Diggory’s Dyke war ein tiefer Einschnitt in einer grünen Hochfläche, auf der eine dünne Grasschicht und rötliche Erde den Kalk bedeckten und es kaum genug Boden gab, auf dem Bäume gedeihen konnten. Aus der Ferne sah der Graben aus wie ein klaffender weißer Riß in einem grünen Samtbrett. Der Legende zufolge war Diggory’s Dyke in einem Tag und einer Nacht von einem gewissen Diggory ausgehoben worden, mit einem Spaten, der einst ein Schwert gewesen war, bevor Wayland Smith es auf seiner Reise von Wall ins Feenland geschmolzen und geschmiedet hatte. Manche behaupteten, dieses Schwert wäre einmal Flamberge gewesen, andere meinten, es handle sich um das Schwert Balmung; aber niemand wußte genau, wer Diggory eigentlich gewesen war, und es bestand durchaus die Möglichkeit, daß die ganze Geschichte frei erfunden war. Jedenfalls führte der Weg nach Wall durch Diggory’s Dyke, und jeder, ganz gleich, ob er zu Fuß oder mit einem Fahrzeug unterwegs war, mußte die Schlucht durchqueren, wo die hohen Kalksteinwände aufragten und die Hügel sich erhoben wie grüne Kissen in dem Bett eines Riesen.
Mitten in der Schlucht, neben dem Weg, befand sich etwas, was auf den ersten Blick wie ein Haufen aufgeschichteter Äste und Zweige aussah. Bei näherem Hinsehen hätte man bemerkt, daß es sich um eine Art kleine Hütte oder ein großes hölzernes Tipi handelte, aus dessen Dach sich gelegentlich grauer Rauch emporkringelte.
Der Mann in Schwarz hatte von den grünen Hügeln weit oben nun seit zwei Tagen den Holzstapel intensiv beobachtet; gelegentlich traute er sich auch etwas näher heran. Inzwischen war er zu dem Schluß gekommen, daß die Hütte von einer Frau in fortgeschrittenem Alter bewohnt wurde. Sie hatte keine Gefährten und ging keiner ersichtlichen Beschäftigung nach, außer daß sie jeden einsamen Reisenden und jedes Fahrzeug, die durch den Dyke kamen, anhielt und sich auf diese Weise wohl irgendwie die Zeit vertrieb.
Zwar schien sie recht harmlos zu sein, aber Septimus war vor allem deshalb das letzte überlebende männliche Mitglied seiner Familie, weil er sich nicht auf den äußeren Schein verließ, und immerhin hatte diese alte Frau seinem Bruder Primus die Kehle aufgeschlitzt, da war er ganz sicher.
Nach der Tradition der Blutrache mußte ein Leben mit einem anderen bezahlt werden; allerdings war nirgends genauer geklärt, wie man dieses Leben auszulöschen hatte. Seinem Temperament nach war Septimus ein leidenschaftlicher Giftmischer. Zwar hatte er gegen Klingen und Schlagwaffen und Bomben grundsätzlich nichts einzuwenden, aber ein Fläschchen mit klarer Flüssigkeit, die nicht durchschmeckte, wenn man sie ins Essen mischte – das war Septimus’ Metier.
Unglücklicherweise schien die alte Frau nichts zu sich zu nehmen, das sie nicht selbst sammelte oder in ihren kleinen Fallen fing, und obwohl Septimus darüber nachdachte, ihr einen dampfenden Kuchen vor die Tür zu stellen, mit reifen Äpfeln und tödlichen Giftbeeren, so mußte er diese Idee doch bald verwerfen, weil sie nicht praktikabel war. Des weiteren zog er in Erwägung, einen Kalkfelsen vom Hügel auf ihr kleines Haus rollen zu lassen, aber da konnte er nicht sicher sein, ob er sie wirklich erwischte. Er wünschte sich, er wäre ein Zauberer – zwar besaß er etwas von dem Orientierungstalent, das in seiner Familie verbreitet war, und beherrschte ein paar kleine Zaubertricks, die er sich im Lauf der Jahre angeeignet oder irgendwo abgekupfert hatte. Aber nichts von dem konnte ihm jetzt nützlich sein, jetzt, da er eine Flut oder einen Hurrikan oder einen Blitzschlag gebraucht hätte. So beobachtete Septimus denn sein zukünftiges Opfer wie die Katze das Mauseloch, Stunde um Stunde, bei Tag und bei Nacht.
Es war schon nach Mitternacht, mondlos und dunkel, als Septimus schließlich zum Eingang der Hütte schlich, in der einen Hand einen Feuertopf und in der anderen ein Buch mit romantischen Gedichten und ein Drosselnest, in das er eine Anzahl Tannenzapfen gelegt hatte. An seinem Gürtel hing ein Eichenknüppel, die Keule mit Messingnägeln beschlagen. Er horchte an der Tür, konnte aber nichts hören außer rhythmischem Atmen und hie und da einem schläfrigen Grunzen. Seine Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt, und die Hütte hob sich deutlich vor dem weißen Kalkstein des Dyke ab. Er schlich sich auf die Seite des Häuschens, von wo er die Tür im Auge behalten konnte.
Zuerst riß er die Seiten aus dem Gedichtband und zerknüllte jedes Gedicht zu einer Papierkugel; dann steckte er diese ganz unten zwischen die Zweige. Auf die Gedichte legte er die Tannenzapfen. Als nächstes öffnete er den Feuertopf, löste mit der Messerspitze eine Handvoll gewachster Leinenstreifen vom Deckel, tunkte diese in die glühende Asche auf dem Boden des Topfs, und als sie hell brannten, plazierte er sie auf die Papierknäuel und die Zapfen und blies in die flackernden gelben Flämmchen, bis die geschichteten Zweige Feuer fingen. Nun fügte er trockene Zweige von seinem Vogelnest hinzu, und bald brannte es lichterloh. Das trockene Holz der Hüttenwand begann zu qualmen, so daß Septimus ein Husten unterdrücken mußte, dann fingen auch sie Feuer, und er lächelte zufrieden.
Er kehrte zum Hütteneingang zurück und hob den Knüppel. Denn, so hatte er sich überlegt, entweder wird die Alte mit ihrer Hütte verbrennen, wodurch meine Aufgabe erledigt ist, oder sie riecht den Qualm, wacht auf und stürzt panisch ins Freie, woraufhin ich ihr meinen Knüppel über den Kopf schlage, ehe sie auch nur ein Wort herausbringt. In beiden Fällen ist sie tot, und ich habe meinen Bruder gerächt.
»Ein guter Plan«, meinte Tertius im Knistern des trockenen Holzes. »Und wenn er sie getötet hat, kann er die Suche nach der Macht von Stormhold fortsetzen.«
»Wir werden ja sehen«, meinte Primus, und seine Stimme war wie das Klagen eines fernen Nachtvogels.
Flammen leckten an dem kleinen Holzhäuschen, wurden größer und loderten mal gelb, mal orange.
Niemand erschien an der Hüttentür. Bald hatte sich die Behausung in ein brennendes Inferno verwandelt, und Septimus war gezwungen, ein paar Schritte zurückzutreten, weg von der allergrößten Hitze. Er grinste breit und triumphierend und ließ den Knüppel sinken.
Auf einmal spürte er einen stechenden Schmerz in der Ferse. Blitzschnell drehte er sich um und sah eine kleine, glutäugige Schlange, blutrot im Feuerschein, die ihre Fänge tief in seinen Lederstiefel geschlagen hatte. Er zielte mit dem Knüppel auf das Tier, aber die kleine Kreatur ließ seine Ferse rechtzeitig los und schlängelte sich flink hinter einen weißen Kalkfelsen.
Allmählich ließ der Schmerz wieder nach. Wenn das eine Giftschlange war, hat das Leder sicher das meiste Gift aufgesaugt. Ich werde mein Bein an der Wade abbinden, dann ziehe ich den Stiefel aus, mache einen kreuzförmigen Einschnitt an der Bißstelle und sauge das Gift aus. Mit diesen Gedanken setzte er sich auf einen Kalkfelsen ins Feuerlicht und wollte den Stiefel ausziehen. Aber er saß fest. Der Fuß war taub, vermutlich schwoll er rapide an. Dann muß ich den Stiefel eben aufschneiden, dachte Septimus, und schon hob er den Fuß auf Schenkelhöhe. Einen Augenblick lang meinte er, ein Schatten hätte sich über ihn gelegt, dann sah er, daß die Flammen, die den Dyke wie ein Freudenfeuer erleuchtet hatten, verschwunden waren. Ihm war kalt bis ins innerste Mark.
»So«, sagte eine Stimme hinter ihm, sanft wie eine Würgeschlinge aus Seide, süß wie ein vergiftetes Hustenbonbon, »du hast wohl gedacht, du könntest meine kleine Hütte abfackeln und dich daran wärmen. Hast du an der Tür gewartet, um die Flammen niederzuschlagen, falls sie nicht nach meinem Geschmack gewesen wären?«
Septimus hätte gern geantwortet, aber seine Kiefer waren fest ineinander verkantet, und er knirschte nur mit den Zähnen. Das Herz klopfte in seiner Brust wie eine kleine Trommel, nicht in seinem üblichen, regelmäßigen Rhythmus, sondern wild und unberechenbar. Er spürte, wie in jeder Vene, jeder Arterie Feuer durch seinen Körper floß, oder vielleicht war es auch Eis, so genau konnte er es nicht sagen.
Eine alte Frau erschien in seinem Blickfeld. Sie sah aus wie die Frau, die in der Holzhütte gewohnt hatte, nur älter, viel älter. Septimus versuchte zu blinzeln, Tränen verschleierten seinen Blick, aber er hatte vergessen, wie man blinzelt, und seine Augen wollten sich nicht schließen.
»Du solltest dich was schämen«, sagte die Frau. »Brandstiftung und Körperverletzung, und das bei einer armen einsamen alten Dame, die jedem vorbeiziehenden Vagabunden wehrlos ausgeliefert wäre ohne die Hilfe ihrer kleinen Freunde.«
Damit hob sie etwas vom kalkigen Boden auf und legte es sich ums Handgelenk. Dann ging sie in die Hütte zurück, die entweder gar nicht erst verbrannt oder aber wiederhergestellt war – Septimus wußte nicht, was er denken sollte, aber es war ihm auch gleichgültig.
Sein Herz vibrierte und stotterte in seiner Brust, und wenn er zu schreien vermocht hätte, hätte er es getan. Die Morgendämmerung kam, ehe die Qual endete und seine älteren Brüder Septimus in ihren Reihen willkommen hießen.
Ein letztes Mal schaute Septimus auf den verkrampften, noch warmen Körper hinunter, den er einst bewohnt hatte, auf den Ausdruck in den toten Augen. Dann wandte er sich ab.
»Jetzt ist kein Bruder mehr übrig, der sich an ihr rächen könnte«, sagte er mit der Stimme des erwachenden Brachvogels, »und keiner von uns wird je der Lord von Stormhold sein. Laßt uns weiterziehen.«
Nachdem er dies gesagt hatte, gab es nicht einmal mehr Geister an jenem Ort.
* * *
Die Sonne stand hoch am Himmel, als Madame Semeles Wohnwagen durch die Kalkschlucht von Diggory’s Dyke schaukelte.
Madame Semele bemerkte den rußgeschwärzten Holzhaufen neben der Straße, und als sie näher kamen, entdeckte sie auch die gebückte alte Frau in ihrem verblichenen roten Kleid, die ihr vom Straßenrand aus zuwinkte. Das Haar der Alten war weiß wie Schnee, ihre Haut runzlig, ein Auge blind.
»Guten Tag, Schwester. Was ist mit deinem Haus passiert?« fragte Madame Semele.
»Ach, die Jugend von heute. So ein Knabe hat sich gedacht, es wäre ein guter Scherz, einer armen alten Frau, die noch nie einer Seele etwas zuleide getan hat, das Dach über dem Kopf anzuzünden. Tja, er hat seine Lektion aber schnell gelernt.«
»Ja, ja«, bestätigte Madame Semele. »Sie lernen zwar, aber sie sind niemals dankbar für die Lektionen.«
»Da hast du vollkommen recht«, meinte die Frau in dem verblichenen roten Kleid. »Nun, erzähl mir, meine Liebe. Wer reist denn da mit dir?«
»Das geht dich nun wahrhaftig nichts an«, entgegnete Madame Semele von oben herab, »und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern würdest.«
»Wer reist mit dir? Sag mir die Wahrheit, denn sonst lasse ich dich von Harpien zerreißen und hänge deine Überreste an einen Haken weit unterhalb der Welt.«
»Und wer magst du sein, daß du solche Drohungen ausstößt?«
Mit einem normalen und einem milchigen Auge starrte die Frau zu Madame Semele empor. »Ich kenne dich, Straßengraben-Sal. Riskier hier bloß keine große Lippe. Wer reist mit dir?«
Madame Semele spürte, wie ihr die Worte aus dem Mund gerissen wurden, ob sie nun sprechen wollte oder nicht. »Zwei Maultiere, die meinen Wohnwagen ziehen, ich selbst, eine Dienerin in Gestalt eines großen Vogels und ein junger Mann in Gestalt einer Haselmaus.«
»Sonst noch jemand? Sonst noch etwas?«
»Niemand und nichts. Das schwöre ich bei der Schwesternschaft.«
Die Frau am Straßenrand verzog den Mund. »Dann verschwinde hier, und zwar ein bißchen plötzlich«, befahl sie.
Madame Semele schnalzte mit der Zunge, schüttelte die Zügel, und die Maultiere trotteten weiter.
Im dunklen Wageninneren schlief die Sternfrau in ihrem geborgten Bett weiter, ohne zu merken, welches Unheil über ihrem Haupt geschwebt hatte, dem sie nur um Haaresbreite entgangen war.
Als sie außer Sichtweite der Zweighütte und der tödlich weißen Felsen von Diggory’s Dyke waren, schwang sich der exotische Vogel auf seine Stange, legte den Kopf in den Nacken und jauchzte und krähte und sang, bis Madame Semele ihm mitteilte, sie würde ihm seinen blöden Hals umdrehen, wenn er nicht augenblicklich damit aufhörte. Und selbst da, in der Dunkelheit des Wageninneren, gluckste und zirpte und trillerte der hübsche Vogel vor sich hin, und einmal ahmte er sogar einen Waldkauz nach.
* * *
Die Sonne stand schon tief am westlichen Himmel, als sie sich dem Dorf Wall näherten. Sie schien ihnen direkt in die Augen, so daß sie kaum etwas sehen konnten. Um sie herum glänzte die Welt wie flüssiges Gold. Himmel, Bäume, Büsche und sogar der Weg schimmerten golden im Licht der untergehenden Sonne.
Auf der Wiese, wo sie den Stand aufbauen wollte, zügelte Madame Semele ihre Maultiere. Dann nahm sie ihnen das Zaumzeug ab und führte sie zum Bach, wo sie die beiden an einen Baum band. Die durstigen Tiere tranken gierig.
Auf der Wiese bauten bereits andere Marktleute und Besucher ihre Buden auf; überall herrschte erwartungsvolle Stimmung.
Madame Semele kletterte in ihren Wohnwagen und hakte den Käfig von der Kette. Vorsichtig trug sie ihn hinaus auf die Wiese und stellte ihn auf einen Grashügel. Dann öffnete sie die Käfigtür und angelte mit ihren knochigen Fingern nach der schlafenden Haselmaus. »Raus mit dir«, sagte sie. Die Haselmaus rieb sich mit den Vorderpfoten ihre glänzenden schwarzen Knopfaugen und blinzelte ins verblassende Tageslicht.
Die Hexe faßte in die Schürzentasche und holte eine Glasnarzisse hervor. Damit berührte sie den Kopf der Maus.
Tristran blinzelte verschlafen und gähnte. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die widerspenstigen braunen Haare und funkelte die Alte wütend an. »Du gemeine alte Vettel…«, begann er.
»Halt du nur dein dummes Mundwerk«, unterbrach Madame Semele ihn mit scharfer Stimme. »Ich hab’ dich sicher und wohlbehalten hierhergebracht, in der gleichen Verfassung, in der ich dich gefunden habe. Ich habe dir zu essen und Unterkunft gegeben, und wenn dir etwas daran nicht gefallen hat – was juckt’s mich? Jetzt verschwinde, ehe ich dich in einen Wurm verwandle und dir den Kopf abbeiße, falls ich nicht aus Versehen den Schwanz erwische. Geh! Husch, husch!«
Tristran zählte bis zehn, dann drehte er sich wenig anmutig um und ging davon. Nach etwa zwölf Metern blieb er neben einem Gebüsch stehen und wartete auf die Sternfrau, die gerade vom Wohnwagen geklettert war und ihm folgte.
»Alles in Ordnung?« fragte er, ehrlich besorgt.
»Ja, danke«, antwortete Yvaine. »Sie hat mir nichts getan. Genaugenommen hat sie, glaube ich, gar nicht bemerkt, daß ich überhaupt da war. Ist das nicht sonderbar?«
Jetzt hatte sich Madame Semele vor den Vogel gesetzt. Auch seinen gefiederten Kopf berührte sie mit ihrer Glasblume, bis der Vogel sich reckte und streckte und sich schließlich in eine junge Frau verwandelte, dem Äußeren nach nicht viel älter als Tristran, mit dunklen, lockigen Haaren und pelzigen Katzenohren. Sie warf Tristran einen Blick zu, und in ihren violetten Augen war etwas, was Tristran sehr, sehr vertraut vorkam, obgleich er sich absolut nicht erinnern konnte, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
»Also das ist die wahre Gestalt des Vogels«, sagte Yvaine. »Sie war eine gute Reisegefährtin.« Da bemerkte sie, daß die Silberkette, die den Vogel gefangen gehalten hatte, noch immer da war, auch jetzt, da der Vogel zu einer Frau geworden war; die Kette glitzerte an ihrem Hand- und Fußgelenk, und Yvaine machte Tristran darauf aufmerksam.
»Stimmt«, entgegnete er. »Ich sehe es. Wirklich schrecklich. Aber ich bin nicht sicher, ob wir etwas dagegen unternehmen können.«
Nebeneinander überquerten sie die Wiese in Richtung Maueröffnung. »Zuerst besuchen wir meine Eltern«, erklärte Tristran. »Bestimmt haben sie mich genauso vermißt wie ich sie« – obwohl Tristran, um die Wahrheit zu sagen, auf seiner Reise eigentlich kaum einen Gedanken an seine Eltern verschwendet hatte – »und dann gehen wir zu Victoria Forester und…« Bei diesem »Und« klappte Tristran plötzlich den Mund zu. Denn er brachte seine frühere Idee, die Sternfrau Victoria Forester zu schenken, überhaupt nicht mit seinen gegenwärtigen Gefühlen unter einen Hut – nämlich daß Yvaine nicht ein Ding war, das man von einem zum anderen weiterreichte, sondern in jeder Hinsicht eine richtige, vollständige Person. Aber dennoch war Victoria Forester die Frau, die er liebte.
Schön und gut, aber eins nach dem anderen. Jetzt würde er erst einmal Yvaine ins Dorf bringen und die Ereignisse auf sich zukommen lassen. Er spürte, wie sich seine Stimmung hob, und in seinem Kopf war seine Zeit als Haselmaus bereits nur noch ein Traum, so, als hätte er am Küchenfeuer ein Mittagsschläfchen gehalten. Aber jetzt war er wieder hellwach. In Gedanken konnte er Mr. Bromios’ Premiumbier schon beinahe schmecken; allerdings fiel ihm etwas schuldbewußt ein, daß er doch tatsächlich die Farbe von Victoria Foresters Augen vergessen hatte.
Rot und riesig hing die Sonne hinter den Dächern von Wall, als Tristran und Yvaine die Wiese überquerten und auf den Durchgang in der Mauer hinabblickten. Die Sternfrau zögerte.
»Möchtest du das wirklich?« fragte sie Tristran. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
»Du brauchst nicht nervös zu sein«, meinte er beruhigend. »Obwohl es natürlich kein Wunder ist, wenn du aufgeregt bist; ich hab’ auch mindestens hundert Schmetterlinge im Bauch. Aber es wird dir gleich viel bessergehen, wenn du erst im Salon meiner Mutter sitzt und Tee trinkst – na ja, vielleicht trinkst du keinen Tee, aber es wird genug da sein, daß du welchen trinken könntest. Meine Mutter holt ganz bestimmt das gute Porzellan heraus für einen solchen Besuch und zur Feier der Rückkehr ihres Sohnes.« Seine Hand suchte ihre und drückte sie.
Yvaine sah ihn an und lächelte, sanft und wehmütig. »Wohin du gehst…«, flüsterte sie.
Hand in Hand gingen der junge Mann und der gefallene Stern auf die Öffnung der Mauer zu.