NACHWORT

Die Storys in diesem Band sind hart. Vielleicht ist es Ihnen teilweise schwergefallen, sie zu lesen. Dann seien Sie versichert, dass es mir stellenweise ebenso schwergefallen ist, sie zu schreiben. Wenn Leute mich nach meiner Arbeit fragen, habe ich mir angewöhnt, dieses Thema mit Scherzen und humorvollen persönlichen Anekdoten (die Sie nicht unbedingt glauben dürfen; glauben Sie nie, was ein Romanautor über seine Vergangenheit erzählt) zu umgehen. Das ist eine Form der Ablenkung und etwas höflicher als die Antwort, die meine Yankee-Vorfahren vermutlich auf solche Fragen gegeben hätten: Das geht dich nichts an, Freundchen. Aber unterhalb der Scherze nehme ich meine Arbeit sehr ernst - wie schon immer, seit ich mit achtzehn Jahren als Erstsemester an der University of Maine mit The Long Walk meinen ersten Roman geschrieben habe.

Ich habe wenig Geduld mit Schriftstellern, die ihre Arbeit nicht ernst nehmen, und gar keine mit denen, die die Kunst der erzählenden Literatur im Prinzip für ausgepowert halten. Sie ist nicht abgenutzt, und sie ist auch kein literarisches Spiel. Sie gehört zu den entscheidend wichtigen Methoden, mit denen wir versuchen, unser Leben - und die oft schreckliche Welt, die wir um uns herum wahrnehmen - zu begreifen. Sie ist unsere Antwort auf die Frage: Wie können solche Dinge passieren? Storys suggerieren, dass es manchmal - nicht immer, aber manchmal - einen Grund dafür geben könnte.

Von Anfang an - noch bevor ein junger Mann, den ich heute kaum mehr verstehe, in einem Schlafsaal The Long Walk zu schreiben begann - war ich der Meinung, die beste Literatur sei mobilisierend und bedrohlich. Sie springt einem ins Gesicht. Manchmal schreit sie einem ins Gesicht. Ich habe nichts gegen literarische Prosa, die sich meist mit außergewöhnlichen Menschen in gewöhnlichen Situationen befasst, aber als Leser und Autor interessieren mich gewöhnliche Menschen in außergewöhnlichen Situationen weit mehr. Ich möchte bei meinen Lesern eine emotionale, sogar instinktive Reaktion hervorrufen. Sie zum Nachdenken zu bringen, während sie lesen, ist nicht mein Ding. Das setze ich kursiv hierher, denn ist die Erzählung gut genug und sind die Figuren lebendig genug, löst Denken die Gefühle ab, wenn die Story gelesen und das Buch zugeklappt ist (manchmal mit Erleichterung). Ich erinnere mich, George Orwells 1984 mit etwa dreizehn Jahren mit wachsender Verzweiflung, Wut und Empörung verschlungen zu haben, so schnell ich nur konnte - und was wäre daran schlecht? Vor allem nachdem ich bis heute an diesen Roman denke, wenn es wieder einmal irgendeinem Politiker gelingt (wobei ich an Sarah Palin und ihre niederträchtigen Bemerkungen über »Todes-Ausschüsse« denke), Teilen der Öffentlichkeit einzureden, Weiß sei in Wirklichkeit Schwarz und umgekehrt.

Hier ist noch etwas, was ich glaube: Betritt man einen sehr dunklen Ort - wie Wilf James’ Farmhaus in Nebraska in »1922« -, sollte man eine helle Lampe mitnehmen und sie auf alles richten. Will man nichts sehen, wozu sollte man sich dann um Himmels willen überhaupt ins Dunkel wagen? Der große naturalistische Schriftsteller Frank Norris war schon immer einer meiner literarischen Idole, und ich habe seit über vierzig Jahren beherzigt, was er zu diesem Thema gesagt hat: »Ich habe niemals gebuckelt; ich

Aber, Steve, sagen Sie, Sie haben in Ihrer Schriftstellerlaufbahn Unmengen von Pennys verdient, und was die Wahrheit betrifft … die ist variabel, nicht wahr? Ja, ich habe mit meinen Storys viel Geld verdient, aber das war ein Nebeneffekt, niemals das Ziel. Romane für Geld zu schreiben ist Schwachsinn. Und es stimmt: Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. Geht es jedoch um erzählende Literatur, besteht die einzige Verpflichtung des Autors darin, die Wahrheit in seinem eigenen Herzen zu erforschen. Das wird nicht immer die Wahrheit des Lesers oder die des Kritikers sein, aber solange es die Wahrheit des Verfassers ist - solange er oder sie nicht buckelt oder den Hut vor Moden zieht -, ist alles gut. Für Schriftsteller, die wissentlich lügen, die reales menschliches Handeln durch unglaubwürdiges Verhalten ersetzen, habe ich nichts als Verachtung übrig. An schlechtem Schreiben sind nicht nur beschissener Satzbau und fehlende Beobachtungsgabe schuld; schlechtes Schreiben entsteht meistens aus einer hartnäckigen Weigerung, davon zu erzählen, was Leute wirklich machen - sich beispielsweise der Tatsache zu stellen, dass auch Mörder manchmal alte Damen über die Straße geleiten.

In Zwischen Nacht und Dunkel habe ich mein Bestes versucht, um festzuhalten, was Menschen tun und wie sie sich unter bestimmten Umständen verhalten könnten. Die Leute in diesen Storys sind nicht ohne Hoffnung, aber sie müssen erkennen, dass selbst unsere kühnsten Hoffnungen (und unsere innigsten Wünsche für unsere Mitmenschen und die Gesellschaft, in der wir leben) manchmal vergeblich sein können. Sogar oft. Aber ich glaube, dass sie auch zeigen, dass Adel sich in erster Linie nicht im Erfolg, sondern in dem Versuch manifestiert, das Rechte zu tun … und dass

Die Anregung zu »1922« gab das Sachbuch Wisconsin Death Trip (1973) mit Texten von Michael Lesy und Fotos aus der Kleinstadt Black River Falls, Wisconsin. Ich war von der ländlichen Einsamkeit dieser Aufnahmen und der Rauheit und den Entbehrungen auf den Gesichtern vieler der Abgebildeten beeindruckt. Diese Stimmung wollte ich in meine Story übernehmen.

Als ich im Jahr 2007 auf der Interstate 84 unterwegs war, um im Westen von Massachusetts Bücher zu signieren, hielt ich bei einer Raststätte, um eine typische Gesundheitsmahlzeit à la Steve King einzunehmen: eine Limo und einen Schokoriegel. Als ich aus dem Schnellimbiss kam, sah ich eine Frau mit einem Platten, die ernsthaft mit einem neben ihr parkenden Fernfahrer sprach. Er lächelte ihr zu und kletterte aus seinem Fahrerhaus.

»Kann ich irgendwas für Sie tun?«, fragte ich.

»Nein, nein, ich mach das schon«, sagte der Trucker.

Bestimmt hat die Lady ihren Reifen gewechselt bekommen. Ich bekam ein Three Musketiers und die Idee zu einer Story, aus der dann »Big Driver« wurde.

An meinem Wohnort Bangor gibt es eine am Flughafen vorbeiführende Straße, die Hammond Street Extension heißt. Wenn ich zu Hause bin, wandere ich jeden Tag drei bis vier Meilen und bin oft dort draußen unterwegs. Ungefähr auf halber Strecke liegt am Flughafenzaun eine mit Kies bestreuter kleine Fläche, auf der sich im Lauf der Jahre einige Straßenhändler etabliert haben. Mein Favorit, den die Einheimischen Golf Ball Guy nennen, kreuzt immer im Frühjahr auf. Sobald es warm wird, fährt Golf Ball Guy zum städtischen Golfplatz in Bangor hinaus und sammelt Hunderte von Golfbällen auf, die unter dem Schnee liegen geblieben sind. Er wirft die wirklich schlechten weg und verkauft

Die letzte Story dieses Bandes ist mir eingefallen, nachdem ich einen Artikel über Dennis Rader, den berüchtigten FFT-Mörder (fesseln, foltern und töten) gelesen hatte, der über ungefähr sechzehn Jahre hinweg zehn Menschen - vor allem Frauen, aber auch zwei Kinder - ermordet hatte. In vielen Fällen hatte er der Polizei Stücke von Ausweisen seiner Opfer geschickt. Paula Rader war vierunddreißig Jahre lang mit diesem Ungeheuer verheiratet, und in Wichita und Umgebung, wo Rader seine Opfer fand, wollen viele nicht glauben, sie habe mit ihm zusammenleben und keine Ahnung von seinen Untaten haben können. Ich habe es geglaubt - ich glaube es immer noch - und diese Erzählung geschrieben, um auszuloten, was in solch einem Fall passieren könnte, wenn die Ehefrau plötzlich auf das schreckliche Hobby ihres Mannes stieße. Ich habe sie auch geschrieben, um dem Gedanken nachzugehen, dass es unmöglich ist, jemanden ganz zu kennen - auch unsere Liebsten nicht.

Nun gut, jetzt sind wir lange genug hier unten im Dunkel gewesen, finde ich. Oben existiert eine ganze weitere Welt. Nehmen Sie meine Hand, treuer Leser, dann führe ich Sie gern in den Sonnenschein zurück. Ich gehe gern dorthin zurück, weil ich glaube, dass die meisten Menschen im Grunde genommen gut sind. Ich weiß, dass ich es bin.

Was Sie betrifft, bin ich mir da nicht ganz so sicher.


Bangor, Maine

23. Dezember 2009

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