Tyrion

«Sie haben meinen Sohn«, sagte Tywin Lannister.

«Es ist wahr, Mylord. «Die Stimme des Kuriers klang dumpf vor Erschöpfung. An der Brust seines zerfetzten Umhangs war der gestreifte Keiler von Crakehall halb von getrocknetem Blut verdeckt.

Einen deiner Söhne, dachte Tyrion. Er nahm einen Schluck Wein, sagte kein Wort, erinnerte sich an Jaime. Als er seinen Arm hob, schoß Schmerz durch seinen Ellenbogen und brachte ihm die kurze Kostprobe zu Bewußtsein, die er vom Krieg bekommen hatte. Er liebte seinen Bruder, doch hätte er nicht für alles Gold von Casterly Rock mit ihm im Whispering Wood sein wollen.

Die versammelten Hauptleute und Vasallen seines Vaters waren still geworden, als der Kurier seine Geschichte erzählte. Nur das Knistern und Zischen des Holzscheits im Kamin am Ende des langen, zugigen Schankraumes war zu hören.

Nach den Beschwerlichkeiten der langen, gnadenlosen Reise gen Süden war Tyrion von der Aussicht einer Nacht im Wirtshaus hocherfreut… obwohl er sich wünschte, es wäre nicht wieder dieses Wirtshaus gewesen mit all den unangenehmen Erinnerungen. Sein Vater hatte ein grausames Marschtempo vorgelegt, und das hatte seinen Tribut gefordert. Männer, die in der Schlacht verwundet worden waren, hielten mit, so gut sie konnten, oder blieben zurück, um für sich selbst zu sorgen. Jeden Morgen ließen sie wieder einige am Straßenrand zurück, Männer, die eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht waren. Jeden Nachmittag brachen manche auf dem Weg zusammen. Und jeden Abend desertierten welche, stahlen sich in der Dämmerung davon. Tyrion hatte sich halbwegs versucht gefühlt, mit ihnen zu ziehen.

Er war oben gewesen, hatte sich der Bequemlichkeit eines Federbetts und Shaes Wärme an seiner Seite erfreut, als sein Knappe ihn geweckt hatte, um ihm mitzuteilen, daß ein Reiter mit schlechter Nachricht aus Riverrun eingetroffen sei. So war also alles umsonst gewesen. Der Sturm gen Süden, der endlose, harte Marsch, die Leichen am Wegesrand… alles umsonst. Robb Stark war schon seit Tagen in Riverrun.

«Wie konnte das passieren?«stöhnte Ser Harys Swyft.»Wie? Noch nach dem Flüsterwald hattet Ihr Riverrun mit Eisen eingefaßt, umringt von einer großen Streitmacht… welcher Wahnsinn hat Jaime getrieben, seine Männer in drei separate Lager zu trennen? Sicher wußte er doch, wie verletzbar er dadurch würde?«

Besser als du, kinnlose Memme, dachte Tyrion. Jaime mochte Riverrun verloren haben, doch ärgerte es ihn zu vernehmen, wie sein Bruder von Leuten vom Schlage eines Swyft verleumdet wurde, einem schamlosen Speichellecker, dessen größte Leistung darin bestand, seine gleichermaßen kinnlose Tochter mit Ser Kevan verheiratet und sich auf diese Weise mit den Lannisters verbunden zu haben.

«Ich hätte es ebenso gemacht«, erwiderte sein Onkel um einiges ruhiger, als Tyrion es gesagt hätte.»Ihr habt Riverrun noch nie gesehen, Ser Harys, sonst wüßtet Ihr, daß Jaime in dieser Hinsicht kaum die Wahl hatte. Die Burg liegt am Ende der Landspitze, an welcher der Tumblestone in den Roten Arm des Trident fließt. Die Flüsse bilden zwei Seiten eines Dreiecks, und wenn Gefahr droht, öffnen die Tullys stromaufwärts ihre Schleusentore und schaffen dadurch an der dritten Seite einen breiten Sumpf was Riverrun zu einer Insel macht. Nur die Mauern ragen aus dem Wasser, und von ihren Türmen aus haben die Verteidiger in alle Richtungen einen weiten Blick über die anderen Ufer. Um sämtliche Zufahrtswege zu blockieren, muß man ein Lager nördlich des Tumblestone, eines südlich vom Roten Arm und ein drittes zwischen den Flüssen, westlich des Sumpfes, errichten. Andere Möglichkeiten gibt es nicht.«

«Ser Kevan spricht die Wahrheit, Mylords«, sagte der Kurier.»Wir hatten Palisaden aus spitzen Pfählen um die Lager herum errichtet, doch das genügte nicht, nicht ohne Vorwarnung und mit den Flüssen zwischen uns. Zuerst sind sie über das nördliche Lager hergefallen. Niemand hatte einen Angriff erwartet. Marq Piper hatte unsere Nachschubtruppen überfallen, aber er hatte nicht mehr als fünfzig Mann. Ser Jaime war am Abend vorher ausgezogen, um sich seiner anzunehmen… nun, zumindest dachten wir, sie wären es. Man sagte uns, die Armee der Starks befände sich östlich vom Grünen Arm und marschiere gen Süden… «

«Und Eure Kundschafter?«Ser Gregor Cleganes Miene hätte aus Stein gemeißelt sein können. Das Feuer im Kamin beleuchtete seine Haut mit dunklem Orange und warf tiefe Schatten in seine Augenhöhlen.»Sie haben nichts gesehen? Sie haben Euch nicht gewarnt?«

Der blutbeschmierte Bote schüttelte den Kopf.»Unsere Kundschafter verschwanden einer nach dem anderen. Marq Pipers Werk, so dachten wir. Diejenigen, die zurückkamen, hatten nichts gesehen.«

«Ein Mann, der nichts sieht, hat keine Verwendung für seine Augen«, erklärte der Berg.»Schneidet sie heraus und gebt sie dem nächsten Vorreiter. Sagt ihm, Ihr hofft, vier Augen sehen mehr als zwei… und wenn nicht, hat der nächste Mann dann sechs.«

Lord Tywin Lannister wandte sich um und betrachtete Ser Gregor. Tyrion sah Gold glänzen, als das Licht auf die Pupillen seines Vaters fiel, doch hätte er nicht sagen können, ob es ein zustimmender oder angewiderter Blick war. Lord Tywin blieb im Rat oft still, zog es vor, zuzuhören, bevor er etwas sagte, eine Angewohnheit, die Tyrion selbst sich gern zu eigen machte. Dieses Schweigen hingegen war auch für ihn untypisch, und sein Wein stand unangetastet da.

«Ihr sagt, sie kamen bei Nacht«, sagte Ser Kevan.

Der Mann nickte müde.»Blackfish führte die vorderste Reihe an, machte unsere Wachen nieder und riß für den Hauptangriff die Palisaden ein. Als unsere Männer merkten, was vor sich ging, strömten schon Reiter über die Gräben und galoppierten mit Schwertern und Fackeln in Händen durchs Lager. Ich hatte am Westufer geschlafen, zwischen den Flüssen. Als wir die Kämpfe hörten und sahen, daß die Zelte in Flammen standen, führte uns Lord Brax zu den Flößen, und wir versuchten, hinüberzustaken, doch die Strömung drückte uns flußabwärts, und die Tullys fingen an, uns von Katapulten auf ihren Mauern mit Steinen zu beschießen. Ich habe gesehen, wie ein Floß zu Brennholz zertrümmert wurde und drei andere kenterten. Männer fielen in den Fluß und ertranken… und auf diejenigen, die es nach drüben schafften, warteten am Ufer die Starks.«

Ser Flement Brax trug einen silberroten Wappenrock und zeigte die Miene eines Mannes, der nicht verstand, was er eben gehört hatte.»Mein Hoher Vater…«

«Es tut mir leid, Mylord«, sagte der Bote.»Lord Brax trug seine Rüstung, als das Floß kenterte. Er war sehr tapfer.«

Er war ein Narr, dachte Tyrion, schwenkte seinen Becher und starrte in die Tiefen des Weines. Bei Nacht einen Fluß auf einem groben Floß zu überqueren, in voller Rüstung, während drüben der Feind wartete — wenn das Tapferkeit war, wollte er sich doch immer für die Feigheit entscheiden. Er fragte sich, ob sich Lord Brax besonders tapfer gefühlt hatte, als das Gewicht des Stahls ihn in die schwarzen Fluten zog.

«Das Lager zwischen den Flüssen wurde ebenso überrannt«, sagte der Bote.»Während wir versuchten, hinüberzukommen, drangen immer mehr Starks von Westen heran, zwei Kolonnen gepanzerter Reiter. Ich habe Lord Umbers Riesen im Kettenhemd und den Adler von Mallister gesehen, aber es war der Junge, der sie angeführt hat, mit einem mächtigen Wolf an seiner Seite. Ich war nicht dabei, aber es hieß, das Vieh habe vier Mann getötet und ein Dutzend Pferde gerissen. Unsere Speerkämpfer formierten einen Schildwall und hielten ihrem ersten Angriff stand, indes die Tullys jedoch bemerkten, daß wir beschäftigt waren, öffneten sie die Tore von Riverrun, und Tytos Blackwood führte einen Ausfall über die Zugbrücke und machte sich von hinten über sie her.«

«Bei allen Göttern«, fluchte Lord Lefford.

«Greatjon Umber steckte die Belagerungstürme, die wir gerade bauten, in Brand, und Lord Blackwood fand Ser Edmure Tully zwischen den anderen Gefangenen in Ketten und machte sich mit allen auf und davon. Unser südliches Lager stand unter dem Kommando von Ser Forley Prester. Er zog sich geordnet zurück, nachdem er sehen mußte, daß die anderen Lager verloren waren, mit zweitausend Lanzen und ebenso vielen Bogenschützen, doch der Söldner aus Tyrosh, der seine freien Reiter führte, gab sein Banner ab und lief zum Feind über.«

«Verflucht sei der Mann!«Sein Onkel Kevan klang eher zornig als überrascht.»Ich hatte Jaime davor gewarnt, dem Mann zu trauen. Ein Mann, der für Gold kämpft, ist nur seiner Börse treu.«

Lord Tywin faltete die Hände unter seinem Kinn. Nur seine Augen bewegten sich, während er lauschte. Sein borstiger, goldener Backenbart umrahmte ein Gesicht, welches so ungerührt war, daß es auch eine Maske hätte sein können, doch konnte Tyrion winzige Schweißperlen auf dem rasierten Schädel seines Vaters erkennen.

«Wie konnte das geschehen?«jammerte Ser Harys Swyft erneut.»Ser Jaime gefangen, die Belagerung durchbrochen…

das ist eine Katastrophe!«

Ser Addam Marbrand sagte:»Sicher sind wir dankbar, daß Ihr uns das Offensichtliche so nahe bringt, Ser Harys. Die Frage ist: Was sollen wir jetzt tun?«

«Was können wir tun? Jaimes Armee ist gefallen oder gefangen oder in die Flucht geschlagen, und die Starks und Tullys sitzen in breiter Front auf unserem Nachschubweg. Wir sind von Westen her abgeschnitten! Sie können gegen Casterly Rock marschieren, wenn sie wollen, und was sollte sie daran hindern? Mylords, wir sind geschlagen. Wir müssen um einen Frieden ersuchen.«

«Frieden?«Nachdenklich schwenkte Tyrion seinen Wein, nahm einen tiefen Schluck und schleuderte den leeren Becher zu

Boden, wo er in tausend Stücke sprang.»Da habt Ihr Euren Frieden, Ser Harys. Mein lieber Neffe hat ihn endgültig gebrochen, als er beschloß, den Red Keep mit Lord Eddards Schädel zu verzieren. Es dürfte Euch leichter fallen, Wein aus diesem Becher dort zu trinken, als Robb Stark zu überreden, jetzt Frieden zu schließen. Er siegt… oder ist es Euch noch nicht aufgefallen?«

«Zwei Schlachten machen noch keinen Krieg«, beharrte Ser Addam.»Wir sind noch lange nicht verloren. Gern würde ich die Gelegenheit nutzen, meinen eigenen Stahl gegen diesen jungen Stark zu führen.«

«Vielleicht würden sie in einen Waffenstillstand einwilligen und uns gestatten, unsere Gefangenen gegen die ihren auszutauschen«, warf Lord Lefford in die Runde.

«Wenn sie nicht drei gegen einen tauschen, ziehen wir dabei dennoch den kürzeren«, stieß Tyrion giftig aus.»Und was hätten wir für meinen Bruder anzubieten? Lord Eddards verwesten Kopf?«

«Wie ich höre, hat Königin Cersei die Töchter der Rechten

Hand«, sagte Lord Lefford hoffnungsvoll.»Wenn wir dem Knaben seine Schwestern wiedergeben… «

Ser Addam schnaubte voll Verachtung.»Er müßte schon ein echter Esel sein, Jaime Lannisters Leben gegen das zweier Mädchen einzutauschen.«

«Dann müssen wir Ser Jaime auslösen, koste es, was es wolle«, sagte Lord Lefford.

Tyrion rollte mit den Augen.»Wenn es die Starks nach Gold gelüstet, können sie Jaimes Rüstung einschmelzen.«

«Wenn wir um einen Waffenstillstand bitten, werden sie uns für schwach halten«, meinte Ser Addam.»Wir sollten ihnen sofort entgegenreiten.«

«Sicher könnten sich unsere Freunde bei Hofe dazu bewegen lassen, sich uns mit frischen Truppen anzuschließen«, sagte Ser Harys.»Und jemand könnte vielleicht nach Casterly Rock reiten und ein neues Heer aufstellen.«

Lord Tywin Lannister erhob sich.»Sie haben meinen Sohn«, sagte er noch einmal mit einer Stimme, die durch das Geplapper wie ein Schwert durch Talg schnitt.»Geht. Ihr alle.«

Da er stets eine gehorsame Seele war, stand auch Tyrion auf, um mit den anderen zu gehen, doch warf ihm sein Vater einen Blick zu.»Du nicht, Tyrion. Bleib. Und du auch, Kevan. Ihr anderen, hinaus.«

Tyrion ließ sich wieder auf der Bank nieder, sprachlos vor Verblüffung. Ser Kevan ging durch den Raum hinüber zu den Weinflaschen.»Onkel«, rief Tyrion,»wenn Ihr so freundlich wäret… «

«Hier. «Sein Vater bot ihm seinen Becher an, der Wein war unberührt.

Nun fehlten Tyrion wahrlich die Worte. Er trank. Lord Tywin setzte sich.»Du hast recht, was die Starks angeht. Lebend hätten wir Lord Eddard gebrauchen können, um einen

Frieden mit Winterfell und Riverrun zu schmieden, einen Frieden, der uns die Zeit gegeben hätte, die wir brauchen, um mit Roberts Brüdern fertig zu werden. Tot…«Seine Hand ballte sich zur Faust.»Wahnsinn. Reiner Wahnsinn.«

«Joff ist noch ein Kind«, erklärte Tyrion.»In seinem Alter habe ich selbst einige Dummheiten begangen.«

Sein Vater bedachte ihn mit einem scharfen Blick.»Wahrscheinlich sollten wir dankbar sein, daß er noch keine Hure geheiratet hat.«

Tyrion nippte an seinem Wein, überlegte, wie Lord Tywin aussehen mochte, wenn er ihm seinen Becher ins Gesicht warf.

«Noch weißt du nicht, wie übel unsere Lage wirklich ist«, fuhr sein Vater fort.»Es scheint, als hätten wir einen neuen König.«

Ser Kevan sah wie erschlagen aus.»Einen neuen… wen? Was haben sie mit Joffrey gemacht?«

Ein leises, angewidertes Zucken umspielte Lord Tywins schmale Lippen.»Nichts… bislang. Noch sitzt mein Enkelsohn auf dem Eisernen Thron, doch hat der Eunuch Gerüchte aus dem Süden gehört. Renly Baratheon hat vor zwei Wochen in Highgarden Margaery Tyrell geehelicht, und jetzt hat er seinen Anspruch auf die Krone angemeldet. Der Vater und die Brüder der Braut sind vor ihm niedergekniet und haben ihm Waffentreue geschworen.«

«Das sind ernste Neuigkeiten. «Ser Kevan sah ihn fragend an, die Falten auf seiner Stirn waren tiefer als Schluchten.

«Meine Tochter befiehlt uns, sofort nach King's Landing zu reiten, um den Red Keep gegen König Renly und den Ritter der Blumen zu verteidigen. «Sein Mund verspannte sich.»Befiehlt uns, wohlgemerkt. Im Namen des Königs und des Rates.«

«Wie hat König Joffrey die Nachricht aufgenommen?«fragte Tyrion mit einigem schwarzem Vergnügen.

«Cersei hielt es noch nicht für angebracht, es ihm mitzuteilen«, sagte Lord Tywin.»Sie fürchtet, er könnte darauf bestehen, selbst gegen Renly zu marschieren.«

«Mit welcher Armee?«fragte Tyrion.»Ihr habt doch nicht vor, ihm diese zu geben?«

«Er spricht davon, die Stadtwache anzuführen«, sagte Lord Tywin.

«Wenn er die Wache nimmt, läßt er die Stadt ungeschützt zurück«, sagte Ser Kevan.»Und solange Lord Stannis auf Dragonstone wartet…«

«Ja. «Lord Tywin blickte zu seinem Sohn herab.»Ich dachte, du wärest derjenige, der fürs Narrenkleid gemacht ist, Tyrion, aber allem Anschein nach habe ich mich getäuscht.«

«Nun, Vater«, sagte Tyrion,»das klingt fast nach einem Lob. «Gespannt beugte er sich vor.»Was ist mit Stannis? Er ist der ältere, nicht Renly. Wie steht er zu den Ansprüchen seines Bruders?«

Sein Vater sah ihn fragend an.»Von Anfang an hatte ich das Gefühl, Stannis wäre eine größere Gefahr als alle anderen zusammen. Doch unternimmt er nichts. Oh, Varys hört Gerüchte. Stannis baut Schiffe, Stannis heuert Söldner an, Stannis holt einen. Schattenbinder aus Asshai. Was hat das zu bedeuten? Ist davon etwas wahr?«Gereizt zuckte er mit den Schultern.»Kevan, hol uns die Karte.«

Ser Kevan tat, was man ihm aufgetragen hatte. Lord Tywin entrollte das Leder, strich es glatt.»Jaime hat uns in eine üble Lage gebracht. Roose Bolton und die Reste seiner Armee stehen nördlich von uns. Unsere Feinde halten die Twins und Moat Cailin. Robb Stark steht im Westen, so daß wir uns nicht nach Lannisport und auf den Rock zurückziehen können, es sei denn, wir wollten darum kämpfen. Jaime ist gefangen, und allem Anschein nach existiert seine Armee nicht mehr. Thoros von Myr und Beric Dondarrion plagen nach wie vor unseren

Nachschub. Im Osten haben wir die Arryns, Stannis Baratheon sitzt auf Dragonstone, und im Süden rufen Highgarden und Storm's End zu den Fahnen.«

Tyrion lächelte schief.»Nur Mut, Vater. Wenigstens ist Rhaegar Targaryen noch tot.«

«Ich hatte gehofft, du hättest uns mehr als Scherze zu bieten, Tyrion«, sagte Lord Tywin Lannister.

Stirnrunzelnd beugte sich Ser Kevan über die Karte.»Robb Stark wird Edmure Tully und die Lords vom Trident inzwischen bei sich haben. Ihre gemeinsame Streitmacht könnte die unsere übertreffen. Und da Roose Bolton in unserem Rücken steht… Tywin, wenn wir hierbleiben, fürchte ich, stehen wir bald zwischen den Armeen.«

«Ich habe nicht die Absicht, hierzubleiben. Wir müssen mit dem jungen Lord Stark fertig sein, bevor Lord Baratheon von Highgarden hierhermarschieren kann. Bolton macht mir keine Sorge. Er ist ein bedachter Mann, und am Grünen Arm haben wir ihn noch bedachter werden lassen. Er wird uns nur zögerlich verfolgen. Also… morgen früh machen wir uns auf den Weg nach Harrenhal. Kevan, ich möchte, daß Ser Addams Vorreiter unsere Truppenbewegungen begleiten. Gib ihm so viele Männer, wie er braucht, und schick sie in Vierergruppen aus. Ich will nicht hören, daß welche davon verschwinden.«

«Wie Ihr meint, Mylord, aber… wieso Harrenhal? Es ist ein grimmiger, unseliger Bau. Manche sagen, er sei verflucht.«

«Laßt sie reden«, sagte Lord Tywin.»Laßt Ser Gregor von der Leine und schickt ihn uns mit seinen Räubern voraus. Schickt auch Vargo Hoat und seine freien Reiter und Ser Amory Lorch. Jeder von ihnen soll dreihundert Pferde bekommen. Sagt ihm, ich will sehen, wie das Flußland vom God's Eye bis zum Roten Arm des Trident brennt.«

«Es wird brennen, Mylord«, sagte Ser Kevan, indem er aufstand.»Ich werde den Befehl erteilen. «Er verneigte sich

und ging zur Tür.

Als sie allein waren, sah Lord Tywin Tyrion an.»Deine Wilden könnten vielleicht Freude an einigen Plünderungen haben. Sag ihnen, sie können mit Vargo Hoat reiten und nach Herzenslust plündern… Güter, Waren, Frauen, sie können sich nehmen, was sie wollen, und den Rest verbrennen.«

«Shagga und Timett zu erklären, wie man plündert, wäre dasselbe, als wollte man einem Hahn erklären, wie man kräht«, bemerkte Tyrion,»aber es wäre mir lieber, wenn ich sie bei mir behalten könnte. «Ungeschlacht und ungestüm, wie sie sein mochten, waren die Wilden doch sein, und er vertraute ihnen mehr als allen Männern seines Vaters. Er war nicht bereit, sie ihm zu überlassen.

«Dann solltest du besser lernen, sie zu lenken. Ich werde nicht zulassen, daß die Stadt geplündert wird.«

«Die Stadt?«Tyrion war verdutzt.»Welche Stadt sollte das sein?«

«King's Landing. Ich schicke dich zum Hofe. «Das war das letzte, was Tyrion Lannister erwartet hätte. Er griff nach seinem Wein und überlegte einen Augenblick, während er trank.»Und was soll ich dort tun?«»Regieren«, sagte sein Vater knapp.

Tyrion heulte vor Lachen.»Mein süßes Schwesterchen dürfte dazu das eine oder andere zu sagen haben!«

«Laß sie sagen, was sie will. Jemand muß ihren Sohn unter die Fittiche nehmen, bevor er uns alle ruiniert. Ich mache es diesen Laffen im Rat zum Vorwurf — unserem Freund Petyr, dem ehrwürdigen Grand Maester und diesem schwanzlosen Wunder Lord Varys. Was sind sie Joffrey für Ratgeber, wenn sie ihn von einer Dummheit in die nächste taumeln lassen? Wessen Idee war es, diesen Janos Slynt zum Lord zu machen? Der Vater dieses Mannes war Schlachter, und sie schenken ihm Harrenhal. Harrenhal, das war der Sitz der Könige! Nicht, daß er je einen Fuß hineinsetzen wird, solange ich etwas zu sagen habe. Man hat mir zugetragen, er habe sich einen blutigen Speer zum Siegel gewählt. Ich hätte ein blutiges Hackbeil gewählt. «Sein Vater sprach nicht mit lauter Stimme, doch konnte Tyrion den Zorn im Gold seiner Augen funkeln sehen.»Und Selmy zu entlassen, welchen Sinn sollte das haben? Ja, der Mann war alt, aber der Name Barristan der Kühne hat im Reich heute noch Bedeutung. Er hat allen, denen er gedient hat, Ehre gemacht. Kann irgend jemand solches auch vom Bluthund sagen? Man füttert seinem Hund die Knochen unter dem Tisch, man nimmt ihn nicht mit auf den Thron. «Er richtete den Zeigefinger auf Tyrions Gesicht.»Wenn Cersei den Jungen nicht an die Kandare nehmen kann, mußt du es tun. Und falls diese Ratsmänner falsches Spiel mit uns treiben…«

Tyrion wußte Bescheid.»Spieße«, seufzte er.»Köpfe. Mauern.«

«Ich sehe, du hast das eine oder andere von mir gelernt.«»Mehr als du glaubst, Vater«, antwortete Tyrion leise. Er trank seinen Wein und stellte den Becher nachdenklich beiseite. Etwas in ihm war zufriedener, als er sich eingestehen wollte. Ein anderer Teil von ihm erinnerte sich an die Schlacht flußaufwärts und überlegte, ob man ihn abermals schickte, die Linke zu verteidigen.»Wieso ich?«fragte er und neigte den Kopf zu einer Seite.»Wieso nicht mein Onkel? Wieso nicht Ser Addam oder Ser Flement oder Lord Serrett? Wieso nicht ein… größerer Mann?«

Abrupt stand Lord Tywin auf.»Du bist mein Sohn. «Da wußte er es. Du hast ihn schon verloren gegeben, dachte er. Du verdammter Scheißkerl, du meinst, Jaime ist so gut wie tot, also hast du jetzt nur noch mich. Tyrion hätte ihn schlagen wollen, ihm ins Gesicht spucken, seinen Dolch zücken, ihm das Herz herausschneiden und nachsehen, ob es aus altem, hartem Gold war, wie es im Volke hieß. Doch saß er da, still und ruhig.

Die Scherben des zerbrochenen Bechers knirschten unter den

Fersen seines Vaters, als Lord Tywin den Raum durchmaß.»Ein letztes noch«, sagte er an der Tür.»Diese Hure wirst du nicht mit an den Hof nehmen.«

Lange noch saß Tyrion im Schankraum, nachdem sein Vater fort war. Schließlich stieg er die Stufen zu seiner behaglichen Dachstube unter dem Glockenturm hinauf. Die Decke war niedrig, doch stellte das für einen Zwerg kaum einen Nachteil dar. Vom Fenster aus konnte er den Galgen sehen, den sein Vater im Hof hatte errichten lassen. Die Leiche der Wirtin drehte sich jedesmal langsam am Strick, wenn der Nachtwind wehte. Ihr Fleisch war so dünn und brüchig wie die Hoffnungen der Lannisters.

Shae murmelte schläfrig und drängte sich ihm entgegen, als er sich auf den Rand des Federbettes setzte. Er schob seine Hand unter die Decke und legte sie auf eine weiche Brust, und sie schlug die Augen auf.»M'lord«, sagte sie mit verschlafenem Lächeln.

Als er fühlte, wie ihre Knospe hart wurde, küßte Tyrion sie.»Ich habe die Absicht, dich mit nach King's Landing zu nehmen, mein süßes Kind«, flüsterte er.

Загрузка...