Bran

Die Karstarks kamen an einem kalten, windigen Morgen, brachten dreihundert Reiter und fast zweitausend Mann Fußvolk von ihrer Burg auf Karhold mit. Die stählernen Spitzen ihrer Spieße blitzten im fahlen Sonnenlicht, als die Armee sich näherte. Ein Mann ging ihnen voraus, schlug einen tiefen, langsamen Rhythmus auf einer Trommel, die größer als er selbst war, bumm, bumm, bumm.

Bran sah sie von einem Wachtturm oben auf der äußeren Mauer heranmarschieren, spähte durch Maester Luwins bronzenes Linsenrohr, während er auf Hodors Schultern saß. Lord Rikkard persönlich führte sie an, seine Söhne Harrion und Eddard und Torrhen ritten neben ihm unter nachtschwarzen Bannern, verziert mit der weißen Sonne ihres Hauses. Old Nan sagte, in ihren Adern flösse das Blut der Starks, seit Hunderten von Jahren schon, doch für Bran sahen sie nicht wie Starks aus. Sie waren große Männer, und wild, die Gesichter mit dichten Bärten überzogen, das Haar fiel ihnen offen auf die Schultern. Ihre Umhänge waren aus Leder gefertigt, aus Fellen von Bär und Wolf und Robbe.

Sie waren die letzten, wie er wußte. Die anderen Lords hatten sich schon mit ihren Armeen versammelt. Bran sehnte sich danach, mit ihnen auszureiten, die zum Bersten vollen Winterhäuser zu sehen, die drängende Menge auf dem Marktplatz jeden Morgen, die Straßen zerfurcht und aufgerissen von Rad und Hufen. Aber Robb hatte ihm verboten, die Burg zu verlassen.»Wir können keine Männer erübrigen, die dich bewachen«, hatte sein Bruder erklärt.

«Ich nehme Summer mit«, stritt Bran dagegen an.

«Red mit mir nicht wie mit einem kleinen Jungen«, erwiderte Robb.»Du solltest es besser wissen. Vor zwei Tagen erst hat einer von Lord Boltons Männern einen von Lord Cerwyns im >Smoking Log< erdolcht. Unsere Hohe Mutter würde mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn ich dich in Gefahr geraten ließe. «Er sprach mit der Stimme von Robb, dem Lord, als er das sagte. Bran wußte, das hieß, er duldete keine Widerrede.

Es war wegen dieser Sache, die im Wolfswald passiert war, das wußte er ebenfalls. Die Erinnerung daran bescherte ihm noch immer böse Träume. Hilflos wie ein Säugling war er gewesen, nicht besser als Rickon in der Lage, sich zu wehren. Vielleicht noch weniger… Rickon hätte wenigstens nach ihnen getreten. Das beschämte ihn. Er war nur wenige Jahre jünger als Robb. Wenn sein Bruder fast ein erwachsener Mann war, dann war auch er es. Er hätte in der Lage sein sollen, sich zu verteidigen.

Vor einem Jahr, davor, hätte er dem Dorf trotzdem einen Besuch abgestattet, wäre dafür allein über die Mauern geklettert. In jenen Tagen konnte er Treppen hinunterlaufen, selbst auf sein Pony steigen und auch wieder herunter, und ein Holzschwert immerhin so gut schwingen, daß er Prinz Tommen in den Staub geworfen hatte. Jetzt konnte er nur noch zusehen, durch Maester Luwins Linsenrohr spähen. Der Maester hatte ihn sämtliche Banner gelehrt: die gepanzerte Faust der Glovers, silber auf rot; Lady Mormonts schwarzen Bären; den gräßlichen, gehäuteten Mann, der vor Roose Bolton vom Dreadfort ging; den Elchbullen für die Hornwoods; die Streitaxt für die Cerwyns; drei Wachbäume für die Tallharts und das schreckliche Siegel des Hauses Umber, den brüllenden Riesen in zerschmetterten Ketten.

Und bald schon lernte er auch die Gesichter kennen, als die Lords und ihre Söhne und Ritter zum Festmahl nach Winterfell kamen. Selbst in der Großen Halle war nicht Platz für alle auf einmal, so daß Robb die wichtigen Verbündeten abwechselnd einlud. Bran bekam stets den Ehrenplatz zur Rechten seines

Bruders. Einige der Lords warfen ihm seltsam harte Blicke zu, wenn er dort saß, und schienen sich zu fragen, welches Recht ein grüner Junge hatte, daß man ihn über sie stellte, dazu noch einen Krüppel.

«Wie viele sind es jetzt?«fragte Bran Maester Luwin, als Lord Karstark und seine Söhne durch die Tore in der äußeren Mauer ritten.

«Zwölftausend Mann, oder zumindest fast so viele.«»Wie viele Ritter?«

«Wenige genug«, sagte der Maester mit einem Anflug von Ungeduld.»Um ein Ritter zu sein, muß man seine Vigilien in einer Septe ablegen und mit den sieben Ölen gesalbt sein, um den Eid zu weihen. Im Norden huldigen nur wenige der großen Häuser den Sieben. Der Rest betet zu den alten Göttern und benennt keine Ritter… aber jene Lords und ihre Söhne und Vasallen sind nicht minder wild oder treu oder ehrenhaft. Der Wert eines Mannes ist nicht am Ser vor seinem Namen abzulesen. Wie ich es dir schon hundertmal erklärt habe.«

«Trotzdem«, sagte Bran,»wie viele Ritter?«Maester Luwin seufzte.»Dreihundert, vielleicht vier… unter dreitausend gepanzerten Lanzenreitern, die keine Ritter sind.«

«Lord Karstark ist der letzte«, sagte Bran nachdenklich.»Robb wird ihn heute abend empfangen.«»Das wird er zweifelsohne.«»Wie lange wird es dauern… bis sie ausziehen?«

«Er muß bald schon marschieren, oder gar nicht mehr«, sagte Maester Luwin.»Das Winterdorf platzt aus allen Nähten, und diese Armee wird noch das ganze Land kahlfressen, wenn sie noch viel länger hier lagert. Andere warten entlang der Kingsroad, um sich ihm anzuschließen, kleine Ritter und Pfahlbaumänner und die Lords Manderly und Flint. Die Kämpfe haben im Flußland schon begonnen, und dein Bruder hat noch manche Wegstunde zu bewältigen.«

«Ich weiß. «Bran fühlte sich so elend, wie er klang. Er gab dem Maester das bronzene Rohr zurück und bemerkte, wie licht Luwins Haar oben auf dem Kopf geworden war. Er konnte das Rosa der Haut durchscheinen sehen. Es war ein seltsames Gefühl, so auf ihn herabzusehen, nachdem er sein Leben lang zu ihm aufgeblickt hatte, doch wenn man auf Hodors Rücken saß, blickte man auf jedermann herab.»Ich möchte nicht mehr Ausschau halten. Hodor, bring mich in den Turm zurück.«

«Hodor«, gab Hodor zurück.

Maester Luwin schob das Rohr in seinen Ärmel.»Bran, dein Hoher Bruder wird jetzt keine Zeit für dich haben. Er muß Lord Karstark und seine Söhne willkommen heißen.«

«Ich werde Robb nicht behelligen. Ich möchte dem Götterhain einen Besuch abstatten. «Er legte seine Hand auf Hodors Schulter.»Hodor.«

Eine Reihe gemeißelter Griffe bildete eine Leiter im Granit der Innenmauer des Turmes. Hodor summte ohne Melodie, während er langsam hinunterstieg, wobei Bran im Korbsitz, den Maester Luwin für ihn entworfen hatte, mit dem Rücken hinten anstieß. Maester Luwin hatte die Idee bei den Körben abgeguckt, mit denen die Frauen Feuerholz auf dem Rücken trugen. Danach war es leicht gewesen, Beinlöcher hineinzuschneiden und ein paar Riemen anzubringen, um Brans Gewicht gleichmäßiger zu verteilen. Es war nicht so gut, wie Dancer zu reiten, doch gab es Orte, an die Dancer nicht gelangen konnte, und Bran beschämte es nicht so sehr, als würde Hodor ihn wie einen Säugling in seinen Armen tragen. Auch Hodor schien es zu gefallen, obwohl so etwas bei Hodor schwer zu sagen war. Schwierig war es nur, wenn sie durch eine Tür gingen. Manchmal vergaß Hodor, daß er Bran auf dem Rücken hatte, und dann konnte es schmerzhaft enden.

Fast vierzehn Tage lang hatte ein solches Kommen und

Gehen geherrscht, daß Robb befahl, beide Falltore oben zu lassen und die Zugbrücke dazwischen unten, selbst in der Nacht. Eine lange Reihe gepanzerter Lanzenreiter überquerte den Burggraben zwischen den Mauern, als Bran aus dem Turm kam. Männer von Karstark folgten ihren Lords in die Burg. Sie trugen schwarze, eiserne Halbhelme und ebenfalls schwarze Wollumhänge, die mit der weißen Sonne gemustert waren. Hodor trottete neben ihnen her, lächelte vor sich hin, während seine Stiefel über das Holz der Zugbrücke polterten. Die Reiter warfen ihnen schräge Blicke zu, wenn sie vorüberritten, und einmal hörte Bran, wie jemand lachte. Er nahm es sich nicht zu Herzen.»Die Menschen werden dich anstarren«, hatte Maester Luwin ihn beim ersten Mal gewarnt, als sie den Strohkorb um Hodors Brustkorb banden.»Sie werden gaffen, und sie werden reden, und einige werden dich verspotten. «Laß sie spotten, dachte Bran. In seiner Schlafkammer würde ihn niemand verhöhnen, aber er wollte sein Leben nicht im Bett verbringen.

Als sie unter den Falltoren hindurchkamen, schob Bran zwei Finger in seinen Mund und pfiff. Summer kam über den Hof gelaufen. Plötzlich mühten sich die Lanzenreiter ab, ihre Pferde im Zaum zu halten, die mit den Augen rollten und vor Entsetzen wieherten. Ein Hengst scheute, schrie, während der Reiter fluchte und verzweifelt Halt suchte. Der Geruch des Schattenwolfes versetzte die Pferde in panische Angst, wenn sie nicht daran gewöhnt waren, doch würden sie sich bald beruhigen, wenn Summer wieder fort wäre.»Zum Götterhain«, erinnerte Bran Hodor.

Selbst auf Winterfell drängten sich die Menschen. Auf dem Hof hörte man Schwert und Axt, das Rumpeln von Wagen und das Gebell von Hunden. Die Tür zur Waffenkammer stand offen, und Bran sah Mikken an seinem Ofen, und der Hammer klang, während Schweiß von seiner nackten Brust tropfte. Nie zuvor in all den Jahren hatte Bran so viele Fremde gesehen, nicht einmal, als König Robert seinem Vater einen Besuch

abgestattet hatte.

Er riß sich zusammen, um nicht zurückzuschrecken, als Hodor sich unter einem niedrigen Türrahmen duckte. Sie gingen einen langen, dunklen Korridor entlang, und Summer trottete leichtfüßig neben ihnen. Von Zeit zu Zeit sah der Wolf zu ihm auf, die Augen glühend wie flüssiges Gold. Bran hätte ihn gern berührt, aber er ritt allzu hoch, als daß er ihn mit der Hand hätte erreichen können.

Der Götterhain war eine Insel des Friedens in einem Meer des Chaos, zu dem Winterfell dieser Tage geworden war. Hodor hatte sich einen Weg durch den dichten Hain von Eichen, Eisen- und Wachbäumen gebahnt, hinüber zum stillen Teich neben dem Herzbaum. Er blieb unter den knorrigen Ästen des Wehrbaums stehen, noch immer summend. Bran langte nach oben über seinen Kopf und hob sich aus dem Sitz, zog die tote Last seiner Beine durch die Löcher im Weidenkorb. Einen Moment lang hing er da, baumelte, die dunkelroten Blätter strichen über sein Gesicht, bis Hodor ihn anhob und auf den glatten Stein neben dem Wasser setzte.»Ich möchte eine Weile für mich allein sein«, sagte er.»Du kannst baden. Geh zu den Teichen.«

«Hodor. «Hodor stapfte durch die Bäume und verschwand. Hinter dem Götterhain, unter den Fenstern des Gästehauses, speiste eine heiße Quelle drei kleine Tümpel. Bei Tag und Nacht stieg Dampf vom Wasser auf, und die Mauer, die darüber aufragte, war dick von Moos bewachsen. Hodor haßte kaltes Wasser und wehrte sich wie eine Wildkatze, wenn man ihm mit Seife drohte, doch stieg er selig in den heißesten Tümpel, saß stundenlang darin und gab ein lautes Rülpsen von sich als Antwort auf das Wasser, wann immer eine Blase aus den schlammig grünen Tiefen an die Oberfläche trat.

Summer trank gierig von dem Wasser und ließ sich neben Bran nieder. Der Junge kraulte den Wolf unter dem Kinn, und für einen Augenblick fanden Mensch und Tier Frieden. Bran hatte den Götterhain schon immer gemocht, selbst vorher, doch merkte er, wie er sich in letzter Zeit mehr und mehr dort hingezogen fühlte. Auch der Herzbaum machte ihm nicht mehr solche Angst wie früher. Die tiefroten Augen, die in den fahlen Stamm geschnitzt waren, beobachteten ihn nach wie vor, inzwischen empfand er diesen Blick jedoch eher als tröstlich. Die Götter wachten über ihn, so sagte er sich. Die alten Götter, Götter der Starks und der Ersten Menschen und der Kinder des Waldes, die Götter seines Vaters. Er fühlte sich in ihrer Nähe sicher, und die tiefe Stille der Bäume half ihm beim Denken. Und seit seinem Sturz hatte Bran viel nachgedacht. Gegrübelt und geträumt und mit den Göttern gesprochen.

«Bitte macht, daß Robb nicht fortgeht«, betete er leise. Er fuhr mit der Hand durchs kalte Wasser, sandte kleine Wellen über den Teich.»Bitte laßt ihn bleiben. Oder, wenn er fort muß, bringt ihn sicher wieder heim, zusammen mit Mutter und Vater und den Mädchen. Und gebt… gebt, daß Rickon es versteht.«

Sein kleiner Bruder war wild wie ein Wintersturm, seit er erfahren hatte, daß Robb in den Krieg ziehen würde, weinte und tobte abwechselnd. Er hatte sich geweigert zu essen, hatte fast eine ganze Nacht lang geweint und geschrien, sogar Old Nan geschlagen, als sie versuchte, ihn in den Schlaf zu singen, und am nächsten Tag war er verschwunden. Robb hatte die halbe Burg auf die Suche nach ihm geschickt, und nachdem sie ihn schließlich unten in der Gruft gefunden hatten, schlug Rickon mit einem verrosteten Eisenschwert auf sie ein, das er einem toten König aus der Hand gewunden hatte, und Shaggydog kam wie ein grünäugiger Dämon geifernd aus der Finsternis hervor. Der Wolf war fast so wild wie Rickon. Er hatte Gage in den Arm gebissen und aus Mikkens Schenkel ein Stück Fleisch herausgerissen. Erst Robb und Grey Wind hatten es geschafft, sie zu bändigen. Farley hatte den schwarzen Wolf jetzt im Zwinger angekettet, und Rickon weinte nur noch mehr,

weil er jetzt ohne ihn war.

Maester Luwin riet Robb, auf Winterfell zu bleiben, und auch Bran hatte ihn angefleht, um seiner selbst willen ebenso wie Rickons wegen, sein Bruder allerdings hatte nur stur den Kopf geschüttelt und gesagt:»Ich will nicht fort. Ich muß.«

Es war nur halb gelogen. Irgend jemand mußte gehen, um den Neck zu halten und den Tullys gegen die Lannisters beizustehen. Bran begriff das wohl, aber es mußte nicht Robb sein. Sein Bruder hätte das Kommando Hai Mollen oder Theon Greyjoy überlassen können, oder einem seiner Lords und Bannerträger. Maester Luwin drängte ihn, ebendas zu tun, nur wollte Robb davon nichts hören.»Mein Hoher Vater hätte niemals Männer in den Tod geschickt, sich selbst hingegen wie ein Feigling hinter den Mauern von Winterfell verschanzt«, sagte er, ganz Robb, der Lord. Robb erschien Bran halb wie ein Fremder, verwandelt, ein wahrer Lord, obwohl er seinen sechzehnten Namenstag noch nicht gefeiert hatte. Die Verbündeten seines Vaters spürten dies vermutlich ebenfalls. Mancher versuchte, ihn auf die Probe zu stellen, jeder auf seine Weise. Roose Bolton und Robett Glover forderten beide für sich die Ehre des Kommandos in der Schlacht, der erste brüsk, der zweite mit einem Lächeln und einem Scherz. Die stämmige, grauhaarige Maege Mormont, wie ein Mann mit Kettenhemd gewandet, erklärte Robb barsch, er sei so jung, er könne ihr Enkel sein, und es sei nicht an ihm, ihr Befehle zu erteilen… doch wie der Zufall es wollte, hatte sie eine Enkelin, die sie gern mit ihm vermählen wollte. Lord Cerwyn mit der sanften Stimme hatte gar seine Tochter mitgebracht, ein plumpes, reizloses Mädchen von dreißig Jahren, die zur Linken ihres Vaters saß und den Blick nie von ihrem Teller nahm. Der joviale Lord Hornwood hatte keine Töchter, dafür brachte er Geschenke, am einen Tag ein Pferd, eine Hirschkeule am nächsten, am Tag darauf ein silbern eingefaßtes Jagdhorn, und er bat um keine Gegenleistung… nichts außer einer bestimmten

Festung, die man seinem Großvater genommen hatte, und Jagdrechten nördlich eines bestimmten Kamms, dazu Erlaubnis, den White Knife einzudämmen, wenn es dem Lord gefiele.

Robb antwortete jedem von ihnen mit kühler Höflichkeit, ganz wie sein Vater es getan hätte, und irgendwie beugte er sie seinem Willen.

Und als Lord Umber, der von seinen Männern Greatjon gerufen wurde und so groß wie Hodor und doppelt so breit war, drohte, seine Männer wieder mit nach Hause zu nehmen, sollte man ihn in der Marschordnung hinter den Hornwoods oder den Cerwyns plazieren, erklärte ihm Robb, das möge er gern tun.»Und wenn wir mit den Lannisters fertig sind«, versprach er, während er Grey Wind hinter den Ohren kraulte,»werden wir wieder gen Norden reiten, Euch aus Eurer Festung holen und als Eidbrüchigen hängen. «Fluchend warf der Greatjon einen Krug mit Bier ins Feuer und bellte, Robb sei so grün, daß er wohl Gras pissen müsse. Als Hallis Mollen ihn beruhigen wollte, schlug er ihn zu Boden, trat einen Tisch um und zog das mächtigste und häßlichste Großschwert, das Bran je gesehen hatte. Überall entlang der Bänke sprangen seine Söhne und Brüder und Verbündeten auf und griffen ebenfalls nach ihrem Stahl.

Robb sagte nur ein leises Wort, und einen Augenblick und ein Knurren später lag Lord Umber auf dem Rücken, während sich sein Schwert drei Schritte weit entfernt am Boden drehte und Blut von seiner Hand tropfte, wo Grey Wind ihm zwei Finger abgebissen hatte.»Mein Hoher Vater lehrte mich, daß es den Tod bedeutet, wenn man gegen seinen Lehnsherrn blanken Stahl erhebt«, sagte Robb,»aber zweifelsohne wolltet Ihr mir nur das Fleisch schneiden. «Bran machte sich vor Angst fast in die Hosen, als der Greatjon auf die Beine kam und an den roten Stümpfen seiner Finger sog… doch dann, zum Staunen aller, lachte der riesenhafte Mann.»Euer Fleisch«,

donnerte er,»ist verdammt zäh.«

Und irgendwie wurde der Greatjon danach Robbs rechte Hand, sein treuester Recke, der allen und jedem erzählte, daß der Knabenlord wohl doch ein Stark sei und sie verdammt noch mal lieber auf die Knie fallen sollten, wenn sie sich diese nicht abbeißen lassen wollten.

In jener Nacht jedoch kam sein Bruder blaß und erschüttert in Brans Schlafgemach, nachdem die Feuer in der Großen Halle niedergebrannt waren.»Ich dachte, er würde mich erschlagen«, gestand Robb.»Hast du gesehen, wie er Hal zu Boden warf, als wäre er nicht größer als der kleine Rickon? Bei allen Göttern, ich hatte solche Angst. Und Greatjon ist nicht einmal der schlimmste von ihnen, nur der lauteste. Lord Roose sagt nie ein Wort, stets sieht er mich nur an, und ich kann nur noch an diesen Raum denken, den sie im Dreadfort haben, wo die Boltons die Häute ihrer Feinde aufhängen.«

«Das ist bloß eine von Old Nans Geschichten«, tröstete ihn Bran. Ein Hauch von Zweifel kam in seine Stimme.»Oder?«

«Ich weiß es nicht. «Müde schüttelte er den Kopf.»Lord Cerwyn will seine Tochter mit uns in den Süden nehmen. Damit sie für ihn kocht, sagt er. Theon ist sicher, daß ich das Mädchen eines Abends in meiner Bettstatt finden werde. Ich wünschte… ich wünschte, Vater wäre hier…«

Das war etwas, worin sie einig waren, Bran und Rickon und Robb, der Lord. Sie alle wünschten, Vater wäre da. Doch Lord Eddard war tausend Wegstunden weit, gefangen in einem Kerker, auf der Flucht, lief um sein Leben oder war schon tot. Niemand schien es sicher zu wissen. Jeder Reisende erzählte eine andere Geschichte, jede schrecklicher als die vorherige. Die Köpfe von Vaters Gardisten moderten auf den Mauern des Red Keep, auf Spieße gesteckt. König Robert war von Vaters Händen gestorben. Die Baratheons belagerten King's Landing. Lord Eddard war mit Renly, dem bösen Bruder des Königs, gen Süden geflohen. Arya und Sansa waren vom Bluthund ermordet worden. Mutter hatte Tyrion, den Gnom, getötet und seine Leiche an die Mauern von Riverrun gehängt. Lord Tywin Lannister marschierte gegen die Eyrie, mordend und brandschatzend, wohin er kam. Die weinseligen Geschichtenerzähler behaupteten sogar, Rhaegar Targaryen sei von den Toten heimgekehrt und sammelte ein unübersehbar großes Heer von alten Helden auf Dragonstone, um den Thron seines Vaters zurückzuerobern.

Dann kam der Rabe mit einem Brief, der Vaters Siegel trug und von Sansas Hand geschrieben war, und die grausame Wahrheit schien nicht weniger unglaublich. Nie würde Bran den Ausdruck auf Robbs Gesicht vergessen, als dieser auf die Worte seiner Schwester starrte.»Sie sagt, Vater habe sich mit den Brüdern des Königs zum Verrat verschworen«, las er.»König Robert ist tot, und Mutter und ich sollen in den Red Keep kommen, um Joffrey Treue zu schwören. Sie sagt, wir müssen uns loyal verhalten, und wenn sie Joffrey heiratet, will sie ihn bitten, Vaters Leben zu verschonen. «Seine Finger schlossen sich zu einer Faust, die Sansas Brief zerknüllte.»Und sie sagt kein Wort von Arya, nichts, kein Wort. Verflucht soll sie sein! Was ist mit diesem Mädchen los?«

Bran wurde innerlich ganz kalt.»Sie hat ihren Wolf verloren«, sagte er schwach, erinnerte sich an den Tag, als vier Gardisten seines Vaters mit Ladys Knochen aus dem Süden heimgekehrt waren. Summer und Grey Wind und Shaggydog hatten zu heulen begonnen, bevor sie noch über die Zugbrücke kamen, mit müden und einsamen Stimmen. Unter dem Schatten des Hauptturmes lag ein alter Friedhof, auf dem die alten Könige von Winter ihre treuen Diener bestattet hatten. Dort wurde auch Lady begraben, während ihre Brüder wie rastlose Schatten zwischen den Gräbern umherliefen. Sie war gen Süden gezogen, und nur ihre Knochen waren heimgekehrt.

Auch ihr Großvater, der alte Lord Rickard, war ausgezogen, mit seinem Sohn Brandon, der Vaters Bruder war, und zweihundert seiner besten Männer. Keiner war zurückgekehrt. Und Vater war gen Süden gezogen, mit Arya und Sansa und Jory und Hüllen und Fat Tom und all den anderen, und später waren Mutter und Ser Rodrik fortgegangen, und auch sie waren nicht wiedergekommen. Und nun wollte sich auch Robb aufmachen. Nicht nach King's Landing und nicht, um seinen Eid abzulegen, sondern nach Riverrun, mit dem Schwert in der Hand. Und wenn sich ihr Hoher Vater tatsächlich in Gefangenschaft befand, würde dies für ihn mit Sicherheit den Tod bedeuten. Das bereitete Bran mehr Angst, als er zu sagen vermochte.

«Wenn Robb gehen muß, wacht gut über ihn«, flehte Bran die alten Götter an, während sie ihn mit den roten Augen des Herzbaumes betrachteten,»und wacht gut über seine Männer, Hal und Quent und den ganzen Rest und Lord Umber und Lady Mormont und die anderen Lords. Und wohl auch über Theon. Seid so gut und wacht über sie und schützt sie, Götter. Helft ihnen, die Lannisters zu bezwingen und Vater zu retten und sie alle nach Hause zu bringen.«

Ein schwacher Windhauch wehte durch die Bäume, und die roten Blätter rührten sich und flüsterten. Summer bleckte die Zähne.»Hörst du sie, Junge?«fragte eine Stimme.

Bran hob den Kopf. Osha stand auf der anderen Seite des Teiches unter einer alten Eiche, ihr Gesicht im Schatten der Blätter.

Selbst in Eisen war die Wilde leise wie eine Katze. Summer umrundete den Teich und schnüffelte an ihr. Die große Frau schreckte zurück.

«Summer, zu mir«, rief Bran. Der Schattenwolf schnüffelte ein letztes Mal, fuhr herum und kam zurückgelaufen. Bran legte die Arme um ihn.»Was tust du hier?«Er hatte Osha nicht mehr gesehen, seit sie im Wolfswald gefangengenommen wurde, obwohl er wußte, daß man sie zur Küchenarbeit abgestellt hatte.

«Es sind auch meine Götter«, erklärte Osha.»Jenseits der Mauer sind es die einzigen Götter. «Ihr Haar war lang, braun und zottig. Damit sah sie weiblicher aus, damit und mit dem schlichten, braunen Kleid aus grobem Stoff, das sie ihr gegeben hatten, als sie ihr Kettenhemd und Leder nahmen.»Gage läßt mich von Zeit zu Zeit meine Gebete sagen, wenn mir danach ist, dafür gestatte ich ihm, unter meinem Rock zu tun und zu lassen, was er will, wenn ihm danach ist. Es macht mir nichts aus. Ich mag den Geruch von Mehl an seinen Händen, und er ist sanfter als Stiv. «Sie verneigte sich unbeholfen.»Ich werde dich verlassen. Ein paar Töpfe müssen gerührt werden.«

«Nein, bleib«, befahl ihr Bran.»Sag mir, was du gemeint hast, daß du die Götter hörst.«

Osha musterte ihn.»Du hast sie gefragt, und sie antworten. Sperr deine Ohren auf, lausch ihnen, und du wirst es vernehmen.«

Bran lauschte.»Das ist nur der Wind«, sagte er nach einem Augenblick unsicher.»Die Blätter rascheln.«

«Was glaubst du, wer den Wind schickt, wenn nicht die Götter?«Sie setzte sich ihm gegenüber an den Teich, klirrte leise, wenn sie sich bewegte. Mikken hatte ihr eiserne Fesseln an die Füße geschmiedet, mit einer schweren Kette verbunden. Sie könnte gehen, solange sie kleine Schritte machte, doch konnte sie unmöglich rennen oder klettern oder auf ein Pferd steigen.»Sie sehen dich, Junge. Sie hören dich reden. Dieses Rascheln, das ist ihre Antwort.«

«Was sagen sie?«

«Sie sind traurig. Dein Hoher Bruder wird keine Hilfe von ihnen bekommen, nicht dort, wohin er geht. Die alten Götter haben im Süden keine Macht. Die Wehrholzhaine wurden alle abgeholzt, vor Tausenden von Jahren schon. Wie können sie über deinen Bruder wachen, wo sie keine Augen haben?«

Das hatte Bran nicht bedacht. Angst durchfuhr ihn. Wenn nicht einmal die Götter seinem Bruder helfen konnten, welche Hoffnung blieb dann noch? Vielleicht hörte Osha sie nicht richtig. Er neigte den Kopf und versuchte, erneut zu lauschen. Jetzt glaubte er, die Trauer zu hören, doch nicht mehr als das.

Das Rascheln wurde lauter. Bran hörte gedämpfte Schritte und leises Summen. Hodor tappte zwischen den Bäumen hervor, nackt und lächelnd.»Hodor!«

«Er muß unsere Stimmen gehört haben«, sagte Bran.»Hodor, du hast deine Kleider vergessen.«

«Hodor«, stimmte Hodor zu. Er war vom Hals abwärts triefend naß, dampfte in der kühlen Luft. Sein Leib war braun behaart, dick wie ein Pelz. Lang und schwer schwang seine Männlichkeit zwischen den Beinen.

Osha betrachtete ihn mit säuerlichem Lächeln.»Na, das ist mal ein großer Mann«, befand sie.»Wenn der nicht Riesenblut in seinen Adern hat, bin ich die Königin.«

«Maester Luwin sagt, es gäbe keine Riesen mehr. Er sagt, sie wären alle tot wie die Kinder des Waldes. Von denen sind nur alte Knochen in der Erde übrig, die die Menschen hin und wieder beim Pflügen ausgraben.«

«Laß Maester Luwin hinter die Mauer reiten«, entgegnete Osha.»Da wird er Riesen finden, oder sie finden ihn. Mein Bruder hat eine Riesenfrau getötet. Zehn Fuß war sie groß, und dabei verkrüppelt. Man weiß, daß sie bis zu zwölf Fuß, sogar dreizehn werden. Widerliche Viecher sind sie, nur Haare und Zähne, und die Frauen haben Bärte wie ihre Männer, so daß man sie nicht auseinanderhalten kann. Die Frauen nehmen sich menschliche Männer zum Liebhaber, und von denen stammen dann die Mischlinge. Schlimmer ist es für die Frauen, die sie fangen. Die Männer sind so groß, daß sie eine Maid zerreißen, bevor sie ihr ein Kind machen. «Sie grinste ihn an.»Aber du weißt gar nicht, was ich meine, was, Junge?«

«Weiß ich doch«, beharrte Bran. Er kannte die Paarung. Er hatte Hunde auf dem Hof gesehen und einen Hengst, der auf eine Stute stieg. Trotzdem, darüber zu reden war ihm unangenehm. Er sah Hodor an.»Geh und hol dir deine Sachen, Hodor«, sagte er.»Zieh dich an.«

«Hodor. «Er nahm den Weg, den er gekommen war, und duckte sich unter einem tiefhängenden Ast hindurch.

Er ist wirklich groß, dachte Bran, als er ihm hinterhersah.»Gibt es tatsächlich Riesen hinter der Mauer?«fragte er Osha unsicher.

«Riesen und Schlimmeres als Riesen, kleiner Lord. Ich habe versucht, es deinem Bruder zu sagen, als er seine Fragen stellte, er und euer Maester und dieser grinsende Jüngling Greyjoy. Der kalte Wind kommt auf, und Menschen lassen ihre Feuer hinter sich und kehren nie zurück… oder wenn sie es tun, so sind sie keine Menschen mehr, sondern nur noch Wesen mit blauen Augen und kalten, schwarzen Händen. Was meinst du, wieso ich mit Stiv und Hali und den anderen Dummköpfen nach Süden gezogen bin? Mance glaubt, er kann kämpfen, der tapfere, süße, sture Mann, als wären die weißen Wanderer nicht mehr als Grenzer, aber was weiß er schon? Er kann sich König- hinter-der-Mauer nennen, soviel er will, aber er ist und bleibt nur eine unter vielen schwarzen Krähen, die vom Shadow Tower herabgeflogen sind. Den Winter hat er nie erlebt. Ich bin da oben geboren, Kind, wie meine Mutter und ihre Mutter vor ihr, und deren Mutter vor ihr. Ich bin vom Freien Volk. Wir erinnern uns. «Osha stand auf, und ihre Ketten rasselten.»Ich habe versucht, es deinem kleinen Lordbruder zu erklären. Erst gestern, als ich ihn auf dem Hof getroffen habe. >M'lord Stark<, habe ich gerufen, so respektvoll wie möglich, aber er hat durch mich hindurchgesehen, und schon stößt mich dieser verschwitzte Ochse Greatjon Umber beiseite. Sei es, wie es sei.

Ich trage meine Eisen und hüte meine Zunge. Ein Mann, der nicht hören will, kann nichts verstehen«

«Erzähl es mir. Robb wird auf mich hören, das weiß ich genau.«

«Ob er es tut? Wir werden sehen. Sag es ihm, kleiner Lord. Sag ihm, er ist auf dem besten Wege, in die falsche Richtung zu marschieren. Nach Norden sollte er seine Schwerter richten. Norden, nicht Süden. Begreifst du?«

Bran nickte.»Ich werde es ihm sagen.«

Doch an jenem Abend, als sie in der Großen Halle feierten, war Robb nicht unter ihnen. Statt dessen nahm er sein Mahl im Solar ein, mit Lord Rickard und dem Greatjon und den anderen verbündeten Lords, um die letzten Pläne für den bevorstehenden langen Marsch zu schmieden. Es blieb Bran überlassen, seinen Stuhl am Kopf des Tisches zu besetzen und den Gastgeber für Lord Karstarks Söhne und ehrenwerte Freunde zu spielen. Sie saßen bereits an ihren Plätzen, als Hodor Bran auf seinen Schultern in die Halle trug und neben dem Thronsitz kniete. Zwei Diener hoben ihn aus seinem Korb. Bran spürte die Blicke jedes einzelnen Fremden in der Halle. Stille war eingekehrt.»Mylords«, verkündete Hallis Mollen,»Brandon Stark von Winterfell.«

«Ich heiße Euch an unseren Feuern willkommen«, sagte Bran steif,»und entbiete Euch Speis und Trank zu Ehren Eurer Freundschaft.«

Harrion Karstark, der älteste von Lord Rickards Söhnen, verneigte sich, und nach ihm seine Brüder, doch während sie sich wieder setzten, hörte er durchs Klirren der Weinbecher, wie sich die jüngeren der beiden mit leiser Stimme unterhielten.»… eher sterben, als so zu leben«, murmelte der eine, der Namensvetter seines Vaters Eddard, und sein Bruder Torrhen sagte, wahrscheinlich sei der Junge innerlich ebenso gebrochen wie äußerlich, zu feige, sich das Leben selbst zu

nehmen.

Gebrochen, dachte Bran verbittert und griff zum Messer. Das war er nun? Bran, der Gebrochene?» Ich will nicht gebrochen sein«, flüsterte er Maester Luwin wütend zu, der zu seiner Rechten saß.»Ich will ein Ritter sein.«

«Es gibt manchen, der meinen Orden den der Ritter des Geistes nennt«, erwiderte Luwin.»Du bist ein trefflich kluger Junge, wenn du daran arbeitest, Bran. Hast du schon je daran gedacht, die Ordenskette eines Maesters anzulegen? Grenzen dessen, was sich lernen ließe, gibt es nicht.«

«Ich möchte die Magie erlernen«, erklärte Bran.»Die Krähe hat versprochen, daß ich fliegen würde.«

Maester Luwin seufzte.»Ich kann dich in der Historie unterrichten, in der Heilkunst, in der Pflanzenkunde. Ich kann dich die Sprache der Raben lehren, wie man eine Burg baut und wie ein Seemann sein Schiff nach den Sternen lenkt. Ich kann dich lehren, die Tage zu messen und die Jahreszeiten zu benennen, und in der Citadel von Oldtown kann man dich noch in tausend anderen Dingen unterweisen. Aber, Bran, kein Mensch kann dir Magie beibringen.«

«Die Kinder konnten es«, sagte Bran.»Die Kinder des Waldes. «Das erinnerte ihn an das Versprechen, das er Osha im Götterhain gegeben hatte, also berichtete er Luwin, was sie erzählt hatte.

Der Maester lauschte höflich.»Die Wildlingsfrau könnte Old Nan im Geschichtenspinnen unterrichten, denke ich«, sagte er, als Bran fertig war.»Ich werde mit ihr sprechen, wenn du möchtest, aber es wäre das beste, wenn du deinen Bruder nicht mit dieser Narretei belastest. Er hat mehr als genug zu bedenken und sollte sich nicht noch dazu um Riesen und tote Männer in den Wäldern sorgen müssen. Es sind die Lannisters, die deinen Vater gefangenhalten, Bran, nicht die Kinder des Waldes. «Sanft legte er Bran eine Hand auf den Arm.»Denk

darüber nach, was ich dir gesagt habe, Junge.«

Und zwei Tage später, als der Morgen rot am windgepeitschten Himmel begann, fand sich Bran auf dem Hof unter dem Tor wieder, auf Dancers Rücken festgeschnallt, und nahm von seinem Bruder Abschied.

«Du bist nun Herr auf Winterfell«, erklärte Robb. Er saß auf einem zottig grauen Hengst, sein Schild hing an der Flanke des Pferdes, Holz, von Eisen eingefaßt, weiß und grau, und darauf das zähnefletschende Gesicht eines Schattenwolfes. Sein Bruder trug graue Ketten über gebleichtem Leder, Schwert und Dolch an seiner Hüfte, einen pelzbesetzten Umhang um die Schultern.»Du mußt an meine Stelle treten, wie ich an Vaters getreten bin, bis wir heimkehren.«

«Ich weiß«, erwiderte Bran niedergeschlagen. Nie zuvor hatte er sich derart klein oder allein oder verschüchtert gefühlt. Er wußte nicht, wie man ein Lord war.

«Höre auf Maester Luwins Rat und kümmere dich um Rickon. Sag ihm, ich käme wieder, sobald die Kämpfe vorüber sind.«

Rickon hatte sich geweigert, herunterzukommen. Er hockte oben in seiner Kammer, rotäugig und trotzig.»Nein!«hatte er geschrien, als Bran ihn fragte, ob er sich von Robb denn nicht verabschieden wolle.»KEIN Abschied!«

«Ich habe es ihm gesagt«, antwortete Bran.»Er meint, niemand kommt je zurück.«

«Er kann nicht ewig ein Säugling bleiben. Er ist ein Stark und fast schon vier. «Robb seufzte.»Nun, Mutter wird bald zu Hause sein. Ich bringe Vater mit, versprochen.«

Er wendete sein Pferd und trabte davon. Grey Wind folgte ihm, lief neben dem Streitroß, schlank und schnell. Hallis Mollen ritt vor ihnen durch das Tor, trug das flatternde, weiße Banner des Hauses Stark über einer hohen Standarte von grauer Asche. Theon Greyjoy und der Grearjon ritten zu beiden

Seiten von Robb, und ihre Ritter formierten sich hinter ihnen zu einer doppelten Kolonne, und die stählernen Spitzen ihrer Lanzen glitzerten in der Sonne.

Beunruhigt dachte er an Oshas Worte. Er marschiert in die falsche Richtung, dachte er. Einen Moment lang wäre er ihm gern nachgaloppiert, um ihn zu warnen, doch als Robb unter den Falltoren verschwand, war der Augenblick vergangen.

Von jenseits der Burgmauern war Geschrei zu hören. Die Fußsoldaten und Dorfbewohner jubelten Robb zu, während er vorüberritt. Jubel für Lord Stark, für den Herrn von Winterfell auf seinem großen Hengst, mit seinem flatternden Umhang und Grey Wind an seiner Seite. Ihm würden sie niemals so zujubeln, drängte es sich mit dumpfem Schmerz in sein Bewußtsein. Er mochte der Lord von Winterfell sein, solange sein Bruder und sein Vater fort waren, dennoch blieb er Bran, der Gebrochene. Er konnte nicht einmal allein von seinem Pferd steigen.

Als der ferne Jubel zu Stille verklungen war und sich der Hof schließlich geleert hatte, erschien ihm Winterfell verlassen und tot. Bran betrachtete die Gesichter derjenigen, die geblieben waren, Frauen und Kinder und alte Männer… und Hodor. Der riesenhafte Stalljunge sah ihn mit verlorenem und verängstigtem Blick an.»Hodor?«sagte er traurig.

«Hodor«, stimmte Bran ihm zu, ohne zu wissen, was es bedeutete.

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