienung das Bild zerstören wie durch Implosion immer gibt es von Außerhalb die ungeheuerliche Masse der Nacht die alles zurückschießen kann in den winzigen Leuchtpunkt des Zentrums (die rote Sonne auf der Stirn eines indischen Mädchens) ich muss aufstöhnen ich muss Wasser trinken ich trinke nur noch Wasser und Kaffee ich presse
die Stirn gegen das kühle Glas der Balkontür
das Rauschen des Verkehrs die jaulenden Polizeisirenen das Glühen der Neonröhren die Gedanken an Amherst mein Leben dort ist so entrückt als wäre es eine längst aus der Mode gekommene Fernsehserie das Haus um das sich Luisa kümmert soll ich es verkaufen oder nicht ich muss mich entscheiden weshalb hat mir Sabrina nichts über Kalifornien erzählt weshalb rief sie nicht mich an statt zu Amanda zu fahren weshalb
die jaulenden Sirenen
noch einmal Fernsehbilder
noch einmal das rasche Abschalten ich denke oft an Sabrinas erstes Lebensjahr an die zerrütteten Nächte damals an das Umhergehen mit ihr bis zum Morgengrauen ich legte Mozart auf aber sie mochte (glaube ich) lieber Astor Piazzolla
um sie aus der Welt zu bringen zu begleiten dachte ich oft gehe ich wieder umher
schlafe ich schlecht brauche ich die Nächte
eines Jahrs
Sommerschatten
Als Du bei mir warst
fehlte mir nichts.
Doch dann sah ich,
dass es das Unglück war.
Immer neu zärtliche Gestalten,
hinsinkend,
immer nur Du,
erstickter Schmetterling,
schwarz und wie ein Kohlestrich
so leicht.
Dein Nicht-Atmen,
die ins Auge gegrabenen Schatten,
Blindmale auf dem Papier
dieses helllichten sengenden
Tags.
Wird es einen Krieg geben fragen mich alle wird es einen Krieg geben Herr Doktor als wären wir die Hauptzuständigen einen Krieg anzuleiern als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vielleicht oder um das Embargo noch einmal voll auszureizen weißt du was passieren wird das ist doch klar wir werden ein Patientensterben haben das alles übersteigt was wir bislang hatten vielleicht wird gleich der ganze Irak zum Kollateralschaden ER nimmt die C-Waffe SIE die Atombombe WUMMS! wird es einen Krieg geben fragen sie mich und wollen ein Märchen hören von den mutigen Truppen Saddams die die USA zurückwerfen in den Golf oder in brennende Wüstenlöcher oder sie träumen gar vom Friedensausbruch unser großer SOLDAT spaziert mit einem Friedenstäubchen auf der Brust zu den neu eingeflogenen Waffeninspektoren lädt zum Masguf-Essen ein und dann kommt noch gleich George Double U selbst herüber und bringt einen Truthahn dem wir unserem Schabbut ins Maul stopfen oder in den Arsch oder umgekehrt mache ich hier gerade eine Nabelbruch-OP ach ja das wird’s sein es verengt das assoziative Feld wird es einen Krieg geben Herr Doktor aber sagen sie bloß nicht die Wahrheit wir sind schließlich ein arabischer Patient also her mit dem Märchen Herr Doktor alles wird gut es wird zwar einen Krieg geben aber einen verdammt märchenhaften Krieg ganz wie aus Tausendundeiner Nacht erinnern wir uns doch bitte wie diese Geschichte anfing mein lieber Tarik könntest du mir einen neuen Tupfer reichen du siehst so morsch aus wie ich mich fühle ganz nebenbei bemerkt danke bitte ja das war eine lehrbuchtaugliche Supraumbilikalhernie siehst du direkt über dem Bauchnabel und Gottseidank noch nicht sehr entzündet das arme Würmchen wir stecken das jetzt alles hier sauber wieder zurück wo es hergekommen ist wo war ich stehengeblieben beim Märchen ach ja wie beginnt unser großes Märchen womit mein alter Freund es beginnt mit der gekränkten Ehre beleidigten Würde geknickten Potenz der PRÄSIDENTEN denk an das lebende Schachspiel im Palasthof des Königs Schahriyar an die zehn weißen Sklavenmädchen und an die zehn schwarzen Sklavinnen die sich plötzlich als verkleidete Männer entpuppten als hochpotente Mohren die sich den weißen Mädchen zwischen die fetten Schenkel warfen und sie von morgens bis mittags beschliefen so wie sich dann auch die Frau des Königs ihren schwarzen Liebling Masud von einem Baum geangelt und zum Ausritt bestellt hat wie endet das Märchen sie wurden allesamt mit dem Schwert zerhackt und Hunderte von anderen Mädchen in Hunderten von anderen Nächten bis es keine Mädchen mehr gab bitte noch einen Tupfer genau hier ich denke wir brauchen kein Netz der Darm ist nur abgeklemmt gewesen noch nicht gerissen das wächst in Windeseile wieder zu die Logik ist also dass die PRÄSIDENTEN den PRÄSIDENTEN fürchten wie zehn und einen schwarzen Schwanz in ihren Frauen die PRÄSIDENTEN selbst mein Freund sind nämlich der SCHWANZ ihrer Länder das heißt der reichen alten Männer und der reichen alten Weiber ihrer Länder sie sind der Schwanz und die Weiber wollen so einen sehen also wenn der PRÄSIDENT seine TÜRME verloren hat dann wird er dafür sorgen dass auch hier bald kein Stein mehr auf dem anderen steht wird es einen Krieg geben was denn sonst es entspringt doch schon allein der Eitelkeit und Vorsicht mein Freund jetzt schnell die Nadel der Gigantomanie und der Eitelkeit wobei diese Schwanzstärke die sie immer zeigen müssen auch etwas zutiefst Zwittriges an sich hat etwas Tuntiges da steht garantiert was bei Freud diesem Juden den ich mit Kafka zusammen am liebsten lese weil er uns Arabern wirklich fehlt die travestierenden transvestierenden PRÄSIDENTEN sieh sie dir doch nur an den Unsrigen mit seinem Jagdflinten-Geballere seinem weißen Seidenanzug seinem Hirtenkostüm seinem Pelzkragenmantel seinem assyrischen Fantasiefummel seinem Tirolerhut seiner grünen Uniform und dann den US-Cowboy mit dem Hufeisenspiel der Jeans und der Motorsäge dem Bomberjäckchen Pilotenoutfit von der Champagnertruppe dem Baseballschläger dem Getue mit den Westpoint-Vorzeige-Rekruten es geht ihnen immer ganz persönlich um die Ehre die beleidigte Potenz die gefallenen Türme der Sechstagekrieg der zerschossene Atomreaktor das ist alles nur ihr SCHWANZ und kaum ist ihnen etwas passiert schon heißt es: zerhackt alles! Männer Frauen Kinder tausend Leichen für eine Nacht wird es einen Krieg geben Herr Doktor ja einen schönen sauberen UN-Krieg diese Landeier die ihre eigenen Töchter ermorden um sich von dem Makel eines Fremden zu befreien der sie vergewaltigt hat fragen mich ob es einen Krieg geben wird es ist immer schon
KRIEG und
man muss AUFPASSEN!
ruft Ali während ich nur schnell die Hand wegziehen und weiterhin darüber staunen kann was für ein geschickter und was für ein geschwätziger Operateur er geworden ist
kurz vor Feierabend hatte es begonnen
ein Taxifahrer war unter den letzten Patienten er hatte mir in den Ohren gelegen mit seinen geschwollenen Leisten höchstwahrscheinlich war es nur eine Prostatitis und solche Leute lasse ich normalerweise mit Heilkräutern laborieren doch ihm versprach ich etwas Besonderes nachdem Laila (meine alte Praxishelferin die mich wie zehn Wölfe vor Wahnsinnigen Simulanten und Querulanten schützt) das Patientengespräch unterbrochen hatte um eine junge Frau mit einem kläglich schreienden acht Monate alten Kind hereinzuführen
trotz ihrer schwarzen Abaya erinnerte sie mich so sehr an Muna dass ich vor Schreck fast aufgesprungen wäre nein eigentlich aufsprang dies aber als notwendige Eile erklärlich machen konnte wie es denn auch der kritische Nabelbruch des Kindes bewies ich hielt den Taxifahrer auf rief Ali an der sagte er könnte sofort operieren wenn ich assistiere und fuhr im immerhin kunstfertig gesteuerten Wagen meines Prostatitis-Geplagten das glücklicherweise kurze Stück zu jener Privatklinik in Karrada in der mein alter Freund seine Operationen mit dem Hintergrund einer vergleichsweise noch akzeptablen Intensivstation macht dass ich mich persönlich darum kümmere und mit dem schreienden Kind auf dem Schoß auf der Rückbank des nach kaltem Tabakrauch und Kebabfett stinkenden Wagens sitze ist wohl nur eine
Vorwegnahme
der Sorge der endlich aktiv werden müssenden Sorge um Muna die nach London zu schaffen das dringendste und wahrscheinlich auch das am einfachsten zu lösende Familienproblem ist ich habe es Farida doch schon abgerungen und müsste nur noch eindringlich mit Muna sprechen auch wenn mich ihr Weggang noch stärker schmerzen wird als der Jasmins ich war jünger damals und Jasmin war jünger als Muna heute es ist aber noch mehr wenn ich ehrlich bin müsste ich zugeben dass Muna mir schon immer am nächsten (nicht am liebsten oder doch?) gewesen ist näher auch als Sami dessen unbekümmerte Art mich ebenso erstaunt wie erleichtert Ali näht wie ein Weltmeister ich kann ihn nur bewundern da ich seit Jahren nur noch kleine Notoperationen in meiner Praxis mache fehlte mir völlig die Übung für einen solchen Eingriff der kleine Kinderbauch schließt sich und nun ist alles eine Sache der Hygiene eine äußerste Glückssache heutzutage aber hier in dieser Privatklinik gibt es wenigstens eine Chance
am Ende flucht Ali noch einmal derart über die allgemeinen Verhältnisse dass ich nur noch zu der großgewachsenen breithüftigen Anästhesistin schauen kann wie weit ist sie vertrauenswürdig vor einigen Jahren noch hätte man das nie gewagt ich muss Ali eigentlich auch nicht daran erinnern dass ich selbst wegen eines Fluchs im OP in äußerste Schwierigkeiten gekommen wäre hätte Oberst Basil den Spitzel nicht in den Tod kommandiert
Sie haben mein Leben in der Hand verehrte Kollegin sagt Ali dann aber plötzlich zu der Anästhesistin und zeigt auf das Kind die Tür öffnet sich und eine Krankenschwester kommt herein im Flur dahinter die schwarz verhüllte junge Mutter die mich so sehr an Muna erinnert
draußen auf der Straße reibt sich Ali das Gesicht mit den schmalen ägyptischen Zügen er hat jetzt das Alter zu dem sein edler Kopf und diese Pharao-Miene immer schon passten wie lang ist es doch her dass wir von den Brückenpfeilern in den Tigris sprangen
was siehst du mich so an alter Freund bin ich zu dürr willst du mir einen Diätplan machen
ich musste an die Pitié Salpêtrière denken sage ich du operierst mittlerweile so gut wie Cassin aber du redest auch so viel wie er
die Anästhesistin braucht Unterhaltung sonst schläft sie ein meint er schulterzuckend
und wenn sie sich mit den Falschen unterhält
sie redet nicht gern versichert er einmal in der Woche treiben wir es miteinander und dabei redet sie auch nicht
das ist keine Garantie
ach — hör zu ich strenge mich wirklich an komm wir kaufen noch ein und gehen dann zu Madschid Whiskey hab ich schon du bringst dann das Gemüse mit
Muna und Sami sind heute Abend bei Jasmin eingeladen da ist Farida allein ich will sie kurz anrufen
anrufen ich denke ihr seid verheiratet? der letzte Romantiker seufzt Ali
beim Gemüsehändler können wir das Telefon benutzen und wir spazieren mit lachsfarbenen Plastiktüten in der Hand durch den Abend an der dröhnenden Karadastraße verfolgt von Taxifahrern von denen wir einen mit einer viel zu kurzen Fahrt bis zum Sheraton-Hotel unglücklich machen dann geht es wieder zu Fuß durch die engen Seitengassen bis zur Schahid-Moschee
du bist so vorsichtig meint Ali als hätte ich keinen Grund dazu seine Gelassenheit beruht darauf dass er vor vier Jahren schon seine Frau und seine beiden Söhne nach London schicken konnte und als ich ihm das sage gibt er zurück dass meine
ZUSCHAUERHALTUNG
sich doch ebenso den familiären Umständen verdanke der Tatsache nämlich dass ich zwei Töchter hätte wie George Bush und dass Sami noch nicht im wehrpflichtigen Alter sei wenn ich Glück hätte dann wäre der Krieg ja schon vorbei noch ehe er seinen Schulabschluss mache Ali klopft mir ermutigend auf die Schulter mit seiner hellen Hose seinem leichten Pullover und den rosa Plastiktüten wirkt er feiertäglich entspannt man kann nicht glauben dass er einen 13-Stunden-Arbeitstag hinter sich hat nur manchmal senkt er etwas kurzatmig den Kopf ich weiß nicht ob ihm die Anästhesistin wirklich so guttut auch wenn sie zu schweigen versteht
früher (sehr viel früher) trafen wir uns in einem Café in der Mutanabbi-Straße oder in einer Bar an der Abu Nuwas wo wir uns heute nur noch mit Geheimagenten im Kreise Dutzender vom PRÄSIDENTEN geköpfter Prostituierten treffen könnten die den Wein ihrer Hälse ausschenken um einige panegyrische Lieder zu heulen im Gedenken an den von seinem letzten Auftraggeber zu Tode gequälten Dichter der da von den Freuden von Bagdad zu sagen wusste:
Wann, sagt er, willst du nach Mekka gehen?
Ich antworte: Ja, wenn es mit den Freuden
von Bagdad vorbei sein wird.
Wie soll ich denn auf Pilgerfahrt gehen,
solange ich hier abgesoffen bin
bei der Kupplerin oder dem Wirt?
da uns Mekka zu weit und zu trocken ist und die Wirte als zu gefährlich gelten sehen wir uns doch lieber privat und in kleineren Gruppen und der ideale Ort wäre eigentlich der exzentrisch rasende Planet Merkur auf dem Abu Nuwas seit 1976 einen schönen Krater besitzt im nächsten Mai im Krieg wird er uns grüßen nur ein winziger schwarzer Fleck vor dem tödlichen lebensspendenden Feuerschild der Sonne rasch
vorübergehend
wie all die Maler Dichter Journalisten die echten und die vermeintlichen Intellektuellen die es in alle Winde verstreut hat Madschids Atelier ist eine Ausnahme hier trifft sich der
Künstler- und Dichterclub
alte Männer zu gebeugt zu krank und zu trunksüchtig um dem STAAT noch Angst zu machen nur wenn der
Einsiedlerkrebs
kommt muss man sich in Acht nehmen jener Dichter der im Haus des Dichters wohnt wobei Letzterer vor fünfzehn Jahren nach Monaten der Folter und Haft ins Exil ging und Ersterer mit dem zurückgelassenen Haus belohnt wurde für sein Meisterwerk Saddams Blüte worunter ich mir nur einen Kranz von Hämorriden vorstellen kann das Haus erklärt uns der Einsiedlerkrebs seit Jahren sei allerdings von ihm nur getreulich verwaltet denn nichts schütze es besser vor falscher Vereinnahmung als seine Anwesenheit das Residieren eines falschen Dichters in der Muschelschale des wahren Dichters aber der Krebs in unserem Club schützt uns weil seine Anwesenheit weitere Spitzel unnötig macht Abu Nuwas der als Homosexueller hier in seiner eigenen Straße leicht verhaftet (und geköpft) werden könnte greift nach der Flasche und spricht:
Trink drei Gläser
und zitiere einen Vers.
Das Gute hat sich mit Bösem vermischt
und — Gott möge mir verzeihen —
Der wird gewinnen, in dem das eine
das andere überwand: genug!
zwischen den düster grün und rot leuchtenden Ölgemälden Madschids sitzen wir an einem langen Tisch mit historisch zerkratzter Platte vor uns überquellende Aschenbecher Bier- Whiskey- und Arrakflaschen Tee- und Wassergläser wir sind nur zu fünft heute (ohne den Einsiedlerkrebs) zwei Ärzte zwei Maler und der Dichter und Literaturwissenschaftler Jabir der seit zwanzig Jahren keine Zeile mehr veröffentlicht hat aber sieben Bücher
in seinen Kopf hinein schrieb (wie er sagt als trüge er eine assyrische Tontafel oder eine Computerfestplatte zwischen den Ohren)
aus denen er ganze Passagen zitieren kann vor allem aus den unsichtbaren Gedichtbänden Ultra und Die Kriege im Paradies er ist ein großer hagerer Mann mit zarten Fingern und leuchtenden braunen Augen in einem zugleich faltigen wie überaus fein modellierten Gesicht das einem vertraut erscheint und doch an nichts erinnert etwa wie eine kluge alte Fledermaus ein Geschöpf das alle kennen aber die Wenigsten einmal genauer betrachten konnten so schnell fliegt sein Geist
Jabir arbeite an einem neuen Essay erklärt mir Madschid mit dem ich in der engen schmuddeligen Männerküche eine Art Tabouleh aus Gurken Tomaten Paprikaschoten und Bulgur fabriziere
drei Stunden lang trinken wir gegen den Krieg
der kommen wird da sind wir uns einig wenn auch aus verschiedenen Gründen oder vielmehr Theorien Ali bringt noch einmal seine Hypothese von der beleidigten Potenz zu Gehör er trinkt schnell um die Anspannung des Kliniktags loszuwerden
geflügelte Stiere und geflügelte Frauen deren Haut in giftigen Komplementärfarben glänzt brennende Mullahs an Dalís Giraffen erinnernd schreiten über von Flugzeugen getroffene gläserne Pyramiden hinweg die mich an Paris denken lassen und an den dort lebenden und ganz ähnlich malenden alten Freund Hussein
nach meiner Meinung gefragt sage ich nur dass ich als schlichter praktischer Mediziner der Ansicht sei man solle immer eine möglichst einfache Theorie suchen
eben das unternehme er in seinem Essay sagt Jabir eine simple und belegbare Theorie der Macht angelehnt an Hobbes der Kern besage nur dass
jede Nation und auch jede politische Kraft oder gar
jeder Mensch
den Moment der Macht suche
das hieße
die Macht werde in dem Augenblick eingesetzt und zu kriegerischen Zwecken missbraucht in denen die Möglichkeit gekommen zu sein scheint die Vorherrschaft ohne allzu große eigene Verluste zu erringen also etwa
wie England und Frankreich sich nach dem Ersten Weltkrieg auf den Trümmern des Osmanischen Reiches den Orient aufteilten oder wie Israel seinen Vorteil im Sechstagekrieg nutzte und Ägypten den seinen 1973 im Yom-Kippur-Krieg die PLO glaubte sich vor dem Schwarzen September in Jordanien so stark dass sie nach der Macht griff und Syrien manipuliert heute den Libanon weil sich nur noch oder vor allem dort Momente der Macht ergäben die der
UNSRIGE
natürlich gesehen habe
als er 1980 die vermeintlich revolutionsgeschwächten Iraner angriff und vor gut zehn Jahren Kuwait wobei er übersah dass mit dem Niedergang der Sowjetunion wieder einer der großen welthistorischen Momente der USA gekommen war
das Machthandeln glaubt Jabir sei fast unvermeidlich
ganz egal ob es sich um eine so genannte Demokratie oder um eine schöne alte Diktatur handelt wirft Madschid ein
oder um deine Frau sagt Ali wobei dem jüngeren Maler Karim die Idee kommt dass man Alis Theorie und die von Jabir kombinieren könne dass also die Aggression aus einer Kränkung heraus sich wechselseitig verstärke mit der aggressiven Eigendynamik einer echten oder eingebildeten Machtfülle zum Beispiel im Fall Afghanistan
zum Beispiel in unserem Fall demnächst vor unserer Haustür ruft Madschid aber weshalb? versteht ihr weshalb können die Mächtigen so handeln wie sie handeln wie erklärt ihr euch das mit einer einfachen Theorie wie sie Tarik haben möchte er kippt Wasser in seinen Arrak so als wolle er nur wissen wie das jähe Eintrüben oder Milchig-Werden des Anisschnapses zustande kommt
beflissen trinken wir für eine Begründung der großen monotonen erschöpfenden vernichtenden grauenhaft verlässlichen Konstante der Geschichte für eine Theorie des (historischen)
MITMACHENS
das immer wieder funktioniert und stattfindet
der Essay den ich in meinen Kopf schreibe sagt Jabir hat auch dieses Thema
die Angst? rate ich denn meines Erachtens gibt es keinen anderen Grund
Madschid dessen künstlerischer Schnurrbart in den letzten Jahren immer großväterlicher wurde (buschiger grauer stärker herabhängend an den Spitzen) hebt sein Glas und wir stoßen an um das Abstraktionsniveau unseres Gesprächs zwischen den flammenden Leinwänden weiterhin hoch zu halten denn da oben in den Gedankenkreisen und Denkspiralen denen wir von hier unten aus im scheinbar immer tiefer sinkenden Keller (Kerker) unserer Körper gebannt folgen
dort oben also
wird man uns kaum erwischen
es ist ein alter in langen Jahren trainierter tief verwurzelter Vorgang ein bedingter kollektiver Reflex dass man (WIR
die Hiergebliebenen)
in einem Gespräch mit mehr als einem gut vertrauten Menschen möglichst nicht zu konkret wird dass man besser nicht landet
auf den Leimruten der Vogelfänger
folglich erörtern wir eher selten die Stammtisch-Themen des Exils wie etwa das unselige Zurückschrecken der Amerikaner am Ende des zweiten Golfkrieges das uns ganz dem Terror unseres PRÄSIDENTEN überließ oder die unseligen Zwiste unserer nationalistischen Parteien in den sechziger und siebziger Jahren die schließlich den Baathisten das Terrain ebneten sowie die unselige Anbindung der einstmals so mächtigen irakischen Kommunisten an die Moskauer Zentrale die ihnen das Zusammengehen mit ihren Henkern verordnete
prinzipiell betrachtet
erklärt Jabir
in sicherer Höhe also
in der Tiefe also (sagt Jabir) dort wo sich die Dinge tatsächlich entscheiden
auf dem Grund unserer verletzlichen quälbaren
Körper
riefen wir nach dem STAAT dem LEVIATHAN der uns behüte von Grund auf bis zur höchsten Höhe es sei eine Pyramide oder ein Turm ganz unten gehe es um die Versorgung (Nahrung Wohnung Kleidung bis hin zum Arbeitsplatz und zum Autobenzin) dann um die Sicherheit (Gesundheit Schutz vor Kriminalität und Terror) dann um das Zugehörigkeitsgefühl (dein Land dein Staat deine Nation) und schließlich um den Sinn (was unser großartiges Land mit seiner großartigen Kultur in unserer großartigen Zeit mit unserem großartigen Leben anfange) alle Bürger eines jeden Landes (Demokratie Diktatur vergesst diese Etiketten) seien Teil des Leviathans ihres je eigenen Riesen und das Ziel dieser ohnmächtigen Teile die in den Riesenfiguren gefangen versorgt und entsorgt würden sei es die unvermeidbaren Kämpfe der Leviathane
bei maximalem Gewinn für die eigene Person
zu überleben
wenn wir also Kuwait heimholten dann würde uns wenig passieren und wir würden nur reicher (dachten wir)
und wenn wir den Irak bombardieren dann passiert uns zuhause auch nicht viel aber das Benzin bleibt billig denken nun die Amerikaner sagt Madschid und ist damit unversehens auf dem Boden gelandet den wir uns gerade unter den Füßen wegtrinken in der Hoffnung dass keine Schlingen um unseren Hälsen liegen der gitarrenartige volle absinthgrüne Körper einer
Frau in Öl
verfolgt mich noch draußen in den Gässchen von Betawiyn und ich versuche Ali zur Saadun-Straße zurückzubringen damit er sich ein Taxi nehmen kann wohingegen er darauf besteht mich (in meinem Zustand) zunächst zu Fuß bis nachhause zu begleiten mich unterhakt während ich ihn doch schon zu stützen versuche und so sehen wir wohl aus wie zwei alte Tanzbären die aus rätselhaften Gründen mit den Rücken oder Schultern die Kalkschichten der alten Hausfassaden abbürsten schließlich gehen wir wieder halbwegs gerade und kommen auf das Leben im Allgemeinen und die Frauen (die Anästhesistinnen des Daseins) im Besonderen zu sprechen als sich links ein Blick hinunter bis zur Abu Nuwas und zum Tigris auftut gestatte ich mir
zu verharren und ich erkläre dass ich hier stehenbleiben und warten würde bis die Bomben gefallen seien und bis Harun ar-Raschid zurückkäme dessen Leibarzt ich zu werden gedenke und schließlich
gerate ich in eine solche
Verklärung
oder werde von einer solchen Sehnsucht und einem solchen Verlangen nach Farida ergriffen (die fünf Fußminuten entfernt in unserem Bett schläft) dass ich eines meiner alten Gedichte zitiere und Ali schließlich doch in ein Taxi flieht — aber was soll man im nüchternen Zustand schon sagen
Nüchterne Leute
Die nüchternen Leute machen mir Angst.
Sie hören auf zu trinken und beginnen das Morden.
Ihr Rausch kommt aus heiligen Schriften,
ohne Widerspruch.
Je weniger sie heucheln,
desto schrecklicher ihre Lüge.
Der nüchterne Magen kennt nur
Säure und Blut.
Goethes Hauptwerke I (Konzentration auf den Text bringe sie erst einmal dazu zu lesen worüber sie lesen)
liest du denn
keine Zeitungen wenigstens die von gestern
sagt Luisa am Telefon
Traces of Terror — News analysis of President Bush’s decision to seek approval of Congress before taking military action against Iraq
nein Schröder sagt Luisa sie meint den
DEUTSCHEN KANZLER
der im Interview erklärt dass die US-Administration mit einem Krieg gegen den Irak einen schrecklichen Fehler begehen würde er selbst sei auch dann gegen den Krieg wenn der UN-Sicherheitsrat einem militärischen Eingreifen zustimme
er hat recht und er will die Wahl gewinnen das versteht Bush sicherlich auf längere Sicht sagt Luisa
ich lese täglich die Zeitungen ich lese eine Stunde am Morgen ich sehe jeden Tag eine Stunde Fernsehnachrichten ich treibe mit aufgeschlitztem Kopf auf den
vollen Kanälen ich
treibe
in den so genannten Ereignissen (die die Kinder anderer Menschen an anderen Orten töten) ich sah
Blackhawks über dem Hindukusch
ich sah den Ring israelischer Panzer vor dem erbärmlichen Hauptquartier des
PALÄSTINENSERFÜHRERS
an Weihnachten hatte man einen Christbaum über dem
STAPEL
aufgezogen wie es die Bauarbeiter nur noch nannten und ich traf mich dort mit Seymour was ist
die Frage was verstehe ich wirklich wenn ich täglich alles neu erklärt bekomme als wäre ich ohne Erinnerung an jedem Morgen erwacht
Luisa (am Telefon): sie will am Sonntag für zwei Tage zu mir kommen falls ich sie darum bitte ich muss ganz klare ausgesprochene Fragen beantworten werde ich noch ein weiteres Jahr in Manhattan verbringen werde ich das Apartment behalten werde ich tatsächlich in der Lage sein die Vorlesung an der Columbia zu halten werde ich
auf etwas zutreiben oder nur immer weiter von allem weg
komm bitte
das kann ich Luisa immerhin sagen (nach einem Jahr) denn weder meine Trauer noch die Energie mit der ich mir die
entscheidenden (was entscheiden sie)
Fragen stelle werden dadurch vermindert dass ich versuche meine späte Liebe zu retten oder doch und wäre es schlimm wenn ich gegen diese Stimmung ankäme
es ist wie eine Eintrübung ein Stumpf-Werden eine Ermüdung die schon einsetzte als ich Goethes Frauen das Wort zu geben versuchte und zu Marianne und damit zum West-östlichen-Divan gelangte nur ist jetzt alles noch grundiert mit Hass mit ohnmächtiger Trauer ich fürchte dass mich der Orient nie wirklich interessieren wird ja dass ich ihn nur noch verabscheuen könnte nur noch das Öl sehe das Blut die Irren die Bomben legen und Flugzeuge zu Bomben machen
aber man hat kein Recht auf Hass es gibt kein Recht es ist nur
so leicht so natürlich so widerlich
menschlich
mache eine Milliarde Muslime für einige hundert Wahnsinnige verantwortlich ich habe es nicht vor und ich kann doch nicht verhindern ganze Länder zu verachten wegen ihrer Rückständigkeit ihrer Aggressivität ihrer wirtschaftlichen Erbärmlichkeit ihrer Unfähigkeit für die Gesundheit die Bildung und den Wohlstand ihrer Bewohner ausreichend zu sorgen
tagelang
dann wieder die Angst der Überdruss die Müdigkeit
das drückend schlechte Gewissen der Ölfresser-Nationen (gehe nur hinunter auf die Amsterdam Avenue zum Broadway hinüber oder zum Riverside Drive die Nacht dröhnt alles hupt stößt aneinander und vergiftet sich die Luft beschimpft sich verletzt sich oder tötet sich gar mit dem verdammten stinkenden Blech)
die alte arabische Kultur interessierte mich wenig als ich anfing über Goethe und Marianne zu lesen nur die Architektur und die rätselhafte Schrift die ich schon immer hatte entziffern wollen und einige Gedichte vielleicht oder die Märchen aus Tausendundeiner Nacht die Sabrina so gerne las
WESHALB HASSEN SIE UNS
SIE die hasserfüllten Terroristen WIR die zivilisierte Menschheit
das einfache Bild auf allen Kanälen aber wie sieht das zutreffende aus ich stritt einen Abend lang mit Luisa und zwei verzweifelten Studenten aus Amherst die Sabrina jahrelang gekannt hatten
bis wir es aufschrieben
islamistische Terroristen größtenteils saudi-arabischer Herkunft attackieren die USA an einer repräsentativen Stelle ihrer ökonomischen Weltmacht mit einem Anschlag der fast 3000 Menschen das Leben kostet
füge hinzu: in einer so spektakulären Form
dass ein historisch dauerhaftes Symbol für die Verletzbarkeit der USA entsteht preisgegeben dem Rachebedürfnis und der Schadenfreude ihrer Feinde
so tiefgreifend und unauslöschlich dass ein gegensymbolisch wirkender Krieg der einzig verbliebenen Supermacht nahezu unvermeidlich ist ganz egal ob er neuen Terror schürt oder nicht denn
wir spielen
SCHACH
mein Freund das alte orientalische Spiel der Türme (in deren tiefem Inneren wir hilflos stecken) Türme befehligt von
KÖNIGEN PRÄSIDENTEN KANZLERN ANFÜHRERN ich muss konkrete Fragen stellen also
WER hasste uns ich muss den Todespiloten aus den Trümmern den Meteoriten die in der Masse des STAPELS (the pile) verbacken sind herausschmelzen als anderes tödliches verrücktes ALIEN und
sezieren
bis er mir verständlich vorkommt aber
er tut es nicht seit Monaten kann ich die schaurigen säuberlichen Zusammenstellungen der
ATTENTÄTER DES 11. SEPTEMBER 2001
anstarren
diese senkrecht zu vieren oder fünfen gereihten Porträtfotografien als wären sie aus einem dieser Passbildautomaten mit Spiegel Vorhang und Drehstühlchen gekommen der Spezialanfertigung allerdings die mit einem einzigen Blitz nur noch die Asche übriglässt (aber auch das nur eine gnädige Illusion im Papierschnee auf der Plaza des World Trade Center sah man für kurze Zeit vor dem Zusammenbruch der Türme menschliche Torsos mit eigenartigen schwarzen Schärpen liegen die Sicherheitsgurte der Flugzeugsitze) und Tausende der im Warmluftgebläse des internationalen Wortschwalls trocknenden Streifen mit orientalischen Konterfeis in die Pressebüros der ganzen Welt speit
Wir sind eine kleine Gruppe junger Männer aus verschiedenen arabischen Ländern. Seit einiger Zeit leben wir zwecks Studium in Hamburg. Wir möchten gern mit der Ausbildung für Flugzeug-Berufspiloten beginnen.
so lautet die E-Mail die der Mörder meiner Tochter an Flugschulen in den USA schrieb man fand auch ein sechs Jahre altes reichlich absurdes Testament aber das sind zu wenig direkte Worte (ich könnte allenfalls seine stadtplanerische Abschlussarbeit an der Technischen Universität Hamburg-Harburg einsehen)
sonst und vor allem
Bilder
der 19 Männer von denen 15 aus Saudi-Arabien stammten im Durchschnittsalter von etwa 24 Jahren eine deutsche Zeitung nannte sie
JUNGS
es könnte einfach nur eine Fußballmannschaft aus dem Orient sein ich starre sie an sie starren zurück die meisten nicht einmal unfreundlich und nur durch die Sumpffarben schlechter Fotografien und verwaschener Kopien ins Verbrecherhafte getönt (Fäulnis- und Verwesungsfarben) Atta der Hauptattentäter der Senior mit 33 Jahren wirkt wenigstens zehn Jahre älter und scheint mit zusammengebissenen Zähnen Speichel zu ziehen er frisst sich schon selbst denkt man und er ist gleichlautend mit dem Scheuermittel meiner Kindheit jenem weißen ätzenden Pulver das rot aufschäumt wenn man es auf Metallschwämme gibt und so mit aller Kraft die Gesichter von jungen Frauen arbeitenden Müttern ahnungslosen Geschäftsleuten zerfetzt
ich
komme mit meinem Hass nicht
durch die Oberfläche die konkreten Täter diese 19 Ausführungsorgane sind nur die Fassade die mit speziell ausgewählten Koranversen und hypnotisierenden Killer-Texten gedopte Athletenmannschaft des Todes Massenmord-Sportler die sich überall und jederzeit züchten lassen und die Texte die ich über sie lese sind Masken wie die Verbrecherkonterfeis fast ebenso ausschnitthaft oder peinlich privat wie die Urlaubs- und Familienschnappschüsse des Hauptattentäters der stets einen Esslöffel des gleichlautenden Putzsandes im Mund zu führen scheint bereits als kleiner Junge schon (würdest du ihn dort im Sommer 1975 zwischen seinen adretten ebenfalls etwas gequält lächelnden älteren Schwestern am Strand von Alexandria erwürgen wärest du da gewesen und mit einem Horrorblick in die Zukunft begabt nein und zwar schon deshalb nicht weil kein Blick in die Zukunft sicher sein kann) er soll ein nationalsozialistisches Weltbild gepflegt haben die Juden steuern Amerika und die restlichen Weltübel wie üblich und keine Frau durfte ihm die Hand geben und sein Schwanz sollte auch posthum von niemandem berührt werden wie es in jenem fünf Jahre vor dem Attentat verfassten Testament heißt das wohl für einen weniger zergliedernden Märtyrertod gedacht war (die Leichenwäscher die sich seinem Genitalbereich näherten sollten Handschuhe tragen wer schreibt einen solchen Schwachsinn in seinen Letzten Willen weshalb nur lag diese Verfügung in dem Koffer der nur zufällig am Logan Airport verblieb war sie für die Engel gedacht) er sah nie TV was ihn eigentlich gebessert haben sollte hörte keine Musik war verschlossen missmutig asketisch fromm diszipliniert nach der angeblichen Meinung spanischer Ermittler verhindert schwul weshalb er so gerne die kleinen Jungs belehrte und bekehrte sein Hamburger Professor fand ihn konzentriert höflich und gelehrig
zu den anderen Tätern gehörten auch lebenslustigere und (zunächst) mitteilungsfreudigere Typen einer hatte sich gar verheiratet und galt nicht als unglücklich
also lernen wir dass es eines
perversen Anführers bedarf (durchaus bedenkenswert aber was treibt die anderen in seine Arme und zwar auch die anscheinend Glücklichen)
um in seinen Kopf zu sehen kippt man in einer Studentenbaracke in Hamburg-Harburg in den jämmerlich deutsch-alltäglichen Räumen der von ihm gegründeten Islam-AG einen Haufen Propagandamaterial aus
Bücher Broschüren Flugblätter Heftchen aus allen möglichen arabischen Ländern martialische Videos und Tonkassetten auf denen Dschihad-Rufe und Koranverse von MG-Salven untermalt sind
und zitiert die dämlichsten Sprüche Vorurteile und absurdesten diätetischen Regeln irgendwelcher Pamphlete in der Absicht
die Mörder zu beleidigen
aber was nützt das
fragte ich Seymour in all diesen Monaten in denen er sorgsam jeden der Zeitungsartikel archivierte die genau zu rekonstruieren versuchten wie die CIA das FBI die Luftaufsichtsbehörden der Grenzschutz etc versagten aber auch und nicht zu vergessen die deutsche Polizei der BND wenn doch drei der vier Todespiloten aus Hamburg kamen (man muss froh sein dass Mohammed kein Deutscher war) gewiss ist es für die Zukunft von Bedeutung
WIE DAS PASSIEREN KONNTE
darüber muss und wird es einen Kongress-Bericht geben verlangte Seymour (es wird einmal diesen Bericht geben wenn weiteres Unvorstellbares geschehen ist und er wird das Hauptübel konstatieren nämlich den
Mangel an Vorstellungsvermögen)
willst du tatsächlich in einem Land leben in dem so etwas auf keinen Fall passieren kann fragte Luisa
auch die nachträgliche Verfolgung der Täter
privatdetektivhaft ein Sam-Marlowe-Job
etwa seit sie amerikanischen Boden betreten hatten Anfang des Jahres 2001
liefert nur Oberflächen zu den Oberflächen weil wir äußerlich die Unerbittlichkeit der Mörder nicht nachvollziehen können
immerhin kann man sagen dass sie in den letzten Tagen vor dem Anschlag sich durch die Wahl schäbiger Hotels in Las Vegas zwischen Striptease-Bars Porno-Videotheken vergitterten Liquor-Shops billigen Spielcasinos die dreidimensionale begehbare Projektion der Zerrspiegel-Motive vom verrotteten Westen lieferten die sie aus all den eifernden islamistischen Pamphleten schon kannten im Olympic Garden Topless Cabaret steckt man den Stripperinen Dollarscheine ins Strumpfband unter dem maritimen Plunder (Haie Schwertfische Leuchtturmminiaturen und Hummer aus Plastik in Fischnetzattrappen) schüttet einer Wodkacocktails in sich hinein während der andere (Atta) versucht sich mit Preiselbeersaft zu berauschen und stundenlang an einem großen Videospielkasten steht an dem er ein virtuelles Golfspiel nach dem anderen macht um den Highscore zu schlagen
das falsche flirrende Grün grobes Pixelmuster so intensiv strahlend dass sein Gehirn immer wieder rote Komplementärfarben auf die Glasscheibe projiziert ein bizarrer Vorgriff auf die Wiesen des Paradieses auf denen er mit 70 Jungfrauen die seinen gereinigten Leib in Empfang nehmen und die seinen Penis (schon wieder muss er pissen dieser verfluchte Preiselbeersaft) nur mit Gummihandschuhen anfassen während
niemand dort Allahs Highscore schlagen kann denn
Gott ist der beste Spieler
und Golf ist Tod es ist der Beginn der asphodelischen Wiesen auf denen die Alten und Moribunden zeitlupenartig auf den Abgrund zusteuern die Reichen in natura die Armen und Elenden vor quengelnden Automaten aber ebenfalls nur mit dem zerbrechlichen einzigen Körper der ihnen geliehen wurde es ist vielleicht sogar eine von Atta empfundene Ironie es
hat keinen Sinn ich finde nichts (oder wenig) auf der Oberfläche der von Dutzenden von Journalisten angefertigten Rapporte die sich ausnehmen wie kalkuliert bruchstückhafte kalkuliert schmutzige Szenen aus Siebziger-Jahre-Thrillern
dirty play
wo es doch um die absolute Reinheit des Massenmords ging
man fand
im Auto eines Tatverdächtigen in den Trümmern der auf einem Feld in Pennsylvania zum Absturz gebrachten Maschine sowie in jenem Koffer der auf dem Logan Airport in Boston nicht mehr verladen werden konnte und das denkwürdige Testament enthielt
eine
GEISTLICHE ANLEITUNG
der zufolge ich mir säuberlich gewaschene parfümierte und von allen überflüssigen Körperhaaren sorgsam befreite Killer vorstellen muss die mit auftragsgemäß eng geschnürten Schuhen und am Körper verborgenen Plastik- und/oder Teppichmessern durch die Check-in-Schalter direkt ins Paradies eintreten das Herz schon geöffnet den Tod in jeder Minute willkommen heißend unentwegt betend und Koranverse rezitierend sich selbst aufpeitschend als hätten sie einen messianischen iPod verschluckt der den Sound absoluter Skrupellosigkeit in jede Körperzelle hämmert
schlage
hart ins Genick (in dem Wissen dass der Himmel auf dich wartet die Engel schon deinen Namen rufen und ihre schönsten Kleider für dich angezogen haben was für ein Himmel in dem sich Engel bekleiden müssen aber das hatten wir doch auch in unseren Kinderbibeln) denn
du gehst den ewigen Weg und der ist hundertprozentiger Gehorsam denn
die Zeit ist reif
um
das Richtige zu tun heißt es unbestreitbar zutreffend für einen jeden von uns aber plötzlich trifft mich dann doch noch ein Satz mit einer erschütternd pauschalen Begründung
denn wir haben unser Leben verschwendet und nun ist die Gelegenheit gekommen uns Gott hinzugeben und ihm zu gehorchen
wenn
ich jetzt nicht begreife dann
verschwende ich mein Leben an meinen Schmerz und so
lese ich
Stunden um Stunden häufe Bücher auf dem Fußboden des Apartments an über die ich nachts stolpere ohne mich zu ärgern das Stolpern oft nur zum Vorwand nehmend um das Licht anzuschalten und weiterzulesen
studiere
die Auseinandersetzung der arabischen oder vielmehr islamischen Länder mit dem Abendland sagen wir im gerade verstrichenen Jahrtausend (eine leichte Übung für den Mann der sich jederzeit über 3000 Jahre Rechenschaft ablegt aber nicht für mich der ich von der Nacht in die Nacht lebe wobei ich mich frage was welche Massen an kaum zu bewältigender Lektüre ich eigentlich meinen älteren Studenten abverlange) fangen wir beim
Trauma der Kreuzzüge
an das für die andere Seite wohl oft noch so nah erscheint wie eine alltäglich (sich alltäglich wiederholende) militärische Bedrohung für uns aber schon tief abgesunken ist in die Ära der Technicolor-Hollywoodfilme in denen es auf beiden Seiten Gute und Böse gegeben hat (das demokratisch verteilte Gleichmaß zwischen Aggressoren und Verteidigern sollte uns doch stören) und in ein hier und da luftblasenähnlich aufsteigendes Bewusstsein davon dass der hundertjährige Fanatismus mit dem sich die Päpste konsolidieren und die Kaiser und Ritter ihrer Sünden entledigen wollten indem sie Massenmorde in fremden Ländern begingen nichts anderes als eine sinnlose und verbrecherische Unternehmung war
die Kreuzzüge begannen wie Kriege fast immer beginnen mit
Märchen also
mit frei erfundenen Gräuelgeschichten über die Untaten der anderen Religionsgemeinschaften und Kulturen (angebliche Schändung der christlichen Grabstätten in Jerusalem vorgeblich üble Behandlung von christlichen Wallfahrern durch die Türken sowie frei erfundene jüdische Machenschaften)
sie wurden eingefädelt von denjenigen die es fast immer einfädeln nämlich Machthabern denen gerade die Fäden zu entgleiten drohen in diesem Fall von den Päpsten Gregor VII. und Urban II. in ihrer Auseinandersetzung mit dem kaiserlichen Imperium
sie wurden ausgeführt von berechnenden Klerikern erlösungssüchtigen Adeligen wirrgeistigen Rittern und dem zum Dienst gepressten oder fanatisierten Pöbel der am meisten von Epidemien und Hungersnöten heimgesuchten Landstriche Deutschlands und Frankreichs
sie endeten mit Blutbädern mit dem Verlust der Grabstätten mit der Dschihad-Aufpeitschung der Muslime mit der ausbrechenden Animosität zwischen lateinischen und nichtrömischen Christen mit der Entzweiung von Byzanz und der Eroberung des christlichen Konstantinopels durch die christlichen Kreuzfahrer mit dem Hass der Ritter und Soldaten auf den Klerus und die Mächtigen
der Dialog der Kulturen die Auseinandersetzung mit der anderen Welt das Vermitteln der griechisch-arabischen Wissenschaft nahm andere Wege über Sizilien nämlich und über die italienischen Kaufleute in Venedig und Genua über
Andalusien
Luisa wo wir vor zwei Jahren doch erst noch all die routiniert freudigen De-la-frontera-Ortsschilder und weitere Reconquista-Markierungen aufmerksam aber leidenschaftslos besichtigten vielleicht nur weil die Grenze schon so lange nicht mehr zur Disposition steht heute denke ich manchmal ich würde die spanische Küste mit der Waffe in der Hand verteidigen und der auf das Gebiet der Alhambra gesetzte wuchtige
Dom für Karl den V. mit seinem kreisrunden doppelten Säulengang
ein blankes Stück Überwältigungsarchitektur frühes 16. Jahrhundert nie gänzlich fertiggestellt wegen des Aufstands der in Spanien nach der Reconquista verbliebenen Mauren denen man nach der Kapitulation Granadas Religionsfreiheit versprochen hatte um sie bald darauf per Zwangsbekehrung zu unterwerfen zu deportieren oder von der Inquisition verfolgen zu lassen
der Dom also der mir bei der ersten Besichtigung so deplatziert erschien und mich ärgerte strömt im Nachhinein eine wohltuende Kraft aus (aber was hilft es schon) so wie mich die aufkommende Renaissance die solche architektonischen Kolosse schuf
beruhigt
und tröstet wie der Humanismus die Aufklärung denn das sind Entwicklungen Europas aus eigener Kraft und hiervon gebe ich keinen Zentimeter her für jene besonders radikale Spielart des Islam die ihren rigorosen tyrannischen Stumpfsinn über die Erde verbreiten möchte die
MEINE TOCHTER ERMORDET HAT
(beruhige dich mit
wem sprichst du denn nur denke
statt
zu hassen)
die Reconquista hier
hat
ihren Saladin dort
aber dann schon ihre neuen osmanischen Herrscherdynastien und im Osten die Safawiden ein Fürstengeschlecht aus dem nordwestlichen Iran ich recherchiere möglichst genau wenn ich etwas nicht im Netz finde fahre ich in die Public Library und sei es auch nur für eine Definition oder ein Bild oder eine Skizze es ist nur die Unerbittlichkeit nein: die Zulänglichkeit
meiner eigenen Antworten
die gegen den Schmerz hilft und hin und wieder eine Nacht mit längerem Schlaf bringt
wo war ich
stehengeblieben?
3000 Jahre gibt es uns doch noch gar nicht
es gab einmal
3000 Menschen
was bleibt übrig was bleibt uns übrig (sagt Luisa) als Trauer und Scham und gezielte Verbrecherjagd und Einsicht in die eigene Schuld
was bleibt übrig ich träume ich alpträumte
der alte Goethe sei gekommen und wollte
Sabrina heiraten
Sehnsucht
Erste Flamme, um zu werden,
Brauchtest Du noch keinen Tod.
Erbet’ner Gast auf 1000 Erden,
Mit jedem Herzschlag Morgenrot.
Bei jedem Deiner Schritte Licht,
Du strahlender Besuch.
Nichts verhüllt mir Dein Gesicht,
Nur Körperstaub, ein fahles Tuch.
Schmetterling, das kalte Feuer,
Das Dich auslöscht in der Luft,
Muss mit Dir sterben, denn im Himmel,
Gibt es weder Grab noch Gruft.
Seither hält Dich still die Erde,
Als Phosphor tief in sich versteckt.
Doch wenn ich einst zur Flamme werde,
Hab’ ich Dich in mir entdeckt.
Das Nachmittagslicht (warm fast schon honigfarben)
leuchtet uns entgegen
Sami und mir so dass die
Gegenseite im Gegenlicht seltsam verklärt erscheint (als wäre das noch nötig) übergossen von vorabendlicher Milde es ist als löste sich jetzt alles im
Tee der Luft
es ist (noch) still an diesem Freitag das Wochenende beruhigt Bagdad wie ein übergeworfenes Tuch einen wilden Papagei im Käfig
gegenüber sitzen der kleine struppige Achmed seine plumpe lustige Schwester Hind und Yusuf der Älteste der schlanker geworden ist mit seinen siebzehn Jahren während
Du
noch stehst zwischen einem Feigen- und einem Ginkobäumchen in einem ganz besonderen unsichtbaren blendenden (nur mich blendenden) gegenströmenden warmen Sonnenglanz dem die Nachtigallen Schmetterlinge schmerzhaft leuchtenden schillernden Paradiesvögel metallischen Kolibris in meinem Herzen im Serail meiner Brust
zuflattern
das alte Haus meines Urgroßvaters und das der Rikabis stehen so nahe beieinander dass man mit einem leichten Sprung vom Dach des einen zum Dach des anderen kommt man kann sich von hier nach dort unterhalten als säße man an einem Tisch ganz ungestört denn zur Straße hin riegelt ein Tor den schmalen Zugang zu den selten benutzten Seitentüren ab und über diesen geschlossenen Zugang hinweg spricht man seit Jahrzehnten schon (sagt Tarik) miteinander als sei der gemeinsame Tisch gerade von der Erde verschluckt worden über einen kleinen Abgrund von drei Metern Tiefe hinweg indem man sich nah an die niedrigen Brüstungsmauern stellt oder einfach darauf setzt wie Hind und Yusuf und Achmed
wie Sami und ich auf der Gegenseite während Du immer noch zwischen den von Abu Yusuf liebevoll und fachkundig aufgestellten gepflegten Zierbäumchen und Büschen stehst als zähltest Du die Ginkoblätter (keines ist wie das andere sagt man) oder versuchtest durch die Rückseite der hohen Gebäude der Saadun-Straße bis zum Tigris hinab zu sehen den sie verbergen Du bist als Soldat angekommen im Sommer in Deiner grünen Uniform erschöpft müde und erleichtert weil Du Deinen Pflichtdienst hinter Dir hattest und jetzt hier unterkommen konntest im Haus des entfernt mit Dir verwandten Abu Yusuf der Dir preiswert ein Zimmer vermietet für
ein ganzes Studium (wünschte ich)
Du siehst jetzt schon so aus wie ein Student (in Jeans und wasserblauem Hemd) setz Dich (Geliebter!) neben den kleinen großäugigen strubbeligen Achmed auf die sonnenbeschienene Mauer zwei oder drei Mal die Woche sitzen wir hier zusammen um uns herum nur Antennen Wäscheleinen flatternde Bettlaken bunte Hauskleider schwarze Abayas Babywäsche rauchende Kamine Dachgartenpflanzen Abu Yusuf ist Gärtner von Beruf es heißt er pflanze sogar in den Palästen des Präsidenten er hat das Dach seines Hauses so geschickt begrünt und verwandelt dass es im Gewirr der anderen zumeist sehr gewöhnlichen Dächer eingelegt scheint wie eine Paradiesinsel wie eine kostbare persische Miniatur und so müsstest Du eigentlich auch ein passendes Gewand (Seide Brokat Gold ein Turban mit exotischen Federn) tragen ein Märchenkostüm es ist
Deine Zurückhaltung jene immer ein wenig defensive und doch konzentrierte Freundlichkeit es sind Deine hellbraunen leuchtenden Augen hinter den runden dicken Brillengläsern es ist Deine verhaltene Art zu sprechen zu gestikulieren es sind Deine kräftigen runden Schultern Deine großen aber weichen und gut geformten Hände Deine Zähne wenn du lachst diese kleinen weißen Kalkfleckchen darauf Deine hoch sitzenden Wangenknochen die Dir (fast wie bei Huda) etwas Indisches geben es sind Deine Geduld und Deine vorsichtigen Bewegungen es ist
ein Blütenfeuer in mir ein Stachel ein nackter ungestümer harter Sklavenkörper in der Nacht auf meinem schweißnassen Bett erträumt und schrecklich falsch denn Du wärst doch sanft und geduldig und weich es ist der Wunsch
genau hier zu sein an diesem Ort das vollkommene wirkliche (vollkommen wirkliche) Dasein eine brennende Sehnsucht nach diesem Ort in dieser Zeit und ihre sofortige fast tägliche Erfüllung ich will oft nichts weiter als hier zu sitzen
Dir gegenüber
an der Seite meines Bruders der immer etwas mit seinem Freund Yusuf zu reden zu tauschen zu debattieren hat die rundliche zehnjährige Hind und Achmed in seiner Dischdascha oder seinen kurzen Hosen und gestreiften T-Shirts sind wie liliputanische Clowns oder dickbackige Engelchen die um uns herumschwirren zwischen den Orangenbäumchen und der aufgehängten Wäsche
ich spreche über Babylon über die neuen Funde dort und Du über Fußball (mit den Jungs) und über die Zeit der Abbasiden während Sami Star-Wars- und Terminator-Videos mit Yusuf austauscht und CDs von Massive Attack oder Madonna (die er mir hin und wieder leiht)
das Zauberwort
fiel vor einer Woche es war ein Fehler von Sami aber die beiden Kinder waren von Umm Yusuf in den Innenhof der Rikabis gerufen worden und zu viert sprechen wir offen und frei also konnte es meinem schwatzsüchtigen nervösen Bruderherz geschehen dass er über Tariks Plan mich zum Studium nach
London
zu schicken plauderte während Du doch im Oktober in Wasiriya Verwaltungswissenschaften und Datenverarbeitung studieren sollst auf Geheiß Deines Onkels der Dein Studium finanziert es wird
doch ohnehin gar nicht mehr nötig sein
Tony Blair kommt doch selbst hierher mit seinem Freund George Bush rief Yusuf
es sei nicht sicher es sei nur eine der spontanen Ideen meines Vaters beeilte ich mich zu erklären und keiner wusste was uns mehr ängstigte die Aussicht auf Trennung oder die Vision eines Kriegs London war das Wort das den Schreck in Dir auslöste der Dein Herz für mich öffnete für einen Blick wie für einen Sturz in einen Himmel der uns nie wieder entlässt wir
waren schon einmal dort
für unser Paradies reichte allein der
Gegenblick
die Sekunde der Erwiderung die jetzt immer wieder
zurückkehrt bei jeder noch so kurzen Begegnung unserer Augen gestern
fielen wieder einmal amerikanische oder englische Bomben auf eine militärische Anlage westlich der Stadt Du könntest in London am Fernseher in Onkel Ibrahims Wohnzimmer zusehen wie sie uns hier den Arsch wegschießen meinte Sami kichernd
auch heute und jetzt wo doch die beiden Kinder dabei sind vor denen wir nicht reden sollen fängt er wieder damit an dass die Amerikaner über völlig neuartige Bomben und High-Tech-Waffen verfügten sie könnten Raketen mit Kamera-Köpfen in aller Seelenruhe an ihren Computermonitoren in Washington mit einem Joystick nach Bagdad lenken etwa genau auf dieses Dach oder sie könnten auch
ganz Bagdad entvölkern
so dass alle Gebäude unversehrt blieben und nur die Menschen sich auflösten wie Rauch (fünf Millionen kleine Aschehäufchen) oder umgekehrt
sagst Du
kopfschüttelnd und lächelnd alle Gebäude sind weg und alle Gegenstände und wir stehen mit leeren Händen da und können ganz neu anfangen
sie haben auch Miniatur-Drohnen klein wie Schmetterlinge oder Hummeln die langsam durch die Straßen fliegen und gezielt durch die Fenster schießen oder als Ganzes explodieren und neuerdings auch eine Art denkenden tödlichen Staub — hör auf! immer wieder muss ich Sami darauf hinweisen dass er vor den Kindern weder über den Krieg noch über den Präsidenten reden sollte Tarik berichtete für die UNICEF dass immer mehr Kinder an Alpträumen und Schlaflosigkeit litten dass sie nur noch Bilder vom Krieg malten zusammenzuckten bei jedem lauten Geräusch
Achmed aber klatscht vergnügt in die Hände wenn Sami von den fantastischen amerikanischen Waffen spricht er hält es für ein Spiel und sein Bruder wohl auch unter dem Bildschirm des Himmels denken sie könne ihnen nichts ernsthaft geschehen sie erhielten allenfalls eine Art Punkte-Abzug
die Baathisten und die Zionisten sonst keiner
meint Yusuf dann wäre doch schon alles o.k. er dreht den wolligen Kopf hin und her und grinst sein Gesicht mit der großen Nase den lustigen Augen ähnelt jetzt sehr dem seiner zehnjährigen Schwester im Gegensatz zu Sami hasst er die Amerikaner auch wenn er mit ihm ständig Hollywood-Filme anschaut man kann ihn aber nicht ernst nehmen denn er sagt die merkwürdigsten Dinge und lächelt dabei als wäre er der Letzte der das glaubte was er gerade sagte seit zwei Jahren himmelt er mich an und will mir Armbänder und Kettchen schenken die er in seiner Goldschmiedelehre anfertigt
die Amerikaner sollen staunen ich werde Bodybuilder! erklärt Achmed und lässt seine Schwester seinen kleinen dicken Oberarm befühlen was sie gutmütig anerkennend auch tut wobei sie mir einen suchenden Bick zuwirft als könnte ich ihr auf Frauenart klar bedeuten was es mit dem Kriegsgerede unserer Brüder genau auf sich hat
ich weiß es nicht und sitze nur hier im grünen Hauskleid mit Turnschuhen an den nackten Füßen auf der Brüstungsmauer neben Sami wir atmen reden lachen und fürchten uns diskutieren in der warmen Sonne so unglaublich
unbehelligt
es ist einfach nicht zu fassen dass man uns angreifen bombardieren auslöschen will seit einem Jahr seit Nine Eleven stehe es fest sagt meine Mutter sie sagte sofort als sie es erfuhr WIR werden das ausbaden müssen garantiert und schon
tauchte der PRÄSIDENT im Fernsehen auf
um zu erklären dass Amerika nun endlich den Schmerz am eigenen Leib empfinde den es gemeinsam mit den Zionisten den Palästinensern jeden Tag zufüge was ich zunächst ganz einleuchtend fand bis Tarik sagte das mache dann 365 mal 3000 Tote im Jahr in den berühmten palästinensischen Wolkenkratzern ich meinte aber doch nicht die Anzahl der Opfer sondern den Umstand dass den Amerikanern einmal etwas im eigenen Land zustieß den Zivilisten wie bei uns nicht immer nur den Soldaten die sie in alle Welt schickten
da ist etwas dran erwiderte Tarik aber stell dir ein Mädchen vor (vor dem Hintergrund eines Bildschirms auf dem nun wieder Knabenchöre das Lied Saddams Lebenspuls! zu Gehör bringen) ein Mädchen deines Alters im World Trade Center
es will studieren wie du oder es hat gerade mit dem Studium begonnen
ihr hättet euch in London begegnen können oder in Paris
bei McDonald’s oder Starbucks ich denke wir würden uns streiten über die Palästinenser die wir verteidigen und die Israelis die ihr verteidigt über das Embargo die hinter uns liegenden Kriege und den der uns anscheinend bevorsteht wenn ich den Leuten glauben kann
wäre ich dann in London (wo ich nicht mehr sein will
Geliebter!)
dann sähe ich am Bildschirm in Wohnzimmern Studentenheimen Cafés
das Feuer über dem brennenden Leib des Irak und Bagdad in Schutt und Asche wie in einem Hollywood-Streifen und ich würde es nicht glauben können so wie man es im Schlaf oder Halbschlaf auch nicht glauben kann dass eine Bombe auf die Stadt fällt zumindest wenn es nicht in unmittelbarer Nähe passiert und die Mauern der Häuser nicht beben ich frage mich bisweilen was man denn glauben kann sogar Schwerstverletzte und Sterbende (sagt Tarik) glauben es nicht wir
sitzen hier in der frühen Abendsonne Ungläubige in der Religion des Todes
ich will nicht nach London gehen wenn ihr alle hierbleibt es
ist nur eine Möglichkeit sagte mein Vater er müsse noch mit seinem Bruder Ibrahim ausführlich reden der seit zehn Jahren an der Themse lebt er werde es auch nicht alleine entscheiden ich solle nachdenken aber ich weiß nichts ich möchte nur hier sitzen und zusehen wie sich alle Zweifel und Bedenken einfach auflösen es fühlen vielmehr
wer einen Menschen tötet
tötet alle Menschen
zitierst Du den beiden aufgeregten Jungs aus dem Koran und sie sind (für eine kurze Weile wenigstens) beeindruckt weil Du im Gegensatz zu ihnen beim Militär warst es ist so ein Glück dass es diesen Platz hier zwischen den alten Häusern gibt diese Bänke in der Luft auf denen man sich ungestört unterhalten kann als säße man sich auf einem Doppeldeckerbus ohne Dach gegenüber seit Generationen unterhalten sich hier die Rikabis und die al-Khayyats schon zweimal sprachen wir hier oben allein bei mir gibt es keinen misstrauischen Vater oder herrschsüchtigen Bruder ich bin keinem Cousin versprochen sondern habe das Vertrauen meiner Eltern das mich umgibt
also sprich
Geliebter
Du kannst den Muezzin noch abwarten um dann in der feiertäglichen Ruhe (nachdem die Kinder verschwunden sind und Yusuf zu uns herüber aufs Dach sprang um mit Sami im Computer- und Fernsehzimmer zu verschwinden) mit mir zu reden auf Deine bedächtige und genaue Art in diesem Jahr noch
will ich von Dir geküsst werden
auch wenn Du fünf Wochen gebraucht hast um zu verstehen dass Du nicht immer fluchtartig euer Dach verlassen musst wenn sich die Möglichkeit ergibt allein mit mir hier oben zu sein (ich bin ein modernes Mädchen mein Vater ist Arzt und sein Kollege Achmed macht Jungfernhäutchen in der Garage würdest Du auf den Rücken fallen wenn ich das zu Dir sagte) ich solle unbedingt im Ausland studieren sagte meine Schwester Jasmin zu mir um
erwachsen werden zu können
bevor ich heirate
was ich denn in London lernen könne wenn doch alle Ruinen hier im Irak seien mit Ausnahme der von europäischen Archäologen geraubten und verschleppten Schätze hatte Yusuf mich einmal gefragt und Du schobst die Brille auf deinem Nasenrücken etwas höher und sagtest
die Wahrheit und die wissenschaftliche Methode
also was steckt dahinter wenn Du nur erneut von mir wissen möchtest was mich so an Ur und Uruk und Babylon fessele weshalb ich Archäologie und die alte Geschichte studieren will die Zeiten vor Mohammed und Ali als noch kein einziges Wort Gottes klar ausgesprochen worden war ich
wollte sagen dass ich auf Babylon ja noch warte auf die fröhliche weltliche glamouröse freie hundertsprachige orientalische Stadt der Zukunft frei von Furcht und Angst so wie ich sie vom Balkon meiner Schwester aus in die Nacht hineinträumte dort könnten wir einen der da-Vinci-Flugapparate nehmen und
in ein Bett (über den Wolken)
fliegen aber was sage ich Dir jetzt wo Du mich so aufmerksam und staunend und (ich glaube auch) verlegen betrachtest sage ich einfach das was ich mir dachte bevor ich Dich kennenlernte nämlich dass ich ja nicht in Uruk oder Assur oder Ninive oder Babylon sein wollte zu ihrer erloschenen Blütezeit sondern mehr über diese Städte herausfinden sie studieren und verstehen möchte
als Wissenschaftlerin
sagst Du zustimmend und ohne Ironie so dass es mir auf einmal leichtfällt mich in der Rolle einer energisch und konzentriert wirkenden Museumsleiterin zu sehen zwischen Restauratoren Modellarbeitern Glasvitrinen die Besucher herumführend mit Wissenschaftskollegen sprechend in einem italienischen Kostüm oder manchmal auch in Jeans Bluse und offenem weißen Kittel es ist
Schiruk
Hudas Mutter
von der ich Dir auf einmal erzähle von dem Eindruck den sie schon in meinen Kindertagen auf mich gemacht hat es erschreckt Dich nicht in
Neu-Babylon
wird es keine Baath-Partei mehr geben und Könige Herrscher Tyrannen Krieger nur noch als martialische Reliefe auf Tonkacheln während die Löwen und die Ungeheuer in schönen Freigehegen laufen und fliegen
aber jetzt zu Dir (Geliebter) ich spüre schon wie Du nervös wirst und immer versucht bist über die Schulter zu sehen obgleich hier niemand etwas dabei finden wird wenn wir uns in der Abendsonne unterhalten auf den weißen Mauern sitzend über der kleinen Tiefe zum Ausgang zwischen den Häusern weder mein Vater noch Abu Yusuf (der ruhige und selten anwesende Gärtner) wird uns ausschimpfen von meiner Mutter weiß ich viel über Dich sie ist sehr vertraut mit Umm Yusuf der schüchternen hübschen Frau Rikabi gewiss auch weil Farida aus einer schiitischen Familie stammt und alle Rikabis Schiiten sind ich weiß nicht nur dass Dein Onkel Dein Studium bezahlt sondern auch dass Saddam Deinen Vater und Deinen älteren Bruder ermorden ließ vor elf Jahren nach dem Krieg als der ältere George Bush die Schiiten im Süden zum Aufstand aufforderte und sie dann im Stich ließ als die Armee angriff
im Bücherregal meiner Mutter
gibt es ein postkartengroßes Ölgemälde von Ali dem strahlenden jungen vollbärtigen großäugigen Helden Farida ist auf eine mir nicht ganz durchschaubare Art religiös das kleine Gemälde erklärte sie mir sei eine Erinnerung an ihre Kindheit in ihrer gläubigen Familie dreimal besuchten wir meinen Großvater in Basra bevor er starb und ich war sehr beeindruckt von den Ölbildern der zwölf Imame die er im Wohnzimmer seines alten Hauses am Kanal hatte elf fast gleich aussehende wie geklont wirkende strahlende junge vollbärtige Männer in grünen Gewändern mit leuchtenden großen Augen von der Lichtkraft erfüllt die aus der direkten Nachkommenschaft von dem Ersten unter ihnen stammte der zwölfte
Mohammed al-Mahdi
der im Keller seines Hauses gerettet und in die große Verborgenheit entrückt wurde (erklärte mir mein Großvater während Tarik lieber aus dem Haus ging) hatte anstelle eines Kopfes nur einen strahlenden Lichtschein zwischen den Schultern eine kleine explodierende Sonne bis er
wiederkehrt
erklärte mein Großvater
erkennen wir keine Regierung an merke dir das auch nicht die verrückten Ayatollahs der Perser die in die Sünde der Macht gefallen sind was glaubst Du
was glaubst du
wer zuerst fragt muss auch zuerst eine Antwort bekommen
sag mir doch was du hören willst
alles
dann will ich auch alles hören sagst Du lachend und die Arme ausbreitend (flieg mit mir über die Dächer Geliebter)
also gut ich bete nicht viel und ich bin ein SuSchi sage ich
ein japanischer Fisch-Happen?
lach nur aber was soll denn herauskommen bei einem sunnitischen atheistischen Vater und einer schiitischen Mutter die dreimal im Jahr in die Moschee geht um die Teppiche zu bewundern wie sie behauptet
dass Du jetzt so schön erschrocken und wohl auch ein wenig bewundernd lachst gibt mir plötzlich etwas von der Falkenkraft meiner Schwester Jasmin ein Gefühl von Mut Stärke Originalität
was glaubst Du frage ich nicht
ich warte
bis Du mir erzählst dass Du den Militärdienst nur im Glauben ertragen hast das Leiden sei ein Teil von uns der beste vielleicht wie kannst Du die Uniform der Mörder Deines Vaters und Deines Bruders auf Deiner Haut ertragen weshalb bist Du nicht geflohen wie hast Du Dir diese Schüchternheit und Freundlichkeit bewahrt Dein Onkel habe Dir mehr oder weniger befohlen Verwaltungswissenschaften und Datenverarbeitung zu studieren es sei wohl auch besser so obwohl Du lieber in eine Hauza gegangen wärst
fünfzehn Stunden Lernen am Tag zehn Jahre lang bevor Du –
heiraten kannst ich weiß sagst Du errötend ich bin eindeutig zu alt für so was
und vierzig Jahre bevor Du dann selbst ein großer Lehrer wärst willst Du denn wirklich so ein Mullah oder gar Ayatollah werden
das Studium selbst hätte Dich interessiert die Philosophie dabei man lerne die großen Philosophen zudem Logik Mathematik Metaphysik Rhetorik andererseits würden Dich aber auch die Sufis faszinieren al-Halladsch Junaid oder Rumi in einer Hauza wärest Du sicher zu sehr festgelegt gewesen um herauszufinden was Du eigentlich glauben oder wie Du im Glauben vorankommen könntest
und jetzt frage ich ganz plötzlich und mit einem Nachdruck den ich mir selbst nicht zugetraut hätte es ist noch Jasmins Kraft in mir etwas von dieser babylonischen Energie
jetzt ist es auch nicht schlecht
hast Du gesagt und dann fiel der Strom aus für drei Stunden im ganzen Viertel meine Eltern lasen friedlich im Schein von Kerzen und Gaslampen und ich versuchte mein jagendes wildes Herz zu beruhigen indem ich mich neben meinen Bruder setzte
immer wenn es keinen Strom keinen Fernseher keinen Computer gibt besinnt sich Sami auf sein Interesse für Kalligrafie er übt seit er sieben ist die Schriften und beruhigt sich selbst dabei man kann gar nicht glauben dass der sonst so nervöse und fahrige Junge zu so etwas fähig ist er beherrscht mehrere Stile es entstehen die erstaunlichsten zierlichsten verschlungenen Gitter mit akkuraten verblüffenden Schwüngen er nimmt die eckige langgezogene Kufischrift stürzt sie und formt einen Bogen an dem Vokalisierungszeichen wie Blüten an einem Rosenspalier ranken schwer zu entziffern im Kerzenlicht: mim damma nun fatha alif maksura …
Muna und Nabil
Mein König
Du hast den Riesen in unserem Land nicht erschlagen.
Weiterhin zerstampft der Himmelsstier das Volk.
Deine große Stadt wird nie erbaut werden.
Deine Krone ist Luft.
Keiner fürchtet Deinen Namen.
Dein Reich wird nicht kommen.
Dein Wille ist kein Befehl.
Aus keiner Wüste
schallte Dein Wort.
In Deinen Händen zerrinnt nichts
als mein Leben.
Er könne heute Nachmittag leider nicht kommen (sagte Seymour am Telefon) aber er habe jetzt nicht nur die Erlaubnis sondern auch die dringende ärztliche Empfehlung wieder zu joggen und deshalb
würde er mich am morgigen Sonntag gegen neun abholen ohne mich schaffe er es nie ich solle mir Laufschuhe kaufen er wisse ja dass ich ein Jahr lang nicht gejoggt sei und eben darin liege für einen Herzpatienten wie ihn die Chance mit mir Schritt zu halten
ohne Seymour
hätte ich mir die Schuhe nicht gekauft und wohl auch nicht ohne Luisas Bescheid dass sie erst am Montag anreisen könne aber dafür bis Donnerstag bleibe (und folglich auch über den
JAHRESTAG
verspäten sich alle weil er unausweichlich näher kommt?)
die rasch fast achtlos und schamerfüllt gekauften Laufschuhe eine Trainingshose und ein grau-olivfarbenes (tarnfarbenes) T-Shirt aus einer Ramschkiste im gleichen Laden
es liegt alles im Flur wie von
einem Kind hingeworfen ich kann mir die Stichflammen der Freude nur schwer verzeihen die ich trotz der gehetzten Beiläufigkeit des Kaufs verspürte ohne Seymour könnte ich nicht laufen er ist sich dessen bewusst aber erst jetzt denke ich dass es sich vielleicht umgekehrt ebenso verhält und zwar nicht aus den vorgeschützten Gründen mangelnder Selbstdisziplin sondern wie bei mir um die Schuldgefühle ertragen zu können weshalb
lebst du noch
diese Frage die immer lauter in dir wird sobald du zurückzufinden scheinst in die Normalität die es nie wieder geben wird oder geben soll du zwingst dir diese Idee doch auf sagte Luisa in einer der Nächte in der ich erneut wieder einmal wie seit einem ganzen Jahr schon außerstande war mit ihr zu schlafen ich kann keinen Sex mehr haben ich würge nur hin und wieder meinen Penis wringe ihn aus in einer Ecke meines Bettes oder zitternd in der Duschkabine um Frieden zu haben mehr ist es nicht
er habe sich in psychologische Behandlung begeben erklärte mir Seymour und darüber hinaus (ich konnte nicht umhin meine zähe Konstitution zu verachten es ist als ob das Leiden dadurch unglaubwürdig (für wen) werden müsse wenn außer deinen Erektionen nichts an oder in dir zerbricht) hatte er sich drei Wochen nach der Trauerfeier im Februar einer Herzoperation unterziehen müssen es war eine Kleinigkeit gewesen für die Spezialisten des
New York Presbyterian Hospitals (we can see things
many others can’t)
dieses im Norden am Hudson gelegenen Burg-Komplexes aus elfenbeinfarbenen Hochhäusern bringen Sie Ihre Mutter denn wir schneiden hier nicht einfach nur Brustkörbe auf wir sehen auch den Menschen (can see things)
als Ganzes
im Einzelzimmer
lag Seymour allein ich war sein erster Besucher gewesen wer außer Gastprofessoren und Studenten konnte schon vormittags Klinikbesuche abstatten (ein kalter sonniger Märztag unversöhnlich schön mit einem harten jede Falte und Pore herausmeißelnden Licht) er sah nicht so grau und müde aus wie in den Wochen zuvor sondern eigentümlich frisch wenn auch auf eine irgendwie ungesunde oder peinliche Weise so als hätte er sich eine Affäre gegönnt oder zugemutet die Affäre seiner Herzkranzgefäße mit einer jener winzigen raffinierten Ballonsonden die ihre Verengungen oder Verklebungen lösten ich gab mir nur den Anschein als wollte ich es genauer wissen aber Seymour bestand auch nicht darauf es zu erklären er war nicht schuld daran er war auch nicht schuld an (nicht die Ursache) der Trennung Amandas von mir vor nunmehr sieben Jahren es schien mir nur für einen Moment so
beim Blick aus dem Krankenhausfenster als glühte dort das harte desillusionierende Frühjahrslicht unserer letzten gemeinsamen Reise wieder auf ein Pariser Blau durch das Sabrina stumm und blass als hilflose Zeugin mit ewig verschränkten Armen hinter uns hergegangen war die wir uns mit immer wieder nachlassender Anstrengung um touristischen Frohsinn bemühten wenn schon nicht mehr um die heile Familienfassade Seymour war
ein glücklicher Umstand (für Amanda) ein so andersartiger Mann dass ich mir auch jetzt unmöglich vorstellen konnte wir hätten das Gleiche verloren die gleichen Menschen aber so war es ja auch nicht sie hatte ganz anders sein müssen (sagte ich mir so oft bis ich nicht mehr daran glaubte) um mit ihm leben zu können diesem Pfadfinder dann Football-Ass dann MIT-Ruderkapitän extravertiert gut gelaunt energisch kooperativ leutselig und zustimmend im Sinne eines entspannten tiefen Einverständnisses mit dem Mark der Seele dem lebendigen Prinzip seines Landes des politischen Systems auch ganz ohne biografischen Energieverlust ohne die zerquälte abstrakte Umständlichkeit mit der man als
Deutscher
meiner Generation zur Bundesrepublik hatte finden müssen war er ein affirmativer Pragmatiker mit noch immer deutlichem Sonnyboy-Touch sein wie eine Rolle Küchenpapier gemustertes Patientenhemd verlieh ihm oder erhielt durch ihn eine sportliche Note selbst die Kanülen die in seinem kräftigen braunen sommersprossigen Unterarm steckten wirkten angebracht oder erwünscht als strömte durch sie das Dopingmittel seines eigenen Charakters aus der Ego-Reserve des Presbyterian wieder zurück keinesfalls wollte er versäumen den
Tribute in Light
aus der Nähe zu betrachten oder am besten von Brooklyn oder Jersey aus wollte er Sabrina und Amanda als Feuerwerksdrachen aufsteigen sehen in jenen blau fluoreszierenden Lichtsäulen die anstelle der Türme von Scheinwerferbatterien über GROUND ZERO in die Höhe gezaubert wurden
anrührend erschreckend feierlich unangenehm an Flakscheinwerfer erinnernd und durch das künstliche Blau in bedeckten Nächten Science-Fiction-haft als schieße etwas durch die Finsternis nach unten in die zerstörte Erde es gab nichts keine Gestalt in den Strahlen aber
wir waren doch auch auf eine unpersönliche technische Art getröstet
zwei Wochen später als wir nebeneinander an der Battery standen vielleicht weil das Chaos der Schmerz die zerfetzten Trümmer die nun schon bald vollständig planiert waren plötzlich transzendiert und aufgehoben schienen hinübergerettet in
organisiertes Licht das Kirchenfensterlicht einer Auferstehung vielleicht oder wenigstens eines
Transports
wie durch mächtige Laserstrahlen die alles auf einen anderen Planeten verbrachten in eine andere Sphäre wenigstens
oft (auch heute wieder mit seiner Jogging-Idee) scheint es mir als wolle Seymour auch unseren
Verlust
sportlich nehmen ein guter Verlierer (seiner Frau und meiner Tochter) sein aber so leicht ist es nicht so einfach kann man ihn auch nicht verstehen oder erklären als ich ihn im März im Presbyterian besuchte sprachen wir zwei Stunden miteinander
er wollte wissen wie ich
zurechtkam (ZURECHTKAM)
wie ich nachdachte über was ich hatte gerade einige der auf Englisch verfügbaren Texte der islamistischen Terror-Theoretiker gelesen von denen es hieß sie hätten die JUNGS aus Hamburg-Harburg am stärksten beeinflusst dieser oft ganz ruhige sich freundlichst an die BRÜDER wendende pseudogelehrte Hass hatte mich überrascht als ich in den Schriften las die mit Koranzitaten Referenzadressen Gebetsformeln Argumentlisten durchsetzten Fatwas die Gottes Wort den Ablauf der Geschichte den Zustand der Menschheit die moralische Zerrüttung der Völker mit wenigen und immer gleichen Phrasen und Platituden umfassen einkreisen zu einem Tunnel einem sich rasend immer weiter verengenden
Trichter
verjüngen (die JUNGS die simple Tatsache dass fünfzig Prozent der Bevölkerung in den arabischen Ländern unter achtzehn Jahre alt ist und dass die islamistisch Begeisterten darunter auch gar nicht diese Texte lesen sondern lieber auf die Videoclips von bin Laden warten)
an dessen Ende nur noch der Griff nach der Maschinenpistole stehen kann das Anlegen eines Sprengstoffgürtels der Schnitt durch die Kehle einer Stewardess das wahnsinnige Herabdrücken des Steuerhorns einer mit neunzig Passagieren besetzten Linienmaschine direkt über der Südspitze Manhattans all die Hochhäuser der kompakt gestaffelte Raum die wie die lanzenförmige Platine eines Supercomputers mit vermeintlich menschenleeren Rhomben Würfeln Quadraten gespickte Spitze der Insel mit 600 Stundenkilometern überschossen du triffst die Türme leicht weil sie so markant hervorragen weil sie darauf warten so ein Blödsinn aber viele Kommentatoren schrieben es Luisa merkte hier an dass das Menetekel des Untergangs seit dem Turmbau zu Babel in die Fundamente jeder architektonischen Großtat gegossen und seit der Gründung der Studios in Hollywood auch gleich bildhaft vorweggenommen werde dem Spektakulären wünscht man stets einen spektakulären Tod
aber Sabrina war so verhalten und
still
das wie flüssige wie grenzenlose Blau das Kerosin des Himmels
das alles so unwirklich so präzise unwirklich macht wie ein millimetergenaues riesiges Modell im Sommerlicht der
Dschihad
ist Pflicht und er bedeutet (für all diese freundlich zu ihren Mörderbrüdern predigenden Mörder) einzig und allein den bewaffneten Kampf der jetzt von jedem einzelnen gläubigen Moslem zu kämpfen ist
Pflicht
ohne Wahl
ja so etwa kenne ich das meinte Seymour im Krankenbett immer die gleiche Leier
eine Todesmühle
die funktioniert (entgegnete ich) aber weshalb müsse man sich doch fragen war es denn nur die scheinhistorische Argumentation dass es nach wie vor das eine islamische Gebiet (dar al-islam) gäbe und die Eindringlinge in Gestalt des Staates Israel der US-Army in Saudi-Arabien im Irak und in Afghanistan daraus vertrieben werden müssten (gemäß dieser oder jener schriftlich verbürgten Anekdote aus Mohammeds Leben entsprechend dieser oder jener Fatwa dieses oder jenes Schriftgelehrten dieses oder jenes Jahrhunderts) eine zum Verfolgungswahn übersteigerte Verteidigungs-Fantasie mithin die sich aus konkreten historischen Verwerfungen wie dem Afghanistankrieg oder dem zweiten Golfkrieg ableitete sie alle über den einen Kamm des Propheten scherte und als Attacke gegen sämtliche Muslime wertete als hasserfüllte Angriffe des Westens gegen das unvergängliche mittelalterliche Haus des Islam das Fantasma der Rechtgeleiteten das sich nur aus der kompletten Ignoranz gegenüber den politischen Entwicklungen und tatsächlichen Gegebenheiten noch destillieren ließe
sie erklären auch den offensiven Dschihad im gewalttätigsten Sinn als Pflicht jedes Einzelnen der Angriff auf die Ungläubigen ist auch in deren Heimatländern zu führen behauptete ich woraufhin Seymour so arg zu husten anfing dass man glauben musste er befinde sich dieses hartnäckigen Trümmerhustens wegen im Presbyterian und trüge nur deshalb dieses clowneske Büßerhemd was sehen sie nur in uns in diesen Häusern
(den Menschen als
Ganzes)
dass die Tat schon das Ziel ist das hatte mich am meisten getroffen dass es ihnen gleichgültig zu sein schien ob sie dem erklärten Endziel eben jenem islamischen Gottesstaat auf Erden tatsächlich einen Schritt näher kommen der Täter erreicht sofort und individuell das Paradies die Utopie er wird zum Märtyrer hat es geschafft es geht nur um möglichst zahlreiche Gewaltakte die den Feind verstören und im besten Falle ein chaotisches oder gar apokalyptisches Szenario erwirken in das dann Gott eingreifen wird wenn genügend Dschihad-Energie freigesetzt wurde die Tat der Mord das Gemetzel
das ist es schon meinte Seymour seltsam gelassen so funktioniert Terrorismus eben so definiert man ihn es ist eine geistige Heimat vermute ich
es ist etwas das diesen Leuten die Qual nimmt die mit dem eigenen Denken einhergehen könnte und alles die ganze Politik die ganze Welt alles Unglück und jede Vorstellung von Glück in einen eindeutigen Bezug zu ihrem Leben setzt ihnen den SINN eintreibt als explodiere fortwährend eine Bombe in ihrem Hirn
also (sagte Seymour) tötet man skrupellos 3000 New Yorker und jubelt noch darüber
so unendlich weit von uns entfernt dachte ich verkrampft an der rechten Seite des Ölmannes sitzend auf einem grau gepolsterten Besucherstuhl sein zwangsfrohes Patientenhemd dieses kindliche Muster war der Beweis dass sie uns hier die Verantwortung nahmen in ihrem Dschihad gegen das körperliche Böse Sabrina hatte sich einmal vorgestellt die Ölleute die bei Seymour zu Gast waren seien nicht von Arterien und Venen durchflossen sondern von metallischen Pipelines unterschiedlichster Stärke über
ÖL
mussten wir endlich einmal offen sprechen es war so absurd dass ich Seymour nie nach seinen Erfahrungen seinem Wissen seinen Meinungen zu einem Thema befragte mit dem er sich sein Leben lang beschäftigt hatte mit Sabrina hatte er genau und ausführlich darüber diskutiert sie hatten dasselbe Studienfach an derselben Universität belegt wenn auch im Abstand eines Vierteljahrhunderts bei Sabrina hatte es mir keine Ruhe gelassen weshalb sie der Sprache und ihrem größten Talent (die lyrische Begabung die ich mir bei ihr wünschte von der ich immer weniger sprach aus Furcht etwas über sie zu verhängen) entlaufen war
wohingegen mir für Seymour nie etwas Anderes als Öl in den Sinn gekommen wäre eben gerade weil er mit seiner Sportsman-Noblesse überhaupt nicht danach aussah sobald man es wusste stach es aber ins Auge wie Rohölflecken auf Segeltuchweiß diese Manager konnten gar nicht anders sein irgendwie bruchlos viskös glänzend und mit dem ganzen System (welchem? dem der industriellen Erdausbeutung) verschmolzen aber wie?
jetzt wollte ich es doch in Erfahrung bringen
herausfinden ob er trotz seines Wissens seiner Intelligenz und der wichtigen Positionen die er im Lauf seiner Karriere bekleidet hatte (1974 sein Einstand als on-site geologist bei einer abenteuerlichen Bohrklitsche in Oklahoma dann Mitinhaber einer technisch-geologischen Beraterfirma in Houston dann Spotmarktbroker mit zu wenig Erfolg und Wechsel zurück zum Fachgebiet bei Royal Dutch/Shell in die Nordsee dann zu Exxon/Kanada und so weiter bis zur verdienten Bilanz im Lebenslauf: various engineering and management positions with increasing
responsibility)
ob er also vielleicht doch nur in einer Art Patientenhemd im Haus des Öls auf dem Versorgungszimmer lag oder in der Erde herumbohrte also ohne sich Rechenschaft abzulegen wobei ich schon glaubte dass er das tat dass er nachdachte aber die Art und Weise interessierte mich jetzt genauer und so sehr dass ich meine Frage in die ungeheuerlich genaue Feststellung kleidete
Öl wäre ja schließlich überall und immer im Spiel
er nahm es denn auch wie einen Verlegenheits-Zug mit einem Bauern (C2 nach C3) und verwies darauf dass es
hier
jede Menge Öl gäbe er meinte wohl die Wärmequelle der Heizkörper des Krankenzimmers die Chemiefasern in unseren Kleidern die Farben des Mobiliars des Fernsehapparates der Vorhänge das Material der biegsamen Schläuche die in seinen Arm mündeten den Trägerstoff der hoch wirksamen Medikamente die durch die Kanüle direkt in sein schlagendes Herz strömten
überall fließen die
Tränen des Teufels (ein weiterer schöner Ausdruck vom Kaufmann Rockefeller erklärte er)
aber wie fragte ich zurück brächte man den Teufel zum Weinen
indem man seine Katze finge erwiderte Seymour (Amandas federleichte kratzbürstige Liebe die rosa Flecken auf ihrem Dekolletee das spürbare harte Brustbein zwischen den fliegenpilzroten Warzen) er betrachtete mich fast mit einer Art Mitleid (Springer von D4 nach E6) die US-Rechtsprechung habe Mitte des 19. Jahrhunderts als man hierzulande noch den Förderweltrekord hielt das verborgene Rohöl juristisch wie ein wildes Tier angesehen hinter dem die Jäger her seien und so hieße noch heute ein unerschlossenes Feld eine wildcat die schwarze Katze die verfolgt werde in 700 bis 4000 Metern Tiefe wo sie sich in tektonischen Fallen verheddere in Verwerfungen verkeile unter gigantischen Salzdomen zusammenkauere oder wie ein riesiger würfelförmiger See an den Schnittflächen von
Diskordanzen
eingeschlossen sei bis mit einem Schlag nach 50 Millionen Jahren Ruhe die Felsendecke durchstoßen würde von den ineinander rotierenden alles zermalmenden nockenbesetzten in 120-Grad-Segmenten angeordneten Stahlköpfen eines Rollenmeißels schon allein die
Bohrtechnologie
sagte Seymour ist eine Jahrhundertgeschichte der Krach der Bohrer begleite die Musik der Erde so habe man die Geologie einmal genannt und dann eben wäre die Geschichte des Erdöls ihr
Rock ’n’ Roll
woraufhin er mich unmusikalischen Lesemaulwurf etwas mitleidig betrachtete den die Erde nur anschwieg während ihm die Benzindämpfe rhythmisch den Kopf vernebelten aber
ohne das Öl
sagte ich trotzig ohne die Droge Nummer Eins in den Motoren Tanks Synthesekesseln der Industrieländer wären doch nie solche Ströme von Blut geflossen diese brennende und sengende Vermengung von totem prähistorischem in Jahrmillionen versaftetem Leben dieser grünschwarzen penetranten energetischen Kadaverbrühe mit dem sprudelnden Wein verletzlicher lebendiger menschlicher Körper das bliebe doch der eingeborene Fluch der auf den arabischen Ländern laste
du solltest öfter in den Nahen Osten fahren warst du überhaupt schon einmal da (nein es hatte mir auch nicht gefehlt und wie denn sollte ich jetzt fahren) wenigstens nach Ägypten in den Libanon und nach Israel erklärte Seymour du darfst nicht nur CNN sehen oder die New York Times lesen ich bin kein Historiker mein Freund aber ich würde sagen dass das Öl nur wie ein Verstärker wirkt also gewissermaßen neutral es ist wie der technische Fortschritt eine blanke Kraft Energie in Zerfallsformen gespeicherte pure Sonnenenergie ein Geschenk aus dem Weltraum versunken im Erdmantel es habe lange gedauert bis man begriffen habe worum es sich handelte Lomonossow der zum ersten Mal anhand einer Probe von Baku-Öl den organischen Ursprung vermutete dann Faraday der 1824 das Benzol entdeckte Schritt für Schritt habe man die komplizierte Aufarbeitung durch fraktionierte Destillation lernen müssen um Schmieröle Gasöle Leichtöle und Petrolether zu erhalten ein Zerbrechen der langen Ketten in die Jahrmillionen dahinglühender Erd-Zeit das Licht gelegt hatten in jene schwarze Teufelsbrühe und deshalb hießen die ersten Öltanker im Bewusstsein der Macht und des Lichts nach Göttern oder gottähnlichen Propheten
Zoroaster Buddha Spinoza
Spinoza scheint mir hier nicht so passend warf ich ein woraufhin Seymour mir von den vergleichsweise hohen ethischen Standards der Gebrüder Nobel berichtete die lange Zeit das russische Öl und die zaristische Waffenindustrie dominiert hatten das Öl jedenfalls habe auch die Infrastruktur vieler arabischer Länder finanziert und den ganzen Rüstungswahn ebenso und auf die Gefahr hin dass es banal klinge am Ende bliebe einfach nur die technische Ambivalenz und die politische Verfügung darüber
aber jetzt fragte ich hartnäckig greifen wir immer weiter das Haus des Islam an (sagen sie) weil wir den Rest des Öls auch noch wollen
wir haben Saddam Hussein im Rahmen einer UN-Resolution angegriffen nachdem er völkerrechtswidrig Kuwait attackiert und besetzt hatte erwiderte Seymour ruhig das hätten wir natürlich nicht getan wenn sie dort nur Datteln exportiert hätten (zitierte er NONAME das anonyme hohe Tier in der US-Administration) Öl ist schließlich wichtig zu wichtig um es den Arabern zu überlassen (zitierte er erneut dieses Mal den selbst mir bekannten Henry Kissinger) im Übrigen habe Amerika das kuwaitische Öl nicht nötig und selbst das saudi-arabische sei nur ein Faktor
aber wohl ein enormer hielt ich entgegen denn wie könne man sonst die beispiellose Ausfliege-Aktion erklären mit der kurz nach dem World-Trade-Center-Attentat mehr als hundert der in den USA lebenden Saudis die dem Herrscherhaus oder dem Bin-Laden-Clan angehörten mit FBI-Hilfe in ihre Heimat verfrachtet worden seien
er hob den Arm mit der von zwei schmalen Pflasterstreifen fixierten Kanüle in die Höhe geschenkt wollte er wohl sagen und ich wollte ja keine politische Diskussion mit ihm in dieser Lage führen zumal ich selbst nur mein Zeitungswissen meine Vermutungen und Vorurteile hätte aufbieten können und das Wenige das ich mir in Wut und Trauer hatte anlesen können auf der Suche nach
zureichenden (für was)
Antworten (für eine Wunde)
stehlen wir das Öl fragte ich im nächsten Moment doch wieder
Seymour schüttelte den Kopf (ich wusste nicht einmal ob er Demokrat oder Republikaner war) es sei nicht nur das Öl es ginge um viel mehr im Nahen Osten nämlich um den Urkonflikt dreier Weltreligionen und die Existenz des modernen Israel
aber das Öl ist das Wichtigste für uns
mit Jesus’ Schweiß kannst du nicht Auto fahren sagte er geduldig aber wir stehlen es nicht sondern
wir bestehen darauf es kaufen zu können?
niemand dort möchte es trinken versicherte er also müssen wir nur verhindern dass jemand verhindert es zu verkaufen
WIR sagte ich ohne rechten Nachdruck allerdings vielleicht weil ich weniger an das große martialische Kollektiv denken musste an den
TURM
in dem wir uns alle befanden ob wir wollten oder nicht der seine verheerenden oder schützenden jedenfalls machtvollen Züge über das Schlachtbrett der Erde zog
als an jenes Mittagessen in Boston mit Sabrina und Amanda diese peinliche und unbehagliche Stunde zu viert die Amanda herbeigeführt hatte um den Kreis ihres Lebens zu quadrieren oder um Sabrina den Rücken für das ihr bevorstehende erste Semester zu stärken ich erinnerte mich jetzt an Seymours Diskussion mit meiner Tochter und zitierte ihn daraus mit der Feststellung
Öl sei immer in der Erde vergraben
verdammt tief in der Erde korrigierte er mich und eben darum gehe es das Schwarze Gold könne man nicht einfach irgendwelchen Ureinwohnern mit Gewalt oder im Tausch gegen ein paar Glasperlen abnehmen es in Barren gießen und in Tresoren horten es gäbe den Upstream und den Downstream die Verladung Verschiffung Aufbereitung Veredelung weltweite Verteilung der Produkte an Millionen Verbraucher unter schwierigen Marktbedingungen und durchaus strengen Regierungsauflagen nur
die SIEBEN SCHWESTERN erklärte er mir (ohne Märchenton allerdings immer noch irritierend munter und errötet so dass ich mich schalt ihn aufzuregen und damit rechnete jeden Augenblick von einer hereinstürzenden wirklichen Schwester (we can see things) des Zimmers verwiesen zu werden) die sieben großen Ölkonzerne seien die Einzigen die das Geschäft beherrschten die schon über jahrzehntelange Erfahrungen verfügt hätten bevor im Nahen Osten nennenswerte Ölvorräte gefunden worden waren und die im Übrigen (er wehrte mit
Läufer auf C6
einen möglichen Einwand von mir ab) keinesfalls einfach nur tun könnten was sie wollten auch nicht in den USA gerade hier in New York City nicht er machte eine seltsame Geste erneut mit dem Arm mit dem er
on stream (Jubelruf der Ölmänner wenn sie die Wildkatze am Schwanz hatten)
war
so als erinnerte er mich und die ganze Stadt hinter dem Fenster daran dass eben in New York City im Jahre 1911 die vermeintliche Anakonda des Rockefeller-Konzerns ESSO in Stücke geschlagen worden sei von der kartellrechtlichen Machete des Obersten Gerichtshofes
wir sagte ich (WIR um mich nicht aus der Affäre zu ziehen) setzen unsere Öl-Interessen jedenfalls mit Gewalt durch gegen diejenigen die den Kauf zu verhindern versuchen indem sie uns oder andere angreifen also die Islamisten also Saddam Hussein wir haben mit ihm zusammengearbeitet und gleichzeitig mit den Mullahs im Iran und wir arbeiten mit Saudi-Arabien zusammen ohne Rücksicht auf die politischen Verhältnisse dort Hauptsache der Öl-Export stimmt
wir können die Verhältnisse nicht erzwingen sagte Seymour wir müssen mit dem arbeiten was wir vorfinden wir haben weder Israel gegründet noch haben wir diese Regime in den arabischen Ländern installiert
aber wir unterstützen beide Seiten wir bewaffnen sie bis zum Hals obwohl sie Todfeinde sind und stehen jetzt in den Trümmern
der Türme ergänzte Seymour sag es ruhig ich glaube nur nicht dass das hätte sein müssen
er war einer Bürgerinitiative beigetreten die es sich zum Ziel gesetzt hatte die Widerstände der Bush-Administration gegen eine Untersuchungskommission zu NINEELEVEN zu brechen er las mir einen Zeitungsartikel über die so genannten New Jersey Girls vor jene energischen jäh verwitweten Hausfrauen die Aufklärung über den Tod ihrer Männer in den Türmen verlangten und wiederum gerieten wir für einige Minuten angesichts solcher Reportagen und beim Aussprechen der zugehörigen Formulierungen in den glücklichen irren Zustand glauben zu können
das alles
ginge uns gar nichts an oder nur
buchstäblich
Seymour spürte meinen Widerstand dagegen den großen politischen Rahmen aus den Augen zu verlieren er betonte deswegen dass dieser Rahmen nichts anderes sei als die Summe aller kleinen konkreten direkten Ursachen und bei der ganzen Aufrechnung Herleitung Begründung historischen Kausalitätsrechnung die ich anzustreben scheine rate er mir doch auch ganz klar von den Bedingungen auszugehen die naheliegend und konkret seien womit wir beim Versagen der amerikanischen Geheimdienste einerseits wären und andererseits bei der ganz konkreten Vorgeschichte der Täter woher kamen also die Islamisten aus Ägypten aus Jordanien von der Westbank aus Saudi-Arabien und sie trafen sich
in Afghanistan
sagte ich erschöpft und vielleicht sogar elender dreinschauend als er in seinem von Oszillografen umlagerten Bett ich sah auf meine eigenen Hände als hätten sich glänzende schwarze Flecken darauf befinden müssen ich fühlte mich wie Goethe an der Tankstelle aber ich war nun alles andere (Mediokre) als Goethe und ER (als Staatsminister und ehemaliger Vorstand der Ilmenauer Bergwerkskommission) wäre gewiss fasziniert gewesen von den Bohrrekorden den Zapfsäulen den Raffinerien und jenen gewaltigen göttlichen oder philosophischen Tankern die mit hundert Millionen Litern Öl im Bauch durch die Weltmeere schnaubten die sie ab und an ausspuckten wenn ihnen übel wurde oder sie an einem Riff zerbrachen bestimmt hatte Sabrina mit Seymour über die Umweltkatastrophen gestritten Amanda (dachte ich plötzlich)
fehlte ihm auf eine doch schmerzhaftere aktuellere Art nicht einfach nur als Trägerin einer melancholischen und vernarbten Erinnerung
er tat mir auf eine schwer bestimmbare Weise leid allerdings öffnete sich nun wirklich die Tür zum Krankenzimmer und herein kam nicht die Krankenschwester um mich zu tadeln und hinauszuwerfen sondern
die Zwillinge erschienen Charles und Emma Seymours Kinder aus der Ehe mit seiner verstorbenen ersten Frau elegant gekleidete besorgte wohlerzogene Sechsundzwanzigjährige
right place right time
Schach
oder auch nicht
wir hatten und haben nichts (mehr) gegeneinander auszuspielen als ich das Zimmer verließ nahm ich im Fahrstuhl die falsche Richtung und fuhr bis zum Dach mit einem Krankenpfleger der eine Zigarette rauchen wollte und mich mitnahm nachdem er mich wohl meines Gesichtsausdrucks wegen gefragt hatte ob ich
jemanden verloren habe (guter Verlierer
erneut) und ich dies bestätigte
er fragte dann nicht weiter rauchte nur an meiner Seite durch die gelben Metallstäbe die dort oben den Blick auf den Hudson wie das Gitter eines Affenkäfigs zerteilten bis man das erhitzte Gesicht zwischen zwei davon drängte ich spürte das von professioneller Müdigkeit halbierte stumme und von mir halb zu Recht erschlichene Mitleid des Krankenpflegers und vergaß es beim Blick auf den
märzgrauen Fluss
man sah weit über die Hausdächer und die große Brücke nach Jersey hinüber und auch nach Nordosten hin über den zunächst noch steinern verpanzerten Riesenhummer Long Island Ausblicke durch den Schmerz wie durch eine vollkommen durchsichtige aber meterdicke Trennwand erinnerte ich mich an ähnliche und noch weiter reichende Ausblicke (mit der schwangeren Amanda vom World Trade Center aus November 1981 die Türme waren erst fünf Jahre alt kein Gedanke daran dass einer von uns einmal in einem solchen Ungetüm arbeiten würde sterben würde diese fast puppenhaft schöne Studentin in einem hellroten Siebziger-Jahre-Parka mit Pelzrand um die Kapuze ihr sanft und oval vorgewölbter Bauch hinter meterdickem
Glas)
die Blicke mit der elfjährigen Sabrina vom Empire-State-Building aus wo kletterte King Kong empor ich bin der
Vater-Affe
hinter gelben Gitterstäben
unter mir hundert offene Herzen in den Operationssälen ich will
die Kriegs-Bananen von George W. Bush nicht fressen
solche Ausblicke auf die kompakte riesige Häusermasse von Manhattan hatten mich immer erschreckt und zugleich begeistert sie sagten mir dass ich hier nichts zu suchen (nichts zu verlieren) hatte und nichts zu tun dass es hier kein Mitleid für mich gab (der schmächtige graugesichtige Krankenpfleger hatte seine Zigarette aufgeraucht und wartete auf mich)
und andererseits doch immer auch das Frische Grandiose und Mitreißende den
verheißungsvollen
Aufbruch Amerikas neue Luft neue Himmel am mächtigen hellblauen Atlantik der Generationen- und Millionengesang von
Walt Whitman, a kosmos, of Manhattan the son
Blick zum fischförmigen Paumanok auf dem er geboren wurde ein einziges Mal traf ich mich mit Sabrina auf Long Island (fuhr aber nicht bis zur Hummerschere nach East Hampton wo mich der Anblick der großartigen Sommerresidenz von Seymour und Amanda vielleicht doch entzweigeschnitten hätte)
Sabrina (sechzehn- oder siebzehnjährig) mochte das schlichte aber gut durchdachte Holzhaus sehr das Whitmans Vater eigenhändig erbaut hatte sie wollte gerne darin wohnen in dem kleinen Vorbau mit der weißen Tür und den beiden frisch lackierten Fenstern
wir (WIR)
könnten dann das Hauptgebäude beziehen
und sie überging sogleich diesen Fehler mit einem Lächeln und einem kurzen Winken vor ihren Augen als wäre ein Blatt dicht vor ihr herabgefallen oder als hätte sich ein Spinnwebfaden in ihr Haar verirrt
immer wieder besuchte ich mit ihr die Häuser von Dichtern und weiß heute nicht mehr weshalb es geht doch nicht um die Häuser es geht um das Land um die Menschen
One’s Self I sing, a simple separate person
Yet utter the word Democratic, the word En-Masse
nicht mehr nicht weniger als alle Bewohner des Landes sein
weshalb nur des einen (weil es neu ist)
der Krankenpfleger berührte mich an der Schulter Krankenpfleger auf den Schlachtfeldern in den Lazaretten bei den planierten Ruinen der Türme ich hätte auch etwas anderes lernen können als Besichtiger von Häusern von Dichtern der großartige Whitman hatte es gekonnt aber hätte ich es ertragen
drei Mal habe ich Seymour in der Klinik besucht (öfter als seine Kinder) und keiner von uns wunderte sich darüber
Bezüglich des Mittagsschlafes wurde ich schon länger nicht mehr konsultiert ich erinnere mich aber noch an das ein oder andere Regimen sanitatis von Galen oder Maimonides dem zufolge man mäßig im Essen sein und sich nach dem Mahle erheben solle statt zu ruhen wobei man tunlichst weder den Harn verhalte noch die Hinterbacken zusammenkneife und auch Ibn Sina warnte vor Podagra Schnupfen und Hauptweh die mit dem Schlafen am Tage einhergingen wenn es denn sein müsse so beschränke man sich auf eine halbe Stunde die man mit aufgetanem Gürtel und ohne Schuhe jedoch mit bedeckten Füßen an einem möglichst finsteren Ort verbringe üblicherweise bin ich seiner Meinung aber
das Gastmahl mit den Macht- und Maler-Philosophen hat mich so mitgenommen dass ich den gestrigen Tag mit vollkommen leerem und wie gespaltenem Schädel verbrachte trotz der mir zur Verfügung stehenden Wundermittel (zwei Liter Wasser und drei Aspirin) kam ich erst am Abend richtig zu mir und zu (überaus erstaunlichen) Kräften in der gestrigen Nacht als Farida sich plötzlich über mich hermachte oder vielmehr mich
zu sich nahm
wie einen alten Teddybären aber ich führte mich ganz schön auf und schlief deshalb wohl schon wieder ganz unruhig so dass mir die vier notwendigen Wochenend-Hausbesuche sehr schwerfielen und ich dann also am Nachmittag ganz gegen meine Gewohnheit und höhere Einsicht erschöpft auf mein Bett fiel
es ist ein seltsam konturloser Halbschlaf ich bin weniger versunken als erhoben es scheint mir als befinde ich mich seit Stunden in einem prekären Schwebezustand als könnte ich jeden Augenblick hinabstürzen und als sei ich doch zu müde um auch nur das Geringste an meiner Lage zu ändern ein eigentümliches stumpfes und graues Nichts umgibt mich es ist aber nicht wirklich unangenehm ja sogar befreiend es ist einfach ein Ausbleiben von (lästiger) Gestaltung ich schwebe wie in einer grauen nicht weiter möblierten Wolke und das Aufwachen mein Freund ist in einem solchen Fall eine ganz großartige Sache denn durch Watteschichten von nicht weiter bestimmtem namenlosen Zeug dringt man zu einem gleichfalls sehr diffusen Ich vor so als könnte man völlig überraschend bei sich selbst einkehren oder auch bei dem Rest der Welt aus der Perspektive des
Fliegenden Menschen
den wiederum Meister Ibn Sina (euer Avicenna) erfand um uns Normalgeistigen eine Vorstellung davon zu geben wie wenig das Bewusstsein benötigt um zu entstehen wir sollten nur einmal auf Arme Beine Ohren Nase Augen Mund verzichten und uns für einen Moment in der freien Luft aufgehängt denken (ohne Strick und Faden versteht sich)
dort spürten wir uns nähmen uns wahr dächten uns uns
aber mit was?
eben der Seele glaubte Ibn Sina bewiesen zu haben
bei der Rückkehr zu sich fühlt man sich als dies und jenes und ich begrüße mich mit einer erstaunlichen fliegenden Erektion die sich wohl einer Erinnerung an ein noch erstaunlicheres Geschehen mit einer nach Jasminblüten und Moschus duftenden zärtlichen Madame verdankt also haben wir schon Zeit Gedächtnis und Frau was will man mehr ich glaube mit ihr bin ich seit Jahrtausenden verheiratet und wir besitzen Heerscharen von Nachkommen aber wo nur wo
da fallen mir die gläsernen Pyramiden ein
und ich sehe brennende Mullahs darüber hinwegschreiten
Madschid du verrückter Hund hat dir Ali nicht prophezeit dass dich die Schiiten hängen werden sobald die Amerikaner sie an die Macht gebracht haben wo war ich
fliegen geblieben
ach die Mullahs und Muslime aber was kann ich dir mein Freund über die Gläubigen sagen ich war vor vierzig Jahren das letzte Mal in einer Moschee schließlich bin ich Pariser nein
ARABER
ein Araber in Paris mein Freund da habe ich sie dargestellt
die exotische Furchtgestalt
vor kaum noch fassbaren fünfundzwanzig und dreißig Jahren wiederum hängend und halb im Schlaf um fünf Uhr morgens an Halteschlaufen die von der Decke baumelten auf dem Weg zur Frühschicht in der Salpêtrière im Nachtbus schon hinwegdämmernd nach vierundzwanzig Stunden Dienst ausgelaugt aber frisch geduscht und zu gut angezogen um als Teppichknüpfer oder Drogendealer Eindruck zu schinden die Kamele traben durchs leere Viertel hinter meinen Augenlidern Hirtenhunde kläffen neben der ausgeglühten Feuerstelle ich stolpere hinaus aus dem virtuellen Zelt über kalte Hammelknochen in die wunderbare Einöde aus silbrigem Sand und meerblauem Himmel zwischen übellaunig raschelnden Skorpionen und störrischen Schafsböcken hindurch (Votre billet si vous plaît!) und plötzlich dröhnt SEINE STIMME herab
und überschüttet mich mit der
nicht enden wollenden keinen Widerspruch duldenden unerschöpflichen unnachgiebigen eifersüchtigen drohenden dröhnenden zornigen rechthaberischen lockenden verfluchenden listigen herrischen endgültigen imperialen ewigen
REDE
die ganze Nacht hindurch (ich halte mich weiter an zwei Plastikschlaufen fest)
und noch eine Nacht
und weitere 999 Nächte das unerbittliche Rufen der großen Stimme das Universum ist Text der Kosmos Worte mein Hirn mein Blut nur noch flüssige Schrift in meiner Sprache die SEINE Sprache ist (ich begrüße einen unglaublich frischen unglaublich schüchternen unglaublich vierundzwanzigjährigen Ali der an der Haltestelle der Kinderklinik zusteigt und man dreht sich halb ärgerlich halb verschlafen zu uns die in der Kehle von Gottes Konsonanten Gewürgten
sabahu l-hayr kayfa l-hal ana tayyib al-hamdu li-llah
meiner dämmernden morgenblauen Innen-Atmosphäre erscheint
der schwarze Stein der Stanley-Kubrick-Obelisk
umritten von schwarzen Berbern
hier wohnte Abraham hier wohnte Mohammed wenn du
die Wurzel suchst stehst du immer noch in einer alten Wüstenstadt in der Hitze der Trockenheit der salzigen harten Luft der grellen Sonne zwischen den Kamelherden vor den reichen abweisenden Stadthäusern auf dem Suk zwischen den Kaufleuten Händlern Predigern Sklaven noch 1400 Jahre später (in denen wir weiterhin die REDE zitieren wie sie aus dem Himmel herabklang und aufgeschrieben wurde mit aller Genauigkeit und ungeheuerlichem Respekt auch für die Worte die erst in anderen Welten und anderen ungeheuerlichen Zeiten verständlich sein werden) treffen sich hier Zehntausende von Pilger-Pelikanen die sich um den Stein lagern auftürmen in riesigen Fächern den Kurven und Tribünen eines enormen Stadions vergleichbar ihre von Lautsprechertürmen ferngesteuerten sich rhythmisch im Flutlicht im Anbranden der REDE beugenden Körper herbeigekarrt in überfüllten Bussen aus dem Himmel gekippt von der perfekt gemanagten Haddsch-Flottilie der Saudi-Airlines
von hier aus breitete es sich aus
das Feuer der jüngsten Religion der Welt mit Krieg und Blut und Eifer (nichts Neues unter der Sonne) alles ist (schon damals) von Streit und Kampf und Macht gezeichnet der Feuerball der schier augenblicklich Staat und Macht und Organisation wurde die Religion die aufbrach um wie Alexander die alten Reiche hinwegzufegen oder wie das Christentum das Imperium Romanum zu zerbrechen sich auszudehnen im Dschihad über den gesamten fruchtbaren Halbmond bis nach Babylon und Basra über das persische Hochland das westliche Ägypten Tunesien und selbst Spanien hin
als neue IDEE eindeutig aber tolerant
klar und deutlich
kannst du dir die Frage stellen was
DU (persönlich) damit anfängst
bist du Franzose weil eine deiner Jungfrauen die Engländer schlug weil du die Guillotine erfunden hast weil du Europa überranntest mit der Blutwalze liberté-egalité-fraternité weil du in Ägypten gelandet bist um die Steine der Pyramiden zu zählen weil dir Jean-Paul Sartre erklärte (ich sah ihn Flugblätter verteilen auf den Champs-Élysées ein kleiner dicker alter Mann vor der gläsernen Sphinx seiner Werke) dass du frei sein musst bis das Leben dich aus sich herauswirft (wohin))
und endlich Cordoba Kairo Damaskus und
mein Bagdad
die neue Stadt die runde Stadt von al-Mansur und Harun ar-Raschid das Kalifat und der Palast hier mein Freund hätten wir Störche sein sollen Nietzsche und Heidegger mit dem Frosch Hitler im Schnabel schließlich bist du ein echter Deutscher mein Freund mit echten deutschen vielmals aus dem Französischen kommenden Märchen hoch über den Kuppeln spien sie den Frosch aus damit ihn einige unserer Offiziere finden konnten und schon durften sie zum Reichsparteitag nach Nürnberg fahren
stell dir diese Störche vor und mehr als tausend Jahre ohne Erlösungswort (Ali kennt es er behauptet es hieße AMERIKA in der Sprache Kafkas)
halten wir uns fest an der Zeit der ersten Paläste als man in Bagdad noch unvergleichlich ruhig schlief selbst die Juden die hier ihren großen Talmud schrieben und ihre wichtigsten Akademien hatten
als Rom schon längst erloschen war und Europa noch lange nicht leuchtete (unser Lieblingsrestaurant Farida hinter der Place de la Bastille)
ergehen wir uns noch einmal
im Palast mit seinen Wasserbecken Lusthäusern verzweigten Gärten Kuppeln Springbrunnen stillen Gemächern prachtvollen Hallen verborgenen Schatzkammern weißen Elefanten und Haremsdamen nubischen Sklaven türkischen Wächtern springenden Eunuchen (wählt das richtige Leben den Körper in den ihr hineingeworfen werdet) silbernen und goldenen Vögeln auf einem im Wind sich drehenden und klingenden Wunderbaum
Dichter Ärzte Schriftgelehrte
als die syrischen Christen die Werke der Griechen ins Arabische übertrugen die indischen Mathematiker uns ihre Zahlen liehen und wir den Persern die Tanzformen unserer Gedichte schworen meine Kollegen den hippokratischen Eid in seinem vollen antiken Wortlaut
wenn jeder
der Sultan ist in seinem Palast (Robotersklaven Papp-Elefanten elektromechanische Panther unermüdliche Haremsdamen made in Hongkong)
will ich auf immer in Bagdad bleiben und so träume ich davon
mit den Rufen der goldenen Vögel zu erwachen mit dem Plätschern der Springbrunnen der Kühlung durch sacht gewedelte Straußenfedern früh am Morgen
als Araber
aber ich muss wohl noch etwas anderes sein und es ist später Nachmittag und schon kommt der Abend und ich erwache ein zweites Mal aber
immerhin in Bagdad im ganz und gar wirklichen Irak
am Fluss ich erwache an der Seite meiner langsam und ruhig gehenden Frau mit der ich mich unterhielt ohne es recht zu bemerken bis sie diesen
schockierenden Satz
aussprach an den ich jetzt verzweifelt mich zu erinnern versuche obwohl sie mich damit aus allen Träumen Tagträumen Sorgen riss von denen sie nun wieder spricht als wäre nichts geschehen ich habe mich wohl verhört sie wirkt so freundlich und gelassen wie zuvor es geht auch wie stets um Sami der sich in den neu eröffneten Internetcafés herumtreibt und bei den Spielchen die sie dort mit den wirklichen und virtuellen Aufpassern machen womöglich nicht genügend Vorsicht walten lässt um Jasmin die uns grollt weil wir nicht zum vierzigsten Geburtstag ihres Ehemannes gekommen sind worüber wir uns allerdings klar verständigt hatten denn wenn wir schon ohnmächtig zusehen müssen wie unsere Tochter sich mit Wissenschaftlern umgibt die zu wichtige Positionen einnehmen um nicht in der Partei zu sein und mit jenen Militärs die wir auf der Hochzeit im Stammhaus unserer Familie ertragen mussten so können wir doch wenigstens
Abstand nehmen
solange uns wenigstens noch der blanke Raum bleibt um eine Art geometrischer Aussage zu machen
wenn wir Muna nach London schicken gibt es keine Garantie dass sie sich nicht ähnlich (patriotisch) entwickelt wie Jasmin in Paris aber
es sind andere Zeiten
versichere ich Farida die sich im Augenblick ebenfalls nicht an den gerade von ihr ausgesprochenen schockierenden Satz zu erinnern scheint ich wollte nur ich hätte verstanden was sie vor diesem Satz gesagt hatte es muss es sollte doch wohl ein irrealer Bedingungssatz (wenn im Irak ein jeder ruhig und sicher und satt einschlafen kann) gewesen sein
wir gehen zum Tigris-Ufer durch die Straßen und Gassen die wir seit fünfzig Jahren kennen
trauriger morscher verfallener als jetzt waren sie nie fassen wir es als Höflichkeit vor unseren eigenen alternden Körpern auf die dagegen doch noch mehr Vitalität und Erneuerungskraft bewahrt haben wir sind doch auch energisch geblieben wie diese Frau mit den alten Plastikkanistern in den Händen die uns entgegenkommt mit weit geöffneter Abaya unter der man einen schönen veilchenblauen langen Rock und eine leuchtende rosa Bluse sieht wir
leben einfach weiter
und gehen weiter
am Fluss
trinken wir einen Tee im Stehen vor einem winzigen Café mit abgestoßenen gekachelten Wänden die mit alten James-Dean-Plakaten vollgehängt sind so vieles ist wie eine im Glasrahmen verwelkte brüchig gewordene vergilbte Kopie der Vergangenheit wir können es uns gar nicht leisten jedes Mal an unseren historischen Spaziergang von 1967 zu denken
als du mich nach Paris schicktest
und die Fischrestaurants noch alle geöffnet hatten und Frank Sinatra sang in jenen Radio-Tagen die mir trotz des verlorenen Krieges so unerträglich schön vorkommen dass ich verstehen muss weshalb
es ist nur dieser Ozean an Zukunft
und die wahnsinnige Gewissheit ihn durchfahren zu können bis ans andere verheißungsvolle Ufer oder gar diese vor Glück aus den logischen Nähten platzende Illusion von dort schon einmal probehalber in die Gegenwart zurückgekehrt zu sein
Farida mit neunzehn die meine Schulter drückt um mir die Kraft zu geben nach Paris vorauszufahren Qué será: sinnvolle Berufe fröhliche Kinder intellektueller Austausch eine schöne Wohnung Urlaubsreisen ins Ausland Bücher Freunde Diskussionen Theater- und Konzertbesuche
wie konnten wir nur
gar nicht so arg betrübt sein in diesen aufgepeitschten blutigen Zeiten die wir stattdessen durchleben mussten
Farida mit vierundfünfzig
sieht über die von der untergehenden Sonne in seltsam unwirkliche Farben getauchte Szenerie der Fluss mit Beimengungen von Veilchenblau und Gold mit intarsierten schwarzen Palmen der Himmel violett und orange die hohen Betonmauern Wachtürme Kuppeln wuchtigen Fassaden Stacheldrahtbordüren des Präsidentenpalastes auf der Karkh-Seite romantisch schimmernd
wir müssen nicht unbedingt hierbleiben
sage ich
hauptsächlich um etwas gegen die Nachwirkung des fürchterlichen Satzes zu tun den sie vielleicht doch gar nicht ausgesprochen hat ich stelle wenigstens einmal im Monat in unseren nächtlichen Bettgesprächen die Flucht zur Diskussion denn immerhin bin ich anders als so viele Lehrer oder Professoren nie arbeitslos gewesen und konnte durch unser sparsames Leben im alten Haus meines Großvaters so viel zur Seite legen dass wir unter Umständen eine Schlepperbande im Norden oder Süden bezahlen könnten
nur hier (sagt Farida) können wir geheilt werden
nur
wenn dieses Zeug da drüben (Blick auf den märchenhaft von der Sonne übertuschten und von eiskalten Scheinwerfern gespickten Palastkomplex) vor unseren Augen in die Luft fliegt und wenn wir es überleben und wir werden es überleben
ihr auf Schulterlänge geschnittenes schwarzes Haar glänzt noch fast so wie mit neunzehn und für mich kann ihr kräftig und rund gewordenes Gesicht das zugleich mütterlich und resolut wirkt mit Momenten von kleinmädchenhafter feuriger Energie und Weichheit immer wieder durchsichtig werden wie ein Schleier durch den ich die Zwanzig- und die Dreißigjährige sehe
alte Männer sitzen am Fluss und rauchen ein jüngerer rasiert sich stolz vor dem rechten und einzigen Seitenspiegel seines verbeulten weißen Toyota-Jeeps zwei Jungen versuchen sich Rollschuhe unter die Füße zu schnallen die von der Machart her noch aus meiner eigenen Kindheit stammen könnten
als ich sagte
dass ich nicht weiß ob ich bei dir bleiben soll –
(dieses Mal kann ich mir nicht vorwerfen die bewusste Aufnahme des schrecklichen Satzes versäumt zu haben)
dachte ich es fiele uns wahrscheinlich leichter das zu ertragen was kommt wenn wir nicht zusammen wären fügt sie mit (glücklicherweise) besorgtem Blick hinzu weil ihr nicht mehr entgehen konnte dass sie mich bis ins Mark getroffen hat sie sieht mir an wie mir gerade einfiel dass im Grunde immer sie unser Leben bestimmt hat
angefangen bei dem ersten Satz den sie auf dem Büchermarkt an mich richtete bis zur Geburt von Muna und Sami und bis auf den heutigen Tag
wir haben Kinder du erinnerst dich
sie sind erwachsen Tarik es ist ja auch nur eine Frage die ich mir stelle denn das was kommt wird so ernst werden wie eine Operation auf Leben und Tod du kennst das doch es kann besser sein zu –
amputieren? meinst du?
wir gehen noch weit an diesem frühen Abend immer nach Süden so nah am Tigris wie möglich ich kann gar nicht aufhören zu gehen und fasse öfter nach Faridas festem runden Oberarm ich brauche diesen Halt um mir den Gedanken aus dem Kopf zu schlagen dass sie gestern Nacht so plötzlich mit mir schlafen wollte weil sie über
Amputation
nachdachte
wir könnten mal wieder ein Picknick machen schlage ich vor aus purem Trotz oder nur weil zu unserer Rechten jetzt die in der Dämmerung bronzefarbenen Konturen des Tigris-Inselchen auftauchen das wir die Insel der Gefräßigen nennen (Gefräßige mit starken Nerven denen es nichts ausmacht wenn die Republikanische Garde vorbeischaut um darauf zu achten dass sie ihre Grillroste nicht auf den Palast richten oder gar — wie früher öfter geschehen — der LEIBHAFTIGE selbst mit einem Motorboot herantuckert um ein Kistchen Whiskey zu spendieren)
Babylon war sehr befreiend unser Ausflug sagt Farida das hat mir wirklich gutgetan
ich habe sie aus den Augen verloren
das ist die einfache und bittere Wahrheit der letzten Jahre in denen ich sehr froh war mein Arbeitspensum zu überleben die Kinder aufwachsen zu sehen und einmal in der Woche mit meinen immer weniger werdenden Freunden auf unsere Verluste zu trinken sie hatte nach zwei Jahren als Französischlehrerin an einer christlichen Schule nur noch zuhause als Übersetzerin gearbeitet bis es fast keine Aufträge mehr gab zumindest keine interessanten mehr wir leben in einem blitzsauberen wohlduftenden geordneten liebevoll eingerichteten und dekorierten Haus von
ihrer Hand
und denken nicht darüber nach wer es in diesem Zustand erhält
seit Sami und Muna sie kaum mehr benötigen hat sie vieles einfach nur für sich und für unsere Freunde übersetzt Blanchot erzählt sie jetzt wo ich sie endlich danach frage das sei ein Autor des
Desasters
der davon ausgehe dass wir uns schon immer im großen Unglück befänden obgleich uns das Desaster auch niemals wirklich zu erreichen scheine — ach was
mit dir
bin ich glücklich gewesen
in einem unglücklichen Land
Rarität
Ach, Gelegenheit und Liebe
verloren sich für manches Paar.
Bei uns die Nacht wurd’ nur zum Diebe
an dem Tag, der unser war.
Jede Zeit bliebst Du gefunden,
Herz vorm Auge, klage nicht.
Was andre kaum dem Tod entwunden,
streift’ ich als Tau vom Morgenlicht.
Lacht nur über mich, den Narren,
der nur die eine Frau gewann.
D e r Liebe braucht ihr nicht zu harren,
die der klügste Gott ersann.
Sonntag 8.9.2002 früher Morgen in der fast stillen Amsterdam Avenue
ich schreibe in mein Wühl-Buch oder Wut-Buch (Lebt man denn, wenn andre leben?) Stammelsätze eines
Bescheid-wissen-Wollens
von Verstehen-Wollen kann keine Rede sein ich suche nur (eben nur) solche Antworten die (auch) mir genügen meiner wütenden fassungslosen oft aber nur noch erschöpft vorantaumelnden Suche die nicht ablassen kann Seymour sagte mir dass man sie
MOLCHE
oder SCHWEINE (pigs)
nennt
jene automatischen Untersuchungs- und Reinigungssysteme die man in Öl-Pipelines einsetzt damit sie in langsamer zäher Fahrt unter Luftabschluss gewissenhaft den Zustand der Rohrsysteme prüfen Millimeter für Millimeter in den vereisten Steppenlandschaften der sibirischen Tundra ich reise (ausgestopft mit blinkendem High-Tech umfangen von Dunkelheit stets am Rand des Erstickens) in meiner Tunnelröhre nach
Afghanistan
heute Nacht wieder und jetzt vor den aufgeschlagenen Büchern vielleicht nur weil ich mit Seymour am Telefon darüber gesprochen hatte vielleicht nein bestimmt auch weil mich unser Plan heute (am Sonntag) Vormittag gemeinsam zu joggen mit Panik erfüllt ich erinnere mich gut an den März 2001 als die Taliban die Buddha-Statuen von Bamiyan zerstörten (mein Fernsehblick und nicht die auf die Knochen und ins Herz gehende Sicht von einer eisverkrusteten Ebene aus hinauf zu der gewaltigen Felssperre im Hindukusch vor der die 35 und 50 Meter hohen Statuen in ihren Nischen nur wie träumende steinerne Weltsoldaten in kleinen Wachhäuschen wirkten) ich sah die Barbarei und verstand den Hass nicht und
ebenso wenig konnte ich mir ein halbes Jahr später erklären weshalb die Presse und die US-Regierung so schnell Osama bin Laden in seinem afghanischen Terroristen-Camp als Drahtzieher hatten ausmachen können (der alte Bekannte der er für sie tatsächlich auch war)
all die plötzlich klar erkenntlichen so schockierend breit und deutlich aufgezeigten Verbindungen nach Afghanistan
als hätten wir LAIEN jahrelang die Pfeiler von Autobahnbrücken in unseren Gärten übersehen
mühsam fasste ich wieder erste klare Gedanken (knapp vier Wochen nach dem Attentat) schon fielen amerikanische Bomben auf den Tora-Bora-Höhlenkomplex in Nangahar (Enduring
freedom)
und Ende November tagte die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn und ich dachte weshalb in Deutschland um dann etwas über die Expedition von Niedermayer und von Hentig zu erfahren die im Jahre 1915 den Emir Habibullah überzeugen sollte gegen Russland und Britisch-Indien in den Krieg zu ziehen (vergeblich) 1924 war die deutsche Nejat-Oberrealschule in Kabul gegründet worden die sich zu einer Kaderschule der afghanischen Elite entwickelte 1937 kam es zur Einrichtung einer direkten Lufthansa-Flugverbindung Berlin-Kabul man baute Dämme Brücken Siemens-Hydroenergie-Anlagen herzliche Verbindungen der wahren Arier mit den noch wahreren (Ur-) Ariern die zunächst wohl gar nichts von ihrem rassischen Glück wussten
als ich in Berlin an meiner Doktorarbeit zu schreiben begann besuchte ich hin und wieder ehemalige Kommilitonen ein Pärchen das es dank einer Erbschaft zu einem Reihenhaus in Lankwitz gebracht hatte und zu der reichlich genutzten Möglichkeit ohne Geldsorgen weite Reisen auf Globetrotter-Niveau zu unternehmen ich betrachtete verständnislos einen roten fusseligen Wandteppich einen Kopfschmuck aus Goldmünzen verbeulte Teekessel und versilberte Wasserpfeifen Mitbringsel einer zweimonatigen Reise durch Afghanistan und sie verstanden genauso wenig
weshalb ich bald in die USA gehen wollte auch wenn der Vietnamkrieg jetzt beendet war erst als sie einige Studenten des Berlin-Programms der Stanford-University kennenlernten glaubten sie zu begreifen
cherchez la femme es ist wegen dieser blonden Amanda sagte mir die afghanische Beate in ihrem Lankwitzer Heim fröhlich ins Gesicht zwei drei Mal hatten wir auf ihrer ehemaligen Studentenwohnheim-Pritsche mehr schlecht als recht miteinander geschlafen (immer wieder hinaus- und hinabrutschend) und mochten uns trotzdem noch ich war dieser mutigen robusten rotlockigen Weltenbummlerin aus purer Angst davongelaufen den Kopf zu verlieren (Teile meines Großhirnareals glaubte ich schützen zu müssen für wen für was) ich wollte tatsächlich Amandas wegen wieder in die USA wie mir dann klar wurde gerade weil ich ja gar nicht mit ihr zusammen war sondern es nur ab und zu (minutenweise) auf Partys oder in den schummrigen alten Kinosälen in Kreuzberg oder im Wedding für möglich hielt dass die unwirklich hübsche Kalifornierin ein Interesse für mich hegen könnte
Amanda küsste mich zum ersten Mal in dem Lankwitzer Haus im Halbdunkel unter dem afghanischen Wandteppich
so spielerische ornamentale Verknüpfungen
Arabesken die zu Schlingen werden zu Strängen ich kann es nicht akzeptieren ich will diese irrsinnigen unnötigen Zynismen des Schicksals nicht wahrhaben
der Dichter über den Sabrina den alten Hafis kennenlernte (jenes mir entwendete Buch)
verliert seine dreijährige Tochter und seinen fünfjährigen Sohn in der Wende des Jahres 1833
ich höre Mahlers Vertonung die
Kindertotenlieder
Rückert schrieb mehr als vierhundert Gedichte nach dem Tod von Ernst und Luise ich habe nur Sabrinas Karton mit den beiden auf den Deckel geklebten Postkarten (jener Wein trinkende Greis in der Wüste und die ägyptische Sängerin) und die Idee die Vermutung vielmehr dass Gedichte sie trösteten
komme
um fünf Uhr morgens
der Welt abhanden in dieser achtlos gekauften Joggingkluft die ich im Dunkeln angezogen habe um darin vor meinem Fenster in der Amsterdam Avenue zu sitzen wie ein Clown (wollte ich mich lächerlich machen?) ich hätte
damals
nicht Amanda begehren lieben ihr in die USA folgen sollen (es ist keine Reise dachte ich damals es ist eine Ankunft)
sondern jener Lankwitzer Globetrotterin Beate nach Afghanistan willenlos oder wenigstens bereitwillig in einer dunklen Spirale des Vorausahnens Mahler komponierte das Lied das ich wieder und wieder höre sechs Jahre vor dem Tod seiner Tochter
Du musst nicht die Nacht in dir verschränken,
Musst sie ins ew’ge Licht versenken.
man hört es: ein noch fernes Licht dessen Sog einen schon erfasst hat ein Licht das
alles zu verschlingen droht
was macht es zurückzusinken (früher: meine Kopfmenschen-Furcht vorm Reisen die Unfähigkeit ins Licht hinabzutauchen) nach
Afghanistan
ich reiste diese Nacht und kaum hatte ich die Augen geschlossen verwandelte sich die Globetrotterin in Amanda verwandelte sich Amanda in
unsere Tochter
wir sind so oft gemeinsam unterwegs gewesen dass es mir natürlich erscheint mit Sabrina durch das Afghanistan der siebziger Jahre zu fahren
unmöglich
widersinnig sich einen Teufel um alles (um all die armen Teufel dort) scherend oft denke ich
ich habe ihr die
ERDE
aufgebürdet
weil sie dieses schwierige und (meines Erachtens) trockene Studium am MIT anfing wie von Amanda und mir in diese toten Räume gezwungen
Afghanistan scheint mir nichts anderes vorzustellen als eine immer nur kurzzeitig nachlassende grimmige Herrschaft des Raumes über den Menschen wir hätten dahin reisen können Sabrina wir können reisen der Raum der Touristen
ist ohnehin fast nur
Vergangenheit
ich höre die Totenlieder (Erstickungsängste nachts) aber ich
atme weiter ich fahre mit meiner toten Tochter ich schüttle den Kopf über ihr streng nach hinten gekämmtes und zu einem Zopf gebundenes Haar (es sei zu dünn um es offen zu tragen sagt sie) über den sperrigen blauen Rucksack dessen Gurte in ihre Schultern schneiden
wir hätten ein Auto genommen einen Skoda oder einen alten japanischen Jeep aus Pakistan wir hätten Kamele nehmen sollen oder Pferde ich lese über die Pferde der Buskaschi-Reiter die schaumspritzenden Mäuler und Nüstern die bis aufs Blut gepeitschten Leiber fahlbraunes schweißglänzendes schwarzes granitgraues rußfarbenes Fell über den bebenden Muskeln die verzerrten staubverkrusteten wettergegerbten tausendjährigen Gesichter der turkmenischen Reiter unter Pelzkappen und roten Piratenkopftüchern zwischen gefletschten Zähnen die kurze gebogene Gerte
sie köpfen ein Ziege und wer sie am weitesten (um einen Pfahl weit draußen in der Steppe herum) schleppt hat gewonnen die Buskaschi-Pferde jedenfalls sollen der Meinung der Chinesen zufolge göttlichen Ursprungs sein aber was glauben die Chinesen eigentlich nicht
die Steppe bleibt
mit ihren Ruinen als wäre sie nie etwas Neues gewesen keine
Verheißung von Zukunft von Vergangenheit wir besuchen Herat im Nordwesten wir umkreisen das ganze Land grüne Täler umschließen Herat die vom Sturm und Regen wie eine riesige Sandburg dreiundzwanzig Jahrhunderte lang gepeitschte und ausgewaschene Zitadelle die Alexander der Große bauen ließ wir folgen den Flussläufen weiter nach Norden durch den grauen mehligen golden flimmernden Staub der in jede Pore und Ritze dringt in die Augenwinkel Nasenlöcher Ohren unter die Fingernägel Staubstraßen Staubberge Staubhäuser Menschen aus Staub auf staubgelben Dromedaren und lehmgelben Eseln es ist der Lössstaub aus dem auch die Häuser und Bewässerungskanäle geformt werden Leben wie Tod aus Staub in
Balch
der einstigen Mutter der Städte deren Außenmauern wie halb abgetragene Dünen oder zerfallende Mauern und Türme von Termitenbauten daran erinnern dass Dschingis Khan schon vor 800 Jahren die Stadt zerstörte und schleifen ließ in der Alexander vor 2300 Jahren geheiratet hatte
uralte morsche in Stücke gehauene abgeschliffene in den Staub zurücksinkende Städte
uralte fürchterliche Eroberer aus dem Osten
der Weltverbrenner
die Geißel Gottes die Sengende Sonne Satans
Dschingis Khan
dem Timur Leng folgte Tamerlan der Hinkende verschonte die Dichter Denker Kunsthandwerker Architekten (tauchte deshalb vielleicht bei Goethe und Hafis auf) ersäufte aber ihre Städte in Blut errichtete riesige Paläste Moscheen traumhafte gigantische Bauwerke auf der Schleifspur unausgesetzter chaotischer Feldzüge die sich durch Persien zogen bis hinunter nach Bagdad und den Tigris füllten mit
Blut und Büchern
vor der Moschee von Balch erhebt uns die Schönheit aus dem eisigen trostlosen Schlick der Umgebung ein wahres Tortenwunder von Fayencekuppel Stein gewordene filigrane türkisblaue Sprühsahne der Jahrhunderte
ein Hahnenkampf im Morast darum im Kreis zweihundert Männer mit Turbanen und pyjamaähnlich gestreiften Kaftanen
die Schönheit die Früchte
Afghanistans denke nicht nur an Sandwüsten Felsschluchten wahnsinnige Verwerfungen von Schnee Eis Staub Schlamm Gestein Lehm sondern auch an
Brombeeren Mandeln
Granatäpfel Weintrauben Aprikosen all die
gerühmten Früchte zweitausend Jahre lang in so vielen Versen duftend (besingt die Früchte anstelle der Despoten) das köstliche Innere Afghanistans stämmige dickpelzige Dromedare stapfen durch Flüsse die in der Kälte dampfen steigen auf endlosen Bergpfaden empor durch vereiste Scharten über Felsplateaus und weiße Mondlandschaften beladen mit Bleikisten darin die in Schnee gelagerten berühmten Melonen die man nach Indien brachte weil ihr Geschmack den Kaiser
vor Glück
zum Weinen gebracht haben soll
du kommst zur Tür herein
aus der dünnen blauen Nachtluft im Hindukusch du kämest zur Tür herein an jedem Ort es würde mir nichts helfen nichts
zu denken etwa
indem ich allein reiste ohne Bücher ohne Schrift wie ich es mir oft vorstelle als fahrenden Untergang (nachts in der Lexington Avenue vor einem mit Tageslichtbirnen in den gleißenden ewigen Sonnenschein des Paradieses gestrahlten Obststand: Hey, what’s up man? You’re looking tired. Take an apple. It’s free.) Vögel Blumen Früchte
Harlekine der Zeit
in der unerbittlichen übermenschlichen Kraft der Räume das elende Bergdorf in Nuristan in das ich ohne dich käme (einmal hätte kommen können heute würde ich wohl bald entführt und der Deutschen Botschaft zur Last gelegt werden was soll dieser Planet voll idiotischer Krimineller weshalb soll man ihn beherrschen)
ohne euch
möchte ich sagen und schließe in die unvereinbare kindliche zitternde nächtliche dumme Verschmelzung von Amanda Sabrina und Luisa jeden von mir geliebten Menschen ein
es ist nichts weiter
als eine alte romantisch falsche Intellektuellensehnsucht nämlich an einen Ort der völligen
Abweisung
(von Sprache von Nähe von Verantwortung)
zu kommen vier- fünftausend Meter über dem nicht vorhandenen Meer an einen Ort an dem die Welt mit Fels und Eis vernagelt ist
in den siebziger Jahren den Jahren vor der sowjetischen Invasion sah ich solche Orte in den Fotoalben meiner Freunde
kopfschüttelnd
außerstande zu begreifen was sie dort suchten wo ich
jetzt
verlorengehen wollte vor eisigen Felswänden im Hindukusch in einem Dorf in Kafiristan (das hoch abgelegene Land der Ungläubigen das man erst um die Jahrhundertwende islamisierte und wer weiß wie erfolgreich) alle Behausungen sind morsch grau nass wie den schroffen Berghang hinabgeschüttet unmittelbar über dem reißenden Fluss kleben Hütten aus schweren Holzbalken Lehm und darin verbackenen großen Steinen kartenhausartig übereinandergetürmte Hütten die in der Nässe und Kälte faulen sich im Rauch schwärzen verbunden durch Stiegen und sich biegende Gänge aus morschen Brettern du liegst dort
krank fiebrig bereit zu gehen sogar in diesen wie erfrorenen vertikalen Himmel
um den Preis dass
Sabrina auferstehen dürfte um den Preis auch dass sie als
Afghanin nur auferstehen könnte und
kein Wort mit mir sprechen dürfte (weshalb komme ich darauf ein Teufelspakt was sonst aber selbst im Traum scheint mir nur noch dieser faustische Effekt realistisch)
ein Mädchen das in einem hölzernen Türrahmen lehnt vor dem der Schnee hinabwirbelt als sollte alles in Minutenschnelle begraben werden aber sie sieht auf ihre Freundinnen oder Schwestern die ihr durch die wie Schaumfetzen treibenden großen Flockengebilde entgegenstapfen beladen mit Holzkörben verschwitzt erschöpft mit blau gefrorenen Füßen in zerschlissenen Stiefeln
Du
könntest als Tochter eines Karawanenführers wiederkehren als drittes Kind eines jungen turkmenischen Mullahs als paschtunisches Hirtenmädchen Du könntest zu den Hazaras gehören und in eine Schmugglerfamilie einheiraten (Opium Kalaschnikows Wodka Mobiltelefone Satellitenantennen und Laptops aus Taiwan) oder das Lieblingskind eines schwatzsüchtigen Dolmetschers in Kabul sein der Dich einem britischen Botschaftsattaché als unverschleierte in westlichen Eliteschulen gebildete Gymnasiastin vorführt während zwei Straßen weiter noch sämtliche Frauen in Burkhas einhergehen vergraben in Tüchern verwandelt zu textilen Gespenstern vermummt in Desinfektionsanzüge gegen die innere Seuche Weiblichkeit
die Teppiche
heißt es in einem der Reiseführer die ich mir ausgeliehen habe um Dich in einer nicht entstandenen Vergangenheit in dem Land wiederzufinden das Dir den Tod schickte
verrieten
die schöne Seele der Frauen
eingehüllt zugedeckt vergraben unter
den Verrätern
kauern alte Frauen um einen niedrigen Tisch auf dem ein Teegeschirr dampft in einer der schwarzen Jurten die sich wie chinesische Schirmpilze auf den gelben Boden der Steppen an den Fuß der Felshänge auf den schneeverkrusteten Untergrund der Hochebenen kleben was reden sie miteinander was
liest die paschtunische Schülerin die mit staubgrauen Händen bloßen staubgrauen Füßen in ihren wie mit dicken Ölfarben gepinselten Kleiderschichten eingehüllt vor einer Lehmziegelmauer im Freien kauert mit dem (unverhüllten) Gesicht einer toskanischen Madonna was
denkt die in einem sackartigen wattierten Mantel geborgene junge Frau deren Kopf und Schultern von einem blaugrauen Turban wie von einer Tuch gewordenen Meereswoge umflossen werden während sie zärtlich in eine Karotte beißt so fest
es ist
plötzlich als ich schon vergaß weshalb ich mir Fotografien ansah
Sabrinas Blick der mich trifft mit einer Art
stummem Entsetzen oder nur
einer besonderen Frage was sagt dir schon ein Blick wenn du sonst nichts weißt ich lasse den Unsinn es gibt keinen Preis mehr wenn du bereit bist mit dem Leben zu bezahlen ich kann mir keine Lage einer Frau in Afghanistan vorstellen aus der ich Sabrina nicht zu befreien wünschte und das eben zeigt wohl
dass ich wenig verstehe oder wenig verstehen will
wenn ich Bilder ansehe wenn ich mich an Bilder erinnere wenn ich bei der Betrachtung der alten afghanischen und persischen Totenstädte versinke auf einer Bank vor der Public Library im sonnigen Bryant Park inmitten lunchender Banker und dösender Studenten denen die Bücher oder Laptops auf dem Schoß entgleiten sehe ich
die Geister der Frauen
lebende brennende Fackeln in Petroleum getränkte Todesschleier in denen sich die Braut endgültig dem ihr aufgezwungenen Mann verweigert
die Geister in den abgeschliffenen geköpften Ruinen von Schahr-i Ghulghula der Stadt der Klagen halb vergraben in dreißig Meter hohen Sandbergen Dünen die sich mit zerstörerischer Gewalt bewegen sobald man nicht hinsieht jede Nacht um 15 Zentimeter ich denke wir hätten dort geschlafen und am nächsten Morgen wäre
nur dein Arm
mit Sand bedeckt gewesen wir wären weitergereist
Sabrina
in einer anderen
glücklicheren ungeheuerlichen Verzweigung des Universums
an der Grenze (zum Iran)
erhielte ich meine Tochter zurück
für eine Stunde vielleicht wir besuchten Timurs Grabmal in Samarkand wir kämen von dem protzigen Luxushotel für Touristen herüber durch einen Ring ärmlicher Behausungen staubiger Straßen gärenden Mülls hindurch neugierige abschätzige gelangweilte Blicke treffen den Deutschen und die schmale (nie wieder) zerbrechliche Gestalt an seiner Seite
die vollkommen in ein schwarzes Tuch gehüllt ist aber nicht wie in einen Tschador oder eine Burkha sondern wie in Abwesenheit das schwarze Tuch Gegenwart fließend eng anliegend und zärtlich nah an ihrem einstigen Körper nur so
nur völlig geschützt
konnte sie eine Stunde lang mit mir gehen vor uns liegt jetzt die säuberlich wie ein riesiges anatomisches Präparat aus dem Körper einer anderen Zeit freigelegte und konservierte Grabmoschee des kunstsinnigen hinkenden Massenmörders was wollen wir dort immer von den erhabenen Mausoleen in denen die Macht vermodert hier unter einer wunderbaren Rundkuppel mit geschnürten Rippen wie ein Seidenballon schimmernd in 700 Jahre alten transparent gewordenen Farben
wir steigen nicht in die Grabkammern hinab bis zu dem geborstenen Felsblock der Timurs ewige Wiederauferstehung nicht verhindern konnte und kann
die Literatur
sagte Sigi Ramsauer (der verfluchte Nieselregen auf seiner Beerdigung in Amherst der Schlamm der Dekan der mich aus dem Whiskey- und Trauer-Schleier eines Verlusts zog der mir damals fürchterlich erschien dabei
lebten
Sabrina und Amanda
doch nur in einer anderen Stadt mit anderen Menschen zusammen (in irgendeiner meiner Vorlesungen der Dichterstreit zwischen Uhland und Rückert ob es besser sei die Geliebte an den Tod zu verlieren oder von ihr betrogen zu werden den Rückert meines Erachtens mit dem edleren Gedanken und dem schlechteren Gedicht verlor))
die Literatur spricht mit den Mächtigen
sobald sie tot sind sagte mein verstorbener Kollege von der UMass
wir können nicht mehr weitergehen wir wenden uns von Timurs Mausoleum ab von der Nekropole das feine schwarze Tuch um Sabrinas Körper ist so schrecklich die Unsichtbarkeit ist ein so schrecklicher Preis für die nahe und perfekte Kontur für das vollkommen stimmige Gefühl des Nebeneinanderhergehens die tief in meinen Zellen gespeicherte Zugehörigkeit des schmaleren leichteren Körpers meiner Tochter zu mir
es gibt keine Bank keinen Steinblock auf den wir uns setzen könnten
es gibt kein Wort
das wir uns sagen dürften wir
können nur durch die staubigen Gassen zwischen den dürftigen Häusern hindurchgehen bis zu den von Steinmauern umgrenzten Feldern
in der Ferne
hinter einer Reihe von blassen brüchigen Dächern
steigen Kinderdrachen auf
wie konnte es geschehen (als fragten wir es uns dort in den Feldern bei Samarkand als
wären wir entronnen) dass
wir nach New York City kamen nach Manhattan auf diese wie von Wahnsinnigen mit gigantischen Steinsäulen beladene mit monströsen Glastürmen gespickte von Blechlawinen durchzogene speerspitzenschmale Insel im Strom die Stadt der Städte (bevor die wahren Monsterstädte entstanden die selbst immer schon erblassen vor ihren Verfolgern aus der Zukunft)
eine überlebende
Stadt
immerhin Sabrina ich weiß nicht mehr
ich kann nicht mehr sagen das hier ist nur
ein Traum
Gestern konnte ich kaum einschlafen wegen des Referats das ich in der Schule halten soll und ich erwachte heute mit jagendem Herzen eine Stunde bevor ich aufstehen musste allerdings hätte mich das Geschrei der Kinder nebenan ohnehin geweckt es müssen Hind und Achmed gewesen sein mit einem Streit
begann die Welt
mein Vater konnte sich nicht mehr an die Schöpfungsgeschichte erinnern es vergnügte ihn aber zu hören die Sache der Menschen habe damit ihren Verlauf genommen dass sich Tiamat und Ansu über das Herumtoben ihrer göttlichen Nachkommen ärgerten und deshalb (aus Lärmschutzgründen) beschlossen sie zu beseitigen nur Marduk hatte dies verhindern können und als Retter der Götter vor den Urgöttern erschuf er Himmel und Erde die Zeit und den Menschen in
seiner Tempelstadt Babylon
also beginnt alles dort
und so kann es doch nicht verwunderlich sein dass ich mich dafür interessiere aber Tarik versucht immer wieder genau herauszufinden (wie jetzt auch Du, Geliebter!) woher dieses Interesse kommt und was es bedeuten mag ob es ernsthaft und» wissenschaftlich «ist man könnte glauben er fürchte ich würde in Udai Saddam Husseins Zeitschrift Babel verschwinden wollen zwischen Sportnachrichten Bilderrätseln blonden Mannequins dem Leitartikel über US-Imperialismus von Al-Dulaimy (wiederum Udai) den ganzen hochglänzenden Uhren- und Schmuck- und Luxusauto-Reklamen als lebten wir alle als Millionäre in Dubai oder Mailand oder in einem Palast wie Udai eben als
Mörder Folterer und Vergewaltiger
im weißen Anzug er ist meines Erachtens der wahre Babylonier ich meine in biblischer Sichtweise sagt Tarik wo kommen die überall vor bei Daniel und Johannes dem Zecher?
Huda wird ein Referat halten mit dem Titel Wie verfälschten die Zionisten die historische babylonische Wirklichkeit? sie sucht wieder eine Gelegenheit ihre Mutter zu ärgern aber ich möchte nur über die Stadtanlage sprechen über die Architektur über die bislang erfolgten Rekonstruktionen über die Ausgrabungen und das was noch zu entdecken ist
morgen fahren wir nach Babylon
sagte meine Mutter vor sechs Wochen plötzlich
wir reisten zu dritt (ohne Sami) wie schon seit Jahren nicht mehr Farida hatte zugestimmt an den drei Tagen die Tarik sich frei nahm nicht auch noch Kerbela und Nadschaf zu besuchen es sollte ein
rein heidnischer Urlaub
werden meinte er es war nicht herauszufinden ob er nur pflichtschuldig einem Versprechen nachkam das er mir vor über einem Jahr schon gegeben hatte oder sich wenigstens ein bisschen auf die Fahrt freute Babel ist nicht heidnisch sagte ich Bab-ili ist das Tor Gottes es sind 3000 Jahre Tempel und Zikkurat und die Spitze des Turms soll an den Gipfel des Berges erinnern auf dem die Arche nach der Sintflut abgesetzt wurde
der gute alte Utnapischtim er hätte gar nicht schwimmen müssen wäre er mit diesem Geschoss der Flut davongeeilt erklärte Tarik im verbeulten roten Opel seines Bruders ich saß auf der Rückbank träumte las reichte Wasser oder Früchte und Fladenbrot aus dem von Farida randvoll gepackten Picknickkorb nach vorn sie trug ein weinrotes langärmeliges Kleid und beim Aussteigen wie ich selbst ein weißes Kopftuch (gegen den Staub und die Ureinwohner wie Tarik bemerkte) ich wollte auch einmal Ktesiphon sehen ohne in eine Schulklasse eingepfercht zu sein und von genervten Lehrern gehetzt zu werden und sie hatten nichts dagegen
Tarik und Farida auf den Vordersitzen immer redseliger
immer fröhlicher und immer jünger wirkend es war als könnten sie sich nicht gegen die gute Laune wehren als entstünde sie ganz mechanisch durch das Fahren in dem klapprigen Auto das natürlich keine Klimaanlage hatte so dass wir uns vom Wind kühlen ließen eigentlich hätten wir gar nicht so rasch anhalten müssen die Ölfelder und die Anlagen der Dora-Raffinerie glitten vorbei wir sprachen gar nicht davon dass Jasmin hier irgendwo arbeitete erinnerst du dich fragte Tarik bei unserem ersten Halt an den kleinen roten Elefanten in Amman ein dicker alter Bursche mit Segelohren auf einem Podest er stand vor dem römischen Theater und du warst schon zu alt für so ein Schaukeltier aber du liebtest ihn und ich musste ihn fünf Mal fotografieren hier mit diesem historischen sowjetischen Apparat (er überreichte mir seinen Fotoapparat aus der ehemaligen DDR)
natürlich erinnerte ich mich an den Elefanten ich hatte ihn ja Hannibal getauft und mit ihm die Steinreihen des Amphitheaters emporgaloppieren wollen wie die hochgetürmten Wellen eines Ozeans aus Marmorklippen dieser seltsame Zusammenhang: altes zerbeultes rotes Metall (Reitelefant oder alter Opel) und die Ruinen oder Relikte einer grandiosen Architektur es ergibt ein Gefühl von Freiheit von Sich-Bewegen-Können
im Raum in der Zeit
nicht auf irgendetwas achten zu müssen das Metall ist schon verbeult die Paläste sind schon geschleift die Tempel haben längst keine Götter mehr
in Ktesiphon unter dem großen Steinbogen des Khosrau stehen meine Eltern ein hagerer mittfünfzigjähriger Mann mit hoher Stirn schwarz-grauem Schnurrbart glühenden dunklen Augen lebhaften Gesten seine etwas kleinere etwas rundliche Frau dagegen hat eine stille und vornehme Art so als trete sie immer gerade aus einem ruhigen Zimmer nach draußen und würde von der Sonne geblendet
sie drehten sich langsam um die eigene Achse und schauten nach oben sie waren
entlassen
das hatte ich geschafft ich hatte sie herausgeholt aus den Schraubzwingen ihres Bagdader Alltags Faridas ewiger Küchen- und Bücherarbeit Tariks Zwölfstundentage in seiner engen überfüllten Praxis an der Saadun-Straße sie staunten und waren müßig wie Touristen ich ging auf sie zu als sähe ich sie zum ersten Mal liebten sie sich noch erhofften sie sich noch etwas hatten sie noch Sex miteinander wollten sie noch etwas erreichen wollten sie wieder in Paris leben was redeten sie mit ihren wenigen in Bagdad verbliebenen Freunden
das heißt Iwan diese Kuppelhalle siehst du so russisch waren diese alten Perser weißt du eigentlich dass der Schah ein Kosake war
du und deine Witze rief meine Mutter
mach ein Foto Muna
dann waren wir schon wieder unterwegs überquerten den Tigris fuhren auf die Autobahn nach Süden nach Al-Hillah durch brütende Steinwüste einen Kanal entlang in der Ferne tanzten Staubwirbel wie Miniaturtornados Beduinen und ihre Kamele rasteten in Dattelhainen nah am algengrünen Wasser am Ufer balancierte ein Kind über einen liegenden Autoreifen
vom Westen her
über die flache Brücke die auf mächtigen Steinquadern ruhte hätten wir einmal kommen können als der Euphrat noch direkt an der Stadtmauer entlangfloss links hätte sich der gewaltige Turm erhoben das Weltwunder die siebenstufige Leiter zwischen Himmel und Erde und rechts hinter den Zinnen der Mauer und des Vorwerks der große Tempel aber der Eingang lag jetzt östlich und führte an einem schläfrigen Pförtner vorbei durch die auf die Hälfte verkleinerte Kopie des Ischtar-Tores mit seinen blauen Kacheln seinem Gänseblümchenbogen seinen elegant schreitenden weißen Drachen und goldenen Löwen
das Original haben die Deutschen weggeschleppt
nach Berlin ich weiß sagte Tarik sie können auch Nebukadnezar den III. haben und uns eine verkleinerte Kopie aus falschen Ziegeln schicken wo ist denn aber jetzt der gewaltige Turm auf dem sich unsere Sprachen verwirrten
von einem Schutthügel aus
sahen wir die im sumpfigen Grundwasser steckenden Überbleibsel der Fundamente jenen über zwei Jahrtausende alten nassen Fußabdruck des Turms Etemenanki eine riesige Fläche wie ein grünbraun vernarbtes gigantisches Brandzeichen oder als wäre der Turm in der Erde versunken und als seien nur noch einige der grasüberwucherten verschliffenen Zinnen sichtbar von denen aus als sie sich noch 90 Meter hoch erhoben der Blick grandios gewesen sein muss an Deiner Schulter Geliebter wollte ich über die vollständig neu errichtete blau und golden glänzende Stadt schauen es ist aber
seit zehn Jahren nicht mehr gegraben oder gebaut worden sagte der Wächter es gäbe auch kaum noch Besucher es kämen ja keine Touristen mehr ins Land seit dem Krieg
es erinnert mich an Ground Zero sagte meine Mutter wer brachte eigentlich den Turm zum Einsturz wer schleifte ihn ich dachte jäh an das Mädchen in meinem Alter das mein Vater erfunden hatte um mir jede Häme und Schadenfreude auszutreiben Xerxes sagte ich laut er zerbrach die Statue des Marduk aber Farida hörte meine Antwort gar nicht weil sie von dem kleinen schäbigen Mausoleum angezogen wurde das man hier für Alis Sohn Amran und sieben seiner in Kerbela getöteten Gefährten errichtet hatte auf den Ruinen des Tempels Esagila (so dass man diesen nicht mehr rekonstruieren konnte)
Knochen begraben Mauern
das ist einmal interessant meinte Tarik und wir verstimmten meine Mutter wohl etwas weil sie spürte dass wir beide auf der Suche nach Marduk uns von Amran nicht hätten aufhalten lassen (ich bete nicht mehr)
die Leere
in Babylon
scheint mir heute
jetzt wo ich mich unruhig im Bett von einer Seite auf die andere drehe mit der Aussicht in zwei Stunden vor der ganzen Klasse über die alte Stadt (das Zentrum der Welt) berichten zu müssen
nur darauf zurückzuführen zu sein dass Du nicht dabei warst Du hättest natürlich meiner Mutter zugestimmt und die Überreste von Amran Ibn Ali nicht stören wollen aber Du wärst vielleicht auf eine Art U-Bahn-Tunnel oder eine Sondierungs-Röhre verfallen in Deiner ausgleichenden und besonnenen Art
meine Eltern folgten mir
auf der Prozessionsstraße nach Norden hinter einem schmiedeeisernen Absperrzaun sah man das mit Bitumen verkrustete Pflaster der erste Asphalt der Welt als Unterlage für die Steinplatten der Königswege direkt aus der Unterwelt emporquellendes Pech der Totengöttin Ereschkigal verkrustetes Öl aus der Hölle vor Jahrtausenden schon
in der zu Teilen wiedererrichteten Südburg gerieten wir dann in stille schmale Gänge zwischen säuberlich rekonstruierten Mauern und Torbögen die vollkommen leeren Höfe öffneten sich und man erschrak immer ein wenig dort als wären die Priester Krieger Beamten Schreiber Händler Sklaven deren Gespräche und Verhandlungen noch eben die Räume erfüllt hatten blitzschnell und unmittelbar bevor wir über die Schwelle traten von Geisterhänden beseitigt worden
Mene tekel upharsin!
deklamierte Tarik
im Thronsaal der Herrscher von Babel es war nur ein großes steinernes Podest unter freiem Himmel ein haushoher dreifacher Torbogen dahinter führte zu nichts als einer glatt gemauerten Wand eine Art Mihrab der Könige erwartungslos und senkrecht ohne die Nischenkrümmung die man in den Moscheen findet die Vergangenheit ist nichts als
Stein und Fantasie
in jeden Ziegel aber
hat der PRÄSIDENT seinen Namen schlagen lassen
in jeder Wand findet sich ein Stein der IHN in arabischer Schrift als Wiedererbauer und Nachfolger preist ich möchte meinem Vater begreiflich machen dass mich nicht diese gewalttätigen Herrscher interessieren dass Saddam für mich kein kultivierter Babylonier sondern nur ein brutaler Assyrer-Herrscher ist dass ich etwas anderes suche eine Zukunft vielleicht
in der Tiefe der Zeit die keiner berührt
als wir erneut die Prozessionsstraße betraten gelangten wir zu den Überresten und Teilrekonstruktionen des Ischtar-Tores an der ursprünglichen Stelle am nördlichen Zugang zur Stadt an den Tonziegelwänden war die blaue Glasur verschwunden und die einst bemalten Reliefe der Drachen des Marduk und der Stiere des Adad schienen mit den Steinen zu verschwimmen oder auf deren Fugengitter aufzutauchen wie auf einem brüchigen in die Länge gezogenen Koordinatensystem historischer
Halluzinationen
ich berühre eines der heiligen Tiere an der Schulter und du
Schwester
gehst in Berlin vom Pergamonaltar her kommend mit einem Engelsschritt nach Babylon durch den Korridor der Jahrhunderte und legst die Hand auf die gleiche Stelle als spiegelten wir uns durch den Stein
hinter dem Trümmerfeld jenseits der Nordburg steigt das Gelände über ein Glacis einen Hügel mit streng in Reihe gestellten Palmen an zu einem Palast des
PRÄSIDENTEN
der es sich nicht nehmen ließ von hier aus auch noch die erloschene ausgebrannte zu Staub gemahlene Vergangenheit zu beherrschen die überdimensionierten Bogenfenster und schmalen Schießschartenschlitze in den ineinandergestaffelten Fassaden im Pseudo-Babylon-Stil lösen Schrecken und Befremden aus so als könnte man nicht wissen für welche Spezies dieser Bau geschaffen wurde für eine Art riesiger Wespen vielleicht oder die Drachenschlangen die der Sage nach in den Ruinen der Stadt hausen sollen
wir fotografierten uns schließlich
(Touristen
in unserem Leben)
vor dem berühmten Löwen von Babylon jener mächtigen ungeschlachten Skulptur auf dem kopfhohen prismenförmigen Sockel die Raubkatze die mit den Pranken auf den Schultern eines auf den Rücken geworfenen Menschen steht und nur einen Augenblick aufschaut bevor sie seinen Kopf zerbeißt
das Nationaldenkmal
sagte mein Vater Tarik der liegende Irak
der Ausblick auf den Palast verdarb ihm die Laune und sein Interesse für meine Erklärungen nahm spürbar ab
du musst ihn verstehen sagte Farida am Abend kurz vorm Einschlafen in unserem Hotelzimmer er macht sich Sorgen er kann schwer abschalten du darfst nicht glauben dass er dich nicht ernst nimmt er freut sich sehr darüber dass du dich so genau und wissenschaftlich für diese Dinge interessierst
weil das Hotel in Al-Hillah nur noch ein einziges voll eingerichtetes Zimmer vorweisen konnte hatte Tarik darauf bestanden dass wir Frauen es bezogen während er mit einem Bett in einem kahlgeräumten Raum vorliebnahm und so schlief ich (wie seit vielen Jahren nicht mehr) an der Seite meiner Mutter sie hatte sich über meine Begeisterung gefreut das alte Babylon für mein großes Referat direkt in Augenschein nehmen zu können und mir erklärt dass ich mir nur Sorgen um mein Vorankommen in der Schule zu machen brauche für alles andere seien sie nach wie vor da also
hätte ich ruhig schlafen müssen aber es gelang mir nicht obwohl ich Dich noch nicht so im Herzen im Gehirn in meiner Brust wühlen ließ Du warst gerade erst gegenüber eingezogen und noch nicht viel mehr als der freundliche junge Soldat der (zu dessen kreischendem Vergnügen) mit dem kleinen Achmed raufte Farida schnarchte ein wenig und ich konnte mich nicht mehr einfach an ihren Rücken schmiegen und in den Schlaf fallen wie in ein großes weiches dunkles Tuch ich dachte dass ich vielleicht bald ihr helfen müsste auch wenn ich überhaupt nicht wüsste wie
der Körper
der mich trösten konnte
war noch nicht in mir geboren in meiner Sehnsucht nach Dir
Geliebter
als wir anderntags nach Uruk weiterfuhren war ich seltsam fröhlich und ich steckte meine Eltern damit an und sie begannen plötzlich im Auto Lieder von Umm Kulthum zu singen
auf meinem Plan
faltet der Grundriss der Stadt seine rechteckigen Drachenflügel über dem Euphrat auf ich zeichne mit Kreide auf den von Sprüngen und Rissen durchzogenen Schiefer der alten Tafel unseres Klassenzimmers ich skizziere den Verlauf des Euphrat und der Außenmauern die Position der Tore die Lage der Brücken und der Tempel den quadratischen Sockel des Turms ich spreche frei flüssig leicht wie
ferngesteuert oder wie in einem Traum
von mir selbst über
Babylon
die Gesichter meiner Klassenkameradinnen scheinen zu müden Seerosenblüten verflacht vor dem Teichgrün der geschundenen Wände am Schluss reichte ich Fotokopien der Stadtzeichnungen des Berliners Robert Koldewey aus dem Jahr 1912 herum es sind perspektivische Ansichten des Südpalastes darunter und ich habe für Sekunden das absurde Gefühl als könnten meine Klassenkameradinnen dort auch mich und meine Eltern zu stecknadelkopfgroßen Tuschefigürchen verkleinert vor den schraffierten Mauern auf- und abgehen sehen
es fehle nur
noch einmal auf die bedeutende Rolle der irakischen Grabungen und Wiederaufbauten hinzuweisen und es wäre auch angebracht gewesen das Zitat aus dem historischen Werk unseres PRÄSIDENTEN das ich doch der schriftlichen Fassung meines Vortrags vorangestellt hatte
esistfalschdieGeschichtealsLeere
oderetwasvordemIslamdessenman
sichschämenmüssteanzusehen
auch in meiner mündlichen Einleitung vollständig
(esistnotwendigdassunsereAnalyse
historischerEreignisseganzaufder
LinieunsererbaathistischenSichtbeim
AufbauderarabischenNationliegt)
wiederzugeben
und so erhalte ich von unserem Geschichtslehrer die Bestnote mit einem kleinen Punktabzug
Bravo! wirklich fast
wie meine Mutter versichert mir Huda in der Pause du kannst vielleicht auch einmal in einem leergeräumten Nationalmuseum die Leute herumführen entschuldige
und erzähl uns was über i-h-n! unterbricht sie Eren wir wollen es genau wissen
ja ist er jetzt ein richtiger Mann oder was? Hudas indische Augen leuchten spöttisch sie hat mehrmals diesen Witz erzählt in dem eine Frau die man darauf aufmerksam machte dass sie im Begriff sei die Herrentoilette zu betreten verwundert fragte ob denn etwa Osama bin Laden darin wäre denn das sei ja der einzige richtige Mann in den arabischen Ländern
keine von uns hat eine Ahnung
von richtigen oder falschen Männern ich denke vielleicht liegen sie über uns wie der babylonische Löwe über dem gestürzten Opfer vielleicht
bin auch ich einmal
die Löwin über Dir im Museumsarchiv zeigte mir Huda eines Nachmittags die Bronzeplaketten aus Babylon in denen kräftige Männer füllige Frauen auf ihren Stacheln emporheben
Ischtar als geflügelte
Königin der Nacht
steht mit den Klauen eines Adlers auf dem Rücken eines Löwen flankiert von großen Eulen die Hände erhoben mit Ring und Stab den Insignien der Macht Fruchtbarkeit und Liebe sie trägt sonst nichts als ihren Schmuck und ihr nackter Körper
(die runden Schultern die festen Arme und Beine die trotz des weichen Bauchs sehr schmale Taille die vollen Brüste mit großen Warzen selbst der hoch sitzende Nabel und der genaue Linienschwung der Hautfalten zwischen Leisten und Scham)
gehört mir
die Fotografie schenkte mir Hudas Mutter Schiruk als hätte sie mich so gesehen und in Stein gebannt die Keramik (49,5 x 37 cm) steht im British Museum
also bin ich schon dort in London (Geliebter) als wir (vor sechs langen Wochen) Babylon verließen um Uruk zu besichtigen verbesserte sich die Laune meines Vaters entschieden vielleicht weil es dort keine Paläste mehr gab kein Mausoleum keine säuberliche Rekonstruktion sondern nur die Schutthalden die stumpfen Hügel und abgeschliffenen Reste die ältesten Mauern des Irak tief in messingfarbener Erde
hier wünscht man sich doch gleich eine Schaufel! rief er und am Abend redeten wir über vieles über das wir uns noch nie unterhalten hatten es war im Garten eines Restaurants wir bekamen einen besonders schönen ruhig gelegenen Tisch unter einem Blätterdach (nachdem Tarik dem Besitzer erklärt hatte was er gegen die Augenentzündung seines ältesten Sohnes unternehmen könne) Farida war von der Küche sehr angetan sie sprachen das erste Mal seit langem wieder einmal davon wie sie sich kennengelernt hatten auf dem Suk as-Saray und von ihrer Zeit in Paris und dann kam das Gespräch auf London und darauf dass sie sich wünschten dass ich Bagdad dass ich den Irak verließe für einige Studienjahre wenigstens es wäre ihnen eine große Erleichterung und es wäre die beste Chance für mich
was blieb mir schon
ich musste sagen: wenn ihr es wünscht
und jetzt denke ich dass es noch lange hin ist bis zum Herbst 2003 noch mehr als ein Jahr
Geliebter Du könntest vielleicht auch kommen vielleicht könnte Dir Dein Onkel auch das Studium in England finanzieren aber natürlich sage ich jetzt (vor unserem ersten Kuss) darüber noch kein Wort Du hast den kleinen Achmed auf dem Schoß und wir hören beide seinem Bodybuilding-Geplapper zu Du gratulierst mir für meine gute Note für das Babylon-Referat es ist wieder ein milder warmer Abend mit einer röteren größeren sandverschleierten Sonne jedoch eines Tages wirst Du
den gleichen Sprung machen
wie Yusuf wenn er meinen Bruder Sami besucht der jetzt in meinem Rücken auftaucht ich sehe wie Du ihn freundlich begrüßt aber dann ändert sich der Ausdruck Deines Gesichts etwas ist nicht in Ordnung
Du musst kommen! sofort! was
redest du immer mit dem! sagt
mein kleiner Bruder ich kann es gar nicht fassen und drehe mich um noch nie sah ich ihn in einem solchen Zustand er ist leichenblass die Lippen sogar seine Hände zittern ich kann Dir nur noch entschuldigend zulächeln dann zieht mich mein Bruder in die Höhe mit grobem Ungeschick was hat er nur was kann so dringend sein
im Wohnzimmer
sitzt mein Vater die Ellbogen auf die Knie gestützt den Kopf zwischen den Händen
krümmt sich meine Mutter auf dem Sofa zusammen als wühle ihr etwas in den Eingeweiden
richtet
sich mein Schwager Kasim auf als wir hereinkommen aber nur langsam es scheint als presse eine unsichtbare Gewalt in diesem Raum alles zu Boden als habe sich die Schwerkraft verdoppelt oder als sei ein unsichtbares bleiernes Medium überall verteilt worden es kann nicht sein denke ich etwas stimmt nicht egal was es ist egal was Kasim nun sagt das hier
darf nicht
geschehen
Hör auf zu fantasieren
sagt Seymour
er meint: wenn du Afghanistan verstehen willst dann verstehe
die Macht
ihre blutige Schneise durch die
Schattenwälder
der Zeit
sieh auf Kabul und allenfalls noch Kandahar auf das Zentrum denn darum geht es sonst spielen nur einige wenige Zufahrtsstraßen eine Rolle und die wichtigsten Gebirgspässe und Handelsrouten
griechische persische mongolische Eroberer besetzen das Land
und gleiten ab versickern verlieren sich in bitteren Wintern 1842 der Zug der britischen Indus-Armee 16 000 Menschen von denen ein Einziger entkommt Fontane schreibt sein afghanisches Gedicht (die Literatur verneigt sich
vor den Unbekannten)
die Statuen von Bamiyan sagt Seymour ich hatte vergessen wie sie aussahen was wenn sie dort Buddhisten geworden wären?
nun fantasiert er
Buddha verließ Afghanistan auf dem Weg nach China
Mohammed blieb
nur der Islam als kämpferischste störrischste patriarchalischste Religion war imstande die Wurzeln in den kargen felsigen Boden zu treiben eine Religion von Beduinenstämmen für Paschtunenstämme strenge Panzer schwere erdrückende innere Rüstungen Seelenverliese mit starkem Lichteinfall durch eine Maske feinster Löcher vor dem verbannten Gesicht ist nichts als das gestaltlos gleißende absolute Lichtmeer
Allahs oder
die Faust der Männer die
Seele tanzt im Gewebe der Teppiche
konkrete Dinge
sagt Seymour es sind
konkrete Dinge die Zusammenhänge sind politisch
die Länder sage ich sind konkreter als das Politische sie sind die Bühne die immer überlebt die Eisberge die Flüsse die Steppen die riesigen Ebenen die schier unumstößliche Permanenz der Landschaft das Zerrissene Fraktale die Wüsten das ist konkret und die Sedimentierungen Verkrustungen die Narben und Weihen der Tradition ich will wissen weshalb der Tod ausgerechnet von dort gekommen ist und nicht von woanders her
sie hatten zu viel davon
sagt Seymour sie mussten exportieren
1,6 Millionen am Ende der sowjetischen Invasion
er hat die Bemerkung leichthin gemacht aber jetzt erschrecken wir beide über das Ausmaß des damaligen Krieges weil wir eine andere Beziehung zu den Opfern gewonnen haben und am eigenen Leib (an den Leibern derer die wir liebten) etwas über die Unvorstellbarkeit lernten 3000 Menschen in den Türmen und doch immer nur die (fast schmerzfreie) Hypnose durch diese strahlenden Hollywood-Bilder diese Komposition aus blauer Luft grauem Stahl zerspritzendem Beton krachenden Stahlträgern morgenrotfarbenen Feuerbällen und der kurzen Tonspur der immergleichen Entsetzensschreie einiger Passanten
Sabrina
kommt darin nicht vor
1 600 000 Menschen (geschätzt, von wem?) Hunderte vielleicht Tausende von Kindern ohne Hände die bunten Schmetterlinge ruhig auf der bloßen Erde sitzend Grüße von Breschnew (er konnte weinen erzählte der deutsche Ex-Kanzler Schmidt der Presse) was bedeutete es wenn 8 Millionen Afghanen und somit die Hälfte der damaligen Bevölkerung auf der Flucht waren was bedeutete dieser Krieg zu dessen Beginn die UdSSR nur kurzen Prozess mit dem durchgedrehten blutigen Nachhilfeschüler in Sachen Stalinismus machen wollte (50 000 oder 100 000 ermordete politische Gegner in einem Jahr reden wir erst einmal über
ZAHLEN
dann ist Ground Zero beinahe
NICHTS)
Carter war wütend erinnerst du dich fragte Seymour er hatte Breschnew vertraut
ich erinnere mich zu wenig an die asiatische Seite des Jahres 1979 vielleicht weil ich mich in der Schlussphase meiner Doktorarbeit befunden hatte vielleicht auch weil ich noch in Berlin lebte und man dort amerikanische und russische Mittelstreckenraketen auszählte und auf die Teilbarkeit des Friedens setzte auf ein Fortschreiten des Abrüstungsprozesses in Westeuropa und nicht so sehr an die Schrecken im Hindukusch dachte die
uns (so wenige von uns natürlich nur) heute vor einem Jahr ereilten
Seymour macht einige Schritte in meinem
seinem (dem mir durch seine Vermittlung so preisgünstig zur Verfügung stehenden) Apartment in einem weinroten deutlich zu eng gewordenen Trainingsanzug mit weißen Streifen und sieht abwechselnd aus dem Fenster und auf meine Bücher Landkarten Notizzettel während ich meine Laufschuhe zubinde fragt er noch beiläufig ob ich mich jetzt entschlossen hätte und ich
sage ebenso beiläufig
ich bleibe wenn es dir recht ist
noch ein Jahr
womit ich die Sache nun an diesem Sonntagmorgen endlich entschieden habe ich muss das Haus in Amherst jetzt wirklich vermieten und Seymour wundert sich nicht er scheint erfreut oder wenigstens nicht unangenehm berührt
wir nehmen die Treppe nach unten um in Schwung zu kommen und treten in den warmen Sonntagvormittag hinaus stehen unschlüssig und schon kurzatmig auf dem Bürgersteig vor den Auslagen eines Deli zwei ältere Semester ein kräftiger korpulenter Typus der einmal athletisch gewesen sein könnte in einem verschossenen und wie eingelaufenen Trainingsanzug und ein dünner Bebrillter mit nagelneuer jedoch schlecht sitzender Joggingkluft wir gehen doch erst lieber zum Park meint Seymour und während wir das kurze Stück durch die 81. Straße nach Osten gehen passieren wir einen vergitterten Liquor-Shop mit Weinen aus aller Herren Länder vor dem uns einfällt dass wir beide nicht mehr trinken (ich seit fünf Jahren er seit dem Herzanfall) zwei mit Sportfummeln verkleidete Halb-Fossilien die man
hier im
MUSEUM OF NATURAL HISTORY
ausstellen könnte als
nüchtern
Aus-der-Welt-Gehende du erinnerst dich an all die wunderbar irrealen Vitrinen des Museums so oft habe ich hier in den vergangenen Monaten an meinen Besuch mit der elfjährigen Sabrina gedacht dass die Erinnerung wie abgetötet und präpariert erscheint von gleißenden Halogenlampen in einen ewigen Disneylandsommer getaucht also stelle ich mir lieber vor wie man Seymour und mich dort in einem Glaskasten an die Öffentlichkeit bringt so wie wir gerade an den wartenden Autoschlangen und einem berittenen Polizisten vorüber über den Zebrastreifen gehen oder kurz (und ewig) verharrend vor einem Soft-Pretzel-Stand als
9/11-FATHERS/HUSBANDS
wir gehen durch das Hunter’s Gate in den Park und laufen immer noch nicht denn Seymour ist doch auch noch in Afghanistan er kommt auf die Bear Trap zu sprechen Reagan war skrupellos in der Wahl der anti-kommunistischen Mittel er wollte den Bär zur Ader lassen und lange bluten sehen auch wenn sein afghanischer Gegner für jeden getöteten Sowjetsoldaten hundert Leben drangeben musste amerikanisch war noch nicht das Blut sondern nur das Geld und die Stinger-Raketen die bald ein russisches Flugzeug nach dem anderen vom Himmel holten
und so (erklärt Seymour) bauten wir das Reservoir auf das ganz konkrete Reservoir gemeinsam mit Saudi-Arabien und dem pakistanischen Geheimdienst die islamistischen Mudschaheddin und schließlich auch die Taliban mit immer neuem Blut versorgbar aus der disponiblen Masse der größten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg die Pakistan und den Iran überspülte
und so (er zeigt auf das Delacorte-Amphitheater vor dessen Treppe sich einige Hip-Hop-Tänzer rhythmisch verknoten) entstand der
Abenteuerspielplatz Afghanistan
durch das Zerschlagen der zentralen Machtstrukturen durch den Zustrom immer neuer Waffen und Gelder die im Zuge der Islamistenverfolgungen nach der Ermordung Sadats geflohenen ägyptischen Radikalen gründeten ihre Höhlenlager gemeinsam mit den gewalthungrigen Brüdern aus Saudi-Arabien das mit seinen Ölmilliarden an den wahhabitischen Universitäten Tausende agitierter und zu nichts zu gebrauchender Studenten ausbildete und froh war die extremsten Extremisten darunter in die Ausbildungslager nach Peschawar exportieren zu können
so hockten sie also in ihren Felshöhlen lasen den Koran hungerten froren trainierten ballerten in der Luft herum verloren einige Brüder bei diesem oder jenem Scharmützel und kultivierten Märtyrerlegenden worauf sie sich ebenso gut verstanden wie auf das Sammeln von Geld
vor vierzehn Jahren hätten wir hier im Park noch einem ihrer einflussreichsten Theoretiker und Spendensammler persönlich begegnen können Abdullah Azzam dessen Schriften man in den vergessenen Kartons der Islam-AG der Hamburg-Harburger entdeckte (Schließ dich der Karawane an!) der Imam des Dschihad achtfacher Familienvater vom Sechstagekrieg aus dem Westjordanland vertrieben nach einer Universitätskarriere in Kairo Amman Dschidda um sich dann ganz der
Verteidigung der muslimischen Gebiete
zu verschreiben er könnte den Central Park durchquert haben im September 1988 als Seymour sich gerade vom Alaska-Öl ab- und dem Golf-Öl zuwandte (mit 40 begann seine Orient-Zeit er hatte seine an Lungenkrebs gestorbene erste Frau begraben und war mit den 13-jährigen Zwillingen so überfordert dass er sie in einem Internat unterbrachte) vielleicht sahen Sabrina und ich den Spendensammler und geistigen Ziehvater von Atta & Co einen bärtigen dezent in einen westlichen Anzug gesteckten Mann hier
irgendwo
auf den großen Wiesen des Parks etwa auf der
SHEEP MEADOW
auf der die Kinder des verhassten Imperiums lagen wie halbnackt geschorene Schafe in einer bösen Karikatur seines Paradieses
während er
von Islamabad her kommend ohne Probleme in die USA eingereist obgleich er in Pakistan schon längst ein bekannter Gewaltprediger war (Gewalt gegen die Richtigen) er besuchte die islamischen Studentenverbände dankte ihnen für die eingetriebenen Spenden ermahnte zum (wütenden) Gebet gratulierte für die fantastische T-Shirt-Beschriftungs-Aktion
Help free Afghanistan
und durchwanderte die Hölle der Unwissenheit das aufgewühlte Meer der Verdammnis das (schafsweidengrüne) Herz der Finsternis um dann in Brooklyn ein Konto bei der Independence Saving Bank zu eröffnen über das man den Brüdern jedwede Spende zukommen lassen konnte als er Sabrina sah (Zuckerwatte auf ihren sechsjährigen Wangen ihre klebrige Hand) rekapitulierte er gerade einige Zeilen aus seiner Schrift Sitten und Rechte des Dschihads: Über die Hinrichtung ungläubiger alter Männer, Kranker, Blinder und Gebrechlicher: Die Rechtskundigen sind sich in dieser Frage nicht einig und vertreten zwei unterschiedliche Auffassungen. Einige fassen die alten Männer mit den Frauen und Kindern zu einer Gruppe zusammen, wie etwa die Hanafiten und Malik. Dabei berufen sie sich auf den von Abu Daud überlieferten Hadith nach Uns, der ihn wiederum direkt vom Propheten hat … Wir gelangen zu folgender Schlussfolgerung, aber Gott weiß mehr als wir: Wer den Ungläubigen oder anderen von Nutzen sein kann, soll getötet werden, er sei ein alter Mann, ein Priester oder ein Gebrechlicher …
angesichts der unsittlichen New Yorker Bürgerinnen im Gras konnte er nur stolz darauf sein es wenigstens den Afghaninnen gezeigt zu haben:
Was die kommunistischen Frauen in Afghanistan anlangt, so sollen sie getötet werden, egal, ob sie am Krieg teilnehmen, ihren Ratschlag erteilen oder nicht, ob sie zurückgezogen leben oder nicht, ob sie allein sind oder in einer Gruppe, denn ihre Ideologie bekämpft den Islam und schadet den Muslimen.
all diese beleidigten Killer
sie kommen aus einer Erfahrung großer Ohnmacht wenn auch unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen zum gleichen Ergebnis diese vertriebenen Palästinenser aus dem Westjordanland die nichts gegen Israel die Entronnenen aus den ägyptischen Foltergefängnissen die nichts gegen den autoritären Pharaonen-Staat die Milliardärssöhnchen aus Saudi-Arabien die nichts gegen die Vormacht der vorherrschenden Familien vermögen und nichts gegen deren Anhänglichkeit zu den USA
als Afghanistan vollkommen zerfallen war und mehr und mehr unter die Kontrolle der Taliban geriet brauchten sie neue Ziele weiche Ziele verwundbare Ziele
was hilft es uns sagt Seymour wir haben einiges begriffen und können doch nichts tun wir sitzen im Turm wir gehen darin umher wir fahren Auto wir schlafen aber wir sind immer im Turm das ist ein gutes Bild du hast es selbst aufgebracht im schier unzerstörbaren Turm der Macht schockiert darüber dass er nun doch verwundbar geworden ist an einer Stelle wenigstens
an der Sabrina und Amanda standen ergänze ich rücksichtslos und wir senken die Köpfe wie auf Befehl und nehmen den Weg zum Cedar Hill es wäre leichter (denke ich nur) wenn man beten könnte wie diese Mörder der
achtfache Vater der Terrorgedanken hätte auch hier hinaufgehen können es ist etwas mehr als zehn Jahre her seit er durch den Sündenpfuhl New York City wandelte um mit vollen Taschen nach Pakistan zurückzukehren wo ihn sein Bruder bin Laden freudig begrüßte um ihn bald darauf (nach Meinung etlicher undurchsichtiger unsichtbarer ungenannter Experten) nämlich am 24. November 1989 morgens um sieben mittels einer Bombe in seinem Auto gemeinsam mit seinen beiden ältesten Söhnen in ein Paradies zu schicken das wir uns nicht mehr auszudenken vermögen für diesen Fall der Beseitigung des Erwählten durch einen Erwählteren oder umgekehrt
Help free Afghanistan
seine ziselierten Hassgedanken überlebten und kehrten kochend in den Gehirnen der Todespiloten nach New York zurück die Schädelpyramiden die Timur Leng zum Zeichen seiner Siege errichtete sind den Attentätern von den internationalen Fernsehsendern in Form einer immer wiederkehrenden filmischen Ikone geliefert worden (legt den Himmel mit Blattgold aus für diese Ewige Explosion im Tabernakel eurer Wohnzimmer eine
zuckende berstende in ihrem martialischen Zyklus gefangene
Reliquie)
ich möchte Seymour von den Türmen des Schweigens erzählen jene von den Zoroastriern auf den Bergkuppen erbauten Mauerringe in denen sie die Toten offen zum Himmel aufbahrten um sie den Aasvögeln zu überlassen weshalb
sammelst du die Schrecken
etwa um diese Nacht
in anderen Nächten zu versenken
wir setzen uns schließlich auf eine Bank von der aus man große Teile des Central Parks übersehen kann mich berühren immer noch die Ränder des Parks am stärksten die Zone an der die Baumkronen sich zu grünen Wolkenbänken verdichten so dass die unmittelbar dahinter aufragenden elfenbeinfarbenen klassischen Hochhäuser mit ihren Türmen und Kuppeln wie die Vorläufer einer unbekannten grandiosen Stadt mitten im Dschungel wirken
zwei Dschungelbewohner in ihren Sportmonturen auf der Parkbank wir traurige Gorillas dem Museum of Natural History entlaufen kurz bevor man uns einschläfern und ausstopfen konnte ein Teil des Betäubungsmittels gelangte aber doch schon in unsere Adern und löst dieses bleierne Gefühl in Armen und Beinen aus
im Kopf im Herzen
Seymour (der früher wohl die Beine in der Sonne ausgestreckt und die Arme wie ein Profi-Turner im Kreuzhang gönnerhaft über die Lehne der Bank gelegt hätte) sitzt vorgebeugt mit den Ellbogen auf den Oberschenkeln neben mir sein breiter weinroter Rücken hat etwas Hilfloses und Verletzliches zu viel Angriffsfläche denke ich aber wir sind doch nur
Ausgeknockte
im Turm der Supermacht
dessen Kommandozentrale wir wählen dürfen um dann schier hilflos zusehen zu müssen wie sie handelt
werden WIR den Irak angreifen? frage ich Seymour laut und deutlich
unbedingt erwidert er achselzuckend mit Blick auf seine Turnschuhe du musst nur Dick Cheney im Fernsehen zuhören
aber: bist du dafür? frage ich energischer als nötig
ich bin mir nicht sicher ich bin zu lange vom Orient weg ich müsste
sagt er schwer atmend und den Blick hebend zum Westrand des Dschungels
dieser Regierung vertrauen ich tue es natürlich nicht aber es gibt eine Chance denke ich die Gelegenheit für die Iraker das Monstrum loszuwerden vielleicht die einzige und wenn sie es zu nutzen wissen ich weiß nicht aber: bist du dafür? nein natürlich dagegen der deutsche Reflex irgendein Komiker hat gesagt es sei eine gute Zeit wenn der beste Golfspieler ein Schwarzer ist und die Deutschen keine Kriege mehr führen wollen aber
er verstummt und ich erwidere nichts es ist als lauschten wir beide dem mechanischen Ablauf der nun eigentlich anstehenden Diskussion die spieldosenhaft in Dutzenden von Fernsehstudios wiederholt wird etwa mit der quasi-amtlichen AMERIKANISCHEN Position: IHR seid so deutlich gegen den Krieg dass MAN EUCH den Vorwurf nicht ersparen kann IHR ließet immer nur die USA die westlichen Interessen verteidigen während IHR allenfalls den Geldbeutel zückt aber niemals blutet und darüber hinaus muss man EUCH fragen wie weit IHR EUCH eigentlich an EURE eigene Geschichte erinnert wenn IHR behauptet die Völker müssten ihre Diktatoren stets aus eigener Kraft beseitigen und dann fragt EUCH bitte auch noch wie aufrichtig IHR an der Sicherheit Israels interessiert seid die EUCH doch so am Herzen liegt
gegen all das habe ich Argumente
die Seymour ebenso geläufig sind
wie
entscheidet also der PRÄSIDENT (von dem wir beide nicht viel halten wobei ich zugeben muss ihn nicht sonderlich gut zu kennen)
als ich in Kalifornien zu studieren begann war es gerade zum
Saturday Night Massacre
gekommen erzähle ich schließlich
Nixon
ließ die Köpfe seiner Untergebenen rollen bis hoch zum Justizminister (freilich nicht bergauf und nicht auf die irakische Art) um die Herausgabe der heimlichen Tonbandaufzeichnungen im Weißen Haus zu verhindern der
MADMEN
hatte den Waffenstillstand in Vietnam herbeigebombt der Krieg forderte (bei wem)
58 000 amerikanische
2 000 000 vietnamesische Menschenleben
als ich auf dem Palm Drive auf das Hauptgebäude der Stanford University zufuhr (jene seltsame Klosterfassade die rot gedeckten großen Campushäuser drumherum irgendetwas zwischen Indianerstadt und riesiger Benediktinerabtei die langen Wandelgänge und grünen Quads nie verliebte ich mich häufiger rannte größere Strecken schlief weniger las ähnlich viel) stand der schmachvolle Rückzug der Supermacht aus Saigon noch bevor bei dem sich die Flüchtenden auf dem Dach der amerikanischen Botschaft an die Kufen der Armee-Hubschrauber klammerten
du bist in der totalen Krise und Erschöpfung angekommen sagt Seymour damals und jetzt wieder
als hättest du ein Abonnement für die amerikanischen Traumata hätte er hinzufügen können aber er unterlässt es in jenem Vietnam- und Watergate-Amerika liegen unsere mittzwanziger Jahre begraben an zwei ziemlich weit voneinander entfernten Ecken des Friedhofs der Jugend (mein Post-Woodstock-Feeling an der Westküste wohingegen der MIT-Absolvent mit zwillingsschwangerer Ehefrau als Etappenhengst Öl für die Armee organisierte) den der Pflug der Zeit umgegraben und dabei die Knochen so durcheinandergeworfen hat dass wir uns im Nachhinein kaum mehr zu sortieren wissen
der ungeheure Druck von hundert aufeinandergestürzten Stockwerksdecken ließ dagegen fast alles an der gleichen Stelle er legte die Etagen dicht wie Spielkarten zusammen die unvorstellbare Kompression der Türme
the pile
von den Volumina (Inseln eines anderen Planeten) her betrachtet erklärte der Fachmann bei FOX
waren die Türme ja fast nur
Luft
es drängt mich Seymour einzugestehen dass ich Angst habe Ende der kommenden Woche an der Columbia meine Gastvorlesung anzutreten dass ich fürchte die Studenten nicht zu ertragen ihre Jugend ihre Arroganz ihre Fröhlichkeit ihre Neugier die perfekten frischen Gesichter all das Übertriebene
die Übertreibung
am Leben zu sein
Seymour sieht auf als wir halblaute militärisch klingende Frauenrufe näher kommen hören eine halbe Minute später läuft ein Dutzend junger Mütter in sportlicher Aufmachung den Hügel herauf vorbei an der Bank auf der wir sitzen befehligt von einem paramilitärisch wirkenden weiblichen Aerobic-Coach der sie anweist ihre mit Ein- bis Zweijährigen besetzten Sportkinderwägen nur mit der linken Hand zu schieben während die Rechte auf Cäsarenart zu heben ist wir könnten lachen wir könnten heulen wir hätten angesichts dieser jungen Frauen zurückstürzen können in die verzweifelten glücklichen Gräber unserer frühen Vaterzeit (nur ich habe die schwangere Amanda geliebt)
was sagst du zu denen fragt Seymour und sieht mich plötzlich eindringlich an
ich verzeihe dir
hätte ich in diesem Augenblick beinahe gesagt
I heard that you ask’d for something to prove this puzzle the New World,
And to define America, her athletic Democracy
sage ich stattdessen mein Hirn steckt voller Zitate eine Berufskrankheit wie Seymours Heimsuchung durch die Rohstoffaktienkurse
es ist eine harte und gute Zeit erwidert er die athletische Zeit ich meine wenn du jung bist wie verrückt arbeitest und eine schöne unzufriedene scheinbar noch völlig gesunde Frau mit kleinen Kindern hast er war Jahre früher Vater geworden aber schon der Beginn der guten Zeit (die Zwillingsschwangerschaft seiner Frau Phillis meine Ankunft in Palo Alto) war mit den Ereignissen im Nahen Osten verknüpft auch wenn wir uns nicht sonderlich darum kümmerten der Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München lag erst ein Jahr zurück jetzt stauten sich die Blechschlangen vor den verdursteten Tankstellen Seymour erfuhr früh von den heimlichen Öllieferungen die der Saudi-König Faisal für die US-Army gestattete das Embargo
sagt er war eine eher kuriose Sache die sich nicht wiederholen wird wenn du genau hinschaust dann fragst du dich schon ob es je eine gute Zeit gegeben hat damals starben viel mehr Menschen im Krieg was sagt eigentlich dein Goethe dazu
die Geschichte (sagte Goethe) ist ein Mischmasch
aus Irrtum und Gewalt
nun ich denke (sagt Seymour) er wollte seine Ruhe haben
wie wir alle fügt er hinzu das ist wirklich global die Menschen wollen von der Geschichte in Ruhe gelassen werden (und wehe dem den sie belästigt ergänze ich
nicht)
Goethe meint Seymour und beginnt zu husten jener eigentümliche flache Trümmerhusten der mir jedes Mal ein schlechtes Gewissen weckt
ACE-Hemmer erklärt der Ölmann nach einer Weile in der er eine Handfläche mit der Innenseite nach außen gegen den Mund presst es ist wahrscheinlich eine Nebenwirkung ich esse jede Menge Pillen wie ein Kanarienvogel seine Körnchen er freut sich und wehrt sich zugleich als ich mich näher nach seinem Gesundheitszustand erkundige in seinem Trainingsanzug erinnert er an einen alternden Boxer der sich selbstironisch seiner Niederlagen erinnert
seine Tage
(bei Northern Oil)
seien gezählt er sei jetzt fast so lange arbeitsunfähig gewesen wie ich mir Urlaub genommen habe um
auch dein Buch über Goethes Frauen zu Ende zu schreiben? fragt er zweifelnd aber ohne die geringste Häme oder Herablassung er sieht angelegentlich zu den entfernt noch einmal ins Blickfeld geratenden paramilitärischen Jogging-Müttern auf und zuckt leicht mit den Schultern wie um anzudeuten dass wir
in unserem Zustand
mit Frauen ohnehin nichts mehr anzufangen wüssten
ich werde es nicht zu Ende schreiben ich kann mich nicht mehr hineindenken in diese Geliebten meine Vorlesung wird sich nur mit den Werken beschäftigen ich brauche etwas
Unpersönliches
Goethe sagt Seymour erneut (es hat eine anrührende und komische Wirkung auf mich wenn er den schwer aus seiner tiefen Kehle zu hievenden deutschen Umlaut zugleich mit dem gewichtigen Namen stemmt)
der West-östliche Divan sagt er weiter auf Deutsch Goethe habe sich das wisse er von den gebildeten Saudis Irakern Persern die er im Ölgeschäft antraf sehr für den Orient interessiert ja manche hätten gar behauptet er wäre Muslim gewesen
und ich denke (mit einer plötzlichen Wendung zu mir) dass dich
jetzt heute gerade hier
die Studenten danach fragen werden was es damit auf sich hat
Goethe war Araber
sage ich impulsiv und für mich selbst überraschend was also
meinte ich damit es liegt doch eine gewisse Ähnlichkeit der historischen Situation eine Analogie oder strukturelle Entsprechung vor wenn wir die Lage des verworrenen verkrusteten reformbedürftigen schwachen zögerlich sich urbanisierenden traditionslastigen provinziellen christlichen monarchischen mittelalterseligen nostalgisch dem Phantom des Heiligen Römischen Reichs nachtrauernden konservativ-autoritären Kleinstaaten-Deutschlands bedenken (vergiss einmal Preußen) das von der rationalistischen Großmacht aus dem Westen überrannt und umgepflügt wird geostrategisch benutzt ökonomisch erpresst mit harten Schnitten modernisiert und hineingerissen in den großen Krieg gegen die Macht im Osten
zumindest wenn wir das späte 19. und das 20. Jahrhundert in Augenschein nehmen und den Nahen Osten insgesamt unter der Last des europäischen Imperialismus und des Kalten Kriegs
Seymour wusste nicht dass Goethe Napoleon verehrt hatte (wie fast alles so genannte Große) er wäre dann ein pro-westlicher Araber vermutet er auf meine Auskunft hin ein großer Dichter in seiner eigenen Tradition und Sprache der aber den Eintritt des Orients in die Moderne als unvermeidlich erachtet womit er (Seymour) wohl auch besser formuliert hat weshalb sich Goethe den kaiserlichen Orden eifrig an die Brust nagelte oder nicht was ist die
Wahrheit
in der Dichtung die sich
mit uns vollzieht
der große Dichterpfau der sich am Großen noch größer tut
Übermacht, ihr könnt es spüren,
Ist nicht aus der Welt zu bannen;
Mir gefällt, zu konversieren
Mit Gescheiten, mit Tyrannen.
hat sein Erfurter Moment (1808)
als der
KAISER (vierzigjährig gut angefettet die knapp sitzende avocadogrüne Uniformschote aufgeplatzt in mittlerer Brustbeinhöhe die arterienblutrote breite Schärpe das irgendwie fechterhafte oder strampelanzugsartige Übereinander von weißer Weste und weißer Hose die in schwarze kniehohe Stiefel mündet das Gesicht unter der Raffael-Putten-Frisur feist und schier quadratisch die bohrenden Augen die lange Nase der kleine waagrecht geschnittene Mund eingelagert in einen zu großen weißlichen Rahmen aus gewölbtem Fett oder beinahe schon matt glänzendem Speckstein)
den sechzigjährigen
M. Göt
eines Vormittags empfängt damit er IHM
stehend
beim Petit Déjeuner zusieht und beim
siegesverheißenden Zurichten der Welt wie
ER glaubt und all die ein- und ausgehenden Offiziere und Diplomaten bewundern kann die immer wieder den Monolog des Imperators unterbrechen wie auch dessen ziemlich unerhebliche Anmerkungen zu des Dichters Werther
Goethe (sage ich zu Seymour) hat IHM kein Drama geschrieben ist nicht der Aufforderung gefolgt nach Paris zu gehen und verzapfte auch keinen Afterjournalismus über das Kaisertheater Napoleons mit dem Zaren er ist ganz der Staatsminister des armen Winzstaates geblieben den eine Willkürregung des
GEWALTIGEN
hätte von der Landkarte fegen können ein
Jordanier also meint Seymour
uns bleibt die schöne Ungewissheit der Balance: Zyniker Konservativer Opportunist weitsichtiger Geist dem Letzteren wäre sicher bewusst gewesen dass die brutale Expansion des Tyrannen ebenso wenig das letzte Wort der Geschichte sein konnte wie die eisernen Befreiungshalsbänder des Wiener Kongresses die klassizistische Dorothea ehelicht Herrmann und behält doch den Ring ihres ersten Geliebten der für die Revolution fiel
war er auch Amerikaner?
will Seymour wissen ich meine Goethe
er war der Auffassung dass Amerika es besser habe ich glaube weil es von den alten Dämonen der Geschichte verschont wäre
alte Dämonen sagt Seymour das sind wir und
wir
erheben uns in der Mittagssonne
zerfallen aber nicht zu Staub können nicht joggen und sollten uns wohl besser trennen oder etwas essen gehen vielleicht in einem Restaurant am See den wir gleich erreichen werden aber nichts scheint angebracht und so schlurfen wir nur noch eine Viertelstunde unschlüssig nebeneinander her in unseren Sportverkleidungen die uns bis auf einen Wohnungsschlüssel und einen 20-Dollar-Schein auf das reduzieren was von uns übriggeblieben ist sähe uns Amanda jetzt (muss ich denken) sie fände uns lächerlich aber der Gedanke an ihren Spott und sein mögliches plötzliches Umschlagen in Güte oder Herzlichkeit während wir gemeinsam durch den mittlerweile stark bevölkerten Park im Spätsommerlicht gehen der sich aufputzt zu seinem sonntäglichen Pfauenrad
schier explodierenden Lebens
führen dazu dass mir Amanda plötzlich wieder auf eine schrecklich direkte sinnliche klaffende Art fehlt
so wäre es nicht der Fall wäre sie einfach nur
verschwunden
vor einigen Jahren (als sie sich von mir trennte immer vergesse ich weshalb)
Seymour scheint meine Gedanken zu erraten als wir uns beim Hunter’s Gate verabschieden sagt er plötzlich etwas über seinen Psychiater oder Analytiker mit einer jähen Eindringlichkeit so dass ich wegen seines verschossenen weinroten Trainingsanzugs wieder an einen Boxerfilm denken muss nun an diese Szenen in denen der Coach dem angeschlagenen Helden den entscheidenden Tipp für die unvermeidliche
Wiedergeburt
gibt sein Therapeut habe ihn auf den Gedanken gebracht der mir vielleicht noch nicht gekommen sei oder womöglich doch weil ich ja ständig nachdächte jedenfalls wolle er ihn mir mitteilen nämlich
dass es das Schwierigste wäre
sich zu verzeihen — was
nun ja es käme vielleicht erst noch oder habe sehr langsam begonnen
sich also zu verzeihen
dass die eigene Trauer nachlasse Monat für Monat
Jahr für Jahr
Elegie
Wie soll ich ohne Dich singen? Du warst doch mein Atem.
Näher als mein Herz, fielst mir leichter als Luft.
Wie soll ich ohne Dich schlafen, über dem Abgrund der Stille?
Meine Brust ist aus Stein, mein Körper eine Gruft.
Man sagt, der Tag bringt das Leben. Aber mich lässt er sterben.
Fehlt das Licht, das Dich sieht, kann ich auch nicht mehr sein.
Wie soll ich ohne Dich enden? Du hast mich erfunden!
Nur wenn Du Dort bist, bin ich nicht mehr allein.
Die durchschossenen Eisendrahtmatten formen in der Art eines großen zerfetzten Basketballkorbs oder zerrissenen stählernen Fischernetzes die einstige Flugbahn nach an den Rändern des in der Bunkerdecke klaffenden Lochs durch das weißes Tageslicht auf den nackten Boden fällt ragen daumendicke Drähte ins Dunkel wie Tentakel oder Fühler einer zynischen oberirdischen Macht der es eingefallen ist die Finsternis mit alten rostigen Instrumenten zu erforschen eine Blechverkleidung von zehn Metern Länge ist wie eine Stoffkrawatte um eine der mit Brandspuren gezeichneten Betonsäulen gewickelt ich will die
Schatten
an den Wänden gar nicht sehen von denen es heißt sie seien wie Negative der im Bunker Schutz Suchenden vom tödlichen Blitz der Bombe in den Beton gebrannt worden ich betrachte nur
stumm und bleiern
mit dieser neuen schrecklichen Schwere meines Körpers
die goldgerahmten Fotos der Kinder und Frauen zwischen den Sträußen echter und künstlicher Blumen den Wimpeln mit Koranversen den Stofftieren und anderen kleinen Erinnerungsstücken
das Loch
klafft in meinem Kopf in meinen erzenen Kopf das weiße Licht sengt ihn aus wie ein Schweißbrenner ich werde hierbleiben müssen denke ich aber ich werde bald nicht mehr atmen können ich erstickte schon wären nicht
Huda und Eren
immer dicht neben mir stützten sie mich nicht flüsterten sie nicht in mein Ohr umfassten sie nicht meine Oberarme
alles war falsch! muss ich unentwegt denken mein ganzes früheres Leben in dem ich schon einmal hier war (vor zwei Jahren) mit der gleichen Schulklasse den gleichen Lehrern die uns die gleiche Darstellung der Ereignisse gaben die sie uns jetzt wieder geben ich denke immer wieder an Kasims Geburtstagsfeier zurück immer wieder an diese mir nun vollkommen unfassliche hoch schwebende Stimmung immer wieder daran dass kein einziger Militär unter den Gästen war immer wieder an
das Phantom
meiner schönen glücklichen starken
Schwester aber
ES IST DOCH NOCH GAR NICHTS GESCHEHEN!
sagt Eren beschwörend sie kennt das von ihrer kurdischen Familie von Vorkommnissen in Sulaimaniya und Raniyah im Norden
als wir das erste Mal in diesen Bunker hinabstiegen war ich fünfzehn ich war erschüttert ich war fassungslos bei der Aussage dass sich die kochende Haut der Menschen in den Beton gebrannt hatte große Wassertanks sollen explodiert und das Wasser sofort verdampft sein ich war voller Hass auf die Amerikaner die (wie es hieß) absichtlich diesen Luftschutzbunker bombardiert hatten in dem sich (wie es hieß) 1000 Menschen befanden oder 500 (wie es woanders hieß) oder 300 (wie es noch weiter westlich hieß) drei Zahlen drei Mal so viele vernichtete unsichtbare Leben
wer einen Menschen tötet, tötet alle Menschen
sagst Du vor dem Hintergrund des kleinen Paradies-Dachgartens der Rikabis ich bin vom Modergeruch des Bunkers durchdrungen ich kann bald nicht mehr aufrecht stehen ich sehe dass die ganze Schulklasse Frau Khadurri und Herrn Basim umringt die erneut die Geschichte dieses Bunkers in Al-Amiriya erzählen der am Morgen des 13. Februar 1991 von amerikanischen Tarnkappen-Bombern unter Beschuss genommen wurde diese Führung dieser vorgeschriebene Schulausflug mit dem Bus die unvermeidliche Fröhlichkeit die alle beim Einsteigen ergriff als ginge es um ein Picknick oder zu einem Fußballspiel obwohl sie wussten dass wir nur ein kurzes Stück fahren und dann der Reihe nach durch den weiß umrahmten Bunkereingang gehen würden (am Scheitelpunkt der aus zwei Armen bestehenden Blende eine aufgemalte stilisierte Rose)
vorgestern noch
wäre mir das alles nur wie eine lästige Wiederholung erschienen aber jetzt
ist es wie eine Wiederkehr in einem anderen Leben in dem alles viel schwerer wiegt viel tiefer peinigt so schockierend unruhig so gespenstisch sind die Augen der Getöteten auf den Fotografien als erkennten sie mich plötzlich als wüssten sie dass ich nein: etwas
ein Teil von mir
ihre Welt betreten hat und dass ich deshalb anders glaube ich glaube jetzt
an die Möglichkeit der Vernichtung
das ist der Unterschied deshalb ist es ein neues furchtsameres Leben ich werde hier ersticken Huda (deine Finger umschließen weiterhin fest meinen Oberarm und wenn ihr Druck nachlässt werde ich fallen) ich erinnere mich daran dass es mich vor zwei Jahren wütend machte zu hören dass sich die amerikanische Regierung nie für diesen Anschlag mit so genannten Präzisionswaffen entschuldigt hat ich fühle jetzt keine Wut mehr sondern nur noch die
Schwere
eines trostlosen Entsetzens ich kann es auch kaum mehr ertragen dass man uns vor der Aussicht auf einen neuen Krieg mit dem Horror des jüngst vergangenen quält (gewiss wir sollen zum Jahrestag von 9/11
wütend
auf einer Demonstration verschiedener Schulen marschieren unter dem Motto wir verstehen euren Hass auf die Terroristen aber die Terroristen
seid ihr)
drei mal ist diese Al-Amiriya-Bombe in mein Leben gefallen das erste Mal war ich gerade sechs Jahre alt wir waren bei Kriegsbeginn in das große Familienhaus in Wasiriya gezogen und ich wurde von meiner Mutter aus einem Gewirr von Cousins und Cousinen herausgeholt die sich die Schreckensbilder weiter betrachten durften weshalb ich schockiert und empört zu schreien begann wir werden bestimmt wieder nach Wasiriya ziehen wenn erneut Bomben auf Bagdad fallen die Familie schließt sich zusammen bei Katastrophen und bei Festen ich
könnte auch immer nur
in einem solchen Bunker liegen unter der erschütterten Oberfläche meines Landes ich falle wieder zurück ich war doch vorgestern noch
eine Prinzessin in Babylon
muss ich immer nur ertragen was
ich voraussehe ich sah den Major auf der Hochzeit im Leib meiner Schwester und ich traf ihn in der Wirklichkeit mit den Händen an ihrem Hals und eben weil er nicht auf dem Fest in Al-Mansur erschien (weder er noch ein anderer Militär) glaube ich dass alles von ihm ausgegangen ist auch wenn mein zitternder blasser heulender Schwager Kasim vorgestern Abend in unserem Haus nichts zu wissen nichts zu begreifen vorgab
seine Frau
ist so grundlos
verhaftet entführt weggeschafft
worden wie so viele wir kennen das doch wir kennen es von diesem und jenem der jemanden kennt dem es passiert ist es
kann alles heißen
sagte Tarik wir werden es herausfinden wir werden sofort damit beginnen ich rufe alle Leute an die infrage kommen und uns etwas sagen können ich kann hier nicht still sitzen es erstickt mich ich kenne einen wichtigen Baath-Mann ich habe ihn lange behandelt vielleicht kann er ermitteln wohin sie Jasmin gebracht haben es gibt Fälle in denen
man
etwas
regeln kann
aus dem tiefsten Schatten des Bunkers
kommt (ich erinnere mich beinahe nicht) die schwarze Frau die seit zehn Jahren hier lebt sie zeigt allen die ihr zuhören oder ihr etwas Geld geben die Bilder und die Überbleibsel ihres Mannes und ihrer neun Kinder sie war nur kurz aus dem Bunker gegangen um etwas zu besorgen vor zwei Jahren erschrak ich nur vor ihrem bleichen Gesicht ihren hohlen Wangen den schwankenden Bewegungen jetzt suche ich plötzlich etwas
in diesem Schrecken
eine Spur die Anzeichen einer
Kraft vielleicht das Geheimnis der Fähigkeit solche ungeheuren Dinge so lange zu ertragen ich spüre aber wieder nur dieses Gewicht das an mir zieht ich bin wie ein Taucher der so tief sinkt bis er den letzten Sauerstoff verbraucht hat ES IST NOCH NICHTS GESCHEHEN ich bin
nicht
zusammengeklappt in der Kälte und Finsternis des Bunkers meine Freundinnen bringen mich ans Tageslicht meine Mutter sagt Huda kennt so viele in der Partei wir werden es herausfinden diese Schweine ich atme
die staubige heiße Luft ich höre
gleichgültig
den hastigen Vortrag unseres Geschichtslehrers über die Ursachen des letzten Krieges der in unseren zwanzig Jahre alten Schulbüchern noch gar nicht stattgefunden hat jene Mutter aller Schlachten die durch die Öl-Intrigen der Kuwaitis herbeigeführt wurde jene aggressiven Übergriffe die unser Führer einstellen musste wodurch der US-amerikanische Imperialismus die Gelegenheit gekommen sah seinen Pfahl in das arabische Fleisch zu rammen und
uns auszuhungern! uns abzuschlachten! uns zu erniedrigen!
als wären wir Rothäute!
brüllt Herr Basim plötzlich kaum dass wir im Bus Platz genommen haben wir kennen seine Wutausbrüche so ist es immer wenn er auf das UN-Embargo die Millionen verhungerter irakischer Kinder die zerbombten Schulen und Krankenhäuser zu sprechen kommt es fällt ihm leichter sich dieser Dinge in Wutanfällen zu entledigen immer im gleichen Wortlaut wie ein mechanischer Vogel er kann im nächsten Augenblick wieder sanft und nachdenklich werden und auch dieses Mal war es mehr wie ein Startsignal für den Busfahrer zur Rückfahrt ich fahre so selten (die großen Ausnahmen waren unser Ausflug nach Babylon und die Taxifahrt nach Al-Mansur) dass ich mich gegen ein automatisch einsetzendes Gefühl der Freude und Erleichterung kaum wehren kann durch die klappernden offenen Fenster kühlt uns der Wind die Hupen der Autofahrer und der dröhnende Motor des Busses erzeugen einen solchen Lärm
dass ich aufstehen und vielleicht ganz ungehört herausschreien könnte
DASS MEINE SCHWESTER VERHAFTET WORDEN IST
es ginge mir dann vielleicht auf die gleiche Art besser wie dem nun ganz entspannt und friedlich auf seinem Sitz dösenden Herrn Basim der eigentlich ein Kindergesicht mit Schnurrbart hat sollen wir denn immer nur in Wut oder Erschöpfung leben ist es das
was jetzt kommt? nicht nur für mich sondern für alle anderen auch wenn es einen Krieg gibt
nur Huda und Eren scheinen mir noch wirklich und nah zu sein (die hübsche pralle Tochter einer Baath-Karrierefrau und die sich fünf oder sieben Kinder wünschende scheue und kluge Kurdin) ich fahre Bus wie ein Sack Mehl ich gehe inmitten meiner Schulklasse wie ein Gespenst ich hasse mich für meine Schwäche denn noch
IST NICHTS PASSIERT
was wird erst mit mir geschehen wenn sie Jasmin quälen oder töten ich bin betäubt wie die ganze Familie als sie die Nachricht erfuhr Tarik Farida Sami Kasim alle bewegten sich wie in Zeitlupe nur noch wie bleierne Marionetten in ihrem eigenen Leben die Ohnmacht drückte alle nieder dieses narkotische Gewicht bis Tarik aufsprang und aus dem Haus lief
unsere Aufgabe
die Aufgabe der Abiturklasse
ist es
einen Ort zu beschreiben an dem wir gerne einen Tag verbringen würden es sollte uns nach der Bunkerbesichtigung helfen uns wieder aufzurichten Herr Basim schenkt uns das wie sich selbst einen Wutanfall ihr sollt wieder zur Ruhe kommen das ist wichtig erklärt er denn in den nächsten Monaten sei noch eine Menge Stoff zu bewältigen fast klang es so als wollte er sich für den ganzen Ausflug entschuldigen ich
koche (allein) für meinen Bruder der zusammengekrümmt auf seinem Bett liegt nicht ansprechbar nicht hungrig zu nichts zu bewegen ich finde Zettel von Tarik und Farida mit der Nachricht dass sie Termine hätten aber ganz bestimmt am späteren Abend oder in der Nacht nachhause kämen
ich sitze an meinem Schreibtisch ich starre aus dem schmalen Fenster auf die Hauswand der Rikabis eine rau verputzte Fläche wie alter Schnee der Ort an dem ich einen (den) Tag (meines Lebens) verbringen möchte liegt doch genau hinter dieser Wand ich nenne ihn
die Schweiz
wegen der Gletscherfarbe eine
Fliege landet auf dem Eis und gefriert bei 40 Grad im Schatten gefrieren uns die Knochen bei dem Gedanken an den Ort unserer Schwester
die Familie
ist ein einziger zusammenhängender Körper eine Verletzung an einer Stelle zieht unweigerlich alle anderen Teile in Mitleidenschaft ich erkenne ich spüre das jetzt und ich schreibe Babylon aber ich sehe
Paris schreibe Babylon
vor 2600 Jahren
wie unglaublich erwachsen und überlegen Jasmin damals für mich war
am Ziel meiner einzigen großen Reise im Sommer 1995 als ich mit Tarik zu ihr fliegen durfte über Amman der Reitelefant vor dem römischen Theater der mir so gut gefallen hatte steht mir wie eine Fotografie vor Augen ich entsinne mich auch genau an die zermürbende lange Fahrt auf der Wüstenstraße und an das Freiheitsglück meines ersten Flugs ich wollte Sami wäre dabei gewesen und hätte einen Blick in das wirkliche Cockpit werfen dürfen obwohl ja auch die Piloten an einem Simulator üben es war so
unwirklich und doch unbestreitbar wie im
LIFE SIMULATOR als Vater und ich in Paris ankamen Jasmin die ich seit meiner Schulzeit nur noch höchstens einmal im Jahr gesehen hatte kam mir wie eine Französin vor sie trug Lackschuhe und Jeans und eine schwarze kurzärmelige Bluse ich berührte und hielt umfasste immer wieder ihre gebräunten schlanken Arme die sich geduldig um mich legten sie war ein Wunder ein
geschenkter Mensch
dachte ich jemand der als Erwachsener mit der Frische und berauschenden Zugehörigkeit einer Geburt in dein Leben kommt
(wie Du
Geliebter
hinter dem Gletschereis von dem sich
plötzlich die Fliege wieder löst
ich läge jetzt so gerne neben Dir wie ich früher bei meiner Mutter gelegen habe und in jenem Hotel in Al-Hillah bei Babylon nicht mehr konnte an Deinen Rücken geschmiegt ohne Furcht ohne Erwartung)
ich sehe meine Schwester erneut wie
neu geboren wie in eine
Vergangenheit
gerettet vor den Aufzügen des Eiffelturms oder in einem der alten Parks im Louvre in der Metro auf einem Touristenboot auf der Seine in ihrem Studentenwohnheim auf einem Wochenmarkt ich finde sie so schön so feurig so stolz sie bringt mich in die Museen die ich damals schon liebte den Stein vor allem als hätte ich gewusst dass es besser gewesen wäre uns in empfindungslosen Marmor zu verwandeln
das Steingewicht meiner Schwester drückt meinen Oberkörper nach vorn ich träume von der Skulpturensammlung des Louvre und vom Musée Rodin und dem zu Stein gewordenen Kuss alles kann wiederauferstehen auf geschliffenen Marmorsockeln unter wunderbaren Glasdächern auf schönen glatten Treppen unser Leben wie jene von draußen hereingeholten Parkfiguren im Cour Marly
ich sagte nicht viel in diesen Pariser Tagen ich dachte vielleicht dass meine Geduld und mein Schweigen meine stärkste Kraft waren (sie sind es noch jetzt) fortwährend redeten debattierten stritten sich mein Vater und meine Schwester während wir durch den energischen Verkehrsfluss der französischen Stadt schwammen oft ohne genaues Ziel
Tarik kämpfte (nehme ich heute an) er wollte Jasmin überzeugen in Paris zu bleiben zu promovieren oder zu arbeiten ich verstand nicht genau weshalb und worüber sie stritten ich hörte nur immer wieder meine Schwester sagen
aber der Irak! aber der Irak!
und sie erhielt Unterstützung von Kasim den sie uns als älteren Kommilitonen vorstellte ich mochte ihn zunächst nicht sonderlich sein langer Hinterschädel und die dünnen Arme stießen mich ab man wusste nicht war er affenähnlich oder schon wieder auf eine Science-Fiction-hafte Art intellektuell aber er war sehr gewinnend und stellte uns im Studentenheim sein penibel aufgeräumtes und geordnetes recht großes Zimmer zur Verfügung immer wieder griff ich nach der Hand meines Vaters wohl weil ich spürte dass er die Auseinandersetzung mit Jasmin verlor und dann
abglitt träumerisch
versank er hatte hier doch studiert und so lange mit Farida gelebt hier war er Arzt geworden und von hier aus war Jasmin im Bauch meiner Mutter nach Bagdad zurückgekehrt vielleicht erschien ihm die Wiederkehr der Stadt dennoch wie ein kolossaler Traum denn in Momenten in denen er sich unbeobachtet fühlte prüfte er sie in ihren Details und betastete ungläubig und schamhaft die grün lackierten schmiedeeisernen Geländer die runden Marmortische der Cafés oder die druckfrischen Seiten in den Buchhandlungen
er trank Wein am helllichten Tag und
erinnerte sich wohl
an Dinge von denen er nicht sprechen konnte oder wollte
Jasmin sitzt gelassen
an einem Bistrotisch sie raucht sie hat ein Bein über das andere geschlagen ihre Sonnenbrille ist hoch in das schulterlange glänzende Haar geschoben so
perfekt
so unverletzt in der Glaspyramide der Vergangenheit
ich könnte zum Dach hinaufsteigen
es ist nur eine Treppe niemand achtet auf mich niemand hindert mich ich könnte Dich sehen und Dir mein Leid klagen ich könnte Dir erzählen dass ich in keinem anderen Land sein will als meine Familie dass ich gerade jetzt niemals gehen könnte dass meine Familie jetzt auch alles Geld brauchen wird um meine Schwester zu retten ich
sitze an meinem Tisch
Zehn Minuten lang
lief ich
nachdem ich mich von Seymour am Parkrand verabschiedet hatte und in Joggingkluft allein auf dem sonntäglich leeren Bürgersteig der Columbia Avenue gestanden war
ich verfiel
in Trab um den nächsten Block und konnte kaum aufhören obwohl mein Puls sofort in die Höhe ging wie der eines Untrainierten des Untrainierten der ich geworden bin
an meinem Schreibtisch
stehend
sah ich dann aus dem Fenster und wartete bis mein Körper sich beruhigt hatte bis die nun unvermeidlich durch mein Inneres tanzenden Flammen der Bewegungsfreude erloschen waren über die Bücherreihe unter der Fensterbank habe ich vor einigen Wochen einen Zettel angeheftet
Ich fühle nicht. Ich untersuche nur.
um
mir zu helfen
werde ich das Denken noch mehr brauchen als bisher denn jetzt wo ich Seymour fest zugesagt habe das Apartment für ein weiteres Jahr zu behalten wirkt meine Entscheidung (endlich) auch für mich unumstößlich obwohl sie es doch durch den Gastvorlesungsvertrag mit der Columbia für das jetzt beginnende akademische Jahr ohnehin schon war den Studenten denken zu helfen sehen zu helfen fragen zu helfen
mehr
kann ich nicht je
weniger Antworten desto besser was soll ich ihnen über Goethe und den Islam erzählen falls sie das wie Seymour meint jetzt besonders interessiert ich kann gewiss sagen dass er jeden Terror verabscheut hätte dass er weder Aufstände noch Revolutionen mochte und ebenso wenig Kriege er liebte die Ruhe die sich seinem staatsministerlichen Rat zufolge am besten dadurch herstellen ließ dass man Napoleon möglichst rasch seine Blutsteuer entrichtete jenes geforderte Quantum junges Männerfleisch nämlich das ER an einer beliebigen Stelle Europas zerhacken lassen konnte (es gibt nichts
zu verzeihen auch ich
war einmal ein junger Mann)
Goethe war ein Mann der Ordnung und der Jahrhunderte (Jahrtausende) der es für sinnlos erachtete etwas gegen die
GROSSEN DÄMONEN
seines Zeitalters unternehmen zu wollen er glaubte noch nach der Leipziger Völkerschlacht an Napoleons Sieg er hatte zwanzig Jahre lang die Kriege ins Land gehen und seinen Landesfürsten als preußischen französischen und russischen General in alle Richtungen fechten sehen also suchte er
den Schlaf (das Verschlafen der Geschichte) den Überblick
den Standpunkt unter dem sich nichts änderte
in der Ferne
leicht werden
war es das mit fünfundsechzig Jahren
am Telefon
will Luisa wissen ob sie mir morgen nicht doch das Manuskript über Goethes Frauen mitbringen solle das schon ein Jahr auf meinem Schreibtisch in Amherst liege
nein du
reichst mir sage ich und bin darüber fast ebenso erstaunt wie sie etwas in dieser Art habe ich lange nicht mehr gesagt woher könnte ich auch das Recht nehmen und einige Zeit nachdem sie aufgelegt hat bin ich doch froh darum
Luisa sagte einmal anscheinend reiche sie mir als Christiane womöglich weil sie das Haus versorge und in Amherst alles für mich regele ein Jahr war ich nicht mehr dort
es gibt Unternehmen
die ein Haus komplett leerräumen verpacken säuberlich die gesamten Eingeweide in Container deponieren das ist so tröstlich wie die Existenz von Gehirnchirurgen oder Leichenwäschern (Kindergärten Laboratorien zur Blutuntersuchung) oder Krematorien irdische
Krematorien
ich muss Goethes Frauen
begraben
gerade weil es Erzählungen (Fiction) oder schier Erzählungen waren sie sind nicht gut genug ich hatte natürlich Dinge wie Thomas Manns Lotte in Weimar im Kopf und mühte mich arg (doch noch ein Schriftsteller zu werden)
zu arg
ich denke nur
du solltest vor einer Tafel stehen
sagte Amanda Lehrer werden ich glaube das ist das Beste für dich sie sagte es ganz natürlich ganz überzeugt ohne Nachdruck während eines Abendessens bei Kerzenschein so bestimmt und einfach dass ich nicht umhin konnte zu glauben
die Wahrheit
spräche aus ihr
war Goethe ein Muslim?
werden mich die Studenten das fragen es könnte sein er war Dichter und somit
alles Mögliche
das islamisch-orientalische Spiel hat ihn nicht mehr beschäftigt als vieles andere ich werde eine Unterrichtseinheit aufbauen vom Mahomet-Fragment des 23-Jährigen über die unfreiwillige Übersetzung und Inszenierung des gleichnamigen Voltaire-Stückes für seinen Landesfürsten bis zum großartigen Alterswerk des Divan werde ich es?
die Unruhe vor Luisas Ankunft
am späten Nachmittag (mein Lebensalter) habe ich das Apartment so penibel aufgeräumt dass es mir mit Ausnahme des Schreibtischs vorkommt wie eine einzige Bügelfalte und eigentlich war es ja auch vor meiner Ankunft so
dass ich mich wegdenken konnte
von hier und von dem bald völlig kahlgeräumten Haus in Amherst
eine unerträgliche Kälte liegt aber in der Vorstellung des Beseitigt-Seins es ist wie bei diesem feierlichen Abtransport der letzten Trümmer am Ground Zero im April die tödliche Würde Friedhofswürde der freigelegten säuberlich desinfizierten riesigen Wunde in der die Soldaten herumstolzierten mit ihren akkurat geplätteten Stars-and-Stripes-Heftpflastern hilflos und verrückt erscheinende Rituale angesichts der ungeheuerlichen Verbrennung
aber
was soll man tun sagte Seymour an jenem Apriltag gerade aus der Klinik entlassen mit schwerem Atem sich auf mich und seinen Sohn stützend als wir ein hölzernes Aussichtspodest erklommen
ich kann nicht
nicht leben
solange ich atme es geht gar nicht darum
mir etwas zu verzeihen auch nicht die fiebrige Ungeduld die mich bei der Vorstellung von Luisas Ankunft packt wir haben uns sechs oder sieben Mal im vergangenen Jahr gesehen die ersten Male wohnte sie bei einer Freundin dann nahmen wir uns teure Hotelzimmer die uns mit ihrem groß geblümten Komfort und ihrer Cadillac-artigen Geräumigkeit elend machten und geschlechtslos zusammenkauern ließen als hätten wir unter einer Brücke nächtigen müssen
das letzte Mal (Anfang August)
schlief Luisa schon hier und ich starrte ihren Körper an wie einen weißen undurchdringlichen Stein die atmende lächelnde geduldige Statue des größten Bildhauers der mich verhöhnen wollte mit vollkommener Nähe und absoluter Vergeblichkeit
die Lähmung (denke ich jetzt) muss ich wohl auf die von mir unterlassene Frage zurückführen weshalb
sie noch mit mir zusammen ist was auch immer das bedeuten mag wenn man sich wie ein Paar benimmt aber nicht mehr in den
entscheidenden Dingen (ich weiß, Luisa …)
nachts das
Fernsehen
zunächst nur um meine Nervosität und Ungeduld und Furcht niederzukämpfen sie bringen eine Dokumentation über islamistische Selbstmordattentäter die ich eigentlich nicht mehr sehen möchte aber dann fängt mich
eine Frau eine Engländerin die als
Expertin
durch Untertitel ausgewiesen wird immer wieder erscheint sie zwischen anderen redseligen und schwer erträglich Bescheid wissenden männlichen Kollegen (Historiker Politologen Psychoanalytiker Kulturwissenschaftler Orientalisten Journalisten) die englische Expertin sagt zumeist auch nur Dinge die mir bekannt vorkommen und kaum tiefer gehen als die Analysen der anderen sie spricht von der mangelnden Bildung der politischen Ohnmachtserfahrung der autoritären Erziehung der islamistischen Gehirnwäsche der Suche verwirrter Individuen nach Transzendenz und Erlösung
einmal nennt sie die Mörder
einfach nur
KINDER
ohne damit etwas entschuldigen zu wollen sagt sie aber das ist es nicht was mich an ihr fesselt oder provoziert nicht dieses beinahe mütterliche Verständnis einer brünetten vogelnasigen Vierzigerin in einem regenschirmartig schimmernden grauen Kostüm eine fast unschöne Frau eigentlich mit schmalem Oberkörper und einer jähen Beckenverbreiterung die einige Male von einem offensichtlich von mir gesteuerten Kameramann (interaktives TV) mit unsinnigen Kameraschwenks in Richtung der Sitzfläche ihres rot bezogenen Bürostuhls erfasst wird es
erregt mich
und ich suche ganz verstört einen Grund dafür
bis ich mir (fast auflachend) eingestehen muss dass das schon alles war sie erregte mich einfach (die Kombination weiblicher Intelligenz mit einem unfreiwillig oder habituell jedenfalls ganz beiläufig laszivem Element)
ich finde nichts unpassender als das
in der Nacht vor Luisas Ankunft
gehe ich hinaus um mich zu beruhigen nachts auf der Upper-Westside ich gehe durch die Straßen wie in den erbärmlichsten Tagen meiner Studentenzeit nur ohne Gier und Hoffnung und Zukunft durch die Amsterdam Avenue nach Süden bis zum Broadway dem ich bis zum Times Square folge und oft noch bis zum Madison Square Park es ist ein Hineinstreben in eine immer unruhigere sich verdichtende urbane Zone in unzugängliches zuckendes und blinkendes Leben wenn ich stark übermüdet bin wird es etwas wie
ein Gleiten
in der Menge
auf Licht und Lärm
Manhattan crowds, with their turbulent museal chorus!
Manhattan faces and eyes forever for me.
in der spektralisierten Dunkelheit ist es eine Art Taubwerden und seltsam unempfindliches strahlendes Eingeschlossen-Sein als wäre
die ganze Stadt
ein Lichtspiel der Zukunft
miniaturisiert auf Fingerhutgröße eingefasst in ein
Glasstück
in eines der Prismen das der Geheime Rat Johann Wolfgang von Goethe in seinem Weimarer Garten eines schönen Septembertags im Jahre 1805 gegen die Sonne hebt um seine Farbenlehre zu prüfen
Licht über Licht
soll es im Koran heißen was suchte Goethe im Islam was sage ich den Studenten einige davon vielleicht unter diesen jungen erschöpften aufgekratzten (unnatürlich geröteten) Gesichtern die mir in den mit Neonröhren bepflanzten Riffen entgegentreiben
Gott existiere nicht als Person nicht als einzelne in irgendeinem Sinn menschenähnliche Figur
Gott sei untrennbar von Natur und Kosmos
Gott habe den Lauf der Dinge unfehlbar bestimmt und nichts versetzte uns in die Lage ihn zu ändern oder auch nur annähernd zu ergründen und in diesem Fall also ist
Gott
der Mörder meiner Tochter
und ich verfluchte ihn rettete mich nicht mein Atheismus davor
der mich alle zwei Wochen in eine der hundertjährigen neugotischen oder halb-byzantinischen New Yorker Kirchen treibt zumeist in die Cathedral of Saint John the Divine (weil sie nahe liegt oder weil ihre pure Größe mir Luft zum Atmen gibt der nicht nutzbare Raum der spirituelle Überfluss die kühle Leere ein nicht sogleich wieder von Bankern Maklern Behörden wütenden Anwohnern skrupellosen Spekulanten profilierungssüchtigen Politikern klientensuchenden Psychiatern umkämpftes sinnloses Volumen über den Gebetsbänken ich wollte
an Ground Zero
nur einen einzigen gläsernen Sarg und so
bin ich
wie alle anderen) und ich bete für Sabrina
zu NICHTS
ohne
Worte denn nur so kann ich glauben dass meine Fürbitte erhört wird dass das Nicht-Ausgesprochene in eine undenkbare Erfüllung gehen wird in der
Nacht liege ich endlich müde und zerschlagen von einem dreistündigen Fußmarsch im Bett in mir vibriert der Nachhall der Stadt aber schon fern es ist als würde ich in einen Abgrund fallen weg von der lärmenden Oberfläche es muss ekstatisch sein dieses endgültige
Loslassen
und Zerteilt-Werden ich denke manchmal dass ich es einfach so schaffen könnte diesen
Übergang
wenn ich nur in der Lage wäre das Loslassen über einen bestimmten Punkt hinauszutreiben aber zumeist kommt nur der Schlaf oder ein plötzlicher Schmerz oder vitaler Impuls und jetzt ist es trotz des Fußmarsches und aller Mühe wieder die englische Expertin die meine verbliebenen Reste männlicher Energie aufstachelt zu einem eher quälerischen
Fragezeichen
sprechen wir doch noch einmal über diese Frauen
(sagt Luisa) am folgenden Nachmittag der plötzlich und endlich da ist sie vom JFK-Airport abzuholen mit der U-Bahn und dem Bus zu fahren war befreiend und fast wie zeitlos nur noch das Beiseiteschieben des Vorhangs Wirklichkeit draußen in Queens die ärmlichen Holzhäuser und verwilderten Spielplätze in fast allen Vorgärten noch Flaggen in meinen U-Bahn-Waggon kam ein riesiger betrunkener fast zahnloser Schwarzer der sich uns gegenübersetzte und mich anredete weil er mich für einen vom Flughafen kommenden Touristen hielt für einen
Russen
nämlich dem er unbedingt erzählen musste dass im World Trade Center ohnehin nur reiche Leute gestorben seien deren Angehörige man mit Geld füttere während für die Armen weiterhin nichts getan werde
Luisas Reisetasche
steht in dem kurzen Flur des Apartments als
hätte sie sich noch nicht entschlossen zu bleiben als hinge es von unserem Gespräch bei einer Tasse Kaffee in der kleinen Küche ab ob sie hier logiere oder von meinen Bemerkungen zu
Goethes Frauen
denn sie habe noch einmal in mein Manuskript geschaut nachdem ich sie am Telefon gebeten hatte es nicht mitzubringen sie begreife dass ich mich noch nicht wieder auf etwas so Persönliches wie die literarischen Porträts dieser Bürgerfrauen aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert einlassen könne es wäre aber bedauerlich Goethes Vita sei eigentlich wie eine Laterne die man in die dunkle verschwiegene Frauenwelt jener Zeit hineinhalte und man habe doch sehen können was für eigensinnige starke duldsame und hingebungsvolle Menschen das gewesen seien noch die bürgerlichsten wie Lotte und Lili mit zwölf beziehungsweise sechs Kindern oder die kühl-frigide Seelenzuchtmeisterin von Stein die erst einmal sieben Nachkommen mit dem herzoglichen Stallmeister in die Welt setzen musste bevor sie wieder zu ihrer Bestimmung als weibliches Porzellan fand
am Ende
sage ich über den kleinen Bistrotisch hinweg dessen rötliche Platte uns voneinander trennt als säßen wir in einem Straßenrestaurant
hat es mich deprimiert wie spurlos diese Frauen verschwunden wären hätten sie nicht in Goethes Romanen oder Gedichten oder Lebensanekdoten ihren Platz gefunden diese Dunkelheit
in der Millionen lebten und Milliarden heute sagte Luisa auch wenn sie sich verzweifelt mit den Blitzlichtern ihrer Digitalkameras beleuchten das waren gute Ansätze nein gelungene Ausführungen von dir
am Ende habe ich nichts Neues zu dieser Flut von Literatur über die Goethe-Lieben beigetragen
aber doch unterbricht mich Luisa ich habe das Vorwort noch einmal gelesen diese Trinitäts-Hypothese war schon griffig also dass es drei Frauen in seinem Leben gab die schwerwiegende literarische Konsequenzen hatten nämlich Lotte Marianne und Ulrike dass wiederum drei Frauen ihn ernstlich liebten eben Christiane Bettine und Marianne und dass er selbst wohl auch nur drei Frauen stärker und aufrichtig liebte nämlich den schönen Grasaffen Lili dann seinen Bettschatz Christiane (achtundzwanzig Jahre lang) und schließlich die elegische Ulrike als siebzehnjähriger Wahnsinn eines Zweiundsiebzigjährigen
zwei davon kommen zweimal vor erkenne ich mit einem unfreiwilligen Aufflackern des Engagements
ach ja sagt Luisa und du siehst: die Ehefrau und die Frau die danach kommt
zwei drei Sekunden lang gibt es über die spiegelnde Tischplatte hinweg auf der unsere Hände berührungslos zwischen dem Kaffeegeschirr liegen die Brücke einer gemeinsamen Spannung und Freude die uns früher direkt ins Bett und ineinander geführt hätte ohne zu schwanken Hupen aufheulende Polizeisirenen noch helles starkes Abendlicht über der Upper West Side orangefarbene Fenster glänzende Dachschrägen Feuerleitern ein raketenförmiger rostfarbener Wasserspeicher auf dem Haus gegenüber beim Blick aus dem siebten Stock wir gehen aus
das ist das Beste sagt Luisa ich lade dich zum Essen ein
im Flur gehen wir an der schwarzen Reisetasche vorüber als gehörte sie jemand anderem der hier zu übernachten beabsichtigt über den wir aber lieber nicht sprechen wollen
beim italienischen Abendessen
verfangen wir uns in einem ungewollten und langwierigen politischen Gespräch (besser als über Sabrina zu reden besser als die Frage aufzuwerfen die ich Luisa doch endlich stellen muss gerade jetzt wo ich nicht umhin kann zu bemerken wie gut sie noch aussieht mit 49 Jahren)
take your time don’t hurry
sagt der junge Kellner um die Leute am Nebentisch darauf aufmerksam zu machen dass sie allmählich zahlen sollten
Luisas letzte schöne Zeit ist doch
jetzt
was hält sie auf denke ich weshalb gibt sie sich mit mir noch ab
sie hat etliche Kilo verloren Yoga und Joggen sagt sie (so fürchterlich leichthin) seien besser als Sex sie sieht aus wie die künstlerische Leiterin einer Flamenco-Gruppe in die man sich anstelle der schönsten Tänzerin verlieben kann weil ihre gelassene Reife und ihre tiefere wärmere Menschlichkeit stärker strahlt ihr inneres Feuer lodert eben gerade auf weil sie an den
PRÄSIDENTEN
denkt
der wie sie sagt seinem Papa beweisen will dass man Saddam nicht nur zurückdrängen sondern auch ganz totschießen kann der das Rachebedürfnis die Ohnmachtsgefühle und die Verzweiflung einiger Millionen mit der eiskalten Ölmachtpolitik seiner berechnenden Freunde zu einer scheinbar urgerechten Sache verknetet einer heroischen demokratisch-christlichen Mission für den Big Lonesome Rider was für eine Scheiße
aber (sage ich)
die Studenten sind deprimiert unterbricht mich Luisa weil sie schon wissen was es heißt wenn Frau Rice meint der Irak sei ein Problem und davon spricht dass man in der Regierung über einen Regime-Wechsel spreche der
KRIEG
ist schon ausgemacht und wir
befinden uns bereits in der üblichen Schmierenkomödie davor sagt sie wütend (auf was ich kann nicht umhin mich schuldig zu fühlen es scheint mir eine Aggression zu sein die George W. Bush womöglich verdient hat die aber doch mich treffen sollte als impotenten traurigen
Anti-Cowboy was soll ich —)
Seymour meint es wäre vielleicht auch eine Chance für die Region es könnte wie in Deutschland nach 1945 weitergehen
glaubst du das wirklich? das ist doch nur ein Argument für euch Deutsche
Saddam wäre wohl gerne eine Art Hitler und der Irak (setze ich an)
wird in einem Bürgerkrieg versinken das sagen fast alle Experten auf die man nicht hört bist du wirklich Seymours Meinung habt ihr euch so oft getroffen
er ist sich keineswegs sicher er ist doch vor allem
was?
deprimiert sollte ich sagen zucke aber nur mit den Achseln es nervt sie denke ich (endlich) es wird mir klar dass meine seltsame neubrüderliche Verschworenheit mit dem Mann meiner ermordeten Frau etwas Verletzendes für Luisa haben könnte es wäre möglich dass sie sich ausgeschlossen fühlt von einem exklusiven Club der wahrhaftig und mit dem allerbesten Recht Trauernden auf den
Holzbänken vor der Gerbermühle am Main
im Sommer
lehnte Sabrina an Luisas Schulter sie
könnte
die mütterliche Energie einer viel älteren Freundin gespürt haben oder einer Schwester oder einer Lehrerin ich weiß es nicht ich habe Luisa nie gefragt Sabrina nie gefragt meine Tochter hebt den Kopf auf einer dieser ungewissen glasscheibenhaften Reflexionen der Vergangenheit die die Gegenwart
zerschneiden sie hebt den Kopf um jenes Gedicht aufzusagen
Nachricht
Leerer Wind, was ist die Kunde?
Kalter Wind, was sagst du mir?
Jedem kommt einmal die Stunde,
So fege ich Dich fort von hier.
bei Afghanistan war ich mir nicht sicher es geht vielleicht auch darum wiedergutzumachen was
MAN
durch die jahrelange Unterstützung der Mudschaheddin und der Taliban durch das brutale (bei Kriegsende sogar noch mit der UdSSR vereinbarte) Schüren des Konflikts das Aufrüsten beider Seiten an dem Land verbrochen hat
DIR geht es vielleicht darum sagt Luisa letztlich aber will man das hysterisch gesteigerte Sicherheitsbedürfnis ausschlachten und einen strategischen Brückenkopf gewinnen hat dir Seymour nichts über die Pipelines durch Afghanistan erzählt und ist es nicht interessant dass fast jeder Akt im vermeintlichen Krieg gegen den Terror mit dem Akt einer strategischen Einflussnahme verwechselt werden kann?
lass uns aufhören
bitte ich und mir fällt in Luisas Sinne das Argument eines Deutschen ein nämlich Immanuel Kants Deutung der Französischen Revolution als Geschichtszeichen das die Völker immer wieder benötigen werden um sich daran zu erinnern die Herrschaft aus eigener Kraft beseitigt zu haben gleichsam als immerwährendes inneres Sprungbrett der Demokratie
und es gibt noch die spanische Erkenntnis sagt Luisa dass auch Diktatoren einmal sterben und es möglich ist ohne Bürgerkrieg und Terror in die Demokratie zu finden
ich will jetzt
ein Glas Wein mit dir trinken Luisa
sage ich plötzlich nur ein Glas und immer nur mit dir das kann ich schaffen
lass es erwidert sie sanft und so trinke ich Tomatensaft
was mich bedrückt das ist der TURM sage ich dann ich meine den Staat das Land als Turm im Schachspiel der so agiert wie wir es nicht gewollt haben und wollen als
LEVIATHAN
sagt Luisa das kennen wir doch und auch das was Hobbes noch weiter ausführt um zu begründen dass im Urzustand der Krieg aller gegen alle herrsche man könne es doch einfach am Verhalten der Könige und Staaten untereinander sehen und bis heute scheint es wohl keine Rolle zu spielen ob sie im Inneren dann Demokratien oder Diktaturen sind
im Hinblick auf meine Arbeit finde ich das sehr interessant sage ich und bin dann schon in der Verlegenheit zu erklären
was ich eigentlich so angespannt tue
seit Monaten all diese Notizen und Bücher dieses Wühlen Exzerpieren
es ist
nur ein Verstehen-Wollen sage ich
im Bett
versinke ich oft
wie in Asche
in immer tiefere locker gefügte Schichten es ist ein Schweben ein Hinabgleiten und schon beinahe ein Fallen wobei ich selbst leichter und leichter werde etwas Strahlendes erreicht mich aber noch und ich öffne die Augen im Sturz durch das Gestöber schwarzer grauer silbriger weißer Flocken brennt sich das Blau jenes Tages wieder und wieder obwohl ich in immer dichtere rußigere Ebenen gerate öffne noch einmal die Augen
wirst du zu der
GEDENKFEIER
gehen fragt Luisa sanft (Pataki zitiert Abraham Lincoln Bloomberg zitiert Franklin D. Roosevelt Seymour Amandas Eltern Amandas Kollegen vielleicht Studenten vom MIT und aus Amherst)
mit dir
werde ich es schaffen
Luisa
Willkommen im Irak! die Wiege der Zivilisation
ausgeschüttet vor die Löwen
willkommen auf der ersten Seite
im ersten Buch der ersten Menschen welche die ersten Schriftzeichen
in die Haut
der ersten Opfer schnitten
willkommen in der Heimat von NebukadnezarAssurbanipalHammurapiHarunar-RaschidSaladinundSADDAMdemgrößtenaller
MESOPOTAMIER
seht
die schönen blauen Kacheln Downtown Baghdad auf denen Nebukadnezar den Blick vor IHM senkt
bestaunt
seine gewaltigen Paläste in denen ER sich
wie ein gehetztes Raubtier versteckt
riecht
den Todesschweiß seiner eingekerkerten Feinde seiner Doppelgänger seiner Vorkoster und ermordeten Schwiegersöhne
bewundert
die schwarze Stele auf der ER die Insignien entgegennimmt: Pistole Zange Elektrokabel und Schlagbohrmaschine aus der Hand seiner Götter NapoleonHitlerStalinusw
ASSYRER wie er
auf seinem Triumphrelief schimmern
die Löwen
mit kurdischen Feinden im Maul
die Stiere
die in den Eingeweiden der Perser bohren
die Drachen
auf den zu Bergen gehäuften Skeletten von Kommunisten und Demokraten
40 Scud-Raketen auf Israel
in Marmor gehauen und schon ist er größer als Saladin
ein Gott der Götter
ein Mensch unter allen Menschen
Ischtar öffne für ihn das Tor
SEINER
Toten
und ein jeder bringe
ihm das verdiente
Geschenk
nachts in jenem kahlen Hotelzimmer in Al-Hillah fand ich noch Worte für meinen Hass und schrieb auf die Rückseite von alten Speisekarten auf dem geschundenen Palimpsest von Babylon während Muna und Farida nebenan in einem Bett schliefen
jetzt
starre ich nur sprachlos auf
eines dieser fürchterlichen pseudo-assyrischen Porträts des vergilbten PRÄSIDENTEN über dem Krankenbett des Baath-Mannes KEINNAME der mit meinem Hausbesuch zwar rechnen konnte aber doch nicht so rasch
gehen wir hinaus
sagt er und ich stützte ihn als er im Pyjama in den Innenhof seines baufälligen alten Hauses hinunterhumpelt ich weiß kaum wie es mir gelingt jemanden zu stützen zu beraten zu behandeln seit zwei Tagen agiere ich wie ein Roboter um mich nicht schreiend am Boden zu wälzen neben meiner Frau die weint schweigt
weint und wie versteinert in der Küche sitzt
seit Kasim in unser Wohnzimmer taumelte um von Jasmins Verhaftung Verschleppung vielmehr zu berichten (ich habe ihn nie leiden mögen und erst jetzt im Augenblick des Zusammenbruchs überwand ich zum ersten Mal meine Vorbehalte und drückte ihm die Schulter)
sieht es wie eine persönliche Sache aus fragt KEINNAME nervös an der Zigarette ziehend die er mit seinen schwachen Herzklappen keinesfalls rauchen sollte ich hätte sehr gut daran getan
sofort
zu schweigen
und nur ganz indirekt nach Jasmin zu suchen bei einer persönlichen Sache (Kasim deutete etwas mit dem Major an jener Hochzeitsgast der mit seinen khakifarbenen Freunden der ganzen Familie im Magen lag es könnte sich um eine enttäuschte Verliebtheit oder einen zurückgewiesenen Annäherungsversuch handeln oder gar — er wagte nicht in Faridas Anwesenheit deutlichere Anspielungen zu machen) sei Geduld nötig man müsse
sondieren
aber es bestünden auch bessere Aussichten wenn man jemanden mit gutem Fingerspitzengefühl beauftrage ich
setzte starke Schmerztabletten ein
ein Drittel meiner stillen Reserve und erfahre den Namen eines Anwaltes den ich ganz privat besuchen solle oder in meiner Eigenschaft als Arzt
zuvor aber
kam mir noch mein alter Gönner Prof. Dr. Khalid Yussef in den Sinn
dessen Name in der Nobelklinik für lebendige Assyrer die von den triumphalen Fortschritten der irakischen Medizin seit drei Jahrtausenden am Leben erhalten werden niemandem mehr etwas sagte der auch nicht mehr jene Villa in Mansur bewohnte und den ich dann in einer kleinen schäbigen Betonwürfel-Praxis in Neu-Bagdad finde die bis hin zu den Patientenschlangen im Treppenhaus der meinen gleicht
gehen wir hinaus
sagt Khalid ich kann ohnehin eine Pause gebrauchen und nickt seiner Frau zu einer hageren Dame mit Kopftuch die einmal sehr schön gewesen sein muss und die seine rechte Hand geworden sei nachdem er die Dummheit begangen habe nicht Parlamentsabgeordneter werden zu wollen und nach der Dienstverpflichtung in ein Militärkrankenhaus im Norden die zweite Dummheit nämlich einem Deserteur nicht zur Strafe einen Fuß amputieren zu wollen
in der Sonne auf dem Balkon
glänzt der glatte runde Stumpf des Unterarms
ein Freund hat es gemacht ein alter Kollege auf den ich mich verlassen konnte mit großer operativer Routine sagt er scheinbar gleichmütig hier hilft die professionelle Coolness des einstigen Star-Chirurgen dem die Saddamsche Lotterie die seit drei Jahrzehnten unsere Schädel in ihrer Trommel rollen lässt ein schäbiges Los hingeworfen hat
sie könnte in Baladiyat sein im Frauengefängnis wenn du
sondierst
(die gleiche Formulierung ich muss mich auf immer neue Umwertungen meiner Terminologie gefasst machen)
und im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle
zahlst
dann habt ihr Chancen erklärt der ehemalige Chefarzt was haben sie mit der abgetrennten rechten Hand gemacht legen sie Sammlungen an fragt man sich aber ich schweige natürlich sein Schnurrbart verdeckt die Oberlippe man kann nur an den Fältchen um die Augen sehen dass er sich beherrschen muss
zwei Tage bin ich krank
habe ich zu Laila gesagt die genügend Routine besitzt um meine Patienten zu vertrösten abzuwimmeln und die meisten auch nicht viel schlechter zu verarzten als ich es könnte
der Anwalt (Sondeur) hat ein Haus in der Nähe des Wahda-Parks ich brauche nur eine halbe Stunde zu Fuß bis dahin das rasche und häufige Gehen ist meine einzige Fitness-Aktivität die mich so viele Jahre zwischen den Patientenbesuchen immer aufgerichtet und belebt hat die mich sogar in einem gewissen Sinn mit meiner unschönen fluchbeladenen traurigen großartigen vom Schlangenfluss gespaltenen Heimatstadt versöhnte dieses Netz von (halbwegs) sinnvollen Einsätzen am menschlichen Körper dessen Maschen ich knüpfte mit meiner Arzttasche in der Hand bedacht mit Respekt und Wohlwollen um Hilfe ersucht oder wenigstens Trost oder angegangen um einen kostenlosen Ratschlag
ist zerrissen verfilzt durchlöchert
die Haifische haben es zerfetzt ich taumle mehr als ich gehe Alis Satz über meine
ZUSCHAUERHALTUNG
hämmert mir in den Ohren im Gehirn Farida sieht über den abendgrauen Tigris zum Palast auf der Karkh-Seite hinüber und wünscht sich zu erleben wie er vor ihren Augen in die Luft fliegt (jetzt mehr denn je)
Saddam ermordet meine Tochter
Bush tötet meinen Sohn
das ist das Spiel der PRÄSIDENTEN das mich übriglässt wie den zerlumpten alten Ball den eine Handvoll Jungen auf einem Baugelände herumkickt künftige Rekruten für die Mannschaft des Präsidentensohns die er mit Knüppeln und Eisenstangen behandeln lässt wenn sie nicht genügend Tore schießen
Dutzende von Patienten kamen zu mir die lange Zeit
verreist
waren bis sie mit schlimm verwachsenen Knochen beschädigten inneren Organen irreparablen Nervenleiden säureverätzter Haut aus jenem
Ausland
zurückkehrten das unterirdisch oder hinter stacheldrahtbewehrten Betonmauern überall an unser Embargo-Leben grenzen kann das Höhlen- und Bunkersystem der Bestie die sich in unser Fleisch gefressen hat wie ein metastasierender Krebs
jetzt hilft nur noch
die Behandlung durch die US-Air-Force ich kann mir tausendmal sagen dass ich mich gegen Farida und meine eigene Trägheit oder Schicksalsergebenheit hätte durchsetzen und unsere Flucht hätte organisieren sollen aber gerade Jasmin wäre doch geblieben so wie sie schon immer tat was sie wollte seit sie es konnte vielleicht weil ich sie damals hinter dem Gitter des Schulhofs stehen ließ als ich in den ersten Krieg musste vielleicht weil ich sie vor dem zweiten Krieg für Jahre nach Paris schickte als sie gerade sechzehn war ich konnte sie dort nicht mehr halten als ich es Jahre später versuchte immer wieder schießen mir die Erinnerungen an unsere heftigen Debatten durch den Kopf die wir (die verängstigte Muna im Schlepptau) in der Metro führten im Jardin des Plantes und vor den Fassaden des Institut du Monde Arabe das sie mir unbedingt zeigen musste um mich an meine
Wurzeln
zu erinnern
während ich doch in deren blutigen Dickicht irgendwie zu leben verstand
Du selbst (rief Jasmin) hast mich aus Paris herausgeschafft noch vor meiner Geburt
in den Irak
sie wolle nun eben dort heiraten wo man auch ihre Geburt gefeiert habe versicherte mir mein alerter zukünftiger Schwiegersohn in einer Pizzeria mit Blick auf die Bastille-Oper und heute muss ich mich des verzweifelt rechthaberischen Eindrucks erwehren dass mich die hinter Glasfassaden verschanzte Oper nur an die protzigen verschlossenen Gebäudekomplexe erinnerte die (gleichfalls von renommierten internationalen Architekten erbaut) in ihrer vielseitigen Funktion als Palast Gefängnis Folterkeller und C-Waffen-Arsenal dem Wohl unseres Landes dienen
schließlich feierten wir im Innenhof unseres alten Familienhauses in Wasiriya ihre Hochzeit ganz wie Jasmin es wünschte sie war unbegreiflich schön und lebendig und sie war mir vollkommen entglitten ich konnte sie nur noch anstaunen irgendwie demütig und hoffend als wäre der Erwachsenenzustand deines Kindes so etwas wie eine Jahr um Jahr und Jahrzehnt um Jahrzehnt andauernde Geburt zum Licht des Todes hin
der Anwalt
ist kein Patient von mir
sondern arrogant und fröhlich wie ein Unsterblicher bis ich ihm mitteile dass ich eine sehr private Frage hätte bezüglich einer Angehörigen im
Ausland
woraufhin er sehr menschlich und mitleidsvoll sagt:
gehen wir nach draußen
so lautet anscheinend der neue Wappenspruch unseres Volkes
Liebe Iraker — gehen wir nach draußen!
während G.W. Bush die Schrecken unseres Landes hinwegbombardiert
angenommen: man sortierte vorher die Opfer auf Fußballplätzen in Stadien oder anderen sauber umgrenzten Arealen der uns doch reichlich zur Verfügung stehenden Wüste Kleinkinder Schulkinder Jugendliche beiderlei Geschlechts Frauen (zivil) Männer (zivil) Soldaten und könnte nein MÜSSTE sie allesamt in fünf Minuten zerschießen zerbomben nacheinander jede Fraktion vor den Augen der Welt vor den laufenden Kameras von CNN und Al-Dschasira und das wäre dann die Eintrittskarte für den Sieg
wer
würde dann eintreten?
es ist sehr gut dass Sie die Frage so
privat
behandeln sagt der Anwalt der sich beileibe nicht in irgendeiner Hinsicht um Gefangene Verschleppte Verschwundene kümmert denn nur so können wir mit einer gewissen Erfolgsaussicht rechnen und damit dass
Ihre Familie Sie verstehen … (erhalten bleibt?)
es ist das schönste der drei
Draußen
hier: ein traditioneller gepflegter begrünter Innenhof in dem ein Springbrunnen (das Gespräch zer-) plätschert sanft in der angenehm kühlen Atmosphäre es ist
wie eine Zaubertruhe
man braucht Geduld und diesen und jenen Schlüssel
mit der Hälfte oder drei Vierteln der Ersparnisse die ich für unsere Flucht oder Munas Studium in England oder das Aus-dem-Land-Schleusen Samis hätte einsetzen können wird es vielleicht möglich sein uns Gewissheit über den Ort zu verschaffen
an dem man Jasmin
ermordet
Spiegelung (2)
Ich suche mein Gesicht
im Spiegel. Es zerlief.
Das Glas ist nur noch Klinge,
kalt glänzend und massiv.
Wenn ich die Fäuste balle,
erscheint verzerrt und schief:
die Fratze des Diktators,
die blind der Spiegel rief.
Und wenn ich sie zerschlage,
fallen Scherben wie ein Brief
des Todes auf mein Kind,
das auf der Erde schlief.
ER
kommt nur schwer zu sich
an diesem Ort wie betäubt (nein: zu Teilen gelöscht schlecht verfertigt oder gar gefälscht schwach skizziert bloß ausgedacht) hebt er den Kopf mit dem schmalen Schädelvorbau der hohen und am oberen Rand herzförmig (fast mickymaushaft) von dichtem grau melierten Haar eingefassten Stirn der scharfen Nase deren Flügel eigenartig nach oben gezogen sind wie bei manchen holzgeschnitzten Inka-Gottheiten (wodurch seine Bereitschaft Blutopfer zu empfangen verständlicher werde sagt Luisa) den schmalen Lippen die er in Zuständen von Erregung oder Wut noch verbirgt durch zeitweiliges Einsaugen in die Mundhöhle
dieser Ort hier
muss ihm fremd sein all das
sengende blendende
Weiß schneidendes
Papier
er spürt kaum
unsere Fragen oder er ist vielleicht auch irritiert weil wir gar keine Fragen stellen sondern ihn schon verurteilt haben und ihn nur fassungslos betrachten oder uns gleich wieder von ihm abwenden keine Kamera kein
Teleprompter nur dieses
stumme Schwarz auf Weiß diese Schnee- und Tintenstille ohne
Berater
er kneift die Augen zusammen wie er es oft tut als stünde spräche er
gegen die Sonne oder einen Sturm in dessen schwarzem Auge (abubbleIliveinabubble) er sich doch immer befindet
wann beginnt der Krieg
in seinem Kopf
es ist doch auch eine persönliche Frage Luisa auch wenn du sagst er sei nichts oder eben dadurch dass er so handelte zu einem
Nichts
geworden die gesamte Regierung nur noch das Marionettentheater eines unterirdischen kollektiven leviathanischen Prozesses im Volk in UNS zu dem es keine Alternative gab ein schier mechanisches Ingangsetzen des Höllenwerks der
Rache
und der zwanghaften Wiederherstellung der Supermacht-Glorie der Vereinigten Staaten von Amerika wofür die unübersichtliche Terroristenjagd in den staubigen Bergen Afghanistans nicht hinreichte (zumal man dort den Oberschurken nicht fand) sondern der
EROS
eines großen raschen siegreichen effizienten Kriegs vonnöten war (ganz woanders allerdings mit absehbar geringen eigenen Verlusten und diese ohnehin fast nur bestehend aus jungen HELDEN im Durchschnittsalter von Studienabgängern in Zinksärgen oder schwarzen Plastiksäcken)
SHOCK AND AWE
ist weniger eine Strategie als das erwünschte Ergebnis der Art und Weise in der WIR von EUCH betrachtet werden wollen
fürchtet uns also
erneut so dass wir uns nicht fürchten müssen diesen (Wiedererrichtungs-) Prozess hätte er allenfalls aufhalten können anstatt ihn zu befehligen pathetisch martialisch zu exekutieren er wollte aber unbedingt
groß in der Geschichte herauskommen
die er sich vielleicht vorstellte wie einen riesigen patriotischen Roman für Zehn- bis Vierzehnjährige aber erst nach dem Zufallen der
MISSION (an ihn)
sah er wirklich eine Chance dazu
er hatte zunächst nur (aber immerhin) die Wahlen gewonnen
knapper als jeder andere Bewerber zuvor mit
weniger Stimmen als sein Widersacher
allein dank jenes Gerichtsurteils das die nochmalige und genaue Auszählung der Wählerstimmen in Florida stoppte und dem starken Willen der Amerikaner einig zu sein eine einzige Mannschaft zu bilden auch wenn man dabei über seinen Schatten springen musste und sein Kind bald in einem schwarzen Plastiksack aus dem Orient zurückbekommen würde er war der
PRÄSIDENT
geworden der zu Beginn des Jahres 2001 die Schuhabsätze lässig auf seinen Schreibtisch im Oval Office des Weißen Hauses legen konnte jenen aus englischen Schiffsplanken gezimmerten Resolute Desk an dem seit mehr als 120 Jahren die Präsidenten zu sitzen pflegten und wollte man das beliebte Foto nachstellen das JF Kennedy im Jahre 1962 lesend an diesem klobigen Möbel zeigt während sein kleiner Sohn die mit dem Adler-Relief verzierte Fronttür des Schreibtischs aufgestoßen hat und herauslugt könnte man sich zunächst den fünfundsechzigjährigen G.H.W. Bush über der Tischplatte thronend denken und darunter den jüngeren George mit Anfang vierzig in der Kuckucks-Tür (und er hätte wohl fast den Humor gehabt die Szene nachzustellen wäre ihm JFK je sympathisch gewesen) dieses ganze lächerliche und doch frappierend erfolgreiche
Hinterherleben
erklärt doch auch
wie er HIERHER kam als
ein Schatten
der das Originalbild einholen und im Grunde wohl verblassen lassen mochte in einer ödipalen Bewunderungs-Verfolgungsjagd-Vernichtungs-Biografie (zu viel Psychologie Luisa) aber sieh doch (sagst du) die groteske Serie kopierter Lebensstationen selbe Schule (aber Junior war schlechter) selbe Universität (erneut war Junior schlechter und wurde statt Chef der Baseball-Mannschaft nur Chef der Cheerleader) die wiederholte Jagdfliegerausbildung und der Kampfeinsatz (statt im Krieg von den Japanern nun also von den Vietnamesen abgeschossen zu werden lediglich kriegerisch tuende Flugübungen und Sunnyboy-Leben an der kalifornisch-mexikanischen Grenze) der Versuch in derselben Stadt die Ölmillionen des Vaters noch einmal zu machen
mit Bankrott endend in
Midtown Texas eine schüchterne strenge enttäuschte Frau die fünfjährigen Zwillingstöchter und immer wieder die
Whiskey-Flasche ich bin hier
ganz nah bei ihm Luisa an diesem Punkt treffe ich mich doch mit George an einem Tresen mit einem hyperaktiven Socializing-Typen der mit einem bücherfressenden deutschen Scheumenschen wahrscheinlich nein gewiss noch viel weniger zu tun haben wollte als ich mit dieser mir hohl erscheinenden extravertierten Spielernatur die vor allem unter die Leute kommen und irgendetwas anführen leiten befehligen will um eine Art verzerrtes Vater-Spiegel-Selbst-Bild zu finden wir hätten gemeinsam vor uns hinlallen können nur eben nicht denselben Text (und auch nicht zur selben Zeit denn meine beiden Whiskey-Jahre kamen erst als ER schon fast zehn Jahre trocken war) er brauchte wohl auch
andere Texte andere Menschen
um aus den honigfarbenen würzig-rauchigen zähen erstickenden Herbstnebeln herauszukommen flüssiges goldenes Blei in deinem Hirn deinen Armen Beinen
und statt des resoluten Dekans der UMass und der befreienden Last der Übernahme eines Gelehrten-Erbes mit der Bücherschwere des 19. Jahrhunderts (GoetheSchillerHerderHegelKleistHölderlin) unter der du wieder atmen lerntest wie ein Sherpa der nach zehn nein zwanzig Monaten Training endlich das Gewicht nicht mehr spürt das er trägt
fand er
in der Depression zwischen den erschöpften kopfschwer hängenden Ölpumpen Midlands zu einem Bibelkreis mit 120 Männern in Karohemden und traf den stoppelbärtigen Outdoor-Typen den Mann mit dem 3-Meter-Holzkreuz auf dem Rücken einen Wanderprediger der seine Last gerade in eine Ecke des Holiday-Inn-Cafés abgestellt hatte BIST DU SICHER DASS DU IN DEN HIMMEL KOMMST WENN DU HEUTE STIRBST GEORGE WILLST DU MIT JESUS GEHEN ODER OHNE IHN
weiter tot sein woraufhin
George ERWACHTE und weiter erwachte und ein Jahr später kam der
Freund der Familie
der ganz große Fernsehprediger nämlich
DAS MASCHINENGEWEHR GOTTES
das schon Präsident Nixon mit knatternden Wortsalven den Weg nach Vietnam freigeschossen hatte
und zeigte ihm bei einem Spaziergang am Strand
DEN WEG
zum Resolute Desk statt zum resoluten Dekan ich kann das nachvollziehen Luisa dieses jähe
Gesundwerden
aber für ihn war es mehr nämlich die
HEILIGUNG
wie sie es nennen die WIEDERGEBURT seither lebte er
traumlos
im großen Zusammenhang Gott Amerika der Glaube die Demokratie die Familie Bush die Freunde die für Gott Amerika die Demokratie und die Bushs mehr Spenden sammelten als je zuvor in Präsidentschaftswahlkämpfen gesammelt worden waren
er hatte (anders als ich in der damaligen Zeit)
eine Frau eine methodistische Bibliothekarin des Lebens die ihm beistand die sich überraschend als noch tougher erwies als DIE VOLLSTRECKERIN (seine Mutter)
entweder Jim Beam oder ich
und so fand er aus dem Flaschenhals heraus ging zeitweilig nach Washington um als
EINER DER IHREN
seinem Vater bei den Präsidentschaftswahlen die große Masse der evangelikalen Wähler zuzuführen und ihm so zum Sieg zu verhelfen
woraufhin die Freunde seines Vaters IHN auffingen neu mit Krediten ausstaffierten und ins Baseball-Management-Geschäft brachten wo sie ihn als Vorzeigefigur nutzten bis er als smarter Businessman galt und mit Grundstücks-Spekulationen im Zuge eines Sportstadion-Ausbaus endlich seine erste Million gemacht hatte er war vorzeigbar geworden glaubhaft als reuiger Sünder Familienmensch und schlichter gläubiger MITFÜHLENDER Konservativer
wurde er nun auch etwas nämlich Gouverneur von Texas der
vier Jahre später
am Tag seiner erfolgreichen Wiederwahl seine gläubigen Anhänger versammelte und ihnen erklärte dass er glaube dass:
GottwilldassichPräsidentwerde
und so sitzt er jetzt selbst am Resolute Desk mit vierundfünfzig Jahren bereits vielleicht noch betäubt vom Tempo und Glück dieses (im Grunde prädestinierten) Aufstiegs ins Zentrum der Macht wie im toten Auge des Aufwinds im Oval Office ist die Pupille der amerikanische Adler im Zentrum des Teppichs den jeder Präsident (wie er selbst unermüdlich und stolz betont) selbst neu gestalten kann um seine Marke zu hinterlassen er wird die Aufgabe an seine Frau delegieren und die
Sonne
zu seinen Füßen erhalten einen leuchtend gelben Strahlenkranz der den zentralen Teppich-Adler umgibt
und dies zeige IHN erklärt er seinen Besuchern als
(nichts als einen)
optimistischen Typen (Sunnyboy) manchmal wird er dann aufstehen um die Köpfe der auf den Kommoden ringsum postierten Büsten von Eisenhower Lincoln und Churchill (der von ihm bewunderte Kriegsheld Leihgabe von Tony) zu tätscheln wie die großer Hunde und er wird seinen Willen stählen beim emphatischen Blick auf jenes für ihn aufgehängte Ölgemälde nach dessen Titel er seine Autobiografie genannt hat und das einen auf seinem Pferd davonpreschenden Westerner zeigt seiner oftmals bekundeten Meinung nach einen Mann in mitreißend dynamischer Erfüllung seiner Pflicht (A Charge to Keep) vom Maler jedoch
als fliehender Pferdedieb
gemeint (den es zu fassen gelte)
es ging IHM gut ER saß oben
die Sonne schien durch das Glas der hohen weiß gerahmten Sprossentüren auf den Sonnenteppich des Sonnenjungen seine Schuhabsätze kippelten fröhlich auf der Schreibtischplatte niemand konnte ihn mehr einholen er musste auch nicht unbedingt viel mehr sein als
der 43. Präsident der froh gelaunt den Telefonhörer abnahm und seinen väterlichen Vorvorgänger begrüßte mit
Hallo 41 hier spricht 43!
und vielleicht hatte er sonst nur noch das Bedürfnis das Außentor der GROSSEN RANCH zuzunageln gegenüber der unamerikanischen feindlichen Welt und als Chef-Lobbyist der evangelikalen Christen die Regierungsarbeit zu missionieren so weit es ging und noch einige gute Predigten (Von Jim Beam zu Jesus) zu halten
als
DIE FLUGZEUGE
in seinen Schädel einschlugen den zu öffnen zu durchleuchten
zu erfinden wir nicht umhin können Luisa es ist nur eine Nach-Erfindung am lebenden Subjekt vielmehr zu Lebzeiten des Subjekts an das (als solches) du schon lange nicht mehr glauben kannst (aber was sind dann wir) im
lebenslänglichen
Augenblick unserer Ohnmacht
SEINE Niederlage ist (wie die unsrige) der Tod
von fast 3000 Amerikanern und der Zusammenbruch der Türme den er
adoptieren lernen wird
als wutentbrannter stolzer schmerzverzerrter Vater der Nation in jenen Minuten in jener Grundschule in Florida als sich sein Stabschef zu seinem rechten Ohr herabbeugt
second plane hit the
das kleine schwarze Mädchen mit den straff geflochtenen Zöpfen und dem weißen Kleid sieht verwundert zu ihnen herauf 16 Kinder die Lehrerinnen die Bodyguards die Flagge die Schultafel
second tower
sein Pressesprecher hält einen (sogleich von der Presse für uns mitstenografierten Zettel) empor
DON’T
SAY ANYTHING
YET
er verharrt regungslos als hätte eine Spiegelung des Kerosin-Höllenfeuers binnen Sekundenbruchteilen sein Inneres vollkommen ausgebrannt
mit steinerner Miene
in der schlimmsten Katastrophe
lernte er schon als
Sechsjähriger
beim Tod seiner kleineren leukämiekranken Schwester
muss man Haltung zeigen muss man bald wieder lächeln muss man alle Versehrten
aufheitern
(seine weißhaarige Mutter erinnert sich vor den Fernsehkameras wie der Siebenjährige Freunde abwies da er mit seiner trauernden Mutter spielen müsse: Da merkte ich, dieser fürsorgliche kleine Junge kümmerte sich um mich und nicht ich mich um ihn.) er riss Witze spielte den Clown mit einem
unzerstörbaren unempfindlichen unheimlichen
Charme mit diesem steinernen Optimismus der mit seinem Körper mit der Larve seines Gesichts verschmilzt
im Angesicht des tödlichen Angriffes
jetzt
scheint Dir (fürchterliche Stunden lang) noch nicht einmal die
MACHT
etwas zu nützen
die größte Militärmacht der Erde die im Jahr 2001 so viel Geld in den Verteidigungshaushalt pumpte wie die nachfolgenden dreizehn Staaten zusammen all die Flugzeuge die Bombenarsenale die lenkbaren Körper von über einer Million Soldaten die weltweit installierten Stützpunkte die riesige Flotte mit ihren schwimmenden Festungen Flugzeugträgern Atom-U-Booten das Satelliten-Überwachungssystem die überlegene Kommunikationstechnologie die militärischen Think Tanks die Geheimdienste mit Zehntausenden von Mitarbeitern die logistische Potenz dieses enormen hierarchisch durchorganisierten tief gestaffelten
Apparats
der wie hilflos zuschnappt herumfuchtelt stottert der
Potus (Du, der Schachkönig)
muss in Sicherheit gebracht werden man erwägt Dich in der Felsenfestung Norad im Cheyenne Mountain zu verbergen aber dann versteckt man Dich doch lieber in der Luft im hysterischen Wespenflug der
AIR FORCE ONE
in der Du nun wie wahnsinnig
telefonierst diskutierst fieberhaft haltlos auf vorbeiwehende Wolkenfetzen starrst im Anzug im weißen gestärkten Hemd eingesperrt in die leis zischende Kabine umgeben von gleichfalls telefonierenden gleichfalls eingesperrten Leibwächtern und Beratern in die Höhe gerissen deinstalliert entfernt es
muss ihn tödlich beleidigt haben Luisa
bevor er
zum Rächer über den Dingen (über den Bodenverhältnissen) wurde dies sind die überirdischen Momente in denen er von einer Art Selbsthilfe-Methodisten-Präsident aufsteigt zum
COWBOY GOTTES
mit allem markigen Ingrimm der dazugehört
SiehtausalsseihiereinkleinerKriegim
GangeIchhabedasvomPentagongehört
WIRSINDIMKRIEGUNDJEMANDWIRD
DAFÜRBEZAHLENMÜSSEN, Dick
Cheney
geborgen im Peoc (Presidential Emergency Operations Center in Washington wir stellen uns darunter eine Art unterirdischen Tresor einen BetonwandStahlplattenPanzerSchutzWürfel vor gedämmt mit Aspik Kunstharz Styropor Glaswolle Eierkarton Stroh und feuerfesten Daunenkissen) Dick also
weiß schon wer
bezahlen muss in diesen Stunden der
Geburt der MISSION
wird der PRÄSIDENT hinaufkatapultiert auf das Podest eines HISTORISCHEN Präsidenten eines KRIEGSpräsidenten (er kann unmöglich nur ein Terroropfer-Präsident bleiben) er muss den Augenblick nutzen der ihn in das Flutlicht der Geschichte taucht
WAR AGAINST TERROR ist denn auch die martialische Verpanzerung der Wunde (sagt Luisa) als presste man blanken Waffenstahl auf eine blutspritzende Arterie was hilft es kaum einer in New York City wollte das jedenfalls nicht so viele oder wenigstens nicht so viele von denjenigen die ich persönlich kennenlernte und dort traf und die zusahen wie der
PRESIDENT OF WAR
mit einem weißen Megafon in der Hand zwischen Bauarbeitern Polizisten Feuerwehrleuten auf einem Trümmerberg am Ground Zero balancierte in Braun und Staubgrau gekleidet (suitable) er versprach die
JAGD (der davonpreschende Pferdedieb) in der strahlenden
Sonne des historischen Moments wird er
zum Glanz seines Vaters emporgehoben DES VATERS DER den Zusammenbruch der Sowjetunion und den Fall der deutschen Mauer managte glatt geölte
Geschichte
des Vaters der jene bis in die Himmel brennenden Fackeln in Kuwait löschte und dem Diktator aufs Haupt schlug aber des Vaters auch
der weinte, George, er weinte tatsächlich (Breschnew-Tränen?) als er
UNSEREJUNGENMÄNNER (und Frauen) in den Krieg schicken musste
was ich wissen will Luisa ist wie genau es dazu kam und zwar gar nicht so sehr weil ich dagegen bin sondern weil ich wissen möchte wie es funktioniert wie es möglich ist dass WIR uns plötzlich in einem neuen Krieg befinden fast ohne es zu spüren hat ER es sofort gewollt
und weshalb folgten WIR IHM (konnten wir nicht umhin dass es so aussah oder wie sollte uns ein Iraker zum Beispiel anders betrachten)
zwei Monate nach dem Zusammenbruch der Türme und unter dem Eindruck des glorreichen Drauflosbombardierens in Afghanistan rief ER seinen Verteidigungsminister zu sich und bat ihn
zutunwaserforderlichistum
AMERIKAZUSCHÜTZENindemwirfallserforderlich
SaddamHusseinausdemWeg
räumen
WIR könnten denken damit wäre schon alles gesagt gewesen und er suchte nur noch einen Vorwand für den Krieg gegen den Irak aber ist es so einfach Luisa? ich stelle mir vor dass er
immer noch unter Schock stand
ihm war das Schlimmste passiert was einem amerikanischen Präsidenten passieren konnte die klaffende Wunde in New York City die 3000 Toten er musste beweisen dass ER ab sofort der größte aller Schutzengel war ER musste den SCHILD wiedererrichten
er ist umgeben von den alten Beratern seines Vaters wie von einer Gruppe mürrischer leicht erregbarer aggressiver alter Onkel die darauf warten dass er einen Schritt weiter geht als sein Vater und Saddam nicht nur schlägt sondern beseitigt vernichtet zermalmt
aber
der Außenminister (der einzige Chef-Entscheider mit direkter Kriegserfahrung) sieht noch keinen überzeugenden Grund für den Angriff keine Notwendigkeit und keine international vorzeigbare Legitimation alles das wird man finden müssen
es gehe Dir zunächst darum (erklärst Du vorsichtig)
DIE OPTION ZU HABEN
um die Installation eines
rotes Knopfes
der es Dir erlaube den irakischen Diktator auszuschalten sobald es
erforderlich sei
schließlich: WollteermeinenPapaermorden! (wie Du in Erinnerung an jenes vom jordanischen Geheimdienst im Jahre 1993 vereitelte womöglich wenn auch nicht sicher von Saddam angeordnete Attentat auf den Ex-Präsidenten mehrmals öffentlich erklärt hast)
jedoch
gibt es die OPTION gar nicht es gibt nur
op 1003
einen veralteten schwerfälligen massiven Kriegsplan (wiederum ein alter Onkel aus den Zeiten des zweiten Golfkrieges) also kannst Du noch lange nicht den Angriff befehlen sondern nur das Verschaffen der Option das Anbringen dieses speziellen roten Knopfes der Dir im Falles eines Falles die Möglichkeit gibt
den Iraker
auszuschalten
jedoch
beginnt damit schon
der Krieg oder wenigstens fast es ist
als würde ein riesiger Fels der Deinen Gegner (nebenbei auch sein Land) in kurzer Zeit überrollen und zerquetschen kann unweigerlich unerbittlich nach vorn an den Rand der Kriegszone geschoben bis er in seiner unheilvollen Pracht wie auf Säbels Scheide steht oder wie auf dem Zünglein Deiner Waage und im Grunde schon losgerollt ist als man (Du selbst sogar) noch glaubte er könne leicht wieder angehalten oder aufgelöst pulverisiert oder einfach in die gewaltige Schublade nicht realisierter Regierungspläne geschafft werden
der siebzigjährige hartnäckige nussknackerköpfige mit seiner Trifokalbrille funkelnde
Verteidigungsminister
ein philosophischer Kopf (wir wissen, was wir wissen, dass es Dinge gibt, von denen wir wissen, dass wir nicht wissen, dass wir nichts über sie wissen)
der sich vielleicht doch auch an seine Tage als Sonderbeauftragter des großen KRIEGDERSTERNEPRÄSIDENTEN in Bagdad vor nunmehr achtzehn Jahren erinnert als er dem
BEFREUNDETEN HERRSCHER
Hubschrauber und CIA-Informationen und mehr und mehr Kampfflugzeuge zur Verfügung stellte damit er die FANATIKER in Teheran attackieren konnte
dieser Verteidigungsminister also WEISS nun dass man dem DIKTATOR alles das nun wieder abnehmen muss wie einem ungehorsamen Kind und er sorgt für immer neue immer schneller wirksame Pläne die energisch geprüft diskutiert verbessert optimiert werden (schneller eleganter smarter)
es gehe darum
sich kinetisch zu verhalten
sagt der militärische Chefplaner (Tommy) der einen Meter neunzig groß in Uniform mit müden Augen hinter dem Präsidenten steht wie der tatsächliche Tod hinter dem adretten vorabendtauglichen Westernserien-Exitus
das heißt
mit dem JOHNNY zu spielen
(das ist: der Irak, die Medien, die Weltöffentlichkeit und: WIR)
also sie alle im Ungewissen darüber zu lassen ob ein Angriff geplant oder nur eine DROHKULISSE aufgebaut wird während in der Tat ein Angriff geplant wird
aber so dass auch die direkte Umgebung des Präsidenten oder gar der Präsident selbst (als Johnny) nicht so recht weiß ob sie noch planen oder schon einen Krieg begonnen haben es funktioniert etwa so (wird der philosophische Verteidigungsminister einem Journalisten erklären) dass einer etwas sagt und der andere das Gegenteil und der Präsident einmal dahin tendiert einmal dorthin bis er dann
EINSAM
entscheidet
oder so etwas wie eine Entscheidung kund tut denn welche Rolle Luisa spielt all die Psychologie die wir hier aus dem Zauberhut penibel die Regungen der Macht erfassender Bücher ziehen wenn ER doch nur die Verwirklichung oder eine Art AVATAR einer Struktur nämlich der riesigen grauen (Stamm-)Hirnmasse Nordamerikas vorstellt dann können wir ebenso gut einfach nur glauben was er bekundetermaßen gesagt hat
ER
will nur die Option (er sagte immer nur das was doch sein Geschick beweist) und lässt bis dahin an der rhetorischen Stilisierung der Gefahr arbeiten (DIEACHSEDESBÖSEN)
Ichwerdenichtwartenbisetwaspassiert
verkündet er Ende Januar 2002
wobei er allerdings dem französischen Präsidenten und dem deutschen Johnny im Mai problemlos erklärt dass
aufmeinemTischkeineKriegspläneliegen
obgleich er seit Monaten jede Woche mit seinen Chef-Planern über den Irak konferiert und
heimlich große Flugplätze und Treibstofflager in Kuwait angelegt werden in Katar eine Kriegskommandozentrale entsteht und CIA-Agenten mit Koffern voller Geld durchs wilde Kurdistan streunen während die Army Schutzanzüge gegen biologische und chemische Waffen anfertigen lässt im
September
am Ende dieses traurigen Jahres Luisa das ich wohl nur deinetwegen und allenfalls noch wegen dieses unbedingten
Verstehenmüssens
überlebt habe
kommt der besorgte kriegserfahrene Außenminister unvermittelt
aus dem Kühlschrank
(wie er sagt) und hat bezüglich des Irak bezüglich eines im Inneren zerbrochenen ausgepowerten chaotischen Landes mit 25 Millionen Einwohnern plötzlich
die PORZELLANLADEN-Regel
entdeckt: Du zerbrichst es — Dir gehört es!
und der Präsident will sich später erinnern das gehört zu haben aber er sei doch mehr damit beschäftigt gewesen AMERIKAZUSCHÜTZEN
wofür er nun
im September vor seiner Rede vor den UN zum Jahrestag des Attentats in der Gewitterwolke von Gründen zum Krieg den einzigen Grund findet der international Bestand haben wird weil er der tiefsten Logik des Traumas folgt und in den worst case führt in den totalen Schrecken den nicht erkannt und gebannt zu haben sich kein Politiker kein Zeitungsredakteur kein Fernsehintendant kein Diplomat und Staatsmann nachsagen lassen möchte nämlich den
Angriff (auf UNS) von der ACHSEDESBÖSEN
mit
M A S S E N V E R N I C H T U N G S W A F F E N
deren Existenz im Irak die Geheimdienste nicht recht bestätigen konnten aber sie untertreiben immer sagen RiceCheneyRumsfeldEtc die Inspektoren der UN lassen sich wohl an der Nase herumführen sofern sie nicht gar lügen
was blieb IHM da noch übrig er
musste allenfalls noch ein paar Freunde finden die genau das taten was er ihnen sagte an jenem
Samstag an dem Seymour mich anrief um unseren Joggingtermin zu verschieben kam es zum
COJONES-Meeting
sie waren zu viert: Tony Blair und George W. Bush
in Camp David und der Präsident fragte den Premier ob er (seine Jungs) dabei wären
The sensitive, orbic, underlapp’d brothers, that only privileged
feelers may be intimate where they are
wenn es darum ginge Saddam das Handwerk zu legen was dieser sofort und uneingeschränkt bejahte woraufhin Bush gegenüber den Mitarbeitern des Premiers ihrem Chef die Utensilien der Männlichkeit attestierte obwohl er zu wissen glaubte
dassdieBritskeineAhnunghabenwascojonessind
so mein Freund
landen wir endgültig beim König
Schahriyar
aber das alles ist natürlich ein
DEMOKRATISCHER Prozess (unter Männern)
als der italienische Fernsehmillionärsministerpräsident bei ihm weilt erklärt ER ihm (unnötigerweise wohl) dass
wirdieÖffentlichkeitinunserenLändern
führenwirdürfenderÖffentlichkeitnicht
hinterherlaufen
er lädt also so lange Kongressabgeordnete und Senatoren ins Weiße Haus zu energischen
Briefings
(DER hat Massenvernichtungswaffen DER hat C-Waffen DER wird sie einsetzen DER könnte innerhalb von sechs Monaten eine Atombombe haben DER könnte in 45 Minuten einen Angriff mit B-Waffen starten) bis IHN am 10. Oktober 2002 das Repräsentantenhaus ermächtigt
die Streitkräfte im Irak so einzusetzen wie ER es für angemessen und richtig hält
das bedeutet Krieg sagte Luisa und dachten nicht wenige der Studenten an der Columbia deren verstörte fragende skeptische Blicke ich nach nur sechs Wochen Vorlesungen ertragen gelernt hatte die mich
zu tragen
begonnen hatten ein weiches formbares aber doch sich selbst bestimmendes hoch aufmerksames
Medium das zu stärken zum selbständigen Denken zu provozieren zum schwer führbaren Bürger zu machen doch unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist so dass sie auch wenn sie zustimmen wissen
was sie tun was man für sie tut oder für sie zu tun vorgibt
in der wie rein physiologisch bedingten oder erzeugten meine Trauer für Stunden ja halbe Tage oder eine halbe Nacht beseitigenden Hochstimmung als lebte ich in einer Gegenwart mit einer nur um einen einzigen Tag glücklich veränderten Vergangenheit war ich einmal bei Luisa so selbstverständlich in ihrer lächelnden geduldigen Tiefe
der Präsident ist nur drei Jahre älter als ich
man hat keine Ausrede mehr irgendetwas nicht zu verstehen einer meiner Studenten brachte eine Zeitungsnotiz der zufolge ER sich in seiner Eigenschaft als
Oberbefehlshaber
gegen Pocken hatte impfen lassen (für den in diesem einen Fall nun wieder äußerst unwahrscheinlichen Fall eines irakischen B-Waffen-Angriffs so dass man nicht allzu viele VIPs immunisieren musste was war mit seiner Frau seinen Töchtern) die Undergraduates entwickeln bisweilen die Ängstlichkeit von Kindern oder
Politikern
über Weihnachten
wurde ES (endültig) entschieden sagten (später) viele ich las immer diese Formulierung in vollkommen unironischen Dokumentationen WürdenSieESmachen (Bush zu Rice) oder Wir müssen ES machen (Rice zu Bush) oder GlaubenSiewirmüssenESmachen (Bush zu Rumsfeld) als gäbe es sonst nur die Gossensprache oder lateinische Vokabeln DAFÜR
die Truppen stehen (an Weihnachten) schon beinahe komplett in der Region die Waffeninspektoren winden sich noch die Franzosen wollen nicht die Deutschen und die Russen noch weniger man hat jenen mit den UN vereinbarten Waffenbericht aus dem Irak termingemäß erhalten 11 000 Seiten voller Halbwahrheiten und Dreiviertellügen und muss ihn prüfen und hat zu alledem aber nun einfach
keine Lust mehr
auf diplomatische Verzögerungen glanzlosen zähen Frieden schleppende Verhandlungen das ganze UN-Theater auf das man ohnehin nicht viel gibt und als der französische Außenminister (ein vielsprachiger aristokratischer Schnösel der eine schwärmerische Napoleon-Biografie verfasst haben soll) sein Veto im Sicherheitsrat ankündigt entschließt man sich
selbst ein UN-Stückchen zu geben
der weltweit auf Millionen von Fernsehschirmen brillierende
GENERAL OHNE KLEIDER
(wenn wir versucht hätten ihn anstelle seines dunkelblauen Anzugs mit der Schlüssigkeit seiner Beweise und der Kraft seiner Indizien auszustaffieren) musste dafür präpariert werden und Du wirst dich noch länger über diese zwölf Minuten am dreizehnten Januar freuen die Dir dafür genügten und die wohl etwa so endeten:
Weißes Haus, Oval Office. Präsident Bush in seinem angestammten Sessel vor dem Kamin. Der General in Zivil auf dem Ehrensitz für ausländische Gäste. Der Präsident öffnet die Arme als würde er einen Tomahawk überreichen wollen oder einen großen toten Fisch.
PRÄSIDENT SindSieaufmeinerSeite,Colin?
Der General schluckt. Er richtet sich im Sessel auf.
GENERAL Ich bin auf Ihrer Seite, Mr President!
PRÄSIDENT DannwirdesZeitdassSieIhreKampfuniformanziehen.
Nahaufnahme des entschlossen strahlenden Präsidentengesichts. Einsetzende Musik, dezent, wie vom künftigen Kriegsschauplatz herüberschallend: When Johnny comes marching home again, hurrah! Hurrah! Schnitt.
am 5. Februar 2003 hebt sich der Vorhang in den UN und wir sehen den GENERAL bei jener Show die er bald als Schandfleck seines Lebens bezeichnen wird er zeigt
mühsam in tagelanger Kleinarbeit aus einer Masse vagen bis untauglichen CIA-Materials herausgefischte schwammige Indizien das Anthrax-Röhrchen-Imitat aus dem Requisitenfundus die schwer interpretationsbedürftigen Satellitenschnappschüsse von Industrieanlagen die Powerpoint-Grafiken von angeblichen rollenden Biowaffen-Labors gestützt auf wenige und dubios anmutende Zeugenaussagen Fotos von irakischen Raketen die bis nach Israel fliegen könnten (aufgenommen bevor sie von der UNMOVIC verboten worden waren) Gesprächsfetzen von Abhörtonbändern unklarer Herkunft denen man die verklausulierten Absprachen irakischer Offiziere über das Beseitigen von Hinweisen auf Waffenproduktionsstätten entnehmen können sollte Aluminiumrohre die eventuell für Uranzentrifugen verwendbar wären mit Mutmaßungen hoch angereicherte diffuse Verbindungen von Al-Qaida-Terroristen und irakischen Agenten
ein HAUFEN von Indizien sagte Luisa ein Haufen (noch einmal auf Spanisch) die Leute sind immer beeindruckt von HAUFEN
just as an old Army trooper, I can tell you a couple of things
das Powell-Buy-in
die handsignierte löchrige Eintrittskarte in den Krieg (Sie sitzen in der Ehrenloge der Blauäugigen)
wollte ich nicht entgegennehmen
ich wollte
die USA verlassen und drei Wochen später musste ich es denn meine Mutter war zusammengebrochen sie lag schon zwei Tage auf der Intensivstation als meine Schwester mich endlich anrief auf dem Weg zum JFK-Airport dachte ich dass es nun keinen Ort und keine Zeit mehr für mich gab die Vergangenheit unter den planierten Trümmern die Zukunft ein falscher Krieg die Gegenwart ein zu preiswert gemietetes nicht haltbares Apartment von Seymours Gnaden das Geisterhaus in Amherst
ein enges lautes Hotel hinter dem Adenauerplatz in Berlin (wenigstens das konnte ich ändern)
das erschöpfte Gesicht meiner Schwester auf der anderen Seite des Krankenhausbettes dieses
Zurückgeschossen-Werden
in unsere Kindheit zwischen den Schläuchen und Apparaten das Lächeln unserer Mutter das in seltenen Momenten noch einmal so nah alterslos und innig erschien als lebten wir noch in unserer engen Mietwohnung in Bremen die unauffällige Familie des Handelsschullehrers Ernst Lechner es
geht uns an den Kragen
das war
in den langen Tagen und halben Nächten im Krankenhaus
oft die einzige deutliche Empfindung der einzige klare Gedanke den ich hatte man muss
Entscheidungen fällen
wie der
PRÄSIDENT der nun vollkommen entschlossen ist seinen blutrünstigen Widersacher aus Dodge (running gag der Familie Bush) zu vertreiben und nur noch hört was und wen er hören will
Überlebende der deutschen Konzentrationslager die den Angriff empfehlen
Generäle die den sauberen Krieg versprechen: we do no
body-counts
Exil-Iraker denen zufolge die Überfallenen bald jubelnde Befreite sein werden nur ein
Päpstlicher Gesandter
stört ein wenig aber Du zeigst ihm den Garten des Friedens im Weihrauchnebel der Zukunft hinter dem Krieg was man tun muss erscheint niemals klarer als in den Stunden in denen man ES tut es
funktioniert einfach alles es
hat darauf gewartet das Pferd des Cowboys prescht davon nur der Malerpinsel der Zukunft kann es fixieren
auf den Azoren Mitte März
das Blau
der Entscheidung
grundloser Himmel und Bomben-
Luft
der portugiesische Präsident hat eingeladen und Tony ist da und der Spanier Aznar (sehen Sie immer einen Schnurrbart neben sich) Hoden und Bart und neben 135 000 US-Soldaten stehen schon 200 Polen in Waffen vor den Ölfeldern als NEUES
Europa
es ist
ein Spaziergang kaum eine Trennlinie vom Meeresblau zur gläsernen Luft
48 Stunden für den Banditen um Dodge City zu verlassen
wieder daheim
gibt es nur noch ein
Attentats-Zögern
das Zaudern vor dem Enthauptungsschlag eine im gewissen Sinne doch auch recht persönliche Aktion (aber im Grunde schon von Dir vorausgeübt bei den über 150 Todesurteilen die Du als Gouverneur von Texas unterzeichnet hast) bei der sich zwei F-117 Tarnkappenbomber und 36 Tomahawk-Marschflugkörper auf den Weg zu einem Landsitz südlich von Bagdad machen an dem man Saddam seine Söhne seine Frau (und einige
Kollaterale)
vermutet
diese Entscheidung fällt am Abend des 19. März 2003 ultimatumsgerecht nachdem Du jeden im Kriegskabinett gefragt hast ob er auch DAS tun würde (ein jeder wollte AUCH DAS tun)
am Morgen desselben Tages aber hatte es schon den
EINSATZBEFEHL
für die Kriegskommandeure gegeben vom Lageraum des Weißen Hauses aus über eine sichere Videoverbindung zur Front zehnmal fast den gleichen Dialog
PRÄSIDENT HabenSiealleswasSiebrauchen?
KOMMANDEUR Ja, Mr President.
PRÄSIDENT KönnenSiesiegen?
KOMMANDEUR Ja, Mr President.
dann also:
UmdesWeltfriedenswillenundzum
NutzenundfürdieFreiheitdes
irakischenVolkesgebeichhiermit
denBefehlzurAusführungder
OperationIraqiFreedom.Möge
GottmitunserenSoldatensein.
es ist dies der eigentliche
menschenfresserische Moment
im PRÄSIDENTENLEBEN jener zutiefst gefürchtete zutiefst ersehnte HISTORISCHE Augenblick in dem Du
den ersten jungen Körper zwischen die Zähne nehmen und zerbeißen musst wie eine
Wachtel (sagt Luisa)
O to resume the joys of the soldier!
To go to battle — to hear the bugles play and the drums beat!
To taste the savage taste of blood — to be so devilish!
To gloat so over the wounds and deaths of the enemy.
aber es wird natürlich vor allem dieses staatsbegräbnishaft feierlich hochglanzpolierte Schwarzweiß-Foto geben auf dem
Du und
Gott (Letzterer wie üblich kaum zu erkennen es sei denn er hat die Gestalt eines kleinen gefleckten Hundes angenommen der verschwommen hinter Dir vor einer Umfriedungshecke steht) ganz alleine
spazieren geht kurz nachdem Du den Befehl zum Angriff gegeben hast
Eswarsehremotionalfürmich
ichhabegebetet
während
ICH
herumging