11. KAPITEL »Der Südstern«

Die Nachricht von der Rückkehr Jacobus Vandergaarts hatte sich natürlich schnell verbreitet. Alle Welt kam nun nach der Farm gelaufen, um das Wunder der Kopje wenigstens zu sehen. Man vernahm dabei auch sehr bald, daß der Diamant Miss Watkins gehöre, daß aber ihr Vater viel mehr als sie selbst sein Inhaber sei.

Die allgemeine Neugier wandte sich also diesem Diamanten zu, einem Werk der Menschenhand und nicht der schöpferischen Natur.

Es muß hier bemerkt werden, daß von dem künstlichen Ursprung des Diamanten noch nichts in die Öffentlichkeit gedrungen war. Einerseits wären die Steingräber des Gri-qualands nicht so unverständig gewesen, ein Geheimnis auszuplaudern, das ihren unmittelbaren Ruin herbeiführen mußte; andererseits hütete sich Cyprien, dem Zufall zu sehr zu vertrauen, hatte noch nichts in dieser Beziehung ausgesprochen und sich vorgenommen, seinen Bericht über den »Südstern« nicht eher abzusenden, als bis er den Erfolg seines Verfahrens durch einen zweiten Versuch bestätigt hatte. Was er ein erstes Mal vollbracht hatte, das wollte er auch ein zweites Mal imstande sein.

Die allgemeine Aufmerksamkeit war also außerordentlich erregt, und John Watkins hätte sich schon anstandshalber nicht weigern können, sie zu befriedigen, ganz abgesehen davon, daß sie ja seiner Eitelkeit schmeichelte. Er brachte den »Südstern« auf leichter weißer Unterlage auf einer kleinen weißen Marmorsäule an, die sich in der Mitte über dem Kamin seines Besuchszimmers erhob, und den ganzen Tag lang blieb er davor in seinem Lehnstuhl sitzen, wachte über das unvergleichliche Juwel und zeigte es jedem, der da kam.

James Hilton war der erste, der ihn darauf aufmerksam machte, wie unklug ein solches Benehmen war. Bedachte er wohl, welche Gefahren er über sein Haupt heraufbeschwor, wenn er so aller Augen den enormen Wert, den er unter seinem Dach barg, preisgab? Nach Hiltons Ansicht war es unumgänglich nötig, von Kimberley eine spezielle Polizeiwache zu erbitten, oder es könnte vielleicht schon die nächste Nacht nicht ohne ein Unglück verlaufen.

Erschrocken über diese Möglichkeit, beeilte sich Mr. Watkins, dem weisen Rat seines Gastes zu folgen, und atmete erst wieder auf, als er gegen Abend einen Trupp berittener Policemen ankommen sah. Diese 24 Mann wurden in den Nebengebäuden der Farm untergebracht.

Der Zufluß von Neugierigen nahm in den nächsten Tagen nur noch mehr zu, und der Ruhm des »Südsterns« hatte bald die Grenzen des Bezirks überschritten, um sich bis nach den entferntesten Städten zu verbreiten. Die Tageszeitungen der Kolonie widmeten spaltenlange Artikel der Beschreibung seiner Größe, seiner Form und Farbe sowie seines Glanzes. Das Telegraphenkabel von Durban übernahm es, diese Einzelheiten über Sansibar und Aden zuerst nach Europa und Asien und dann nach Nord- und Südamerika und nach Ozeanien zu übermitteln. Fotografen rissen sich um die Ehre, ein Bild des wunderbaren Diamanten aufzunehmen. Im Auftrag illustrierter Journale kamen Zeichner angereist, ihn für ihre Blätter darzustellen. Endlich wurde die Sache für die ganze Welt zu einem wirklichen Ereignis.

Jetzt mischte sich auch die Fabel mit hinein. Unter den Steingräbern zirkulierten fantastische Geschichten über die geheimnisvollen Eigenschaften, die ihm zugeschrieben wurden. Man raunte einander zu, daß ein schwarzer

Stein unbedingt »Unglück bringen müsse«. Erfahrene Leute schüttelten den Kopf und erklärten, daß sie diesen Feuerstein viel lieber bei Watkins als im eigenen Haus sähen. Kurz, üble Nachreden und selbst Verleumdungen, die von jeder Berühmtheit unzertrennlich sind, fehlten auch dem »Südstern« nicht - der sich ganz natürlich darum nicht im mindesten kümmerte, denn er goß wie zuvor

. . . Ströme von Licht Auf jeden finstern Bösewicht![6]

Mit John Watkins lag das freilich ganz anders, da diesen jenes Geschwätz bald zur Verzweiflung brachte. Es erschien ihm, als würde der Wert des Steins dadurch einigermaßen herabgesetzt, und er empfand das als eine Art persönliche Beleidigung. Nachdem der Gouverneur der Kolonie und die Offiziere der benachbarten Garnisonen, die Stadtkommandanten, die Beamten und alle Volksvertreter herbeigekommen waren, seinem Edelstein ihre Huldigungen darzubringen, erblickte er in den mehr als freimütigen Äußerungen, die man sich über seinen Besitz erlaubte, fast eine Gotteslästerung.

Ebenso um diesen Alfanzereien ein Ende zu machen, wie seinen von jeher etwas lüsternen Gaumen einmal wieder zufriedenzustellen, beschloß er, einen großen Schmaus zu geben, zu Ehren des ihm so ans Herz gewachsenen Diamanten, den er noch immer in klingende Münze umzusetzen hoffte, was Cyprien auch dagegen sagen und so sehr seine Tochter wünschen mochte, ihn wie er war zu behalten.

So stark ist der Einfluß des Magens auf eine große Zahl Menschen, daß schon die Anzeige von diesem Essen reichte, von diesem Tag zum anderen die öffentliche Meinung im Vandergaart-Lager völlig umzuwandeln. Da hörte man die Leute, die sich früher am mißliebigsten über den »Südstern« ausgesprochen hatten, plötzlich einen anderen Ton anschlagen und aussprechen, daß dieser Stein doch an der ihm zugeschriebenen schlechten Wirkung ganz unschuldig sei, und darauf nahmen sie die Einladung zu John Watkins mit großem Vergnügen an.

Von diesem Fest im Becken des Vaal sollte sehr lange die Rede sein. An dem betreffenden Tag fanden sich 80 Gäste zur Tafel unter einem großen Zelt ein, das an die Wand des Empfangszimmers, die man gleich entfernt hatte, angebaut wurde.

Ein »Baron royal«, ein gewaltiger Braten, bestehend aus einem ganzen Ochsenrücken, nahm die Mitte des Tisches ein und wurde von ganzen Lämmern und Vertretern aller Arten Wild des Landes umringt. Berge von Gemüse und Früchten, zahlreiche Biertonnen und Weinfässer, die an verschiedenen Stellen übereinandergelagert und schon mit Zapfhähnen versehen waren, vervollständigten die Anordnung dieser wahrhaft üppigen Tafel.

Auf seinem Sockel und umgeben von brennenden Kerzen stand der »Südstern« gleich hinter dem Rücken John Watkins' bei dem Festmahl, das ja zu seiner Ehre gegeben wurde.

Die Bedienung bildeten zwanzig, für diese Gelegenheit engagierte Kaffern unter der Anführung Matakits, der sich erboten hatte, diese - mit Erlaubnis seines Herrn - zu kommandieren.

Hier befanden sich außer der Polizeimannschaft, der Mr. Watkins auf diese Weise seinen Dank abstatten wollte, alle hervorragenden Persönlichkeiten des Lagers und der Umgebung, Mathys Pretorius, Nathan, James Hilton, Annibal Pantalacci, Friedel, Thomas Steel und fünfzig andere.

Selbst die Tiere der Farm, die Büffel, Hunde und besonders die Strauße von Miss Watkins erhielten ihren Teil von dem Fest, indem sie herankamen, einige Brosamen von der Tafel zu erbetteln.

Alice saß ihrem Vater gegenüber am anderen Ende des Tisches und machte mit der ihr angeborenen Grazie die Honneurs, doch nicht ohne einen geheimen Kummer, obgleich sie völlig den Grund der Abwesenheit von zwei gewissen Personen begriff; weder Cyprien Mere noch Jacobus Vandergaart nahmen an dem Festgelage teil.

Der junge Ingenieur hatte immer soviel wie möglich die Gesellschaft Friedels, Pantalaccis und der Genossen dieser Leute gemieden. Außerdem kannte er seit seiner Entdeckung deren wenig wohlwollende Gesinnung gegen ihn und sogar ihre Drohung gegen den Erfinder der künstlichen

Herstellung von Diamanten, wodurch sie vollständig zugrunde gerichtet zu werden fürchten mußten. Er hatte sich also zurückgehalten und war der Einladung zur Tafel nicht gefolgt. Jacobus Vandergaart, dem gegenüber John Watkins nichts unversucht ließ, ihn gegen sich freundlich zu stimmen, hatte alles von Anfang her glatt zurückgewiesen.

Das Bankett ging allmählich zu Ende. Wenn es in guter Ordnung verlief, kam das daher, daß die Anwesenheit von Miss Watkins selbst den rohesten Gästen einen gewissen Zwang zu äußerlicher Anständigkeit auferlegte, obwohl Mathys Pretorius wie immer als Zielscheibe für schlechte Witze Annibal Pantalaccis dienen mußte, indem dieser dem unglücklichen Buren die unsinnigsten Bären aufband. So sollte unter dem Tisch plötzlich ein Feuerwerk abgebrannt werden! ... Man erwarte nur, daß Miss Watkins sich zurückziehe, um den dicksten Mann der Gesellschaft zu verurteilen, 12 Flaschen Gin in einem Zug zu trinken! . . . Oder es sei beabsichtigt, das Gelage mit einem großen Faustkampf und einem allgemeinen Gefecht mit Revolvern zu beschließen.

Er wurde dabei aber unterbrochen von John Watkins, der in seiner Eigenschaft als Präsident des Banketts mit dem Messergriff auf den Tisch klopfte, um die herkömmlichen Toasts auszubringen.

Sofort wurde es still. Der Gastgeber erhob sich in seiner ganzen Länge, stützte beide Daumen auf das Tischtuch und begann seinen Speech mit einer durch reichliches Trinken etwas unsicher gewordenen Stimme.

Er sagte unter anderem, daß dieser Tag die wichtigste Erinnerung aus seinem Leben als Steingräber und Ansiedler bleiben werde.

Nachdem er geschildert hatte, wie hart es ihm in der Jugend gegangen war, und wie er sich jetzt hier im reichen Gri-qualand von 80 Freunden umgeben sähe, um den größten Diamanten der Welt zu feiern, sei das für ihn eine Freude, die er nimmermehr vergessen könne! ... Vielleicht könne ja morgen einer der ehrenwerten Gäste ebensogut einen noch größeren Stein finden! ... Das sei eben das Interessante, die Poesie des Diamantengrabens! (Lebhafte Zustimmung.) Dieses Glück wünschte er vor allem seinen Freunden und Gästen! . . . (Lächeln, Beifall.) Er glaube sogar versichern zu können, daß derjenige nur sehr schwer zu befriedigen sein müsse, der sich jetzt an seiner Stelle nicht zufriedengestellt fühlte! . . . Zum Schluß lud er die Tischgenossen ein, auf das Gedeihen des Griqualands, auf die Beständigkeit des Marktpreises der Diamanten - wie stark sich auch die Konkurrenz darin entwickeln möge - zu trinken, endlich aber auch auf die glückliche Reise des »Südsterns«, der nun hinaus solle in die Welt, zuerst nach dem Kap und dann nach England, um seinen Glanz bewundern zu lassen.

»Aber«, sagte Thomas Steele, »ist es nicht mit einiger Gefahr verknüpft, einen Stein von so großem Wert nach dem Kap zu senden?«

»Oh, er wird natürlich sichere Begleiter haben«, erwiderte Mr. Watkins. »Es sind schon viele Diamanten in sol-cher Weise befördert worden und glücklich ans Ziel gekommen.«

»Sogar der von Monsieur Dueurix de Sancy«, sagte Alice, »und doch möchte er ohne die Opferwilligkeit eines einfachen Dieners . . .«

»Nun, was ist ihm denn so Außerordentliches zugestoßen?« fragte James Hilton.

»So hören Sie die Anekdote«, antwortete Alice, ohne sich erst darum bitten zu lassen.

»Monsieur de Sancy war ein französischer Edelmann am Hof Heinrichs III. Er besaß einen berühmten Diamanten, der noch heute nach seinem Namen genannt wird. Nebenbei gesagt, hatte dieser Edelstein schon vorher zahlreiche Abenteuer erlebt. Er gehörte nämlich anfänglich Karl dem Furchtsamen, der ihn bei sich trug, als er unter den Mauern von Nancy getötet wurde. Ein Schweizer Soldat fand später den Stein auf der Leiche des Herzogs von Burgund und verkaufte ihn für einen Gulden an einen armen Geistlichen, der ihn für 5 oder 6 Gulden wieder an einen Juden abtrat. Zu der Zeit, als er sich im Besitz von Monsieur de Sancy befand, war der königliche Schatz einmal stark in Geldverlegenheit und Monsieur de Sancy ließ sich dazu herbei, seinen Diamanten als Pfand herzugeben, um dem König dessen Geldwert zu verschaffen. Der Darleiher befand sich aber in Metz. Der Edelstein mußte also einem Diener anvertraut werden, der ihn diesem hinschaffte.

>Fürchten Sie nicht, daß dieser Mensch damit nach

Deutschland entfliehen könne ?< fragte jemand Monsieur de Sancy.

>Ich bin seiner sicher!< antwortete dieser.

Trotz dieser Sicherheit kam weder der Mann noch der Diamant in Metz an. Auch der Hof fing endlich an, sich über Monsieur de Sancy zu mokieren.

>Ich bin meines Dieners sicher<, wiederholte dieser. >Er muß ermordet worden sein.<

Und wirklich, bei genauer Nachforschung fand sich dessen Leichnam in einem Straßengraben.

>Öffnet ihn!< sagte Monsieur de Sancy. >Der Diamant muß sich in seinem Magen befindend

Man tat, wie er sagte, und seine Voraussage fand sich bestätigt. Der einfache Held, dessen Namen die undankbare Geschichte nicht einmal aufbewahrt hat, war seiner Pflicht und der Ehre treu geblieben bis zum Tod, und verdunkelte durch den Glanz seiner Handlungsweise - darüber meldet ein alter Chronist - den Glanz und den Wert des Juwels, das er beförderte.

Es sollte mich sehr wundern«, fügte Alice als Beendigung ihrer Erzählung hinzu, »wenn der >Südstern< im gegebenen Fall während seiner Reise nicht jemand dieselbe Ergebenheit einzuflößen imstande wäre!«

Einstimmiger Beifall begrüßte die Worte von Miss Wat-kins, 80 Arme erhoben die gleiche Anzahl Gläser und alle Augen wendeten sich unwillkürlich nach dem Kamin, um dem unvergleichlichen Edelstein dort ihre Huldigung darzubringen.

Der »Südstern« war nicht mehr auf seinem Sockel, wo er noch kurz vorher hinter dem Rücken John Watkins' geflammt hatte !

Das Erstaunen der 80 Gesichter war so sprechend, daß der Gastgeber sich sofort umdrehte, um dessen Ursache zu ergründen.

Kaum hatte er den Grund wahrgenommen, als man ihn, wie vom Blitz getroffen, bleich in seinen Sessel zurücksinken sah.

Alle drängten sich um ihn, lüfteten ihm die Krawatte, spritzten im Wasser ins Gesicht . . . er erwachte endlich aus seiner Betäubung.

»Der Diamant!« kreischte er mit entsetzlicher Stimme. »Der Diamant! Wer hat den Diamanten genommen?«

»Daß niemand hier weggeht, meine Herren!« befahl der Anführer der Polizeiabteilung, der schon den Ausgang des Saals besetzen ließ.

Alle Tischgenossen sahen sich erschreckt an und tauschten ihre Meinung mit gedämpfter Stimme gegenseitig aus. Keine 5 Minuten waren verflossen, als die meisten von ihnen den Diamanten noch gesehen oder wenigstens noch zu sehen geglaubt hatten. Trotzdem konnte sich niemand der Tatsache verschließen, daß der Diamant verschwunden war.

»Ich verlange, daß alle Anwesenden visitiert werden, ehe sie weggehen!« schlug Thomas Steele mit seiner gewöhnlichen Geradheit vor.

»Ja! . . . Ja!« antwortete die Versammlung scheinbar einstimmig.

Dieser Vorschlag schien John Watkins einen Schimmer von Hoffnung wiederzugeben.

Der Polizeioffizier ließ also alle Tischgäste längs einer Seite des Raums aufstellen und begann sie nacheinander der peinlichsten Untersuchung zu unterziehen. Er drehte alle ihre Taschen um, ließ sie die Schuhe ausziehen und überall an der Kleidung betasten. Dann verfuhr er ebenso mit seinen eigenen Leuten. Endlich mußten die Gäste einzeln an ihm vorübergehen und wurden dabei noch mehrmals der genauesten Besichtigung unterworfen.

Diese Untersuchungen führten zu keinem Resultat.

Alle Ecken und Winkel des Raums wurden sodann mit größter Gewissenhaftigkeit abgesucht. Nirgends fand sich auch nur eine Spur von dem Diamanten.

»So sind nur noch die Kaffern übrig, die bei der Tafel aufgewartet haben«, sagte der Polizeioffizier, der nicht gern unverrichteterdinge abziehen wollte.

»Das ist klar! . . . Die Kaffern sind es gewesen!« tönte ihm als Antwort entgegen. »Sie sind von Natur Diebe genug, um diesen Streich ausgeführt zu haben.«

Die armen Teufel hatten sich indes schon vorher zurückgezogen, ehe John Watkins seinen Toast ausbrachte, da sie nicht mehr vonnöten waren. Sie kauerten draußen alle zusammen um ein großes Feuer, das unter freiem Himmel emporloderte, und nachdem sie von übriggebliebenem Fleisch sich ein Gütchen getan, begannen sie eben ein Konzert, wie es im Kaffernland Mode ist. Aus einer Kürbisflasche bestehende Gitarren, Flöten, die mit der Nase angeblasen wurden, hellklingende Tamtams aller Art intonierten eben das ohrzerreißende Geräusch, das jeder musikalischen Aufführung der Eingeborenen Südafrikas vorhergeht.

Die Kaffern verstanden zuerst gar nicht recht, was man von ihnen wollte, als sie zurückgerufen wurden, um bis auf ihre mangelhafte Bekleidung untersucht zu werden. Sie begriffen nun, daß es sich um den Diebstahl eines Diamanten von hohem Wert handelte.

Wie die vorhergehenden Untersuchungen erwies sich auch diese als völlig fruchtlos.

»Wenn sich der Dieb unter den Kaffern befindet - und er muß unter ihnen zu suchen sein -, so hat er zehnmal Zeit genug dazu gehabt, seinen Diebstahl an sicherem Ort zu verbergen!« bemerkte einer der Tischgäste sehr richtig.

»Das liegt auf der Hand«, stimmte der Polizeioffizier zu, »und es gibt vielleicht nur ein Mittel, sie zum Geständnis zu bringen, indem wir ihnen einen Wahrsager aus ihrem eigenen Stamm auf den Hals schicken. Einem solchen gelingt es nicht so selten . . .«

»Wenn Sie gestatten«, fiel da Matakit ein, der sich noch bei seinen Landsleuten befand, »so will ich den Versuch unternehmen!«

Das Angebot wurde ohne Säumen angenommen, und die Gäste bildeten einen Kreis um die Kaffern. Dann ging Matakit, der ja in der Rolle eines Wahrsagers geübt war, daran, seine Vorbereitungen zu treffen.

Zunächst begann er damit, zwei oder drei tüchtige Prisen Tabak aus der Horndose zu nehmen, die ihn niemals verließ.

»Ich werde jetzt zur Rutenprobe schreiten!« kündete er nach dieser einleitenden Prozedur an.

Er holte darauf von einem nahestehenden Busch zwanzig dünne Zweige, die er genau abmaß und ganz gleichmäßig, nämlich auf 12 Zoll englisch, zuschnitt. Dann verteilte er diese unter die Kaffern, die in Reih und Glied standen, nachdem er für sich selbst eine solche Rute beiseite gelegt hatte.

»Jetzt mögt ihr eine Viertelstunde hingehen, wohin ihr wollt«, sagte er feierlich zu seinen Landsleuten, »und werdet nicht eher wiederkommen, als bis ihr einen Tamtam anschlagen hört. Wenn sich der Dieb unter euch befindet, so wird seine Rute um drei Querfinger länger geworden sein.«

Die Kaffern zerstreuten sich, nicht besonders angenehm berührt von dieser Vorrede, da sie recht wohl wußten, daß man im Griqualand kurzen Prozesses einen Übeltäter schnell dingfest machte und ihn auch, selbst ohne eine Frist zu seiner Verteidigung zu gewähren, kurzerhand aufhängte.

Die Gäste, die diesen Vorbereitungen mit erklärlichem Interesse gefolgt waren, sprachen darüber jeder seine eigene Meinung aus.

»Der Dieb wird sich hüten, wiederzukommen; er befindet sich offenbar unter diesen Kerlen«, warf einer ein.

»Nun, das würde ihn ja gerade als solchen bezeichnen«, antwortete ein anderer.

»Pah! Er wird geriebener als Matakit sein und schneidet sich einfach drei Finger breit ein Stück von seiner Rute ab, um das befürchtete Wachstum auszugleichen.«

»Das mag der Wahrsager wohl erwarten und eine so unüberlegte Verkürzung würde ja hinreichen, den Schuldigen zu erkennen zu geben.«

Inzwischen waren die 15 Minuten abgelaufen, und mit einem kräftigen Tamtamschlag rief Matakit die Angeklagten zurück.

Sie erschienen alle bis auf den letzten, stellten sich vor diesem auf und lieferten ihre Gerten wieder ab.

Matakit nahm diese, bildete daraus ein Bündel und überzeugte sich, daß alle 25 noch gleich lang waren. Er mußte sie also beiseite legen und aufgrund der entscheidenden Probe erklären, daß seine Landsleute alle ehrlich seien, als ihm eben noch einfiel, die Länge der zurückgegebenen Ruten mit der, die er zurückbehalten, zu vergleichen. Alle waren um drei Fingerbreiten zu kurz.

Die armen Teufel hatten es für geraten erachtet, diese Vorsicht zu gebrauchen gegen eine Erscheinung, die ihren abergläubischen Vorstellungen nach recht gut zustande kommen konnte. Das wies nun freilich nicht auf ein besonders reines Gewissen der Leute hin, und wahrscheinlich hatten schon alle im Laufe des Tages einen Diamanten gestohlen.

Allgemeines Gelächter begleitete die Konstatierung die-ses unerwarteten Ereignisses. Matakit senkte die Augen und schien tief beschämt, daß ein Mittel, dessen Zuverlässigkeit ihm in seinem Kraal oft genug nachgewiesen worden war, sich im zivilisierten Leben als so machtlos erweise.

»Mr. Watkins«, begann da der Anführer der Polizeimannschaft mit einer Verbeugung gegen den Farmer, der, eine Beute der Verzweiflung, in seinem Lehnstuhl sitzen geblieben war, »wir müssen diesem Vorfall gegenüber unsere Ohnmacht bekennen. Vielleicht sind wir morgen glücklicher, wenn wir jedem, der uns auf die Spur des Diebes führt, eine hohe Belohnung in Aussicht stellen.«

»Der Dieb!« rief da Annibal Pantalacci, »warum sollte es nicht der sein, den sie beauftragten, über seine Stammesgenossen abzuurteilen?«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Polizeioffizier.

»Nun ... jener Matakit, der, indem er die Rolle des Wahrsagers übernahm, hoffen durfte, jeden Verdacht von sich fernzuhalten!«

Wer jetzt auf ihn geachtet hatte, müßte haben sehen können, wie Matakit das Gesicht auf eigentümliche Weise verzog, sofort den Saal verließ und sich seitwärts nach seiner Hütte wandte.

»Ja«, fuhr der Neapolitaner fort, »er gehört ja auch selbst zu denen, die bei Tisch aufwarteten. Er ist ein Spitzbube, ein Schurke, dem Monsieur Mere, man begreift nicht warum, seine besondere Zuneigung geschenkt hat.«

»Matakit ist ehrlich, dafür stehe ich ein!« erklärte Miss Watkins, bereit, den Diener Cypriens zu verteidigen.

»Wie kannst du das wissen?« erwiderte John Watkins. »Ja, ja, er wäre wohl imstande, selbst die Hand nach dem >Südstern< ausgestreckt zu haben.«

»Nun, er kann ja nicht weit sein!« meinte der Polizeioffizier. »Wir werden ihn binnen einer Minute visitiert haben. Findet sich der Diamant in seinem Besitz, so bekommt er soviele Peitschenhiebe, wie dieser Karate wog, und wenn er daran nicht stirbt, wird er mit dem 432. aufgehenkt!«

Miss Watkins zitterte vor Furcht. All die halbwilden Leute jubelten dem schrecklichen Urteil des Offiziers zu. Doch wie hätte sie diese rohen, gewissen- und mitleidslosen Menschen zu bändigen vermocht?

Einen Augenblick später standen Mr. Watkins und seine Gäste vor Matakits Hütte, deren Tür erbrochen wurde.

Matakit war nicht da, und vergeblich suchte man nach ihm die ganze Nacht.

Auch am folgenden Morgen war nichts von ihm zu sehen, und man mußte nun wohl annehmen, daß er die Van-dergaart-Kopje verlassen habe.

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