Bei der ersten Sitzung mit Thistle McCloud hatte Douglas Armstrong keinerlei Absicht, seine Frau zu ermorden. Tatsächlich kam ihm der Gedanke an Mord erst zwei Wochen nach Sitzung Nummer vier.
Douglas beobachtete Thistle genau, während diese sich auf seine Offenbarung aus einer anderen Dimension vorbereitete. Sie hielt seinen Trauring auf ihrer geöffneten linken Hand. Sie schloss die Finger um den Ring. Sie ließ ihre rechte Hand über der Faust der linken schweben. Sie summte fünf Töne, die verdächtige Ähnlichkeit mit dem Anfang von »I Love You Truly« hatten. Langsam rutschten ihre Augen weg, verdrehten sich aufwärts und verschwanden hinter den gelb getönten Lidern. Was blieb, war der verwirrende Anblick einer Frau um die dreißig mit einem Strohhut auf dem Kopf, in gestreifter Weste und weißem Hemd mit getüpfelter Krawatte, die aussah wie ein Mitglied eines humorigen Sängerquartetts, das verzweifelt seine Partner suchte.
Bei seiner ersten Begegnung mit Thistle McCloud hatte Douglas ihren Aufzug - an dem sich bei den folgenden Begegnungen nichts Bemerkenswertes änderte - für die raffinierte Kostümierung einer Scharlatanin gehalten, der es darauf ankam, alle Aufmerksamkeit ihrer Klienten auf ihr äußeres Erscheinungsbild zu ziehen und so von den Manipulationen abzulenken, die sie anwenden würde, um in die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft und - vor allem - die Brieftasche ihrer Opfer einzudringen. Aber er hatte schnell erkannt, dass Thistles seltsame Aufmachung mit Ablenkungsmanövern überhaupt nichts zu tun hatte. Gleich bei der ersten Sitzung, als sie seine alte Rolex-Uhr in der Hand hielt und in leisem, hoch konzentriertem Ton vom verlorenen Sohn zu sprechen begann, von seinen ewigen Abschieden und Heimkünften, von den betagten Eltern, die ihn stets mit offenen Armen und offenen Herzen wieder aufnahmen, und von dem Bruder, der das alles mit einem starren falschen Lächeln und einem stummen Schrei - und ich? Gelte ich denn gar nichts? - beobachtete, hatte er das Gefühl, dass Thistle genau das war, was sie zu sein vorgab: ein Medium.
Das erste Mal hatte er ihre Ladenpraxis nur aufgesucht, weil er vor seiner jährlichen Prostata-Untersuchung vierzig Minuten Zeit hatte, die er irgendwie totschlagen musste. Ihm graute vor der Untersuchung und dem peinlichen Moment, da er auf die joviale, von einem gutmütigen Rippenstoß begleitete Frage seines Arztes, »Na, alles lebhaft und munter?«, mit der Wahrheit würde herausrücken müssen: dass nämlich in letzter Zeit das Newton'sche Gesetz von der Schwerkraft sich bei seinem liebsten Körperglied deutlich bemerkbar machte. Und da er sechs Wochen vor seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag stand und alle Katastrophen seines Lebens sich jedes Mal in einem Alter ereignet hatten, das durch die Zahl fünf teilbar gewesen war, wollte er, wenn eine Chance bestand zu erfahren, was die Götter ihm und seiner Prostata für ein Schicksal zugedacht hatten, in der Lage sein, etwas zu unternehmen, um das Chaos abzuwenden.
All dies hatte ihn beschäftigt, als er im goldenen Dämmerlicht eines späten Dezembernachmittags den Pacific Coast Highway hinuntergefahren war. In einem hässlichen gewerblichen Teil der Straße - hauptsächlich Pizzerien und Läden, die Alphabettafeln für spiritistische Sitzungen verkauften - war ihm das kleine blaue Gebäude aufgefallen, an dem er vorher schon tausendmal vorübergekommen war. »Spiritistische Beratungen«, stand auf dem handgeschriebenen Schild im Fenster. Nach einem Vorwand zum Anhalten suchend, hatte er einen Blick auf seine Benzinuhr geworfen, und während er in der Tankstelle gegenüber dem kleinen blauen Gebäude seinen Mercedes mit bleifreiem Super vollpumpte, hatte er sich entschlossen. Was, zum Teufel, hatte er sich gedacht. Es gab schlimmere Arten, sich vierzig Minuten zu vertreiben.
So war es zu seiner ersten Sitzung bei Thistle McCloud gekommen, die seinen Vorstellungen von einer Wahrsagerin überhaupt nicht entsprach, da sie weder Kristallkugel noch Tarotkarten noch sonst was benutzte, sondern sich ganz einfach mit einem Schmuckstück von ihm begnügte. Bei den ersten drei Sitzungen hatte sie ihre Emanationen aus dem Jenseits stets über seine Rolex empfangen. Heute jedoch hatte sie die Uhr zur Seite gelegt, behauptet, diese habe ihre Kraft verloren, und hatte ihre nebelgrauen Augen auf seinen Trauring geheftet. Sie hatte ihn mit ihrem Finger berührt und gesagt: »Ich denke, ich werde den nehmen. Sofern Sie etwas wissen wollen, das von Ihrer Vergangenheit weiter entfernt und Ihrem Herzen näher ist.«
Er hatte ihr den Ring wegen dieser letzten Bemerkung gegeben:von ihrer Vergangenheit weiter entfernt und Ihrem Herzen näher. Sie verriet ihm, wie genau sie wusste, dass die ganze Angelegenheit mit dem verlorenen Sohn seiner Vergangenheit entstammt, während seine tiefste Sorge der Zukunft galt.
Den Ring also jetzt in ihrer geschlossenen Faust, die Augen gewissermaßen nach innen gekehrt, hörte Thistle auf zu summen, atmete sechsmal tief durch und öffnete die Augen. Sie betrachtete ihn mit einer Melancholie, bei der ihm ganz anders wurde.
»Was ist?«, fragte er.
»Sie müssen sich auf einen Schock gefasst machen«, sagte sie. »Es ist etwas Unerwartetes. Es kommt aus dem Nichts und wird Ihr Leben von Grund auf verändern. Bald schon. Ich fühle, dass es schon sehr bald so weit ist.«
O Gott, dachte er. Diese Eröffnung hatte ihm noch gefehlt, gerade jetzt, drei Wochen nachdem man ihm einen gleichgültigen Finger in den Hintern geschoben hatte, um die Ursache seines Schlappschwanzsyndroms festzustellen. Der Arzt hatte gesagt, Krebs sei es nicht, aber es gab ein halbes Dutzend anderer Möglichkeiten, die er nicht ausgeschlossen hatte. Douglas fragte sich, welche von ihnen Thistle soeben mit ihren medialen Antennen erspürt hatte.
Thistle öffnete ihre Hand, und sie blickten beide auf seinen Trauring, der leicht glänzend von ihrem Schweiß, auf ihrer Handfläche lag. »Es ist ein äußerer Schock«, erläuterte sie. »Der Ursprung des Umsturzes in Ihrem Leben liegt nicht im Inneren. Der Schock trifft Sie von außen und erschüttert Sie bis ins Innerste.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Douglas.
»So sicher, wie ich in Anbetracht des Panzers, den Sie tragen, überhaupt sein kann.« Thistle reichte ihm den Ring zurück. Ihre kühlen Finger streiften sein Handgelenk. »Sie heißen gar nicht David, nicht wahr?«, sagte sie. »Ihr Name war nie David und wird nie David sein. Aber das >D< stimmt, das fühle ich. Habe ich Recht?«
Er griff in seine Hüfttasche und zog seine Brieftasche heraus. Vorsichtig, damit sie seinen Führerschein nicht sehen konnte, entnahm er einen Fünfzig-Dollar-Schein. Er faltete ihn einmal und reichte ihn ihr.
»Donald«, sagte sie. »Nein. Das ist es auch nicht. Darrell vielleicht. Dennis. Ich habe das Gefühl, dass es zwei Silben sind.«
»Namen sind doch in Ihrem Metier nicht von Bedeutung«, meinte Douglas.
»Nein. Aber die Wahrheit ist immer von Bedeutung. Eines Tages, Nicht-David, werden Sie lernen müssen, Menschen die Wahrheit anzuvertrauen. Vertrauen ist der Schlüssel. Vertrauen ist das Wesentliche.«
»Vertrauen«, entgegnete er ihr, »führt dazu, dass man aufs Kreuz gelegt wird.«
Draußen ging er über den Küsten-Highway zu der engen Seitenstraße parallel zum Meer. Hier parkte er immer seinen Wagen, wenn er Thistle besuchte. Das persönliche Nummernschild, DRIL4IT, war ja ein deutlicher Hinweis auf den Eigentümer des Mercedes, und Douglas hatte sich schon früh überlegt, dass es auf neue Investoren kaum ermutigend wirken würde, wenn sich herumsprechen sollte, dass der Präsident von South Coast Oil begonnen hatte, regelmäßig eine Wahrsagerin aufzusuchen. Riskante Kapitaleinlagen waren eine Sache. Sein Geld einem Mann anzuvertrauen, dem man vorwerfen konnte, mit parapsychologischen statt mit geologischen Mitteln nach Öl zu suchen, war eine ganz andere. Natürlich tat er nichts dergleichen. Das Geschäft kam in seinen Sitzungen bei Thistle nie aufs Tapet. Aber davon hätte man den Aufsichtsrat erst mal überzeugen müssen. Und alle anderen genauso.
Er entriegelte die Schließanlage des Wagens und stieg ein. Er fuhr nach Süden, in sein Büro. Bei South Coast Oil glaubten alle, er hätte die Mittagspause zusammen mit seiner Frau verbracht, bei einem romantischen Winterpicknick auf den Küstenfelsen in Corona del Mar. Ich stelle das Funktelefon für die nächste Stunde ab, hatte er seiner Sekretärin mitgeteilt. Versuchen Sie nicht, mich anzurufen. Stören Sie uns bitte nicht. Diese Zeit gehört Donna und mir. Sie hat es verdient. Und ich brauche es. Haben wir uns verstanden?
Die Erwähnung von Donnas Namen wirkte immer, wenn er sich South Coast Oil ein paar Stunden vom Leib halten wollte. Jeder in der Firma mochte sie. Ach was, einfach jeder mochte sie. Manchmal, dachte er plötzlich, wurde sie allzu gern gemocht. Besonders von Männern.
Sie müssen sich auf einen Schock gefasst machen.
O ja? Douglas ließ sich die Warnung im Hinblick auf seine Frau durch den Kopf gehen.
Wenn er Donna auf ihre Wirkung auf Männer hinwies, tat sie immer sehr überrascht. Sie pflegte dann zu sagen, die Männer würden in ihr nur eine Frau erkennen, die in einem Haus voller Brüder aufgewachsen war. Aber das, was er in den Augen der Männer sah, wenn sie seine Frau musterten, hatte mit brüderlicher Zuneigung überhaupt nichts zu tun. Es hatte mit Lust und Begierde und Vögeln zu tun.
Esist ein äußerer Schock.
Aber welcher Art? Douglas dachte an das Schlimmste.
Wann immer auch Männer und Frauen miteinander zu tun hatten - am Ende ging es dabei stets ums Vögeln. Das wusste er nur zu gut. Nicht nur frustrierten ihn seine letzthin vergeblichen Bemühungen, ihn bei Donna hoch und reinzukriegen, er begann auch langsam zu fürchten, dass ihre Geduld mit ihm zu Ende ging. Und wenn das erst mal geschehen war, würde sie anfangen, sich umzusehen. Das war nur natürlich. Und wenn sie erst mal anfing, anderweitig zu suchen, würde sie finden oder gefunden werden.
Der Schock trifft Sie von außen und erschüttert Sie bis ins Innerste.
Scheiße, dachte Douglas. Wenn jetzt, kurz vor seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag - grausame Unglückszahl! - das Chaos auf Rädern daherkam, um sein Leben plattzuwalzen, dann würde, das wusste er, wahrscheinlich Donna am Steuer sitzen. Sie war fünfunddreißig, seit vier Jahren Ehefrau Nummer drei, und sie wirkte glücklich und zufrieden. Aber er hatte genug Erfahrung mit Frauen, um zu wissen, dass stille Wasser es nicht damit genug sein ließen, nur tief zu gründen. Sie verbargen Riffe, an denen ein Schiff in Sekunden zerschellen konnte, wenn der Bootsführer nicht ständig seine fünf Sinne beisammen hatte. Und die Liebe raubte einem die Besinnung. Die Liebe machte die Menschen ein bisschen verrückt.
Er war natürlich nicht verrückt. Er hatte seine fünf Sinne beisammen. Aber wenn man eine Frau liebte, die zwanzig Jahre jünger war als man selbst, eine Frau, deren Duft jedem männlichen Wesen im Umkreis von fünfzig Metern in die Nase stieg, eine Frau, deren körperliche Begierden man nicht befriedigen konnte ... schon seit Wochen nicht mehr befriedigen konnte ... eine solche Frau ...
»Reiß dich zusammen«, fuhr Douglas sich selbst scharf an. »Diese Wahrsagerin ist doch nichts als Quatsch!«
Dennoch dachte er an den kommenden Schock, den Umsturz in seinem Leben und seinen Ursprung: von außen sollte er kommen. Nicht seine Prostata kam in Frage, nicht sein Schwanz, kein inneres Organ. Wohl aber ein anderer Mensch. »Scheiße«, sagte er wieder.
Er lenkte den Wagen die Steigung hinauf, die zum Jamboree Boulevard führte, sechs betonierte Fahrspuren, die sich zwischen verkrüppelten Liquidambar-Bäumen durch eine der teuersten Gegenden von Orange County zogen. Sie brachten ihn zu dem bronzefarben glänzenden Glasturm, der seinen ganzen Stolz beherbergte: South Coast Oil.
Drinnen lavierte er sich durch ein unerwartetes Zusammentreffen mit zwei Ingenieuren der SCO, durch ein kurzes Gespräch mit einem Geologen, der ihm eine Generalstabskarte und einen Bericht der Umweltschutzbehörde unter die Nase hielt, und durch eine Kurzkonferenz, die ihm im Korridor vom Leiter der Buchhaltung aufgezwungen wurde. Seine Sekretärin drückte ihm einen Stapel Telefonzettel in die Hand, als er es endlich schaffte, in sein Büro zu gelangen. »War das Picknick nett?«, sagte sie. »Das Wetter ist ja wirklich fantastisch, nicht?« Und dann, als er nicht antwortete: »Alles in Ordnung, Mr. Armstrong?«
Er sagte: »Ja. Was? Bestens«, und sah die Zettel durch. Die Namen sagten ihm nichts, absolut gar nichts.
Er ging zum Fenster hinter seinem Schreibtisch und starrte durch die riesige Scheibe aus getöntem Glas. Unter ihm stieg donnernd ein Jet nach dem anderen vom Flughafen auf, so steil, als gälten weder Vernunft noch aerodynamische Gesetze, tatsächlich aber geschah es, um die hoch empfindlichen Gehörnerven der Millionäre zu schützen, die da unten in der Flugschneise ihre Häuser hatten. Douglas beobachtete die Maschinen, ohne sie wirklich zu sehen. Er wusste, er sollte jetzt die Anrufe erledigen, die auf ihn warteten, aber das Einzige, woran er denken konnte, waren Thistles Worte:Ein äußerer Schock.
Und was war äußerlicher als Donna?
Sie trugObsession. Sie tupfte es hinter ihre Ohren und unter ihren Busen. Und wenn sie durch ein Zimmer ging, ließ sie ihren Duft zurück. Ihr dunkles Haar glänzte, wenn das Sonnenlicht es traf. Sie trug es schlicht und kurz geschnitten; links gescheitelt, fiel es weich zu ihren Ohren hinunter.
Sie hatte lange Beine. Ihr Schritt war ausgreifend und selbstsicher. Und wenn sie an seiner Seite ging, Arm in Arm mit ihm, den Kopf hoch erhoben, dann zog sie, das wusste er, aller Aufmerksamkeit auf sich. Und er wusste auch, dass alle ihre Freunde sie beneideten, wenn sie sie zusammen sahen. Und nicht nur Freunde, auch Fremde.
Er sah es in den Gesichtern der Leute, wenn er mit Donna an ihnen vorüberging. Im Ballett, im Theater, bei Konzerten, in Restaurants zogen Douglas Armstrong und seine Frau die Blicke auf sich. In den Mienen der Frauen konnte er den Wunsch erkennen, wieder jung zu sein wie Donna, wieder frisch und voller Leben, fruchtbar und zur Liebe bereit. In den Mienen der Männer erkannte er Begehren.
Es war immer ein Vergnügen gewesen zu sehen, wie andere auf den Anblick seiner Frau reagierten. Jetzt aber wurde ihm klar, wie gefährlich ihr Reiz in Wirklichkeit war und dass er seinen Frieden zu zerstören drohte.
Ein Schock, hatte Thistle gesagt.Machen Sie sich auf einen Schock gefasst. Machen Sie sich auf einen Schock gefasst, der ihr Leben verändern wird.
An diesem Abend hörte Douglas das Wasser laufen, als er das Haus betrat: Vierhundertachtzig Quadratmeter voller Natursteinböden, gewölbter Decken und Panoramafenster an einem Berghang, mit Blick auf den Ozean im Westen und die Lichter von Orange County im Osten. Das Haus hatte ihn ein Vermögen gekostet, aber das hatte ihn nicht gestört. Geld spielte keine Rolle. Er hatte das Haus für Donna gekauft. Aber wenn er schon zuvor Zweifel an seiner Frau gehabt hatte - hervorgerufen durch seine eigenen Versagensängste, verstärkt durch die Sitzung bei Thistle McCloud -, so begann er jetzt, als er das Wasser rauschen hörte, die Wahrheit zu erkennen. Donna war unter der Dusche.
Er beobachtete ihre Silhouette hinter den durchscheinenden Glasbausteinen, die die Wand der Duschkabine bildeten. Sie war dabei, sich das Haar zu waschen. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, und er betrachtete sie einen Moment, die erhobenen Brüste, die Hüften, die langen Beine. Im allgemeinen badete sie - nahm ausgedehnte Schaumbäder in der erhöhten ovalen Wanne und blickte auf die Lichter des Städtchens Irvine hinunter. Wenn sie jetzt duschte, so sprach das von einer ernsthaften und energischen Bemühung, sich zu reinigen. Und wenn sie sich das Haar wusch, so hieß das . Nun, es war sonnenklar, was es hieß. Gerüche setzten sich im Haar fest: Zigarettenrauch, genauso wie Knoblauchsoße, Fisch von einem Fischerboot oder Sperma und Sex. Diese letzten beiden Gerüche waren verräterisch. Natürlich musste sie sich da die Haare waschen.
Ihre abgelegten Kleider lagen auf dem Boden. Mit einem hastigen Blick zur Dusche kramte Douglas sie durch und fand die spitzenbesetzte Unterwäsche. Er kannte Frauen. Er kannte seine Frau. Wenn sie an diesem Nachmittag tatsächlich mit einem Mann zusammen gewesen war, würde ihr Höschen im Schritt steif sein von den inzwischen getrockneten Säften, die ihr Körper abgesondert hatte, und er würde daran den Geruch des Geschlechtsverkehrs wahrnehmen können. Das wäre der Beweis. Er hob das Höschen zu seinem Gesicht.
»Doug! Was tust du denn da?«
Mit heißen Wangen und schweißfeuchtem Hals ließ Douglas das Höschen fallen. Donna starrte ihn durch die Öffnung der Duschkabine an. Ihr Haar war eingeschäumt, und ein Streifen Schaum rann ihre linke Wange hinunter. Sie wischte ihn weg.
»Und was tustdu?«, konterte er. Drei Ehen und zwei Scheidungen hatten ihn gelehrt, dass ein flinkes Offensivmanöver den Gegner im Allgemeinen aus dem Konzept brachte. Es klappte auch diesmal.
Sie zog sich unter den Wasserstrahl zurück - schlau von ihr, da konnte er ihr Gesicht nicht sehen - und sagte:
»Das ist doch ziemlich offensichtlich. Ich nehme eine Dusche. Mein Gott, war das ein Tag!«
Er trat zur Öffnung der Duschkabine, um sie im Auge zu behalten. Es gab keine Tür, nur diese Öffnung in der Glaswand. Er konnte ihren Körper betrachten und nach den verräterischen Spuren leidenschaftlicher Zärtlichkeiten, wie sie sie mochte, suchen. Und sie würde es nicht einmal merken, weil sie den Kopf unter die Dusche hielt, um ihr Haar auszuspülen.
»Steve hat sich heute krank gemeldet«, sagte sie, »da musste ich im Zwinger alles selber machen.«
Sie züchtete schokoladenbraune Labradorhunde. So hatte er sie kennen gelernt, auf der Suche nach einem Hund für seinen jüngsten Sohn. Dank der Empfehlung eines Tierarztes hatte er ihr Zuchtunternehmen in Midway City entdeckt - knapp eine Quadratmeile voller Tierfuttergeschäfte, anderer Zuchtzwinger und heruntergekommener Nachkriegshäuser billigster Sorte. Ein ausgesprochen seltsamer Arbeitsplatz für eine junge Frau aus der teuren Ecke von Corona del Mar. Aber genau das mochte er an Donna. Sie war nicht der landläufige Typ, sie war kein Strandhäschen, sie war nicht die typische südkalifornische Biene. Zumindest hatte er das geglaubt.
»Das Schlimmste waren die Zwinger«, sagte sie. »Es hat mir nichts ausgemacht, die Hunde zu bürsten - das macht mir nie was aus -, aber ich hasse es, die Zwinger sauber zu machen. Ich habe von oben bis unten nach Hundekacke gestunken, als ich heimkam.« Sie drehte das Wasser aus und griff nach den Badetüchern. Eines wand sie um ihren Kopf, das andere um ihren Körper. Mit einem Lächeln trat sie aus der Kabine und sagte:
»Komisch eigentlich, wie manche Gerüche sich am Körper und in den Haaren festsetzen und andere wieder gar nicht.«
Sie gab ihm einen Begrüßungskuss und hob ihre Kleider vom Boden auf. Sie warf sie in den Wäschekorb. Zweifellos dachte sie, aus den Augen, aus dem Sinn. Sie war nicht dumm.
»Das ist jetzt innerhalb von zwei Wochen das dritte Mal, dass Steve sich krank gemeldet hat.« Sie trocknete sich ab und ging dabei ins Schlafzimmer. Unbefangen, wie er das von ihr gewöhnt war, ließ sie das Badetuch fallen und begann, sich anzukleiden: hauchzarte Unterwäsche, schwarze Leggins, einen losen silbernen Pulli.
»Wenn er so weitermacht, setze ich ihn an die Luft. Ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Wenn er nicht fähig ist, seinen Teil ...« Sie hielt verwirrt inne und runzelte die Stirn. »Was ist los, Doug? Du siehst mich so komisch an? Ist was nicht in Ordnung?«
»Nein. Wieso?« Aber er dachte: Das an ihrem Hals sieht aus wie ein Knutschfleck. Und er ging zu ihr, damit er die Stelle besser sehen konnte. Er nahm ihr Gesicht in die Hände, um sie zu küssen, und drückte ihren Kopf leicht zur Seite. Der Schatten des Badetuchs, das um ihr Haar gewunden war, löste sich auf, und zurück blieb makellose Haut. Na, wenn schon, dachte er. Sie würde nicht so dumm sein, sich von irgendeinem hitzigen Kerl Knutschflecken verpassen zu lassen, ganz gleich, wie sehr er sie auf Touren gebracht hatte. So dumm war sie nicht. Nein, so dumm war seine Donna nicht. Aber sie war auch nicht so clever wie ihr Ehemann.
Am nächsten Tag ging er abends um Viertel vor sechs in die Personalabteilung. Das war besser als die Gelben Seiten, da er wenigstens wusste, dass die Leute, die die neuen Angestellten für South Coast Oil überprüft hatten, kompetent und diskret waren. Keiner hatte sich je darüber beschwert, dass irgendein superschlauer Privatdetektiv in seinen Privatangelegenheiten herumgeschnüffelt habe.
Die Personalabteilung war leer und verlassen, wie Douglas gehofft hatte. Die Bildschirme auf den Schreibtischen waren auf die animierten Bilder geschaltet, die die Geräte schonen sollten: ein Schwarm schwimmender Fische, springende Bälle, zerberstende Blasen. Das Büro des Abteilungsleiters am hinteren Ende der Räumlichkeiten war dunkel und abgeschlossen, aber dieses Problem löste der Hauptschlüssel in der Hand des Firmenpräsidenten. Douglas ging hinein und machte Licht.
Er fand den Namen, den er suchte, auf einer der eselsohrigen Karten in der Kartei des Personalchefs, einem merkwürdigen Anachronismus in einem Büro des Computerzeitalters.Cowley und Sohn, Diskrete Nachforschungen, stand da in verblasster Maschinenschrift. Darunter war eine Telefonnummer und eine Adresse auf der Balboa-Halbinsel angegeben.
Zwei Minuten lang starrte Douglas auf Telefonnummer und Adresse hinunter. War es besser zu wissen oder in seliger Unwissenheit zu leben?, fragte er sich in diesem schicksalhaften Moment. Aber er lebte ja nicht in seliger Unwissenheit. Mit der Seligkeit war es in dem Moment aus und vorbei gewesen, als er im Bett versagt hatte. Also war es besser zu wissen. Er musste es wissen. Wissen ist Macht. Macht war Kontrolle. Er brauchte beides.
Er griff zum Telefon.
Douglas ging zum Mittagessen stets außer Haus - es sei denn, es stand eine Besprechung mit seinen Geologen oder den Ingenieuren an -, daher zuckte niemand auch nur mit der Wimper, als er am folgenden Tag kurz vor Mittag die Firma verließ. Auf dem Jamboree Boulevard fuhr er wieder zum Küstenhighway, diesmal jedoch bog er nicht nach Norden ab, in Richtung Newport, wo Thistle ihre Vorhersagen machte, sondern überquerte den Highway und rollte den Hang hinunter, wo eine mäßig gewölbte Brücke einen ölglänzenden Teil des Hafens von Newport überspannte, der das Festland von einem amöbenförmigen Stück Land trennte. Das war Baiboa Island.
Im Sommer wimmelte es auf der Insel von Touristen. Sie blockierten die Straßen mit ihren Autos und rasten mit ihren Fahrrädern auf dem Bürgersteig rund um die Insel um die Wette. Kein vernünftiger Einheimischer wagte sich in den Sommermonaten ohne triftigen Grund auf die Insel, es sei denn, er hatte dort seinen Wohnsitz. Im Winter jedoch war die Gegend praktisch menschenleer. Er brauchte keine fünf Minuten, um sich durch die schmalen Straßen zum Nordende der Insel zu schlängeln, wo die Fähre wartete, um Autos und Fußgänger in kurzer Fahrt zur Halbinsel hinüberzubringen.
Dort drehten sich wie zwei Gegenräder eines gigantischen Uhrwerks ein Karussell mit bunt gestreiftem Dach und ein Riesenrad, Marksteine des so genannten Rummelplatzes, der im Sommer der Polizei ein ewiger Dorn im Auge war. Heute jedoch trieben sich hier keine Banden Jugendlicher mit gezückten Farbsprühdosen herum. Die einzigen Besucher des Rummelplatzes waren ein Querschnittgelähmter im Rollstuhl und sein Begleiter auf dem Fahrrad.
Douglas kam an ihnen vorüber, als er von der Fähre herunterfuhr. Sie waren vertieft in ihr Gespräch. Riesenrad und Karussell existierten für sie nicht. Ebenso wenig Douglas und sein blauer Mercedes. Das war gut so. Er wollte nicht unbedingt bemerkt werden.
Er parkte direkt am Strand, auf einem Platz, wo fünfzehn Minuten fünfundzwanzig Cents kosteten. Er schob vier Vierteldollarmünzen ein. Er schloss den Wagen ab und ging Richtung Westen zur Main Street, eine von Bäumen beschatteten kleinen Straße von etwa sechzig Metern Länge, die bei einem pseudo-neuenglischen Restaurant mit Blick auf den Hafen von Newport anfing und am Baiboa Pier endete. Weit ragte der Pier in den Pazifischen Ozean hinaus, der heute graugrün war und aufgewühlt von den Nachwehen eines alaskischen Wintersturms.
Er suchte Main Street Nummer 107-B und fand das Haus ohne Mühe. Es stand an der Ecke einer Seitengasse, ein einstöckiger Bau, in dessen Erdgeschoss sich ein museumsreifer Frisiersalon mit Namen JJ's befand - mit einem starken Hang zu Makrame, Topfpflanzen und Janis- Joplin-Postern -, während das obere Stockwerk in Büros aufgeteilt war, die über eine bautechnisch fragwürdige Treppe am Nordende des Gebäudes zu erreichen waren. 107-B war die erste Tür im ersten Stock - JJ's Frisiersalon schien 107 A zu sein -, aber als Douglas den angelaufenen Messingknauf unter dem gleichermaßen angelaufenen Messingschild mit der AufschriftCowley und Sohn, Diskrete Nachforschungen drehte, fand er die Tür verschlossen.
Stirnrunzelnd sah er auf seine Rolex. Sein Termin war um zwölf Uhr fünfzehn. Jetzt war es zwölf Uhr zehn. Wo also war Cowley? Und wo war sein Sohn?
Er kehrte zur Treppe zurück, entschlossen, sich auf den Weg zu seinem Wagen und seinem Funktelefon zu machen; entschlossen, Cowley aufzustöbern und ihn zur Schnecke zu machen für sein Versäumnis, den verabredeten Termin einzuhalten. Doch er war gerade erst drei Stufen hinuntergestiegen, als er einen Mann in Khaki kommen sah, der mit der Wonne eines Zwölfjährigen ein Orangeneisgetränk schlürfte. Sein schütteres graues Haar und das von der Sonne verwitterte Gesicht jedoch verrieten klar, dass er mindestens fünf Jahrzehnte älter war als zwölf. Und sein Hinkebein - in Kombination mit seiner Kleidung - ließ auf eine alte Kriegsverletzung schließen.
»Sind Sie Cowley?«, rief Douglas von der Treppe.
Der Mann schwenkte seinen Becher. »Sind Sie Armstrong?«, fragte er zurück.
»Ganz recht«, sagte Douglas. »Hören Sie mal, ich hab nicht viel Zeit.«
»Die hat keiner von uns«, erwiderte Cowley und hievte sich die Treppe hinauf. Er nickte freundlich, sog geräuschvoll an seinem Strohhalm und hüllte Douglas in Wolken eines Rasierwassers ein, das dieser seit gut zwanzig Jahren nicht mehr gerochen hatte.Canoe. Wahnsinn. Das Zeug wurde immer noch verkauft?
Cowley zog die Tür auf und bedeutete Douglas mit einer Kopfbewegung einzutreten. Das Büro bestand aus zwei Räumen: Der eine war ein spärlich möbliertes Wartezimmer, das sie durchquerten; der andere war offensichtlich Cowleys Reich. Das Prunkstück war ein olivgrüner Stahlschreibtisch. Aktenschränke und Regale derselben Serie zierten die Wände.
Der Privatdetektiv ging zu einem alten hölzernen Bürostuhl hinter dem Schreibtisch, aber er setzte sich nicht. Stattdessen öffnete er eine der Seitenschubladen und entnahm ihr, zur Überraschung Douglas', der eine Flasche Bourbon erwartet hatte, ein Fläschchen mit gelben Kapseln. Er schüttelte zwei auf seine offene Hand und spülte sie mit einem kräftigen Schluck Orangeneisgetränk hinunter. Dann erst ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und umfasste die Armlehnen mit den Händen.
»Arthritis«, sagte er. »Sauschmerzen. Ich würge sie mit Nachtkerzenöl ab. Geben Sie mir einen Moment Zeit, ja? Wollen Sie auch welche?«
»Nein.« Douglas sah auf seine Uhr, um Cowley wissen zu lassen, dass seine Zeit kostbar war. Dann schlenderte er zu den Stahlregalen. Er erwartete Handbücher über Feuerwaffen zu sehen, Strafgesetzbücher, Texte zur Überwachungspraxis, Werke, die den zukünftigen Klienten davon überzeugten, dass er sich mit seinen Problemen an die richtige Adresse gewandt hatte. Doch er fand ausschließlich Lyrik, Band um Band, ordentlich aufgefädelt in alphabetischer Reihenfolge, von Matthew Arnold bis William Butler Yeats. Er wusste nicht, was er davon halten sollte.
Wo am Ende eines Bords noch Platz war, standen Fotografien. Sie steckten in billigen Rahmen, größtenteils Schnappschüsse, die lachende kleine Kinder zeigten, eine grauhaarige Frau vom Typ Oma, mehrere junge Erwachsene. Zwischen den Fotografien lag, in Plexiglas verschlossen, das Verwundetenabzeichen. Douglas nahm es in die Hand. Er hatte nie vorher eines gesehen, und es befriedigte ihn zu wissen, dass seine Vermutung über die Ursache von Cowleys Hinken richtig gewesen war.
»Sie waren an der Front«, sagte er.
»Mein Hintern, ja«, antwortete Cowley. Douglas sah ihn fragend an. »Ich hab's in den Hintern gekriegt. Schöner Scheiß passiert einem manchmal.« Er hob die Hände von den Armlehnen seines Stuhls und faltete sie über seinem Bauch, der genau wie der von Douglas ruhig etwas flacher hätte sein können. Tatsächlich waren die beiden Männer ganz ähnlich gebaut: untersetzt, zur Fülle neigend, zu groß, um klein genannt zu werden, zu klein, um groß genannt zu werden. »Also, was kann ich für Sie tun, Mr. Armstrong?«
»Meine Frau«, sagte Douglas.
»Ihre Frau?«
»Es ist möglich, dass sie ...« Jetzt, da der Moment gekommen war, das Problem und seinen Ursprung in Worte zu fassen, war Douglas nicht mehr sicher, dass er dazu fähig wäre. Darum sagte er: »Wo ist der Sohn?«
»Was?«
»Auf Ihrem Schild steht doch Cowley und Sohn, aber es steht nur ein Schreibtisch hier. Wo ist der Sohn?«
Cowley griff nach seinem Orangeneisgetränk und sog kurz am Strohhalm. »Tot«, sagte er. »Ein Betrunkener hat ihn auf dem Ortega Highway totgefahren.«
»Das tut mir Leid.«
»Tja, wie ich schon sagte, Scheiße kommt vor. Was für ein Scheiß ist Ihnen denn passiert?«
Douglas legte das Verwundetenabzeichen wieder an seinen Platz. Sein Blick fiel auf die graue Großmama auf einem der Fotos, und er sagte: »Ist das Ihre Frau?«
»Seit vierzig Jahren. Sie heißt Maureen.«
»Ich bin bei meiner dritten. Wie haben Sie's vierzig Jahre lang mit einer Frau ausgehalten?«
»Sie hat Humor.« Cowley zog die mittlere Schreibtischschublade auf und nahm einen gelben Kanzleiblock und einen Bleistiftstummel heraus. Oben auf das erste Blatt schrieb er in großen Druckbuchstaben »Armstrong« und unterstrich es. Er sagte: »Um auf Ihre Frau zurückzukommen .«
»Ich glaube, sie geht fremd. Ich möchte wissen, ob ich Recht habe. Und ich möchte wissen, wer der Kerl ist.«
Cowley legte bedächtig seinen Bleistiftstummel nieder. Einen Moment lang betrachtete er Douglas. Draußen kreischte eine Möwe heiser von einem Hausdach herunter. »Wie kommen Sie darauf, dass sie Sie betrügt?«
»Muss ich Ihnen Beweise liefern, ehe Sie den Fall übernehmen? Ich dachte, dazu wären Sie da - mir die Beweise zu liefern.«
»Sie wären nicht hier, wenn Sie nicht gewisse Vermutungen hätten. Also, was für welche?«
Douglas überlegte. Auf keinen Fall würde er Cowley erzählen, wie er versucht hatte, an Donnas Unterwäsche zu schnüffeln. Er nahm sich deshalb einen Augenblick Zeit, um sich ihr Verhalten in den letzten Wochen zu vergegenwärtigen. Und als er das tat, sah er zusätzliche Indizien. Guter Gott. Wie, zum Teufel, hatte er das übersehen können? Sie hatte sich eine andere Frisur machen lassen; sie hatte neue Unterwäsche gekauft - diese schwarze Reizwäsche von Victoria's Secret; sie war zweimal, als er nach Hause gekommen war, am Telefon gewesen und hatte sofort aufgelegt, als er das Zimmer betreten hatte; mindestens zweimal war sie längere Zeit weg gewesen, ohne ihm eine ausreichende Erklärung für ihre Abwesenheit zu geben; sechs- oder siebenmal hatte sie Verabredungen gehabt, angeblich mit Freundinnen, wie sie behauptet hatte.
Cowley nickte nachdenklich, als Douglas seine Verdachtsmomente aufzählte. Dann sagte er: »Haben Sie ihr Grund gegeben, Sie zu betrügen?«
»Grund? Hey, was soll das? Bin ich hier vielleicht der Schuldige?« »Frauen gehen im Allgemeinen nicht fremd, wenn ihnen nicht ihr Mann Anlass dazu gibt.« Cowley musterte ihn, die buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. In einem seiner Augen, das sah Douglas jetzt, begann sich ein Katarakt zu bilden. Du meine Güte, der Kerl war uralt, ein echtes Museumsstück.
»Es gibt keinen Grund«, erklärte Douglas. »Ich geh nicht fremd. Ich hab nicht mal Lust dazu.«
»Aber sie ist jung. Und ein Mann in Ihrem Alter ...«
Cowley zuckte die Achseln. »Bei uns alten Knackern läuft schon mal was schief. Und so junge Dinger haben nicht immer die Geduld, das zu verstehen.«
Douglas hätte Cowley gern darauf hingewiesen, dass dieser mindestens zehn Jahre älter war. Er wollte sich nicht mit »uns alten Knackern« in einen Topf werfen lassen. Aber der Privatdetektiv sah ihn so teilnahmsvoll an, dass Douglas, anstatt zu widersprechen, die Wahrheit erzählte.
Cowley griff nach seinem Orangeneisgetränk und leerte den Becher. Er warf ihn in den Papierkorb. »Frauen haben auch ihre Bedürfnisse«, sagte er und hob, während er fortfuhr, die Hand vom Hosenschlitz zu seiner Brust.
»Ein kluger Mann verwechselt nicht das, was hier vorgeht . « - Hand auf dem Hosenschlitz - »mit dem, was hier vorgeht« - Hand auf dem Herzen.
»Vielleicht bin ich ja nicht klug. Wollen Sie mir jetzt helfen oder nicht?«
»Sind Sie sicher, dass Sie Hilfe wollen?«
»Ich will die Wahrheit wissen. Damit kann ich leben. Was ich nicht aushaken kann, ist Ungewissheit. Ich muss einfach wissen, womit ich es zu tun habe.«
Cowley machte ein Gesicht, als wolle er Douglas' Maß an Aufrichtigkeit ergründen. Schließlich schien er einen Entschluss zu fassen, der ihm selbst allerdings nicht zu gefallen schien, denn er schüttelte den Kopf, als er zu seinem Bleistiftstummel griff und sagte: »Gut, dann geben Sie mir ein paar Hintergrundinformationen. Wenn sie wirklich fremdgeht, wer kommt in Frage?«
Darüber hatte sich Douglas schon seine Gedanken gemacht. Da gab es Mike, den Mann für den Pool, der einmal in der Woche vorbeikam. Da gab es Steve, der mit Donna in ihrem Zwinger in Midway City zusammenarbeitete. Da gab es Jeff, ihren persönlichen Trainer im Fitness-Studio. Außerdem gab es einen Briefträger, den UPS-Fahrer und Donnas allzu jugendlichen Gynäkologen.
»Darf ich annehmen, dass Sie den Fall übernehmen?«, sagte Douglas zu Cowley. Er zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr ein Bündel Scheine. »Sie wollen doch sicher eine Vorauszahlung.«
»Ich brauche kein Bargeld, Mr. Armstrong.«
»Trotzdem . « Trotzdem hatte Douglas nicht die Absicht, Spuren in Form eines Schecks zu hinterlassen.
»Wie viel Zeit brauchen Sie?«
»Sagen wir, ein paar Tage. Wenn sie jemanden hat, wird er früher oder später auftauchen. Das ist immer so.« Cowley wirkte niedergeschlagen.
»Hat Ihre Frau Sie betrogen?«, erkundigte sich Douglas neugierig.
»Wenn sie's getan hat, dann hab ich's wahrscheinlich verdient.«
Das war Cowleys Einstellung. Douglas teilte sie nicht. Er hatte es nicht verdient, betrogen zu werden. Niemand verdiente das. Und wenn er herausbekam, wer der Kerl war, der mit seiner Frau ins Bett stieg ... na, die konnten sich auf einen Vergeltungsschlag gefasst machen, der Attila, dem Hunnenkönig, zur Ehre gereicht hätte. O ja!
Er wurde in seinem Vorsatz bestärkt, als er am Abend im Schlafzimmer beim Begrüßungskuss mit Donna vom Telefon gestört wurde. Donna riss sich hastig von ihm los und lief zum Apparat. Sie sah Douglas mit einem Lächeln an - als wüsste sie, was ihre Hast ihm verriet - und schüttelte mit einer aufreizenden Bewegung ihr Haar zurück, als sie den Hörer abhob.
Douglas hörte sich ihren Teil des Gesprächs an, während er sich umzog. Er hörte die plötzliche Munterkeit in ihrer Stimme, als sie sagte: »Ja, ja. Hallo! - Nein - Doug ist gerade nach Hause gekommen, und wir haben uns über den Tag unterhalten .«
Jetzt wüsste der Anrufer also, dass er im Zimmer war. Douglas konnte sich lebhaft vorstellen, was der Kerl sagte: »Du kannst also nicht reden, hm?«
Worauf Donna prompt antwortete: »Nein. Überhaupt nicht.«
»Soll ich später anrufen?«
»Ach, das wäre wirklich nett.«
»Es war schön heute mit dir. Ich ficke dich so gern.«
»Tatsächlich? Unglaublich. Das muss ich mal näher eruieren.«
»Ich möchte dich gern näher eruieren, Baby. Bist du heiß auf mich?«
»Und wie! Hör mal, wir reden später, ja? Ich muss jetzt Abendessen machen.«
»Hauptsache, du denkst an heute. Das war erste Sahne. Dubist erste Sahne.«
»Gut. Tschüs.« Sie legte auf und kam zu ihm. Sie legte ihren Arm um seine Taille. »Die hab ich abgewimmelt«, sagte sie. »Nancy Talbert. Du lieber Gott. Für die gibt es im Leben nichts Wichtigeres als einen Ausverkauf in der Schuhabteilung von Neiman Marcus. Herr, verschone mich.« Sie schmiegte sich an ihn. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, nur ihren Hinterkopf, den der Spiegel ihm zeigte.
»Nancy Talbert«, sagte er. »Ich glaube, die kenne ich gar nicht.«
»Aber natürlich, Schatz.« Sie drückte ihre Hüfte an ihn. Er fühlte die hoffnungsvolle, aber nutzlose Hitze in seinen Lenden. »Sie ist mit mir in der Gymnastik. Du hast sie letzten Monat nach dem Ballett kennen gelernt. Hmm. Das tut gut. Ich mag es, wenn du mich so hältst. Soll ich das Essen machen, oder wollen wir noch ein bisschen schmusen?«
Wieder sehr clever von ihr: Er würde nicht auf den Gedanken kommen, dass sie fremdging, wenn sie immer noch mit ihm ins Bett wollte. Obwohl er ihr nicht geben konnte, was sie wollte. Sie stand voll zu ihm, und dieser Moment war der Beweis. Glaubte sie jedenfalls.
»Schön war's«, sagte er und gab ihr einen Klaps aufs Gesäß. »Aber lass uns erst essen. Und hinterher, am besten gleich auf dem Esstisch .« Er brachte ein, wie er hoffte, anzügliches Zwinkern zustande. »Warte nur, Kätzchen.«
Sie lachte und ließ ihn los, um in die Küche zu gehen. Er trottete zum Bett und setzte sich mit hängendem Kopf darauf nieder. Diese Scharade war eine Tortur. Er musste die Wahrheit wissen.
Zwei qualvolle Wochen lang hörte er nichts von Cowley und Sohn. In dieser Zeit durchlitt er drei weitere schamhafte Telefongespräche zwischen Donna und ihrem Liebhaber, vier weitere fadenscheinige Entschuldigungen zur Erklärung längerer Abwesenheit und zwei weitere Duschbäder zur Mittagszeit, die wiederum auf Steves Nichterscheinen im Zwinger geschoben wurden. Als Douglas endlich von Cowley hörte, war er nur noch ein Nervenbündel.
Cowley hatte Neuigkeiten. Er sagte, er würde berichten, sobald sie sich träfen. »Wie war's zum Mittagessen?«, fragte er.
Kein Mittagessen, antwortete ihm Douglas. Er würde sowieso keinen Bissen hinunterbringen. Er sagte, er würde um Viertel vor eins zu Cowley ins Büro kommen.
»Dann treffen wir uns lieber am Pier«, meinte Cowley. »Ich hol mir bei Ruby's einen Hamburger, und hinterher können wir reden. Kennen Sie Ruby's? Am Ende vom Pier?«
Er kannte Ruby's. Es war ein Selbstbedienungsrestaurant aus den fünfziger Jahren am Ende des Baiboa Piers, und dort fand er um Viertel vor eins wie abgemacht den alten Cowley, der gerade die Reste eines Hamburgers und einer Portion Fritten vertilgte. Neben seinem Erdbeer-Shake lag ein brauner Umschlag.
Cowley war wieder in Khaki, wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Allerdings hatte er dem Ensemble diesmal einen Panamahut hinzugefügt. Er tippte mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe, als Douglas sich ihm näherte.
Seine Backen waren prallvoll mit dem Burger und den Fritten.
Douglas schob sich Cowley gegenüber in die Nische und griff nach dem Umschlag. Cowley ließ schnell die Hand darauf fallen. »Noch nicht.«
»Ich muss es wissen.«
Cowley schob den Umschlag vom Tisch und legte ihn neben sich auf den Kunstledersitz. Er drehte den Strohhalm in seinem Milch-Shake hin und her und beobachtete Douglas mit durchdringendem Blick. In seinen Augen schien sich das Sonnenlicht von draußen zu spiegeln. »Bilder«, sagte er. »Das ist alles, was ich für Sie habe. Bilder sind nicht die Wahrheit. Haben Sie mich verstanden?«
»Okay. Bilder.«
»Ich weiß nie, was ich schieße. Ich beschatte einfach die Frau und knipse, was ich sehe. Was ich sehe, hat vielleicht überhaupt nichts zu bedeuten. Verstanden?«
»Zeigen Sie mir einfach die Bilder.«
»Draußen.«
Cowley warf einen Fünfer und drei Ein-Dollar-Scheine auf den Tisch, rief der Kellnerin »Bis später, Susie« zu und ging voraus. Er ging zum Geländer und blickte aufs Wasser hinaus. Ein Walbeobachtungsboot schaukelte ungefähr eine Viertel Meile von der Küste auf dem Wasser. Es war noch zu früh im Jahr, um Walherden auf ihrer Wanderung nach Alaska zu sehen, aber die Touristen an Bord des Bootes wussten das sicher nicht. Ihre Ferngläser blitzten im Licht.
Douglas stellte sich neben den Detektiv. Cowley sagte:
»Zuerst mal müssen Sie wissen, dass sie sich überhaupt nicht wie eine Frau benimmt, die ein schlechtes Gewissen hat. Sie macht anscheinend einfach das, was für sie ganz natürlich ist. Sie hat sich mit ein paar Männern getroffen - ich will Ihnen nichts vormachen -, aber ich hab sie nicht dabei erwischt, dass sie irgendwas Verbotenes getan hat.«
»Geben Sie mir einfach die Bilder.«
Cowley warf ihm statt dessen einen scharfen Blick zu. Douglas wusste, dass seine Stimme ihn verriet. »Ich würde vorschlagen, wir überwachen sie noch mal zwei Wochen«, sagte Cowley. »Das, was ich hier hab, ist nicht viel.« Er öffnete den Umschlag. Er stand so, dass Douglas nur den Rücken der Aufnahmen sehen konnte. Er reichte sie Douglas in Serien hinüber.
Die erste Serie war in Midway City aufgenommen, nicht weit von Donnas Zwinger, vor dem Futtermittelgeschäft, bei dem sie das Futter für ihre Hunde zu kaufen pflegte. Sie zeigten sie, wie sie gerade Fünfzig-Pfund-Säcke in ihren Toyota-Lieferwagen verfrachtete. Ein Calvin-KleinTyp in enger Jeans und T-Shirt half ihr dabei. Sie lachten beide, und auf einem der Fotos hatte Donna ihre Sonnenbrille hochgeschoben, um ihren Helfer genauer betrachten zu können.
Sie schien zu flirten, aber sie war eine junge, hübsche Frau, da war Flirten etwas ganz Normales. Diese Serie schien in Ordnung zu sein. Sie hätte bei dem Schwatz mit diesem Zuchthengst vielleicht nicht unbedingt so strahlend auszusehen brauchen, aber sie war Geschäftsfrau, und hier ging es ums Geschäft. Damit hatte Douglas kein Problem.
Die zweite Serie zeigte Donna im Fitness-Studio in Newport, wo sie zweimal in der Woche mit einem persönlichen Trainer arbeitete. Ihr Trainer hatte einen dieser Körper, die wie gemeißelt wirken, und sein Haar sah aus, als ließe er es täglich von fachmännischer Hand pflegen und stylen. Auf den Fotos hatte Donna Trainingskleidung an - nichts, was Douglas nicht schon an ihr gesehen hatte -, aber zum ersten Mal fiel ihm auf, mit welcher Sorgfalt sie ihr Outfit zusammenstellte. Von den Leggins über die Stulpen bis hin zum Stirnband - alles brachte ihr Aussehen bestens zur Geltung. Der Trainer schien davon nicht unbeeindruckt zu sein, denn er kniete vor ihr, während sie ihre Übungen machte. Ihre Beine waren weit gespreizt, und es gab keinen Zweifel, worauf der Junge sich konzentrierte. Das sah schon ein bisschen ernster aus.
Er wollte Cowley gerade anweisen, in Zukunft den Trainer zu überwachen, als dieser sagte: »Kein Körperkontakt zwischen den beiden, außer dem, was man erwarten kann«, und ihm die dritte Serie Fotos mit der Bemerkung reichte: »Das sind die einzigen, die mir eine Spur fraglich ausschauen, aber vielleicht haben sie auch gar nichts zu bedeuten. Kennen Sie den Burschen?«
Douglas sah mit starrem Blick die Bilder durch und hörte immer nur:Kennen Sie den Burschen, kennen Sie den Burschen? Im Gegensatz zu den anderen Aufnahmen, die Donna und ihren jeweiligen Gefährten stets nur an einem Ort zeigten, war sie hier einmal an einem Tisch am Panoramafenster eines Restaurants direkt am Meer zu sehen, einmal auf der Baiboa-Fähre, einmal beim Spaziergang am Hafen von Newport. Und auf jedem Bild war sie mit einem Mann zusammen, immer mit demselben Mann. Auf jedem Bild berührten sich die beiden. Es war nichts Extremes, weil sie sich ja in der Öffentlichkeit befanden. Aber es war die Art der Berührung, die alles verriet: ein Arm um ihre Schultern, ein KUSS auf die Wange, eine Umarmung, die sagte,rück ruhig ran, Baby, ich bin kein Schlaffi wie er.
Douglas fühlte sich in einen Strudel gerissen, aber er brachte dennoch ein ironisches Lächeln zustande und sagte: »Mann-o-Mann, jetzt komm ich mir wirklich wie ein kompletter Idiot vor.«
»Wie das?«, fragte Cowley.
»Der Mann da?« Douglas zeigte auf den sportlich wirkenden Mann auf dem Foto. »Das ist ihr Bruder.«
»Das gibt's doch nicht!«
»Doch. Er ist Leichtathletiktrainer in der Newport Harbor High School. Er heißt Michael. Er ist so ein freier, unkonventioneller Typ.« Douglas umklammerte das Geländer mit einer Hand und schüttelte den Kopf, als wäre er tief beschämt. »Ist das alles, was Sie haben?«
»Das ist alles. Ich kann sie ja noch eine Weile überwachen und sehen ...«
»Nein. Vergessen Sie's. Mensch, komm ich mir blöd vor.« Douglas zerriss die Fotografien in kleine Fetzen, die er ins Wasser warf, wo sie flüchtig eine Decke bildeten, ehe sie von den Wellen schnell auseinander getrieben wurden.
»Was schulde ich Ihnen, Cowley?«, fragte er. »Wie viel muss dieser Oberesel dafür bezahlen, dass er der besten Ehefrau der Welt nicht getraut hat?«
Er lud Cowley ins Dillman's an der Ecke Main Street und Baiboa Boulevard ein, und sie setzten sich zu den Einheimischen an den geschwungenen Tresen und kippten jeder zwei Bier. Douglas zeigte sich von seiner jovialsten Seite und spielte den beschämten Ehemann, dem mit einem Schlag klar geworden ist, was für ein verbohrter Idiot er gewesen war. Er ging alle Handlungen Donnas in den vergangenen Wochen noch einmal durch, um sie Cowley erneut zu interpretieren. Die unerklärten Abwesenheiten wurden damit begründet, dass sie zweifellos eine liebevolle Überraschung für ihn plante: den Kauf eines neuen Autos vielleicht; eine Europareise; die Renovierung seiner Jacht. Die geheimnistuerischen Telefongespräche wurden als Anrufe seiner Kinder ausgelegt, die bei der Überraschung mit von der Partie waren. Die neue Unterwäsche verwandelte sich in einen Beweis dafür, dass sie für ihn noch begehrenswerter sein wollte, ihm über seine vorübergehende Impotenz hinweghelfen wollte, indem sie sein Interesse an ihrem Körper neu entflammte. Er käme sich wirklich wie ein kompletter Idiot vor, sagte er wieder. Sollten sie nicht die verdammten Negative gemeinsam verbrennen?
Sie machten eine rituelle Handlung daraus und ließen die Negative der belastenden Bilder in der Gasse hinter JJ's Frisiersalon in Flammen aufgehen. Hinterher fuhr Douglas in einem Nebel der Benommenheit zur Newport Harbor High School und parkte gegenüber. Er wartete zwei Stunden. Endlich sah er seinen jüngsten Bruder vom Nachmittagstraining kommen. Er hatte einen Basketball unter dem Arm und eine Sporttasche in der Hand.
Michael, dachte er. Diesmal aus Griechenland heimgekehrt, aber immer noch der mit Freuden wiederaufgenommene verlorene Sohn. Vor Griechenland war es ein Jahr bei Greenpeace gewesen, auf derRainbow Warrior. Davor war es eine Amazonas-Expedition gewesen. Und davor ein Marsch gegen die Apartheid in Süd-Afrika. Er hatte einen Lebenslauf, der jeden vorpubertären Jungen, der was erleben wollte, mit Neid erfüllen musste. Er war der Abenteurer, der Leichtsinnige, der Charmante. Er war ein Mann voll guter Vorsätze, an die er sich nie hielt. Wenn es galt, ein Versprechen einzulösen, war er aus den Augen, aus dem Sinn, außer Landes. Aber alles vergötterte den Hurensohn. Er war vierzig Jahre alt, der jüngste der Armstrong-Brüder, und er bekam immer genau das, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.
Jetzt hatte er sich Donna in den Kopf gesetzt, der elende Bastard. Ohne Rücksicht darauf, dass sie die Frau seines Bruders war. Im Gegenteil, das machte die Eroberung um so amüsanter.
Douglas war speiübel. In seinen Eingeweiden rumorte es, als ob ein Haufen Murmeln in einem Eimer herumrollte. Der Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus. So konnte er nicht in die Firma zurückfahren. Er griff zum Telefon und rief sein Büro an.
Er fühle sich nicht wohl, sagte er seiner Sekretärin. Anscheinend habe er beim Mittagessen irgendwas erwischt. Er fahre direkt nach Hause. Sie könne ihn dort erreichen, wenn es etwas Dringendes gäbe.
Daheim ging er von Zimmer zu Zimmer. Donna war nicht da - würde erst viel später heimkommen -, er hatte also mehr als genug Zeit, darüber nachzudenken, was er tun sollte. Sein Gedächtnis reproduzierte die Bilder, die Cowley von Michael und Donna aufgenommen hatte. Sein Verstand sagte ihm, wo die beiden gewesen waren, bevor diese Aufnahmen gemacht worden waren, und was sie dort getrieben hatten.
Er ging in sein Arbeitszimmer. Die Elfenbeinfigürchen seiner Sammlung asiatischer Erotika, die dort in der Glasvitrine zur Schau gestellt war, schienen ihn zu verhöhnen. Miniaturmenschen in allen möglichen sexuellen Stellungen, die sich mit Genuss der Lust hingaben. Es schien ihm, als überlagerten die Züge Donnas und Michaels die gelblichen Gesichter der Figürchen. Sie amüsierten sich auf seine Kosten. Sie nahmen sein Versagen als Freibrief für ihr Vergnügen. Schlapp machen gilt nicht, höhnte Michaels Stimme. Was ist los mit dir, großer Bruder? Kannst du deine Frau nicht halten?
Douglas fühlte sich vernichtet. Mit allem anderen, sagte er sich, hätte er fertig werden können, ganz gleich, was sie getan, mit wem sie ihn betrogen hätte. Aber dass es ausgerechnet Michael sein musste, der ihn sein Leben lang verfolgt hatte, der sich auf jedem Gebiet, auf dem Douglas vorher versagt hatte, hervorgetan hatte! Auf der High School im Sport und im Schülerbeirat. Auf dem College in der Welt der Studentenverbindungen. Als Erwachsener hatte er ihn ausgestochen, indem er sich ins Abenteuer gestürzt hatte, anstatt sich in die Tretmühle des Geschäftslebens pressen zu lassen. Und jetzt stach er ihn bei Donna aus, indem er ihr bewies, was ein richtiger Mann war.
Douglas konnte sie so klar zusammen sehen, wie er die Figürchen in der Glasvitrine sehen konnte. Ihre Körper ineinander verschlungen, die Köpfe zurückgeworfen, die Hände miteinander verflochten, die Hüften aufeinander zudrängend. O Gott, dachte er. Die Bilder in seinem Kopf würden ihn wahnsinnig machen. Er hätte morden können.
Die Telefongesellschaft lieferte ihm den Beweis, den er noch brauchte. Er verlangte einen Ausdruck aller Anrufe, die von seinem Haus aus getätigt worden waren. Und als er ihn erhielt, sah er Michaels Nummer. Nicht ein- oder zweimal, sondern immer wieder. Alle Anrufe waren gemacht worden, wenn er - Douglas - nicht zu Hause gewesen war.
Es war schlau gewesen von Donna, die Abende zu nutzen, an denen Douglas, wie sie wusste, seinen ehrenamtlichen Dienst beim Telefonnotruf für Selbstmordgefährdete in Newport versah. Sie wusste genau, dass er niemals einen Mittwochabend versäumte, weil es ihm so wichtig war, sein soziales Engagement unter Beweis zu stellen. Sie wusste, dass er politisches Profil gewinnen wollte, um sich in den Gemeinderat wählen zu lassen, und der Einsatz beim Telefonnotdienst gehörte zu dem Bild, das er von sich erzeugen wollte: Douglas Armstrong, Ehemann, Vater, Unternehmer und Anteil nehmender Gesprächspartner der seelisch Notleidenden. Er brauchte etwas, das er zum Ausgleich seiner ökologischen Sünden in die Waagschale werfen konnte. Dank seinem Dienst beim Telefonnotruf konnte er sagen, man könne ihm zwar vorwerfen, ein paar lumpige Pelikane - ganz zu schweigen von ein paar miesen Ottern - mit Öl getränkt zu haben, aber niemals würde er einen Menschen, dessen Leben gefährdet war, einfach hängen lassen.
Donna wusste, dass er nie auch nur eine Sekunde seines Abenddienstes schwänzen würde, und hatte darum ihre Telefongespräche mit Michael auf diese Abende beschränkt. Er hatte es Schwarz auf Weiß: Jeder Anruf bei Michael war an einem Mittwochabend zwischen sechs und neun gemacht worden.
Na schön, wenn ihr der Mittwochabend so gut gefiel, dann würde er sie an einem Mittwochabend umbringen.
Er konnte ihre Nähe kaum noch ertragen, nachdem er den Beweis ihres Verrats in den Händen hatte. Sie merkte, dass etwas nicht stimmte, weil er kein Verlangen mehr zeigte, sie zu berühren. Ihre dreimal wöchentlich unternommenen Kopulationsversuche - so katastrophal sie jedes Mal verlaufen waren - gehörten nun der Vergangenheit an. Dennoch tat sie so, als stünde nichts und niemand zwischen ihnen, wackelte in ihrer Reizwäsche durchs Schlafzimmer, um ihn dazu zu verleiten, sich zum Narren zu machen, damit sie später mit seinem Bruder Michael darüber lachen konnte.
Ohne mich, Baby, dachte Douglas. Dir wird's noch Leid tun, dass du mich lächerlich gemacht hast.
Als sie sich schließlich im Bett an ihn kuschelte und murmelte: »Doug, was ist los? Hast du etwas auf dem Herzen? Ist alles okay?«, hätte er sie am liebsten weggestoßen. Nein, nichts war okay. Es würde nie wieder gut sein. Aber wenigstens würde er ein gewisses Maß an Selbstachtung retten können, indem er dem kleinen Luder gab, was es verdiente.
Sich einen Plan auszudenken war einfach, nachdem er sich gleich für den folgenden Mittwoch entschieden hatte.
Es bedurfte lediglich einer Fahrt zuRadio Shack. Er wählte den Laden der Kette, in dem am meisten los war, tief imbarrio in Santa Ana, und stöberte absichtlich so lange herum, bis der jüngste Verkäufer mit dem pickeligsten Gesicht und dem schwächsten Verstand frei war, um ihn zu bedienen. Seinen Einkauf bezahlte er bar: eine Anrufweiterschaltung, genau das, was der ständig in der Gegend herum schwirrende Südkalifornier, der keinen eingehenden Anruf verpassen wollte, dringend brauchte. Ein Anrufbeantworter kam für diesen Typen nicht in Frage. Diese kleine Vorrichtung würde mittels eines simplen Computerchips einen Anruf von einer Nummer zu einer anderen umleiten. Douglas brauchte sie nur auf die Nummer zu programmieren, zu der eingehende Anrufe weitergeschaltet werden sollten, und schon hatte er für den Abend der Ermordung seiner Gattin ein Alibi. Wie einfach das alles war!
Schön dumm von Donna, ihn hintergehen zu wollen. Noch dümmer von ihr, sich die Mittwochabende dafür auszusuchen; genau das nämlich hatte ihn auf die Idee gebracht, wie er sie abservieren konnte. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Telefonnotrufs arbeiteten in Schichten. Im Allgemeinen waren immer zwei Leute da, jeweils einer für einen Anschluss. Aber die Reichen von Newport Beach kamen nicht oft auf Selbstmordgedanken, und wenn doch, marschierten sie eher zu Neiman Marcus und erstickten ihre Depression in einem Kaufrausch. Besonders in der Wochenmitte war Flaute bei den Tablettenschluckern und Pulsadernaufschlitzern, und darum war das Nottelefon mittwochs immer nur von einer Person pro Schicht besetzt.
Douglas nutzte die Tage vor dem Mittwoch, um einen Zeitplan mit militärischer Präzision auszuarbeiten. Um halb neun sollte Donnas letztes Stündchen schlagen. So blieb ihm die Zeit, sich aus der Telefonzentrale zu schleichen, nach Hause zu fahren, ihr das Lebenslicht auszublasen und rechtzeitig, bevor um neun seine Ablösung kam, wieder in der Zentrale zu sein. Das war zwar ziemlich knapp berechnet und ließ ihm nur einen Spielraum von fünf Minuten, aber anders ging es nicht, wenn er ein glaubhaftes Alibi haben wollte.
Es durfte natürlich weder Lärm noch Blutvergießen geben. Lärm würde die Nachbarn auf die Beine bringen. Blut würde ihn bei den heutigen Möglichkeiten der DNAAnalyse überführen, wenn er auch nur ein Tröpfchen davon auf seine Kleider brachte. Er wählte also seine Waffe mit Bedacht und war sich der Ironie seiner Wahl dabei wohl bewusst. Er würde den Satingürtel eines ihrer verführerischen Negliges von Victoria's Secret nehmen. Sie hatte ein halbes Dutzend davon. Eines würde er vor dem Mord entwenden, den Gürtel an sich nehmen, das Neglige in einen Müllcontainer werfen, und zwar bevor er sie umbrachte - dieser besondere Touch, das Beweismaterial vor dem Verbrechen verschwinden zu lassen, gefiel ihm, welchem Killer war so etwas je eingefallen? -, und dann am Mittwochabend mit dem Gürtel seine treulose Ehefrau erdrosseln.
Mit Hilfe der Anrufweiterschaltung würde er sich sein Alibi sichern. Er würde das Gerät in die Notrufzentrale mitnehmen, ans Telefon anschließen und auf die Nummer seines Funktelefons programmieren. So würde es den Anschein haben, als wäre er an einem Ort gewesen, während seine Frau am anderen ermordet worden war. Er vergewisserte sich, dass Donna zu Hause sein würde, indem er das tat, was er jeden Mittwoch tat: Er rief sie aus dem Büro an, bevor er zu seinem abendlichen Dienst aufbrach.
»Ich fühl mich wie ausgekotzt«, teilte er ihr um zwanzig vor sechs mit.
»Ach, Doug, nein!«, rief sie. »Bist du krank oder nur deprimiert, weil ...«
»Ich fühl mich miserabel«, unterbrach er sie. Das Letzte, was er sich jetzt anhören wollte, waren ihre geheuchelten Teilnahmsbekundungen. »Vielleicht war's das Mittagessen.«
»Was hast du denn gegessen?«
Nichts. Er hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Aber er sagte »Krabben«, weil er sich vor ein paar Jahren einmal mit Krabben eine Lebensmittelvergiftung geholt hatte und dachte, sie würde sich vielleicht daran erinnern, wenn sie sich überhaupt noch an etwas erinnerte, das mit ihm zu tun hatte. »Ich werde versuchen, beim Notruf früher wegzukommen. Aber das geht nur, wenn ich jemanden finde, der meine Schicht übernimmt. Ich fahr jetzt rüber. Wenn ich einen Ersatz auftreibe, fahre ich bald nach Hause.«
Er merkte genau, wie sie versuchte, ihre Bestürzung zu verbergen, als sie antwortete: »Aber Doug . ich meine, was glaubst du, wann du da sein wirst?«
»Keine Ahnung. Spätestens um acht, hoffe ich. Was spielt das für eine Rolle?«
»Oh. Keine. Überhaupt keine. Ich habe nur gedacht, du würdest vielleicht gern essen .«
Worüber sie in Wirklichkeit nachdachte, war, dass sie ihre heiße Verabredung mit seinem kleinen Bruder würde absagen müssen. Douglas grinste bei der Erkenntnis, wie gekonnt er soeben ihr nettes kleines Kartenhaus zum Einsturz gebracht hatte.
»Unsinn, Donna, ich hab überhaupt keinen Hunger. Ich will nur ins Bett. Massierst du mir dann den Rücken? Du bist doch da? Oder gehst du weg?«
»Aber nein. Wohin sollte ich denn gehen? Doug, du hörst dich so merkwürdig an. Ist was nicht in Ordnung?«
Keine Spur, sagte er. Aber er sagte ihr nicht, wie prächtig alles in Ordnung war und wie prächtig es in Ordnung sein würde. Er hatte sie genau da, wo er sie haben wollte: Sie würde zu Hause sein, und sie würde allein sein. Sie würde vielleicht Michael anrufen, um ihm zu sagen, dass sein Bruder früher nach Hause käme, sie sich also nicht sehen könnten, aber selbst wenn sie das tat, würde Michaels Aussage nach ihrem Tod durch Douglas' ununterbrochene Anwesenheit in der Zentrale des Notrufs widerlegt werden.
Er musste nur dafür sorgen, dass er rechtzeitig in der Zentrale zurück war, um die Weiterschaltung abzumontieren. Er würde das Ding auf der Heimfahrt verschwinden lassen - nichts leichter, als es irgendwo in den Müll zu werfen, zum Beispiel hinter dem riesigen Kinokomplex, der auf seinem Weg vom Notrufbüro nach Harbour Heights, wo er wohnte, lag - und zur gewohnten Zeit, um zwanzig nach neun, zu Hause ankommen, um den Mord an seiner geliebten Frau zu »entdecken«.
Ach, es war alles so einfach. Und so viel sauberer, als sich von dieser kleinen Nutte scheiden zu lassen.
Es war bemerkenswert, wie ruhig er, in Anbetracht dieser Dinge, innerlich war. Er war noch einmal bei Thistle gewesen, und sie hatte seine Rolex, seinen Trauring und seine Manschettenknöpfe auf ihrer Hand gehalten, um ihm aus der Zukunft zu lesen. Sie hatte ihn mit den Worten begrüßt, dass er eine starke Aura habe und sie die pulsierende Kraft fühlen könne, die von ihm ausgehe. Und als sie über seinen Besitztümern die Augen geschlossen hatte, hatte sie gesagt: »Ich fühle, dass eine bedeutende Veränderung in Ihrem Leben eintreten wird, Nicht-David. Eine Ortsveränderung, vielleicht auch eine Klimaveränderung. Haben Sie vor, eine Reise zu unternehmen?«
Das wäre schon möglich, antwortete er ihr. Er sei schon seit Monaten nicht mehr auf Reisen gewesen. Ob sie einen Vorschlag zur Hand habe?
»Ich sehe Lichter«, erwiderte sie, ihren Eingebungen folgend. »Ich sehe Kameras. Ich sehe viele Gesichter. Sie sind umgeben von Ihren Lieben.«
Das musste natürlich Donnas Beerdigung sein. Die Presse würde darüber berichten. Er war schließlich wer. Man würde die Ermordung von Douglas Armstrongs Frau nicht einfach übergehen. Was Thistle anging, so würde sie erfahren, wer er wirklich war, wenn sie die Zeitung las oder im Fernsehen die Lokalnachrichten ansah. Aber das machte nichts, da er ja Donna nie erwähnt hatte und für die Zeit ihres Todes ein Alibi haben würde.
Um vier Minuten vor sechs kam er im Notrufbüro an. Er löste eine Psychologiestudentin namens Debbie ab, die es kaum erwarten konnte, abhauen zu können. Sie sagte: »Nur zwei Anrufe, Mr. Armstrong. Wenn Ihre Schicht genauso wird, kann ich nur hoffen, dass Sie sich was zu lesen mitgebracht haben.«
Er schwenkte seine Zeitschrift,Money, und nahm den Platz am Schreibtisch ein, den sie frei gemacht hatte. Nachdem sie gegangen war, wartete er zehn Minuten, dann lief er zu seinem Wagen hinaus und holte die Anrufweiterschaltung.
Das Notrufbüro war in der Hafengegend von Newport, einem Gewirr enger Einbahnstraßen im oberen Teil der Baiboa-Halbinsel. Bei Tag lockten die Antiquitätengeschäfte, Schiffsausrüster und Second-Hand-Boutiquen in diesen Straßen sowohl Einheimische als auch Touristen an. Bei Nacht wurde das Viertel zur Geisterstadt, menschenleer bis auf die Beatniks neuer Generation, die drei Straßen vom Notrufbüro entfernt in einer Kneipe namensAlta Cafe herumhingen, wo anorektische Mädchen in schwarzen Gewändern Lyrik lasen und auf Gitarren klimperten.
Es war also niemand auf der Straße, der beobachtet hätte, wie Douglas die Anrufweiterschaltung aus seinem Mercedes holte. Und es war niemand auf der Straße, der beobachtet hätte, wie er um Viertel nach acht das kleine Kabuff des Notrufdienstes hinter dem Immobilienbüro verließ. Und sollte während seiner Heimfahrt ein Todessüchtiger sich beim Notruf melden, so würde dieser Anruf zu seinem Funktelefon weitergeschaltet werden, und er konnte ihn erledigen. Der Plan war wirklich perfekt.
Auf der Fahrt durch die gewundene Straße, die zu seinem Haus führte, dankte Douglas Gott im Himmel, dass er sich als Wohnort eine Gegend ausgesucht hatte, deren Bewohner nichts höher schätzten als Ruhe und Ungestörtheit. Jedes Haus stand, wie das von Douglas, hinter Mauern und Toren, von Bäumen den Blicken Fremder entzogen. Es kam vielleicht einmal in zehn Tagen vor, dass er einem Nachbarn begegnete. Meistens - wie auch an diesem Abend - war nirgends ein Mensch zu sehen.
Aber selbst wenn jemand seinen Mercedes den Hügel hätte hinaufgleiten sehen - es war wirklich dunkel, und sein Wagen war nur eine unter vielen Luxuskarossen in diesem Viertel voller Rolls Royces, Bentleys, BMWs, Lexus, Range Rovers und anderen Mercedes. Außerdem hatte er bereits beschlossen, dass er einfach umkehren, zur Notdienstzentrale zurückfahren und auf einen anderen Mittwoch warten würde, wenn er jemanden sehen oder etwas Verdächtiges bemerken sollte.
Aber er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Er sah keinen Menschen. Es waren vielleicht ein paar mehr Autos auf der Straße geparkt als sonst, aber sie waren leer. Er hatte den Abend für sich allein.
Am Beginn der Auffahrt zu seinem Haus schaltete er den Motor aus und ließ den Wagen den Weg entlangrollen. Drinnen war alles dunkel, und das sagte ihm, dass Donna sich im hinteren Teil des Hauses aufhielt, in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer.
Er brauchte sie aber hier draußen. Das Haus war mit einer Alarmanlage ausgestattet, die jedem Banktresor Ehre gemacht hätte, deshalb musste der Mord draußen im Freien verübt werden; damit es so aussah, als hätte ein Spanner, der plötzlich durchgedreht war, oder ein Einbrecher oder ein Serienmörder sie herausgelockt. Er dachte an Ted Bundy, wie der seine Opfer gekascht hatte, indem er an ihren mütterlichen Instinkt zu helfen appelliert hatte. Er beschloss, die Bundy-Methode anzuwenden. Donna war ein echter Ausbund an Hilfsbereitschaft.
Lautlos stieg er aus dem Wagen und eilte zur Haustür. Er drückte mit dem Handrücken den Klingelknopf, um ja keine Abdrücke zu hinterlassen. Keine zehn Sekunden später meldete sich Donnas Stimme an der Sprechanlage.
»Ja?«
»Hallo, Schatz«, sagte er. »Ich habe beide Hände voll. Kannst du mich reinlassen?«
»Eine Sekunde«, sagte sie.
Er zog den Satingürtel aus der Tasche, während er wartete. Er stellte sich ihren Weg vom Schlafzimmer zur Haustür vor. Er schlang den Satin um seine Hände und zog ihn stramm an. Sobald sie die Tür öffnete, würde er blitzschnell handeln müssen. Er würde nur eine Chance haben, ihr den Strick um den Hals zu werfen. Sein Vorteil war die Überraschung.
Er hörte ihre Schritte auf dem Naturstein. Er umfasste den Satin fester und machte sich bereit. Er dachte an Michael. Er dachte an sie und Michael zusammen. Er dachte an seine asiatische Erotika. Er dachte an Verrat, Versagen und Vertrauen. Sie hatte es nicht anders verdient. Sie hatten es beide nicht anders verdient. Er bedauerte nur, dass er nicht auch Michael gleich umbringen konnte.
Als die Tür sich öffnete, hörte er sie sagen: »Doug! Ich dachte, du wolltest ...«
Da packte er sie schon. Er sprang. Er warf ihr den Gürtel um den Hals. Er zerrte sie aus dem Haus. Er zog den Gürtel fester und fester. Sie war zu erschrocken, um sich zu wehren. Bis sie reflexartig die Hände zum Hals hob, um die Schlinge wegzuziehen, hatte sich der Gürtel schon so tief in ihre Haut eingepresst, dass ihre verzweifelten Finger den Stoff nicht mehr zu fassen bekamen.
Er spürte, wie sie erschlaffte. »O Jesus«, sagte er. »Ja. Ja!«
Und dann geschah es.
Im Haus gingen plötzlich die Lichter an. Eine Mariachi- Band begann zu spielen. Menschen riefen laut: »Überraschung! Überraschung! Überra ...«
Keuchend sah Douglas vom Leichnam seiner Frau auf, blickte in ein Blitzlichtgewitter und das Auge einer Videokamera. Das fröhliche Geschrei aus dem Inneren des Hauses wurde vom Kreischen einer Frau unterbrochen. Er ließ Donna zu Boden fallen und starrte fassungslos in den Vorsaal und das Wohnzimmer dahinter. Dort hatten sich mindestens zwei Dutzend Menschen unter einem Transparent mit der Aufschrift »Viel Glück zum Fünfundfünfzigsten, Dougie!« versammelt.
Er sah die entsetzten Gesichter seiner Brüder und ihrer Frauen und Kinder, seiner eigenen Kinder, seiner Eltern, einer seiner Verflossenen. Er sah seine Mitarbeiter und seine Sekretärin. Den Leiter der Polizei. Den Bürgermeister.
Er dachte, was ist das, Donna? Soll das ein Witz sein?
Und dann sah er Michael aus der Küche kommen, Michael mit einer Geburtstagstorte in den Händen, Michael, der sagte: »Ist die Überraschung gelungen, Donna? Der arme Doug. Hoffentlich hat sein Herz ...«
Er brach ab, als er seinen Bruder und Donna sah.
Scheiße, dachte Douglas. Was habe ich getan?
Tja, das war die Frage, deren Beantwortung ihn den Rest seines Lebens kosten würde.