Schnappschuss

Jeder, der damals in Cambridge an dem Seminar über die Geschichte der britischen Architektur teilnahm, hätte in der Rückschau auf den Fall Abinger Manor gesagt, dass Sam Cleary unter den gegebenen Umständen am ehesten als Kandidat für einen Mordanschlag vorstellbar war. Daraus folgt natürlich ganz von selbst die Frage, warum irgendjemand das Verlangen haben sollte, einen harmlosen amerikanischen Botanikprofessor umzubringen, dessen einziges Verbrechen darin bestand, dass er mit seiner Frau nach Cambridge gekommen war, um an einem Sommerkurs der Universität am St. Stephen's College teilzunehmen. Aber genau das ist der springende Punkt: Er war mit seiner Frau da. Der gute alte Sam - ein rüstiger Siebziger, der immer daherkam wie aus dem Ei gepellt und einen Hang zu Querbindern und Tweedjacketts hatte, obwohl es der heißeste englische Sommer seit Jahrzehnten war - vergaß gern, dass seine ihm angetraute Frances mitgekommen war. Und wenn Sam das vergaß, begannen unweigerlich seine Blicke zu wandern, um die holde Weiblichkeit im näheren und weiteren Umfeld zu inspizieren. Das schien dem alten Herrn zur zweiten Natur geworden zu sein. Wäre es bei solcher Inspektion geblieben, so hätte Frances Cleary das vielleicht verzeihen können. Sie konnte schließlich nicht erwarten, dass ihr Mann mit Scheuklappen durch Cambridge marschierte, und Cambridge hat im Sommer eine bemerkenswerte Auswahl an hübschen Frauen zu bieten! Als er aber anfing, abends endlos im Pub herumzusitzen, um Polly Simpson, eine Kommilitonin, mit Anekdoten aus sämtlichen Abschnitten seines Lebens zu unterhalten, von der Kindheit, die er auf einer Farm in Vermont verbracht hatte, bis zu den Jahren in Vietnam, wo er seinen Berichten zufolge seine ganze Einheit im Alleingang vor dem Untergang gerettet hatte - also, das war denn doch zu viel für Frances. Nicht nur hätte Polly mit Leichtigkeit Sams Enkelin sein können, sie war obendrein noch - man verzeihe den Ausdruck! - zum Sterben schön und so blond und wohlgebaut, wie Frances in ihren besten Jahren nicht.

Als daher Sam Cleary und Polly Simpson sich am Vorabend des fraglichen Tages wieder einmal bis zwei Uhr morgens im College-Pub herumtrieben, lachend und gackernd wie die Kinder - und mehr als ein Kind war Polly mit ihren dreiundzwanzig Jahren ja tatsächlich nicht -, die Köpfe zusammensteckten und sich wie zwei Leute verhielten, die etwas ganz Bestimmtes im Sinn hatten, war Frances endlich der Geduldsfaden gerissen, und sie hatte ihrem Mann gründlich die Meinung gesagt. Er war allerdings nicht der Einzige, der sie zu hören bekam.

Noreen Tucker wusste am folgenden Morgen beim Frühstück delikate Einzelheiten der nächtlichen Auseinandersetzung zu berichten, nachdem Frances' akustisch rasch anschwellendes Missvergnügen sie nachts um zwei Uhr dreiundzwanzig geweckt und bis Punkt vier Uhr siebenunddreißig wach gehalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt kündete schließlich das Knallen einer zornig zugeschlagenen Tür von Sams Entschluss, sich den Anklagen seiner Frau, dass er ein herzloser, hinterhältiger und treuloser Patron sei, nicht weiter auszusetzen.

Jeder andere unfreiwillige Lauscher hätte seine durch Zufall erworbene Kenntnis von diesem Ehekrach wahrscheinlich für sich behalten. Aber Noreen Tucker war eine Frau, die das Rampenlicht suchte. Und da sie in den dreißig Jahren ihrer Karriere als Autorin von romantischen Liebesromanen in dieser Hinsicht überhaupt nicht auf ihre Kosten gekommen war, pflegte sie sich die Aufmerksamkeit ihrer Umwelt zu holen, wie und wo sie konnte.

So auch am Morgen des fraglichen Tages, als nach und nach die anderen Teilnehmer des Seminars über die Geschichte der Britischen Architektur im riesigen Speisesaal des St. Stephen's College zum Frühstück eintrudelten. Im Laura-Ashley-Kleid und mit einem breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf, weil sie sich einbildete, jugendliche Kleidung machte jung, gab Noreen die pikanten Details der nächtlichen Auseinandersetzung des Ehepaars Cleary zum Besten, wobei sie sich mit Blicken nach links und nach rechts weit über den Tisch beugte, um sowohl die Bedeutung als auch die Vertraulichkeit der von ihr dargebotenen Informationen zu unterstreichen.

»Ich wollte meinen Ohren nicht trauen«, sagte sie am Schluss ihres Berichts, völlig außer Atem. »Ich meine, wisst ihr jemanden, der dezenter wirkt als Frances Cleary? Ich hätte nie gedacht, dass sie solche Ausdrücke überhaupt kennt! Ehrlich, ich war entsetzt über das, was ich da zu hören bekam. Und peinlich war das Ganze! Ihr habt keine Ahnung! Ich wusste nicht, ob ich an die Wand klopfen soll, um sie zum Schweigen zu bringen, oder ob ich besser Hilfe hole. Wobei ich mir allerdings nicht vorstellen kann, dass der Nachtportier große Lust gehabt hatte, sich einzumischen, wenn ich so weit gegangen wäre, ihn zu holen. Und vor allem - wenn ich mich da hätte reinziehen lassen, hätte Ralph vielleicht geglaubt, er müsste mir beistehen, und wäre womöglich zwischen die Fronten geraten. So einem Risiko konnte ich ihn auf keinen Fall aussetzen, das versteht ihr doch, nicht? Am Ende wäre Sam noch handgreiflich geworden, und Ralph ist weiß Gott nicht in der Verfassung, sich mit irgendjemandem zu prügeln. Nicht wahr, Liebling?«

Liebling Ralph, Noreens Schatten und ständiger Begleiter, sah aus wie ein Fettkloß in einer Safarijacke. Keiner aus der Seminargruppe hatte es geschafft, in den elf Tagen seines Aufenthalts in Cambridge mehr als zehn Worte aus ihm herauszubekommen, und einige aus dem Kreis der Studenten, die andere Kurse am St. Stephen's College belegt hatten, schworen, er wäre stumm.

Liebling Ralph war nicht in der Verfassung, sich mit jemandem zu prügeln, weil er an Hypoglykämie litt, eine Tatsache, über die sich Noreen des Langen und Breiten ausließ, sobald sie zunächst ihre Analyse der Beziehung der Eheleute Cleary und danach von Sams Interesse an anderen Frauen im Allgemeinen und Polly Simpson im Besonderen abgeschlossen hatte. Liebling Ralph erklärte jedem, der es hören wollte, er sei durch dieses Leiden, das plötzliche Absinken des Blutzuckerspiegels unter den Normalwert, zu einem Märtyrerleben verdammt. Seine ganze Familie sei von diesem Fluch betroffen, den armen Ralph jedoch habe es am schlimmsten von allen erwischt. Einmal war er, Noreens Worten zufolge, sogar mitten auf dem Freeway am Steuer ihres Wagens ohnmächtig geworden. Nur dank Noreens Geistesgegenwart und beherztem Eingreifen war ein Desaster vermieden worden.

»Ich hab das Lenkrad so blitzartig gepackt, als wär ich zur Rettungsfahrerin oder so was ausgebildet«, vertraute Noreen ihren Zuhörern an. »Es ist schon erstaunlich, wozu der Mensch fähig ist, wenn die Katastrophe droht, nicht wahr?« Ihrer Art entsprechend, wartete sie nicht auf eine Antwort, sondern wandte sich sogleich ihrem Mann zu und fragte: »Du hast doch dein Studentenfutter für den heutigen Ausflug bei dir, Ralphie, mein Liebling? Nicht dass du uns mitten im Rittersaal von Abinger Manor umkippst!«

»Oben im Zimmer«, nuschelte Ralph in seine Cornflakes.

»Lass sie nur nicht dort oben liegen«, ermahnte ihn Noreen. »Du weißt doch, wie's dir gehen kann.«

»Es geht ihm wie dem typischen Pantoffelhelden, Noreen«, bemerkte Cleve Houghton, zu ihnen an den Tisch tretend. »Ralph braucht Bewegung, nicht diesen Krempel, mit dem du ihn voll stopfst.«

»Du musst gerade reden«, versetzte Noreen mit einem viel sagenden Blick auf seinen Teller, der mit Bergen von Rührei, Bratwürstchen, gegrillten Tomaten und Champignons beladen war. »Wer im Glashaus sitzt, mein Lieber ... Für deine Arterien ist das bestimmt nicht gut.«

»Ich bin heute Morgen schon zwölf Kilometer gelaufen«, entgegnete Cleve. »Bis nach Grantchester, und ganz ohne zu keuchen. Meine Arterien sind in bester Verfassung, danke. Ihr anderen solltet es auch mal mit Laufen probieren. Es ist wirklich der gesündeste Sport, den es gibt.« Er warf den Kopf in den Nacken, dass sein Haar flog - eine dunkle Mähne, auf die jeder Mann von fünfzig Jahren hätte stolz sein können -, und gewahrte Polly Simpson, die gerade den Speisesaal betrat. »Der zweitgesündeste«, korrigierte er sich und lächelte Polly mit halb verschleiertem Blick träge zu.

Noreen kicherte affektiert. »Du meine Güte, Cleve. Ein bisschen Zurückhaltung. So viel ich weiß, ist sie schon vergeben. Auch wenn ich jemanden kenne, der ihr das nicht verzeiht.« Noreen nutzte ihre eigene Bemerkung, um auf das Thema zurückzukommen, das sie bereits vor Cleves Erscheinen abgehandelt hatte. Diesmal jedoch gab sie noch ein paar zusätzliche Überlegungen des Inhalts zum Besten, dass Polly Simpson die geborene Unruhestifterin sei und sie - Noreen - vom ersten Tag gewusst habe, dass »die Kleine« Zwietracht in dieser oder jener Form unter ihnen säen werde. Es liege ja auf der Hand: Wenn Polly nicht gerade damit beschäftigt sei, sich bei der Dozentin einzuschleimen, indem sie sämtliche Dias, die diese langweilige Person ihren Studenten zumutete, mit Bewunderungsrufen kommentierte - zweifellos um eine bessere Abschlussnote heraus­zuschlagen -, mache sie sich garantiert an irgendeinen Mann heran. Mochte sie selbst noch so nachdrücklich behaupten, diese Annäherungsversuche wären rein freundschaftlicher Natur, jeder könne sehen, wie aufreizend sie seien.

»Es würde mich wirklich interessieren, was sie im Schilde führt«, sagte Noreen zu denen, die an dieser Stelle noch bereit waren, ihr zuzuhören. »Abend für Abend glucken die beiden zusammen, sie und Sam Cleary. Was tun sie die ganze Zeit?Mir kann keiner erzählen, dass die sich über Blumen unterhalten. Die machen Pläne für die Zeit danach. Gemeinsame Pläne, wohlgemerkt.«

Zu Kommentaren blieb keine Zeit, da schnellen Schritts Polly Simpson nahte, in den Händen ein Tablett mit einem frugalen Frühstück, das aus einer Banane und einer Tasse Kaffee bestand. Sie trug wie immer ihren Fotoapparat um den Hals, und nachdem sie ihr Tablett abgestellt hatte, ging sie zum Ende des Tischs und nahm die Gruppe beim Frühstück ins Visier. Noch am Nachmittag der ersten Sitzung hatte Polly sich zur offiziellen Chronistin des Sommerseminars erklärt und ihre Aufgabe seither absolut ernst genommen. »Glaubt es mir nur, ihr werdet das als Andenken noch zu schätzen wissen«, pflegte sie zu sagen, wann immer sie jemanden aufs Korn nahm. »Ich verspreche es euch. Es ist noch nie vorgekommen, dass jemand meine Fotos nicht gemocht hat.«

»Lieber Gott, Polly, doch nicht jetzt«, beschwerte sich Cleve, als die junge Frau am anderen Ende des Frühstückstischs ihren Apparat einstellte, aber er brachte seine Beschwerde in nachsichtig gutmütigem Ton vor, und keinem der Anwesenden entging, dass er sich mit einer Hand kurz die volle Mähne zauste, um ihr den lässigen Touch zu geben, der ihn wieder wie dreißig wirken lassen würde.

»Wir sind noch nicht vollzählig, Polly«, bemerkte Noreen, »und du möchtest doch bestimmt den ganzen Kurs auf dem Bild haben, nicht wahr?«

Polly sah sich um. Dann lächelte sie. »Na bitte, da kommen Emily und Howard«, stellte sie fest. »Jetzt haben wir fast alle beisammen.«

»Bis auf die Wichtigsten«, entgegnete Noreen, die einfach nicht locker lassen wollte, als die beiden anderen Seminarteilnehmer sich zu ihnen gesellten. »Willst du nicht auf Sam und Frances warten?«

»Ach nein, es brauchen ja nicht unbedingt alle auf dem Bild zu sein«, erklärte Polly, als bemerkte sie die Spitze in Noreens Frage nicht.

»Trotzdem ...«, murmelte Noreen und fragte Emily Guy und Howard Breen - ein Pärchen aus San Francisco, das sich gleich am ersten Tag in Cambridge gesucht und gefunden hatte -, ob sie im L-Flügel, wo sie alle ihre Zimmer hatten, nicht vielleicht Sam oder Frances begegnet seien. »Die beiden haben ja letzte Nacht kaum ein Auge zugetan«, fügte sie mit einem bedeutungsvollen Blick in Pollys Richtung hinzu. »Vielleicht haben sie verschlafen.«

»So wie Howard heute Morgen in der Dusche gejodelt hat, ganz sicher nicht«, erwiderte Emily. »Ich hab ihn zwei Stockwerke höher gehört.«

»Tja, bei mir beginnt kein Tag ohne eine Huldigung an Barbra«, erklärte Howard.

Noreen unterband den drohenden Themawechsel, der ihr gar nicht in den Kram passte, mit der Bemerkung:

»Ach was! Und ich dachte, bei Kerlen deiner Couleur wäre Bette Midler die große Nummer.«

Betretenes Schweigen breitete sich rund um den Frühstückstisch aus. Polly, der der Mund offen geblieben war, senkte ihren Fotoapparat. Emily Guy krauste die Stirn wie die Unschuld vom Lande und tat so, als verstünde sie Noreens Anspielung nicht. Cleve Houghton prustete verhalten, ohne einen Moment die Pose des Vollblutmanns aufzugeben. Und Ralph Tucker löffelte ungerührt seine Cornflakes weiter.

Howard selbst brach schließlich das Schweigen.

»Bette Midler?«, sagte er. »Nein! Die gute Bette mag ich nur, wenn ich meine Netzstrümpfe und die hohen Hacken trage, Noreen. Und damit kann ich mich nicht unter die Dusche stellen. Wasser ist ganz schlecht für Lackleder.«

Polly kicherte, Emily lächelte und Cleve starrte Howard volle zehn Sekunden lang an, bevor er beifällig wieherte. »Na, das möchte ich wirklich mal sehen - dich in Netzstrümpfen und hohen Hacken!«

»Alles zu seiner Zeit«, entgegnete Howard. »Erst muss ich frühstücken.«


Auch Noreen Tucker hätte sich also durchaus als Ziel eines mörderischen Anschlags angeboten, nicht wahr? Sie stocherte mit Vorliebe in Wespennestern herum und wusste kaum etwas Befriedigenderes, als die Brut so richtig in Rage zu bringen. Dabei war ihr aber nicht klar, was sie tat. Sie hatte, ungeachtet der Nebenwirkungen ihrer Sticheleien, nur ein Ziel im Auge: Bei jedem Gespräch das Thema zu bestimmen, weil sie dann den Lauf des Gesprächs dirigieren und so stets die Nase vorn haben konnte. Die Nase vorn haben hieß, im Mittelpunkt stehen. Und wenigstens hier in Cambridge im Mittelpunkt zu stehen, das entschädigte ein wenig dafür, dass sie nirgends sonst dieses Glück genoss.

Das Problem war Victoria Wilder-Scott, die Dozentin, eine konfuse Person, die mit Vorliebe in Khakiblusen und karierten Baumwollröcken herumlief und bei den Seminardiskussionen unweigerlich und sicher nicht absichtlich so saß, dass ihr jeder bis Gott weiß wohin unter den Rock sehen konnte. Victoria ging es einzig darum, ihnen die Köpfe mit Detailwissen über britische Architektur vollzustopfen. Der Klatsch, der bei den Sommerkursen anfiel, interessierte sie nicht im Geringsten.

Sie und Noreen waren einander von Anfang an nicht sympathisch gewesen und fochten seit dem ersten Tag einen höflichen aber erbitterten Kampf um die Vorherrschaft im Klassenzimmer aus. Noreen versuchte beharrlich, sie mit penetranten und im Allgemeinen absurden Fragen über das Privatleben der Architekten, mit deren Werken sie sich befassten, auf Nebengleise zu locken: Ob Christopher Wren die barocken Formen, die er seinen Bauten gegeben hatte, auch bei Frauen bevorzugt habe. Ob sich hinter Adams streng klassizistischer Bauweise vielleicht eine unbezwingbar sinnliche Natur verberge. Doch Victoria Wilder-Scott pflegte Noreen nur mit leerem Blick anzustarren, wie jemand, der auf eine Übersetzung wartet, und die Fragen dann mit einem »Ja, hm ...« wegzufegen wie eine lästige Mücke.

Vom ersten Unterrichtstag an war es ihr ein Anliegen gewesen, die Teilnehmer ihres Seminars über die Geschichte der britischen Architektur auf den Besuch von Abinger Manor vorzubereiten. Das alte Herrenhaus im Herzen des ländlichen Buckinghamshire vereinte in sich alle in Großbritannien bekannten architektonischen Stilrichtungen und war zugleich eine Fundgrube an kulturellen Schätzen, die vom kostbaren Rokokosilber bis zu Gemälden von der Hand englischer, flämischer und italienischer Meister reichten. Victoria zeigte ihrer Gruppe eine endlose Folge von Dias - gewölbte Decken, verzierte Giebel, Marmorsäulen mit vergoldeten Kapitellen, kunstvoll gemeißelte Wasserspeier und gezähnte Gesimse - und wenn die Gehirne ihrer Schüler mit archi­tektonischen Details gesättigt waren, speiste sie sie zum Nachtisch mit Dias von Porzellan, Silber, Skulpturen, Gobelins und Möbeln. Dieser Landsitz, Abinger Manor, erklärte sie ihnen, sei das Kronjuwel englischer Herrenhäuser. Es war erst seit kurzem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, und wer es besichtigen wollte und nicht das Glück hatte, in einem einschlägigen Sommerseminar an der Universität Cambridge eingeschrieben zu sein, musste mit einer Wartezeit von mindestens zwölf Monaten rechnen, immer vorausgesetzt, er war gewillt, sich tagelang ans Telefon zu hängen, um überhaupt zur Anmeldung durchzukommen.

»Internet-Buchungen und ähnlichen Unsinn gibt es in Abinger Manor nicht«, teilte Victoria Scott-Wilder ihnen mit. »Hier hält man an den alten Sitten fest.« Die selbstverständlich die einzig richtigen waren.

Dieses Denkmal vergangener Zeiten - ganz zu schweigen von Sitte und Anstand - würden sie nun also in wenigen Stunden nach einer ziemlich langen Fahrt über Land zu sehen bekommen.

Es war vereinbart, dass man sich an diesem Morgen beim Queen's Gate treffen würde, an der Mündung der Garett Hostel Lane, an deren Ende der gemietete Kleinbus wartete. Hier, wo die versammelten Exkursionsteilnehmer ihre Lunchpakete in Empfang nahmen und mit den üblichen säuerlichen Kommentaren über Anstalts­verpflegung begutachteten, stießen endlich Sam Cleary und seine Frau Frances zur Gruppe, er sichtlich gedämpft, sie mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter.

Wenn man aus der Art der Kleidung auf den Ausgang ihrer nächtlichen Auseinandersetzung schließen konnte, so war Sam eindeutig als Sieger daraus hervorgegangen: Tipptopp sah er wieder einmal aus in einem feschen Sportsakko mit Querbinder, der raffiniert auf die waldgrünen Töne seiner Tweedhose abgestimmt war. Frances dagegen, schlabberiges Hemd und schlabberige Hose, beides um Nummern zu groß, sah aus wie ein Flüchtling der Kulturrevolution.

Polly schien bestrebt, den Bruch, den sie möglicherweise zwischen Sam und Frances verursacht hatte, zu kitten. Immerhin war sie beinahe fünfzig Jahre jünger als Sam und hatte zu Hause in Chicago einen Freund. Sie hatte sich von den Aufmerksamkeiten eines älteren Mannes - eines echt alten Mannes, wie sie es formuliert hätte - vielleicht geschmeichelt gefühlt, aber das hieß noch lange nicht, dass sie auch nur daran gedacht hätte, die Flamme von Sams Interesse zu einem Feuer der Leidenschaft zu schüren. Er sah zwar wirklich sehr gut aus mit dem vollen weißen Haar und der gesunden Röte auf den Wangen, aber er war nun einmal alt, darum kam man nicht herum, und nicht zu vergleichen mit Pollys David, auch wenn David bislang unglücklicherweise beinahe krankhaft auf das Studium der Brüllaffen fixiert war.

Polly rief also den Clearys ein munteres Guten Morgen zu und winkte ihnen mit ihrem Fotoapparat. Sie hatte für die Exkursion ein Riesenteleobjektiv aufgeschraubt, das ihren Zwecken im Moment sehr dienlich war. Es erlaubte ihr, Sam und seine Frau zu fotografieren und dabei sicheren Abstand zu halten. »Bleibt mal einen Moment dort bei der Blumenrabatte stehen«, sagte sie. »Die Farben sehen ganz toll aus zu deinem Haar, Frances.«

Frances' Haar war grau. Nicht schneeweiß, wie sich das bei manchen Frauen so gut machte, sondern schlacht­schiffgrau. Von beneidenswerter Fülle zwar, aber so fade und stumpf in der Farbe, dass sie selbst in ihren besten Momenten alt und griesgrämig wirkte. Und da dies nicht unbedingt einer ihrer besseren Momente war, sah sie entsprechend aus.

»Unglaublich, wie Schlafmangel sich auswirken kann, nicht wahr?«, bemerkte Noreen Tucker viel sagend, als die Clearys sich der Gruppe näherten, nachdem sie sich bereitwillig - zumindest was Sam betraf - von Polly hatten fotografieren lassen. »Ralph, Liebling, du hast doch dein Studentenfutter nicht vergessen? Krisen in den heiligen Hallen von Abinger Manor können wir heute Morgen nicht gebrauchen.«

Ralph wies mit abwärts gedrehtem Daumen zu seinem Bauch hinunter, eine Antwort, die leicht zu interpretieren war: Der Plastikbeutel mit dem Studentenfutter quoll aus seiner Safarijacke hervor wie der Schwanz eines jungen Beuteltiers.

»Sobald du merkst, dass du zittrig wirst, schiebst du dir auf der Stelle eine Hand voll in den Mund«, instruierte ihn Noreen, »und wartest nicht erst auf irgendjemandes Erlaubnis, ist das klar?«

»Alles klar, alles klar.« Ralph schlurfte zu den wartenden Lunchpaketen hinüber und bückte sich keuchend, um zwei aus dem Korb zu nehmen.

»Der Mann kann von Glück sagen, wenn er die Sechzig schafft«, sagte Cleve Houghton zu Howard Breen.

»Was tun Sie eigentlich für Ihre Gesundheit?«

»Ich dusche nur mit Freunden«, antwortete Howard.

Victoria Wilder-Scott gesellte sich zu ihnen. In Khaki und Karo, die Brille ins Haar geschoben, ein dickes Ringbuch an die Hühnerbrust gedrückt, kam sie ihnen entgegen. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie ihre Kursteilnehmer, offensichtlich perplex darüber, dass sie sie nur verschwommen erkennen konnte. Einen Augenblick später wurde ihr klar, weshalb.

»Ach so, die Brille«, sagte sie und zog diese auf ihre Nase herunter, während sie geschäftig zu sprechen fortfuhr. »Sie haben alle die Broschüren gelesen? Und das zweite Kapitel vonGreat Houses of the British Isles? - Gut, dann haben wir also alle eine klare Vorstellung davon, was uns an Sehenswürdigkeiten in Abinger Manor erwartet? Die großartige Sammlung von Meißner Porzellan, die zum Teil in Ihrem Lehrbuch abgebildet ist. Die edelste in ganz England. Die Gemälde von Gainsborough, Le Brun, Turner, Constable und Reynolds. Diesen wunderschönen Whistler. Und den Holbein. Das Rokoko-Silber. Einige außergewöhnliche Möbelstücke. Die italienischen Skulpturen. Die prächtigen historischen Trachten und Kostüme. Die Gartenanlagen sind übrigens eine Pracht, mit Sissinghurst vergleichbar. Und der Park ... Tja, wir haben leider nicht die Zeit, alles zu besichtigen, aber wir werden unser Bestes tun, nicht wahr? Sie haben alle Ihre Hefte dabei? Und Ihre Fotoapparate?«

»Polly nimmt ihren mit«, warf Noreen ein. »Da brauchen wir keinen anderen.«

Victoria warf einen Eulenblick auf die Seminarchronistin. Sie hatte von Beginn an kein Geheimnis daraus gemacht, dass Pollys Eifer ihr gefiel, und wünschte nur, unter ihren Schülern gäbe es mehr, die sich mit solchem Enthusiasmus in die Cambridge­Erfahrung stürzten. In Victorias Augen war genau das der Haken an den Sommerseminaren: Sie wurden im Allgemeinen von betuchten Amerikanern gebucht, deren Vorstellung davon, Neues zu lernen, sich darauf beschränkte, in der Bequemlichkeit des Wohnzimmersofas hockend Fernsehdokumentarfilme zu konsumieren.

»Tja, hm«, sagte Victoria und strahlte Polly an. »Haben Sie unseren bevorstehenden Abmarsch bereits doku­mentiert?«

»Los, geht mal alle rüber zum Tor, Herrschaften«, rief Polly statt einer Antwort. »Schießen wir noch ein schönes Gruppenbild, bevor wir abfahren.«

»Stellen Sie sich zu den anderen«, sagte Victoria. »Ich knipse.«

»Nein, nicht mit diesem Apparat«, wehrte Polly ab.

»Der hat einen Belichtungsmesser, mit dem höchstens ein kleiner Einstein umgehen kann. Kein Mensch kommt damit zurecht. Er hat meinem Opa gehört.«

»Und lebt Ihr Großvater noch?«, fragte Noreen scheinheilig. »Dann müsste er jetzt - wie alt ist er, Polly? Doch bestimmt schon uralt. Um die Siebzig?«

»Gut geschätzt«, sagte Polly. »Er ist zweiundsiebzig.«

»Der reinste Methusalem!«

»Ja, aber er ist nicht tot zu kriegen und hat massenhaft - « Polly brach ab. Ihr Blick flog zu Sam, dann zu Frances, und Noreen sagte liebenswürdig: »Massenhaftwas?«

»Witz und Weisheit, zweifellos«, warf Emily Guy ein. Wie Victoria Wilder-Scott bewunderte sie Polly Simpsons Energie und Enthusiasmus und beneidete sie darum - ohne sich aber von diesem Gefühl beherrschen zu lassen -, dass ihr Leben sich gerade erst zu entfalten begann, indes ihr eigenes sich immer enger zusammenzog. Emily Guy war nach Cambridge gereist, um eine unglückliche Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann zu vergessen, an die sie die letzten sieben Jahre ihres Lebens verschwendet hatte. Sie reagierte daher verständlicher­weise ausgesprochen negativ, wenn sie bei anderen Frauen einen Hang wahrzunehmen glaubte, sich auf aussichtslose Dreiecksgeschichten einzulassen. Wie Noreen hatte sie Polly bei ihren abendlichen Gesprächen mit Sam Cleary beobachtet. Aber anders als Noreen, hatte sie dahinter nicht mehr gesehen als die Freundlichkeit einer jungen Frau einem alten Mann gegenüber, der unverkennbar in sie vernarrt war. Polly Simpson war für Frances Clearys Eifersucht nicht verantwortlich zu machen, hatte Emily Guy gleich beim ersten Mal entschieden, als sie beobachtet hatte, wie Frances über den Tisch hinweg Polly mit unwilliger Miene musterte.

Polly jedoch schien weiterhin bestrebt, Frances zu besänftigen, und achtete auf der Fahrt nach Abinger Manor darauf, Sam Cleary möglichst aus dem Weg zu gehen. In Begleitung von Cleve Houghton schlenderte sie zu dem wartenden Kleinbus, nahm in derselben Sitzreihe Platz wie er, jedoch auf der anderen Seite des Gangs, und verwickelte ihn sogleich in ein ernsthaftes Gespräch, das sie während der ganzen Fahrt aufrechterhielt.

Noreen Tucker, die, wie wir bereits erfahren haben, gern zündelte, entging das natürlich nicht. »Mit Pipikram wird unsere gute Polly sich garantiert nicht zufrieden geben«, bemerkte sie mit gesenkter Stimme zu ihrem wortkargen Ehemann, während sie durch das ausgedörrte hoch­sommerliche Land fuhren. »Die will mindestens Gold, darauf kannst du dich verlassen.«

Da Ralph keine Antwort gab - es war nie so einfach zu erkennen, ob er wach war oder nur so tat -, sah sie sich nach einem aufnahmebereiteren Zuhörer um und schnappte sich Howard Breen, der, nur durch den Gang von ihr getrennt, neben ihr saß und in einer der Broschüren über die Kostbarkeiten von Abinger Manor blätterte, die an alle Seminarteilnehmer verteilt worden waren.

»Wenn es um Geld geht, spielt das Alter keine Rolle, stimmt's, Howard?«, sagte sie zu ihm.

Howard hob den Kopf. »Geld? Wofür denn?«, fragte er.

»Geld für Plunder, für Reisen, um ein flotteres Leben zu führen. Er ist Arzt. Geschieden. Schwimmt im Geld. Und sie hat die Dias, die Victoria uns gezeigt hat, vom ersten Tag an mit den Augen verschlungen, oder ist dir das nicht aufgefallen? Ich wette, die würde liebend gern so eine kleine Antiquität als Souvenir mit nach Chicago nehmen. Und Cleve Houghton ist doch genau der Richtige, ihr so was zu spendieren, wo Frances ihren Sam jetzt wieder fest an der Kandare hat.«

Howard senkte die Broschüre und sah seine Platznachbarin - Emily Guy - Rat suchend an, um sich Noreens Bemerkungen von ihr erläutern zu lassen. »Sie spricht von Polly und Cleve Houghton«, sagte Emily und fügte leise hinzu: »Mit einem kleinen Rückblick auf Polly und Sam.«

»Bei solchen Frauen geht es doch einzig und allein ums Geld«, behauptete Noreen. »Glaub mir, wenn du ein paar Kröten hättest, wär sie genauso hinter dir her, Howard, ganz egal, wo deine sexuellen Präferenzen liegen, wenn ich das mal so sagen darf. Sei froh, dass du ihr entronnen bist.«

Howard sah kurz zu Polly hinüber, die Cleve Houghton gerade mit lebhaften Gesten irgendetwas auseinander­setzte. »Was? Entronnen? Ich will aber gar nicht entrinnen. Ich kann jederzeit den Kurs wechseln. Hey, wenn Vollmond ist und der Wind aus Osten bläst, bin ich für alles zu haben. Wenn ich ehrlich bin, Noreen, törnst du mich schon seit ein paar Tagen ganz schön an.«

Noreen geriet etwas aus dem Konzept. »Ich denke nicht-«

»Ja, das ist mir schon aufgefallen.« Howard grinste.

Noreen fand es gar nicht witzig, wenn man sich auf ihre Kosten lustig machte, aber sie war nicht die Frau, die darauf mit einem Frontalangriff antwortete. Auch jetzt lächelte sie bloß und sagte: »Tja, wenn du solche Gelüste hast, Howard, kann ich dir leider nicht dienen. Du weißt ja, ich bin schon vergeben. Aber ich bin sicher, Emily wird dir nur zu gern entgegenkommen. Ja, ich möchte beinahe wetten, dass sie genau darauf gehofft hat. Männliches Interesse kann eine Frau in solch einen Gefühlsüberschwang versetzen, dass - nun, dass siealles für möglich hält, nicht wahr? Sogar, dass aus einem Homo für immer ein Hetero wird. Ich kann mir vorstellen, dass dir das sehr recht wäre, Emily. Ich meine, letzten Endes braucht doch jede Frau einen Mann.«

Emily wurde heiß, obwohl sie wusste, dass Noreen Tucker keine Ahnung von ihrem vergangenen Leben haben konnte, von ihren törichten Hoffnungen in eine Liebesaffäre, die sie in dem armseligen Bemühen, sie zu etwas Besonderem hochzustilisieren, als schicksalhafte Begegnung zweier füreinander bestimmter Menschen gesehen hatte, während sie in Wirklichkeit nicht mehr gewesen war als eine Folge heimlicher Treffen in anonymen Hotelbetten, nach denen sie sich noch einsamer gefühlt hatte als vorher.

Wie einigen anderen an diesem Tag zog ihr der Gedanke durch den Sinn, dass es ein Dienst an der Menschheit wäre, Noreen Tucker von der Erde zu fegen.

Vorn im Bus hatte sich Victoria Wilder-Scott fast die ganze Fahrt hindurch am Mikrofon über die Schönheiten von Abinger Manor ausgelassen. Sie schien zum Abschluss ihrer Erläuterungen zu kommen, als man von der Hauptstraße in eine von dicht belaubten Hecken gesäumte Auffahrt einbog.

»Die Familie hat also dem Haus Stuart bis zum Ende unerschütterlich die Treue gehalten. Im Nordturm werden wir gleich eine Geheimkammer sehen, in der in Zeiten religiöser Verfolgung katholische Priester versteckt wurden. Dort hielt sich auch Karl I. vor seiner Flucht auf den Kontinent verborgen. Und in der Galerie können Sie versuchen, die perfekt kaschierte Geheimtür zu finden, durch die König Karl in jener schicksalhaften Nacht seine Flucht antrat. Zum Dank für die unverbrüchliche Treue der Familie zu ihm wurde ihrem Oberhaupt der Titel eines Grafen verliehen. Ein erblicher Titel, natürlich. Der heutige Graf kommt zwar nur an den Wochenenden hierher, aber seine Mutter - die, nebenbei gesagt, eine Tochter des Grafen Asherton ist - lebt hier auf dem Landsitz, und es würde mich nicht wundern, wenn wir ihr persönlich begegneten. Sie ist dafür bekannt, dass sie sich gern unter die Besucher mischt. Sie ist eine Exzentrikerin, wie das bei Menschen dieses Standes ja relativ häufig vorkommt.«

Als der Bus die letzte Kurve umrundete und die Seminarteilnehmer ihren ersten Blick auf Abinger Manor warfen, erhob sich beifälliges Gemurmel unter ihnen. Alles, was sie sonst beschäftigte, war einen Moment vergessen. Hochzufrieden über diese Reaktion ihrer Schützlinge, drehte sich Victoria Wilder-Scott auf ihrem Sitzplatz um. »Na«, sagte sie, »habe ich zu viel versprochen?«

Jenseits eines Burggrabens, auf dessen Wasser Seerosen schwammen, standen, das Portal des Hauses flankierend, zwei mit Zinnen gekrönte Türme. Sie erhoben sich über fünf Stockwerke, und zu ihren beiden Seiten blickten hohe, kunstvoll verzierte Kamine auf gestufte Treppen­giebel. Erkerfenster, dem imposanten Bau erst später angefügt, schwebten über dem Graben und boten den Hausbewohnern einen Blick auf den großen Park mit seinen Gartenanlagen, auf der einen Seite von einer hohen Eibenhecke geschützt, auf der anderen von einer Backsteinmauer, vor der eine Blumenrabatte mit Laven­del, Astern und Nelken leuchtete. Hier vertraten sich die Seminarteilnehmer, denen bis zum Beginn des Rundgangs durch das Haus noch eine Viertelstunde Zeit blieb, nach der Fahrt erst einmal die Füße.

Sie waren an diesem Morgen nicht die einzigen Besucher von Abinger Manor. Kurz nach ihnen hielt auf dem Parkplatz ein großer Reisebus und spie eine Schar deutscher Touristen aus, die, Polly Simpsons Beispiel folgend, sogleich begannen, die eindrucksvolle Fassade des Herrenhauses zu fotografieren. Zu gleicher Zeit trafen zwei Familien im Range Rover ein, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als sich in den Irrgarten zu stürzen, wo sie sich prompt verliefen und dann mit lautem Geschrei versuchten, wieder auf den richtigen Weg zu finden. Und etwas später rollte beinahe lautlos ein silberner Bentley auf den Parkplatz und hielt neben den anderen Fahrzeugen an.

Die Insassen des Bentley waren Thomas Lynley und seine zukünftige Frau, Lady Helen Clyde. Diese beiden führte ein rein persönliches Interesse nach Abinger Manor - die bereits erwähnte, gräfliche Witwe, die Herrin von Abinger Manor, war Lynleys formidable Tante Augusta, die ihren Neffen herzitiert hatte, um ihm vorzuführen, dass man sein Heim sehr wohl zur öffentlichen Besichtigung freigeben konnte, ohne dass dies katastrophale Folgen hatte. Sie wünschte, dass er das gleiche mit seinem Landsitz in Cornwall täte, hatte ihn aber bisher noch nicht von der Zweckmäßigkeit des Vorschlags überzeugen können.

»Wir sind nicht alle die Herzogin von Devonshire«, pflegte Lynley ihr milde vorzuhalten.

»Was eine hergelaufene Mitford kann«, pflegte sie zu entgegnen, »das kann ich schon lange.«

Aber Thomas Lynley und seine Braut dachten nicht daran, Tante Augusta aufzusuchen, wie man das in Anbetracht der verwandtschaftlichen Beziehung hätte erwarten können. Vielmehr gesellten sie sich zu den anderen Besuchern im Park und bewunderten mit ihnen, was da trotz der sommerlichen Dürre noch grünte und blühte.

Die anderen konnten natürlich nicht wissen, dass dieser Thomas Lynley, der, den Arm um die Schultern seiner zukünftigen Frau gelegt, ruhig und unauffällig durch den Park schlenderte, ein Mitglied der Familie war, die hier lebte, wenn auch nur noch in einem Seitenflügel des stattlichen alten Hauses. Und ebenso wenig konnten sie wissen - was im Hinblick auf die kommenden Ereignisse von einer gewissen Bedeutung war -, dass er Kriminal­beamter bei New Scotland Yard war. Nein, sie sahen nur, was die Leute im Allgemeinen zu sehen pflegten, wenn ihr Blick auf Thomas Lynley und Helen Clyde fiel: gediegene Zurückhaltung in Auftreten und Garderobe; das höfliche und respektvolle Verhalten, das von guter Erziehung zeugt; und eine Liebe, die wie Freundschaft aussah, weil sie sich aus Freundschaft entwickelt hatte.

Mit anderen Worten, die beiden waren unter den Besuchern von Abinger Manor an diesem Tag völlig fehl am Platz.

Als mit dem Läuten einer Glocke der Beginn des Rundgangs angekündigt wurde, versammelte sich die Gruppe an der Haustür, wo sie von einer resoluten jungen Frau Mitte Zwanzig, mit Pickeln am Kinn und zu stark geschminkten Augen, begrüßt wurde. Sie führte ihre Schäfchen ins Haus, sperrte hinter ihnen ab für den Fall, dass jemand vorhaben sollte, mit irgendeinem kostbaren Stück das Weite zu suchen, und begann ihren Vortrag in einem Englisch, das nahe legte, dass sie auf das Gespräch mit Ausländern gut vorbereitet war. Einfache Wörter, einfache Sätze, langsam und deutlich.

Sie befänden sich hier, erklärte sie, im ursprünglichen Durchgang vom Haus zur Küche, wie er für die Herrenhäuser aus der Tudorzeit typisch sei. Die Mauer links sei die originale Zwischenwand, deren Reliefarbeiten sie auf der anderen Seite bewundern könnten. Wenn sie jetzt bitte zusammenbleiben und die abgesperrten Bereiche nicht betreten würden ... Fotografieren bitte nur ohne Blitz!

Anfangs ging alles glatt. Die Gruppe lauschte den Ausführungen in ehrfürchtigem Schweigen, fotografiert wurde gehorsam ohne Verwendung von Blitzlicht. Fragen stellte einzig Victoria Wilder-Scott, und wenn die Antworten der Führerin nicht bis ins letzte Detail korrekt waren, so merkte das keiner.

So gelangte man schließlich in den Festsaal, einen prachtvollen großen Raum, der in jeder Hinsicht hielt, was Victoria Wilder-Scott ihren Schützlingen versprochen hatte. Im Einklang mit den Hinweisen der Führerin auf seine besonderen Merkmale, vermerkte man pflicht­schuldig das gewaltige Gewölbe der Decke, die Empore über dem Eingang und ihr kunstvoll geschmiedetes Gitterwerk, die Gobelins, die Porträts, die offenen Kamine und die Teppiche. Fotoapparate wurden gezückt. Beifälliges Gemurmel erhob sich allenthalben. Irgendwo im Raum schlug eine Uhr mit zartem Wohlklang die halbe Stunde.

Da störte plötzlich grimmiges Knurren den geübten Vortrag der Führerin. Jemand kicherte, und ein paar Leute, die sich umwandten, sahen, wie Polly Simpson beide Hände auf ihren Magen drückte. »Entschuldigung« sagte sie. »Das kommt davon, wenn man zum Frühstück nur eine Banane isst.«

Diese Bemerkung machte dem normalerweise so lethargischen Ralph Tucker gewissermaßen Feuer unter dem Hintern. Während die Gruppe ihre Aufmerksamkeit wieder der Führerin zuwandte, schlurfte er zu Polly hinüber und bot ihr galant den Brotbeutel unter der Safarijacke dar.

»Kleiner Energiestoß«, sagte er. »Gut für den Blutzuckerspiegel.«

Mit einem dankbaren Lächeln steckte sie die Hand in den Beutel und nahm sich etwas von dem Studentenfutter. Er folgte ihrem Beispiel. Sie mussten ihren Imbiss natürlich in aller Verstohlenheit verspeisen und taten es wie zwei ungezogene Schulkinder mit dem dazu gehörigen, mühsam unterdrückten Gelächter, während die Führerin sie aus dem Festsaal in den Gang hinauslotste. Dort ging es eine Treppe hinauf in einen schmalen, korridorähnlichen Raum.

»Diese Galerie«, erklärte die Führerin, als sie sich alle hinter einer Samtkordel versammelt hatten, die den Raum der ganzen Länge nach durchzog, »gehört zu den berühmtesten in England. Hier befindet sich nicht nur die bedeutendste Sammlung von Rokoko-Silber im ganzen Land - einen Teil davon sehen Sie links vom offenen Kamin auf diesem Halbmondtisch, einem Sheraton­Möbel, nebenbei gesagt -, sondern auch Gemälde von Le Brun, Gainsborough, Reynolds, Holbein, Whistler, Turner, van Dyck und einer Anzahl weniger bedeutender Künstler. In der Vitrine am Ende dieses Raums sind ein Hut, Handschuhe und Strümpfe aufbewahrt, die von Elisabeth I. getragen wurden. Und hier haben wir eine der besonderen Attraktionen des Hauses.« Sie trat links neben den Sheraton-Tisch und stieß mit leichter Hand gegen die getäfelte Wand. Lautlos öffnete sich eine Tür, die bis zu diesem Moment nicht zu erkennen gewesen war.

Mehrere der deutschen Touristen applaudierten anerkennend.

Die Führerin sagte: »Das ist eine Gibb-Tür. Raffiniert, nicht? Hier konnten die Bediensteten zu jeder Zeit kommen und gehen, ohne in den Gesellschaftsräumen des Hauses gesehen zu werden.«

Man reckte die Hälse, man knipste, man brummelte Beifälliges.

Und da passierte es.

Die Führerin sagte gerade: »Achten Sie bitte besonders auf-«, als ihr sozusagen die Ereignisse in die Parade fuhren.

»Schatz! Nor! Schatz!«, röchelte jemand, und jemand anders schrie: »O mein Gott!«, und eine dritte Person rief erschrocken: »Vorsicht! Vorsicht! Ralph kippt um!«

Und genau das geschah. Ralph Tucker stieß einen unartikulierten Schrei aus und stürzte krachend auf einen der kostbaren Atlasholztische, die zur Einrichtung von Abinger Manor gehörten. Er riss ein pompöses Blumenarrangement mit sich, zertrümmerte eine Porzellanschale mit einer Duftmischung aus getrockneten Blüten und Kräutern, die sich über den ganzen Perserteppich verteilten, und warf den Tisch um. Die Samtkordel sprang aus den Haken der Messingpfosten, die in Abständen längs im Raum aufgestellt waren, als Ralph zu Boden schlug und reglos liegen blieb.

»Ralphie! Schatz!«, kreischte Noreen Tucker und drängte sich wie eine Rasende zu ihrem Mann durch. Sie packte ihn bei der Schulter und schüttelte ihn, während die Menschen ringsum mit kopfloser Aufregung reagierten. Die einen drängten vorwärts, die anderen wichen zurück. Jemand begann zu beten, jemand anderer fluchte laut. Drei Frauen aus der deutsche Gruppe ließen sich auf die Sofas fallen, die jetzt, ohne Absperrung, zugänglich waren. Ein Mann verlangte mit lauter Stimme nach Wasser, während ein anderer frische Luft forderte.

Es waren zweiunddreißig Menschen im Raum, aber es war keiner da, der das Kommando übernommen hätte. Die Führerin - die sich zwar in den Kunstschätzen von Abinger Manor auskannte, aber nicht in erster Hilfe - stand da wie angewurzelt, als hätte der Schlag, der den still auf dem Boden liegenden Ralph Tucker getroffen hatte, auch sie getroffen.

Stimmen schallten aus allen Richtungen.

»Ist er -?«

»Um Gottes willen. Er kann doch nicht -«

»Ralph! Mein Ralphie!«

»Er ist ohnmächtig geworden, nicht wahr?«

»Ruf doch jemand einen Krankenwagen, Herrgott noch mal!«, sagte Cleve, dem es gelungen war, sich durch das Gedränge zu boxen, und der nun, nach einem Blick auf Ralph Tuckers Gesicht, neben dem Leblosen niederkniete und mit Wiederbelebungsversuchen begann.

»Na los!«, brüllte er die Führerin an, die endlich aus der Trance erwachte, durch die Geheimtür stürzte und die Treppe hinaufrannte.

»Ralphie! Ralphie!«, klagte Noreen Tucker in den höchsten Tönen, als Cleve einen Moment Pause machte, um Ralphs Puls zu suchen, und dann mit seinen Bemühungen fortfuhr.

»Kann er nicht etwas unternehmen?«, rief eine der Deutschen, während ein anderer sagte: »Schauen Sie sich nur die Gesichtsfarbe an.«

Das war der Moment, als Thomas Lynley eingriff. Nachdem er sein Jackett abgelegt und Helen Clyde gereicht hatte, schob er sich durch das Gewühl der Leute, hockte sich rittlings auf den Elefantenleib Ralph Tuckers und übernahm die Herzmassage, während Cleve Houghton nach oben rückte und mit der Mund-zu-Mund-Beatmung weitermachte.

»Sie müssen ihn retten! Bitte!«, jammerte Noreen.

»Tun Sie doch etwas! Helfen Sie ihm!«

Victoria Wilder-Scott trat an ihre Seite. »Sie sind ja schon dabei, ihm zu helfen«, sagte sie beschwichtigend.

»Kommen Sie, gehen wir da hinüber ...«

»Nein! Ich lasse meinen Ralphie nicht allein. Er brauchte nur etwas zu essen.«

»Ist ihm was im Hals stecken geblieben?«

»Haben Sie es mit dem Heimlich-Griff versucht?«

Die Führerin stürzte wieder in die Galerie. »Ich habe angerufen -«, begann sie und brach ab. Wie alle anderen sah sie, dass der unglücklich Gestürzte, um den die beiden Männer sich immer noch bemühten, bereits tot war.


Thomas Lynley übernahm nun das Kommando. Er zog seinen Dienstausweis heraus und sagte, ihn der Führerin unter die Nase haltend, mit gedämpfter Stimme: »Thomas Lynley, New Scotland Yard. Schicken Sie jemanden zu meiner Tante - Lady Fabringham -, um sie von dem Unglück zu unterrichten. Aber sorgen Sie, um Gottes willen, dafür, dass sie nicht hier erscheint. In Ordnung?«

Er kannte Augustas fatalen Hang, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen, und wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sie in dieser Situation mit eigenmächtigen Befehlen unnötige Verwirrung stiftete. Ein Rettungswagen war schließlich bereits unterwegs, und man konnte im Moment nicht mehr tun, als diesen armen Burschen in ein Krankenhaus zu bringen, wo man den amtlichen Totenschein ausstellen würde. Um den Raum für das Eintreffen des Notarzts freizumachen, schlug Lynley vor, die anderen sollten ihren Rundgang fortsetzen.

Keiner hatte jetzt noch große Lust, weitere Kostbarkeiten von Abinger Manor zu besichtigen, dennoch schlurfte die ganze Gesellschaft mit Ausnahme der weinenden Noreen Tucker gehorsam im Gänsemarsch aus der Galerie hinaus. Aber noch ehe alle weg waren, beugte sich Lynley zu dem Toten auf dem Boden hinunter und öffnete die im Tod geballte Faust.

»Herzversagen«, bemerkte Cleve Houghton. »Ich habe so was schon häufiger erlebt.«

Lynley nickte zwar, aber er sagte nichts. Er war damit beschäftigt, die Reste von Studentenfutter zu prüfen, die aus Ralph Tuckers Hand zu Boden fielen. Als er den Kopf hob, sah er nicht Cleve an, sondern blickte der Gruppe nach. Er tat dies ernst und nachdenklich, denn dem auf dem Land groß gewordenen Thomas Lynley war klar, das Ralph Tucker ermordet worden war. Indes Noreen Tucker schluchzend in einen Chippendale­Sessel von unschätzbarem Wert sank und Helen Clyde zu ihr ging, um sie zu trösten, fiel hinter der Touristengruppe die Tür zu, und schon wenige Augenblicke später standen alle im Salon und wurden aufgefordert, den Raum und insbesondere seine reich verzierte Stuckdecke zu bewundern. Dies, eröffnete die nunmehr sehr gedämpfte Führerin der Gruppe, sei der König-Eduard-Salon, der seinen Namen von dem Standbild Eduards IV. habe, das über dem Kaminsims stand. Es sei ein Standbild in Dreiviertelgröße, erklärte sie, nicht in Lebensgröße; Eduard IV. war im Gegensatz zu den meisten Männern seiner Zeit gut über einen Meter achtzig groß gewesen. Und als er am26. Februar 1460 in London eingezogen sei


Es war ihnen unbegreiflich, wie die junge Frau es fertig brachte, einfach weiterzumachen. Es hatte etwas Unanständiges, im Angesicht des Todes von Ralph Tucker Kronleuchter, seidene Tapeten, antike Möbel, chinesische Vasen und einen französischen Kaminaufsatz zu be­wundern. Dabei spielte es keine Rolle, dass der Mann keinem von ihnen persönlich etwas bedeutete. Er war tot, und aus Respekt vor seinem Hinscheiden hätte der Rundgang von Rechts wegen abgeblasen werden müssen.

Kein Wunder also, dass alle unruhig und bedrückt waren. Die Stimmung war gespannt, die Ruhe wurde nur mühsam bewahrt. Als dann endlich im Winterspeisesaal Cleve Houghton mit der Nachricht zu ihnen stieß, dass Ralph Tucker abtransportiert worden war, teilte er den Versammelten gleich auch noch mit, dass Thomas Lynley die zuständige Polizeidienststelle alarmiert hatte.

»Polizei?«, fragte Emily Guy entsetzt.

Das Wort machte schnell die Runde in der Gruppe. Die Seminarteilnehmer begannen einander mit Zweifel und Argwohn zu mustern.

Alle wussten, dass es nur das Studentenfutter gewesen sein konnte. Und alle hatten sie die gleiche Schwierigkeit: Nicht einer von ihnen wusste eine Antwort auf die bohrende Frage, warum, in Gottes Namen, irgendjemand das Verlangen verspürt haben sollte, Ralph Tucker zu ermorden. Noreen Tucker, ja. Die Frau hatte vom ersten Tag an ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie absolut nichts angingen, und sie würde bei einem Beliebtheitswett­bewerb unter ihnen bestimmt an letzter Stelle enden. Oder auch Sam Cleary, der nach Meinung seiner Frances einmal zu oft nach anderen Frauen geschielt hatte. Oder sogar Frances, die Sam bei seinen Bemühungen, bei Polly Simpson mehr zu erreichen, im Weg gewesen war. Aber Ralph? Nein, das ergab überhaupt keinen Sinn.

So wanderten also die Gedanken aller in die gleiche Richtung, und als sie bei Polly Simpson anlangten, erinnerten sich mehrere Personen eines erschreckenden, aber bedeutsamen Details: Auch Polly hatte von Ralph Tuckers Studentenfutter gegessen, und das, wohlgemerkt, nicht zum ersten Mal. Hatte sie nicht auch bei ihrer allerersten gemeinsamen Exkursion zugegriffen, als Ralph in einer Anwandlung von Aufgeschlossenheit, die sich nicht wiederholte, nach einem langen Tag von Haus­besichtigungen in Norfolk auf der Heimfahrt nach Cambridge großzügig sein Studentenfutter herumgereicht hatte, um die Gruppe für den entgangenen Nachmittagstee zu entschädigen? O ja, sie hatte zugegriffen. Als Einzige. Es war also möglich, dass der Anschlag ihr gegolten hatte und Ralph Tucker lediglich ein Unglücksrabe war, der auch hatte dran glauben müssen.

Das veranlasste mehr als einen aus der Gruppe, Polly mit Besorgnis zu beobachten, um beim geringsten Anzeichen dafür, dass auch sie unter der Wirkung dessen, was Ralph dahingerafft hatte, zusammenzubrechen drohte, eingreifen zu können. Jemand meinte sogar diskret, sie sollte doch eine Toilette aufsuchen und auf jeden Fall versuchen, sich zu übergeben. Aber Polly, die nicht zu verstehen schien, was hinter diesem Vorschlag steckte, schnitt nur eine Grimasse und fuhr fort, ihre Fotos zu schießen, wenn auch merklich gedämpft in ihrer Lebensfreude.

Tod durch Studentenfutter - da stellten sich diejenigen, die das in Erwägung zogen, natürlich die Frage nach dem Gift. Und das wiederum veranlasste sie zu fragen, wie man sich in Cambridge Gift beschaffen sollte. Man konnte nicht einfach in die nächste Apotheke gehen und sagen, geben Sie mir etwas, das schnell und schmerzlos wirkt und keine Spuren hinterlässt. Es war daher anzunehmen, dass das Gift von zu Hause mitgebracht worden war. Und diese Überlegung führte die Leute dazu, ernsthafter über Noreen Tucker und die Frage nachzudenken, ob sie ihren Ralphie tatsächlich so hingebungsvoll liebte, wie es den Anschein gehabt hatte.

Die Gruppe befand sich in der Bibliothek, als Thomas Lynley in Begleitung seiner Verlobten wieder zu ihr stieß und die Anwesenden der Reihe nach mit nachdenklichem Blick musterte; wie übrigens auch Helen Clyde das tat, die ins Bild gesetzt worden war, während der arme Ralph in den Krankenwagen verladen wurde. Die beiden - Thomas Lynley und Helen Clyde - trennten sich, als sie herein­kamen, und gesellten sich verschiedenen Leuten der Gruppe zu. Beide schenkten den Ausführungen der Führerin nicht die geringste Beachtung, sondern richteten ihre gesammelte Aufmerksamkeit auf die Besucher von Abinger Manor.

Begleitet vom hallenden Klang ihrer Schritte, der schallenden Stimme der Führerin und dem gelegentlichen Klicken von Fotoapparaten, zogen sie alle gemeinsam weiter von der Bibliothek in die Kapelle. Lynley ging zwischen den Leuten herum, sprach jedoch mit nieman­dem außer seiner Braut, mit der er an der Tür einige kurze Worte wechselte, bevor er sich wieder von ihr trennte.

Nach der Kapelle besichtigte man die Rüstkammer. Von dort aus ging es in das Billardzimmer, weiter ins Musikzimmer, und dann zwei Treppen hinunter in die Küchenräume. Die Speisekammer war in einen Souvenirladen umfunktioniert worden, der Deutsche wie Amerikaner gleichermaßen anlockte. Doch ehe die Gruppe auseinander laufen konnten, ergriff Lynley das Wort.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch einen Moment hier, in der Küche, zusammenbleiben würden«, sagte er. »Seien Sie so freundlich und haben Sie etwas Geduld.«

Von den Deutschen kamen milde Proteste. Die Amerikaner sagten nichts.

»Es tut mir Leid«, fuhr Lynley fort, »aber wir haben ein Problem in Bezug auf Mr. Tuckers Tod.«

»Ein Problem?«, wiederholte Sam Cleary fragend, und andere riefen: »Wieso? Was ist denn los?« und »Was wollen Sie von uns?«

»Es war Herzversagen«, behauptete Cleve Houghton bestimmt. »Ich habe genügend ähnliche Fälle erlebt und kann Ihnen mit Sicherheit sagen -«

»Ich ebenfalls«, ertönte eine Stimme mit starkem Akzent. Sie gehörte einem Mitglied der deutschen Touristengruppe, einem älteren Mann, der offensichtlich gar nicht erfreut darüber war, dass der Rundgang schon wieder unterbrochen werden sollte. »Ich bin Arzt. Auch ich kenne diese Fälle von plötzlichem Herztod. Ich kenne mich da zur Genüge aus.«

Da musste man sich natürlich fragen, warum der Mann im Moment der Krise keinen Finger gerührt hatte, aber niemand sagte etwas. Lynley streckte seinen Arm aus und öffnete seine Hand. Auf ihr lag vielleicht ein halbes Dutzend schwarzbrauner Körner. »Es sieht aus wie Herzversagen«, erklärte er. »So wirken Alkaloide. Sie paralysieren innerhalb von Minuten das Herz. Das hier sind übrigens Eibensamen.«

»Eibensamen?«, fragte jemand. »Was haben Eiben -«

»Ach, die stammen sicher aus der Schale mit der Kräutermischung, die Mr. Tucker umgestoßen hat, als er stürzte«, warf Victoria Wilder-Scott ein.

Lynley schüttelte den Kopf. »Sie waren unter die Nüsse in seiner Hand gemischt«, sagte er. »Und in dem Beutel, den er unter seiner Jacke trug, war noch eine ganze Menge davon. Es tut mir Leid, es sagen zu müssen, aber Ralph Tucker wurde ermordet.«

Sie hatten also Recht gehabt mit ihren Befürchtungen. Und während einige von ihnen noch bei der Frage verweilten, warum ausgerechnet Ralph Tucker ermordet worden war, flogen die Blicke der anderen zu der einzigen Person in der Küche, die ganz ohne Zweifel wusste, was man mit ein paar Eibenkörnern anrichten konnte.

Die Deutschen protestierten derweilen aus vollem Hals. Anführer war der Arzt. »Wir haben mit dieser Sache nichts zu schaffen«, erklärte er. »Der Mann war uns völlig fremd. Sie haben kein Recht, uns hier festzuhalten. Wir werden jetzt gehen.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Lynley »Das sollen Sie auch. Sobald die Sache mit dem Silber geklärt ist.«

»Wovon, um alles in der Welt, reden Sie?«

»Es sieht ganz so aus, als hätte einer von Ihnen die allgemeine Aufregung in der Galerie genutzt, um von dem Tisch neben dem offenen Kamin zwei Teile des silbernen Rokokoservice' zu entwenden. Es handelt sich um zwei Milchkännchen, klein, reich verziert und eindeutig verschwunden. Es ist natürlich richtig, dass ich hier nicht zuständig bin, aber diese kleine Geschichte mit dem verschwundenen Silber würde ich gern selbst aufklären, bevor die Kollegen eintreffen und mit ihren Unter­suchungen über Mr. Tuckers Tod beginnen.« Er konnte sich lebhaft vorstellen, was seine Tante Augusta zu der Angelegenheit zu sagen haben würde, wenn er sienicht regelte.

»Was wollen Sie denn tun?«, erkundigte sich Frances Cleary ängstlich.

»Haben Sie vielleicht die Absicht, uns hier festzuhalten, bis einer von uns ein Geständnis ablegt?«, fragte der deutsche Arzt in spöttischem Ton. »Sie sind nicht dazu berechtigt, uns zu durchsuchen.«

»Das ist richtig«, bestätigte Lynley wie zuvor. »Es sei denn, Sie erklären sich mit einer Durchsuchung einverstanden.«

Daraufhin folgte Schweigen. Füßescharren. Räuspern. Hitziges Geflüster in Deutsch. Papierrascheln, als jemand ein Heft aufblätterte.

Cleve Houghton meldete sich als Erster zu Wort. Er ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen und sagte:

»Also, ich hab nichts dagegen.«

»Aber die Damen ...«, bemerkte Victoria Wilder-Scott mit einer gewissen Zimperlichkeit.

Lynley wies mit einem Kopfnicken zu seiner Begleiterin, die vor einer Glasvitrine mit Kupfertöpfen am Rand der Gruppe stand. »Das ist Lady Helen Clyde«, sagte er.

»Sie wird die Durchsuchung bei den Damen vornehmen.«

Und dann begann das Unternehmen: Die Herren wurden in die Spülküche gebeten, die Damen in den Vorbe­reitungsraum auf der anderen Seite des Korridors.

Sowohl Thomas Lynley als auch Helen Clyde leisteten gründliche Arbeit. Lynley war ganz dienstliche Sach­lichkeit. Helen ging etwas zartfühlender zu Werke. Beide baten sie jeden ihrer Gruppe, sich zu entkleiden und danach wieder anzukleiden. Beide durchsuchten Kleidertaschen, Handtaschen, Rucksäcke und Leinen­beutel. Lynley absolvierte das Programm mit grimmigem Schweigen, das einschüchtern sollte. Helen plauderte mit den Frauen, um ihnen die Angst und Befangenheit zu nehmen.

Beide fanden nichts, obwohl sogar Victoria Wilder-Scott und die Führerin durchsucht wurden.

Lynley bat die Versammelten, im Teesalon zu warten, und ging selbst zur Treppe am hinteren Ende der Küchenräume.

»Wohin will er denn jetzt?«, fragte Polly Simpson, mit beiden Händen ihren Fotoapparat an die Brust drückend.

»Er muss in den anderen Räumen des Hauses nach dem Silber suchen«, meinte Emily Guy.

»Aber das kann ja ewig dauern«, jammerte Frances Cleary.

»Na und? Wir müssen doch sowieso warten, bis die hiesige Polizei kommt.«

»Alles Quatsch«, erklärte Cleve Houghton. »Es war schlichtes Herzversagen, und ich bin überzeugt, es fehlt überhaupt kein Silber. Wahrscheinlich wird es gerade irgendwo geputzt.«

Dies jedoch war nicht der Fall, wie Lynley feststellte, als er seiner Tante väterlicherseits berichtete, was er lieber nicht berichtet hätte. Augusta zeigte angemessenes Entsetzen und Bedauern, als sie hörte, dass in ihrem Haus ein offenbar harmloser Tourist von einer Minute auf die andere sein Leben hatte lassen müssen. Doch als sie erfuhr, dass »so ein hinterhältiger kleiner Gauner« die Frechheit besessen hatte, eine ihrer Kostbarkeiten in seinen Besitz zu bringen, gebärdete sie sich wie die Rachegöttin persönlich. Volle fünf Minuten lang ließ sie sich darüber aus, was sie mit diesem Verbrecher zu tun gedachte, und nur indem Lynley seiner Tante versicherte, dass die zuständigen Behörden - vertreten durch ihn selbst - nichts unversucht lassen würden, um den Dieb zu schnappen, konnte er sie davon abhalten, sich die Touristen gleich selbst vorzuknöpfen. Er ließ sie schließlich in Gesellschaft ihrer drei Corgis zurück und begab sich auf den Rückweg zur Gruppe.

Sie war nicht mehr in den Küchenräumen, sondern draußen im Hof. Lynley konnte sie von den Fenstern des privaten Flügels aus sehen, den seine Tante bewohnte. Er beobachtete sie einen Moment und vermerkte, dass kulturelle Stereotypen offenbar selbst in Momenten der Krise galten. Die Deutschen standen mit ernsten Mienen in kleinen Grüppchen beieinander, Vertraute unter sich:

Männer mit ihren Ehefrauen; Ehepaare mit ihren Kindern; Familien mit Verwandten. Studenten mit ihren Landsleuten. Über die Grenzen dieser bereits bestehenden Gruppen wagten sie sich nicht hinaus und verharrten zumeist starr und schweigend beieinander. Die Amerikaner andererseits suchten nicht nur untereinander Kontakt, sondern auch zu den englischen Familien, die den Rundgang mitgemacht hatten. Sie unterhielten sich miteinander, die einen ernst und bedrückt, die anderen recht lebhaft. Und eine Frau aus ihrem Kreis fotografierte sogar.

Polly Simpson war Lynley schon früher aufgefallen, in einer Art Gedächtnisreflex auf eine Liebesbeziehung, die ihn einmal mit einer jungen Fotografin verbunden hatte. Die Beziehung lag noch nicht so weit zurück, dass er nicht

- wie damals - Polly Simpsons Ausrüstung zur Kenntnis genommen hätte. Es ist schon interessant, dachte er, während er sie beobachtete, welch unerwartete Dinge wir durch die Verbundenheit mit einem anderen Menschen erfahren und lernen können. Nicht nur über uns selbst und den anderen, sondern über Lebensbereiche, die uns sonst vielleicht für immer verschlossen geblieben wären. Den Blick auf die unten im Hof stehende Polly gerichtet, gelang es Lynley, sich seine frühere Freundin in gleicher Situation vorzustellen, mit vergleichbarem Enthusiasmus für Licht, Form und Komposition und ohne weiteres fähig, eben Geschehenes zu vergessen und sich völlig auf die Arbeit zu konzentrieren, die ihr im Moment am Herzen lag.

Das ist eben die unverwüstliche Kraft der Jugend, dachte er (etwas schwülstig, da er ja selbst noch keine vierzig war) und gönnte sich - ein Mann, der seit fünfzehn Jahren sein berufliches Leben der Verbrecherjagd gewidmet hatte

- einen Moment wehmütiger Beobachtung Polly Simpsons bei der Arbeit mit ihrem Fotoapparat. Dann begab er sich auf den Weg in den Hof, um sich der Gruppe wieder anzuschließen.

Erst als er unten durch die Küche ging, erkannte er die Bedeutsamkeit dessen, was er gerade im Hof beobachtet hatte. Und auch nur deshalb, weil ihm plötzlich einfiel, wie seine frühere Freundin, für die er oft wie ein braver Packesel ihre gesamte Fotoausrüstung herumgeschleppt hatte, immer - mehr zu sich selbst als zu ihm - gesagt hatte: »Für die Aufnahme brauche ich das achtundzwanzig Millimeter«, und dann das Objektiv ausgewechselt hatte, während er geduldig dabei stand.

Ihm wurde auf einmal klar, dass er während des ganzen Rundgangs und vorher schon - als er und Helen mit der Besuchergruppe zusammen den Park von Abinger Manor durchstreift hatten - etwas beobachtet hatte, ohne die Beobachtung zu registrieren. Und das passiert ja so leicht, dachte er, wenn man sich keine Gedanken über die Logik dessen macht, was man vor Augen hat.

Er eilte rasch durch die Speisekammer und trat in den Hof hinaus. So sicher war er sich seiner Sache, dass er den Deutschen und den beiden englischen Familien die Abfahrt gestattete und schweigend wartete, bis sie den Hof verlassen hatten, ehe er zu Polly Simpson trat und ihr ohne lange Umstände den Riemen mit dem Fotoapparat von der Schulter zog.

»Hey!«, rief sie protestierend. »Das ist meiner. Was denken Sie sich -«

Sie brach ab, als er den ersten der Filmbehälter öffnete, die am Riemen des Apparats befestigt waren. Er war leer. Genau wie die anderen.

»Mir ist aufgefallen«, sagte er, »dass Sie seit unserer Ankunft unaufhörlich fotografiert haben. Was würden Sie sagen, wie viele Aufnahmen haben Sie gemacht?«

»Keine Ahnung«, antwortete sie. »Ich zähl nicht mit. Ich fotografiere einfach, bis mir der Film ausgeht.«

»Aber Sie haben keinen zusätzlichen Film mitgenom­men, nicht wahr?«

»Ich dachte nicht, dass ich einen brauchen würde.«

»Nein? Das ist merkwürdig. Sie haben angefangen zu fotografieren, sobald sie in den Park kamen. Und Sie haben seitdem keine Pause gemacht, außer vermutlich während der Ereignisse in der Galerie. Oder haben Sie die auch fotografiert?«

Emily Guy schnappte erschrocken nach Luft. Sam Cleary sagte aufgebracht: »Moment mal -«, aber da packte seine Frau ihn am Arm, und er hielt den Mund.

»Was soll das alles?«, fragte Victoria Wilder-Scott. »Wir wissen doch alle, dass Polly ständig fotografiert.«

»Ach ja? Mit diesem Objektiv?«, fragte Lynley.

»Es ist ein Makro-Zoom«, erklärte Polly und schrie, als Lynley energisch das Objektiv packte: »Hey! Lassen Sie das! Das Ding ist ein Vermögen wert.«

»Tatsächlich«, sagte Lynley und schraubte es ab. Dann kippte er mit einer kurzen Bewegung das Objektiv, und zwei silbern blitzende Gegenstände fielen in seine Hand.

Die Umstehenden rissen die Augen auf.

»Alles Attrappe«, stellte Cleve Houghton trocken fest.

Und alle im Hof starrten Polly Simpson an.

Die Stimmung war sehr gedrückt, als die Seminargruppe an diesem Abend nach Cambridge zurückkehrte. Sie war natürlich um drei Mitglieder geschrumpft. Ralph Tuckers sterbliche Hülle lag derzeit auf dem Seziertisch. Seine Witwe hatte aus der Situation das Beste gemacht und die gastliche Einladung der sehr bemühten Gräfin von Fabringham angenommen, die, vertraut mit der fatalen amerikanischen Neigung, beim geringsten Anlass vor Gericht zu ziehen, bestrebt war, ein Rencontre mit der amerikanischen Gerichtsbarkeit unter allen Umständen zu vermeiden. Und Polly Simpson war von der zuständigen Polizei in Gewahrsam genommen worden und stand nun wegen Mordes und versuchten Diebstahls unter Anklage.

Selbstverständlich spukte Polly Simpson allen ihren ehemaligen Kommilitonen unablässig im Kopf herum. Und selbstverständlich bewegten jeden von ihnen andere Gefühle in Bezug auf sie.

Sam Cleary, zum Beispiel, fühlte sich wie ein ausgemachter Narr, weil er nicht fähig gewesen war, zu erkennen, dass Pollys Interesse an ihm sich in Wahrheit einzig auf seine botanischen Fachkenntnisse beschränkt hatte. Gewiss, sie hatte bei jedem Wort und Anekdötchen förmlich an seinen Lippen gehangen, aber hatte sie nicht sehr geschickt das Gespräch immer wieder auf seine Arbeit gelenkt, bis sie bekommen hatte, was sie wollte: den Namen und die Beschreibung eines Gifts, das sie sich ganz leicht auf einem Spaziergang durch die Grünanlagen der Colleges in Cambridge beschaffen konnte.

Frances Cleary andererseits fühlte sich beruhigt. Der Preis war hoch, und Ralph Tucker hatte ihn bezahlt, aber sie wusste jetzt, dass ihr Mann nicht das Ziel der tödlichen Leidenschaft einer jungen Frau gewesen war, wie sie geglaubt hatte, und fühlte sich daher ihrer Ehe sicherer. So sicher, dass sie keine Einwände erhob, als Sam sich auf der Rückfahrt im Kleinbus neben Emily Guy setzte.

Emily Guy und Victoria Wilder-Scott waren enttäuscht und niedergeschlagen von den Ereignissen des Tages, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Victoria hatte soeben die erste wahrhaft begeisterte, amerikanische Sommerkursteilnehmerin seit Jahren verloren, während Emily Guy entdeckt hatte, dass eine hübsche junge Frau, die man so sehr dafür bewundert hatte, dass sie keine Schwäche für Männer hatte, dafür eine Schwäche für anderes besaß.

Und die Männer - Howard Breen und Cleve Houghton? Sie empfanden Polly Simpsons Verhaftung als einen Verlust. Cleve betrauerte den Verlust aller Hoffnungen darauf, sie trotz des Altersunterschieds von siebenund­zwanzig Jahren, der zwischen ihnen bestand, irgendwie ins Bett zu kriegen. Howard Breen hingegen war froh, sie los zu sein - da nun der Weg zu Cleve Houghton frei war. Man konnte schließlich immer hoffen.

Und das war es letztendlich, was die Amerikaner in ihrem Seminar über die Geschichte der britischen Architektur in diesem Jahr in Cambridge lernten: Hoffen war erlaubt, auch wenn es manchmal, wie im Fall Polly Simpsons, vergeblich war.

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