6. KAPITEL Lagerbräuche

Man wird gern zugestehen, daß der Inhalt dieses Gesprächs für den jungen Ingenieur nicht besonders angenehm war. Er konnte einer solchen Bemäkelung der Ehrenhaftigkeit des Mannes, den er noch immer heimlich als zukünftigen Schwiegervater betrachtete, keinen Geschmack abgewinnen. Deshalb gewöhnte er sich auch bald, die Ansichten des Jacobus Vandergaart über die Angelegenheit mit der Kopje als einer fixen Idee entsprungen zu betrachten, von der man gewiß vieles abziehen müsse.

John Watkins, dem gegenüber er diese Sache einmal mit zwei Worten erwähnte, hatte erst statt jeder Antwort laut aufgelacht und dann den Zeigefinger unter Kopfschütteln an die Stirn gelegt, wie um auszudrücken, daß es mit dem Verstand des alten Vandergaart nicht mehr ganz richtig sei.

War es denn nicht wirklich möglich, daß der Greis unter dem Eindruck der Entdeckung der Diamantenmine sich ohne hinreichenden Grund nur in den Kopf gesetzt hatte, sie sei eigentlich sein Eigentum? Jedenfalls hatte doch das Gericht ihm allseitig Unrecht gegeben, und man durfte doch als unwahrscheinlich ausschließen, daß die Richter absichtlich Recht für Unrecht angesehen hatten. Das sagte sich der junge Ingenieur zur Selbstentschuldigung, wenn er noch weiter mit John Watkins Umgang pflog, nachdem er erfahren hatte, was Jacobus Vandergaart über diesen dachte.

Ein anderer Lagernachbar, bei dem Cyprien gelegentlich einmal gern vorsprach, weil er bei diesem das Leben des Buren in seiner ursprünglichen Färbung antraf, war ein Farmer namens Mathys Pretorius, der unter allen Diamantengräbern des Griqualands wohlbekannt war.

Obgleich erst 40 Jahre alt, war doch Mathys Pretorius schon lange am weiten Becken des Oranjeflusses umhergeirrt, ehe er sich in diesem Land ansiedelte. Das Nomadenleben hatte auf ihn aber nicht, wie auf Jacobus Vandergaart, die Wirkung, ihn magerer und reizbarer zu machen. Er war dabei vielmehr dick und fett und das in solchem Maß ge-worden, daß er sich kaum auf den Füßen bewegen konnte. Man hätte ihn mit einem Elefanten vergleichen können.

Fast stets in einem ungeheuren Holzlehnstuhl sitzend, der eigens für ihn gebaut worden war, um seine gewaltigen Körperformen aufzunehmen, verließ Mathys Pretorius das Haus nur im Wagen, in einer Art Preschwagen aus Weidengeflecht, vor den ein riesiger Strauß gespannt war. Die Leichtigkeit, mit welcher der Stelzfüßler die enorme Masse hinter sich herzog, lieferte einen sprechenden Beweis für die gewaltige Kraft seiner Muskeln.

Mathys Pretorius kam gewöhnlich nur nach dem Lager, um mit den Kantinenwirten einen Handel in Gemüse abzuschließen. Er war höchst populär, leider von wenig beneidenswerter Popularität, weil diese sich auf seine ganz außergewöhnliche Verzagtheit gründete. Die Steingräber machten sich's auch häufig zum Vergnügen, ihm durch Erzählungen von tausend Dummheiten einen entsetzlichen Schrecken einzujagen.

Bald wurde ihm ein bevorstehender Einfall von Bassutos oder Zulus gemeldet; bald wieder stellte man sich in seiner Gegenwart so, als lese man in einer Zeitung einen Gesetzvorschlag, wonach in den englischen Besitzungen jedes Individuum von über 300 Pfund Gewicht den Tod erleiden sollte. Oder man ließ ihn auch hören, daß sich ein toller Hund auf der Straße von Driesfontein gezeigt habe, und der arme Mathys Pretorius, der diesen Weg einschlagen mußte, um nach Hause zu gelangen, erfand dann tausend Ausflüchte, um im Lager zurückzubleiben. Seine eingebil-deten Befürchtungen verschwanden jedoch noch immer gegenüber der ernsthaften Angst, die ihn wegen etwaiger Entdeckung einer Diamantenmine auf seinem Grund und Boden plagte.

Er entwarf sich schon im voraus ein entsetzliches Gemälde von dem, was dann geschehen müsse, wenn die habgierigen Menschen über seinen Gemüsegarten herfielen, seine Beete umwühlten und ihn dann gar an die Luft setzten! Die Engländer würden schon Belege finden, um nachzuweisen, daß das Land eigentlich ihnen gehöre.

Wenn sich solche düstere Vorstellungen seines Gehirns bemächtigten, schnürten sie ihm fast die Kehle zu. Wenn er unglücklicherweise einen »Prospekteur«[5] sah, der um sein Gehöft irrte, so konnte er weder essen noch trinken! Und dennoch wurde der Mann alle Tage dicker.

Einer seiner hartnäckigsten Verfolger war jetzt Annibal Pantalacci. Der boshafte Neapolitaner - der nebenbei sehr gut zu gedeihen schien, denn er ließ drei Kaffern in seinem Claim arbeiten und trug einen sehr großen Diamanten im Brustlatze des Hemdes - hatte bald die Schwäche des unglücklichen Buren herausgefunden. So machte er sich wenigstens einmal jede Woche das ziemlich zweifelhafte Vergnügen, in der Umgebung der Farm Pretorius Boden-untersuchungen anzustellen oder wenigstens die Erde oberflächlich aufzugraben.

Das Gebiet dieser Farm erstreckte sich am linken Ufer des Vaal etwa 2 Meilen über das Lager hinaus und enthielt Alluvialboden, der in der Tat recht gut Diamanten bergen konnte, obwohl bis auf den heutigen Tag dafür kein weiterer Beweis erbracht worden war.

Um diese alberne Komödie desto wirksamer zu machen, hielt Annibal Pantalacci darauf, stets in Sicht und vor den Fenstern Mathys Pretorius' Aufstellung zu nehmen, und meist schleppte er auch mehrere Kameraden mit, um ihnen durch seine Neckereien einen Spaß zu bereiten.

Dann konnte man sehen, wie der hinter den Baumwollvorhängen halb erstarrte Mann ängstlich ihren Bewegungen folgte, jede Miene der Leute belauschte und sich immer bereit hielt, nach dem Stall zu laufen, um seinen Strauß einzuspannen und zu fliehen, wenn er einen feindlichen Einfall in sein Gebiet befürchten zu müssen glaubte.

Warum hatte er aber auch das Unglück gehabt, einem seiner Freunde anzuvertrauen, daß er Tag und Nacht seinen Zugvogel angezäumt halte und die Sitzkasten seines Wagens schon mit Mundvorrat versehen habe, um bei den ersten entscheidenden Erscheinungen Reißaus nehmen zu können?

»Dann gehe ich zu den Buschmännern!« sagte er. »Schon vor 10 Jahren trieb ich mit ihnen Elfenbeinhandel, und ich versichere Ihnen, es ist hundertmal besser, inmitten der

Wilden und der Löwen und Schakale zu leben, als unter diesen unersättlichen Engländern zu wohnen!«

Der Vertraute des unglücklichen Farmers hatte aber -nach unveränderlicher Gewohnheit aller Vertrauten - nichts Eiligeres zu tun, als diese seine Projekte aller Welt auszuschwatzen. Es braucht also wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, daß Annibal Pantalacci sich das zunutze machte, die Leute in der Kopje weidlich zu amüsieren.

Ein anderes gewöhnliches Opferlamm der schlechten Späße des Neapolitaners war und blieb der Chinese Li.

Auch dieser hatte sich bei der Vandergaart-Kopje niedergelassen und dort eine Waschanstalt gegründet. Es ist ja bekannt, daß die Kinder des Himmlischen Reichs sich auf das Geschäft als Wäscher besonders verstehen.

Der berüchtigte rote Kasten, der Cyprien so viel Kopfzerbrechen verursacht hatte, als er sich in den ersten Tagen auf der Reise nach dem Griqualand befand, enthielt nichts als Bürsten, Soda, Seifenriegel und Neublau. Für einen intelligenten Chinesen reichte das schon aus, um hierzulande sein Glück zu machen.

Cyprien konnte sich wirklich nicht enthalten, aufzulachen, wenn er Li ganz ernsthaft und schweigend und beladen mit einem großen Korb begegnete, in dem dieser seinen Kunden die Wäsche überbrachte.

Dagegen ärgerte es ihn zu sehen, wie wahrhaft roh sich Annibal Pantalacci gegen den armen Teufel benahm. Er warf ihm Tintenflaschen in seinen Waschzuber, spannte vor seiner Tür Seile aus, um ihn zu Fall zu bringen, und befestigte ihn an seiner Bank, indem er einen Nagel durch seine Bluse trieb. Vor allem verfehlte er niemals, ihn, wenn sich irgend die Gelegenheit bot, mit einem Fußtritt zu regalieren und ihn »Hund von einem Heiden« zu schimpfen. Und wenn er ihm die eigene Kundschaft aufgenötigt hatte, so geschah das nur, um wenigstens wöchentlich einmal solche Roheiten ausführen zu können. Niemals fand er seine Wäsche in gutem Zustand, obgleich Li sie mit größter Sorgfalt wusch und bügelte. Das kleinste falsche Fältchen setzte ihn in wildesten Zorn und er behandelte den bedauernswerten Chinesen, als ob dieser sein Sklave gewesen wäre.

Solcher Art waren die groben Vergnügungen des Lagerlebens. Sie nahmen jedoch zuweilen auch einen noch ernsteren Charakter an. Wenn es zum Beispiel vorkam, daß ein in der Mine beschäftigter Neger eines Diamantendiebstahls beschuldigt wurde, so hielten es gleich alle für ihre Pflicht, ihn zum Richter zu begleiten, und ließen es schon im voraus an gehörigen Faustschlägen nicht fehlen.

Wurde der Angeklagte dann auch völlig freigesprochen, so hatte er wenigstens seine Tracht Prügel weg. Übrigens erfolgten in solchen Fällen Freisprechungen nur sehr selten. Der Richter war mit einem verdammenden Urteil meist schneller fertig, als er ein Orangenviertel mit Salz - Lieblingsgericht des Landes - hätte aufessen können. Das Urteil lautete gewöhnlich auf 14 Tage Zwangsarbeit und 20 Hiebe mit der cat of nine tails, »der neunschwänzigen Katze«, einer Art Geißel mit Knoten in den Riemen, der man sich noch in Großbritannien und den englischen Besitzungen bedient, um die Gefangenen auszupeitschen.

Es gab auch noch ein anderes Verbrechen, das die Diamantengräber noch weniger zu vergeben geneigt waren als den Diebstahl - die Hehlerei.

Ward, der Yankee, der gleichzeitig mit dem jungen Ingenieur nach dem Griqualand gekommen war, machte darin eines Tages eine traurige Erfahrung, weil er von einem Kaffern Diamanten gekauft hatte. Ein Kaffer darf nach gesetzlicher Vorschrift überhaupt keine Diamanten besitzen, denn es ist ihm verboten, diese in einem Claim zu kaufen, oder gar einen solchen auf eigene Rechnung auszubeuten.

Kaum war die Tatsache bekannt geworden - es war des Abends und zu der Stunde, wo gewöhnlich das ganze Lager in Aufruhr ist -, als sich schon eine wütende Menge nach der Kantine des Schuldigen wälzte, hier alles durcheinanderwarf und sie dann anzündete; jedenfalls wäre der Yankee an den Galgen geknüpft worden, den schon einige dienstwillige Leute aufrichteten, als zu seinem Glück ein Dutzend berittene Policemen dazukamen, die ihn dadurch retteten, daß sie ihn ins Gefängnis abführten.

Inmitten dieser gemischten, jähzornigen und halbwilden Gesellschaft gehörten natürlich gewalttätige Auftritte nicht zu den Seltenheiten. Hier vermengten sich alle Rassen zur buntscheckigen, lärmenden Versammlung! Hier trugen der Durst nach Gold, der Einfluß eines ausdörrenden Klimas sowie Enttäuschungen und Ekel an der Arbeit dazu bei, die Köpfe zu erhitzen und die Gewissen zu erweitern. Hät-ten all die Leute in ihren Erdlöchern Erfolge erzielt, so hätten sie sich vielleicht ruhiger und duldsamer benommen. Aber auf einen, dem es nach langer Zeit glückte, einen Stein von großem Wert zu finden, gab es wohl Hunderte, die nur mühsam ihr Leben fristeten und kaum so viel gewannen, um die nötigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen, wenn sie nicht gar in das größte Elend gerieten. Die Mine glich eben einem grünen Tisch, auf dem man aber nicht allein sein Geld, sondern auch seine Zeit, seine Arbeit und die Gesundheit auf eine Karte setzte.

Die Anzahl glücklicher Spieler, denen der Zufall die Haue bei der Ausbeutung ihrer Claims in der Vandergaart-Kopje führte, war von jeher sehr beschränkt.

Cyprien sah das Tag für Tag mehr und er fragte sich, ob er ein so wenig ergiebiges Geschäft noch fortsetzen solle oder nicht, als ein Zufall zu einer Änderung seiner Arbeitsmethode führte.

Eines Morgens traf er zufällig auf eine Gesellschaft von etwa einem Dutzend Kaffern, die nach dem Lager gekommen waren, um hier Beschäftigung zu suchen. Die Armen stammten aus dem Bergdistrikt, der das eigentliche Kaf-fernland vom Land der Bassutos trennt. Sie hatten längs des Oranjeflusses in endlosem Gänsemarsch über 150 Lieues zu Fuß zurückgelegt und dabei von dem gezehrt, was sie unterwegs finden konnten, das heißt von Wurzeln, Beeren und Heuschrecken. Jetzt erschienen sie ungeheuer mager und glichen eher Skeletten als lebenden Wesen. Mit ihren abgezehrten Beinen, dem langen, nackten Oberkörper mit lederbrauner Haut, die ein leeres Gerippe zu umschließen schien, mit vorspringenden Hüften und den hohlen Wangen, sahen sie mehr aus, als lüsterten sie nach einem Beefsteak von Menschenfleisch, als danach, schwere Arbeit zu leisten. Niemand schien auch geneigt dazu, sie anzuwerben, und so hockten sie beisammen an der Seite des Weges, ohne zu wissen, was sie in ihrem Elend beginnen sollten.

Cyprien war durch ihren Anblick ordentlich gerührt. Er verständigte sie durch Zeichen, ein wenig zu warten, und begab sich nach dem Wirtshaus, wo er gewöhnlich aß. Hier bestellte er einen tüchtigen Kessel voll mit Wasser angerührtem Maismehl und ließ diesen nebst einigen Büchsen mit konserviertem Fleisch und zwei Flaschen Rum zu den armen Teufeln hinbringen.

Dann machte er sich's zum Vergnügen, zuzusehen, wie diese sich über das Mehl hermachten, das für sie noch ganz neu schien.

Wahrlich, man hätte glauben können, Schiffbrüchige vor sich zu haben, die nach 14tägigem Fasten und schweren Entbehrungen von einem Floß gerettet worden wären. Sie verschlangen alles mit einer Gier, daß sie nach Verlauf einer Viertelstunde wie eine Bombe hätten platzen können. Aus Rücksicht auf ihre Gesundheit mußte diesem Liebesmahl ein Ende gemacht werden, sonst wäre wahrscheinlich die ganze Gesellschaft einfach erstickt.

Nur einer der Neger, ein Bursche von intelligentem Aussehen und seiner Erscheinung nach der jüngste von allen, hatte sich bei der Stillung seines Heißhungers doch einige

Zurückhaltung auferlegt; und was noch auffallender ist, er versuchte auch, seinem Wohltäter zu danken, woran die anderen gar nicht dachten. So näherte er sich Cyprien, ergriff mit ungekünstelter und nicht ungraziöser Bewegung dessen Hand und legte sie auf seinen Krauskopf.

»Wie heißt du?« fragte ihn auf gut Glück der junge Ingenieur, dem dieser Zug von Erkenntlichkeit wohlgefiel.

Der Kaffer, der zufällig einige englische Worte verstand, antwortete sofort:

»Matakit!«

Sein offener, vertrauenerweckender Blick machte auf Cyprien einen recht guten Eindruck, deshalb kam ihm auch der Gedanke, den wohlgewachsenen jungen Mann in seinem Claim arbeiten zu lassen, und diese Idee konnte nur gut sein.

»Es ist ja weiter nichts«, sagte er für sich, »als was alle Welt hier im Distrikt tut. Für den armen Kaffer ist es jedenfalls besser, mich zum Herrn zu haben, als einem Pantalacci in die Hände zu fallen.«

Dann fuhr er fort:

»Nun, Matakit, du kamst doch wohl hierher, um Arbeit zu suchen?« fragte er diesen.

Der Kaffer bejahte das durch ein Zeichen.

»Willst du bei mir arbeiten? Ich werde für deine Nahrung sorgen, dir die Werkzeuge liefern und noch 20 Shilling den Monat geben.«

Das war der gewöhnliche Tarif, und Cyprien wußte, daß er nicht mehr anbieten durfte, ohne den Zorn des ganzen

Lagers auf sich zu laden. Im stillen behielt er sich aber vor, diesen geringfügigen Lohn durch Geschenke an Kleidungsstücken, Eßgeschirr und was sonst in den Augen eines Kaffern von Wert erscheint, aufzubessern.

Statt aller Antwort zeigte Matakit lachend die zwei Reihen seiner weißen Zähne und legte nochmals die Hand seines Beschützers auf den Kopf. Der Vertrag war damit geschlossen.

Cyprien führte also seinen neuen Diener sogleich mit sich fort. Er nahm aus seinem Koffer eine Leinenhose, ein Flanellhemd und einen alten Hut und gab das Matakit, der kaum seinen Augen trauen mochte. Sich gleich bei seiner Ankunft im Lager auf so kostbare Art bekleidet zu sehen, das überstieg weit die kühnsten Träume des armen Teufels. Er wußte seine Erkenntlichkeit und Freude gar nicht auszudrücken und hüpfte, lachte und weinte gleichzeitig.

»Matakit, du scheinst mir ein guter Bursche zu sein«, sagte Cyprien. »Ich sehe wohl, daß du ein wenig Englisch verstehst. Kannst du denn kein einziges Wort sprechen?«

Der Kaffer verneinte durch ein Zeichen.

»Nun, wenn es so steht, werd' ich es unternehmen, dich Französisch zu lehren!« erklärte Cyprien.

Ohne Zögern begann er mit seinem Schüler die erste Lektion, indem er ihm die Namen der gewöhnlichsten Gegenstände nannte und diese wiederholen ließ.

Matakit erwies sich dabei nicht nur als ein braver Bursche, sondern auch als recht guter Kopf, der ein außergewöhnliches Gedächtnis besaß.

Binnen kaum 2 Stunden hatte er mehr als hundert Worte gelernt und sprach diese auch ziemlich richtig aus.

Erstaunt über eine solche Fassungsgabe, beschloß der junge Ingenieur, sich diese ehrlich zunutze zu machen.

Der junge Kaffer brauchte 7 bis 8 Tage Ruhe und stärkende Nahrung, um sich von den Strapazen seiner Reise zu erholen und in den Stand zu kommen, arbeiten zu können. Diese 8 Tage wurden indes von seinem Lehrer ebenso wie von ihm so vortrefflich angewendet, daß Matakit am Ende der ersten Woche schon imstande war, seine Gedanken, wenn auch noch unkorrekt, doch jedenfalls genügend verständlich französisch auszudrücken.

Cyprien veranlaßte ihn nun, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Diese war sehr einfach.

Matakit kannte nicht einmal den Namen seines Heimatlands, das an der Seite der Berge lag, wo die Sonne aufgeht. Er konnte nur mitteilen, daß die Menschen dort ein sehr elendes Dasein fristeten. Dann hatte er, dem Beispiel einiger ausgewanderter Krieger seines Stammes folgend, sein Glück versuchen wollen und war wie sie nach den Diamantenfeldern gewandert.

Was hoffte er wohl hier zu gewinnen? Nichts als einen roten Mantel und 10 mal 10 Silberstücke.

Die Kaffern verachten nämlich das Gold. Das rührt von einem unausrottbaren Vorurteil her, das die ersten mit ihnen Handel treibenden Europäer den rohen Naturkindern beigebracht haben.

Und was dachte der ehrgeizige Matakit mit seinen Silber-stücken anzufangen ? Nun, er wollte sich einen roten Mantel, eine Flinte und Pulver verschaffen und dann nach seinem Kraal zurückkehren. Hier würde er sich eine Frau kaufen, die für ihn arbeiten und sein Maisfeld bestellen mußte. Unter solchen Verhältnissen wäre er dann ein hervorragender Mann, fast ein Häuptling. Alle würden ihn um seine Flinte und sein großes Vermögen beneiden, bis er einst, hoch an Jahren und Ansehen, zu seinen Vätern heimging. Das war alles ziemlich einfach.

Cyprien verfiel bei Anhörung dieses bescheidenen Programms doch in Nachdenken. Sollte er es zu ändern versuchen, den Horizont des armen Wilden erweitern, ihm würdigere Ziele des Strebens zeigen als einen roten Mantel und ein altes Steinschloßgewehr? Oder war es nicht besser, ihn seiner unschuldigen Unwissenheit zu überlassen, um in seinem Kraal in Frieden das Leben, das er sich wünschte, zu beschließen? Das war eine schwierige Frage, die der junge Ingenieur nicht so leicht zu lösen wagte, die aber Matakit selbst sehr bald ganz verschwinden ließ.

Kaum nämlich der ersten Elemente der französischen Sprache mächtig, zeigte der junge Kaffer einen geradezu außerordentlichen Drang zum Lernen. Er fragte ohne Unterlaß, wollte alles wissen, den Namen jedes Gegenstands, seine Anwendung und seinen Ursprung. Dann betrieb er wieder leidenschaftlich Lesen, Schreiben und Rechnen. Er war mit einem Wort unersättlich.

Cyprien kam auch bald zu einem Entschluß. Gegenüber einer so unleugbaren Veranlagung durfte er nicht zaudern.

Er entschloß sich also, Matakit jeden Abend eine Stunde Unterricht zu erteilen, da letzterer wirklich, außer seinen Arbeiten in der Mine, jede Minute seiner weiteren geistigen Ausbildung widmete.

Erfreut über diesen merkwürdigen Eifer übernahm es Miss Watkins, mit dem jungen Kaffern seine Lektionen zu wiederholen. Dieser sagte sie übrigens stets für sich selbst her, ob er nun auf dem Grund des Claims mit der Hacke arbeitete, die Eimer emporwand oder die Kiesel aussonderte. Die Beharrlichkeit bei seinem Werk war so ansteckend, daß sie wie eine wohltätige Epidemie auf das ganze Personal überging, und die Arbeit in der Mine jetzt mit weit mehr Sorgfalt als früher betrieben zu werden schien.

Auf Empfehlung Matakits hatte Cyprien nämlich noch einen anderen Kaffer aus demselben Stamm, namens Bar-dik, gemietet, dessen Eifer und Intelligenz ebenso alle Achtung verdienten.

Da ereignete sich für den Ingenieur ein glücklicher Umstand, der ihm bisher noch nie widerfahren war; er fand einen Stein von 7 Karat, den er sofort für 5000 Francs an den Händler Nathan verkaufte.

Das war in der Tat ein recht gutes Geschäft. Ein Diamantgräber, der von seiner Arbeit nur einen normalen Ertrag erwartet, hätte sich damit recht wohl befriedigt erklären können. Ja, gewiß. Cyprien freilich konnte das nicht.

»Wenn ich alle 2 oder 3 Monate ein solches Glück habe«, sagte er, »bin ich damit etwa einen Schritt weiter gekommen? Es ist nicht ein Diamant von 7 Karat, was ich brauche, sondern 1000 oder 1500 solcher Steine ... wenn mir nicht Miss Watkins entgehen soll, um jenem James Hilton oder einem anderen Bewerber von ebenso geringem Wert in die Hände zu fallen.«

Cyprien überließ sich gerade eines Tages solchen Gedanken, als er nach dem Frühstück bei drückender Hitze und quälendem Staub - jenem rötlichen, blendenden Staub, der die Atmosphäre der Diamantlager unausgesetzt erfüllt -nach der Kopje zurückkehrte, und, um eine Hütte biegend, vor Schreck zurückwankte. Hier bot sich seinen Augen ein klägliches Schauspiel.

Ein Mann hing an der Deichsel eines Büffelkarrens, der vor der Mauer aufgerichtet stand, mit dem Hinterteil auf der Erde und der Deichsel in der Luft. Unbeweglich, mit ausgestreckten Füßen und Händen, hing der Körper wie ein Senkblei im schwindenden Tageslicht und bildete mit der Deichsel einen Winkel von etwa 20 Grad.

Es war ein schauerlicher Anblick.

Zuerst verblüfft, empfand Cyprien doch ein warmes Gefühl von Mitleid, als er den Chinesen Li erkannte, der mit dem um den Hals geschlungenen langen Zopf hier zwischen Himmel und Erde schwebte.

Der junge Ingenieur mußte nicht lange überlegen, was hier zunächst zu tun war; das Ende der Deichsel zu erklimmen, den Körper des armen Wichts in die Arme zu nehmen und etwas zu heben, um die Wirkung der Strangulation aufzuheben - das war für ihn das Werk einer halben Minute. Als das geschehen war, ließ er sich vorsichtig heruntergleiten und legte seine Bürde im Schatten der Hütte nieder. Es war höchste Zeit, obgleich Li noch nicht ganz erkaltet schien. Sein Herz schlug schwach, aber es schlug doch. Bald hatte er auch die Augen wieder geöffnet und schien sonderbarerweise auch gleichzeitig die Besinnung wieder zu bekommen, als er das Licht erblickte.

Die immer gleichgültige Physiognomie des armen Teufels ließ auch jetzt, wo er dieser entsetzlichen Lage entronnen war, weder ein Zeichen von Schrecken noch von Verwunderung erkennen. Er sah vielmehr aus, als ob er nur aus leichtem Schlummer erwachte.

Cyprien reichte ihm ein paar Tropfen mit Essig versetzten Wassers, das er in seiner Feldflasche bei sich trug.

»Können Sie nun sprechen?« fragte er mechanisch, ganz uneingedenk, daß Li ihn wahrscheinlich nicht einmal verstand.

Der andere nickte jedoch mit dem Kopf.

»Wer hat Sie hier gehenkt?«

»Ich selbst«, antwortete der Chinese, als habe er gar kein Bewußtsein davon, damit etwas Außergewöhnliches und Verbrecherisches getan zu haben.

»Sie? ... Sie wollten also einen Selbstmord begehen, Unglücklicher . . . Und warum?«

»Es war Li zu warm! ... Li war mißgestimmt!« erklärte der Chinese. Dann schloß er wieder die Augen, als wolle er weiteren Fragen enthoben sein.

Da bemerkte Cyprien erst zu seiner Verwunderung, daß diese Worte in französischer Sprache gewechselt worden waren.

»Sie sprechen wohl auch Englisch?« fuhr er fort.

»Ja«, bestätigte Li, die Augenlider aufschlagend.

Man hätte jetzt zwei schiefe Knopflöcher zu sehen geglaubt, die sich an beiden Seiten seiner kleinen Stumpfnase befanden.

Cyprien kam es vor, als läge in diesem Blick wieder etwas von jener Ironie, die er schon während der Fahrt vom Kap nach Kimberley bemerkt hatte.

»Ihre Gründe sind töricht!« sagte er ernst. »Man begeht keinen Selbstmord, weil's einem zu warm ist! ... Sprechen Sie offen! . . . Ich wette, hier steckt doch wieder ein boshafter Streich jenes Pantalacci dahinter?«

Der Chinese senkte den Kopf.

»Er wollte mir den Zopf abschneiden«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »und ich weiß, daß er es doch nach wenigen Tagen zur Ausführung gebracht hätte.«

Gleichzeitig gewahrte aber Li jenen berühmten Zopf in der Hand Cypriens und überzeugte sich, daß das Unheil, das er vor allem anderen fürchtete, schon über ihn hereingebrochen war.

»Oh, Herr! ... Wie? ... Sie ... Sie haben mir ihn abgeschnitten?« rief er mit herzzerreißendem Ton.

»Ich mußte es, um Sie loszumachen, armer Freund!« antwortete Cyprien. »Aber zum Kuckuck, deshalb sind Sie hierzulande nicht einen Sou weniger wert! . . . Beruhigen Sie sich getrost!«

Der Chinese schien so verzweifelt über diese Amputation, daß Cyprien aus Furcht, jener könne einen neuen Selbstmordversuch machen, sich entschloß, nach seiner Hütte zurückzukehren und ihn mitzunehmen.

Li folgte ihm ohne Widerspruch, nahm neben seinem Retter Platz, ließ sich geduldig eine Strafpredigt halten und versprach, keinen weiteren Versuch zu unternehmen. Unter der Wirkung einer Tasse dampfenden Tees ließ er sich sogar zur Mitteilung einiger Einzelheiten aus seinem Leben herbei.

Geboren zu Canton, war Li in einem englischen Haus für den Handel erzogen worden. Dann hatte er sich nach Ceylon, von da nach Australien und schließlich nach Afrika gewandt. Nirgends aber wollte das Glück ihm lachen. Das Wäschegeschäft im Minenbezirk ging nicht besser als zwanzig andere Beschäftigungen, die er schon versucht hatte. Sein hauptsächlichster Quälgeist war und blieb aber Annibal Pantalacci. Dieser Mensch verschuldete sein ganzes Elend, und ohne ihn hätte er sich vielleicht mit der immerhin zweifelhaften Existenz im Griqualand ausgesöhnt. Nur um dessen ewigen Quälereien zu entgehen, war in ihm der Entschluß gereift, sich das Leben zu nehmen.

Cyprien stärkte den armen Kerl, versprach ihm, ihn gegen den Neapolitaner zu schützen, gab ihm alle Leibwäsche zum Waschen, die er nur finden konnte, und schickte ihn nicht nur getröstet, sondern auch geheilt von dem Aberglauben seines Haaranhängsels nach Hause.

Und auf welche Weise war das dem jungen Ingenieur gelungen? Er hatte Li einfach, aber sehr ernst erklärt, der Strick eines Gehenkten bringe Glück und daß sein Pech jetzt, wo er seinen Zopf in der Tasche tragen könne, auf jeden Fall sein Ende nehmen werde.

»Nun, wenigstens kann Pantalacci ihn mir nicht mehr abschneiden!«

Diese echt chinesische Betrachtung vollendete dann die Kur.

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